1911 / 22 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Jan 1911 18:00:01 GMT) scan diff

den Gemeinden insofern eine gewisse Freiheit einzuräumen, als wir ihnen ein Zuschlagsrecht bis zu einer gewissen Grenze ein⸗ räumen, aber auch gestatten, zwischen bebauten und unbebauten Grundstücken zu differenzieren. Meine Freunde sind aber in dieser Frage gespalten. Ein Teil meiner Freunde wird für den Antrag Trimborn wegen der Festungsstädte stimmen. Der Antrag müßte aber dahin ergänzt werden, daß auch die Grundstücksbesitzer in diesen Festungsstadten gewisse Vorrechte erhalten. Ich habe mich persönlich überzeugt, daß z. B. die Stadt Mainz in ihrer Entwicklung sehr zurückgeblieben ist, und daß sie deshalb eine Entschädigung verdient. Was den sozialdemokratischen Antrag wegen der Veteranen betrifft, so freue ich mich, daß auch die Sozialdemokraten für die Veteranen ein gutes Herz haben; sie tun aber den Veteranen durch ihren Antrag keinen Gefallen, denn es ist gar nicht ausgeschlossen, daß das Gesetz überhaupt nicht 6 Mill. Mark dem Reiche einbringt. (Rufe bei den Sozialdemokraten: Na, na!) Ich brauche Sie bloß auf die Lage des Grundstücksmarktes hinzuweisen und auf die Be⸗ strebungen der Regierung, die Versicherungsanstalten zu veranlassen, ihre Gelder in Staatspapieren anzulegen. Dadurch würden diesen Anstalten weniger flüssige Mittel zu Gebote stehen. Dann kann unter Umständen ein sehr scharfer Rückschlag erfolgen. Der Grundstückskredit beträgt mindestens 45 Milliarden; wenn davon 20 Milliarden auf die Staatsanleihen geworfen werden und der Realkredit dem Grundstücksmarkte fortgenommen wird, dann muß er in schwierige Verhältnisse kommen. Dann halte ich mit dem

Staatssekretär den Antrag Albrecht für ein papiernes Versprechen für die Veteranen. Die Scozialdemokraten werden zweckmäßig handeln, die Forderung für die Veteranen mit uns in den Etat ein⸗ zusetzen und ihren bezüglichen Reeen e9 Wenn die

äußerste Linke den Anteil des Rei auf 350 % heruntersetzen will, dann steht die Gefahr, daß überhaupt keine 6 Millionen in einem Jahre hereinkommen, dicht vor der Tür; dann wäre es kein Antrag mehr für die Veteranen, sondern gegen die Veteranen. Der Antrag Müller (Fulda)⸗Jäger zu § 49 findet unsere Zustimmung.

Abg. Brühne (Soz.): § 49 ist der wichtigste des ganzen Ge⸗ setzes; Hunderte von Gemeinden blicken gespannt auf die Entscheidung des Reichstags. Die Gemeinden, die seit 1904 diese Steuer ein⸗ geführt haben, haben nicht geahnt, daß 6 Jahre später das Reich die Hand auf diese Steuer würde legen wollen, denn sie haben sie sich geschaffen, um nicht immerfort zu Erhöhungen anderer Kommunal⸗ steuern schreiten zu müssen. Die Ausgaben der Gemeinden wachsen ja mit jedem Jahre. Wir wären über § 49 glatt hinweg gekommen,

enn die Versuche, alle möglichen Befreiungen durchzusetzen, nicht so großen Umfang angenommen hätten und von so großem Erfolge be⸗ gleitet gewesen wären, woran namentlich der Abg. Weber sich ganz her⸗ vorragend beteiligt hat. Wiederholt, aber vergeblich, hat der Schatz⸗ sekretär dagegen seine warnende Stimme erhoben; er hat auch na gewiesen, daß in zahlreichen Fällen die Befreiungen so weit gehen, daß auch der absolut unverdiente Wertzuwachs nicht getroffen wird. Es bhat alles nichts genützt. Jetzt will der Abg. Cuno den Ge⸗ meinden 50, der Abg. Weber 47 ½ % geben. Diese schwierige Rechnerei mit halben Prozenten sollte man doch aufgeben. Wir wollen dem Reiche 30, den Gemeinden 60 % geben. Wenn Dr. Weber glaubt, es würden bei unserem Antrage eventuell nicht einmal die 6 Millionen für die Veteranen herauskommen, so fürchten wir das nicht. Die Reichsverwaltung bätte von dem ungeheuren Militärbudget übrigens längst so viele Millionen streichen können, um den Anspruch der Veteranen zu befriedigen. Auch die Regierungen werden bei 30 % nicht zu kurz kommen. Wir halten also unsern Antrag aufrecht. Daß man den Gemeinden nur 40 % geben will, halten wir für eine Ungerechtigkeit. Frankfurt a. M. würde 200 000 von seinem jetzigen Ertrage einbüßen, wenn es bloß noch 40 % erhalten soll. Wir bleiben bei der prinzipiellen Auffassung, daß diese Steuer den Gemeinden ge⸗ hört und gebührt; das läßt sich jetzt nicht aufrechterhalten, aber wenigstens 60 % müssen den Gemeinden belassen werden. Das ganze Gesetz wird ja bloß wieder gemacht, um mehr Geld für mili⸗ tärische Zwecke bereitzustellen, und daran haben wir gar kein Inter⸗ esse; wir fordern im Gegenteil, daß man das ewige Rüsten aufgeben und die Gelder für die Militärlast wirklichen Kulturzwecken dienstbar mache.

Abg. Feldmann (dkons.) spricht sich gegen die Anträge Albrecht, Cuno und Trimborn aus. Der Grundbesitz dürfe nicht durch ein zu ausgedehntes Zuschlagsrecht der Gemeinden noch weiter belastet werden, da er ohnehin schon die kommunalen Zuschläge zur Grund⸗ und Ge⸗ bäudesteuer zu tragen habe. Das Reich habe vermöge seiner Welt⸗ machtstellung an erster Stelle die Wertzuwachssteuer zu verlangen. Der Antrag der Sozialdemokraten, den Veteranen 6 Millionen zu⸗ zuweisen, habe wohl mebr einen agitatorischen und Wahlzweck; dieser Antrag sei unzweckmäßig und deshalb abzulehnen. Das Reich und die Parteien, die der . ee nahestehen, würden bei der 40 jährigen Wiederkehr der Reichsbegründung auch die Veteranen nicht vergessen. Die Sozialdemokraten wollen aber die Grundlagen des Reiches erschüttern. Er bitte, den Antrag, die Beihilfe von 5 auf 6 Millionen zu erhöhen, abzulehnen.

Abg. Cuno (fortschr. Volksp.): Der Abg. Weber hat ganz recht, daß er diese Materie für die interessanteste des ganzen Gesetzes erklärt. Es handelt sich hier um die Steuerverteilung zwischen Reich, Staat und Kommunen. Es sollen auch diejenigen Gemeinden, die die Wertzuwachssteuer nicht nötig haben, einen Anteil erhalten. Meine Freunde waren bereit, einer Vorlage zuzustimmen, die dem Rich 20 bis 25 Millionen Steuern bringen sollte. Der jetzt von der Rechten und von der Mitte ge⸗ staltete Entwurf nimmt die Hoffnung, daß die Steuer wirklich 20 Millionen einbringen wird. Wir sind für die Milderung un⸗ nötiger Härten, aber gegen die Herabsetzung der Tarifsätze. Schatzsekretär hat die Mehrheitsparteien in beweglichen Worten ge⸗ mahnt, das finanzielle Erträgnis des Gesetzes nicht zu vermindern; seine Mahnung hat aber keinen Erfolg gehabt. Schließlich ist er langsam zurückgewichen und hat unsere Ankräge bekämpft. Schließlich wird es dabin kommen, daß, wenn die ““ nicht ausreicht, der Umsatzstempel dauernd aufrecht erbalten werden muß. Der Schatzsekretär hat die Tätigkeit der Gemeinden gewissermaßen nur als Verbrämung bei der Steigerung der Grundstückswerte gelten lassen. Dagegen muß doch Widerspruch erhoben werden. Meine politi⸗ schen Freunde werden jenen Anträgen zustimmen, die den Gemeinden einen möglichst hohen Betrag zuweisen wollen. Daß den Veteranen Millionen zugewiesen werden sollen, halten wir für eine Verbesserung. 10 % den Bundesstaaten zu überweisen, liegt kein Grund vor, wenn schließlich die Gemeinden doch die Kosten der Steuererhebung zahlen müssen. Deshalb werden wir für den Antrag Weber stimmen. Unser Bestreben geht dahin, daß das Aufkommen aus der Steuer der Gemeinde zufallt, in der der Mehrwert entstanden ist. Hat die Landesgesetzgebung hier mitzureden, so ist zu befürchten, daß diese Beträge für den Staat in Anspruch genommen werden. Merkwürdig ist, daß die Rechte den Grundbesitz gegen die Gemeinden schützen will, obwohl doch z. B. in Preußen der Grundbesitz ohnehin schon bevorzugt ist. Man will das Steuerrecht der Gemeinde zugunsten der Grund⸗ besitzer beschränken. Ich gebe ja zu, daß dem Gemeindebesteuerungs⸗ recht gewisse Grenzen gezogen werden müssen, aber die Anträge in dieser Hinsicht gehen zu weit. Je mehr der Anteil der Gemeinden an der Zuwachssteuer beschnitten wird, um so weniger können sie eine

esunde Bodenpolitik treiben. Ich bitte Sie, den Eingriff in die

lbständigkeit der Gemeinden wenigstens dadurch berabzumildern, daß Sie den § 49 a nach unserem Antrage fassen. § 49 b ist so undurchsichtig, daß man sich darüber vergebens den Kopf zer⸗ brechen wird. Verständlich ist nur der Schlußsatz: Die Fest⸗ setzung des Durchschnittebetrages erfolgt durch den Bundesrat. Der § 49b enthält auch den Satz, daß statt der Zuweisung des Unterschieds den Gemeinden nach Bestimmung des Reichskanzlers an Stelle der Vorschriften dieses Gesetzes die ,2 Satzung weiterhin belassen werden kann. Diese immung ist ein privilegium odiosum für die Gemeinden, und wir beantragen, daß diese Be⸗ lastung nur auf Antrag gestattet werde.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Nachdem wir in der zweiten Woche der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs stehen, bätte ich geglaubt, daß wir auf eine allgemeine Erörterung verzichten können. Der Vor⸗ redner hat die schärfste Kritik an dem 2v,g. Gesetzeswerk aus⸗ gesprochen, die wir bisher gehört haben. ist um so bemerkens⸗ werter, als der Abg. Cuno zu den wenigen gehört, die dieses Gesetz ründlich kennen und mit bewundernswerter Ausdauer und erstaunlichem Fleiß an dessen Verbesserung gearbeitet haben, sodaß man es lex Cuno nennen könnte. Man muß sich jetzt damit abfinden, daß eine der Gemeinden nicht zu umgehen ist. Man kann nicht ein Reichsgesetz machen und aus dem Ertrage dem Reiche weniger als die Hälfte zuweisen. Vermindert man die Reichs⸗ einnahmen noch weiter, so lohnt es nicht mehr, einen solchen Apparat in Bewegung zu setzen. Auch den Anteil der Bundesstaaten kann man nicht unter 10 % bemessen. Man muß bedenken, daß sie durch die Abschwächung der Regierungsvorlage ohnehin vielleicht nur noch die Hälfte .8 anderseits aber durch die vielen Einzel⸗ bestimmungen, die die Kommission hineingebracht hat, die Schwierig⸗ keiten und die Kosten der hebung außerordentlich gestiegen sind. Darin stimme ich dem Abg. Cuno zu, daß es eigenartig ist, wenn man hier den Gemeinden Einnahmen zwangsweise zuführt. Für die allermeisten wird das Gesetz ein Danaergeschenk sein, da es ihnen lediglich Lasten bringt. Der sozialdemokratische Antrag bedeutet für die Veteranen gar nichts. Wir müssen ein Veteranen⸗ gesetz in diese Vorlage hineinarbeiten. Durch eine e. im Dispositiv des Etats werden wir bestimmen 88 welcher Form die 5 Millionen zur Besserstellung der Veteranen ver⸗ wendet werden sollen. Dadurch schließen wir aus, daß man späterhin sagt, es seien keine Mittel mehr vorhanden. Den Ge⸗ meinden können wir überhaupt nicht helfen, wenn wir eine Zuwachs⸗ steuer machen. Lassen wir aber zu hohe Gemeindezuschläge zu, so wird der Grundstückshandel und damit der Ertrag der Steuer beeinträchtigt. Deshalb scheint mir der Antrag des Zentrums mit dem konservativen Zusatz das Richtige zu treffen. s ist durch⸗ aus unpraktisch, daß man bei Einführung einer einheitlichen Reichs⸗ wertzuwachssteuer die Einheitlichkeit durch Zulassung verschiedenartiger Veranschlagungen in den einzelnen Gemeinden wieder aufhebt. Und die Verei heitlichung der Gesetzgebung ist ja einer der wenigen Vor⸗ züge des Gesetzes. Dem Antrag Cuno kann ich nicht entsprechen, ins⸗ besondere nicht der Forderung des letzten Absatzes, daß die Gemeinde auch die nach dem Reichsgesetz Befreiten soll zur Steuer heranziehen können. Die Freilassung ist nicht nur abhängig von der Grundstücks⸗ wertgrenze bis 5000 ℳ, sondern auch von dem Einkommen, das unter 2000 sein muß, und davon, daß der Betreffende nicht gewerbs⸗ mäßig Grundstückshandel treibt. Es handelt sich also um Leute, die wirklich nicht steuerkräftig sind. Dem Abg. Trimborn gebe ich darin recht, daß die Cölner Zuwachssteuerordnung vor der Reichssteuervorlage den Vor⸗ zug verdient, da sie sich besser in das Verkehrsleben hineinpaßt, und darauf kommt es an, wenn die Steuer steigende Erträge liefern soll. Sie geht auch von einem festen Termin aus. Die Ausführungen des Abg. Weber über den Grundstücksmarkt waren sehr bemerkenswert. Der Verkehr läßt sich nicht zwingen. Ich bezweifle, ob das Werk, das so mühsam zustande gekommen ist, der Mühe lohnt, die man darauf verwendet. Bei diesem Paragraphen werde ich für die Regierungsvorlage stimmen und alle Anträge, mit Ausnahme des vom Zentrum und des von den Konservativen, ablehnen.

Abg. Dr. Jäger (Zentr.) begründet den Zentrumsantrag, betreffend die Regelung der Beziehungen zwischen den Gemeinden und Gemeinde⸗ verbänden, in längeren Ausführungen, die jedoch für die Tribüne voll⸗ ständig verloren gehen. e1X“

Abg. Böhle (Soz.): Der Schatzsekretär hat mit großer Wärme unseren Antrag wegen der Veteranen bekämpft und uns auf den Etat verwiesen. Ich hätte nur gewünscht, daß er sich von allem Anfang an mit derselben Wärme gegen die Anträge von rechts und vom Zentrum gewendet hätte, die die Erträge der Steuer immer weiter herabmindern. Das Gesetz, wie es aus der Kommission gekommen ist, ist einfach ein städtefeindliches Gesetz; wie es jetzt gestaltet ist, müßte

erade die Mehrheit den Städten mehr geben, als sie nach den Kommissionsvorschlägen bekommen sollen. Das Zentrum hat aber konseguent den Standpunkt vertreten, den Städten so wenig wie möglich zu geben; in der Kommission wollte es ja sogar den Ge⸗ meinden das Zuschlagsrecht ganz nehmen, und auch jetzt ist es nur bereit, den Gemeinden die 40 % zu lassen, aber nicht darüber hinauszugehen. Wenn Sie nach unserem Antrag den Prozentsatz im ganzen erhöben, ist der Antrag Trimborn wegen der Festungsstädte naturlich über⸗ flüssig; an sich aber ist er gerecht, und auch der Festungsstadt Straß⸗ burg würde damit ihr gutes Recht zuteil. Wir stimmen allen An⸗ trägen zu, die den Gemeinden größeren Spielraum geben wollen. Da⸗

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mit bleiben wir unserem prinzipiellen Standpunkt treu. Der Kollege Feldmann hat wohl sein Manuskript verwechselt, und er at uns eine Rede gehalten, die gar nicht bierher gehörte. Er meinte, die Veteranen wollten von den Sozialdemokraten nichts annehmen. Er möge sich beruhigen; ich könnte ihm zahlreiche Fälle anführen, wo die Veteranen unsere Hilfe in Anspruch nahmen, um zu den paar Pfennigen Beihilfe zu kommen. Gerade die Herren von der Rechten sind es, die den Bemühungen Vorschub leisten, sich von der Steuer zu drücken; besonders Graf Westarp hat sich in der Richtung in der Kommission und hier die denkbarste Mühe gegeben, daß die Landwirtschaft geschont wird. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wollten Sie die Erträgnisse hereinbringen, die der Staatssekretär haben will, dann müßten die Herren auf die Regierungsvorlage zurück⸗ gehen, die faßte auch die Großgrundbesitzer anders an, und da hätten die Veteranen nicht 5, sondern vielleicht sogar 10 Millionen erhalten. So wird von dem Ertrage für die Veteranen herzlich eigs dzh. bleiben.

bg. Giesberts (Zentr.): Den Gemeinden kann man vielleicht durch Annahme des Antrages Weber entgegenkommen, der gestattet, die Zuschläge nach Grundstücksarten verschieden zu behandeln. Di Volksschul⸗ und Armenverhältnisse im rheinischen Industriegebiet sind keineswegs ideal, obwohl die Gemeinden ganz bedeutende Zuschläge zur Einkommensteuer erheben müssen; da kommt diesen Industrie⸗ gemeinden die Wertzuwachssteuer sehr zu statten. Der Wertzuwachs in der Industrie ist nicht gleichartig; deshalb entspricht es einem sozialen Gedanken, wenn man den Gemeinden gestattet, die Steuer nach Grundstücksarten verschieden zu gestalten; die Häuser mit kleinen Arbeiterwobnungen kann man dann gering, die großen Mietskasernen entsprechend höher heranziehen. Für die Bindung der Steuerzuschläge zu stimmen, fällt mir sehr schwer, weil man den Gemeinden dadurch eine Möglichkeit nimmt, ihre Steuerlast zu erleichtern; eine kleine Ausgleichung wird der Antrag Weber immerhin bieten.

Abg. Erzberger (Zentr.): Mir persönlich hätte es auch mehr zu⸗ gesagt, wenn den Gemeinden volle Freiheit gelassen werden könnte. Das ist aber nicht möglich. Dem Vorwurf der Städtefeindlichkeit des Zentrums muß ich entgegentreten. Der Rheinische Bauernverein hat eine große Agitation gegen das Gesetz entfaltet. Die Gemeinden müßten zu der Wertzuwachssteuer herangezogen werden; der bezügliche Beschluß des Plenums erscheint mir als uncss. Zahlreiche Städte werfen sich jetzt auf die Terrainsyp kulation und machen große Gewinne; warum sollen diese nicht der Steuer unterli gen? Wir werden den Beschluß zweiter Lesung in dritter Beratung einer Revision unterziehen müssen. Immer mehr Städte gehen dazu über Grundstücke anzukaufen, um damit zu spekulieren. Es kann nun vorkommen, daß die Grund⸗ stücksspekulanten sich hinter die Städte stecken, und dam kommt der Staat um die Steuer. Ich erinnere daran, welche Geschäfte die Stadt Düsseldorf auf dem Gebiete der Grund⸗ stückespekulation in der letzten Zeit gemacht hat. Der An⸗ trag der Sozialdemokraten wegen der Veteranen ist unannehmbar. Gebt nicht genng ein, so bekommen die Veteranen nichts. Was heißt „Veteranen“? Sollen das die Kriegsteilnehmer oder Invaliden sein? Wie sollen die 6 Millionen auf alle Veteranen verteilt werden? Dann würden die Veteranen nur für die Person 20 mehr bekommen. Es kommt doch darauf an, daß alle Veteranen 120 bekommen. Der einzig richtige ist, die Sache etatsmäßig zu machen durch eine Bestimmung im Dispositiv, wie weit man die Beihilfe aus⸗

dehnen soll. Der Antrag der Sozialdemokraten sollte zurückgez werden; denn er bedeutet unter Umständen eine Verschlechterung dessen, was die Regierung selbst in Aussicht stellt.

Abg. von Savigny (Zentr.): Ich weiche in bezug auf § 49 a von meinen Freunden ab; ich werde gegen diesen Paragraphen stimmen, weil durch ihn ein weiterer Ausbau der Steuer das Reich er schwert wird. Der Antrag Weber ist für mich vollends unannehmbar Unter „Grundstücksarten“ kann man sich alles 87 eg denken, der Begriff ist undefinierbar. Es wird hier eine Ausnahme vorgeschlagen deren Konsequenzen gar nicht abzusehen sind. Den zweiten Absatz des

49b bitte ich dringend zu streichen, um keine Unsicherheiten auf ommen zu lassen.

Abg. Raab (wirtsch. Vgg.): Wir wünschen, daß die Steuer so viel einbringt, daß für die Veteranen gesorgt werden kann, und daß die Steuer auch für die Gemeinden ergiebig 1ee wird Ich muß der Legende entgegentreten, daß die Abschwächungs anträge, die die Steuer reduzieren, nur von der Rechter und dem Zentrum ausgegangen sind. Jede Partei hat hier gesündigt. Auch der 8b hat durch seine Anträge die Vorlag auszuhöhlen versucht. (Der Redner führt die einzelnen Anträge auf. Und da stellt der Abg. Cuno sich hin und sagt: Durch die Rechte und die Mitte ist das Gesetz so abgeschwächt, daß wir es nicht an nehmen können! Ich gebe zu, daß den Gemeinden, die die Steuer schon eingeführt haben, die Hände etwas gebunden werden. Das sind aber nu 500 Gemeinden. Eine ganze Anzahl Bürgermeister von Städten, di die Steuer noch nicht haben, haben uns dringend gebeten, das Geses durchzuführen, weil sie die Steuer aus eigener Kraft nicht durchsetzen könnten. Daß die Sozialdemokraten ihren Antrag zurückzie würden, glaube ich nicht. Sie brauchen ihren Antrag zur Dekoration, um sich schließlich, wenn der Antrag nicht angenommen wird, geger die ganze Steuervorlage ablehnend verhalten zu können. Wir werden die Veteranen hierüber bei Gelegenheit aufklären. Warum haber Sie gegen die Schaumweinsteuer gestimmt? Sie bringt in diesen Jahre 15 Millionen Mark. Für diese Steuer hätten Sie stimmen können, ohne einem Arbeiter etwas abzunehmen (Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ja, für die Tantiemesteuer haben Sie gestimmt; Sie trauten sich im Plenum nicht dagegen zu stimmen. Wenn den Veteranen jetzt etwas zufließt, so brauchen sie sich nicht bei den Sozialdemokraten z bedanken. Wäre die Landwirtschaft mit diesem Gesetz zufrieden, so würde sich ihr Widerstand nicht so dagegen regen. Wir nehmen die Steuerobjekte da, wo sie liegen. Die Herren wollen nur ihren Rück⸗ zug decken, indem sie darauf hinweisen, daß die Rechte und die Mitte das Gesetz abgeschwächt haben, und daß es einen agrarischen Charakter bekommen habe. Die wirklich Eingeweihten werden sich dadurch nicht irreführen lassen. b 8 Abg. Trimborn (Zentr.): Bei den Festungen handelt es sich un Schwierigkeiten, die ihnen von Reichs wegen bereitet werden. Di Hemmungen, die sie erfahren, sind eine Reichslast, wie sie in einen solchen Maße und in dieser Art überhaupt nicht ihresgleichen haben. Die Befürchtungen hinsichtlich der Vorortgemeinden ließen sich be⸗ seitigen. Man brauchte nur die 30 Städte namentlich aufzuführen. Die großen Vorteile, die die Festungen haben, soll der Staatssekretär nur einmal angeben. Er hat vorhin nur darauf hingewiesen, daß sie Garnisonen haben, Cöln würde gern darauf verzichten. Einen Fal will ich gar nicht erwähnen: daß die Stadt einmal zu⸗ sammengeschossen werden kann! Den Zusammenhang zwischen Festung und Wertzuwachs habe ich klar hervorgehoben. Auf die Cölner Zuwachssteuerordnung komme ich noch zurück. Die innere Berechtigung meines Antrages ist durch die Ausführungen des Staats⸗ sekretärs nicht widerlegt.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Wermuth:

Der Herr Vorredner hat mich hinsichtlich der Vororte der Festungsgemeinden mißverstanden. Er meinte, die 30 Festungsorte könnten im Gesetz aufgeführt werden, und wenn später neue hinzu⸗ kämen, dann könnte man sie noch einfügen. Ich habe von einer großen Zahl von Vororten gesprochen, die nicht zu den eigentlichen Festungs⸗ gemeinden gehören, aber doch durch die Festungswerke berührt werden. Soll denn nun beispielsweise der Vorort von Breslau, in dem ein Sperrfort liegt, nicht berücksichtigt werden, dagegen die Stadt Breslau 60 statt 40 %, einen sehr bedeutenden Zuschlag, erhalten, weil sie darch dieses Sperrfort geschützt wird? Das ist doch ganz aus⸗ geschlossen. Meine Herren, sobald Sie einmal mit der Aufzählung der Gemeinden beginnen, werden Sie sofort selbst an der Aufgabe scheitern. Wegen der Vorteile und Nachteile, die den Städten aus der Festungseigenschaft entstehen, will ich mich nicht weiter äußern. Ich glaube, der Herr Vorredner hat sich in einem Punkte selbst widerlegt; ob die offene oder die befestigte Stadt im Kriege mehr Vorteile hat, das kann man wohl dahingestellt sein lassen.

Der Kernpunkt der Sache ist der: der Antrag verlangt im Grunde eine Abänderung des Reichsrayongesetzes vom 21. Dezember 1871. Dort ist die sedes materiae, dort ist genau festgestellt, in welchem Falle Entschädigung stattfinden soll. Wenn wir jetzt ohne jede Prüfung der Festungsverhältnisse plötzlich beschlössen, diesen Ge⸗ meinden 20 % mehr zu geben, so würden wir etwas völlig Inkon⸗ gruentes tun. Die Festungseigenschaft hat mit der Quote am Zu⸗ wachssteuergesetz gar nichts zu tun; es steht auf demselben Boden wie das Bestreben irgend einer andern Stadt, deshalb, weil sie etwa durch vom Reich geschaffene ökonomische Verhältnisse zurückgekommen ist, ebenfalls eine Erhöhung ihrer Quote zu erlangen. Das geht nicht an, das paßt in das Gesetz nicht hinein. Ich bitte nochmals dringend, diesem Antrage nicht stattgeben zu wollen.

Abg. Leber Soz.): Wir können nicht dafür, wenn das Geset so verschandelt ist, daß wir dagegen stimmen müssen. Den Ge⸗ meinden kann man es nicht verdenken, daß sie sich dagegen wehren, wenn man ihnen jetzt ihre Einnahmen nimmt. Bei uns in Sachsen⸗ Fr⸗ ist die Zuwachssteuer in den Gemeinden mit 600 bih 1000 Einwohnern eingeführt, daraus werden einige tausend Mack erzielt. In unserem Antrage haben wir eine bestimmte Summe für die Veteranenbeihilfe festgelegt. Dafür könnte auch der Abg. Erzberger und seine Freunde stimmen. Wir geben doch dadurch zu erkennen daß den Veteranen 6 Millionen wirenh gegeben werden sollen. Deshal können wir auch dem Rat, den Antrag zurückzuziehen, nicht folgen.

Unterstaatssekretär im Reicheschatzamt Kühn sagt weitgebende Rücksicht auf die Steuer der Gemeinden zu. Man müsse auch in Betracht ziehen, daß manche dieser Steuerordnungen uur ganz kurze Zeit beständen.

Mit weiteren Bemerkungen des Abg. Cuno (fortschr. Volksp.) schließt die Debatte. 3 8

In der Abstimmung, die fast eine halbe Stunde in An⸗ spruch nimmt, wird zunächst zum § 49 der Antrag der Sozt demokraten gegen die Antragsteller und die fortschrittliche Volkspartei abgelehnt; ebenso der Antrag Trimborn und Anträge Weber. 8

Zur Annahme gelangen die Anträge Müller⸗Fulda und ein Antrag des Grafen von Westarp, wonach der Schlußsatz des Antrags Müller⸗Fulda folgende erweiterte Fassung erhält.

„In Ansehung von Grundstücken, die keiner Gemeinde au⸗ gehören, und in den Fällen, in denen bisher ein Gemeindever die Zuwa rssteuer erhoben hat, erfolgt bis dahin die Regelung durch die Landesregierung.“

In dieser Fassung wird § 49 mit großer Mehrheit an⸗

genommen. 8

Zweite Beilage

ichsanzeiger und Königlich Preußi

§ 49 a gelangt in der Fassung des Antrages Müller⸗Fulda unter Hinzufügung des Amendements Weber und des Amende⸗ ments Graf Carmer zur Annahme.

§ 49 b wird in der Kommissionsfassung mit dem Antrage Graf Westarp und dem Eventualantrage Cuno, im 2. Absatz die Worte: „auf Antrag“ einzuschalten, angenommen. § 50 gelangt mit dem Zusatz Cuno zur Annahme.

Die Beratung über den Rest des Gesetzes wird nach längerer Geschäftsordnungsdebatte, in der sich Meinungs⸗ verschiedenheiten über die zweckmäßigste Erledigung der noch ausstehenden Materien ergeben, auf Antrag des Abg. von Savigny vertagt.

Schluß nach 6 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr (Fortsetzung der 2. Lesung des Zuwachssteuergesetzentwurfs; Reichsbesteuerungsgesetz: Fernsprechgebührenordnung).

Der Präsident kündigt für den Fall, daß diese Tages⸗ ordnung nicht erledigt werden sollte, für morgen eine Abend⸗

sizung an.

Haus der Abgeordneten. 11. Sitzung vom 24. Januar 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die Beratung des Etats der landwirt⸗ schaftlichen Verwaltung, und zwar die bei dem Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ übliche allgemeine Besprechung in Verbindung mit der Er⸗ örterung des zu diesem Titel gestellten Antrags der Abgg. Reck (kons.) und Genossen, betreffend die Maul⸗und Klauen⸗ seuche, fort.

Abg. Wallenborn (Zentr.): Der Etat zeigt ein erfreuliches Auf⸗ steigen, wenn auch noch lange nicht alle Wünsche der Landwirtschaft rfüllt sind. Noch viele Aufgaben harren der Erledigung, und zwar namentlich auf dem Gebiete der Tierzucht und des landwirtschaft⸗ lichen Unterrichtswesens. Letzteres steht dem gewerblichen in der staatlichen Förderung noch sehr weit nach. Ebenso muß das ländliche Genossenschaftswesen weiter gefördert werden. Erfreulich ist, daß entsprechend einer Anregung des Grafen Spee die Errichtung eines Seminars für Genossenschaftswesen in Halle vorgesehen ist. Einer Förderung bedarf weiter das Meliorationswesen. Zu unserer Freude können wir konstatieren, daß der Westfonds wieder auf die alte Höhe gebracht worden ist. Welche Aufgaben speziell in der Rheinprovinz der Erledigung harren, weiß der Herr Minister selbst aus seiner früheren Tätigkeit. Beim Notstand der Weinbauern macht sich besonders der Ausfall infolge des Rückganges der Erträge der Schälwaldungen fühlbar. An diesem Rückgang ist die Staats⸗ und Reichsregierung nicht ohne Schuld. Früher hat die Regierung großes Gewicht auf die Schälwaldungen gelegt, dann kam die Kon⸗ kurrenz des Auslandes. Ausländische Gerbrinde kam ohne Zoll ins Land hinein, die Bitten um Schutz blieben erfolglos, und als ein Schutz im Zolltarif geschaffen wurde, da setzten die verbündeten Re⸗ gierungen bei den Handelsverträgen denselben wieder herunter. Ich erachte es daher für eine Pflicht der Regierung, auf Mittel zur Ab⸗ stellung der enormen Schäaden zu sinnen, sei es durch erhöhten Zoll⸗ schutz oder durch tatkräftige Förderung resp. Umändernng der Schalwälder in eine andere Kultur. Zu diesen Zwecken scheinen noch nicht genügend Mittel ausgeworfen zu sein. Erfreulich ist, daß die rbeinische Landwirtschaftskammer mit staatlicher Unter⸗ stüätzung eine Beratungsstelle in Forstsachen eingerichtet hat. Auch im Rheinland kann noch viel kolonisiert werden. Fragt man Gemeindevertreter und Private, warum sie das Oedland nicht nutzba machen, so erhält man zur Antwort, die Gemeinden wollen nicht aufforsten, weil sie schon aus den Gemeindewaldungen keinen Gewinn, sondern nur Verwaltungs⸗ und Bewirtschaftungskosten haben und außerdem fast jedes Recht aufgeben müssen. Die Privaten sagen, es fehlen ihnen die nötigen Arbeitskräfte, also auch hier macht scch die Leutenot bemerkbar. Durch diese Kolonisation könnte eine große Menge von Getreide und Fleisch mehr erzielt werden. Wir beklagen das Ausbleiben des Wassergesetzes. Wir verkennen die Schwierigkeiten nicht, aber sie rechtfertigen nicht das lange BVarten. Der Minister hat uns für die nächste Session die Vorlage zugesagt, sonst würde ich anregen, Bestimmungen über die unterirdischen Wassermengen zu treffen, durch die beispiels⸗ weise ländliche Gemeinden geschützt würden gegen Entziehung des Bodenwassers durch städtische oder industrielle Wasserschöpfanlagen. Was die Entschuldungsaktion anlangt, so möchten wir für den Westen bitten, sehr vorsichtig damit zu Werke zu gehen. Die Frage, ob es in der Absicht der Regierung liegt, Maßnahmen gegen das gewerbs⸗ mäßige Zertrümmern von Gütern zu treffen, wird der Minister wohl bei der inneren Kolonisation beantworten. Ebenso schädlich wie diese Zertrümmerung wirkt das Aufsaugen des mittleren Besitzes durch den Großgrundbesitz. Bezüglich der Lasten der Landwirtschaft stimme ich dem Herrn Vorredner bei. Hinzu treten noch die vielfach lästigen Polizeiverordnungen, die eine Reihe von Wasserbestrafungen zur Folge haben. Hierdurch wird nur Verstimmung erzeugt. Seit Jahren haben wir dafür gekämpft, daß bei der Veranlagung zur Ergänzungssteuer der Ertragswert zu Grunde gelegt werde. Schließlich wurde dem zugestimmt, aber die Ausführungsbestimmungen scheinen das Gesetz so ziemlich in sein Gegenteil umzuändern. Bei der direkten Steuer werden wir eingehend darauf zurückkommen, und wir bitten den Minister, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen. Im weiteren führte der Redner aus, daß die Landwirtschaft sich nur dh entwickeln kann, wenn sie in Zukunft auf sicheren Zollschutz wionen darf. Auf die Erhaltung des Bestehenden muß die Land⸗ wirtschaft sicher rechnen können. Wir haben die Hoffnung, daß der Meinister, der so lange in der Rheinprovinz amtierte, wo Landwirt⸗

baft und Industrie infolge des bestehenden Zollschutzes zu günstiger Entwicklung gelangten, in dieser Richtung weiter arbeiten wird. Etat Abg. von Kardorff (frkons.): In jedem Jahre haben bei diesem 8 eingehende Debatten über den Schutz der nationalen Arbeit statt⸗ 119s In diesem Jahre darf ich mich auf die Erklärung be⸗ ünken, daß wir geschlossen an dem Prinzip des Schutzes der nationalen Arbeit in Stadt und Land festhalten. Ein Fideikommiß⸗ gesetz halten wir für unbedingt notwendig, um die unerfreulichen Er⸗ scheinungen hintanzuhalten, die heute hier und da auf diesem Gebiete zu beaobchten sind. Die Bildung von Fideikommissen in normalen Senen können wir nur gutheißen. Die gesetzliche Regelung darf aber cht auf die lange Bank geschoben werden; wir richten deshalb die itte um ein solches Gesetz ausdrücklich an die Staatsregierung. 8 vom Wassergesetz gilt dasselbe; je eher es in Angriff ge⸗ ommen wird, desto leichter die Loösung. Das heutige Wasser⸗

Berlin, Mittwoch, den 25. Januar

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genossenschaftsgesetz bietet keinen leicht gangbaren Weg zur Bildung von Wassergenossenschaften; es vergehen leicht über der Grün⸗ dung zwei bis drei Jahre. Das muß anders werden. Ferner bitten wir die Regierung um die Vorlegung eines Parzellierungsgesetzes für die nächsten Jahre. Dieser gesetzgeberische Gedanke ist ja ge⸗ wiß außerordentlich schwer zu formulieren. Heute berrscht in weiten Kreisen ein gewisses Gefühl des Mißtrauens, ob es der Re⸗ gierung überhaupt mit der Ostmarkenpolitik noch Ernst ist. Wir unserseits sind davon durchdrungen, daß die Stetigkeit der Ost⸗ markenpolitik der Regierung vorhanden ist; aber hatte sie uns ein solches Gesetz vorgelegt, dieses Mißtrauen wäre nicht entstanden. Die Thronrede verspricht die Förderung des Fortbildungsschulwesens. Das begrüßen wir mit großer Freude; ich hoffe, daß auch die Provinz Posen dabei die gebührende Berücksichtigung finden wird. Auf dem Wege der Förderung der Moorkultur muß der Staat vorangeben, dann werden auch die Gemeinden und Privaten folgen. Hier liegt ein mächtiger Hebel zur Förderung der Inlandsproduktion, der Beweis kann und wird dann erbracht werden, daß die Inlands⸗ produktion dem Inlandsbedarf durchaus gewachsen ist. Die Not⸗ wendigkeit der inneren Kolonisation überhaupt wird von allen Seiten anerkannt. Das platte Land steht direkt vor der Gefahr einer Ent⸗ völkerung; diese Situation ist für niemand gefährlicher als für den Großgrundbesitz. In einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum haben 416 Landkreise eine Million Einwohner an die Städte abgegeben. Im vergangenen Jahrhbundert ist eine Million Hektar Bauernland dem Großgrundbesitz einverleibt worden. Daß sich der Großgrundbesitz arrondiert, liegt anderseits in der Natur der Sache. Aber gegen diesen fortgesetzten naturgemäßen Uebergang muß ein planmäßig arbeitendes Gegengewicht durch die Förderung der inneren Kolonisation geschaffen werden. Reine Arbeiterkolonien sind aber ebenso falsch wie reine Bauernkolonien; es muß vor allem eine richtige Mischung beider Elemente eintreten. Ueber die Spezialfrage der Ansiedlungen in den polnischen Landesteilen werden wir uns ja noch besonders zu unterhalten haben. Die Frage der Arbeiteransiedlungen muß vor allem von der Domänenverwaltung gefördert werden. Die

Hardenbergsche Gesetzgebung wäre ohne umfangreiche

ganze Stein⸗H Staatsdomänen gar nicht durchzuführen gewesen. Es wird Rück⸗ schläge und Fehlschläge geben, aber niemand ist leichter imstande, sie zu ertragen, als die Domänenverwaltung; dem Privat⸗ mann muß durch sie in dieser Richtung vorgearbeitet werden. Auf alle Fäalle gehört Energie zur Inangriffnahme dieser schwierigen Sache; wir haben aber zu dem Minister volles Vertrauen. Für den Osten muß, auch abgesehen davon, eine vlanmäßige Schaffung neuer Ansiedlungen erfolgen. Es geschieht ja schon jetzt mancherlei; aber die Sünden des vergangenen Jahrhunderts sind dadurch alleir nicht gutzumachen. Ich möchte eine allgemeine politische Bemerkung anfügen Es ist kein Zweifel, daß die deutsche Landwirtschaft vor ernsten und schweren Kämpfen steht. Es bedarf keiner Prophetengabe, wenn ich sage, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die starke schutzzöllnerische Mehrheit, die bieher im Reichstage die Agrarpolitik getragen hat, in dieser Stärke im zukünftigen Reichstag nicht mehr vorhanden sein wird. Das sollte eine Mabhnung sein für die Parteien, die den Schutz der nationalen Arbeit wünschen, die Gegensätze nicht zu verschärfen. Der Zolltarif von 1902 konnte nur zustande kommen, indem die nationalliberale Partei unter Führung des Abg. Bassermann sich für das Nieder⸗ zwingen der Obstruktion entschied. Ich möchte deshalb jetzt die Nationalliberalen bitten, ihre Vergangenheit nicht ganz zu verleugnen. Es hat mich aufrichtig gefreut, daß Herr Bassermann auf dem Casseler Parteitag und Herr Friedberg in diesem Hause mit Nach⸗ druck erklärt haben, daß sie an der Schutzzollpolitik in dem bis⸗ herigen Umfange festhalten, aber diese Erklärung hat keine praktische Bedeutung. Wenn die Herren eine Koalierung mit den Parteien suchen, die anerkanntermaßen die schärfsten Gegner der Schutzzollpolitik sind, dann geben sie der Landwirt⸗ schaft Worte statt Brot, dann zerstoren sie ihr eigenes Werk, legen die Art an die Wurzel des ganzen Volkes. Meine Freunde haben zur Regierung das Vertrauen, daß in diesen ernsten und schweren Kämpfen die Interessen der Landwirtschaft bei der preußischen Regierung und bei dem Landwirtschaftsminister die⸗ jenige ernste und zuverlässige feste Stütze finden werden, die sie noch immer bei der Mehrheit dieses Hauses gefunden haben und auch in Zukunft finden werden.

Miinnister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Ich bitte, den Herren Vorrednern meinen auf⸗ richtigen und herzlichen Dank aussprechen zu dürfen für die freund⸗ lichen Wünsche, die sie mir im neuen Amte auf den Weg gegeben haben, und für das Vertrauen,I das mir zum Ausdruck gebracht ist. Ich bin gewiß der letzte, der die Größe und Schwere der Aufgaben unterschätzt, deren Lösung und Förderung meinen Händen anvertraut ist. Aber ebenso bin ich mir auch bewußt, daß ich erfolgreich meines Amtes nicht walten könnte ohne die Unterstützung und das Vertrauen der Mehrheit dieses hohen Hauses, und ich bin deswegen ganz besonders dankbar dafür, daß es mir beim Beginn meiner Tätigkeit ausgesprochen worden ist.

Die verschiedenen Herren Vorredner und auch gestern schon der Herr Abg. von Arnim⸗Züsedom haben sich nach dem Stande des Wassergesetzes erkundigt. Bereits in der Budgetkommission habe ich mitteilen können, daß sich der sehr ausgedehnte, umfangreiche und inhaltschwere Entwurf augenblicklich im Stadium der kommissarischen Beratungen zwischen den beteiligten Ministerien befindet, und daß die begründete Hoffnung besteht, daß diese Beratungen noch bis zum Sommer zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden können. (Bravo!) Ist dies der Fall, so wird der Einbringung des Wasser⸗ gesetzentwurfs im nächsten Winter ein Hindernis nicht mehr entgegenstehen. Auch die landwirtschaftliche Verwaltung muß es lebhaft bedauern, daß die Einbringung dieses so wichtigen und notwendigen Gesetzes so lange hat auf sich warten lassen müssen. Wenn aber die Herren im nächsten Jahre Einsicht von dem gewaltigen Werke bekommen werden, welches den Namen Wassergesetz trägt, dann werden sie sich auch davon überzeugen, wie lange und schwierige Arbeit es bereitet hat, einen solchen Entwurf zu⸗ stande zu bringen.

Ich möchte auf den Inhalt des Wassergesetzentwurfs schon mit Rücksicht auf die noch schwebenden kommissarischen Beratungen im cinzelnen nicht näher eingehen, sondern nur bemerken, daß es selbst⸗ verständlich nicht möglich gewesen ist, den Wassergesetzentwurf selbst in wenigen Paragraphen herzustellen und sodann für die einzelnen Provinzen unter genauer Berücksichtigung ihrer bisherigen Sonder⸗ gesetzgebung und Sonderverhältnisse besondere Ausführungsgesetze zu machen. Man hat im Gegenteil es für richtiger gehalten, ein kodifi⸗

ziertes Gesetz vorzulegen, in dem aber nach Möglichkeit die Ver⸗

hältnisse der einzelnen Landesteile berücksichtigt worden sind; das gilt

insbesondere von der Provinz Hessen⸗Nassau, die ja nach dieser Rich⸗ tung auch, auch durch den Mund des Herrn von Pappenheim schon

ihre Wünsche zur Geltung gebracht hat.

Was dann die Frage der Wassergenossenschaften angeht, so ist die diesbezügliche Gesetzgebung in den neuen Wassergesetzentwurf auf⸗ genommen worden; wir sind bestrebt gewesen, die Bestrebungen auf diesem Gebiete, mit anderen Worten die Bildung der Wassergenossen⸗ schaften, nach Möglichkeit zu erleichtern. (Bravo!)

Bei der Frage der Abführung der unterirdischen Gewässer, ins⸗ besondere zum Zwecke der Wasserversorgung größerer Städte, liegt es auf der Hand, daß sich hier wichtige Interessen gegenüberstehen: auf der einen Seite die Interessen des ländlichen und des Forstbesitzes⸗ auf der anderen Seite die Interessen der Großstädte und Industrie⸗ zentren, denen der nötige Wasserbedarf auch nicht vorenthalten werden kann. Es wird Sache der kommissarischen Beratungen und auch der demnächstigen Beratungen im Landtage sein, hier einen gerechten und vermittelnden Ausgleich zu finden. (Bravo! rechts.)

Der Herr Abg. von Kessel hat als besonderen Wunsch die dem⸗ nächstige Desinfektion der Arbeiter zum Ausdruck gebracht, welche als sogenannte Saisonarbeiter zum 1. April d. J. wieder ins Inland kommen. Ich fürchte, daß diesem Wunsche nicht stattgegeben werden kann. Wir haben ja für die russischen Auswanderer großartige Vor⸗ richtungen zur Desinfektion, die aber wesentlich von den großen Schiffahrtsgesellschaften unterhalten und deren Kosten auch von diesen bestritten werden. Bei den landwirtschaftlichen Arbeitern, die im Frühjahre wieder das Inland betreten, handelt es sich einmal um große und gewaltige Menschenmassen und diesen gegenüber um eine Maßregel, die wir gegenüber den inländischen Arbeitern bisher auch nicht ergriffen haben, wesentlich wohl aus dem Grunde, weil es sehr teuer, sehr schwierig und vielleicht noch nicht einmal erfolgreich sein würde, eine Desinfektion in dieser Ausdehnung durchzuführen. Ich glaube, solange wir nicht dazu übergehen und ich möchte dazu die Hand nicht bieten —, in den von der Maul⸗ und Klauenseuche betroffenen Be⸗ zirken, insbesondere in den Sperrbezirken, auch die Des⸗ infektion der Einwohner vorzunehmen, werden wir auch davon Abstand nehmen müssen, die vom Auslande kommenden Arbeiter einer solchen Maßnahme zu unterwerfen, besonders auch deshalb, weil ja im einzelnen garnicht feststeht und nicht festgestellt werden kann, ob sie wirklich aus Bezirken herkommen, die von der Maul⸗ und Klauenseuche bedroht sind.

Herr Abg. von Kardorf hat unter verschiedenen Wünschen, vor allen Dingen auch den Wunsch nach Vorlage eines Fideikommiß⸗ gesetzes zum Ausdruck gebracht. Ich kann mich im großen und ganzen den Ausführungen anschließen, welche er zur Begründung seines Wunsches vorgebracht hat, und ich glaube auch mit einiger Bestimmt⸗ heit sagen zu können, daß es im nächsten Jahre zur Vorlage des schon lange in der Ausarbeitung begriffenden Fideikommißgesetzes kommen wird. (Bravo! rechts.)

Bezüglich des sogenannten Parzellierungsgesetzes kann ich ver⸗ sichern, daß ich vom Augenblick der Uebernahme meines Ressorts an dieser Frage meine besondere Aufmerksamkeit gewidmet habe. Es sind augenblicklich die Grundzüge eines größeren, die Par⸗ zellierung und Kolonisation betreffenden Gesetzes in meinem Ministerium ausgearbeitet, die im wesentlichen auch den Zweck verfolgen, der Güterschlächterei in Zukunft die Spitze abzubrechen. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Diese Grundzüge werden mit Be⸗ ginn des nächsten Monats zwischen den beteiligten Ministerien einer ein⸗ gehenden Beratung unterzogen werden, und ich hoffe, daß sich im nächsten Jahre auch die Vorlage dieses Gesetzentwurfs ermöglichen wird. (Bravo! rechts und im Zentrum.)

Der Abg. Wallenborn ist noch mit einigen Worten auf die Schwierigkeiten eingegangen, welche speziell den rheinischen Gemeinden und Kleinbesitzern aus der schlechten Verwertbarkeit der Eichenrinde und den geringeren Erträgen des Eichenschälwaldes erwachsen. Die Königliche Staatsregierung hat diese Nachteile, welche der rheinischen landwirtschaftlichen Bevölkerung und speziell auch vielfach dem Winzer⸗ stande erwachsen, nicht verkannt. Sie hat aber auch schon nach Mög⸗ lichkeit Mittel zur Verfügung gestellt, um eine entsprechende Um⸗ wandlung des Betriebes, um die Aufforstung des Eichenschälwaldes und seine Ueberführung zum Hochwalde zu unterstützen. Es werden augenblicklich in der Rheinprovinz einschließlich der Provinzialmittel für Waldkulturzwecke circa 200 000 verwandt, und diese Summe ist, wenn auch nicht völlig ausreichend, so doch jedenfalls hoch genug, um da, wo ein genügendes Interesse bei den beteiligten Gemeinden selbst zum Vorschein kommt, auch die Umwandlung des Eichenschälwaldes in Hochwald herbeizuführen. Der Hoffnung, daß es nochmal gelingen könnte, die Eichenlohe zum besseren Ertrage zu bringen, möchte ich hier allerdings keinen Raum mehr geben. (Sehr wahr! links.) Ich glaube, die Zeiten des Eichenschäl⸗ waldes sind endgültig vorbei, und wir müssen mit der Tatsache rechnen, daß auch der Eichenschälwald überall da, wo eine andere Waldkultur zulässig ist, in eine andere Kulturart übergeführt werden muß. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, ich habe dann noch Veranlassung genommen, auf Grund einer in der Budgetkommission vorgebrachten Beschwerde des Herrn Abg. Friedberg mich in den Besitz des berühmten Plakats zu setzen, welches die Posener Landwirtschaftskammer anläßlich der Posener landwirtschaftlichen Woche 1911 verbreitet haben soll, und in welchem auch Mitteilung von der Generalversamm⸗ lung des Bundes der Landwirte im Apollotheater am Dienstag, den 17. Januar, Nachmittags 3 Uhr, gemacht wird. Der Herr Vor⸗ sitzende der Landwirtschaftskammer der Provinz Posen hat, ohne eine Anregung von meiner Seite abzuwarten, in dieser Angelegenheit auch bereits berichtet und mir mitgeteilt, daß es sich bei diesem Plakat, das ich gern zur Verfügung des hohen Hauses stelle, lediglich um

eine Beilage zu dem von der Landwirtschaftskammer herausgegebenden

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