und gerade an diesen uns persönlich berührenden Fragen scheitern zu Damit habe ich den Standpunkt meiner politischen Freunde Wir behalten uns vor, ihn bböe bei den Einzelbestimmungen noch näher zu vertreten. die sozialdemokratischen Anträge lehnen wir ab, weil wir die Vorlage nicht mit außerhalb ihres Zweckes liegenden Materien belasten wollen.
lassen. t , in den Hauptfragen kurz umschrieben.
Präsident Graf von Schwerin⸗Lö witz bittet die nachfolgenden
Redner, von allgemeineren Ausführungen abzusehen.
Abg. Stadthagen (Soz.): Wir sind der Ansicht, daß es absolut erforderlich ist, die Zuverlässigkeit der Richter sicherzustellen, daf es also nicht von dem Belieben der Verwaltung abhängig gemacht werden darf, ob jemand zugelassen werden soll oder nicht. Des⸗ bestimmten Ver⸗ Windthorst und Munckel haben sich in
wegen darf auch nicht der Nachweis eines mögens gefordert werden. ihrer Vorbereitungszeit ihren
Unterhalt selbst erwerben müssen, ihre Laufbahn nicht ergreifen können. Kommission geht nicht weit genug.
in der Justiz, sondern auch beim Offizierkorps. Ein vom Kammer gerichtspräsidenten wiederholt und dringend zum Kammergerichtsrat vorgeschlagener Herr wurde nicht zum Kammergerichtsrat ernannt, weil er jüdisch war und keinen Religionswechsel vornehmen wollte. Wir auch die Erfahrung gemacht, daß in der Tat die politische Gesinnung eine Rolle spielt. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Gerechtigkeit, wenn ein Zentrumsmann, ein Nationalliberaler oder ein Freisinniger von einem konservativen Oberlandesgerichtspräsidenten ihrer politischen Stellung wegen zurückgewiesen werden. Denten Sie an Miguel, der sich vom krassen Sozialdemokraten zum kon⸗ servativen Minister rückwärts entwickelt hat. Die ganze Vor⸗ lage beruht darauf, das verschwundene Vertrauen zum Richter⸗ stande bis zu einem gewissen Grade wieder neu zu beleben. Wie soll das Vertrauen vorhanden sein, wenn man hört, nur der kann Richter werden, der früh gelernt hat, sich zu krümmen, der eine bestimmte politische Gesinnung hat? Das muß zur Gesinnungsheuchelei führen und diese wiederum zum Schwinden jedes Vertrauens. Es muß um so mehr ein Schutzwall errichtet werden, als die Richter in Preußen so weit gehen, die Sozialdemokraten grundsätzlich anders zu behandeln als andere Staatsbürger, als das preußische Justiz⸗ ministerium entgegen den Reichsgesetzen und reichsgerichtlichen Entscheidungen Anordnungen ergehen läßt. Ebenso müssen in einem Disziplinargesetz bestimmte Voraussetzungen für die Möglichkeit der Entfernung aus dem Amte festgelegt werden. Niemand darf aus seinem Amte entfernt werden, weil er charakterfest und überzeugungstreu ist. Auch der in diesen Tagen zum Abschluß gekommene Prozeß Schröder hat gezeigt, daß das ganze Verfahren auf politischem Haß beruhte. Das hat jetzt auch der Staatsanwalt anerkannt. Deshalb müssen dagegen Garantien geschaffen werden.
Abg. Müller⸗Meiningen sfortschr. Volksp.): Wir werden den An⸗ trägen der Sozialdemokraten zustimmen; sie enthalten eigentlich etwas Selbstverständliches, aber doch nichts Ueberflüssiges nach der bis⸗ herigen Praxis. Es ist die Unterstreichung eines Prinzips notwendig. Es ist ein sonderbares Beginnen, wenn man in dem Personalbogen der Referendare auch eine Rubrik betr. etwaigen Religionswechsel eingefügt hat. Das sieht dann nach Proselytenmacherei und nach Vorkehrungen für einen Religionswechsel aus. Darum sollte man sich doch nicht kümmern. Nur wenn es sich um Kirchensteuern handelt, sollte nach dem Religionsbekenntnis gefragt werden. Daß die Entfernung aus dem Verwaltungsdienst nur auf Grund eines Disziplinargesetzes erfolgen soll, ist auch selbstverständlich. Ich erinnere mich eines Falles, wo ein Assessor mit einem jüdischen Referendar in Tätlichkeiten geriet. Der Referendar wurde ohne jedes Verfahren entlassen. Ich bitte Sie, beide Anträge anzunehmen.
Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pomian (Pole): Da niemand aus dem Hause dem ersten sozialdemokratischen Antrage widersprochen hat, so darf ich es wohl als communis opinio bezeichnen, daß das ganze Haus damit einverstanden ist. Die Erfahrungen, die wir Polen gemacht haben, lassen es nicht als überflüssig erscheinen, daß der Antrag an⸗ genommen wird. Es ist vorgekommen, daß ein Referendar nur deshalb entlassen wurde, weil er einem Vortrage über polnische Literatur beigewohnt hatte. Hiergegen müssen Kautelen geschaffen werden. Aber auch der zweite Antrag ist nicht überflüssig. Der junge Referendar ist heute lediglich von der Gunst seines Vorgesetzten abhängig.
3 Abg. Wellstein (Zentr.): Ich bitte Sie um Ablehnung sämtlicher
Anträge. Was hier gefordert wird, steht bereits im Gesetz, wenn
auch nicht im Gerichtsverfassungsgesetz, so doch in der Verfassung
und im Gesetz von 1869. Nach der Verfassung ist nur die Be⸗ fähigung für die Annahme zu dem Vorbereitungsdienst maßgebend, und nach einem anderen Gesetz darf niemand wegen seiner Konfession ausgeschlossen werden. Im übrigen muß derjenige, der sich dem
Vorbereitungsdienst widmet, so gestellt sein, daß er seine ganze
Kraft diesem Dienst schenken kann und nicht auf Nebenverdienst an⸗
gewiesen ist.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen ffortschr. Volksp.): Der Vorredner weiß doch, daß eine Theorie besteht, wonach die Verfassung nur allgemeine Grundsätze enthält, die im einzelnen in der Praxis aus⸗ elegt werden. Die anstellenden Behörden schlagen mitunter die Verfassung nicht auf, und da wäre es gut, wenn das in das Gesetz hineingeschrieben würde. Das Zentrum sollte doch auch bedenken, aß es einmal selbst der Leidtragende sein könnte.
Abg. Heine (Soz.): Der Abg. Wellstein scheint besondere Kautelen zu wünschen dagegen, daß Referendare Nebenverdienst suchen. Es ist aber geradezu ein Glück für den Juristen, wenn er bei einem Nechtsanwalt usw. gegen Entschädigung sich praktisch ausbildet. Es ist sehr wertvoll, wenn die Justizverwaltung die jungen Leute nicht hindert, bezahlte Nebenarbeit zu übernehmen. In Preußen ist das leider strikte verboten gewesen; die jungen Leute, die es doch taten, weil sie es tun mußten, liefen eben Gefahr, aus der Karriere hinausgeworfen zu werden. Was man schließlich praktisch damit erreicht, ist, daß nur reiche Leute in den Justiz⸗ dienst treten.
Nachdem auch noch der Referent Abg. Dr. Heinze sich gegen alle Anträge ausgesprochen, insbesondere unter dem lebhaften Widerspruch der äußersten Linken ausgeführt hat, daß der sozialdemokratische Antrag wegen der politischen und konfessionellen Betätigung ein Freibrief auch für maßlose Be⸗ tätigung in diesen Richtungen sein würde, wird das Wort „bestimmten“ nach dem Antrag Albrecht gestrichen; es stimmen dafür auch neben den Antragstellern die fortschrittliche Volks⸗ partei und das Zentrum. Die anderen Anträge werden ab⸗ gelehnt.
Die Sozialdemokraten beantragen ferner, dem § 8 des
Gerichtsverfassungsgesetzes folgende Fassung zu geben:
1“ „Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder in den Ruhestand versetzt werden, aus welchen nach §§ 128 bis 131 des Gerichtsverfassungsgesetzes ein Mitglied des Reichsgerichts dauernd oder zeitweise seines Amts enthoben werden oder in den Ruhestand versetzt werden kann. Richter können wider ihren Willen nicht an eine andere Stelle ver⸗ setzt werden.“
b Eventuell wollen die Sozialdemokraten den § 8 fassen,
wie folgt:
„Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen dauernd oder zeitweise ihres
müssen und hätten, falls sie ein bestimmtes Vermögen hätten nachweisen f Der Vorschlag der Man könnte danach ein standes⸗ gemäßes Vermögen verlangen, und dabei würden die Söhne von Arbeitern, kleinen Beamten, überhaupt diejenigen von Eltern, die nicht in der Lage sind, ihnen eine ausreichende Unterstützung zu ge⸗ währen, von der juristischen Karriere ausgeschlossen. Konfession und Politik haben ebenfalls zu schweigen, wenn es sich um die Frage handelt, ob jemand zum Richter oder Anwalt befähigt ist. Dies ist eigentlich schon nach der Reichsverfassung unzulässig, aber es ist erforderlich, es ausdrücklich in die Novelle hineinzuschreiben, denn wir wissen, daß die Praxis anders gehandhabt wird, übrigens ja nicht nur
Amtes enthoben oder in den Ruhestand rsetzt werden, die in dem gleichzeitig mit diesem Gesetz zu verabschiedenden Reichs⸗ disziplinargesetz für Richter enthalten sind. Die von Einzelstaaten erlassenen Disziplinargesetze für Richter werden aufgehoben.“
Abg. Heine (Soz.): Es wird nicht überraschen, wenn ich bei diesem Anlasse die letzten Vorgänge im preußischen Abgeordnetenhause be⸗ spreche. Der prrsifchs Justizminister Dr. Beseler scheint ja ein würdiger Nachfolger seines Vorgängers zu sein. Uns erscheint der Umstand, daß er den Vorsitzenden des letzten Moabiter Schwur⸗ gerichtsprozesses, den Landgerichtsdirektor Unger, wegen seiner Rechts⸗ belehrung zur Rede gestellt hat, als ein Hauptfaktor für unseren Antrag. Was in diesen Prozessen an gar nicht mehr versteckter oder geschminkter Beeinflussung der Richter versucht worden ist, übersteigt alles Dagewesene. Ich glaube ja nicht, daß die Richter meinen, ein besonderes Lob zu verdienen, wenn sie ihre Pflicht getan haben. Die Moabiter Richter und Geschworenen sind weit entfernt davon, mit mir derselben politischen oder au nur juristischen Meinung zu sein; die Herren sind sicher nicht ohne die Vorurteile herangegangen, die die Vorgänge und deren Fruktifizierung auch in ihnen erregten, unter dem Eindruck, daß es sich da um Revolutionsmache oder ähnliches handeln sollte. Aber Tag für Tag unter der Wucht der Ergebnisse der Beweis⸗ aufnahme haben sie ihre Auffassung ändern müssen und haben sie geändert, und das ist es, was Lob verdient; sie haben die Augen und die Ohren offen gehabt und geurteilt nach dem, was sie gelernt haben, nicht nach dem, was ihnen von dieser Tribüne aus hat vorgeschrieben werden sollen. Es war doch ein starkes Stück, daß hier von der höchsten Stelle der Leitung des Reiches aus mitten in der Ver⸗ handlung gesagt wurde: „Die Polizei hat nur ihre Schuldigkeit getan!“ Nicht wir Sozialdemokraten haben die Justiz bloß⸗ gestellt, sondern jene, die sich derart vermessen haben, auf die Richter einzuwirken, haben die Justiz bloßzustellen versucht. Wir brachen die Beweisaufnahme ab, obwohl wir noch Hunderte von Zeugen hätten benennen können; denn es stand fest, daß massen⸗ hafte Ausschreitungen der Polizeibeamten stattgefunden hatten. Da legten wir die Entscheidung vertrauensvoll in die Hände des Gerichts, und der Vorsitzende erklärte mit einer Bestimmtheit, die auf Einstimmigkeit des Gerichts schließen ließ, daß eine größere Anzahl von Üebergriffen und Mißgriffen der Polizei festgestellt wären. Noch einmal wurden wir in den Gerichtssaal genötigt, die Unabhängigkeit des Gerichts gegen die diesmal im preußischen Ab⸗ geordnetenhause erhobenen Angriffe zu verteidigen. Nach gefälltem Urteil des Schwurgerichts hat der preußische Justizminister den Vor sitzenden darüber zur Rede gestellt, wie er sich seine Rechts belehrung konstruiert habe. Wie kam er dazu? Er hatte nicht das geringste Recht dazu; die Rechtsbelehrung ist ein integrierender Teil des Verfahrens und ist über jede Dis⸗ kussion erhaben. Wo bleibt da die Unabhängigkeit der Richter? Es ist doch nicht angenehm, von dem Minister, von dessen Gnade es abhängt, ob man zeitlebens Landgerichtsdirektor in Schneidemühl bleibt, derart zur Rede gestellt zu werden; es wäre das eine Provokation, eine Einschüchterung des gesamten Richterstandes. Unter den besten der Berliner Richter hat die Aeußerung des Justiz⸗ ministers Beseler eine wahre Entrüstung hervorgerufen. Er hat aber nach⸗ her auch im preußischen Landtage diese Rechtsbelehrung kritisiert; er hat sie ausgelegt, wie sie kein vernünftiger Mensch, der den Sachen bei⸗ gewohnt hat, sie auslegen durfte, und dann hat er nachgewiesen, daß das Erklärte falsch gewesen sei. Nach unserer Auffassung war das Erklärte durchaus unanfechtbar: es stand auch nicht im Widerspruch mit der von dem Ministerzitierten Reichsgerichtsjudikatur. Denn der Land⸗ gerichtsdirektor Unger hatte den Fall des niedergeschlagenen und getöteten Arbeiters Hermann angezogen und daran seine Belehrung geknüpft. Dieser Fall war bewiesen worden, und von diesem Fall sprach der Landgerichtsdirektor als von einem Falle des Mißbrauchs der Amtsgewalt. Er erklärte, daß diese Beamten nicht mehr in recht⸗ mäßiger Ausübung ihres Amtes handelten. Der Justizminister hätte der Wahrheit ensprechend sagen müssen: der Landgerichts⸗ direktor hat recht gesprochen, indem er sagte, daß es Beamte gab,
die ihre Befugnisse überschritten hatten. Das tat der Justiz⸗ minister aber nicht, weil er den Reichskanzler, der die Richter be⸗ einflussen wollte, nicht desavouieren und die Beamten weißwaschen wollte. Der Justizminister wollte den Richtern sagen: hütet euch; wie es Unger gegangen ist, kann es auch euch gehen. Deshalb ist es notwendig, die Unabhängigkeit der Richter zu stabilieren, sie vor einer Beeinflussung von oben zu schützen. Es kann dem Landgerichts⸗ direktor Unger nicht angenehm sein, von dem Justizminister vor die Oeffentlichkeit gezerrt zu werden als einer, der nicht weiß, was das Reichsgericht entschieden hat. Wir wollen jenen helfen, über die wir uns oft zu beklagen hatten, wir wollen der Gerechtigkeit, der Grund⸗ lage der Justiz, zu ihrem Rechte verhelfen.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Meine Herren! Der Herr Abg. Heine hat die Anträge, die Ihnen zu § 8 vorliegen, begründet mit Angriffen auf den Herrn preußischen Justizminister und den Herrn Reichskanzler, der seiner Zeit einige wenige Worte zu dem Moabiter Prozeß in diesem hohen Hause ge⸗ sprochen hat. (Rufe von Sozialdemokraten: Einige wenige? Aber schwerwiegende!) Meine Herren, der Herr preußische Justizminister ist heute im Hause nicht anwesend, und der Herr Abg. Heine sagte, daß dies auf einer Nichtachtung des Hauses beruhe, wie das auch schon früher vorgekommen sei. Meine Herren, soviel ich weiß, berät heute das Abgeordnetenhaus den Justizetat (sehr richtig! rechts) in zweiter Lesung, und schließlich kann auch ein Justizminister nur entweder dort oder hier sein. (Sehr richtig! rechts) Daß also der preußische Justizminister heute hier nicht an⸗ wesend ist, ist erklärlich. Ob die Sitzung dort schon beendet ist, weiß ich nicht. (Zurufe: Nein.) Aber der Herr Minister hätte auch kaum erwarten können, daß hier, wo es sich jetzt um die Strafprozeßordnung mit einigen Aenderungen des Gerichtsverfassungegesetzes handelt, diese Angelegenheit heute zur Sprache kommen würde. (Sehr richtig! rechts — Zurufe von den Sozialdemokraten.)
Der Herr Abg. Heine hat davon gesprochen, daß der preußische Herr Justizminister — ich muß kurz auf diese Angelegenheit eingehen — den Herrn Landgerichtsdirektor Unger zur Rede gestellt habe. (Abg. Dr. Südekum: Was hat er sonst getan?) — Was er sonst getan hat, Herr Abg. Südekum? Er hat selbst erklärt, es wäre ihm wünschenswert erschienen, einmal von dem Vor⸗ sitzenden zu hören, wie er sich denn eigentlich seine Belehrung kon⸗ struiert habe. (Abg. Dr. Südekum: Das nennt man zur Rede stellen!) — Schön, meine Herren! Ich werde Ihnen aus einander⸗ setzen, wie das wohl gekommen sein wird. Ich kann natürlich nicht in der Seele des Justizministers Herrn Dr. Beseler lesen; aber ich kann mir doch einigermaßen vorstellen, wie die Sache gekommen ist. Die Rechtsbelehrung ist etwa vor ungefähr 14 Tagen erteilt worden. Es stand damals die zweite Lesung des Etats der Justizverwaltung im Abgeordnetenhause bevor. Der Justizminister konnte mit Sicherheit voraussehen, daß auf die Angelegenheit die Rede kommen würde. Was sollte er schließlich machen? Sollte er im Abgeordnetenhause sagen: darüber weiß ich nichts, darüber weiß ich nur, was die Zeitungen gesagt haben? Oder sollte er sich in den Stand setzen, dem Ab⸗ geordnetenhause in authentischer Weise mitzuteilen, was der Herr Landgerichtsdirektor Unger gesagt hat. Der Herr Justizminister hat sich für das letztere entschieden und hat durch Befragen des Herrn
Landgerichtsdirektors Unger festgestellt, welchen Inhalt jene Rechts⸗
9 belehrung hatte und welche Erläuterung Herr Unger noch am Abend desselben Tages hinzugefügt hat, aus dem Gefühl heraus, daß die Rechts⸗ belehrung in gewisser Weise mißverstanden war und zu falschen Kon⸗ sequenzen in der Auffassung mancher Leute geführt hatte und führen konnte. Nun, meine Herren, wenn Sie das für ein Zurredestellen, für ein Zurverantwortungziehen halten, dann läßt sich über diese Dinge eben nicht mehr streiten. (Sehr richtig! rechts.) Der Herr Minister hat dem Abgeordnetenhause auf etwaige Anfragen eine Antwort geben wollen, und zu diesem Behufe mußte er sich selbst in irgend einer Weise informieren. Sie können versichert sein, meine Herren, daß der Herr Justizminister wie jeder höhere Justizbeamte sehr wohl weiß, daß die Rechtsbelehrung in keiner Weise zum Gegenstand eines Eingriffs gemacht werden kann, und ich werde mich von diesem Standpunkt aus auch hüten, in diesem Augenblick auf die Angelegen⸗ heit hier näher einzugehen und von der Rechtsbelehrung weiter zu sprechen.
Meine Herren, der Herr Abg. Heine hat den Herrn Reichs⸗ kanzler ebenfalls angegriffen und von ihm gesagt, er habe ungesetzliche Beeinflussungen des Richterstandes, offene Einschüchterungsversuche und dergleichen versucht. Meine Herren, wer jene Rede hier mit angehört hat — ich habe sie auch gehört —, der weiß sehr wohl, daß der Herr Reichskanzler von einem Beeinflussungsversuch gegen die Richter gar nicht gesprochen hat. (Widerspruch und Zuruf von den Sozialdemokraten. — Sehr wahr! rechts.) — Ich bleibe dabei, meine Herren, er hat absolut keine Beeinflussung versucht. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Und die Orden für die Polizei?) Der Herr Reichskanzler steht viel zu hoch, als daß er irgendwie auch nur daran denken könnte, einen unserer richter⸗ lichen Beamten zu beeinflussen! Das ist einfach unmöglich, und er hat auch in diesem hohen Hause einen derartigen Versuch nicht gemacht.
Meine Herren, man muß nur immer sehen, was die Herren hier als gesagt behaupten und dann das Stenogramm nachlesen, was denn wirklich gesagt worden ist. Der Herr Abg. Heine hat behauptet, der Herr Reichskanzler habe gesagt, daß die Polizei „nur“ ihre Pflicht getan habe, und er hat das Wort „nur“ mehrfach betont. Das hat der Herr Reichskanzler nicht gesagt! Nach dem Stenogramm hat der Herr Reichskanzler gesagt:
Solchen Behauptungen setze ich das öffentliche Anerkenntnis
entgegen, daß die Polizei in Moabit ihre Pflicht getan hat.
Das Wort „nur' fehlt hier. (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) Er hat damals auch erklärt, daß einzelne Mißgriffe vorgekommen seien. Das war damals schon erwiesen. Nachher hat sich herausgestellt, daß neben jenen vereinzelten Mißgriffen noch andere Mißgriffe seitens der Polizei vorgekommen sind. Diese hat der Herr Reichskanzler bei seiner Rede noch nicht gekannt. Genug, meine Herren, daß Mißgriffe vorgekommen sind, hat der Herr Reichskanzler zugegeben, und er hat nur gesagt: die Polizei hat ihre Pflicht getan. Daß das eine Beinflussung der Gerichte gewesen sei und der Herr Reichskanzler derartiges beabsichtigt hätte, davon kann gar keine Rede sein. Es ist das auch bereits im Abgeordnetenhause ausgesprochen worden.
Meine Herren, ich muß derartige Bemerkungen, daß der preußische Herr Justizminister oder daß der Herr Reichskanzler irgendwie in ungesetzlicher Weise irgendeinen Richter und besonders die Richter, die in letzter Zeit an jenen mehrerwähnten Strafprozessen beteiligt waren, hätte becinflussen wollen, auf das allerentschiedenste zurückweisen. (Bravo! rechts.) 8
Abg. Heine (Soz.): Ich habe die Rede des Reichskanzlers im
„Reichsanzeiger“ nachgeschlagen. Das Stenogramm weicht allerdings davon ab. Der Reichskanzler hat wohl hervorgehoben, daß einzelne Mißgriffe vorgekommen seien, aber es kommt immer darauf an, welcher Tatbestand damals schon erwiesen war, und das war die Tötung des Hermann, der Nachweis, daß unzählige Frauen und an⸗ ständige Mädchen in zuhältermäßiger Weise beleidigt und beschimpft worden waren von Königlich preußischen Beamten in Königlich preußi⸗ scher Uniform in Ausübung des K. öniglich preußischen Dienstes. Das stand damals schon von vielen Dutzenden von Fällen fest. Nun ist allerdings im stenographischen Bericht nachher das Wort „nur“ verschwunden. Wenn der Reichskanzler nichts anderes getan hat, als die Schutzleute zu loben, und nicht daran gedacht hat, diese Gewalt⸗ taten energisch zu tadeln, so hat er die moralische Verantwortung dafür, wenn solche Dinge sich wiederholen. Der Versuch der Beeinflussung ist ja auch zutage getreten durch die Ordensverleihungen, die öffentlichen An⸗ sprachen und sonstigen Lobeserhebungen nicht nur von seiten der Behörden, sondern auch von Privaten. Die Konservativen haben ja eine öffent⸗ liche Sammlung zum Besten dieser Säbelschwinger vorgeschlagen. Es ist ein Glück, daß die Richter demgegenüber festgeblieben sind. Gesprochen hat der Reichskanzler allerdings nicht von Beeinflussung, aber er hat bei allen den Eindruck hervorgerufen, daß er solche versucht hat. Ich denke von der Intelligenz des Reichs kanzlers viel zu hoch, als daß er die Wirkung seiner Worte nicht fennen sollte. Ein Herr von dieser philosophischen Bildung weiß, was er sagt und wie es aufgefaßt wird. Wären die Richter nicht festgeblieben, so hätte Moabit leicht zu einem zweiten Essen werden können. An der preußischen Anklagebehörde hat es nicht gelegen, wenn dies vermieden ist. Sie hat sich einer Herumschnüffelung in dem Vorleben der Zeugen be⸗ dient, die man, wenn sie ein Rechtsanwalt vornähme, als einen gemeinen Advokatenstreich bezeichnen würde. Wenn der Staatssekretär fragt, was der Justizminister dem Landgerichtsdirektor Unger hätte sagen sollen, so antworte ich ihm: gar nichts hätte er sagen sollen, aber er hätte die Unabhängigkeit des Richterstandes im Abgeordnetenhause gegenüber der Rechten in Schutz nehmen sollen. Die Beratung im Abgeordneten⸗ hause entschuldigt seine Abwesenheit nicht; bisher haben die beiden Häuser immer noch Rücksicht aufeinander genommen. Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht respektiert. b
Abg. Dr. Wagner (dkons.): Der Justizminister hat nicht ein Urteil kritisiert, sondern sich über eine Rechtsbelehrung informiert, deren Wortlaut nicht im Protokoll stand, und die voraussichtlich im Ab geordnetenhause zur Sprache gebracht werden würde. Das war ledig⸗ lich seine Pflicht. Es wäre sehr gut, wenn die Sozialdemokraten und ihre Freunde auch in anderen Fällen so empfindlich wären, wenn es sich um eine Beeinflussung der Richter handeln soll. Mir ist aber ein Fall bekannt, wo man sich gar nicht genug tun konnte in dem Verlangen, daß von der obersten Instanz ein Richter wegen eines Urteils zur Rechenschaft gezogen würde. Was der Abgeordnete Heine ausgeführt hat, hat mit der Sache nichts zu tun. Man kann die Richter des Reichsgerichts hier gar nicht zum Vergleich heran⸗ ziehen. Für diese kommen solche Vergehen kaum in Frage wie bei Richtern der unteren Instanzen, die vielleicht Sachen verschleppen usw.
Abg. Stadthagen (Soz.): Der Fall Unger ist geradezu ein Schulbeispiel, daß die Unabhängigkeit der Richter sichergestellt werden muß. Es handelte sich um eine Zurredestellung des Land⸗ gerichtsdirektors Unger. Wollen die Konservativen bestreiten, daß der Zivilist, bevor er sich totschlagen läßt, zum Recht der Notwehr greift? Wer den Mördern des Hermann beispringt durch eine falsche Erkärung, der ist gleichzustellen den Mördern. Im Jahre 1841 hat der Oberappellationssenatspräsident Grolmann im Jakobi⸗Prozeß über die Unabhängigkeit der Richter goldene Worte gesprochen. Als er von dem damaligen Zustizminister zur Rede gestellt wurde, hat er seine Unabhängigk mannhaft aufrecht erhalten
hause ist das
sprochen habe, sei er sich
trauen zum Richter
durch sein Temperament hat hinreißen lassen. während des noch schwebenden Prozesses den Polizeibeamten amtliche
und seinen Abschied genommen. Im preußischen Abgeordneten Richtertum durch den preußischen Justiz⸗ minister und durch Abgeordnete depraviert, herabgesetzt worden. (Vizepräsident Schulz bittet den Redner, sich in seinen Angriffen
auf den preußischen Justizminister und Redner im preußischen
Abgeordnetenhause zu mäßigen; wenn er von Depravierung ge⸗ wohl der Tragweite seiner Worte nicht ns gewesen.) In ihrer Wirkung müssen die Worte des Justiz⸗ ministers und des Abg. Boehmer unzweifelhaft dahin führen. Wir verlangen die Kautelen, die den Reichsrichtern zur Seite stehen, auf alle Richter ausgedehnt; der Richter muß vollkommen unabhängig sein, und seine Unabhängigkeit muß garantiert werden. Gerade in Preußen muß ganz besonders aus politischen und konfessionellen Gründen heraus der Richter geschützt werden. Ver⸗ wollen wir gerade durch diese Kautelen schaffen; es kann nicht existieren, solange er nicht auch gegenüber
der Verwaltung völlig unabhängig ist. Gerade der jüngste Angriff
des preußischen Justizministers auf einen preußischen Richter nötigt uns, hier reichsgesetzlich vorzugehen. Ein Richter, der wegen seiner Ueberzeugung diszipliniert werden kann, kann nicht unabhängigk sein. Will man denn noch hinter die preußische Landratskammer von 1855 zurückgehen? 1851 erklärte der alte Grabow, die Richter würden, wenn das Disziplinargesetz angenommen würde, in 50 Jahren depraviert sein. Wie ist man mit Twesten, Waldeck, von Kirchmann, mit Damm, mit Schulze⸗Delitzsch und anderen Richtern umgegangen? Sie sind drangsaliert und entfernt worden, weil sie politisch mißliebig waren. Und ist es in neuerer Zeit anders gewesen? Der Amtsrichter Alexander wurde 1890 disziplinarisch entlassen, weil er für die Freisinnigen und ihre politischen Anschauungen agitiert hat! Was würde werden, wenn alle konservativen Richter gemaßregelt würden, die für die Regierungspolitik oder für die A
lgrarier agitiert haben! Schmähliche Handlungen, vorgenommen von konservativen Rich
htern,
sind beschönigt und vertuscht worden, wenn sie der herrschenden Politik
entsprachen. Ich erinnere nur an jenen Amtsrichter, der sich der Fälschung der Unterschrift meines Freundes Molkenbuhr in der Wahlagitation schuldig machte; er wurde allerdings versetzt, aber diese Versetzung war keine Strafe, sondern eine Be⸗ günstigung. Es hilft kein Mittel gegen alle diese Er⸗ scheinungen als die Statuierung der absolut vollkommenen Unabhängigkeit des Richters. Freisinnige wie Zentrum haben in ihren Reihen eine Anzahl solcher Disziplinierungen von Richtern aus politischen Gründen zu verzeichnen; könnte man sich dabei auf das Gesetz stützen, so ist dies Gesetz kein Gesetz, sondern ein Ungesetz. Was nützen die besten Gesetze, wenn dem Richter vorgeschrieben werden kann, was die Verwaltungsbehörde für ein Recht gesprochen wünscht?
Abg. Dr. Ablaß (fortschr. Volksp.): Man kann dem Richterstande keinen schlechteren Dienst erweisen, als wenn man ihn mehr als un bedingt erforderlich in den politischen Meinungsstreit hineinstellt. Die absolute Unabhängigkeit des Richterspruches muß vorhanden sein, wenn der Richterspruch in allen Kreisen des Volkes gebilliat werden soll. Vor allem soll man nicht Prozesse künstlich zu politischen ge⸗ stalten. Ich muß es als einen dies ater bezeichnen, als der Reichs⸗ kanzler hier inmitten des schwebenden Moabiter Prozesses sich erhob und ein Urteil abgab, ehe das Gericht geurteilt hatte. Es sollte durch die Regierung zugestanden werden, daß der Reichskanzler sich Daß auch weiterhin
Anerkennung ausgesprochen worden ist, müssen wir sehr bedauern. Deshalb bedauere ich auch die Art, wie der preußische Justizminister Auskunft über die Rechtsbelehrung durch den Direktor Unger verlangt hat. Niemals hat ein Justizminister einen Richter zu sich zitiert, wie hier in diesem Falle. Das mußte zu Mißdeutungen im Volke führen. Ich gebe ja zu, daß weder der Reichskanzler noch der Minister die Absicht gehabt haben, die Richter zu beeinflussen, aber sie haben jeden⸗ falls nicht die nötige Vorsicht walten lassen. Ich bedauere, daß
Justizminister nicht mit mehr Wärme sich der Rechte eines Richters angenommen hat. Er hätte sich ein Beispiel nehmen sollen, wie sein Kollege, der Minister des Innern, für die Landräte ein⸗ getreten ist. Die Verteidigung eines Richters durch den höchsten Justizbeamten war zum mindesten eine sehr matte Verteidigung. Meine politischen Freunde stellen sich auf den Standpunkt des sozial⸗ demokratischen Antrags. Soll das Vertrauen zur Rechtsprechung zurückkehren, dann müssen wir die Unabhängigkeit des preußischen Richterstandes stabilieren, wie einen rocher de bromze. Ich bitte Sie, den Prinzipalantrag und nicht den Eventuaglantrag anzunehmen, weil wir die Annahme des Gesetzes nicht abhängig machen wollen
von einem Reichsdisziplinargesetz, auf dessen Annahme unter den heutigen Verhältnissen nicht zu rechnen ist.
Abg. Heine (Soz.): Ich nehme das Recht zur Kritik richterlicher Urteile nicht nur für den Reichstag, sondern für jeden Menschen in Anspruch. Aber es ist ein Unterschied, ob ein Prozeß abgeschlossen ist, oder ob ein Verfahren schwebt, aber auch das letztere ist nicht sakrosankt. Auch ich nehme für mich in Anspruch, über ein schwebendes Verfahren zu sprechen. Aber etwas anderes ist es, wenn jemand in autoritativer Stellung und von autoritativer Stelle sich so äußert, wie es der Reichskanzler getan hat, und dem Urteil vorgreift. Wenn er schon darüber G vwollte, so hätte er wenigstens die Resultate der Beweisaufnahme nicht als quantité négligeable be- handeln dürfen.
Nach längeren Ausführungen des Berichterstatters Abg. Dr. Heinze bemerkt zur Geschäftsordnung der
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen sfortschr. Volksp.): Die Art, wie der Berichterstatter gesprochen hat, ist von großer prinzipieller Be⸗ eutung. Er hat nur zu berichten über das, was von der einen oder anderen Seite in der Kommission vorgebracht ist, und dabei den Standpunkt der Kommissionsmehrheit zu vertreten, sich aber jeder Polemik gegen Parteien oder gegen Anträge zu enthalten.
Abg. Wellstein (Zentr.): Im allgemeinen kann man dem zustimmen, aber Dr. Heinze hat die ihm als Berichterstatter gezogenen Grenzen nicht überschritten. Er hat vollkommen die Berechtigung, dasjenige geltend zu machen, was vielleicht im Kommissionsbericht nicht wieder⸗ gegeben, aber in der Kommission ausgeführt ist.
Abg. Bassermann nl.): Der Berichterstatter hat über die Vor⸗
gänge in der Kommission zu berichten und zweitens die Kommissions⸗
beschlüsse zu verteidigen. Diese Verteidigung war durchaus sachlich, wenn auch temperamentvoll. Temperamentvoll ist noch lange nicht polemisch.
Abg. Dr. Wagner: Ich schließe mich namens meiner politischen Freunde den beiden Vorrednern an.
Abg. Dr. Heinze (nl.): Ich habe mich bei einem vorzüglichen Kenner der Geschäftsordnung, dem verstorbenen Abg. Singer, erkundigt, der mir erklärt hat: Sie dürfen als Berichterstatter zu neuen Anträgen nicht Stellung nehmen, dürfen aber alte Anträge selbständig mit neuen Gründen verteidigen oder bekämpfen.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Der Be⸗ richterstatter darf nur über die in der Kommission angeführten Gründe berichten.
Abg. Bassermann (nl.): Der Referent kann sogar das Referat niederlegen, wenn er in Konflikt gerät mit seiner Aufgabe, die Kom⸗ missionsbeschlüsse zu verteidigen, und seiner eigenen Auffassung.
Abg. Gröber (Zentr.): Der Berichterstatter ist nicht nur formeller Referent, sondern zugleich der Sprecher und Vertreter der Kom⸗ mission; er ist sogar verpflichtet, zu sagen, die Anträge lagen noch nicht vor, ich muß mich aber namens der Kommission aus den und den dort vorgebrachten Gründen gegen sie wenden.
Vizepräsident Schultz: Der Berichterstatter ist über seine Befugnisse nicht hinausgegangen. Die Mehrheitsbeschlüsse zu vertreten, ist seine Pflicht, nicht nur sein Recht. Auf die mehr oder weniger lebhafte Weise kommt es nicht an. Wenn er einen neuen Grund
anfecht be Wort „klüger“ einen Strick drehen will. Wenn dem Berichterstatter
Abg. Ledebour (Soz.): Wenn der Berichterstatter klüger ist als die Kommission, dann muß er als Abgeordneter das Wort nehmen. Insofern muß ich der Rechtsbelehrung des Präsidenten ent⸗
Vizepräsident Schultz: Rechtsbelehrungen sind doch nicht Der Vorredner geht zu weit, wenn er mir aus dem
gegentreten.
gerade noch ein guter Grund einfällt, so ist er doch in diesem Augen⸗ blick klüger als die Kommission.
Der sozialdemokratische Hauptantrag wird gegen die Freisinnigen und die Sozialdemokraten abgelehnt, der Eventual⸗ antrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten.
Die Sozialdemokraten schlagen weiter folgenden § 8a vor:
„Zum Richter darf nicht ernannt werden, wer länger als fünf Jahre ein Verwaltungsamt oder das Amt eines Staatsanwalts be⸗ kleidet hat. Richtern ist die Annahme von Orden und; verboten.“ 8 8
Eventuell beantragen sie: b 8
„Richter dürfen, solange sie im richterlichen Amte stehen, nur solche Titel führen, welche mit ihrem Amte als solche verbunden sind, und Orden und Ehrenzeichen nicht annehmen. Die Fort⸗ führung von Titeln und das Tragen von Orden und Ehrenzeichen, welche vor Eintritt in das Richteramt oder vor Geltung dieses Gesetzes erworben waren, und die Annahme der für kriegerische Verdienste verliehenen Orden oder Ehrenzeichen werden hierdurch nicht berührt.“
Die Abgg. Dr. Müller⸗Meiningen, Kopsch, Müller⸗ Iserlohn, Oeser und Dove schlagen folgenden § 8a vor: „Richtern ist die Annahme von Orden und Ehrenzeichen ver⸗ boten. Das Tragen von Orden und Ehrenzeichen, welche vor Ein⸗ tritt in das Richteramt oder vor Inkrafttreten dieses Gesetzes er⸗ worben sind, sowie die Annahme von Orden oder Ehrenzeichen für kriegerische Verdienste und von Rettungsmedaillen bleiben von dieser Vorschrift unberührt.“ 1
Abg. Stadthagen (Soz.): Ein Verwaltungsbeamter, der sein Lebtag auf seinen Vorgesetzten hat hören müssen, ein Staatsanwalt, der auf Befehl seines Vorgesetzten gegen jeden vorgehen muß, selbst wenn er von dessen Schuldlosigkeit überzeugt ist, ist nicht mehr zum un⸗ abhängigen Richter geeignet. Wir haben in Preußen zahlreiche Senate, besonders Strafsenate, die ausschließlich aus früheren Staatsanwälten bestehen. Unser Eventualantrag entspricht einer Anregung des ver⸗ storbenen Abg. Windthorst, der als hannoverscher Justizminister auf diesem Gebiete Erfahrungen gesammelt hatte. Er erwies sich als ein guter Prophet, als er auf die Gefahr der Titelführung von Richtern hin⸗ wies, die mit einem Amt nicht verbunden sind. Die Eigenschaft als Leutnant der Reserve und dergleichen hat mit dem Richteramt nichts zu tun. Die menschliche Eitelkeit ist unausrottbar, aber sie soll von oben nicht gestärkt werden durch Titel und Orden. Auf seine Ueberzeugung und Charakterfestigkeit allein soll der Richter stolz sein, auf nichts anderes. 1
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volsp): Der erste Antrag der Sozialdemokraten ist für uns unannehmbar und ist auch überflüssig. Dieser Antrag geht von der Auffassung des blutrünstigen Staatsanwalts aus, der auch ein blutrünstiger Richter sein würde. Wir in Bayern haben mit Staatsanwälten als Richtern die aller⸗ besten Erfahrungen gemacht. Das Mißtrauen gegen die vormaligen Staatsanwälte ist durchaus unbegründet. Der Ausdruck Titulatur in dem Prinzipalantrag ist etwas unklar, die Antragsteller haben ihn in ihrem Eventualantrage interpretiert, aber auch diese Interpretation ist nicht klarer. Soll der Geheime Justizrat usw. ausgenommen sein? Ohne eine Kasuistik kommen wir hier nicht aus. Deshalb haben wir den guten Kern jenes Antrages herausgeschält und einen besonderen Antrag gestellt. Richter brauchen derartige Orden nicht, ihre Stellung wird hierdurch nicht gehoben, sondern kann darunter leiden. Wer bereits mit einem Orden belastet ist, dem wollen wir ihn lassen, und wirkliche kriegerische Verdienste und Rettung von Menschenleben wollen wir nach wie vor ausgezeichnet wissen.
Die Anträge Albrecht werden gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Für den Antrag Müller⸗Meiningen stimmen mit den Antragstellern die Sozialdemokraten, die Mehrheit der Polen und eine Minderheit des Zentrums und der Abg. Dr. Weber (nl.). Nach der Gegenprobe wird der Antrag ebenfalls für abgelehnt erklärt.
Nach 6 Uhr vertagt das Haus di weitere Beratung auf
Dienstag 1 Uhr. 8
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 20. Sitzung vom 6. Februar 1911, Vormittags 11 (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die Spezial beratung des Etats der Justizverwaltung im Kapitel der Ausgaben für die Land⸗ und Amtsgerichte fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Herren! Ich möchte auf die allgemeinen Ausführungen der Herren Redner, die zuerst das Wort ergriffen haben, nicht näher eingehen; bei dem jetzigen Stadium der Beratung beschränke ich mich darauf, nur hervorzuheben, daß allerdings die Art und Weise, wie Richter und Gerichte in jetziger Zeit zuweilen in der Oeffentlichkeit einer Kritik unterzogen werden, meines Dafürhaltens nicht ersprießlich ist. (Sehr wahr!) Ich habe auch schon wiederholt Veranlassung ge⸗ nommen, solcher Kritik, zumal in ihrer Verallgemeinerung, entgegen⸗ zutreten und die Richter gegen unbegründete Vorwürfe zu verwahren. (Bravo!)
Dem Herrn Abg. Cassel möchte ich bemerken, daß wir uns ja schon bei früherer Gelegenheit über die Laien unterhalten haben und daß ich schon damals erwähnte, daß ich doch nicht ganz mit seiner Auffassung übereinstimme.
Der Herr Abg. Rhiel hat über Erleichterungen im Grundbuch⸗ verkehr gesprochen. Dazu kann ich ihm mitteilen, daß bereits eine allgemeine Verfügung entworfen ist — und sie wird nächstens er⸗ scheinen — in der die Zurückführung des Grundbuchs auf das Kataster behandelt wird; dabei ist auch geplant, den Gerichtsschreibern eine er⸗ weiterte Tätigkeit zuzuweisen, wodurch die Richter entlastet werden. (Bravo!)
Der Herr Abg. von Reitzenstein hat sich für den Ort Alt⸗ Berun als Sitz eines Amtsgerichts eusgesprochen. Ich muß ihm er⸗ widern, daß von allen Seiten, die gehört worden sind, ein Bedürfnis für dieses Amtsgericht bisher nicht aunerkannt worden ist.
Endlich habe ich dem Herrn Abg. von Kries noch mitzuteilen, daß die Frage, ob Gerichtstage eingerichtet werden sollen, regelmäßig in liberalster Weise geprüft und dort, wo sich ein Bedürfnis heraus⸗ stellt, auch mit der Errichtung nicht zurückgehalten wird. (Bravo.)
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Minister hat immer den Mansel der christlichen Nächstenliebe über alles gedeckt, was in der Oeffentlichkeit kritisiert worden ist. Eine Besserung
die Rechtspflege einer Kritik unterzogen werde. doch auch, um zu wissen, daß eine sachliche Kritik jedermann nur er⸗ wünscht sein kann. sprochen, wie die Kritik zuweilen laut wird; dagegen habe ich mich, und wie ich glaube mit Recht, verwahrt.
und die Laienrichter auch aus allen Volksschichten genommen werden. Wir müssen dafür sorgen, daß die Gerichte soziales Verständnis haben.
Justizminister Dr. Beseler: Meine Herren! Ich habe mich keineswegs dagegen verwahrt, daß So erfahren bin ich
Aber ich habe über die Art und Weise ge
(Sehr richtig!) Abg. Boehmer (kons.): Gegenüber der Aeußerung des Abg
Mathis erkläre ich, daß ich die Interessen meines Standes, den ich über alles hoch halte, dessen Ansehen ich auf eine möglichst hohe Stufe bringen möchte, besser zu wahren glaube, wenn ich an manchen Er⸗ scheinungen Kritik übe und einzelne Mängel der Rechtsprechung hervor⸗ hebe, als wenn ich kritiklos alles lobe.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Justizminister hat sich in der
Generaldebatte mit einer ziemlichen Schärfe gegen die Kritik des Urteils im Becker⸗Prozeß gewandt. Abg davon gesprochen, daß das Gericht einen einseitigen Standpunkt ein⸗
Der Abg. Wiemer hat nur enommen habe. Wenn man eine solche Kritik nicht für erlaubt ält, dann wird das eine Engherzigkeit über Gebühr. Justizminister Dr. Beseler: Der Herr Abgeordnete hat meine Bemerkungen über den Becker⸗
Prozeß vollständig falsch gewürdigt. Ich habe mich damals dagegen ausgesprochen, daß ein Urteilsspruch kritisiert werde, ehe das Urteil rechtskräftig ist. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Das hat mich zu meinen Worten bewogen. Jetzt will der Herr Abgeordnete
sagen, ich hätte damit überhaupt eine Kritik unterbinden wollen; aber der Grund für meine Worte war das, was ich eben erwähnte. Das habe ich vertreten und mit Recht vertreten; denn der Prozeß war noch nicht rechtskräftig, und das, was darüber gesagt worden war, enthielt eine Kritik des Urteils hinsichtlich der Schuld und der Straf⸗ abmessung. (Sehr richtig! rechts. — Widerspruch bei den Sozial⸗ demokraten.)
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.); Ich appelliere an das Haus, daß der Justizminister erklärt hat, daß das eine Art der Kritik gewesen sei, die über die Grenzen gehe.
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Herren! Ich habe lediglich gesagt, der Annahme einer Vor⸗ eingenommenheit der Richter, wie sie damals angedeutet oder als möglich hingestellt war, müßte ich widersprechen, unter allen Um⸗ ständen widersprechen. (Abg. Ströbel: Na also!) — Da ist nichts „Na also!“, das ist einfach richtig. (Widerspruch bei den Sozial⸗ demokraten.)
Abg. Dr. Röchling (nl.): Die Richter sind für jede sachliche Kritik dankbar und empfänglich, aber es wird immer von der äußersten Linken ihnen das Wort „Klassenjustiz“ angehängt. Das müssen sie sich energisch verbitten. Das Wort wird so gedeutet, als ob die Richter wissentlich und willentlich Klassenjustiz treiben. Ich möͤchte die Herren Sozialdemokraten bitten, sich dieses Angriffspunktes zu enthalten. 1“ “
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Vorredner ist über die Be⸗ deutung des Wortes „Klassenjustiz“ gar nicht hinreichend orientiert. Sie fassen das Wort „Klassenjustiz“ in kleinlicher, persönlicher Weise auf, in der dieser Vorwurf nie gemeint ist. Diejenigen, die unter unserem geistigen Einfluß stehen (Lachen), sind so geschult, daß sie das Wort verstehen. Ihr Lachen hat keine Beweiskraft. Diese Leute sind in sozialer Beziehung so geschult, daß sie die einzelnen Vorgänge, die ihnen mißfallen, nicht zurückführen auf Böswilligkeit, schlechte Eigen⸗ schaften oder Niederträchtigkeiten einer Person, sondern daß sie sich bemühen, in jeder Erscheinung eine soziale Erscheinung zu sehen, die aus dem Wesen der Klassengesellschaft zu erklären ist. Der Vorwurf der Klassenjustiz schließt also nicht den Vorwurf der Rechtsbeugung in sich, sondern geht vielmehr aus der sozialen Zerrissenheit hervor, die unsere Partei ebenfalls beklagt. (Lachen.) Sie wollen ja gar nicht mit Ernst darüber diskutieren, den Ernst lassen Sie sehr vermissen.
Abg. Dr. Röchling (nl.): Wenn der Abg. Liebknecht von der sozialen Zerrissenheit spricht, so möchte ich ihn nur an das alte Wort erinnern: Quis tulerit Gracchos de seditione querentes?
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Abg. Dr. Röchling will wohl damit sagen, daß wir die Klassengegensätze geschaffen haben? (Rufe rechts: Jawohl!) Darauf kann ich nur antworten: 0 sancta simplicitas! 8
Bei den Ausgabenzfür die Staatsanwälte kritisiert
Abg. Dr. Liehknecht (Soz.) nochmals das Verhalten der Staats⸗ anwaltschaft im Moabiter und im 1“ Die Amts⸗ verschwiegenheit sei bei Zeugenaussagen, die für sie hätten unbequem werden können, zu weit ausgedehnt. Das mache nicht den Eindruck, als ob die Staatsanwaltschaft „die objektivste Behörde“ sei. Im ersten Essener Prozeß 1895 hqbe der Erste Staatsanwalt nichts davon erwähnt, daß der Gendarm Münter sich bereits schwerer amtlicher Verfehlungen schuldig gemacht habe und als ein streitsüchtiger, ge⸗ walttätiger und liederlicher Mensch bekannt gewesen sei, dem man in keiner Beziehung trauen könne. Es müßte festgestellt werden, ob die Staatsanwaltschaft davon Kenntnis gehabt und etwa absichtlich es verschwiegen habe.
Justizminister Dr. Beseler:
Das Verlangen des Abgeordneten, daß ich der Staatsanwalt⸗ schaft verbieten soll, die Ermittlungen anzustellen, die sich im Laufe des Verfahrens für sie als angezeigt ergeben, kann ich nicht ecfüllen; denn es ist gerade Aufgabe der Staatsanwaltschaft, daß sie die Er⸗ mittlungen anstellt, die zur Klärung der Sache führen und möglicher⸗ weise zu ihrer Abkürzung beitragen sollen. Also das Verlangen des Abgeordneten ist nicht berechtigt.
Nun hat der Abgeordnete wieder hingewiesen auf die Frage, die ich an den Vorsitzenden des Schwurgerichts in Moabit gestellt habe; er nennt das, wie ich glaube, koramieren oder zur Verantwortung ziehen; ich verstehe das absolut nicht. Wenn ich nichts getan habe⸗ als den Herrn zu fragen, wie die Sache sich zugetragen hat, so nennt der Herr Abgeordnete das koramieren. Ich habe gar nicht daran ge⸗ dacht, ihn irgendwie zur Verantwortung zu ziehen, sondern habe eine Information von ihm haben wollen, damit ich etwaige Anfragen aus dem Hause nach dem wahren Sachverhalt beantworten könnte. Wenn das nicht mehr erlaubt sein sollte, so würde ich in vielen Fragen gar keine Auskunft mehr geben können.
Und nun sagt der Abgeordnete, die Staatsanwaltschaft hätte die Wahrheit verschleiert. Wie sie das getan haben soll in dem letzten Prozeß, verstehe ich nicht, und wenn er behauptet, daß es geschehen sei, in dem, der vor 16 Jahren stattgefunden hat, so bemerke ich drauf, daß irgend ein Anhalt zu solchen Verdächtigungen, wie er sie ausgesprochen hat, absolut nicht vorliegt. (Na, na! bei den Sozial⸗ demokraten.) Ich bemerke, daß der eine Staatsanwalt, wie mir ge⸗ sagt worden ist, im jetzigen Prozeß als Zeuge vernommen worden ist, also sicherlich unter Eid alles hat sagen müssen und gesagt hat, was zur Beurteilung der Sache dienlich ist. Der andere Staatsanwalt,
hinzufügt, und in einem Punkte klüger ist als die Kommission, so kann man ihm das nicht übelnehmen. 1b
wird nur erzielt werden, wenn der Einfluß des Laienelements gestärkt
der in dem früheren Prozesse tätig war, ist gestorben. Irgend etwas