Auträge auf Einführung des Monopols und der Ersatzmittelsteuer mit verdeppeltem Eifer verfolgt.
Durch die Interpellation kommt nun die Zündholzindustrie in eine ganz eigenartige Situation. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Nun steht sie da inmitten zwei diametral auseinandergehender Zugkräfte. Daß dadurch ihre Lage nicht verbessert wird, das sieht sie selbst ein, und sie erläßt deshald in ihrer offiziellen Zeitschrift einen wahren Notschrei gegen die Interpellation und gegen die Auf⸗ hbebung der Zündwarensteuer. (Hört! hört! in der Mitte und rechts.)
Ich muß Ihnen aus der betreffenden Nummer der Zeitschrift für Zündwarenfabrikation wenigstens eine der schwächsten Stellen
„Die jetzige Wiederaufhebung der Steuer sagt die Zündholzindustrie selbst, würde also alle die schwer schädigen, derer die Interpellation ge⸗ denkt; die Industrie würde wirtschaftlich völlig ruiniert, der Zünd⸗ holzhandel ausgeschaltet und die Arbeiterschaft — gleich den Fa⸗ brikanten — ihr Brot verlieren.“ (Hört! hört! rechts und in der Mitte.)
Meine Herren, ich will nicht dazu beitragen, diese Situation zu erschweren; ich beschränke mich deshalb darauf, die positiven Anträge der Zündwarenindustrie noch kurz durchzugehen. Sie ist der Meinung, daß neben der Vorversorgung hauptsächlich der Vertried von Taschen⸗ feuerzeugen, Gasanzündern und anderen Ersatzmitteln den Absatz. der Zündhölzer schädigt. Sie schätzt die Verdrängung der Zündhölzer durch solche Ersatzmittel auf 10 bis 15 %. Sie weist darauf hin, daß der Wettbewerb befördert sci durch die Erfindung des Cereisens und seine Verwendung als Zündmittel, und hebt hervor, daß neuer⸗ dings in den Ländern, die das Monopol oder die Steuer haben, auch gegen die Ersatzmittel vorgegangen werde. In der Tat hat Italien am 6. März 1910 diese Ersatzmittel mit 1 ½ Lire und Frankreich sie noch vor wenigen Tagen, am 29. Dezember 1910, mit einer Steuer von 2 bis 40 Franken, je nach dem Metall, aus dem sie bestehen, und je nach ihren Dimensionen belegt.
Ich habe mir natürlich angelegen sein lassen, auch die Fabri⸗ kanten der Ersatzmittel selbst über diese Anregungen zu hören. Diese bestreiten, daß die Befürchtungen der Zündholzindustriellen in so hohem Maße zutreffen. Sie schätzen die Konkurrenz der Ersatzmittel nur auf etwa 2 ¾ % des gesamten Absatzes an Zündhölzern. Sie berufen sich darauf, daß die Ersatzmittel be⸗ reits vor dem Erlaß des Zündwarensteuergesetzes gelegentlich eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hätten; das sei Sache der Mode und vielfach Spielerei. Das Zündholz werde sich durch die Ersatzmittel nicht verdrängen lassen; dam seien diese selbst, soweit sie besser sind, zu teuer, namentlich mit Rücksicht auf die Kosten der Reparatur und der Instandhaltung, die schlechten Ersatzmittel aber so minderwertig, daß sie überhaupt dem Zündholz dauernd einen Wettbewerb nicht be⸗ reiten könnten.
Ich glaube nun allerdings, damit schätzen die Ersatzmittel⸗ fabrikanten den Wert dieser Artikel zu niedrig ein. Ich habe den Eindruck, als ob vorläufig — und das bestätigt ja auch der Herr Vorredner — der Absatz des Ersatzmittels keineswegs im Rückgang begriffen sei. Im Gegenteil scheint das Weihnachtsgeschäft darin ein ungewöhnlich lebhaftes gewesen zu sein. Die Bundesregierungen, die ich vor einiger Zeit befragt hatte, waren zwar auch überwiegend der Meinung, daß diese Erscheinung eine vorübergehende sein werde; in⸗ dessen wird man angesichts der neuen Erfahrungen an den Be⸗ hauptungen und Anregungen der Zündholzindustriellen nicht vollständig vorübergeben dürfen, sie vielmehr einer eingehenden Prüfung unter⸗ ziehen müssen. Man muß freilich bei jedem Vorgehen berücksichtigen, daß die Ersatzmittelindustrie stark für die Ausfuhr arbeitet. Ueber das Zündholzmonopol kann ich hier natürlich im Rahmen der Inter⸗ pellation nicht gründlich sprechen. Gestreift ist die Frage schon im Sommer 1909 aus der Mitte dieses hohen Hauses. Im Auslande besteht das Zündholzmonopol teilweise (so in Frankreich) in der Form des reinen Staatsmonopols sowohl für die Herstellung wie für den
Vertrieb, anderswo mit Verpachtung an eine Vertriebsgesellschaft. Auch unsere Zündholzindustriellen haben sich bisber nicht ein reines Staatsmonopol, sondern die Ausübung durch eine Betriebsgesellschaft oder, wie sie sich ausdrücken, eine Aktiengesellschaft unter der Monopol⸗ garantie des Staats vorgestellt, also wohl eine Art von Zwangs⸗
sondikat. Die Gesellschaft soll dem Reich eine Abgabe von
3 Millionen Mark im Anfang bis zu 34 Millionen Mark im Be⸗ harrungszustande zahlen. Das ist nicht unerheblich mehr als die Steuer. Aber es läßt sich füglich bezweifeln, ob bei Zugrundelegung der bisberigen Preise und mit Rüchsicht darauf, daß der Gesellschaft doch durch ihre Betriebsform und durch die der Industrie zu zahlenden
Abfindungen bedeutende Unkosten erwachsen würden, ein derartiger Preis ausreichen könnte. Dies, meine Herren, führt mich schließlich auf die Entwicklung nd die gegenwärtige Gestaltung der Preise. Ich habe darüber ein⸗ gehende Erhebungen veranstaltet, deren Ergebnisse im einzelnen ich Ighnen vielleicht in der Budgetkommission werde vorlegen dürfen, wenn, wie ich nach einer Aeußerung in der ersten Lesung des Etats annehme, die Sache dort noch einmal zur Sprache kommen soll. Hier ann ich nur das Endergebnis mitteilen. Zunächst die Großhandelspreise für die Kisten zu tausend Paketen. Im April und Mai 1909 betrug der Grundpreis der damaligen Kon⸗ vention 73 bis 75 ℳ für die Kiste, der Nettoerlös für die Fabriken nach Abzug der Rabatte 66 ℳ. Die Preise des nach Eintritt der Steuer gegründeten Syndikats betrugen ohne Steuer 95 bis 97 ℳ, der Nettopreis 94 bis 82 ℳ, im Durchschnitt etwa 88 ℳ. Jetzt schwanken die Preise zwischen 54 und 80 ℳ, im Durchschnitt mögen *2 60 bis 65 ℳ betragen. Daraus geht hervor, daß nach Eintritt der Steuer die Preise nicht nur um den Betrag der Steuer, sondern ußerdem noch um ctwa 20 bis 25 ℳ für die Kiste emporgeschnellt sind, und zwar — nach Angabe der Industrie —, damit sie einen G Ausgleich für das erhöhte Risiko und die vermehrten Unkosten er⸗ jelten. Diese Preise waren aber nicht haltbar. Sie wurden unter⸗ boten von den Außenstehenden und sind jetzt wieder gesunken, und zwar, wie ich Grund habe anzunehmen, teilweise unter das Niveau, as vor Eintritt der Steuer in Geltung war.
Was die Einzelverkaufspreise anlangt, so hatte das Syndikat den Preis von 30 ₰ für das Paket zu 10 Schachteln festgesetzt. Der
leinbandel ist bibher dem Sinken des Großhandelspreises nicht überall gefolgt. Rur in den Warenhäusern wird vielfach weniger, 2 Berlin m Reiche durchschnittlich 25 ₰ ge⸗
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nommen, an den anderen Verkaufsstellen Preise, die 2 bis 3 ₰ mehr betragen, beim Verkauf mehrerer Pakete aber wieder etwas weniger. Was geht daraus herbor? Daß die Preise neuerdings ganz er⸗ heblich gesunken sind, und zwar so weit, daß die Industrie selbst dieses Sinken für gefahrdrohend hält. Aber eine Aufhebung der Steuer kommt doch auch aus diesem Gesichtspunkte nicht in Frage, am aller⸗ wenigsten mit Rücksicht auf die kleinen Fabriken, die dadurch auch noch des Vorteils des Kontingents verlustig gehen würden. Wenn sich eine Krisis in der Zündholzindustrie entwickeln würde, so würde sie sich unzweifelhaft dahin vollziehen, daß ein Teil der kleinen Fabriken ein⸗ oder in größere Fabriken aufgehen würde. Es scheint das die Ent⸗ wicklung der Dinge in Italien gewesen zu sein, wo seit Einführung der Steuer im Jahre 1895 der Vertrieb der Zündhölzer ganz außerordentlich zugenommen, dagegen die Zahl der Fabriken erheblich abgenommen hat. Wir müssen uns also besonders angelegen sein lassen, auf die Ver⸗ hältnisse der kleinen Fabriken zu achten. Deshalb ist es doch wohl auch für die Herren Interpellanten von besonderem Interesse, daß mir von kleineren Fabriken eine Anzahl von Zuschriften zugegangen ist, in welchen diese sich auf das dringendste gegen die Aufhebung der Steuer erklären. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Eine dieser Zuschriften enthält folgende Stelle:
Ob die Aufhebung der Zündholzsteuer vom wirtschaftlichen und
sinanzpolitischem Gesichtspunkte aus angebracht ist, will ich hier nicht untersuchen. Jedenfalls würde sie nur den Großbetrieben Vorteil bringen. Der Konsum würde unter Umständen annähernd die alte Höhe erreichen. In dem Konkurrenzkampf aber, der nach den bisherigen Erfahrungen in derselben unsimnigen Weise fortgesetzt werden würde, müßten die kleineren Fabriken, die schon jetzt in den letzten Atemzügen liegen, unterliegen. Meine Herren, ich glaube, auch diese Stelle zeigt, daß die Inter⸗ pellation nicht auf dem richtigen Wege ist. (Sehr richtig! rechts.) Ich gebe bereitwilligst zu, daß das Reich auch über seine Pflicht zur Fürsorge für jeden Industriezweig hinaus hier zur besonderen Wachsamkeit verpflichtet ist, nicht nur aus eigenem Interesse, weil unter Umständen die Erträgnisse der Steuer in Mitlleidenschaft kommen, sondern auch aus Rücksicht auf die mit der Steuer neuer⸗ dings belastete Industrie. Nur werden wir uns hüten müssen, auf vorübergehende Erscheinungen dauernde Entschließungen zu gründen. Wir werden somit den Angaben der Zündholzindustriellen sorgfältig nachgehen, aber freilich können wir das nicht an der Hand einer An⸗ regung, die sich gerade in der entgegengesetzten Richtung bewegt. (Lebhaftes Bravo rechts und in der Mitte.)
Auf Antrag des Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.) tritt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein.
Abg. Graf von Oppersdorff (Zentr.): Ich stimme dem Kollegen Enders darin zu, daß es sich nicht um eine vorübergehende Er⸗ scheinung handelt, und daß der Notstand ein schreiender ist. Die Zündholzersatzmittelbesteuerung ist auch nach meiner Meinung eine descheidene Forderung der Industrie. Widersprechen muß ich aber der Auffassung, daß die Beseitigung der Steuer das wirk⸗ famste Abhilfemittel sei; eine Begründung für diese Auffassung habe ich nicht gehört. Der Abg. Roesicke ist nicht der Vater dieser Steuer. Wir befinden uns gegenüber dieser Steuer noch mitten in der Uebergangszeit; wie kann man da, namentlich angesichts einer so ungeheuren Voreinfuhr von 650 Doppelwaggons, mit solcher Sicherheit von einem dauernden Notstande sprechen? Die Aus⸗ führungen über die Arbeitszeit und über die Kontingentsübertragung von einer Fabrik auf die andere schien mir dem politischen Programm des Begründers der Interpellation nicht zu entsprechen. Die Be⸗ steuerung der Zündwaren und selbst das Monopol sind gerade von den Liberalen, so von Dr. Osann und der Kölnischen Zeitung ge⸗ fordert worden; im Bülowschen Block wurde zuerst vom Monopol ge⸗ sprochen, der Block wollte ursprünglich an diese Steuer gar nicht herangehen. Die Zündholzsteuer ist ein Kind der Linken, mindestens ein Adoptivkind; die nachträgliche Ver⸗ leugnung ändert an dem Verwandtschaftsverhältnis nichts. Der nationalliberale „Hannoversche Courier“ legte sich am 19. Mat 1909 aufs kräftigste für die Zündholzbesteuerung ins Zeug, und zwar mit einer durchschnittlichen jährlichen Belastung von 40 bis 50 ₰ für den Kopf der Bevölkerung. Eine gleiche Aus⸗ lassung fand sich am 5. Juni 1909 in dem freisinnigen Berliner „Börsen⸗Courier’. Am 6. Juli 1909 trat im Plenum Dr. Osann dedingt für das Staatsmonopol ein, und auch die „Freisinnige Zeitung“ meinte, mit der Verteuerung der Zündhölzer würde es nicht so schlimm werden. Jetzt aber stellt man es so dar, als ob die Zündbolzsteuer das Lieblingskind der Finanzreformmehrheit des Reichstags sei. Der Kollege Mommsen hat in derselben Sitzung, in der der Kollege Osann vom Monopol sprach und eine Steuer von 1 ₰ statt 1 ½ ₰ für die Schachtel befürwortete, sich gegen die Heraufsetzung des Schutzzolles . Das hätte uns doch die freieste Kon⸗ kurrenz des Auslandes ins Land gebracht, und diese Konkurrenz würde noch heute bestehen. Der Abg. Mommsen sprach sich aber auch gegen die Kontingentierung aus, und damit hätten wir neben der freiesten Kon⸗ kurrenz des Auslandes auch diejenige des Inlandes gehabt, unter der die kleineren Fabriken längst hätten verbluten müssen. Wäre man dem Abg. Mommsen gefolgt, so würde er heute vielleicht als der Er⸗ würger dieser Industrie angesprochen werden. Der Kollege Schwartz verwies schon damals auf die erbebliche Rolle, welche die Taschenfeuer⸗ zeuge spielen; diese Rolle wird angesichts der weitgehenden Wünsche, die die Industrie geäußert hat, aufs genaueste zu untersuchen sein. Der bedrängten Industrie muß nicht mit schikanösen Ueber⸗ wachungsbestimmungen, sondern mit wirksamen Erleichterungsmaß⸗ regeln zu Hilfe gekommen werden, um ihre Notlage zu beseitigen; dazu gehört auch staatliche Kreditgewährung, wie sie z. B. von der meiningenschen Regierung geübt wird. Die Schuld an der Notlage ist auch einer Reibe von ÜUnterlassungssünden beizumessen; eine der schlimmsten davon war neben der Freilassung der Feuerzeuge die Hinausschiebung des Inkrafttretens der Steuer, wie zablreiche Aeuße⸗ rungen aus der Branche selbst und in Handelskammerberichten bezeugen. Auch die Kölnische v2e hat das neuerdings anerkannt; sie hebt dabei hervor, daß auch Königlich preußische Behörden sich ausgiebig vor⸗ versorgt hätten, sodaß für 6—8 Monate der Bedarf gedeckt war. Beiläufig bemerkt, hat die Zündholzindustrie über eine sehr 5, Presse verfügt. Die Eisenbahndirektion Erfurt soll, wie mir be⸗ richtet wird, bedeutende Einschränkungen im Konsum von Streich⸗ hölzern eingeführt haben; eine andere Direktion soll direkt vor dem Füadhohnetbren, gewarnt haben. Ich halte es nicht für über⸗
üssig, unsere Aufmerksamkeit hierauf zu lenken. Die Fabrikanten sollen enorm vorverdient haben, meinte der Staatssekretär. Das scheint mir zu generell behauptet zu sein. In Frankreich ist der Kopf der Beyvölkerung durch die Steuer mit 80 ₰ belastet; bei uns wird die Belastung in voller Wirksam⸗ keit der Steuer 35 ₰ betragen. Die Rentabilität der In⸗ dustrie ist dabei im Durchschnitt nur eine sehr geringe. In der Zeit der Hochkonjunktur haben die Händler die alten Ab⸗ schlüsse in unerhörten Mengen abgerufen und so die Fabrikanten ezwungen, zu den alten Preisen zu liefern, während die Händler elbst den ganzen Profit von den neuen höheren Preisen zogen. Die x konnten sich dieses Ansturms zum Teil nur durch Androhung von Prozessen erwehren, die unter Umständen ebenfalls durch ihren Ausgang fur die Fabriken muinos werden konnten. Das „Vorverdienen“ ist also nicht etwa den abriken besonders zugute gekommen. Was die Wünsche der Linken betrifft, so müßte zunächst
einmal festgestellt werden, ob die Aufhebung sofort oder nach einer
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gewissen Frist eintreten soll. Das ist weder in der pellation selbst noch in ihrer Begründung gesagt. Ven müßten Uebergangsbestimmungen ausgearbeitet werden, die nicht neue Schädigungen hervorrufen. 8 würde eine große Verwirrung m der Produktion wie im Handel und im Kredit angerichtet werden. Die Zeitschrift für Zündwarenfabrikanten, das amtliche Organ des ganzen Berufes, sagt zu dieser Angelegenheit folgendes: „Wir geben uns der Hoffnung hin, daß die fortschrittliche Volkspartei ihre Interpellation zurückziehen wird, weil der Antrag auf Aufhehung der Steuer, wenn er angenommen würde, unserer in schwerster Notlage befindlichen In⸗ dustrie, dem Handel wie den Arbeitern, nachdem die Steuer andert⸗ halb Jahre bestanden hak, ganz empfindliche Nachteile zufügen würde.. Wir bitten aus diesem Grunde, bei Behandlung der Zündholzfrage die Politik ausschalten und die wirkliche Notlage der Industrie ins Auge fassen zu wollen.“ Die Frage wird am besten noch einmal gründlich in der Budgetkommission erörtert. Vor allem ist es überaus wichtig, daß man die Meinungen und Ansichten der In⸗ dustrie sorgfältig beachtet. Wir hoffen aber, daß zur Beseitigung der vorübergehenden Mißstände eine gesetzgeberische Maßnahme bald ergriffen wird. 1 Abg. Osann (nl.): Ich hätte nicht geglaubt, daß die Frage der Finanzreform heute noch einmal aufgerollt werden würde. Wir haben seinerzeit die Finanzreform im ganzen abgelehnt, aber eine Mit⸗ wirkung zur Verbesserung der einzelnen Vorschläge nicht versagt. Wir b damit einen durchaus loyalen Standpunkt vertreten. Auf diesem Standpunkt stehen wir auch gegenüber dem Zündholzsteuer⸗
gesetz.
Vor
Wir können uns dem Begründer der Interpellation nicht an⸗ schließen, wenn er gemeint hat, daß die auf diesem Gebiete hervor⸗ getretenen Mißstände nicht anders beseitigt werden können als durch eine Aufhebung des Zündholzwarengesetzes. Die Zündholzwaren⸗ industrie hat ja selbst erklärt, daß sie ruiniert werden würde, wem das Gesetz aufgehoben würde. Namentlich der arme Teil der Be⸗ völkerung, der in der Zündwarenindustrie beschäftigt ist, würde⸗ schwerlich eine andere Unterkunft finden und würde 8 schwer ent⸗ schließen, in einer anderen Gegend eine Arbeits elegenheit zu suchen. Von allen Steuern hat die Zundwarensteuer alle Kreise des Volkes am meisten erbittert. Nicht nur Private, auch staatliche Behörden haben ihren Bedarf auf lange Zeit hinaus vor der Ausführung des Gesetzes gedeckt. Eine weitere Folge des Gesetzes war die unahme der Ersatzmittel. Infolgedessen ist eine Einschränkung der Produktion der Zündwaren eingetreten. Dazu kommt, daß das Gesetz selbst an ver⸗ schiedenen Mängeln leidet, in bezug auf die Stundung der Steuer, die usw. die kleineren Fabriken vor den großen be⸗ nachteiligt. Fine Folge des Gesetzes war die Einschränkung der Areiterzahl und die Verschlechterung der Lohnverhältnisse. Von 6000 Arbeitern wurden 2000 entlassen. Auf diesem Gebiete haben die Arbeitgeber dieselben Interessen wie die Arbeiter. Die jetzigen bestehenden Mißstände beruhen nicht etwa auf der wirtschaft⸗ lehen Entwicklung, sondern sie sind begründet durch das Gesetz selbst. Es ist deshalb notwendig eine Aenderung der gesetzlichen Be⸗ stimmungen auf gesetzlichem Wege. Auch meine Freunde wären bereit, die Zündholzsteuer durch die Erbschaftssteuer zu ersetzen, allein es ist aussichtslos, für diesen Gedanken jetzt hier eine Mehrheit zu finden. Von seiten der Fabrikanten wird deshalb ein anderer Weg der Ab⸗ hilfe vorgeschlagen. Sie wünschen, daß eine Aktien gsellschaft ge⸗ bildet werde von sämtlichen Fabrikanten, und daß die Ablieferung der Steuer an das Reich garantiert werden soll. Meine Freunde können diesen Weg nicht betreten, weil keine genügende Sicherheit für das Reich gegeben ist. Die Banken haben sich geweigert, diese Sicherheits⸗ leistung zu übernehmen. Wir haben seinerzeit das Reichsmonopol vorgeschlagen, leider fehlte es an der Zeit, diesen Gedanken zu ver⸗ wirklichen. Wir möchten diesen Gedanken jetzt wieder aufnehmen, und wir sind der Ueberzeugung, daß eine derartige Monopolisierung in der Zündholzindustrie stetige und ruhige Verhältnisse herbeiführen würde. Auf eine Reihe anderer Vorschläge, z. B. die Zwangs⸗ kontingentierung ꝛc. könnten wir in der Budgetkommission oder in einer anderen Kommission eingehen. Jedenfalls halten wir uns ver⸗ füchtrt der Zündholzindustrie so weit zu helfen, wie dies nur mög⸗ ich ist. Abg. Dr. Hahn (dkons.): Auch meine politischen Freunde ver⸗ kennen nicht, daß die Lage der Zündholzindustrie eine überaus mißliche ist. Die Ursachen des Mißstandes liegen in der Vorversorgung des Publikums, in der Sparsamkeit der Verbraucher und in der Nichtverzollung der Zündwarenersatzmittel. Ein anderes Moment ist der Umstand, daß ein Zusammenschluß der Fabrikanten nicht erzielt worden ist. Ich habe heute vor der Sitzung mit dem erweiterten Vorstande des Verbandes der Fabrikanten darüber Rücksprache genommen und zu meiner Ueberraschung er⸗ fahren, daß leider 17 % der Fabrikanten außerhalb des Verbandes blieben sind. Die dem Sondikat angehörigen Fabrikanten haben 200 Kisten in den Verkehr gebracht, die Außenstehenden 5600. Diese Außenstehenden haben das Kontingent voll ausgenutzt, die anderen nicht. Wäre es möglich gewesen, eine volle Einmütigkeit der Fabri⸗ kanten zustande zu bringen, so wäre die Lage der Industrie eine wesentlich günstigere gewesen. Die Mehrzahl der Interessenten steht nun auf dem Standpunkt, daß es ein Vorteil für die kleineren Fabri⸗ kanten wäre, wenn es ihnen ermöglicht würde, ihr Kontingent auf die größeren Fabrikanten zu übertragen. Auch von einer Ueberschreibung des nicht in Anspruch genommenen Kontingents auf andere Jahre ver⸗ spricht man sich auf mancher Seite einen Erfolg. So sehr man aber auch die Notlage beklagt, so ist man doch in der Industrie einhellig der Meinung, daß es nicht recht möglich sein würde, die Besteuerun der Zündwaren wieder aus der Welt zu schaffen. Dieses wird mir au von einer der sächsischen Fabriken bestätigt. Deshalb kann ich es nur billigen, wenn der Staatssekretär darauf verzichtet, auch nur in Er⸗ wägungen darüber einzutreten, ob das Gesetz wieder beseitigt werden sol⸗ Abhilfe würde zu erreichen sein, indem man dieselben Bedingungen und dieselbe Belastung für die Ersatzmittel schafft, unter denen jeft die Zündwarenindustrie zu leiden hat; an der Kontingentierung wir festgehalten werden müssen. Mit besonderer Befriedigung habe ich vernommen, daß auch der Abg. Osann das Gesetz nicht aufheben und auch nicht an die Stelle der Zündwarensteuer etwa die Erbanfal⸗ steuer setzen will. Es wird den Nationalliberalen über⸗ haupt noch sehr oft leid tun, daß sie 1909 nicht an der Finanzreform mitgewirkt haben; ich habe die Ueberzeugung, daß die gleiche Erklärung, wie sie heute der Abg. Osann bezüglich der Zünd⸗ warensteuer abgegeben hat, von seinen Freunden auch bei jeder anderen 1909 beschlossenen neuen oder höheren Steuer abgegeben werden würde, wenn wir sie einer neuerlichen Diskussion unterzögen. Die Be⸗ lastung des Konsumenten mit 23,1 ₰ für den Kopf erscheint keineswert übermaßig; die effektive Belastung hat für das erste Jahr des Be⸗ stehens -2 Steuer sogar nur 16 ₰ betragen. Wir haben 4 angesichts der riesigen Voreinfuhr von 30 bis 40 Milliarden Streic. hölzern eben mit einem Ausnahmezustande zu tun, der erst allmählich normalen Verhältnissen Platz machen wird. Dr. Roesicke kam tatsächlich nicht die Vaterschaft fur die Steuer beanspruchen; er hat vielleicht das Kind in diesen Saal geführt, aber sein Vater ist er nicht. Die Forderung war schon viel früher erhoben worden; in einer Petition um Beseitigung der verkehrsfeindlichen Fabr⸗ kartensteuer wurde sie bereits vorgeschlagen, und die Petiticn hat der Reichstag dem Reichskanzler als Material überwiesen. Der gesamte Reichstag mit Ausnahme der Sozialdemokraten hat de⸗ mals dieser Petition und dem Antrage der Petitionskommission zu⸗ estimmt. Das Verlangen der Aufhebung der Steuer charakterisien ich danach bei sämtlichen Parteien einschließlich der Freisinnigen eine höchst auffällige Inkonsequenz. Ich kann auch die Zitate aus dem „Hannoverschen Courier“ nur unterstreichen; hoffentlich besißt dieses Blatt die Lopalität, sich an seinen Artikel vom 19. Mar 1909 erinnern zu lassen und die Angriffe auf die Urheber der Steuer⸗ einzustellen. Das gleiche gilt von den freisinnigen Blättern, dem „Börsen⸗Courier“ und der „Freisinnigen Zeitung“. Also auch die m den jüdischen Kreisen angehorigen Borsenbesucher, die den „Börsen⸗ Courier“ lesen, während die christlichen Bekenntnissen Angehörigen mett
die „Börsenzeitung“ lesen, mögen sich auf diese Tatsache hinweisen lassen. (Schluß in der Zweiten Beilage.) 8 8
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Der Kollege Osann hat sich als Freund des Monopols bekannt, aber leider für eine weitere Ausdehnung der Besteuerung nichts angeführt; ich hoffe, er wird das im Lande noch tun er wird damit manches wieder gut machen. (Zuruf links.)] Der Abg. Osann steht so weit auf dem rechten Flügel, daß man mit ihm noch verhandeln kann. Auch der Abg. Wachhorst de Wente sollte, wenn er im Lande gegen die Zündholzsteuer spricht, nicht vergessen, daß auch seine eigenen politischen Freunde zu ², be⸗ willigen wollten, was die Mehrheit nachher bewilligt hat ich würde ibm für diese kleine Genauigkeit sehr dankbar sein. Die Zuͤndholzsteuer ist also von liberaler Seite günstig beurteilt und teil⸗ weise empfohlen worden. Schuld an ihrem Zustandekommen haben einzig und allein diejenigen Parteien, die die anderen indirekten Steuern abgelehnt haben, die die Regierung vorgeschlagen hat. Aus diesen Vorschlägen wären 83 Millionen herausgekommen, und dann hätten wir nicht auf die Zündholzsteuer zurückzugreifen brauchen. Von dem Vorschlag der Besteuerung der Inserate und Reklamen war der gesamte Mittelstand entzückt, weil dadurch die großen Geschäfte und Warenhäuser betroffen worden wären. An der Erhöhung des Kaffee⸗ volls. an dem Teezoll und an der Zündholzsteuer sind also nur die Parteien schuld, die alle diese anderen indirekten Steuern ab⸗ gelehnt haben. Ein Mitglied der Volkspartei, der Abg. Hormann, hat damals im „Tag“ sogar eine Besteuerung der Kaffeefurrogate vor⸗ — wovon er 80 Millionen erwartete. Ein Befürworter der
esteuerung des Kaffees war auch der Abg. Müller⸗Sagan. Die hohen Kaffeepreise sind lediglich durch künstliche Preistreibereien in Brasilien veranlaßt worden, zu welchem Zwecke dort Anleihen aus⸗ gegeben wurden, an deren Emittierung sich auch deutsche Firmen an den deutschen Börsen beteiligt haben, die also dazu beigetragen haben den deutschen Konsumenten den Kaffee zu verteuern; das sind dieselben Firmen, die im Hansabund sind, der bekanntlich die Interessen des Bürgerstandes und Mittelstandes, der Konsumenten, und neuer⸗ dings sogar der Landwirtschaft vertritt. Warum hat sich der Hansa⸗ bund noch nicht üͤber diese Preistreiberei im Kaffee geäußert? Er hat gute Gründe, das bleiben zu lassen. Der Abg. Enders empfahl als Ersatz wieder die Erbanfallsteuer, wir müssen aber daran fest⸗ halten, daß indirekte Steuern an die Stelle von anderen indirekten Steuern, die abgelehnt werden, und direkte Steuern an die Stelle abgelehnter direkter Steuern treten müssen. Wir haben 110 Millionen auf das Kapital und den Kapitalverkehr ge⸗ legt, und für die abgelehnten oder heruntergesetzten indirekten Steuern haben wir andere indirekte Steuern beschlossen. Wir wissen ja auch gar nicht, wie die Fortschrittliche Volkspartei bei einer neuen Vorlage für die Besteuerung des Erbes der Kinder und der Ehegatten sich verhalten würde. Der Abg. Müller⸗Meiningen hat 1908 in einem langen Aufsatz in der Vossischen Zeitung“ diese Steuer als einen Eingriff in das Familienleben verurteilt. Nehmen Sie doch wenigstens so viel Rücksicht auf Ihren eigenen Kollegen Müller⸗Meiningen, daß Sie nicht, wenn wir im Lande dessen ausgezeichnete Darlegungen unseren Wählern vortragen, rasonieren und schlechte Witze über den Familiensinn machen. Ich bitte Sie, auch nicht den Abg. Dr. Wiemer zu desavouieren indem Sie sich mit scharfen Worten gegen dessen Argumente wenden. Er dat am 10. Januar 1 im Reichstag erklärt es lasse sich nicht verkennen, daß die Deszendentenbesteuerung einen Eingriff in die Familieneinheit enthalte, und späterhin hat er ge⸗ sagt, daß sie nicht der deutschen Rechtsauffassung vom Familien⸗ vermögen entspreche. Der gesetzgeberische Grundgedanke aber ist bei der Nachlaßsteuer und der Erbanfallsteuer genau derselbe. Wir werden im Wahlkampf nicht verschweigen, daß wir unsere Argu⸗ mente der Fortschrittlichen Volkspartei verdanken, und werden auch auf die Wandelbarkeit ihrer Gesinnung hinweisen. Die Lage nach Erledigung der letzten Reichsfinanzreform hat eine gewisse Aehnlichkeit mit derjenigen nach Erledigung der Finanzreform von 1906. Als letztere zum Abschluß gekommen war, erhob sich im national⸗ liberalen Lager, speziell bei den eeee. ein Sturm der Ent⸗ rüstung gegen die nationalliberale Fraktion insbesondere wegen der Fahrkartensteuer und des Ortsportos. Hierüber wurde am 6. Oktober 1906 in Goslar verhandelt. Damals offenbarten die Führer der National⸗ liberalen ein so bohes Maß politischer Weisbeit und staatsmännischer Ein⸗ sicht, daß ich ihre Ausführungen in unser aller Gedächtnis zurückrufen muß. Die Mitglieder aller Ordnungsparteien können von ihnen lernen. Dr. Hieber führte aus, die Reform als Ganzes sei eine unbedingte Notwendigkeit gewesen, und die Kunst, 200 Millionen durch populäre Steuern zu decken, habe bis jetzt auch der klügste Steuerfinder noch nicht gekonnt. Das ist ein herrliches Wort, aber ebenso schön sind die Worte, die damals Dr. Paasche sprach: Wir mußten zugreifen bei der Reform; trotz allem bleibt sie ein großes Werk, und unsere Mitarbeit ein Verdienst; wir hatten die verfluchte Pflicht, zu dem äußeren Konflikt nicht noch einen inneren zu fügen. In den stürmischen Beifall, der hier in dem Bericht verzeichnet ist, würden wir alle eingestimmt haben. Der Abg. Bassermann sagte bei derselben Gelegenheit: Wie leicht ist es, Kritik zu üben und für ein paar Schlagworte Beifall zu finden. Heute richtet sich der Abg. Bassermann danach nicht mehr. Aber die Kritik muß Maß bhalten gegenüber den Abgeordneten, die jahraus, jahrein ihre Schuldigkeit tun. Die Resolution der Jungliberalen erhöhe die Arbeitsfreudigkeit der Parlamentarier durch ihren Ton nicht. (Als der Redner noch weiter aus einem großen Folianten, dem ein⸗ gebundenen Jahrgang der „Kölnischen Zeitung“, vorlesen will, unter⸗ bricht ihn der Präsident Graf von Schwerin⸗Löwitz mit den Worten: Ich habe Sie bei Ihren Verlesungen nicht unter⸗ brochen, aber Sie wollen doch wohl das umfangreiche Werk nicht ganz vorlesen!) Ich habe das Wichtigste verlesen und stebe noch heute auf dem Standpunkt, den damals die Abgg. Dr. Paasche, Dr. Hieber und Bassermann dargelegt haben. Die Finanz⸗ reform von 1909 kommt auf dasselbe hinaus wie die von 1906. In beiden Fällen befand sich kein einziger Abgeordneter in der an⸗ genehmen Lage, nur die Steuern zu bewilligen, die seiner Ueber⸗ zeugung oder den Interessen seiner Wähler entsprochen hätten. Heute üben die Nationalliberalen dieselbe Kritik wie die Jungliberalen an der Reform von 1906. Das deutsche Volk macht den Unterschied, den die nationalliberale Fraktion zwischen der früheren und jetzigen Reform gemacht hat, nicht. Uns leitete die harte politische Not⸗ wendigkeit, dem Vaterlande die nötigen Mittel zu bewillien.
Hierauf wird Vertagung beschlossen.
Persoönlich stellt der Abg. Enders einer Bemerkung des Grafen Oppersdorff gegenüber den Wortlaut seiner Aeußerung, betreffend die Arbeitszeit in den Zündbolzfabriken, noch einmal fest und verwahrt sich gegen die „Verdredung“, die Graf Oppersdorff mit seinen Aeußerungen vorgenommen habe. (Der Präsident rügt den Ausdruck „Ver⸗ drehung“.)
„ Abg. Graf Oppersdorff verwahrt sich dagegen, Aeußerungen des Abg. Enders verdreht habe.
Nach weiteren persönlichen Bemerkungen der Abgg. dahs
daß er die
Wachhorst de Wente, Müller⸗Meiningen und Dr. Hahn chlägt der Präsident vor, die nächste Sitzung abzuhalten
zum Deutschen Reichsanzeiger
und Fortsetzung der Beratung des konservativen Handwerker⸗ antrages.
„ Abg. Singer (Soz.) protestiert dagegen, daß der zweitgrößten Fraktion des Reichstags durch den Vorschlag des Präsidenten die Möglichkeit genommen werden solle, sich zur Interpellation zu äußern. Die Anordnung des Präsidenten komme tatsächlich auf eine Ver schiebung der Besprechung ad calendas Graecas hinaus. Die nächsten Wahlen würden darauf die Antwort geben.
Präsident Graf Schwerin⸗Löwitz verwahrt sich gegen den Vor⸗ wurf einer tendenziösen Feststellung der Rednerliste. Obwohl ihm nach der Geschäftsordnung allein das Recht zustehe, die Reihenfolge der Redner festzustellen, habe er, durchaus in Uebereinstimmung mit den Absichten des Seniorenkonvents, unter Berücksichtigung des Stärke⸗ verhältnisses der Fraktionen abwechselnd den Rednern für und wider das Wort gegeben. Sollte es vom Hause gewünscht werden, daß die Interpellation morgen weiter besprochen werde, so werde er sich einem solchen Vorschlage nicht widersetzen. Nur möchte er dann bitten, daß zunächst die Rechnungssachen, die der Budgetkommission überwiesen werden müßten, zunächst erledigt würden. 8 8 I. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Da zwei Rechnungssachen eine längere Debatte hervorrufen werden, und die Angriffe des Abg. Hahn weit über den Rahmen der Interpellation hinausgeben, so erfordert die Gerechtigkeit, zunächst die Besprechung der Interpellation fortzusetzen.
„Abg. Singer (Soz.): Ich nehme von den Erklärungen des Präsidenten Akt, aber sie ändern an der Sache nichts. Um ein Un⸗ recht zu vermeiden, ist es notwendig, morgen zunächst die heutige Debatte fortzusetzen. 8 Abg. Fürst von Hatzfeldt (Rp.): Ich verstehe nicht, wie der Abg. Singer dem Präsidenten einen Vorwurf machen konnte. Nach dem Beschluß des Seniorenkonvents soll die Besprechung von Inter⸗ pellationen an einem Tage zu Ende geführt werden. Aber ich bin auch der Ansicht, daß eine Debatte wie diese, in der große Parteien den Wunsch haben, auf Angriffe zu erwidern, nicht so abgebrochen werden darf, und bitte daber, ihre Fortsetzung als zweiten Gegenstand auf die margige “ zu 5 en.
Die Abgg. von Normann (dkons.) und Fehrenbach (Zentr.) sprechen sich für die Fortsetzung der Wee Lebre . an erster Stelle aus. —
Der Präsident stellt fest, daß er den Redner der Sozial⸗ demokraten ausdrücklich habe fragen lassen, ob er noch heute zu sprechen wünsche, und auf seine Erwiderung, daß er lieber morgen sprechen wolle, sich bereit erklärt habe, auf Antrag des Hauses die Besprechung morgen fortsetzen zu lassen. —
8 Abg. Schöpflin (Sos) erklärt, diese Antwort nur unter der Voraussetzung gegeben zu hahen, daß vorher höͤchstens belanglose Gegenstände zur Verhandlung kämen.
Schluß gegen 7 ½ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr (Rest der heutigen
Tagesordnung, Fortsetzung der Beratung des Mittelstands⸗ antrages von Normann u. Gen.). II1“ 8
——4 5*
E“ h 55 Herrenhaus. 1““ 1u“ Sitzung vom 10. Januar 1911, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Freiherr von Manteuffel eröffnet die Si folgenden Worten: ff e Als Präsident der vorangegangenen Session eröffne ich die Sitzung und eröffne sie, wie dies alljahrlich geschehen ist, mit dem uns allen teuren Ruf: Seine Majestät unser Allergnädigster Kaiser, König nn 1.v; lebe hoch! (Das Haus stimmt dreimal begeistert in den „ Zu provisorischen Schriftführern ernennt der Präsident die Herren Dr. von Burgsdorff, Dr. Johansen, von Klitzing und Graf von Hutten⸗Czapski. — Sodann teilt der Präsident mit, daß er am Neujahrstage Seiner Majestät dem Kaiser und König und Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin die Gückwünsche des Herrenhauses übermittelt habe. 1 Der Präsident stellt weiter unter Verzicht auf den üblichen Namensaufruf die Beschlußfähigkeit des Hauses fest. Auf der Tagesordnung steht die Sahl des Präsi⸗ denten, der beiden Vizepräsidenten und der Schriftführer. Auf Vorschlag des Herzogs zu Trachenberg wird der bisherige Präsident Freiherr von Manteuffel durch Akkla⸗ mation wiedergewählt.
, von Manteuffel: Ich nehme dankend die Wahl an und hoffe, daß mir der liebe Gott Gesundheit genug gebe, das Amt, das Sie auf meine Schultern gelegt haben, zu erfüllen.
„Auf Vorschlag des Grafen zu Eulenburg wird der bis⸗ herige Erste Vizepräsident Becker gleichfalls durch Akklamation wiedergewählt. Der Gewählte ist nicht anwesend, hat aber dem Präsidenten mitgeteilt, daß er eine Wahl annehmen würde. Auf Vorschlag des Herzogs zu Trachenberg wird auch der bisherige Zweite Vizepräsident Dr. Freiherr von Lands⸗ berg⸗Steinfurt . Akklamation wiedergewählt. Er er⸗ klärt, daß er die Wahl mit Dank annehme.
Sodann werden die bisherigen Schriftführer Graf von Arnim⸗Boitzenburg, Dr. von Burgsdorff, Graf von Hutten⸗ Czapski, Dr. Johansen, von Klitzing, Graf von Seidlitz⸗ Sandreczki, Veltman und Dr. Graf von Wedel⸗Gödens au Vorschlag des Herzogs zu Trachenberg ebenfalls . Akklamation wiedergewählt: sie erklären die Annahme der Wahl. Schluß 3 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch, 12 ½ Uhr (geschäftliche Mitteilungen: Vereidigung neu eingetretener Mit⸗ glieder; Wahl von vier Mitgliedern für die Matrikelkommission).
Haus der Abgeordneten. 1. Sitzung vom 10. Januar 1911, Nachmittags 1 (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Der Präsident der vorigen Session von Kröcher eröffnet die Sitzung mit folgenden Worten: 8 82
Als Präsident der vorigen Sessien eröffne ich die Sitzung und bitte Sie, mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Majestat der Kaiser, unser Allergnädigster König und Herr, lebe hoch! (Das Haus stimmt dreimal begeistert in den Ruf ein. Die Sozialdemokraten
Uhr.
Mittwoch 1 Uhr mit der Tagesordnung: Rechnungssachen
Dearauf nimmt zur Einbringung des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Etatsjahr 1911 der Finanzminister Dr. Lentze das Wort:
Meine Herren! Zum ersten Male habe ich die Ehre, vor diesem hohen Hause zu erscheinen und den Etat zu vertreten. Diese Auf gabe wird mir dadurch wesentlich erleichtert, daß mein hochverehrter Herr Amtsvorgänger mir die preußischen Finanzen in einem wohl⸗ geordneten und durchaus gesunden Zustande überliefert hat und es mir nur obliegt, sie in diesem Zustande zu erhalten und weiter aus zugestalten. Ich möchte Sie aber bitten, meine Herren, daß Sie mi Ihre Unterstützung leihen möchten, denn ohne Ihre Unterstützun wird es mir unmöglich sein, dieses bedeutsame Ziel zu erreichen.
Mit Allerhöchster Ermächtigung Seiner Majestät des Königs habe ich die Ehre, Ihnen zu überreichen: erstens die Allgemein Rechnung über den Staatshaushalt des Jahres 1907, sodann di Uebersicht von den Staatseinnahmen und ⸗ausgaben für das Jahr 1909, drittens den Gesetzentwurf, die Feststellung des Staatshaus haltsetats für das Jahr 1911 betreffend. Ich erlaube mir, hier dies drei Vorlagen zu überreichen. Um Ihnen das Studium des Etats zu erleichtern, ist dieses Mal ein besonderer Ueberblick über die wesentlichsten Veränderungen des Etats mit bei gefügt. Außerdem werden Sie in den nächsten Tagen ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis zum Etat erhalten, dessen Druck leider wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bisher nich fertiggestellt werden konnte.
Meine Herren, die Rechnung des Jahres 1909 schliest ab mi einem Fehlbetrage von 23,4 Millionen gegenüber einem Fehlbetrag von 155,8 Millionen, wie ihn der Etat des Jahres 1909 vorsah In der Wirklichkeit ist also der Fehlbetrag um 132,4 Millionen ge ringer als im Etat. Dieses Rechnungsergebnis ist ein überaus günstiges und geht weit über das hinaus, was man auch nach de Aufstellung des Etats noch im Verlaufe des Jahres 1909 schätzen konnte.
Bekanntlich trat ganz plötzlich im Jahre 1907 in der ganzen Welt ein starker wirtschaftlicher Niedergang ein, dessen Folgen sich bei den Staatsfinanzen ganz empfindlich geltend machten, und der verschiedene Jahre hindurch andauerte. Zu gleicher Zeit war aber auch eine um⸗ fassende Erhöhung sämtlicher Besoldungen, Pensions⸗ und Relikten⸗ bezüge ganz unvermeidlich. Die Lebenshaltung war in ein solchen Weise gestiegen, daß die Königliche Staatsregieruug die Be⸗ soldungsregulierung nicht weiter aufschieben konnte. Dadurch wurden 200 Millionen neue Ausgaben erforderlich, und zwar dauernde Aus⸗ gaben. Während also auf der einen Seite die Ausgaben ganz ge waltig stiegen, fielen auf der anderen Seite die Einnahmen ebenso bedeutend. Diese schweren Erschütterungen konnten auch die preußi schen Staatsfinanzen nicht aushalten, es traten erbebliche Fehlbeträge ein, und zwar schloß das Jahr 1907 mit einem Fehlbetrage von rund 72 Millionen Mark und das Jahr 1908 mit einem Fehlbetrage von rund 202 Millionen Mark ab. Diese besorgniserregenden Erschei⸗ nungen erforderten die größte Aufmerksamkeit der Königlichen Staats⸗ regierung. Es fanden eingehende Untersuchungen darüber statt, welche Teile der Fehlbeträge sich ihrer Natur nach als eine wirkliche Ueber⸗ lastung, also als dauernde Fehlbeträge darstellten und welche nur als sogenannte Konjunkturdefizits, also als vorübergehende anzusprechen seien, um darnach die zu ergreife nden Maßnahmen einzurichten. Eine dauernde Ueberlastung, ein sogenanntes chronisches Defizit, kann nur durch die Erhöhung der Einnabmequellen oder durch eine Zurück⸗ haltung und Beschränkung in den Ausgaben beseitigt werden, während das Konjunkturdefizit mit der Besserung der wirtschaftlichen Lage von selbst wieder verschwindet.
Leider stellte sich heraus, daß der Staatshaushalt erheblich über⸗ lastet war, und daß sowohl ein starkes chronisches wie auch ein starkes Konjunkturdefizit vorhanden war. Zur Abhilfe für das erstere ent⸗ schloß sich die Königliche Staatsregierung im Einvernehmen mit dem Landtage, beide ihr zur Verfünung stehenden Wege zu beschreiten. Sie sah davon ab, das chronische Desizit vollständig durch eine Steuer⸗ erhöhung zu beseitigen, weil die Reichsfinanzreform damals gleich⸗ zeitig neue Steuern brachte und man das Land nicht überlasten wollte; sie begnügte sich damit, nur einen Teil durch neue Steuern zu decken und im übrigen in Aussicht zu nehmen, durch pfleglichste Behandlung der Einnahmen und durch äußerste Zurückhaltung bei den Ausgaben das Deftzit allmählich wieder ein⸗ zubringen.
Man stand daher bei der Aufstellung des Etats für das Jahr 1909 unter dem Eindruck einrr nicht günstigen Finanzlage; nach allem, was man damals annehmen und übersehen konnte, mußte man mit einem Defizit von 155 Millionen Mark rechnen. Glücklicherweise hat sich die Wirklichkeit erfreulicher gestaltet: der wirtschaftliche Niedergang hielt nicht zu lange an, und allmählich begann sich eine Besserung anzubahnen; die Erträgnisse der Staats⸗ eisenbahnverwaltung und der Forstverwaltung gingen so in die Höhe, daß trotz beträchtlicher Mindereinnahmen bei den Domänen und bei der Bergverwaltung dennoch 132 Millionen mehr heraus⸗ gewirtschaftet werden konnten und die Rechnung entsprechend besser abschloß.
Wenn man nun dieses Rechnungsjahr mit den Rechnungs⸗ abschlüssen der früheren und späteren Jahre in Vergleich setzen will, bedarf es doch noch einer Korrektur; von der Verbesserung müssen diejenigen Positionen in Abgang gebracht werden, welche nur zufällig darin enthalten sind und daher ein falsches Bild von der Finanzlage geben. Bekanntlich hat das Reich bei der Reichsfinanzreform die ge⸗ stundeten Matrikularbeiträge endgültig übernommen; dadurch wurden ie in Preußen für diesen Zweck angesammelten Mittel im Betrage von 42,8 Millionen frei und konnten zu den allgemeinen Staatsausgaben des Jahres 1909 mit verwendet werden. Außerdem waren in der Verbesserung des Rechnungsergebnisses noch 4,7 Millionen enthalten, welche bei den hinterlegten Geldern mehr eingezahlt als abgehoben worden sind; auch diese 4,7 Millionen müssen in Abzug gebracht
betreten erst nach dem Hoch den Sitzungssaal.)
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werden, weil um den gleichen Betrag die Schuldverbindlichkeiten des
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