1 “ “ “ In der Zweiten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruchtmärkten für den Monat Januar 1911 veröffentlicht. “
Oesterreich⸗Ungarn.
Der Ausschuß der Ungarischen Delegation für Auswärtige Angelegenheiten setzte in der gestrigen Sitzung die Verhandlungen über das Budget des Aeußern fort.
Der Abg. Szuelloe sprach dem Minister Grafen Aehrenthal, „W. T. B.“ zufolge, Vertrauen aus für seine zielbewußte Politik und beglückwünschte ihn zu der Potsdamer Entrevue, die Rußland dem Dreibunde näher gebracht habe. Der Geschickrichkeit des Grafen Aehrenthal sei es auch zuzuschreiben, daß Ungarn von seiten Deutsch⸗ lands eine so glänzende Genugtuung bei der letzten Anleihe erhalten habe. — Die Abgg. Shagy, Laßkary und Mailath besprachen die rumänische Irredenta, die nicht minder gefährlich sei als die italienische. — Der Minister Graf von Aehrenthal ging zunächst auf verschiedene Bemerkungen ein, nach denen sein Exposé schönfärberisch gehalten sei und ein Unterschied zwischen der optimistischen Einleitung und dem ernsten Schlusse des Exposé bestände. Demgegenüber führte der Minister aus, wenn er die Beziehungen zu allen Mächten als vertrauensvoller bezeichnet hatte, so habe er damit aus⸗ drücken wollen, daß sich das zu verwirklichen beginne, was er in seinem Expos6 vom vorigen Oktober an⸗ gedeutet habe. Er habe speziell damals gesagt, der Dreib nd richte gegen niemand eine Spitze. „Wir betrachten“, betonte der Minister, „die Gruppierung der anderen Mächte mit jener Unbefangenheit, von der wir wünschen, daß sie auch uns gegenüber zur Anwendung gelange; wir wollen die Harmonie zwischen den Kabinetten befestigen.“ Er Feer⸗ glaube, daß in den Ausführungen seines Exposés über die
Zeziehungen Oesterreich⸗Ungarns zu Rußland, Frankreich und England
Symptome einer solchen unbefangenen Haltung dieser Mächte Oesterreich⸗Ungarn gegenüber zum Vorschein kämen. Ebenfalls ein Symptom, und zwar ein bedeutsames, sei die vielbesprochene Rede des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg vom 10. Dezember gewesen, in der konstatiert worden sei, daß die Beziehungen Deutsch⸗ Fnge zu England und Rußland in freundschaftlicher Entwicklung be⸗ griffen seien. Was besonders die Potsdamer Entrevue betreffe, so wiederhole er, daß die dortigen Besprechungen auch den Interessen⸗ Oesterreich Ungarns nützen können, weil dort unter anderem auch das bekannte Programm Oesterreich Ungarns im nahen Orient neuerdings bekräftigt worden sei. Dabei stellte Graf Aehren⸗ thal fest, daß er von diesen Besprechungen nicht vorher, sondern nachträglich unterrichtet worden sei, was auch begr eiflich sei. „Denn“ — so erklärte der Minister — „wären wir vorher informiert gewesen, dann wären wir Teilnehmer dieser Besprechung gewesen, was nicht der Fall war.“ Graf Aehrenthal trat sodann den Aeußerungen entgegen, als ob in Europa eine andere Gruppierung der Mächte im Anzuge sei. Das Verhältnis der Dreibundmächte untereinander sei ausgezeichnet und womöglich fester und inniger denn je. Er glaube also, ruhig sagen zu können, daß er seine Politik konform seinen wiederholten Darlegungen in der Delegation fortgesetzt habe. Der Minister trat weiter kategorisch der von Batthyany in der letzten Sitzung ausgedrückten Anschauung entgegen, daß die Ausgestaltung der österreichisch⸗ ungarischen Flotte gewissermaßen auf Wunsch Deutschlands er⸗ folge. Diese aus der englischen Presse stammende Legende werde jetzt selbst in der englischen Presse nicht mehr geglaubt. Ebenso unrichtig gei daß die Ausgestaltung der Flotte Oesterreich⸗Ungarns gegen dessen Bundesgenossen Italien gerichtet sei. Oesterreich⸗Ungarn habe diese Ausgestaltung vornehmen müssen, weil es rück⸗ ständig gewesen und vor der Alternative gestanden hätte, entweder seine Flotte auszugestalten oder überhaupt keine Flotte zu unterhalten. Selbstverständlich habe diese Vermehrung absolut keine Spitze gegen irgend jemand. Er bedaure derartige Aeußerungen, weil sie geeignet seien, Mißtrauen gegen die Politik der österreichisch⸗ ungarischen Monarchie zu erwecken und Lärm in gewissen Tages⸗ blättern hervorzurufen. Der Abg. Nagy habe vollkommen richtig den Satz formuliert, daß jeder Staat auf seinem Territorium diejenigen Maßnahmen treffen könne, die er für notwendig halte, ohne daß daraus auch nur die geringste Aggressivität gefolgert werden könnte. Er — der Minister — könne sich dem nur pollinhaltlich anschließen. Ebenso richtig seien die Ausführungen Nagys, daß Oesterreich⸗Ungarn sich deshalb, weil momentan eine ruhige Situation herrsche und seine Beziehungen zu allen Mächten be⸗ friedigend seien, nicht weiter um mögliche Komplikationen be⸗ kümmern solle. „Aufgabe der Regierung ist es“, erklärte Graf Aehrenthal, „sich mit der Zukunft und mit allen Eventualitäten zu befassen. Die Sorge für die eigene Sicherheit müssen wir selbst tragen. Das tun nicht nur alle Großmächte, sondern auch die kleinen Staaten, wie beispielsweise die neutrale Schweiz, wo für den Kopf der Bevölkerung die Kosten für die Militärlasten etwas mehr betragen als bei uns“. Gegenüber dem Vorwurfe, als ob er dem Abrüstungsvorschlage des Präsidenten Taft gegenüber kein genügendes Entgegen⸗ kommen bewiesen habe, wiederholte Graf Aehrenthal seine in der österreichischen Delegation abgegebene Erklärung. Hinsichtlich der Türkei und der Balkanstaaten erkärte der Minister, daß Oesterreich⸗Ungarn dort konsequent sein bereits vor 25 Jahren ver⸗ einbartes Programm befolge, dessen Grundsatz auch heute noch die selbständige und friedliche Entwicklung der Türkei und der Balkan⸗ staaten sei, und zwar betrachte Oesterreich Ungarn diese Entwicklung als Selbstzweck und suche dahinter keinen andeten Zweck. Es wolle, daß dort Friede und Ordnung herrsche, weil dies seinen Interessen am meisten entspreche, und es wünsche, daß die Türkei mit Klugheit und Festigkeit an ihrer inneren Konsolidierung weiter arbeite. Hinsichtlich Rumäniens, betonte Graf Aehrenthal, daß, wann immer sich gewisse Erscheinungen sporadisch wiederholen, die Haltung jeder rumänischen Regierung, welcher Partei sie immer asgehörte, stets durchaus einwandfrei gewesen sei. Graf Aehrenthal stellte mit Be⸗ friedigung fest, daß in der jüngsten Zeit sowohl in der Presse Ungarns als in der Rumäniens ein konzilianter Ton angeschlagen worden sei, und sprach die Hoffnung aus, daß diese Dispositionen auf beiden Seiten festgehalten werden würden, was selbstverständlich den Bestrebungen der maßgebenden Faktoren nur zugute kommen könne. Hinsichtlich des Verhältnisses zu Serbien stimmten alle in der Freude über die Herstellung normaler politischer und wirt⸗ schaftlicher Beziehungen überein. Der Minister schloß sich dem Wunsche an, daß diese Beziehungen sich immer reger gestalten möchten. Selbstverständlich könne diese Entwicklung nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit vor sich gehen.
Der Ausschuß nahm hierauf das Budget des Aeußern im allgemeinen und im besonderen an und sprach dem Minister des Aeußern für seine richtige Leitung der auswärtigen Politik der Monarchie Anerkennung und Vertrauen aus. 8
8 Großbritannien und Irland.
Die feierliche Eröffnung des Parlaments durch den König Georg in Person hat gestern mit dem üblichen großen Zeremoniell stattgefunden. In der Thronrede, die der König verlas, heißt es, „W. T. B.“ zufolge, imEingang:
„Indem ich das erste unter meiner Regierung gewählte Parlament eröffne, gedenke ich vor allem des schmerzlichen Verlustes, den das Reich durch den Tod meines geliebten Vaters erlitten hat. Als er vor Jahresfrist seine Thronrede an Sie richtete, hbätte niemand vor⸗ aussehen können, daß sein Leben, das er in unermüdlicher opferwilliger Tätigkeit dem Wohle seiner Untertanen widmete, in kurzer Zeit plötz⸗ lich beendet sein sollte. Indem ich mich dem unerforschlichen Rat⸗ schluß der Vorsehung beuge, schöpfe ich aus seinem Beispiel Mut und
“ “ 1 “ “ fühle mich in meinem tiefen Kummer durch die Teilnahme getröstet, die mir von meinem Volke in jedem Teile meines Reichs dargebracht worden ist.“
Der König hieß sodann den nach Vollendung seiner Mission aus Südafrika zurückgekehrten Herzog von Connaught will⸗ kommen und gab seiner lebhaften Genugtuung darüber Aus⸗ druck, daß der Herzog von allen Klassen des südafrikanischen Gemeinwesens mit Kundgebungen der größten Begeisterung und Loyalität empfangen worden sei. Die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten bezeichnet die Thronrede als an⸗ dauernd freundlich und kündigt sodann an, daß infolge der Kündigung des Handelsvertrages seitens der japanischen Regie⸗ rung Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Vertrages eingeleitet seien, die, wie zu hoffen sei, zu einem befriedigenden Abkommen führen würden. Hierauf heißt es weiter:
„Die häufigen Klagen über Schädigungen des britischen Handels durch die fortgesetzte Unsicherheit auf den Handelsstraßen im südlichen Persien haben meine Regierung bewogen, obwohl mit Wider⸗ streben, energische Vorstellungen an die persische Regierung zu richten, die seither der Angelegenheit ihre Aufmerksamkeit zugewendet hat. Es hat sich in der letzten Zeit eine gewisse Besserung in dem Zu⸗ stande der Straßen bemerkbar gemacht, und meine Minister schlagen daher vor, die weitere Entwicklung abzuwarten, bevor sie auf die An⸗ nahme ihrer eigenen Vorschläge dringen, die in jedem Falle kein anderes Ziel verfolgen, als das Ansehen der persischen Regierung wiederberzustellen und den Handel zu schützen.“
„Mit großem Interesse sehe ich der im kommenden Mai zu⸗ sammentretenden Reichskonferenz entgegen, in der sich die leitenden Minister meiner Selbstverwaltungskolonien und des Mutterlandes vereinigen werden, um über wichtige Angelegenheiten zu beraten, die ihnen von den einzelnen Regierungen unterbreitet werden sollen.“
Der König erklärte sodann, daß er die Absicht habe, nach den Krönungsfeierlichkeiten die indischen Besitzungen wieder zu besuchen und dort eine Versammlungabzuhalten, um seinen Untertanen in Person bekannt zu geben, daß er die Nachfolger⸗ schaft in der Kaiserlichen Krone Indien angetreten habe. Die Thronrede kündigt ferner Vorschläge an für die Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Häusern des Parlaments zum Zwecke eines wirksameren Ar⸗ beitens der Verfassung, ferner Maßregeln zur Ausdehnung der Alterspensionen auf Personen, die bisher infolge des Genusses von Armenunterstützungen kein Anrecht darauf besaßen, weiter die Einführung einer Versicherung der Industriebevölkerung gegen Krankheit und In⸗ validität und einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit in den Industriezweigen, in denen sie vorzugsweise zutage tritt.
— Das Unterhaus versammelte sich gestern nachmittag, um über die Adresse zur Beantwortung der Thronrede zu beraten.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ über den Verlauf der De⸗ batte berührte Balfour, da Sir Edward Grey wegen des Todes seines Bruders abwesend war, die äußere Politik nicht. Er kritisierte Winston Churchill wegen der Ruhestörungen in Süd⸗Wales und be⸗ zeichnete die Affaire in Sidney⸗Street als eine Vereinigung dunkelster Tragödie mit etwas, was fast einer Farce glich. Mit Bezug auf die Erklärung der Thronrede über das Budget gab Balfour der Ueber⸗ zeugung Ausdruck, daß die vermehrten Ausgaben für Zwecke der Verteidigung absolut notwendig seien, und hieß die Andeutung willkommen, daß der Marineetat eine Erhöhung zeigen werde. Er bedauerte den Abschluß des Reziprozitätsabkommens zwischen Amerika und Canada und erklärte, daß das Abkommen ein großes Unglück für das Reich sein würde, wenn es ratifiziert werden wüuͤrde. Bezüglich der Verfassungsfrage sagte Balfour, die Regierung habe [dem Hause in der berühmten Vorrede zur Parlamentsbill er⸗ klärt, daß sie eine Zweite Kammer, die so zusammengesetzt sei, daß sie die Verfassung wirksam sichere, für eine Notwendigkeit halte. Wolle die Regierung eine solche Kammer gewähren oder beabsichtige sie, ihre knappe Mehrheit zu einer fundamentalen Aenderung der Verfassung auszunutzen? — Der Premierminister Asquith sagte über Balfours Aeußerungen, daß er eine starke Ver⸗ mehrung der Ausgaben für die Verteidigungskräfte annehme; er könne Balfour nur raten, eine Haltung geduldigen Abwartens anzunehmen, und fuhr dann fort: „Obschon ich mich jeder eingehenden Bezugnahme auf die auswärtigen Angelegenheiten bei der Abwesenheit von Sir Edward Grey enthalten möchte, so kann ich doch die konventionelle Wendung der Thronrede erweitern und sagen, daß sich unsere inter⸗ nationalen Freundschaften, die, wie das Haus und das Land wissen, keine ausschließlichen sind und keine feindseligen Folgerungen oder Tendenzen in sich schließen, im Laufe der Jahre vertieft und ver⸗ stärkt haben. Im Namen der Regierung, und ich glaube, unter voller Zu⸗ stimmung der Mitglieder aller Parteien des Hauses erwidere ich auf das herzlichste die herzlichen und freundlichen Ausdrücke, die der hervor⸗ ragende Minister der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs mit Bezug auf Großbritannien vor einigen Tagen gebraucht hat. Ich will auch die Gelegenheit ergreifen, um auf die Tatsache hinz weisen, daß in diesem Jahre die Feier des fünfzigsten Jahrestages der Begründung der Einheit Italiens fallen wird. Diese Einheit wurde erstritten und erzwungen unter der Sympathie der großen Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes. Und seitdem die Einheit erreicht ist, hat eine unerschütterte Herzlichkeit zwischen beiden Königreichen bestanden, ist eine rauernde auf wechselseitigem Verstehen und Wohl⸗ wollen gegründete Freundschaft errichter worden.“ Asquith erklärte sodann weiter, daß das Abkommen Canadas mit Amerika eine Angelegenheit zwischen beiden Ländern von strikt provisorischer Art und auf ihre eigene Verantwortlichkeit hin abgeschlossen sei. Bis man wisse, ob es den Beifall der öffentlichen Meinung und des Parlaments Canadas finde, werde man klug daran tun, sich der Kritik zu enthalten. Er sei völlig gewiß, daß man nichts häͤtte tun soll n, um den natürlichen Gang der Ereignisse oder irgend etwas zu verhindern, was schließlich Canada zum Vorteil gereicht haben würde. Darauf kam der Premierminister auf die Be⸗ ziehungen zwischen den beiden Häusern des Parlaments zu sprechen und sagte, die Regierung habe bei den letzten Wahlen die Zustimmung des Volkes zu ihrem Plane der konstitulionellen Reform erhalten und eine Mehrheit erlangt, die jeder englische Minister als völlig hinreichend angesehen haben würde, um die größten konstitutionellen und sozialen Aenderungen zu rechtfertigen. Er nehme nach dem Verdikt der beiden letzten Wahlen an, daß die Vorschläge der Regierung ohne lange und mühsame Verhandlungen Gesetz werden würden. Die Regierung würde reichliche Gelegenheit zur Diskussion geben, aber sie hoffe und glaube, daß die Vorschläge nach der Annahme durch das Unterhaus rechtzeitig an das Oberhaus gelangen würden, um dort noch vor der Krönung beraten zu werden.
— Ueber den Verlauf der Adreßdebatte im Oberhause liegt folgender Bericht des „W. T. B.“ vor:
Lord Lausdowne erklärte unter Bezugnahme auf die jüngsten beunruhigenden Berichte aus Mazedonien über die bei der Entwaffnung angewendeten Mittel, er wisse nicht, ob die britische Regierung von diesen Vorgängen unterrichtet sei, aber er hoffe zu hören, daß sie mit wachsamem Auge beobachtet würden. Man könne nicht überrascht sein, wenn die Kommentare darauf hinaus liefen, daß das Vertrauen in das neue konstitutionelle System in der Türkei ernstlich erschüttert sei. Er sei erstaunt, daß in der Thronrede nichts über die Londoner Deklaration gesagt sei. Die Mehrzahl des Hauses hätte es gern geseben, wenn ein internationales Prizengericht an die Stelle der nationalen Prisengerichte g setzt worden wäre, auf die man sich jetzt verlassen müsse. Aber ihre Zustimmung sei ab⸗ hängig von zwei Dingen gewesen, nämlich von einer befriedigenden
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8 — 8 Zusammensetzung des Gerichtshofs selbst und von einer befriedigenden Fassung der Bestimmungen, nach denen der Gerichtshof sich zu richten habe. Die Stellung Großbritanniens sei verschieden von der jeder anderen Macht, und aus diesem Grunde sei es entschuldbar, wenn es diese Angelegenheit mit kritischerem Auge betrachte als andere Mächte. In einer ausführlichen Be⸗ sprechung der konstitutionellen Frage sagte Lansdowne, die Regierun
sei noch abhängig sowohl von der irischen wie von der Arbeiterpartei. Er empfehle dringend, daß man die Beratungen der Vetokonferenz nicht ungenützt lassen sollte und daß eine hinreichende Zeit für eine volle Erörterung der Vetobill gewährt werden müsse. — Lord Crewe versprach dies bereitwillig und erklärte so⸗ dann weiter, er hoffe, daß die Bezugnahme der Thron⸗ rede auf die auswärtigen Beziehungen dahin auf⸗ gefaßt werde, daß sie ein wenig mehr bedeute als eine allgemeine Form, daß, wo Schwierigkeiten bestanden hätten, jetzt ein lebendiger Wunsch vorherrsche, diese Schwierigkeiten zu vermindern und, wenn möglich, zu beseitigen. Lord Crewe sagte weiter bezüglich Persiens, die Frage der Straßen in Südpersien habe der Regierung große Sorge verursacht. Sir Edward Grey habe viele Beschwerden von Handelskammern und anderen an dem Handel Persiens interessierten Körperschaften über die Verhältnisse auf diesen Straßen erhalten. Die Regierung habe sich vor Augen halten müssen, daß in einem Lande wie Persien der Zustand politischer Unruhe auf Handel und Verkehr in einer Weise einwirke, wie dies in anderen mehr geordneten Ländern nicht der Fall zu sein brauche. Der Redner schloß seine Bemerkungen über Persien mit folgenden Worten: „Das ist der Grund, warum wir uns gezwungen gesehen haben, der persischen Regierung Vorstellungen zu machen. Zu gleicher Zeit ist aber eine gewisse Besserung zu verzeichnen gewesen, und wir wünschen möglichst viel Geduld zu zeigen. Wir werden nur mit nicht geringem Widerwillen die Aufgabe übernehmen, Offiziere für die Reorganisation der persischen Polizei zu stellen, was von Sir Edward Grey als möglich bezeichnet worden ist, denn wir wünschen so weit als möglich Persien aus eigener Kraft und nach seinen eigenen Plänen und durch sein eigenes Volk fortschreiten zu sehen. Aber es kann freilich eine Zeit kommen, wo es für uns nötig werden mag, zu erklären, und wo auch Persien dem voll zustimmen mag, daß irgend eine Hilfe von außer⸗ halb für das Land erforderlich ist.“ Bezüglich Mazedoniens er⸗ klärte Lord Crewe, daß Sir Edward Grey die Berichte über eine barbarische Behandlung der Bevölkerung bei der Entwaffnung mit größter Sorgfalt prüfen würde. Jeder hoffe, daß die türkische Re⸗ gierung ihre Verantwortlichkeit für eine gerechte Behandtung aller Rassen und Glaubensbekenntnisse in jenem Teile des türkischen Reiches anerkennen würde. Der Minister sagte dann weiter, es sei gewiß der Wunsch der Regierung, daß die Veto⸗Bill in beiden Häusern in ausreichender Weise erörtert werde. Die Regierung habe bei den letzten Wahlen ein Vertrauensvotum vom Volke erhalten. Was die Londoner Deklaration angehe, so sei die wirkliche Frage, was man durch ein internationales Abkommen erreiche. Man müsse zu einem System kommen, daß Großbritannien in eine stärkere, auf jeden Fall aber in keine schwächere Stellung versetze, als wenn kein solches Abkommen geschlossen werde. Die Frage werde auf der Kolonialkonferenz und in beiden Häusern erörtert werden, bevor eine Ratifizierung erfolge. Im Verlauf seiner Rede erwähnte Lord Crewe die Reise des deutschen Kronprinzen und sagte: „Ich möchte der Befriedigung Ausdruck geben, die wir über die erfolgreiche und, wie ich hoffe, genußreiche Rundreise empfunden haben, die Seine Kaiserliche Hoheit der deuische Kronprinz in diesen Tagen durch Indien unternommen hat.“ 8
Das Haus nahm darauf die Adresse an.
Frankreich.
Die Deputiertenkammer hat gestern den Gesetzentwurf, der bestimmt, daß nur die aus der Champagne stammenden Weine als Champagner bezeichnet werden dürfen, mit 411 gegen 108 Stimmen angenommen.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ über den Verlauf der Debatte sprachen sich mehrere Deputierte der an das Weinbaugebiet der Champagne angrenzenden Gegenden gegen den Entmwurf aus, der die Freiheit des Handels beeintrachtige und die Trustbildung begünstige. Der Generalberichterstatter des Budgets verteidigte den Entwurf, der eine logische Erweiterung der Gesetze zur Unterdrückung der Nahrungs⸗ mittelverfälschung bedeute. Nach Schluß der Generaldiskussion wurde der Uebergang zur Spezialdiskussion mit 344 gegen 154 Stimmen beschlossen. In dieser wurden die drei ersten Artikel des Cham⸗ pagnergesetzentwurfs angenommen. Artikel 4, der eine Steuer von 5 Centimes auf die Flasche zur Bestreitung der Kosten für die Kontrolle fesisetzt, wurde von mehreren Abgeordneten bekämpft. Darauf wurde die Zurückstellung des Artikels 4 trotz seiner Befür⸗ wortung durch Regierung und Kommission mit 260 gegen 241 Stimmen beschlossen. Der Finanzminister erklärte sodann, er werde nunmehr vorschlagen, die Stener von 5 Centimes auf die Flasche in das nächste Finanzgesetz einzufügen Die letzten Artikel und das Gesetz im ganzen wurden schlietlich, wie oben gemeldet, angenommen.
Rußland.
In der gestrigen Sitzung der Reichsduma stand der Finanzplan für die Einführung des obligatorischen Elementarunterrichts zur Beratung. In der Vorlage wird eine jährliche obligatorische Ausgabe von 10 Millionen Rubel für die Dauer von zehn Jahren gefordert und der Ver⸗ teilungsplan für die zu gründenden Schulen den Selbstver⸗ waltungsbehörden übertragen.
Wire „W. T. B“ meldet, erklärte der Finanzminister Kokowtzow, daß die Regierung mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Frage bereit sei, diese jährliche Ausgabe für den genannten Zweck festzusetzen. Das Zentrum stimmte der Vorlage zu, will aber nicht über 8 Millionen Rubel bewilligen. Der Staat müsse bei der Festlegung obligatorischer Ausgaben Vorsicht beobachten.
Die Duma nahm die Gesetzvorlage unter Bewilligung von 10 Millionen Rubel jährlich an.
Spanien.
Der Ministerrat hat, wie „W. T. B.“ meldet, die
Gesetzentwürfe, betreffend die Reorganisation der Artillerie⸗ werkstätten und des Artilleriearsenals in Carraca, um dort Kanonen bauen zu können, betreffend die Forderung von Krediten zur Vollendung der Hafenanlagen in Melilaa, Ceuta, Algeciras und Vigo (der Anschlag für Melilla erreicht die Höhe von 15 Millionen) und ferner betreffend einen außerordentlichen Kredit zur Unterstützung der Familien der bei den letzten Stürmen an der Küste des Mittelländischen Meeres Um⸗
gekommenen, genehmigt. 8 “
Niederlande.
In der Ersten Kammer wurde gestern im Laufe der Debatte über das Budget des Ministeriums des Aeußern von dem Antirevolutionär Franssen die Haltung des Ministers des Aeußern in der Angelegenheit van Heeckeren getadelt.
Wie „W. T. B meldet, sagte Franssen, der Minister habe den Eindruck erweckt, daß Kuyper erklärt habe, im Jahre 1904 habe sich nichts Positives ereignet. Diese Haltung des Ministers sei nicht aufrich ig gewesen. Swinderen antwortcte, er sei bei Besprechung dieser Angelegenbeit so aufrichtig wie möglich gewesen, und versicherte abermals, daß 1904 nichts Positives vorgekommen sei, was eine unstatthafte Einmischung einer sremden Macht in innerholländische Angelegenheiten beweisen⸗ könnte. “ 8
Der Minister des Aeußern v. Marees van
Griechenland.
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ ist der Kandidat der Venizelospartei Stratos mit 249 von 276 abgegebenen Stimmen zum Präsidenten der revisionistischen Kammer ge⸗ wählt worden.
8
Serbien.
In der gestrigen Sitzung der Skupschtina richtete der Nationalist Agatanovic an den Minister des Aeußern eine Anfrage, in der behauptet wird, Oesterreich handle dem österreichisch⸗serbischen Handelsvertrage zuwider, verstärke seine Garnisonen an der bosnisch⸗serbischen Grenze und sammle Truppen längs der Drina an. Die Anfrage, die dem ab⸗ wesenden Minister des Aeußern übermittelt werden wird, stützt sich, „W. T. B.“ zufolge, auf Meldungen einzelner serbischer Blätter, besonders der „Politika“ über angebliche hastige militärische Vorkehrungen in Bosnien und über eine Verstärkung der österreichischen Garnisonen an der Ostgrenze.
Dänemark. In der heutigen Sitzung des Folketings brachte der Finanzminister Neergaard, „W. T. B.“ zufolge, einen Gesetz⸗ entwurf ein, betreffend Abänderung der Gesetze über Stempel⸗ und Protokollierungsabgaben. Die Aende⸗ rungen, deren Ertrag auf 2 ⅜ Millionen Kronen berechnet wird, sollen am 1. Oktober 1911 in Kraft treten. Ferner sind vorgelegt worden: ein Gesetzentwurf, betreffend die Er⸗ höhung der Eisenbahntarife für die Personen⸗, Güter⸗ und Viehbeförderung auf den Staatsbahnen, von dem eine Einnahmeerhöhung von 3850 000 Kronen erwartet wird, ein Gesetzentwurf über Abgaben für öffentliche Vor⸗ stellungen und Aufführungen, dessen Ertrag auf 900 000 Kronen geschätzt wird, sodann Gesetzentwürfe über Fabrikaufsicht, Abgaben für Areale, auf denen Fabriken betrieben werden, über eine Wertzuwachssteuer in den⸗ jenigen Städten, die bei der Durchführung der Heerordnung Garnisonen erhalten, schließlich über die Zulassung von Beamten zu Nebenerwerben.
Amerika.
Das amerikanische Repräsentantenhaus erledigte gestern, „W. T. B.“ zufolge, die sogenannte Spion⸗-Bill, durch die das Photographieren und Zeichnen von Kriegsschiffen, Werften und Befestigungen verboten wird. Die Strafe beträgt tausend Dollars Geldstrafe bis zu mehreren Jahren Gefängnis und, wenn die Information an eine fremde Macht verkauf wurde, zehn Jahre Gefängnis.
Aus Kap Haitien (Haiti) wird, obiger Quelle zufolge, gemeldet, daß der von den Revolutionären für die Präsident⸗ schaft vorgeschlagene General Leconte im deutschen Konsulat gesucht habe und daß die Revolutionäre die Stadt Le⸗
rou eingenommen haben.
Asien. Wie dem „Reuterschen Bureau“ gemeldet wird, ist der
persische Finanzminister Sani ed Dauleh, auf den, wie ge⸗
meldet, am Sonnabend ein Attentat verübt worden war, seinen Verletzungen erlegen. Der Polizei gelang die Festnahme der beiden Mörder, nachdem sie einen von ihnen verwundet hatte. Da beide russische Untertanen sind, hat die russische Gesandt⸗ schaft ihre Auslieferung verlangt.
Koloniales.
Ueber die wirtschaftlichen Aussichten am Kilimandjaro in Deutsch⸗Ostafrika
entnimmt das „Deutsche Kolonialblatt“ einem Bericht des Bezirks⸗
amts Moschi die folgenden Mitteilungen:
Da der Bahnbau sich mit schnellen Schritten dem Bezirke nähert und voraussichtlich einen Strom von Ansiedlungslustigen bringt, die der alten Kilimandjarosage glauben und hier ein Paradies vermuten, so ist es an der Zeit, die Aussichten des Bezirks Moschi einmal zusammenhängend zu betrachten. Die Uebertreibungen der Johnston, Thomson, Peters usw. sind zwar durch die folgenden Reisenden, ins⸗ besondere Volkens, Schritt für Schritt berichtigt und reduziert worden, aber immer noch macht sich eine gefährliche Ueberschätzung der wirtschaftlichen Aussichten des Bezirks geltend. Gewiß ist, abgesehen von einigen wüstenähnlichen Tuffplateaus, der Boden fast überall gut, vielfach vorzüglich, weil er so⸗ wohl dort, wo er aus Urgestein besteht (Gneis in Pare, Granit von Umbulu bis ins Masai Reservat hinein: Lolgisale), als in den — weit überwiegenden — vulkanischen Gebieten tiefgründig verwittert ist. Er ist deshalb nicht nur geeignet, eine ausgezeichnete Viehweide zu trag,n, sondern stellt fast überall, wo eine Bewasserungsmöglichkeit gegeben ist, erstklassiges Kulturland dar. Ein schlagendes Beispiel ist die Oase Engaruka, wo ein vom Grabenrand herabstürzender Bach einen Strich von üppigster Fruchtbarkeit in eine traurige, mehlstaubige Dornöde hineingezaubert hat.
Der Mißstand des Bezirks ist das Mißverhältnis zwischen den riesigen Flächen ausgezeichneten Bodens und den spärlichen natürlichen Feuchtigkeitsquellen. Diese sind dreifacher Art: die Regenfälle und die danach zurück⸗ bleibenden Wasseransammlungen, die Seen, die Wasserläufe. Die Regenfälle, welche im ganzen Bezirke, abgesehen von lokalen Störungen durch die gröbten Wolkensammler (Kilimandjaro, Meru usw.), in zwei Gezeiten erfolgen, genügen in regelrechten Jahren, um die üblichen Negergewächse, dazu auch die Baumwolle, zur Reife zu bringen; sie zeitigen auch eine gute Weide, aber sie genügen schon nicht, diese Weide das Jahr hindurch frisch zu erhalten. So macht auch hier, wie fast überall in Afrika, das Vieh all⸗ jährlich ein bis zwei abwechselnde Fett⸗ und Magerzeiten durch. Stellenweise hinterlassen die Regenfälle Teiche und Tümpel, die bei nicht zu starker Inanspruchnahme bis zur nächsten Regenzeit aus⸗ deccen Die Seen sind fast durchweg so salzhaltig, daß sie für Be⸗ wässerungszwecke gar nicht, als Viehtränke nur dort in Betracht kommen tannen, wo zugleich frisches Wasser vorhanden ist. Hpdrographisch endlich zerfällt der Bezirk in zwei Teile, einerseits in das zum Pangani entwässernde Gebiet sudöstlich des Kilimandjaro-— Meru⸗Grabens, anderseits in das westlich davon gelegene abflußlose Gebiet. Jenes Gebiet — etwa 8000 qkm — ist für afrikanische Verhältnisse nicht nur reich bewässert, sondern die Wassermenge wird auch durch ein fast ideal zu nennendes Flußsystem zweckmäßig verteilt. Zu bemerken ist, daß diese günstigen hydrographischen Verhältnisse von der Erhaltung der Urwälder des Kilimandjaro und Meru ab⸗ hängig sind.
Die Wasseradern, die zu diesem Panganisystem zusammenlaufen, werden nun von den auf den Bergen sizenden Eingeborenen durch zahlreiche Bewässerungsgräben über die Felder geführt, so daß infolge des Verdunstens und Versickerns in der trockenen Zeit nur die stärksten dern bis an den Fuß des Berges gelangen. Da aber gerade hier sich zahlreiche europärsche Betriebe angesiedelt haben, welche bei ihrer roßzügtgeren Anlage ungleich mehr Wasser brauchen, als die zahllosen Kleinbetriebe der Eingeborenen, so waren Reibungen zwischen den oben sitzenden Wadschagga und den unten sitzenden Europäern an der agesorenung. Es ist indes gelungen, überall schriftliche Verträge zwischen den Interessenten zu vereinbaren, welche bis zum Inkraft⸗
treten einer Wassergesetzgebung die Wassernutzung (teils nach einem Tages. teils nach einem Stundenturnus) zur allseitigen Zufriedenheit regelten.
„Die gröͤßeren Adern (Burka, Nduruma, Kikuletwa, Sanya, Kikafu, Weru⸗Weru, Garanga, Rau, Himo) führen das ganze Jahr hindurch einen reichlichen Wasserüberschuß und können noch zur Be⸗ wässerung weiter Landstriche ausgenutzt werden. Es dürfte sich empfehlen, die Brauchbarkeit der großen Pangani —Daryama⸗
bene für den Baumwollbau für europäͤische Großbetriebe durch eine Versuchsstation festzustellen. Eine ausgedehnte Baumwollkultur könnte nur von einer großen organisierenden Korporation, welche einen systematischen Kanalbau ausführt, unter⸗ nommen werden; man wird deshalb mit der Vergebung von Baum⸗ wolland an Einzelunternehmer zurückhaltend sein müssen. Uebrigens ist die Nachfrage nicht groß, weil bei der absoluten Menschen⸗ leere des Gebiets die Arbeiterfrage ein noch ungelöstes Problem ist Doch sei hier bemerkt, daß die Masai, die bekanntlich sehr geschickte Kautschukzapfer sind, voraussichtlich nicht abgeneigt sein werden, auch auf Baumwollpflanzungen Latenarbeit zu suchen.
Die bisherigen Ansiedler zerfallen in Pflanzer und Vieh⸗
halter, von denen ein kleiner Teil bereits Viehzüchter ist, ein größerer sich bestrebt, es zu werden. Die Pflanzer sitzen sämtlich am Südabhange der beiden Berge, weil sie allein dort eine Be⸗ wässerungsmöglichkeit finden. Das bewässerungsfähige Land ist im großen und ganzen vergeben; sollten selbst noch einige Dutzend Pflanzungen von je 150 bis 250 ha herauszuschneiden sein, so würden sie für die Zukunft eines Bezirks von der doppelten Größe Württem⸗ bergs (40 000 qkm) und für die Rentabilität einer Bahn von 200 bis 300 km Länge immer noch bedeutungslos bleiben. An⸗ den anderen Seiten der beiden Berge sitzen die Viehhalter. Die dortigen Flüßchen werden zur Tränke und zur Bewässerung der Gärten schon jetzt völlig aufgebraucht, so daß dort weitere Siedlungen so gut wie ausgeschlossen sind. ie Pflanzer verlangen einen Sekundenliter Wasser für den Hektar. Das wären 86 400 1 binnen 24 Stunden. Braucht 1 ha wirklich dieses Quantum Wasser, so könnte man, statt 1 ha zu bewässern, 4000 Rinder oder 20 000 Schafe tränken. Dies dürfte dort, wo Weideland in unbegrenzter Menge vorhanden, Wasser aber knapp ist, als das rentablere erscheinen. Nun verhält sich aber leider der zum Pangani entwässernde Be⸗ zirksteil zu dem in das abflußlose Gebiet fallenden wie 1:5. Im abflußlosen Gebiet bildet die Landschaft Umbulu (mit Dungobösch, Engo⸗ tiek) eine wasserreiche, zum Manyarasee entwässernde Dase. Aber überall, wo Wasser ist, sitzen die Eingeborenen so dicht, daß für europäische A nsiedler kein Platz mehr vorhanden ist. Alles in allem werden in den ge⸗ nannten Landschaften einige Dutzend, vielleicht einige hundert Ansiedler Wasser genug finden, eine Zahl, die wohl alle Kiliman⸗ djarof eunde etwas enttäuschen wird. Man wird sich nach alledem nicht auf die Ausnutzung der natür⸗ lichen Wasserquellen beschränken dürfen. Es ist sogar anzunehmen, daß die bewilligte und im Bau begriffene Eisenbahn gebieterisch dazu zwingt, ohne Verzug an die künstliche Erschließung von Wasser zu gehen. Die geologische Formation läßt Wassererschließung durch Bohrung überall als aussichtsvoll erscheinen.
Parlamentarische Machrichten.
Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reich 8⸗ tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.
Der Reichstag nahm in seiner heutigen (121.) Sitzung, welcher der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco bei⸗ wohnte, in dritter Lesung die Vorlage, betreffend die bei einem obersten Landesgericht einzulegenden Revisionen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, unverändert ohne Diskussion endgültig an und setzte darauf die zweite Beratung der Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz fort.
Die Abgg. Albrecht u. Gen. (Soz.) beantragten einen neuen § 8b:
Die dauernde oder zeitweise Enthebung vom Amt sowie die Versetzung in den Ruhestand wider den Willen der Richter kann nur durch Zweidrittelmehrheit des Plenums des Amts⸗, Land⸗ oder Oberlandesgerichts ausgesprochen werden, dem der Betreffende als Mitglied angehört. An Stelle derjenigen Amtsgerichte, die aus weniger als 9 Mitgliedern bestehen, tritt das Landgericht.
Ein weiterer Antrag derselben Antragsteller will folgenden neuen § 8c einfügen:
Der Richter ist in seinen Amtsverrichtungen von keiner Be⸗ hörde abhängig. Das Recht, Entscheidungen des Gerichts durch Rechtsmittel anzugreifen, steht keiner Behörde zu.
Endlich soll ein neuer § 84d eingeschaltet werden:
Für das Gehalt des Richters ist ohne Rücksicht auf seine Stellung sein Dienstalter maßgebend.
Abg. Stadthagen (Soz.) begründete diese Anträge. Sie seien der weitere Ausbau des Prinzips der absoluten Un⸗ abhängigkeit des Richters, der heute von verschiedenen Behörden abhängig sei. Namentlich müsse der Richter und das Gericht von den Fesseln befreit werden, die ihm die Staatsanwaltschaft auf⸗ erlegen könne; heut; könne der Richter in zahlreichen Fällen nicht selbständig handeln, sondern erst in Funklion treten, wenn die Staatsanwaltschaft ihm einen bestimmten Auftrag erteilt. Die Unabsetzbarkeit wie die Nichtversetzbarkeit des Richters müssen mit absoluten Garantien umgeben werden. 8
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.), der hierauf das Wort erhielt, war im Hause nich anwesend.
Die Debatte wurde geschlossen; erst während der Abstimmung erschien der Abg. Müller⸗Meiningen.
§§ 8, 8c und 8d wurden gegen die Stimmen der ö und der fortschrittlichen Volkspartei ab⸗ gelehnt.
Für § 10 schlägt ein Antrag der fortschrittlichen Volks⸗ partei anderweite Fassung vor.
Die landesgesetzlichen Bestimmungen über die Befähigung zur zeitweiligen Wahrnehmung richterlicher Geschäfte im Falle eines vorübergehenden Bedürfnisses bleiben unberührt.
Ein Bedürfnis gilt nicht als vorübergehend, als ein Jahr dauert.
(Schluß des Blattes.) .“ “
— Auf der Tagesordnung für die heutige (21.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister des Innern von Dallwitz beiwohnte, stand die erste Beratung der Entwürfe eines Zweckverbandsgesetzes und eines Zweckverbandsgesetzes für Groß⸗Berlin.
bg. Dr. von Heydebrand und der Lasa k(kons.) be⸗ merkt zur Geschäftsordnung, daß der erste Entwurf sich auf die ganze Monarchie beziehe, und es deshalb nicht verhindert werden könne, daß bei der Diskussion über diesen Ent⸗ wurf auch der Entwurf für Groß⸗Berlin in die Debatte gezogen werde. Er halte es aber für zweckmäßig, bei der Besprechung des ersteren Entwurfs die Berliner Fragen auszuscheiden und diese lediglich mit dem zweiten Entwurf zu besprechen, und nur bei der zweiten Diskussion zu gestatten, daß gelegentlich auf den ersteren Entwurf zurückgegriffen werde.
Die Abgg. Cassel (fortschr. Volksp.), Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) und Linz (Zentr.) schließen sich diesem
Vorschlage an. wird zynächst
wenn es länger
Danach der Entwurf eines Zweck⸗ verbandsgesetzes beraten. 8
Pur Begründung desselben nimmt der Minister des Innern von Dallwitz das Wort, dessen Rede morgen im Wortlaut wiedergegeben werden wird. v 8 “
(Schluß des Blattes.) 1
Die unter preußischer Verwaltung stehenden Fürstentümer Waldeck und Pyrmont hatten nach vorläufiger Feststellung des Ergebnisses der letzten Volkszählung am 1. Dezember 1910, der „Stat. Korr.“ zufolge, 61 723 Einwohner, das sind 2596 mehr als am 1. Dezember 1905. Während sie im Jabrfünft 1895/1900 eine Volkszunahme von 0,26 v. H. und 1900/1905 eine solche von 2,09 v. H. aufgewiesen hatten, zeigen sie im letzten Jahrfünft mit 4,39 v. H. ein erheblich stärkeres Anwachsen der Bevölkerung. Ab⸗ genommen hat die Volkszahl nur in dem Kreise der Twiste (1,13 p. H.), zugenommen dagegen in dem Kreise des Eisenberges (+ 9,26 v. H.), in dem der Eder (+ 5,94 v. H.) und in dem Kreise Pyrmont (+ 2,05 v. H.). “
Zur Arbeiterbem
Auf dem Bahnhofe Amiens wurden, wie „W. T. B.“ be⸗ richtet, die Röhren der Vakuumbremsen zweler Eilzug⸗ lokomotiven durchschnitten und die Schmiervorrichtung der Räder mehrerer Wagen unbrauchbar gemacht. Ein Bediensteter der Nordbahn soll sich im Wirtshaus dieser „Sabotage“ gerühmt haben. Die Nordbahngesellschaft teilte dem Arbeitsminister mit, sie sei außerstande, gewisse infolge des Ausstandes ent⸗ lassene Bedienstete wieder einzustellen, da die Erfahrung gezeigt habe, daß diese Elemente Unordnung und Disziplinlosigkeit verursachten. Die Gesellschaft habe aus Menschlichkeit einer Anzahl entlassener Be⸗ diensteten ausnahmsweise Ruhegehälter und Unterstützungen gewährt, sie könne aber nicht so weit gehen, Bedienstete anzustellen, die viel⸗ leicht die Streikagitation von neuem begönnen
Eine Abordnung der spanischen Eisenbahnarbeiter er⸗ schien, wie „W. T. B.“ aus Madrid meldet, gestern bei dem Minister der öffentlichen Arbeiten, um der Nachricht zu widersprechen, sie würden den Generalstreik erklären für den Fall, daß 6 Forderungen betreffs einer Unterstützungskasse abgelehnt würden.
Aus Athen wird dem „W. T. B.“ telegraphiert: Die Polizei hatte in vergangener Nacht einen Zusammenstoß mit aus⸗
ständigen Straßenbahnbediensteten, wobei gegen 30 Aus⸗ Verletzt wurde niemand.
(Weitere „Statistische Nachrichten- s. i. d. Zweiten Beilage.)
ständige verhaftet wurden.
Kunst und Wissenschafft.
Seine Majestät der Kaiser und König ist, „W. T. B.“ zufolge, der historischen Kommission für die Provinz Hannover, das Großherzogtum Oldenburg, das Herzogtum Braunschweig, das Fürstentum Schaumburg⸗Lippe und die Freie und Hansestadt Bremen als Patron beigetreten.
Der zeitige Präsident der Königlichen Akademie der Kün te, Ge⸗ heime Baurat, Professor Karl von Großheim ist am “ in Berlin nach kurzer Krankheit im 69. Lebensjahre verstorben. Der Ver⸗ storbene war in Lubeck geboren und lag seinen Fachstudien an der Berliner Bauakademie ob. Im Jahre 1872 begründete er zusammen mit dem Architekten Heinrich Kayser ein Atelier für Architektur und Kunst⸗ industrie in Berlin. Die Firma entwickelte sich bald zu einer der angesehensten und erfolgreichsten nicht nur in der nach dem Kriege aufblühenden Reichshauptstadt, sondern erwarb sich einen Ruf weit über deren Grenzen hinaus. Unter den zahlreichen Monumental⸗ bauten, die von Großheim gemeinsam mit Kayser in Berlin geschaffen hat, seien das Geschäftsgebäude der Norddeutschen Grundkreditbank in der Behrenstraße, das Lessingsche Wohnhaus in der Voßstraße, die große Kuppelhalle des Landesausstellungsgebäudes am Lehrter Bahnhof, die akademi chen Hochschulen für bildende Künste und für Musik in der Hardenberg⸗ und Fasanenstraße in Charlottenburg, das Reichsmilitär⸗ gericht in Charlottenburg und das Warenhaus Wertheim in der König⸗ straße genannt. In Leipzig erbauten von Großheim und Kavyser das Buch⸗ händlerhaus, in Cöln das Domhotel. — Im Jahre 1880 wurde der Verstorbene ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie der Künste, der er seit dem Herbst des vergangenen Fabhres an Stelle von Professor Arthur Kampf als Präsident vorstand. — Aus Anlaß der Trauer⸗ feier bleibt die Winterausstellung im Akademiegebäude am Pariser Platz von heute bis zum Freitag geschlossen.
Nach Teneriffa findet eine weitere wissenschaftlich Studienreise im März und April d. J. statt. Aüfen schgf wurde im Frühjahr 1909 in dem Ueberwolkengebiet am Pic von Teneriffa vom Geheimrat Hergesell ein gerologisches Observatorium be⸗ 168 zu dem Seine Majestät der Kaiser und König das Wohn⸗ haus für die Gelehrten stiftete. Seitdem werden dort von Hergesells Mitarbeitern fortlaufende aerologische Beobachtungen aus⸗ geführt. Im Frühjahr 1910, wurde auf Anregung der Internationalen Kommission für Höben⸗ und Sonnenforschung bezw. deren Vorsitzenden, Professor Dr. Pannwitz eine wissenschaftliche Ex⸗ pedition in das Hochgebirge von Teneriffa unternommen, an der unter Führung von Geheimrat Zuntz deutsche, österreichische und englische Physiologen sowie die Astronomen Mascart aus Paris und Geheimrat Müller aus Potsdam sich beteiligten. Nunmehr sollen sich zunächst weitere Untersuchungen über chtwirkung in jenen besonders sonnenbestrahlten Ge genden anschließen, zu denen deutsche, russische und dänische Forscher ihre Mitwirkung zugesagt haben.
Literatur. 8
Das Februarheft der „Deutschen Rundschau“ bringt einen Artikel von Charlotte Lady Blennerhasset über den jungen Disraeli, der sich besonders mit der literarischen Tätigkeit des englischen Staats⸗ manns beschäftigt, während Otto Seeck das Werden und Verbalten Julian des Abtrünnigen kritisch darstellt. Aus Dr. Elwerts Feder erscheint ein Beitrag zu der Reform unseres Strafprozesses, und der Nestor der deutschen Naturwissenschaft J. Reinke legt in einem Artikel die Kunst der Weltanschauung dar. Grazia Deleddas Roman „In der Wüste“ nähert sich seinem Ende, während Richard Voß Blätter aus einem Reisebuche veröffentlicht. In der Veröffentlichung der Briefe Wilhelm von Humboldis an Schiller werden jetzt die Briefe aus Paris abgedruckt. Paul Ritter würdigt die Lenzsche Fest⸗ schrift zum Berliner Universitatsjubiläum, während Edv. Lehmann, Richard M. Meyer und G. Egelhaaf Bücher in der literarischen Rundschau besprechen.
— Das Jahrbuch für die öffentlichen Feuerversiche⸗ “ rungsanstalten in Deutschland liegt im fuͤnften Jahrgang für 1911 vor. Es ist herausgegeben von dem Bureau des Ver⸗ bands öffentlicher Feuerversicherungsanstalten in Deutschland in Kiel. Der reiche Inhalt des Jahrbuchs zerfällt in sieben Abschnitte, die genaue Angabe über die öffentliche Feuerversicherung in Deutschland und 8 im Auslande, über die private Feuerversicherung in Deutschland, das Feuer rehrwesen in Deutschland, Ausführungen über das Versicherungs⸗ recht und technische Mitteilungen enthalten.
— Ostelbischer Schiffahrtskalender für 1911. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute herausgegeben von P. V. Queiser, Reedereidirektor, Breslau, und E. Ràgôõeczy, Syndikus ga. D., Generalsekretär des Zentralvereins für deutsche Binnen⸗ schiffahrt, Berlin. In Leinwand 2,50 ℳ, Gea Verlag G. m. b. H., Berlin W. Asch der porliegende 3. Jahrgang dieses Fachkalenders
enthält jene Fülle von Material, welche die früheren Jahrgänge auf⸗ weisen und die sich aus der Ausdehnung der ostelbischen Stromgebiete
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