1911 / 31 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 Feb 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Heessen.

Die Erste Kammer hat, „W. T. B.“ zufolge, gestern ohne wesentliche Debatte die Wahlrechtsvorlage und die dadurch bedingte Aenderung der Artikel 67 und 75 der Ver⸗ fassung sowie das Gesetz über die Wahlkreiseinteilung einstimmig angenommen.

Oesterreich⸗uUngarn.

Der Heeresausschuß der österreichischen Dele⸗ gation hat gestern die Beratung über die Erfordernisse für Heer und Flotte begonnen.

Zunächst erstattete laut Bericht des „W. T. B.“ der Abg. Schlegel seinen Bericht über das Marinebudget, in dem er hervor⸗ hob, die Erfahrung lehre, daß ein Staat, der ans Meer grenze und auf eine entsprechende Marine verzichte, nicht nur aufhöre eine Groß⸗ macht zu sein, sondern sich auch jedes Einflusses im Völker⸗ und

Scttaatenkonzert begebe. Er halte die Forderungen für die Kriegs⸗ marine für gerechtfertigt. Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen erklärte er, er halte den geplanten Dreadnoughttyp mit einer Bestückung von 30,5 cm⸗Geschützen für die österreichisch⸗ungarische Flotte für ge⸗ nügend, und ermahnte die Marineverwaltung, bevor sie einen Dread⸗ nought an die Werft in Fiume vergebe, sich Garantien zu verschaffen, ob diese Werft zum Bau solcher Schlachtschiffe befähigt

sei. Die Abgg. Dobernig (Deutsche Volkspartei), Steiner (christl. Soz.) und von Kozlowski (Pole) betonten die stets be⸗ kundete Bereitwilligkeit ibrer Parteien, für die Ausgestaltung des

Heeres und der Seemacht die unbedingt notwendigen Forderungen zu bewilligen, verwiesen jedoch auf die ungünstige Finanzlage des Staates sowie auf die der Staatsverwaltung harrenden großen und kostspieligen Aufgaben, die die gewissenhafteste Prüfung der Vorlagen sowie der Deckungsfrage erheischten. Dobernig verlangte, daß die Marine sich durch zollfreien Bezug von Eisen aus dem Aus⸗ lande von dem Eisenkartell unabhängig mache. Steiner fragte, ob Ungarn anläßlich des Wehrgesetzes keine staaksrechtlichen Zugeständnisse gemacht worden seien, und verlangte Auskunft über die Durchführung und die Kosten der zweijährigen Dienstzeit. Der Abg. Ellen⸗ bogen (Soz.) bezeichnete die Dreadnoughtfrage als eine Modekrankheit, deren Wesen darin bestehe, daß große Schiffe gebaut würden, die binnen kurzem wertlos würden. Die Sozialdemokraten erblickten in einer Verständigung mit Italien über eine Einschränkung der Seerüstungen eine bessere Garantie als in dem Bau neuer Schlachtschiffe. Der Abg. Sustersitsch (Slowene) erklärte, wenn Oesterreich⸗Ungarn die Stärke seiner Flotte auf die Höhe derjenigen Italiens bringe, so liege darin keine Feindseligkeit gegen Italien. Niemand wünsche aufrichtiger die Freundschaft Italiens als Oester⸗ reich⸗Ungarn, aber angesichts einer gewissen Volksstimmung in Italien dürfe kein Zweifel darüber gelassen werden, daß jede Hoffnung aus⸗ geschlossen sei, Oesterreich Ungarn ein Stück seines Staatsgebietes zu entreißen. Der Abg. Wassilké (Ruthene) trat für die Marine⸗ vorlage ein, verlangte aber Berücksichtigung der Wünsche der Ruthenen.

vwurde die Sitzung geschlossen.

Frankreich.

In der Deputiertenkammer interpellierte gestern der Abg. Sixte Quenin (geein. Sozialist) über den Fall des

n Algier kriegsgerichtlich erschossenen Soldaten Duléry, der einen Sergeanten verwundet hatte.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ protestierte der Interpellant gegen die Kriegsgerichte und gegen die bei ihnen übliche Anwendung der Todesstrafe und warf dem Kriegsminister, General Brun vor, die Gnade des Präsidenten nicht nachgesucht zu haben. In seiner Erwiderung erklärte der Kriegsminister, daß er das Urteil ordnungs⸗ mäßig behandelt habe. Hie Regierung werde gemä dem Beschlusse

der Kammer mit der Resorm der Kriegsgerichte fortflhren. 8 Darauf wurde eine einfache Tagesordnung, der der Kriegs⸗ minister zugestimmt hatte, mit 290 gegen 230 Stimmen an⸗

genommen. Rußland.

In der gestrigen Sitzung der Reichsduma wurde über einen Antrag des Oktobristen Matjunin verhandelt, in Artikel 25 der Vorlage, betreffend die Kanalisation von St. Petersburg, zu bestimmen, daß, falls die Stadt⸗ verwaltung in einer bestimmten Frist der ihr auferlegten Ver⸗ pflichtung nicht nachkomme, der Minister des Innern durch Einbringung eines Antrags die Durchführung der Kanalisation für die Regierung zu beanspruchen berechtigt sein soll. Der Antrag wurde, wie „W. T. B.“ meldet, zunächst mit 128 gegen 124 Stimmen abgelehnt, in wiederholter Abstimmung, die unter Auszählung erfolgte, mit 131 gegen 130 Stimmen an⸗ genommen.

Der finnische Landtag ist gestern im Namen des Kaisers von dem Generalgouverneur mit einer Begrüßungs⸗ ansprache eröffnet worden. Nachdem sodann der Vizepräsident des Senats die Worte des Generalgouverneurs in finnischer und schwedischer Sprache wiederholt hatte, verlas der Talman eine Huldigungskundgebung des Landtags für den Kaiser. Darauf gab der Generalgouverneur die Liste der Gesetzentwürfe bekannt, die dem Landtage vorgelegt werden sollen.

Spanien.

Der scherifianische Oberkommissar für das Rifgebiet ist, „W. T. B.“ zufolge, gestern in Madrid eingetroffen, um mit der spanischen Regierung über die Durchführung der Be⸗ stimmungen des kürzlich zwischen Spanien und M kk abgeschlossenen Vertrages zu verhandlen.

Amerika.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ hat das amerikanische Repräsentantenhaus vom Handelsmarineausschuß einen günstigen Bericht über die Humphreybill erhalten, die die Regierung ermächtigt, von den amerikanischen Häfen alle fremden Schiffe auszuschließen, die an einem Abkommen zur Kontrolle der Fracht⸗ und Personentarife beteiligt sind. Das Justizdepartement hat der Bill seine Zustimmung erteilt.

Der Präsident von Honduras Davila hat dem Prä⸗ sidenten Taft, obiger Quelle zufolge, mitgeteilt, daß ihm die freundschaftliche Vermittlung der Vereinigten Staaten willkommen sein würde, um weiteres Blutvergießen zu verhüten. Der Präsident Taft hat daraufhin den Komman⸗ deur des amerikanischen Geschwaders beauftragt, den Versuch zu machen, einen Waffenstillstand herbeizuführen.

Asien.

Der deutsche Kronprinz ist gestern nachmittag in Kalkutta eingetroffen. Auf dem mit deutschen und englischen Flaggen geschmückten Bahnhof der Station Haura fand, „W. T. B.“ zufolge, festlicher Empfang statt, zu dem sich der Vizekönig Lord Hardinge mit seinem gesamten Stabe, der Gouverneur von Bengalen, der Magistrat von Haura, die Spitzen der Zivil⸗ und Militärbehörden sowie der deutsche Generalkonsul in Kalkutta Prinz Heinrich XXXI. Reuß eingesunden hatten. Unter Salutschüssen schritt der Kronprinz die von englischer Infanterie, Ein⸗

geborenen und Freiwilligen gestellten Ehrenkompagnien ab und fuhr dann mit dem Vizekönig nach dessen Palais. Die Tausende, die die Einzugsstraße besetzt hielten, begrüßten den Kronprinzen mit lebhaften Hurrarufen. Vor dem Palais standen ebenfalls Ehrentruppen. Auf der Freitreppe waren zahlreiche Geladene, darunter die Mitglieder des Gesetzgebenden Rates, die diplomatischen Vertreter der fremden Nationen, zahl⸗ reiche eingeborene Fürsten in ihren prunkvollen Fest⸗ gewändern, Offiziere und Beamte in großer Gala sowie die Mitglieder der deutschen Kolonie, für die ein be⸗ sonderer Raum freigehalten war, versammelt. Nach der Vor⸗ stellung zahlreicher Anwesenden und der Damen des Hauses durch den Vizekönig empfing der Kron rinz im Festsaal den Magistrat von Kalkutta, der eine kunstvoll ausgeführte Be⸗ grüßungsadresse überreichte. Die Adresse heißt im Namen der Bürgerschaft den Kronprinzen ehrerbietig und herzlich willkommen als den Repräsentanten einer Nation, deren Patriotismus und deren Entwicklung in Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie die Achtung und Bewunderung der Welt erwecke, und begrüßt den Kronprinzen ferner als Verwandten des Königs Georg und als Urenkel der Königin Viktoria, deren Andenken in Indien nicht erlösche. Die Adresse gedenkt endlich der hervorragenden Arbeit deutscher Gelehrter bei Erforschung der indischen Literatur und Philosophie, wodurch beide Völker einander nahegebracht würden, und spricht die Hoffnung aus, daß der Kronprinz von seinem Aufenthalte in Indien gute Eindrücke mitnehmen werde. Der Kronprinz dankte für den warmen Empfang und erklärte, seine Reise durch Indien werde bei ihm unvergeßliche Eindrücke hinter⸗ lassen; er werde bestrebt sein, das bei seinen Landsleuten vor⸗ handene Interesse für die Geschichte und die Kultur Indiens zu heben, und selbst die Entwicklung des Landes stets mit größtem Interesse verfolgen. Am Abend gab der Vizekönig zu Ehren des Kronprinzen ein großes Bankett, dem auch der Vize⸗ gouverneur von Westbengalen Sir E. Baker, der Ober⸗ befehlshaber in Indien Sir O'Moore Creagh, das Gefolge des Kronprinzen und der deutsche Generalkonsul in Kalkutta Prinz Heinrich XXXI. Reuß beiwohnten. Nach den Trinksprüchen auf den König von England und den Deutschen Kaiser toastete der Vizekönig auf den Kronprinzen. Er gab der Freude Ausdruck, die alle darüber empfänden, daß der Kronprinz die Hauptstadt mit seinem Besuch beehrt habe. Dann erwähnte der Vizekönig seine persönliche Freundschaft mit dem Vater des Kronprinzen, mit seinem Großvater und Urgroßvater, dem erlauchten Gründer des Reichs, das alle bewunderten und achteten, wies darauf hin, was Deutschland für Wissenschaft, Kunst und Literatur getan habe, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die freundschaftlichen Be ziehungen zwischen England und Deutschland stets andauern werden. In seiner Antwort dankte der Kronprinz dem Vize⸗ könig für den herzlichen Empfang, den Trinkspruch und die herrliche Zusammenstellung der so genußreichen Reise. Er schließe sich von Herzen den Wünschen des Vizekönigs nach gutem Willen und Freundschaft an und trinke auf das Wohl von Lord Hardinge und Lady Hardinge. Heute wurde dem Kronprinzen, einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ zufolge, mit dem üblichen Zeremoniell und in Gegenwart des Vizekönigs Lord Hardinge der Grad eines Doctor of Laws der Universität Kalkutta verliehen.

Der Kronprinz hat an die Höfe von Bangkok, Peking und Tokio Te m Ga00hn in denen er sein lebhaftes Be⸗ dauern aussplicht, deie gepichiten Besuche aufgeben zu müssen.

Wie aus Batavig amtlich gemeldet wird, sind in Manggar auf der Insel Billiton Unruhen ausgebrochen, die von Chinesen angezettelt sind. Zur Wiederherstellung der Ordnung sind Truppen dorthin entsandt worden.

Koloniales.

nter dem Titel „Die deutschen Schu tgebikt⸗ in Afrika

und der Südsee 1909/10“ hat das Reichskolonialamt die früher als Reichstagsdrucksachen in deren Format veröffentlichten Jahresberichte über unsere Kolonien jetzt in neuer Form, als praktisch gestaltetes Handbuch herausgegeben (XII und 258 Seiten; Verlag der Königlichen Hofbuchhandlung E. S. Mittler u. Sohn, Berlin; Preis 8,50 ℳ). Der Inhalt des Werks, der das grund⸗ legende Material zur Kenntnis und richtigen Beurteilung der Verhältnisse und Begebenheiten in den deutschen Schutz⸗ gebieten sowie ihrer gesamten Entwicklung bietet, besteht aus zwei Teilen. Der erste, der Berichtsteil, unterrichtet über unser Kolonkalwesen im allgemeinen (Verwaltungspolitik, wirtschaftliche Lage und Wirtschaftspolitik, Finanzwirtschaft) wie über die Schutz⸗ gebiete selbst im einzelnen (Ostafrika, Kamerun, Togo, Deutsch⸗Süd⸗ westafrika, Deutsch⸗Neuguinea und Samoa). Zahlenmäßig werden die kolonialen Zustände und Fortschritte des Berichtsjahres 1909/10 im zweiten, statistischen Teile des Handbuchs nachgewiesen: Bevölkerung, hüe tessege. Produktion, Handel, Verkehr, Konsum, Einnahmen und Ausgaben.

Das Berichtsjahr (April 1909 bis April 1910) war für unsere Schutzgebiete in vieler Hinsicht eine Zeit des Fortschritts. Für Süd⸗ westafrika war besonders die Ausbeutung der Diamantenfelder von Bedeutung, die großenteils im Vorjahre entdeckt waren, während im Berichtsjahre noch weitere Funde nördlich vom 26. Breitengrade hin⸗ zukamen. Die klimatischen und Witterungsverhältnisse waren in allen Schutzgebieten, wenn auch nicht überall gleich günstig, so doch über⸗ wiegend normal. Gleiches gilt für die Gesundheitsverhältnisse. Die fortschreitende Sanierung der durch Krankheiten verseuchten Teile unserer Schutzgebiete wurde auch im Berichtsjahre wieder als eine der wichtigsten allgemeinen Verwaltungsaufgaben betrachtet und weist besonders in der Bekämpfung der Schlafkrankheit in Ostafrika und Togo Erfolge auf. Der Landfrieden wurde im Berichtsjahre, abgesehen von einigen Un⸗ ruhen und Strafexpeditionen in Kamerun und Neuguinea, nicht ge⸗ stört. In den noch schwebenden Grenzregulierungsfragen wurden einige Fortschritte gemacht; auch die Grenzvermessungs⸗ und sonstigen Landvermessungsarbeiten sind erheblich gefördert worden.

Die Eingeborenenpolitik der Verwaltung hat in Ostafrika, Süd⸗ westafrika, Togo und Samoa die Befriedung der Gebiete sorgsam gewahrt und das Vertrauensverhältnis zwischen den Eingeborenen und der Verwaltung verbessert. Namentlich in Südnestafrika hat sich auf der Grundlage der Eingeborenenverordnungen das Verhältnis der weißen zur farbigen Bevölkerung besser gestaltet, als man noch vor wenigen Jahren erhoffen konnte. In Kamerun und in Neuguinea nebst Inselgebiet ist die Befriedung bezw. Unter⸗ werfung der Eingeborenen noch nicht abgeschlossen. Ueber die Ein⸗ geborenenbevölkerung enthält der statistische Teil eine zusammenfassende Aufstellung, deren Unterlagen allerdings zum großen Teil noch auf Schätzung beruhen Soweit genauere Zahlen vorliegen, zeigt sich überwiegend ein Steigen der Bevölkerungsziffer, was als ein er⸗ freulicher Beweis für den kulturellen Charakter unserer Kolonial⸗ politik betrachtet werden kann. Die weiße Bevölkerung ist in allen Schutzgebieten zusehends gewachsen, wobei allerdings in den afrikanischen Kolonien auch die Eisenbahnunternehmungen mit ihrem Zuzug von weißen Arbeitern und Beamten zu berücksichtigen sind. Die Verwaltung war bemüht, das Schulwesen sowohl für die weiße wie für die Eingeborenenbevölkerung weiter zu entwickeln, und

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hat auf diesem Gebiete manches Neue geschaffen. wurden in ihrer segensreichen Tätigkeit tunlichft gefördert und melden zum großen Teil gute Erfolge, wenn ihnen auch, namentlich in Togo und Ostafrika, das Vordringen des Islams Sorge bereitet.

Die Organisation der Verwaltung wurde in allen Schutzgebieten ausgedehnt, in Neuguineca auch der Sitz des Gouvernements verlegt. In Ostafrika wurden an Stelle der Kommunaletats unter Bei⸗ behaltung solcher für Tanga und Daressalam Selbstbewirt⸗ schaftungsfonds für Bezirke geschaffen, eine Einrichtung, die sich bis jetzt bewährt hat. In Südwestafrika sind die ersten Gemeindeselbst⸗ verwaltungen ins Leben getreten. Eine bedeutende Steigerung der Verwaltungstätigkeit machte sich in allen Schutzgebieten bemerkbar, zum Teil in Erfüllung der im vorstehenden erwähnten allgemeinen Verwaltungsaufgaben, zum Teil durch gesteigerte Tätigkeit und neue Aufgaben auf wirtschaftspolitischem Gebiete.

Die allgemein günstige wirtschaftliche Lage der Schutzgebiete wurde wesentlich mit durch die aufsteigende Konjunktur des Welt⸗ marktes bedingt. Dies gilt für alle tropischen Schutzgebiete mit be⸗ trächtlicher Ausfuhrproduktion, während in Südwestafrika hauptsächlich die Zuversicht in die Erhaltung des Landfriedens und günstige Witterungsverhältnisse die Konsolidierung und Ausdehnung der für die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schutzgebietes ausschlaggebenden Farmwirtschaft begünstigten. Die Viehbestockung hat beträchtlich zugenommen, ebenso die Feld⸗ und Gartenwirtschaft. Der Diamantenabhau hat in örtlicher Begrenzung belebend auch auf die allgemeine wirtschaftliche Lage eingewirkt. In allen afrikanischen Schutzgebieten ist aber die günstige wirlschaftliche Lage im Berichts⸗ jahre zum guten Teile auch durch die Eisenbahnbauten bedingt ge⸗ wesen, die Menschen und Geld ins Land brachten. In der Südsee können die Nachwirkungen der Taifune als überwunden betrachtet werden Im einzelnen ist bezüglich der Produktion die im allgemeinen recht zufriedenstellende Lage der Eingeborenenlandwirtschaft und die steigende Bedeutung der Plantagenwirtschaft in Kamerun und Ost⸗ afrika, aber auch in den Südseebesitzungen hervorzuheben. In den afrikanischen Schutzgebieten hat die Plantagenwirtschaft in der Haupt sache die bisherige Produktionsrichtung beibehalten. Auch in der Südsee hat die Kokospalme immer noch die ausschlaggebende Bedeu⸗ tung, jedoch widmet sich die Plantagenwirtschaft dort neuerdings auch anderen Pflanzungen. Dazu kommt die infolge des Phosphat⸗ abbaues gesteigerte industrielle Bedeutung einzelner Südseeinseln. In der Farmwirtschaft von Südwestafrika ist die Wollschafzucht in erhöhtem Maße betrieben worden. Die Kleinsiedlungen in Südwestafrika haben wirtschaftliche Erfolge aufzuweisen, und in Ostafrika haben die bäuer⸗ lichen Siedlungen im Innern durch Wegzug ungeeigneter und Zuzug besserer Elemente eine Kräftigung erfahren. Auf dem Gebiete des Bergbaus hat das Berichtsjahr trotz einer regen Schürftätigkeit nicht viel Neues gebracht, abgesehen von der Entwicklung des Diamantenabbaue?. Die Diamantengewinnung brachte eine Fülle von Verwaltungsaufgaben mit sich. Hervorzuheben sind die rechtliche Auseinandersetzung des Fiskus mit der Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika, die Maß⸗ nahmen für die zweckmäßige Verwertung der Diamanten, für die Verhütung des Diebstahls und Schmuggels und für Ordnung und Sicherheit im Diamantengebiete, sowie die Regelung des Abbaus der fiskalischen Diamantfelder. Ein besonders erfreuliches Ergebnis des Berichtsjahres ist es, daß der infolge der Eisenbahnbauten befürchtete Mangel an Arbeitern für alle Zweige der Produktion im großen und ganzen nicht eingetreten ist, wenn auch in Kamerun und in Sid⸗ westafrika, hier namentlich bei der Farmwirtschaft, die Arbeiter⸗ beschaffung vielfach schwierig war. Die mit der allgemeinen Ein⸗ geborenenpolitik im engen Zusammenhange stehende Arbeiterpolitik der Verwaltung hat sich im allgemeinen bewährt. Der Handel nützte die durch die günstige Lage des Weltmarktes einerseits, der Produktion in den Schutzgebieten anderseits geschaffenen vorteilhaften Bedin⸗ gungen entsprechend aus und weist fast durchweg beträchtlich erhöhte Ein⸗ und Ausfuhrziffern auf. Daß gerade hierin auch der Einfluß der Eisenbahnbautätigkeit zum Ausdruck kommt, mag noch einmal besonders hervorgehoben werden, da es nicht ausgeschlossen ist, diß nach Beendigung der Bauten die Zunahme des Handels wieder zeitweilig nachläßt. Die Handels⸗ und Zollpolitik bewegte sich in den bisherigen Bahnen. Die Zoll⸗ erhöhungen dienten finanziellen Bedürfnissen der Schutzgebiete mit Ausnahme der Zölle auf Branntwein, die zugleich in Verbindung mit anderen Maßnahmen einen sozialpolitischen Zweck haben. Auch ab gesehen vom Branntwein, wurden die Eingeborenen vielfach vor Schädigungen im Handelsverkehr geschützt. Die genossenschaftliche S des Handels in Südwestafrika wurde gefördert.

Die Entwicklung des Verkehrswesens hat große Fortschritte gemacht, insbesondere durch die ausgeführten Eisenbabnbauten. Vollendet wurden im Berichtsjahre die Bahnstrecken Momko— Buiko in Ostafrika und Seheim-Kalkfontein in Südwestafrika, während die Ausführung der Bahnstrecken Morogoro-— Tabora in Ostaf ika, Duala— Manenguba und Duala— Edea in Kamerun sowie Lome Atak⸗ pame in Togo weiteren angemessenen Fortgang nahm. Neu begennen wurden die Bahnhauten Butko—Moschi in Ostafrika und Windhuk— Keetmanshoop in Südwestafrika. Im April 1910 wurde schließlich noch der Umbau der engspurigen Linie Karibib Windhuk in die Kapspur in Angriff genommen. Am 1. April 1910 ist die Otavibahn in das Eigentum des südwestafrikanischen Landessiskus übergegangen. Das gab die Möglichkeit, die Strecke Swakopmund Jakalswater Karibib von dem Durchgangsverkehr zu entlasten und ihn auf die Strecke Swakopmund Usakas— Karibib zu verweisen. Die Entwicklung des⸗ Verkehrs und der Erträgnisse auf den fertigen Eisenbahnlinien hat den Erwartungen entsprochen und sie teilweise, namentlich auf der südwestafrikanischen Suüdbahn, erheblich übertroffen. Die Otavi⸗ bahn verzinst sich gut. Im übrigen wachsen die Bahnen all⸗ mählich und stetig in die Rente hinein. Eine gewisse Aus⸗ nahme bildete bisher infolge ihrer unzulänglichen Bauart nur die Linie Swakopmund —Windhuk, die nunmehr, wie oben erwähnt, auf der unteren Teilstrecke entlastet ist, auf der oberen um⸗ gebaut wird. Im Eisenbahnwesen bedient sich die Verwaltung zwar in ausgedehntem Maße privater Großunternehmungen zum Bau und zum Betriebe der Verkehrsanlagen, hat aber gleichwohl durch die Be⸗ auffichtigung und namentlich durch die der Ausführung vorhergehenden Vertragsverhandlungen und Entwurfsfestsetzungen teil an der auf das Eisenbahnwesen bezüglichen gesteigerten Tätigkeit. Dazu kommt noch die gerade im Berichtsjahre besonders rege Tätigkeit für den Ausbau des Wegenetzes und die Entwicklung des Post⸗ und Telegraphenwesens. Der Seeschiffahrtsverkehr hat gleichfalls manche Verbesserungen auf⸗ zuweisen, auch für die Südseebesitzungen, wenn dort auch noch nicht alle Wünsche befriedigt sind

Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befindet sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (19.) Sitzung des Hauses der Ab geordneten, welcher der Justizminister Dr. Beseler beiwohnte, wurde zunächst nach einem Antrage der Geschäftsordnungs kommission beschlossen, auf das Ersuchen des Justizministers die Vernehmung des Abg. Freiherrn von Richthofen als Zeugen vor der Strafkammer des Landgerichts in Liegnitz in den Straf⸗ sachen gegen den früheren Wirtschaftsinspektor Karl Kasten in Liegnitz wegen Untreue und Betrugs und wegen Beleidigung z genehmigen.

Darauf setzte das Haus die

übliche allgemeine Besprechung fort. 1 Abg. Strosser (kons.): Der Abg. Dr. Liebknecht hat gestern sich ganz besonders gegen meine Partei gewandt. Ich kann ihm nur

Die Missionen

Bremen, Lübeck und Elsaß⸗Lothringen sowie an

München, Nürnberg, Dresden, Leipzig, Stuttgart und

Geheimen Regierungsrats Dr. Wiedfeldt Montag, den

Beratung des Etats der Just izverwaltung, und zwar zunächst die bei dem Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“

fagen: wir denken gar nicht daran, die Justiz kurz und klein zu schlagen, wie er uns unterlegte. Unser Ideal ist ein ganz anderes. Wir sind immer, solange wir eine konservative Partei bilden, dafür eingetreten, daß das Wort durchgeführt werde: justit ia. fundamentum regnorum. Wir wollen nichts anderes als die Gerechtigkeit, wir wollen keine Standesjustiz. Der Abg. Dr. Leebknecht ist auch auf den Fall Unger zurückgekommen und hat gemeint, die Inschutznahme dieses Herrn sei nötig gewesen gegenüber den sogenannten staaterhaltenden Parteien. Ja, wenn die Sozialdemokratie wirklich Herrn Unger in Schutz nehmen müßte gegenüber den staaterhaltenden Parteien, dann könnte man, glaube ich, nur sagen: Gott behüte mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden will ich mich schon selber schützen. Aber dieser Schutz war durchaus nicht nötig. Wir sind auch gar nicht, wie die Rede unseres Parteifreundes Böhmer beweist, in irgend einer Weise aggressiv gegen Heirn Unger vorgegangen. Wir haben nur in dem einen Fall diese, eigentümliche Form der Rechtsbelehrung nicht gutheißen können, in dieser Form lag etwas Befremdendes. Manche Leute konnten sich dadurch berechtigt fühlen, stets einen Revolver in der Tasche zu tragen, eine Ansicht, deren Verbreitung wir nicht wünschen. Es laufen schon viel zu viel Leute mit dem Revolver umher, und wir winschten, wir hätten ein solches Gesetz wie z. B. Italien, wo das Tragen von Schuß⸗, ja sogar von Stichwaffen unter sehr hohe Strafe gestellt ist; die Herren, die in Italten gereist sind, werden das wissen. Aber bei uns gibt es, wie wir ja auch bei den letzten Krawallen gesehen haben, viele Leute, die die Gewohnheit haben, einen Revolver mitzunehmen. Wenn wir in jener Rechts⸗ belehrung eine gewisse Verfehlung erblicken, so ist sie bei der eigen⸗ tümlichen Art dieses Prozesses zu entschuldigen; man kann es be⸗ greifen, daß der Vorsitzende schließlich ectwas nervös geworden war, sodaß er sich diese Verfehlung hat zu schulden kommen lassen. Der Abg. Liebknecht hat dann auch die Ordensverleihungen an Schutz⸗ leute in den Kreis seiner Betrachtung gezogen und sie als eine Provokation bezeichnet. Ihh muß sagen, daß es mir leider ganz un möglich ist, über diese Art der Behandlung des Gegenstands in diesem Hause in der Weise zu sprechen, wie sie es verdient. Denn nicht nur über Herrn Liebknecht, sondern auch über allen Rednern, die hier sprechen, schwebt das bekannte Schwert des Damolles, sonst würde ich auf diese Sache noch eingegangen sein, aber unter den jetzigen Umständen verzichte ich darauf.

(Schluß des Blattes.)

Nr. 5 der Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts“ vom 1. Februar 1911 hat folgenden Inbalt: Personal⸗ nachrichten. Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten. Desgl. gegen Pest. Desgl. gegen Cholera. Sanitätsbericht über die Preußische Armee, 1907/1908. Sterbefälle in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1909. Medizinalstatistisches auums Australien, 1908. Gesetzgebung usw. (Deutsches Reich. Gouvernement Kiautschou.) Kokain. (Preußen.) Nahrungsmitte luntersuchungs⸗ ämter. Molkereien. Schankwirtschaften. I11 liches Untersuchungaamt Hanau. Kinderlähmung. Ferrosilizium. (Sachsen.) Schlachtungen. (Baden.) Schnatenplage. (Hessen.) Rotlaufimpfungen. (Oesterreich.) Gunmnmicreme. Sodawasser. (Frankreich.) Viehausfuhr. Saaugflaschen mit Rohr. Töpferwaren. (Hongkong.) Aussätzige. Tierseuchen im Auslande. Desgl. in Oesterreich, 4. Vierteljahr 1910. Zeit⸗ weilige Maßregeln gegen Tierseuchen. (Bavern, Baden, Luxemburg.) Vermischtes. (Aegypten) Infektionskrankheiten, 1909. (Canada.) Gesundheitsverhältnise in Montreal, 1909. Seschenkliste. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgleichen in größeren Stöädten des Aus⸗ landes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgleichen in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung.

Statistik und Bolkswirtschaft.

Im Reichsamt des Innern findet, wie die „Nordd. Allgem. Ztg.“ mitteilt, am 15. d. M. eine Konferenz statt, in der die Erfahrungen, die man bei der letzten Berufs⸗ und Betriebszäh lung gemacht hat, besprochen und etwaige Aenderungen der tech nischen und sachlichen Bearbeitung künftiger großer Za hlungen er⸗ örtert werden sollen. Es wird in der Oeffentlichkeit und in der Fachliteratur darüber geklagt, daß unsere großen deutschen Zählungen (die Berufs⸗ und Betriebsjählungen und die Volksz hlungen) mit zu großen Belästigungen für das Publikum verhunderr seien und in ihren Resultaten zu spät der Wissenschaft und Praxis zugänglich gemacht würden. Aufgabe der geplanten Konferenz soll es sein, geeignete Mittel zur Abstellung der M ißstände vor zuschlagen. Die Konferenz wird sich namentlich mit folgenden Fragen beschäftigen: 1) Erfahrungen mit Zählern, 2) Erfahrurrgen mit der Bevölkerung, 3) Erfahrungen mit den Kontrollbehörden und mit der Nachprüfung des Zählstoffes, 4) Vorschläge für die Gestaltung des Zählverfahrens in Zukunft, 5) Erfahrungen bei der Aun fbereitung des Zählstoffes, 6) Vorschläge für die Aufbereitung einer künftigen Zählung, 7) Erfahrungen über den Inhalt der Erheburrgspapiere und Vorschläge zu deren Vereinfachung, 8) Zusammenlegung von Reichs⸗ zählungen auf die Jahre mit 5 und 0, 9) Erlaß eines allgemeinen statistischen Gesetzes. Einladungen zu der Konferenz hat der Staats⸗ sekretär des Innern ergehen lassen an die zuständigen Vermwaltungs⸗

behörden in Preußen, Bavern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen,

Hamburg und an den Kaiserlichen Statthalter in Straßburg, an die landesstatistischen Zentralstellen von Preußen, Bavern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg⸗Schwerin, Hamburg, die Steatistischen Düsseldorf, Posen, Mannheim.

Aemter der Städte Berlin, Breslau, Cöln,

2 Zur Arbeiterbewegung.

Das Zentralschiedsgericht für das deu tsche Bau⸗ gewerbe tritt, wie die „Voss. Ztg.“ mitteilt, auf Einladung des 13. Februar, in Berlin im Reichstagsgebäude zu einer Sitzung zusam men.

Eine allgemeine Versammlung des Personals derstädti⸗ schen Badeanstalten Berlins beschloß nach demr selben Blatte in eine Tarifbewegung einzutreten, nachdem bereits vorber Beratungen in den einzelnen Anstalten stattgefunden hatten. Von den auf⸗ gestellten Forderungen sind die hauptsächlichsten: Die DZezahlung bei Schwimmfesten und an Vereinsabenden so zu regeln, daß sie für alle Anstalten gleich wird. Regelmäßiger Wechsel des Wärternpersonals auf allen Stationen derart, daß das Personal je drei Monate in der Wannen und Brauseabteilung, Schwimmhalle und Waschküche bes chäftigt wird. Am 1. Feiertag von Ostern, Pfingsten und Weihnachten bleiben die Anstalten wie an den 2. Feiertagen geschlossen. Auf Männerstationen sollen ständig Wärter und nicht Heizer, Wärterinnen bezw. Aushilfe⸗ frauen beschäftigt werden. Für das Maschinen⸗ und Handwerker⸗ personal sollen Fog lerase⸗ einwandfreie Räume heschafffn werden, in denen das Personal sich umkleiden und die . kahlzeiten einnehmen kann. Der Arbeiterausschuß wurde beauftragt, die Forderungen in der Ausschußsitzung zu vertreten.

Aus Weißenfels wird dem „W. T. B.“ telegrap Hiert;: Etwa 4000 Schuhfabrikarbeiter und arbeiterinnen beschlossen gestern abend, da die Fabrikanten ihre Forderung auf Einführung der neunstündigen Arbeitszeit mit Lohnausgleich und Erhöhung der Ueber stundenlöhne abgelehnt haben, heute in allen Fabriken die Kündi⸗

gung einzureichen und am 18. Februar die Arbeit niederzulegen. (Vgl. Nr. 29 d. Bl.) ö“

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten und Zweiten Beilage)

Kunst und Wissenschaft.

ZIm Februarheft der „Amtlichen Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen“ wird eine kürzlich für die islamische Ab⸗ teilung des Kaiser Friedrich⸗Museums erworbene Bronzebüste parthischer Herkunft besprochen. Von den künstlerischen Aeußerungen der Parther oder Arsakiden wissen wir wenig. Ueber ihre Architektur haben in jüngster Zeit die Arbeiten der deutschen Orientgesellschaft in Assur und Hatra erwünschte Aufschlüsse gebracht. Die hier und da in Mesopotamien zutage gekommenen figürlichen Darstellungen zeigen die Reliesplastik zwar auf keiner bedeutenden Höhe, aber weniger im Banne der klassischen Kunst als die ganz in hellenistischem Geiste gebildeten Münzen. Bei dem geringen Kunstbesitz aus parthischer Zeit ist die oben erwähnte Bronze⸗ büste von besonderem Interesse. Es handelt sich bei ihr um ein Stück, das zur Bekrönung etwa eines Stabes, Zepters oder als Zierat eines Hausgeräts gedient haben mag. Dargestellt ist ein Mann in mittlerem Alter mit rundgeschnittenem Vollbart, mit dännem, mehrmals gewelltem Schnurrbart, der die wulstigen Lippen freiläßt, und mit vollem, im Nacken gestutztem Haupthaar, das von einem Bande zusammengehalten wird. Den Oberkörper umhüllt ein oben durch einen Ringkragen geschlossenes schmuckloses Gewand. Ein Schlag hat die Nase breitgedrückt und auch die Stirn verletzt. Der parthische Kunstkreis tritt stilistisch und rein äußerlich in Kostüm und Barttracht hervor. Unter den Porträtdarstellungen der Münzen steht dem Bronzekopf vielleicht das Bildnis des Königs Orodes II. (4—6 (2²) n. Chr.) am nächsten; es befindet sich auf einer Tetradrachme im Königlichen Münzkabinett. Jedenfalls stammt der Bronzekopf aus der Zeit ungefähr zu Beginn unserer Zeitrechnung und ist parthischer Herkunft. Schultern und Oberarm sind ungeschickt wieder⸗ gegeben, wie man das auch bei den zweieinhalb Jahrhundert später ent⸗ standenen Felsskulpturen der Sassaniden findet. Das Kaiser Friedrich⸗ Museum hat ferner ein wohlerhaltenes Lindenholzrelief der Beweinung Christi aus einer Wiener Sammlung erworben. Im Kapitelsgang des Doms in Fulda werden zwei zusammen⸗

gehörige Reltefs aufbewahrt, die als Teile der Ausstattung des alten Doms am mahrscheinlichsten in Fulda selbst entstanden sein dürften. Ein Vergleich dieser Stücke mit der Neuerwerbung zeigt eine so enge Verwandtschaft, daß ein Werkstattzusammenhang sicher, eine Zurück⸗ führung auf denselben Meister nicht ausge chlossen ist. Jedenfalls sind die Fuldaer Stücke älter als das in Berlin, beide aber zeigen die gleiche Anordnung der Figuren, denselben Stil und die gleiche Technik. Das es sich bei den Fuldaer Stücken wie bei dem Berliner um fränkisch⸗schwäbische Arbeiten handelt, ergibt sich aus der Verbin⸗ dung der Hauptfiguren mit dem landschaftlichen Hintergrund, der durch kleine genrehafte Darstellungen auf den Felsvorsprüngen belebt ist. 8

Die grönländischen Eskimos haben seit je das besondere Interesse der Ethnologen erweckt, nicht nur deshalb, weil sie in ihrer beispiellosen Anpassungsfähigkeit an die Unbilden der Natur die nörd⸗ lichsten Bewohner unserer Erde sind, sondern auch, weil sie gewisser⸗ maßen Schulbeispiele dafür bilden, welche Wirkungen die Ab⸗ geschlossenheit in kleine, weit zerstreut wohnende Gemeinden ausübt. Während in den Museen die Sammlungen der Eskimos Alaskas durch Adrian von Jacobsens Reisen eine hervorragende wissen⸗ schaftliche Stellung einnehmen, sind die von den Zentraleskimos und auch von Grönland mehr illustrativ, abgesehen von den nicht umfangreichen Sammlungen, die wir Franz Boas, E. von Drygalski und der zweiten deutschen Nordpolexpedition aus Baffinsland, West⸗ und Ostgrönland verdanken. Zu den Sammlungen aus Smithsund, die das Berliner Museum von Peary besitzt, sind jetzt einige wert⸗ volle Ergänzungen durch Rasmussen und besonders Christian Leden hinzugekommen, die namentlich die Kleidung der Eskimos lückenlos zeigen. Leden hat auf einer neuen Reise nach Angmagsalik noch einige hesonders interessante Stücke hinzu erworben, die zum Teil noch nirgends veröffentlicht sind. Dazu gehört z. B. ein „Tupilak“ genannter Seedämon, der als kleine Holzfigur zum Ver⸗ derben eines Feindes ins Wasser geworfen wird, um z. B. den Kajak des Gegners zum Kentern zu bringen. Es ist ein vierbeiniges Tier mit einem menschlichen Gesicht. Andere Holzfiguren, die als Spiel⸗ puppen dienten, zeigen weibliche Gestalten, bei denen die Gesichtszüge überhaupt nicht angedeutet sind, während man aus den übrigen Formen jüngere und ältere, wie auch schwangere Frauen wohl unterscheiden kann: eine andere Holzfigur zeigt deutlich die männlichen Attribute. Man sieht, daß die Eskimos nicht die Bedenken kennen, die wir unseren Kindern gegenüber haben. Sie unterdrücken an den Spielpuppen für ihre Kleinen nichts. Freilich gehen auch die Ostgrönländer zu Hause häufig fast nackt; die Frauen sind nur mit dreieckiger, unsere männliche Badehose an Umfang bei weitem nicht erreichender Hose bekleidet. Unter den Spielen der Ostgrönländer ist eine Art Brummkreisel bemerkenswert. Er besteht aus einem Holz⸗ stab, der in eine runde Steinplatte gesteckt ist und der durch das Loch eines längeren Knochens läuft, an dem der Spieler das Ganze mit der linken Hand festhält. Die rechte Hand setzt den Stab durch Ziehen an einem um ihn gewickelten Lederriemen in schnelle Drehung. Interessant ist auch das nur 27 cm lange Modell eines Holzschlittens, der zur Seehundsjagd dient. Er trägt ein Holzgestell zum Aufspannen eines weißlichen Segels, hinter dem sich der Jäger verbirgt, indem er den Schlitten vor sich her schiebt. Das weißliche Segel soll dem Wilde einen Eisblock vortäuschen. Die Schlittenkufen sind unten mit Seehunds⸗ fell bekleidet, damit beim Vorschieben kein Geräusch entsteht. Durch die aufrechten Stäbe des Segelgerüstes ist ein langer Pfriem gesteckt, der zur Tötung und Zerlegung des erbeuteten See⸗ undes dient. Einige Verschiedenheit in den drei ethnographischen Bezirken Grönlands kann man an der Kleidung beobachten. Zwar die Kleidung der Männer ist im wesentlichen überall dieselbe: Wams und an diesem festsitzende Kapuze, Hosen bis etwas über das Knie und Stiefel; alles im Stoff wechselnd, je nach der Jahreszeit. Die Winterkleidung besteht aus Fellen, z. B. aus Renntierfell⸗ wams, Hosen aus Eisbär⸗ und Stiefeln aus Moschusochsen⸗ fell; am häufigsten werden aber eine Blaufuchsjacke und Stiefel von enthaartem Seehundsfell getragen. Unter der Jacke befindet sich noch, wie auch bei den Frauen, ein Hemd aus Vogelbälgen, deren Federseite nach dem Leib gekehrt ist, und in den Stiefeln ebenso lange Strümpfe, meist aus Polarhasenfell, das Fell ebenfalls nach innen gekehrt. Trotz dieser warmen Kleidung bläst der Wind über den Bauch, da das obere Ende der Hosen nicht über den Hüften, sondern auf den Oberschenkeln sitzt, und zwar ohne jeden Hosenträger; dadurch wird ein zu starkes Transpirieren verhindert. Auch die Knie sind dem Wind ausgesetzt. In Ostgrönland sind die Männerstiefel von einer besonderen Form, indem die Schäfte gamaschenartig abgesetzt sind; die Strümpfe reichen hier bis zum Oberschenkel hinauf, sodaß sie zugleich eine Art Unterhose bilden, während die Polareskimos über⸗ haupt keine Unterhosen tragen. Die Frauen dagegen tragen in ganz Grönland stets ganz kurze Hosen und bis hoch zum Oberschenkel reichende Stiefel, die bei den Polareskimos am längsten sind. In Ost⸗ grönland bleiben die Oberschenkel teilweise unbedeckt, selbst im Winter, da dort auch die Hosen besonders kurz sind; in Westgrönland reichen die Hosen bis über die Hälfte des Oberschenkels und schließen sich unmittelbar an die Stiefel an. Außerordentlich fein sind die Blau⸗ fuchspelze der Frauen der Polareskimos; sie haben stets vorn den blendendweißen Einsatz aus Schnauzenteilen des Weißfuchses. Statt der Kapuze tragen die Frauen gegebenenfalls einen sackartigen Ansatz für den Säugling; auch kommen hier allein lose Kapuzen vor. Die Haare werden hier nur selten in eine Art Knoten geschlungen, während sie bei den Westgrönländerinnen zylinderartig emporgehoben sind und bei den Ostgrönländerinnen einen breiten Kamm bilden. Es wäre von erheblichem wissenschaftlichen Interesse, die Unterschiede

nicht nur in materiellen Gegenständen, sondern auch in Sitten und

Auffassungen bei den drei Eskimogruppen festzulegen. Die Archäologie könnte da manchen Dienst leisten, zumal sie unabsehbare Zeiten gegenüber der meist nur eine kurze Spanne Zeit währenden ethnologischen Beobachtung umfassen kann. So lehrt uns z. B. die Archäologie, daß an der Ostküste Grönlands nicht nur die zweite deutsche Nordpolexpedition (1869 70) fast 12 nördlicher, als die nördlichste Ansiedelung Angmagsalik heute liegt, nämlich unter 77° nördlicher Breite, Spuren der Eskimokultur fand, sondern daß Mylius⸗Erichsens Danmark⸗Expedition Reste von Eekimoansiedlungen sogar unter 82 0 8“/ im Hagensfjord antraf. Da nun auch in Nordwestgrönland die Spuren bis etwa in dieselbe Breite reichen, bis zur Polarisbai an der Ostseite des Robesonkanals, so ist es sehr wohl möglich, daß die Eskimos auch auf dem Wege um die Nordspitze von Grönland auf dessen Ostseite gelangt sind.

Im Königlichen Institut für Meereskunde in Berlin finden in der kommenden Woche folgende öffentliche Vorträge und volkstümliche Vortragsreihen statt: Am Dienstag spricht der Pro⸗ fessor J. Reinke⸗Kiel über die Entwicklung der Dünen auf den ostfriesischen Inseln 8 Lichtbildern); am Mittwoch der Professor W. Laas⸗Berlin über den Stapellauf (5. Vortrag der Reihe: Ein⸗ blicke in den Schiffbau, mit Lichtbildern und Demonstrationen). Der für den 10. Februar angekündigte Vortrag von Dr. L. Brühl⸗ Berlin: „Was das Meer für die Avpotheke liefert“ muß auf den 3. März verschoben werden; statt dessen hält an jenem Tage der Geheimrat A. Penck⸗Berlin seinen Vortrag über eine Fahrt nach Spitzbergen, der ursprünglich für den 3. März ang esetzt war. Die für diese Vorträge gelösten Karten behalten ihre Gültigkeit für den Abend, an dem der betreffende Vortrag nunmehr wirklich statt⸗ findet, oder werden an den Kassen zurückgenommen. Die Vorträge beginnen alle um 8 Uhr Abends. Eintrittskarten zu 0,25 sind an den Vortragsabenden von 6 Uhr an in der Geschäftsstelle (Georgen⸗ straße 34 36) zu haben.

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Der Verein für deutsches Kunstgewerbe veranstaltet am

8. d. M., Abends 8 ½ Uhr, im großen Festsaale des Künstlerhauses

einen Fachabend, welcher der Verwendung der Schmucksteine im Kunst⸗

gewerbe neue Wege erschließen soll. Eine umfangreiche und wertvolle

Ausstellung von Rohsteinen, Halb⸗ und Ganzfabrikaten wird den Er⸗

örterungen als Grundlage dienen. An der Ausstellung sind namhafte Berliner und auswärtige Firmen beteiligt.

Land⸗ und Forstwirtschaft.

An der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin findet in der Woche vom 6. bis 11. März ein land⸗ wirtschaftlicher Unterrichtskursus für praktische Land⸗ wirte und Verwaltungsbeamte statt. Die Teilnahme ist sowohl am ganzen Kursus als auch an einzelnen Tagen möglich. Auskunft hierüber erteilt das Rektorat der Hochschule, Berlin N. 4, Invalidenstraße 2

Verkehrswesen. 8

Der Umfang der Fernsprecheinrichtungen auf der Erde. Nach einem Aufsatz in Electrical Review and Western Electrician vom Juni v. J. betrug am 1. Januar 1910 die Gesamt⸗ zahl der auf der Erde im Betrieb befindlichen Fernsprechapparate etwa 10 ¼ Millionen, die Drahtlänge s 38 678 000 km und das in den Kapital schätzungsweise 6 Milliarden Mark. Die Vereinigten Staaten von Amerika standen sowohl was die Zahl der Sprechstellen (7 083 900), als was die Drahtlänge (25 140 000 km) anlangt, an erster Stelle; die zweite nahm Deutschland mit 940 966 Sprech⸗ stellen und 5 192 400 km Drahtlänge ein, die dritte England mit 615 900 Sprechstellen und 2 970 000 km Draht. Frankreich steht an fünfer Stelle (211 600 bezw. 1 222 700); Rußland an siebenter (155 715 bezw. 451 000), Italien an zwölfter (56 400 bezw. 163 000). In Europa steht Deutschland mit 35,5 v. H. aller Sprech⸗ stellen und 44,1 v. H. der gesamten Leitungslänge an der Spitze. Bringt man die absoluten Zahlen in Beziehung zur Ein⸗ wohnerzahl, so verschiebt sich das Bild teilweise zugunsten kleinerer Länder mit gut entwickelter Industrie und ausgedehntem Handel. Das Uebergewicht der Vereinigten Staaten von Amerika bleibt aber auch hier bestehen. Es entfallen nämlich auf je 100 Einwohner in den Vereinigten Staaten 7,6 Sprechstellen. Deutschland steht hier mit 1,5 Sprechstellen auf 100 Einwohner erst an 9. Stelle; vor ihm stehen außer den Vereinigten Staaten nach Canada (3,7), Däne⸗ mark (3,3), Schweden (3,1), Neu⸗Seeland (2,6), Norwegen (2,3), Schweiz (2,0) und Neu⸗Südwales (1,6); England folgt (mit 1,3) un⸗ mittelbar hinter Deutschland; Frankreich hat nur 0,5, Osterreich 0,3, Italien 0,2, Rußland nur 0,1 Sprechstellen auf je 100 Einwohner. In Europa haben im Durchschnitt unter 1000 Einwohnern 5,4 einen Cö““ Unter den Städten haben Los Angelos in Kali⸗ ornien und Stockholm das dichteste Fernsprechnetz. Dort kommen 60 000. Sprechstellen auf 240 000 Einwohner, d. s. 25,4 Sprechstellen auf 100 Einwohner; in der schwedischen Hauptstadt, die 340 000 Einwohner und 58 000 Sprechstellen zählt, entfallen 17,1 Sprechstellen auf 100 Einwohner. In Berlin kamen am 1. Januar 1909 auf 100 Ein⸗ wohner 5,2 Sprechstellen, in Hamburg 5,1, in London 2,5, in Paris 2,; und in Wien 1,8. Der im Jahre 1909 auf der Erde ab⸗ gewickelte Fernsprechverkehr soll sich schätzungsweise auf 19 178 000 000 Gespräche belaufen haben, von dem fast 70 v. H. in den Ver⸗ einigten Staaten geführt sein sollen. Im Fernsprechverkehr auf der ganzen Erde sollen etwa 260 000 Personen beschäftigt sein. Die drei wichtigsten Nachrichtenbeförderungsmittel Brief, Telegraph und Fernsprecher stehen in den Vereinigten Staaten und in Europa in folgendem Verhältnisse zu einander: Im Jahre 1907 fielen von dem Gesamtverkehr in Europa auf die Briefsendungen 75,95 v. H., in den Vereinigten Staaten 38,27 v. H., auf die Telegramme in Europa 1,73 v. H., in den Vereinigten Staaten 0,46 v. H., endlich auf die Telephongespräche in Europa 22,32 v. H., in den Vereinigten Staaten 61,27 des Gesamtverkehrs. Der Briefverkehr war in den Vereinigten Staaten 2,4 mal, der Telegrammverkehr 1,2 mal und der Fernsprechverkehr 12,8 mal so stark wie in Europa.

Laut Telegramm aus Dresden ist die Post aus Oesterreich, die heute vormittag 10 ¼ Uhr in Berlin fällig war, ausgeblieben. Grund: Anschlußversäumnis in Tetschen. 1

Nach einem Telegramm aus Cöln hat ferner infolge von Zug⸗ verspätung in Belgien die Pariser Post den Anschluß an Bahn⸗ post 9 Cöln Hildesheim, Zug 31, nicht erreicht.

Theater und Musik.

Schillertheater O. (Wallnertheater).

Im Schillertheater O. fand gestern eine Uraufführung statt; „Der Kaiser“, Drama in fünf Akten von Hans von Kahlen⸗ berg und Hans Olden wurde zum ersten Male gegeben und fand einen lauten äußeren Erfolg, der aber nicht mit den inneren Eigen⸗ schaften des Stückes übereinstimmte. An und für sich ist der Grund⸗ gedanke des Dramas nicht übel; es soll die Seelennot eines Fürsten darstellen, bei dem Menschentum und Herrscherpflicht nicht harmonieren, dessen gute Absichten von seinen Dienern durchkreuzt und von seinen Untertanen verkannt werden und der schließlich an dem Unvermögen, seinen schwachen Willen durchzusetzen, zugrunde geht. Aus dem Rohmaterial des Stückes ließe sich wohl ein ebenso gedankentiefes wie bewegungs⸗ reiches und packendes Drama aufbauen, statt dessen aber bieten die Verfasser Reflexion und gemeinplätzliche Sentenzen. Das Stück spielt zwar im phantastischen Kaiserreiche Nordland“, aber nicht in einer entlegenen Epoche, sondern in der Jetztzeit und ist mit vielen An⸗ spielungen auf Verhältnisse und Dinge, die allen bekannt sind, erfüllt. Dennoch bleibt bei all diesen Andeutungen der Sinn recht dunkel. Das

Schillertheater hatte an die Aufführung, die Herr Wilhelm Röntz gut

der Fernsprechleitungen rund Fernsprecheinrichtungen angelegte