Großhandelspreise von Getreide an deutschen und fremden Börsenplätzen ““ für die Woche vom 13. bis 18. Februar 1911 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)
Da⸗ gegen V Dr⸗ woche 152,17
199,17 152,50
Woche 13./18. Februar 1911 153,00
199,25 153,92
712 g das 1. 755 g das 1. 450 g das 1.
1“
e
mindestens
Roßgen, guter, gesunder,
Mannheim. b 1
164,38 164,37 220,94 222,34 165,00 164,37 178,13 177,50 130,00 129,37
Roggen, Pfälzer, russischer, mittel . . . . . . .. Weiben⸗ scher rus scher amerik., rumän., mittel. Hafer, badischer, russischer, mittel.
badische, Pfälzer, mittel. Gerste russische Futter⸗, mittel.
Wien. . Roggen, Pester Boden. Tvee““ Hafer, ungarischer T... Gerste, slovakische . . .. Mais, ungarischer, neuer Budapest.
Roggen, Mittelware.. Woehgen, .
152,46 219,75 157,57 178,87 113,28
150,74 218,87 158,41 178,85 114,11
138,25 201,37 151,71 140,12 100,26
136,10 197,76 152,97 140,10 100,50
Hafer,
Gerste, Futter⸗ Mais, .“ 1 Odessa Roggen, 71 bis 72 kg das hl.. Weizen Ulka 75 bis 76 kg das
Riga.
8
Roggen, 71 bis 72 kg das hl Weizen, 78 bis 79 kg das hl.
Paris. lieferbare Ware des laufenden Monats
96,86 139,68
94,88 139,68
105,86 142,42
108,06 140,74
137,65 219,75
140,30
Neßgen 221,10
Weizen Antwerpen.
Donau⸗, mittel .. . 1166565 * F Nr 2..
Amsterdam. LE111“ St. Petersburger .. 111“ wmertzantscher Winter⸗ amerikanischer, bunt. Eö“
London.
153,43 151,41 155,28 156,49 157,46
153,39 151,37 157,26 156,45 157,42
107,18 123,30 166,41 167,82
98,15 103,23
151,10 147,74
142,20 126,56 138,67
150,54 147,18 142,98 125,96 138,20
engl. weiß
vot -ah Z“
englisches Getreide, Mittelpreis aus 196 Marktorten (Gazette averages)
Liverpool.
111“” roter Winter⸗ Nr. 2 . Manitoba Nr. 2... böb56 “ weiß BF“ Hafer, englischer, weißer .. ..
erste, Futter⸗, Schwarze Meer⸗
EA“““
Mais amerikan., bunt .. .
IIWWW Chicago. Mai.. “ September E““ Neu York. roter Winter⸗ Nr. 2
MM Lieferungsware
afer Gerste
Weizen
159,83
170,65 159,14 162,18 171,12 129,53 117,52 102,95
95,67 102,01
159,83 165,47 171,59 160,08 163,12 171,12 129,53 113,60 104,36
96,14 110,12
Weizen
145,53 143,21 141,63
81,59
141,39 139,28 138,12
80,83
1“
Weizen, Lieferungsware
.
147,08 151,17 149,16
93,46
150,10 154,74 153,22
94,42
Weizen
Mais Buenos Aires.
- Durchschnittsware .. . .
8
Weizen Mais
¹) Angaben liegen nicht vor.
141,65 142,54
Bemerkungen.
1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Produktenbörse 504 Pfund engl. gerechnet; ie die aus den Um⸗ hre an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnitts⸗ preise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl.
angesetzt; 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund
mngfisch 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen 2100,
Weizen = 2400, Mais = 2000 kg.
Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger“ ermittelten wöchent⸗ lichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner Ptheeehe gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Iberprol die Farss auf London, für Chicago und Neu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Peters⸗
Deutscher Reichstag.
131. Sitzung vom 21. Februar 1911, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1911, und zwar Etat der Reichsjustizverwaltung. Ueber den Anfang der Sitzung ist Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Dr. Belzer (Zentr.) in seinen Ausführungen fortfahrend: Das Luftschiffahrtsrecht sollten wir nach dem französischen Vorgange und Muster in Angriff nehmen, nämlich zunächst die polizeiliche Seite der Angelegenheit ordnen. Dann wird ein Gesetz zur Regelung der juristischen Seite der Sache leichter zu stande kommen. Die Reformbedürftigkeit der Strafrechtspflege ist anerkannt: es ist eine gewisse,. Verdrossenheit der Bevölkerung gegen deren Handhabung allgemein vorhanden. Hat doch selbst ein so gemäßigter Herr, wie der Kollege Heinze, zugegeben, daß im Volke, wenn auch unberechtigterweise, unsere Rechtsprechung als Klassenjustiz an⸗ gesehen wird. Wir unserseits können hinzufügen, daß dieser Glaube beim gemeinen Mann nicht in allen Fällen ein frivoler ist. Daß gewisse Vedenken auch bei den verbündeten Regierungen bestehen, beweisen Erlasse der bayerischen Justizverwaltung. Die Staats⸗ anwälte werden darauf hingewiesen, daß sie auch zur Entlastung der Angeklagten beitragen müssen. Es bestehen Gesetze, die den Richter geradezu zwingen, gegen sein eigenes Empfinden zu entscheiden. Anderseits herrscht bei den Richtern eine Weltfremdheit, die sie verhindert, die Verhältnisse des praktischen Lebens unbefangen zu beurteilen. Auch das große Maß immer neuer Gesetze ist nicht geeignet, das Vertrauen im Volke zur Justig zu erhöhen. Man sollte es sich immer überlegen, ehe man bestehende Ge⸗ setze ändert. Die Gesetzgebungsmaschine arbeitet so rasch, daß sich vielfach Redaktionsmängel in den Gesetzen zeigen. Es wird darüber geklagt, daß die Gerichte oft in dem Umfang der Beweis⸗ aufnahme beschränkt sind, wenn es sich um die Vernehmung von Beamten handelt. Allerdings muß der Staatszweck über dem Privat⸗ zweck stehen, aber das darf auch nicht zu weit gehen. Die Sensations⸗ prozesse der letzten Zeit haben zu mancherlei Klagen geführt. Auf den Moabiter Prozeß will ich nicht eingehen. Dem Vorsitzenden des Schoenebeck⸗Prozesses kann ich den Vorwurf nicht ersparen, daß er die Verhandlungen von vornherein zu groß angelegt hat. Die Verhand⸗ lungen gingen schließlich ins Uferlose. Warum wurde denn hier so minutiös verhandelt, während wichtigere Prozesse mitunter in wenigen Tagen erledigt werden? Durch die unbeschränkte Oeffentlichkeit in diesem und im Nürnberger Prozeß wurde das Gift in Tausende und aber Tausende von Familien getragen. Auffallend ist es, daß die Angeklagte auf freien Fuß gesetzt wurde und sich wieder in Berlin herumtreiben konnte. Der Verkehr mit der Angeklagten ging quasi im Gesellschaftston vor sich, während sonst ehrenwerte Bürger im schneidigen Ton behandelt werden. Rangunterschiede müssen unter allen Umständen vor den Schranken des Gerichts aufhören. Es sollten nur die auf die Anklagebank gesetzt werden, die aus der Haft vorgeführt werden oder widersetzlich sind. Besonderes Gewicht lege ich auf den Hinweis, daß der Allensteiner Prozeß gezeigt hat, daß die Pspchiatrie drauf und dran ist, die Rechtsfrage außer Kraft zu setzen. Etwas empört dies das Volksgewissen und das gesunde Volksempfinden. So ist es dem Reichen heute viel mehr erleichtert als dem Armen, sich der Strafe zu entziehen. Ich will nicht behaupten, daß die Pspchiater leichtsinnig verfahren, aber die Schule von Lombroso verführt die Sachverständigen nur zu leicht, ihnen die Freiheit des Willens, die Verantwortlichkeit abzusprechen. Der reiche Mann ist sehr oft in der Lage, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen und die Sache in das Pspchiatrische hinüberzuspielen. Nachdem die Entmündigung der Frau von Schoenebeck ausgesprochen ist, ist auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens kaum zu rechnen. Aber das Volksgefühl ist damit nicht zufrieden. Die Erregung war eine tiefgehende, und man fragt sich, ob es einem armen Mann möglich gewesen wäre, einen Prozeß so in die Länge zu ziehen und so ausgehen zu lassen. Solche Verbrecher müssen in Staats irrenanstalten sichergestellt werden; ein Verbrecher darf nicht auf die Menschheit losgelassen werden. Das Verbrechen muß eine genügende Sühne finden, und verlangt, daß solche irre Verbrecher nicht in privaten Sanatorien, sondern in öffentlichen Irrenanstalten untergebracht werden. Eine Weiterführung des Prozesses Eulenburg scheint ja nicht mehr möglich; das darf aber nicht ausschließen, daß die Gerichtsbehörden immer wieder versuchen, diese Fortführung zu ermöglichen. Obgleich ich keinen Augenblick daran zweifle, daß die preußischen Justizbehörden alles getan haben, wäre ich doch für eine Erklärung des Staatssekretärs im Interesse der Beruhigung der öffentlichen Meinung dankbar. Der Prozeß gegen Becker in Greifswald scheidet für mich hier aus; nur so viel, daß mir das Strafmaß reichlich hoch erscheint, zumal der Ver⸗ urteilte nicht aus unedlen Motiven gehandelt hat. Bemängeln muß ich ferner, so wenig ich ein Freund der Kritik von Richtersprüchen bin, die Motivierung eines Urteils des Glogauer Gerichts, worin es heißt, daß der wegen Verfälschung von Nahrungsmitteln verurteilte Fleischermeister auch Kunden aus den besseren Gesellschaftsschichten gehabt habe. Danach wäre anzunehmen, daß er eine geringere Strafe erhalten hätte, wenn seine Kundschaft sich nur aus den unteren Volksschichten zusammensetzte. Noch schlimmer ist eine in einer Urteilsbegründung erfolgte Differenzierung der Frauenehre, indem das hohe Strafmaß damit begründet wird, daß die beleidigte Dame die Tochter eines Angehörigen der höheren Stände sei. Das bedeutet eine Herab⸗ setzung der Frauenehre von zwei Dritteln unserer deutschen Mitbürger weiblichen Geschlechts. Die Rechtsprechung muß getragen sein von dem Vertrauen des gesamten deutschen Volkes. “ Abg. Dr. Frank (Soz.): Ich freue mich, daß die Kritik der Klassenjustiz jetzt nicht mehr den Sozialdemokraten allein überlassen, sondern auch von den bürgerlichen Parteien geübt wird. Sie können von den Sozialdemokraten in diesem Punkte noch viel lernen. Zwischen den sozialen Verhältnissen und der Kriminalität besteht ein enger ursächlicher Zusammenhang. Wenn die Getreidepreise steigen, erhöht sich die Kriminalität; die meisten Vergehen und Verbrechen geschehen da, wo die Arbeiter am schlechtesten bezahlt werden. Darum ist nicht die Bestrafung, sondern die Verhinderung von Verbrechen und Vergehen die Hauptsache. Diese. Erscheinung mögen Sie bekämpfen, aber Sie durfen sie nicht ignorieren. Es ist deshalb unbegreiflich, daß die Regierung in die zweite Kommission zur Bearbeitung des neuen Strafrechts keinen Sozialdemokraten, keinen Arbeitervertreter berufen hat. Wir müssen daher hier in der Oeffent⸗ lichkeit Kritik an dem Vorentwurf üben. Unter der Flagge einer Straf⸗ rechtsreform wird ganz gefährliche reaktionäre Ware einzuschmuggeln ver⸗ sucht. Todesstrafe, Polizeiaufsicht will ich hier nicht erörtern, sondern nur die Frage herausgreifen, warum der Entwurf sich als gegen die Arbeiterbewegung erweist. Der Hochverratsparagraph soll auch hier dazu dienen, politisch unbequeme Männer unschädlich zu machen. Es wird ja verhältnismäßig selten von ihm Gebrauch gemacht. Im Falle des Verfassungsbruches von unten wird er angewendet. Der Verfassungsbruch von oben bleibt straflos; kein Staatsanwalt rührt sich, wenn hochstehende Herren Verfassungsfragen mit dem Schwerte zu lösen raten und Alexander den Großen den deutschen Fürsten als
in der gestrigen
es
znenos Aires unter Berücksichtigung der Goldprämie. Berlin, den 22. Februar 1911. Kaiserliches Statistisches Amt. van der Borght.
burg, für ee Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. Pracfe in
Muster hinstellen. Der neue Entwurf will in § 102 die einzige Schranke, die noch besteht, hinwegräumen, indem auch schon derjenige, der zur Begehung hochverräterischer Handlungen aufreizt, mit Zucht⸗ haus bedroht wird. Diese Aufreizung soll jede Opposition in der Oeffentlichkeit, Presse usw. unmöglich machen. Die geschulten Agi⸗ tatoren, so erklärt die Regierung ärgerlich, fordern nicht auf zu straf⸗ baren hochverräterischen Handlungen, sondern begnügen sich damit, dazu „aufzureizen“, d. h. eine entsprechende Stimmung zu erzeugen. Wird dieser Paragraph Gesetz, so müßte jeder sozialdemokratische Redner ins Zuchthaus, aber auch andere Parteien, der Hansabund, der
von ihnen, um mit dem Abg. von Oldenburg zu sprechen, würde unten den Paragraphen fallen. Ein weiterer Paragraph will künftighin jed Kritik der Regierung unmöglich machen; wer eine Anordnung de Polizeipräsidenten von Jagow nicht verherrlicht, sondern kritisiert, reiz auf und wandert ins Gefängnis. Eingesperrt soll auch werden, wer begangene Verbrechen verherrlicht. Es ist das ein alter Ladenhüten der Zuchthausvorlage; er ist durch Ablagern nicht besser geworden. (Vizepräsident Dr. Spahn macht darauf aufmerksam, daß Straf gesetzbuchvorentwürfe mit dem Gehalt des Staatssekretärs nichts zu tun haben.) Ich habe keine Veranlassung, meine Ausführungen zu rektifizieren. (Vizepräsident Dr. Spahn: Das habe ich auch nicht verlangt!) Ich war der Ansicht, daß der Staatssekretär nicht ohn Einfluß auf die Zusammensetzung der Kommission ist; wäre dies der Fall, so wäre er noch einflußloser, als man geglaubt hat. Auch die Rede des Polizeipräsidenten würde unter den Paragraphen fallen, denn er hat durch seine Rede die Moabiter Polizeiverbrecher verherrlicht Ein anderer Paragraph stellt Drohungen unter Strafe. Darunter würde also auch die Aufforderung zu Streiks fallen. Ferner sind auch Arbeitervereine bedroht, denn sie würden nach der Auffassung der Regierung dem Strafgesetz zuwiderlaufen. Der Dolus eventualis soll künftig für alle Zeiten gesetzlich festgelegt werden. Derselbe Entwurf, der diese Knebelungsvorschrift gegen die Arbeiter enthält, will den sogenannten Kanzelparagraphen abschaffen. Wir haben nichts dagegen, aber es ist pikant, daß die Regierung sich jetzt in den Schutz der Kirche flüchtet im Kampfe gegen die Arbeiter. Die Streiks der Verkehrsarbeiter werden mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bedroht. Dagegen werden die Unternehmer im Entwurf sehr zärtlich behandelt. Die Fabrikanten sollen die Schutz⸗ vorschriften für Kinder und Frauen übertreten dürfen und mit Geldstrafe von 3 und 5 ℳ davonkommen. Die Kommission hat es abgelehnt, die Geldstrafe nach dem Vermögen abzustufen, weil darunter der Betrieb leiden würde. Im Becker⸗Prozeß wurde da⸗ gegen auf Gefängnisstrafe erkannt, weil der Angeklagte ein wohl⸗ habender Mann sei; Redakteure werden ebenfalls zu Gefängnis ver urteilt, weil sie ja die Geldstrafe nicht selbst bezahlen. Cs gibt eine besondere ostelbische Justiz. Das Urteil im Becker Prozeß ist dem Volke geradezu unverständlich gewesen. Ein Jahr Ge fängnis unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er gereizt worden sei! Vielleicht hätte man ihn sonst gevierteilt. Er bat einen „so hohen Beamten“ beleidigt. Man sieht förmlich, wie die Richter vor einem Landrat eine Gänsehaut überlief. Vor dem Gericht soll doch alles gleich sein. Warum hat die Regierung nicht die amtlichen Akten vorgelegt? Sie muß sich nicht sicher gefühlt haben. Bei der Justiz von Breslau spürt man die Nähe von Rußland. Von unserm Organ, der Breslauer Volkswacht sind fast mehr Redakteure im Gefängnis als in der Redaktion. CEs schweben jetzt noch 9 Prozesse. Die Sprache dieses Blattes ist keineswegs besonders verletzend. Der Ton ist nicht gehässig. Sowie die Staatsanwälte irgendein Wort finden, das beleidigend erscheint, schicken sie die betreffende Nummer an den angeblich Be⸗ leidigten. Sie haben ein förmlich kriminalistisches Versandgeschäft. Natürlich erweisen die Leute, denen der Staatsanwalt so gefällig ist, diesem auch einen Gefallen. Ich halte dieses Verfahren der Staats⸗ anwaltschaft in Breslau für ungehörig und für einen schlimmen Mißbrauch ihrer Befugnis, da Beleidigungen nur auf Antrag ver folgt werden dürfen. Es liegt kein Uebereifer vor, sondern es wird ganz offenkundig parteiisch verfahren, indem zwar gegen die sozialdemokratische „Volkswacht“, aber nicht gegen die bürgerlichen Blätter Strafantrag gestellt wird, die dieselben Notizen gebracht haben. (Der Redner führt einige solche Fälle an.) Selbst der „Vorwärts! blieb unbehelligt, als er sich einmal gegen das Herrenhaus gewendet hatte; die „Volkswacht“ druckte den Artikel ab, und das Resultat war ein Monat Gefängnis. Dabei gehen die Herren von der Breslauer Justiz mit der Ehre ihrer Nebenmenschen gar nicht so vorsichtig um; hat doch der Landgerichtsdirektor Mundry in einem Prozesse gegen den Redakteur Schiller erklärt, Beamte und Offiziere, die sich mit ihren Beschwerden an sozialdemokratische Blätter wenden, wären „ehrlose Schweinehunde“. Ein Herr, der sich so wenig beherrschen kann, ist nicht würdig, Vorsitzender einer Strafkammer zu sein. Im Becker Prozeß wurde ein Lehrer, der als Zeuge auftrat, vom Vorsitzenden gerüffelt, weil er sich mit der Hand auf den Tisch stützte, das widerspräche der Würde des Gerichts. Andererseits wurde ein Anwalt, der vor Gericht plaidierte, wegen Ungebühr zu 30 ℳ Geldstrafe verurteilt, weil er in seinem Plaidoyer dadurch gestört zu werden erklärte, daß ein Beisitzer sein Brötchen hervorholte und zu frühstücken begann. In Moabit wurden gegen Rechtsanwälte Ungebührstrafen verhängt, die kein Mensch im Volke begreifen kann. Die Gerichtsentscheidungen gegen die freien Jugendorganisationen sind ganz offenkundige Gesetzes verletzungen, indem man Vorträge gegen den Alkoholismus, gegen die Schundliteratur ꝛc. einfach für politisch erklärt und verbietet. Die christlichen, die nationalen Jugendorganisationen, die ganz offen als Zweck die Bekämpfung der Sozialdemokratie angeben, läßt man gewähren; das ist nicht politisch, da beteiligen sich weltliche und geistliche hohe Herren sogar direkt daran. Das ist doch ein Messen mit zweierlei Maß. Jetzt hat man ja eine offizielle Jugendfürsorge eingeleitet, jetzt, nachdem sich jahrzehntelang kein Mensch darum gekümmert hat; jetzt, nachdem die Arbeiterschaft das Schicksal ihrer Jugend selbst in die Hand genommen hat, kommen die Konser⸗ vativen und kommt die Regierung; aus schlotternder Angst von der proletarischen Jugendbewegung ist diese Gegenbewegung ent⸗ standen. In Cöln ist man noch weiter gegangen und bat Ieae die freie Jugendbewegung durch einen Erlaß des Polizeipräsidenten aufgelöst. Daß diese Bewegung damit auch nur einen Schritt rückwärts gedrängt wird, darauf wird man vergeblich hoffen; es wird so kommen, wie nach der Auflösung der Burschenschaft: „Der Geist lebt in uns allen!“ Die Justiz soll noch mehr als bisher ein Werkzeug der Herrschenden werden. Findet sich noch irgendwo ein Gericht, wo die Richter sich auf ihre Un. abhängigkeit besinnen, dann ist es mit dem Respekt vor der Justiz aus. Man sollte die Richter der Bestätigung durch einen obersten Gerichtsherrn, vielleicht durch den Berliner Polizeipräsidenten ven Jagow, unterwerfen; er hat für seine Eignung dazu in seiner Kaiser geburtstagsrede das beste Zeugnis abgelegt. Ja dasselbe Horn stößt die Arbeitgeberzeitung mit ihrer Klage, daß die Ausdehnung der Beweisaufnahme die Rechtssicherheit gefährdet habe. Der preußische Justizminister hat durch sein Vorgehen gegen den Landgerichts direktor Unger direkt versucht, die Unabhängigkeit der Richter q Frage zu stellen; wir bedauern nur, daß der Richter .; die richtige Antwort gegeben und sich die Frage verbeten hat. Was der Landgerichtsdirektor Unger über die Notwehr gegen Angriffe von Polizeibeamten gesagt hat, ist ganz selbstverständlich gewesen; leider hat das Reichsgericht durch seine Auslegung den bezüglichen Reichstagsbeschluß ziemlich unwirksam gemac ¹ Dieser Vergöttlichung der Polizei schreibe ich für meine Perseon auch die moralische Schuld an dem entsetzlichen Urteil ven Essen’ zu. Der Gendarm Münter hat ganz genau gewußt, daß ihm die Vesl mutung der Gesetzlichkeit zur Seite stand. Mehr als ein Fehlur 8 ist auf diese grundfalsche Voraussetzung zurückzuführen. Wir misan heute, daß in vielen Fällen sogar die Vermutung der Ungesetzlichte besteht. Wenn die Justizverwaltung nicht die innere Kraft hac diese bedauerliche Rechtsprechung zu ändern, muß durch 9 Gesetzgebung bei der Reform des Strafgesetzes dafür Gg or⸗ werden, daß das Notwehrrecht auch gegenüber den Uniforn trägern nicht in Frage gestellt ist. Bis dabin haben. wir 8 Deutschland den Polizeistaat im schlimmsten Sinne des hf sn Es ist im höchsten Maße verwunderlich, daß gerade wie 58 Handabhacker in Breslau von den Schutzleuten keine Spur zu fintst ist, die die Moabiter Verbrechen begangen haben. Ich weiß . ob Zeit gewonnen werden könnte, indem man das Spitzeltum 5 schafft, oder dadurch, daß die Staatsanwaltschaft sich nicht si Kleinigkeiten abgibt. Es bleibt die direkte Schuld der Züaden verwaltung, wenn es nicht gelingt, den Beamten ausfindig zu ma bee der den ÄArbeiter Herrmann⸗in Moabit gemordet hat. Wenn
Bauernbund, ja sogar die Nationalliberalen, oder eine gewisse Sorte
8 8
11-141–“*“**“
dem Ansehen der deutschen Justiz dienen wollen, so dürfen Sie nie
dandelsregister in den Zeitungen, so ist der Wunsch rege geworden⸗
8 G 8 “ die Leute verfolgen, die die Wahrheit sagen, sondern müssen dafür eintreten, daß die Justiz vom Vertrauen des Volkes getragen ist. Es ist kein Zufall, daß sich einzig gegen die Gerichte kein Mißtrauen erhebt, deren Mitglieder vom Volk gewählt werden, die Gewerbe⸗ und Kaufmannsgerichte. Wir verlangen die Wahl der Richter durch das Volk. “ Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat seine Ausführungen begonnen mit einer Kritik des Vorentwurfs zum Strafgesetzbuch, der, wie bereits der Herr Präsident festgestellt hat, bisher keinen amtlichen Charakter trägt. Erst die Kommission, für die die Reichsverwaltung jetzt von Ihnen die nötigen Mittel erbittet, ist berufen, einen Ent⸗ wurf auszuarbeiten, zu dem der Bundesrat und der Reichstag Stellung zu nehmen haben werden.
Auf die Behauptung des Herrn Vorredners, der vorliegende Vor⸗ entwurf sei ein Kampfgesetz gegen die Arbeiterbewegung, kann ich daher nicht eingehen. Der Herr Vorredner hat ferner gerügt, daß zu der jetzt einzuberufenden Kommission keine Arbeitervertreter zugezogen werden sollen. Meine Herren, wie Sie aus dem Bericht der Budget⸗ kommission ersehen, sollen als Mitglieder in die Kommission teils Rechtsgelehrte, teils Herren aus der Praxis berufen werden. Es ist in Aussicht genommen, drei Professoren, die die verschiedenen Rich⸗ tungen der Wissenschaft vertreten, in die Kommission zu berufen. Ferner sollen außer einigen Beamten der Ministerien mehrere Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte in die Kommission ein⸗ treten. Welcher politischen Partei alle diese Herren angehören, davon hat die Reichsjustizverwaltung keine Kenntnis. Für nicht wünschens⸗ wert hält es die Reichsjustizverwaltung, in die Kommission Laien hinzuzuziehen. Die Kommission würde sonst auch zu groß werden. Soweit die Erfahrungen von Laien für die Arbeiten der Kommission benötigt werden, sollen Sachverständige aus den betreffenden Fach⸗ kreisen, 3. B. Pädagogen und Pressevertreter, zugezogen werden.
Bei der Beratung des Etats in der Budgetkommission ist dem Wunsche Ausdruck gegeben worden, daß nicht, wie seitens der Reichs⸗ regierung zunächst beabsichtigt war, zwei, sondern drei Rechtsanwälte in die Kommission berufen werden, und zwar Rechtsanwälte, die durchgebildete Kriminalisten sind. Meine Herren, ich kann bereits jetzt erklären, daß diesem Wunsche der Kommission des hohen Hauses Rechnung getragen werden wird. Die Reichsjustizverwaltung ist in⸗ zwischen bereits mit einer außerpreußischen Regierung wegen Abordnung eines dritten Rechtsanwalts in die Kommission in Verbindung ge⸗ treten. Wir werden dann sechzehn ständige Mitglieder in der Kom⸗ mission haben, darunter drei Rechtsanwälte. Selbstverständlich sind die Rechtsanwälte so ausgewählt, daß sie kriminalistische Erfahrung haben. Ich muß aber bemerken, daß der Ausdruck „Kriminalist“ schließlich doch nicht darauf hindeuten darf, daß die betreffende Per⸗ sönlichkeit lediglich Erfahrungen auf kriminalistischem Gebiete besitzt. Im Gegenteil, auch die Kriminalisten, die in der Kommission sind, müssen genaue zivilistische Kenntnisse besitzen; denn es ist nicht denk⸗ bar, daß ein Herr, der nur mit Kriminalsachen sich befaßt hat, den Anforderungen einer solchen Kommission vollständig gerecht werden
kann. Ich erinnere daran, daß in früheren mit Strafsachen befaßten Kommissionen ähnlicher Art Rechtsanwälte sich befunden haben — speziell ein Rechtsanwalt aus Hamburg — deren Bedeutung gerade auf dem zivilistischen Gebiete lag.
Die Summe, die für die Strafrechtskommission angefordert ist, glaube ich, nicht näher rechtfertigen zu müssen, wenngleich ihre Höhe bemängelt worden ist. Die Herren können versichert sein, daß die Summe nur knapp ausreichen wird; denn es sind damit nicht nur die Enschädigungen für die Mitglieder, sondern auch die Kosten zahlreicher Drucksachen zu decken.
Das Gesetz vom 22. Mai 1910, betreffend die Entlastung des Reichsgerichts, verfolgt sein Ziel im wesentlichen auf zwei Wegen: einnal durch Zuziehung von Hilfsrichtern, um die Reste aufzuarbeiten, und ferner durch Entlastung des Reichsgerichts mittels Erhöhung der Revisionssumme. Ich kann mitteilen, daß dieses Gesetz bereits ganz wesentlich zu wirken beginnt; durch die Zuziehung der Hilfsrichter haben Termine eingeschoben und so hat ein schnellerer Gang in das ganze Verfahren beim Reichsgericht gebracht werden können. Und die Revisionen haben sich in den beiden letzten Monaten ganz erheblich vermindert. Im Dezember 1910 sind 146 Revisionen weniger eingegangen als im Dezember 1909, im Januar d. J. genau 100 Revisionen weniger als im Januar 1910. Also glaube ich sagen zu können, daß wir in einiger Zeit zu einem wesentlich besseren Zustand beim Reichsgerichte gelangen werden: es ist bereits jetzt soviel erreicht, daß — während vor einem Jahre die Termine teilweis über ein Jahr hinausgerückt waren jetzt in den sämtlichen Zivilsenaten die Termine 3 Monate kürzer anstehen alh im vorigen Jahre; also immerhin schon ein bemerkenswerter Fortschritt. ahr 18 hs. dann auf ekätge Punkte eingehen, die von dem Herrn Abg. Dr. Belzer berührt worden sind. Er hat bemerkt, daß ich im vorigen Jahre auf zwei Fragen, die er an mich gerichtet hat, keine Antwort gegeben habe. Diese Fragen betrafen den § 313 des B. G. B. und die Publikationen aus dem Handelsregister. Was den 8 313 B.⸗G.⸗B. anbetrifft, so ist es ja richtig, daß von gewissen Seiten eine Aenderung dieses Paragraphen angestrebt wird. Aber, meine Herren, schon im vorigen Jahre hat der Herr Abg. Dr. Junck genau das Gegenteil von dem ausgeführt, was der Herr Abg. Dr. elzer heute ausgeführt hat; er hat damals dringend davor gewarnt, 8 § 313 jetzt schon einer Aenderung zu unterziehen, während der Verr Abg. Dr. Belzer meint, es liege im Interesse der kleinen Land⸗ wirte der westlichen Provinzen, durch baldige Aenderung des Para⸗ graphen den Grundstücksverkehr zu erleichtern. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß dieser § 313 seinerzeit gerade im Interesse der kleinen Landwirte eingeführt worden ist, die man durch den Zwang, zu einem Notar oder zum Gericht zu gehen, veranlassen wollte, sich eine Veräußerung ihres Grundes und Bodens vorher recht genau zu überlegen. (Sehr richtig! links.) Ich kann daher eine Aenderung des § 313 B.⸗G.⸗B. nicht in Aussicht stellen, und ich glaube dabei sogar im Sinne des Herrn Abg. Dr. Belzer zu handeln, der ja in einen späteren Ausführungen selbst davor gewarnt hat, im Rechts⸗ eben allzuviel zu experimentieren. Auch auf dem Gebiete des § 313 wollen wir nicht experimentiren, sondern wir wollen es bei der bisher wenigstens bewährten Vorschrift belassen. Schlechte Erfahrungen nd mit ihr bisher nicht gemacht worden. (Sehr richtig! links.) as die zweite Frage betrifft, die Bekanntmachungen aus dem
es möge nicht zu zahlreich publiziert werden, und die Publikationen sollten nicht zu kostspielig sein. Das ist auch das Bestreben der Reichsjustizverwaltung von Anfang an gewesen; schon bei Beratung des Handelsgesetzbuchs im Jahre 1897 ist darauf Bedacht genommen worden, die Publikationen aus dem Handelsregister einfach, übersichtlich und wirksam zu gestalten. Die Publikation in einem Zentralregister, im „Reichsanzeiger“, ist nicht zu entbehren, aber die Publikationen, die in den Einzelzeitungen früher nach Befinden einmal oder mehrmals veröffentlicht wurden, erfolgen jetzt nur einmal. Auch werden die Bekanntmachungen über die Auswahl der Publikationsorgane jetzt derartig zusammengefaßt, daß nur im Dezember jeden Jahres eine Bekanntmachung im „Reichsanzeiger“ erscheint, in der die sämtlichen Publikationsorgane der einzelnen Gerichte bezeichnet werden. Dies ist eine erhebliche Erleichterung gegen früher. Das alte Handels⸗ gesetzbuch enthielt dann die Bestimmung, daß nach den Landesgesetz⸗ gebungen zu beurteilen sei, inwiefern die Gerichte bei der Wahl der Blätter an die Weisungen der vorgesetzten Behörde gebunden seien, und ich glaube, der Herr Abg. Dr. Belzer hat gerade gewünscht, daß die vor⸗ gesetzten Behörden auf die Auswahl hinwirkten. Dem entsprechend war früher im Entwurf eines Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit vorgesehen, daß die Landesjustizverwaltungen befugt sein sollten, den Registergerichten Anweisungen zu geben. Aber gerade diese Bestimmung ist seinerzeit vom Reichstag nicht angenommen worden; man wollte, daß jedes Gericht in der Auswahl der Blätter unabhängig sei. Daher ist es jetzt den einzelnen Justizverwaltungen nicht möglich, in dieser Beziehung den Gerichten Weisungen zu erteilen. Im übrigen wird tatsächlich schon jetzt im Verwaltungswege auf eine möglichst sparsame Ausführung der Bekanntmachung hingewirkt. In der preußischen Ausführungsanweisung über die Führung des Handelsregisters ist bestimmt, daß auf' eine leichtverständliche und knappe Fassung der Bekanntmachung Bedacht zu nehmen ist, und daß tunlichst mehrere Bekanntmachungen zusammenzufassen sind; über⸗ flüssige Absätze sollen vermieden, die Namensunterschrift des Richters soll weggelassen werden usw. Meine Herren, es ist dann die Konferenz, betreffend die Ver⸗
einheitlichung des Wechselrechts, berührt worden. Es ist auch vom Standpunkte des Reichsjustizamts zu bedauern, daß der Entwurf, der im vorigen Jahre von der Konferenz ausgearbeitet wurde, von den englischen Delegierten nur mit Vorbehalt gezeichnet worden ist. Die Delegierten haben von vornherein erklärt, daß ihre Regierung sich nicht durch Staatsvertrag an ein allgemeines Wechselrecht binden werde. Immerhin ist es als Fortschritt zu begrüßen, daß auch Eng⸗ land sich an den Arbeiten der Konferenz eingehend beteiligt hat. So ist denn ein Entwurf zustande gekommen, der die große Zahl der Länder, die Vertreter des deutschen und französischen Wechselrechts⸗ systems sind, in sich vereinigt, und der im wesentlichen die Bestim⸗ mungen des deutschen Wechselrechts wiedergibt. Ueber diesen Entwurf haben neulich Verhandlungen im Reichs⸗ justizamt stattgefunden. Es sind juristische und wirtschaftliche Sach⸗ verständige aus allen Teilen Deutschlands vernommen worden. Das Ergebnis war, daß abgesehen von Fassungs⸗ änderungen, die mit unserem Wechselprozeß zusammenhängen dieser Entwurf vom deutschen Standpunkt annehmbar erscheint. Es wird nun im Herbste dieses Jahres eine neue Konferenz im Haag stattfinden, die dann hoffentlich zur Vereinbarung eines einheitlichen Wechselrechts führen wird. Auch wenn England sich an ihr nicht beteiligt, wird es immerhin von großem Wert sein, daß die meisten anderen Länder dann unter einem einheitlichen Wechselrecht stehen werden. Weiter ist gefragt worden nach der Konferenz über die Porno⸗ graphie, die vom 18. April bis zum 4. Mai 1910 in Paris statt⸗ gefunden und über Maßnahmen zur Unterdrückung unzüchtiger Ver⸗ öffentlichungen beraten hat. Es ist, wie ich mitteilen kann, ein Ver⸗ waltungsabkommen getroffen worden, in dem die Vertragsstaaten sich zur Errichtung einer Zentralstelle verpflichtet haben, der es obliegt, alle zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen zweckdienlichen Nachrichten zu sammeln und einander mitzuteilen. Die Nachrichtenstellen sollen untereinander einen unmittelbaren Geschäfts⸗ verkehr unterhalten. Dieses Abkommen ist noch nicht ratifiziert worden; die weitere Behandlung der Angelegenheit liegt jetzt dem Auswärtigen Amte ob. Uebrigens hat der preußische Herr Justizminister einen Erlaß an die Strasverfolgungsbehörden gerichtet, durch den für Preußen die Bekämpfung ausländischer pornographischer Erzeugnisse in den Händen einer Zentralstelle, der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht I. Berlin, vereinigt wird. Meine Herren, was die Bekämpfung der sogenannten Schund⸗
Frau von Schönebeck⸗Weber. Ich will dahingestellt sein lassen, ob in diesem Prozeß dies oder jenes anders bätte gemacht werden können; Richter sind auch nur Menschen, und wenn eine Verhandlung sich sehr lang hinzieht, ist es sehr viel leichter, nachher zu sagen, dies oder jenes hätte anders gemacht werden sollen, als im Moment zu einem bestimmten Entschluß zu gelangen. Im allgemeinen kann ich nur sagen, daß die Leitung dieses Prozesses durchaus sachgemäß gewesen ist. Abgesehen hiervon ist es übrigens selbstverständlich, daß in der Rechtspflege viel auf die Persönlichkeiten und deshalb auch auf die Ausbildung der Richter ankommt. Wir müssen immer wieder dafür sorgen, ein gutes Richter⸗ personal auszubilden, die richtige Persönlichkeit an die richtige Stelle zu setzen; dann werden auch unsere Gesetze gut angewendet und gut ausgelegt werden.
Meine Herren, zum Fall Eulenburg hat Herr Abg. Belzer, der ihn hier erwähnte, im vorigen Jahre selbst ausgeführt, daß die neue Auflage des Prozesses ihm zu Einwendungen in keiner Weise Veranlassung gebe. Die Herren werden sich erinnern, daß in öffentlicher Verhandlung der Fürst Eulenburg zusammen⸗ gebrochen ist in Gegenwart der Geschworenen, und daß sich sämtliche Richter und die Geschworenen davon überzeugt haben, daß eine weitere Verhandlung absolut ausgeschlossen war. Es ist nun gefragt worden: wie steht denn jetzt die Sache? Ich habe eine amtliche Auskunft aus dem preußischen Justizministerium erbeten, und es ist mir mitgeteilt worden, daß der Fürst am 4. Januar d. J. durch den Medizinalrat Dr. Störmer untersucht worden ist und daß dieser ihn zurzeit für verhandlungsunfähig erklärt hat. Die Staatsanwaltschaft behält die Sache natürlich im Auge. Wann der Fürst verhandlungsfähig sein wird, ist selbstverstandlich nicht abzusehen. Ich kann darüber weitere Mitteilungen nicht machen.
Es ist dann ein Fall erwähnt worden Halberstadt. Ich kenne diese Fälle nicht; aber ich kann sagen: wenn die Begründung in dem Halberstädter Fall derart gewesen ist, wie sie hier der Herr Abg. Belzer vorgelesen hat, dann kann ich eine solche Art der Urteilsbegründung, die sich ergeht in Differenzierungen zwischen weiblichen Personen höherer und niederer Stände, nur bedauern. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
Mit einem kurzen Wort muß ich noch einmal auf die Rechts belehrung zurückkommen, die vorher der Herr Abg. Frank erwähnt hat. Bereits in der vorletzten Woche ist hier über diese Rechts⸗ belehrung gesprochen worden, und ich habe damals meine Ver⸗ mutungen ausgesprochen, aus welchen Gründen der preußische Herr Justizminister zu diesem sogenannten Zurredestellen des Herrn Landgerichtsdirektors Unger gekommen sein werde. Ich habe nachher aus den Zeitungen ersehen, daß genau an dem gleichen Tage der Herr preußische Justizminister die gleiche Aufklärung, die ich als die richtige voraussetzte, im preußischen Abgeordnetenhause gegeben hat. Von einem Zurredestellen kann also nicht die Rede sein. Auf die einzelnen Ausführungen des Herrn Abg. Frank über die Auslegung des § 113 Strafgesetzbuchs durch das Reichsgericht und auf seine Ausführungen darüber, daß diese Auslegung des Reichs⸗ gerichts den Gendarm Münter zu seinem Vorgehen gegen den Berg⸗ mann Schröder veranlaßt hätte, daß deswegen der Bergmann Schröder unschuldig verurteilt und jetzt im Wiederaufnahmeverfahren hätte frei gesprochen werden müssen, kann ich nicht weiter eingehen. Selbst verständlich — darin sind wir wohl alle einig — sind wir erfreut, daß der Schröder nun sein Recht gefunden hat. Aber den Richtern oder den Staatsanwälten oder den Geschworenen der ersten Verhandlung nun ein Unrecht in die Schuhe schieben zu wollen, das ist doch ein starkes Stück. (Zurufe von den Soz'aldemokraten.) Ich erinnere nur an die in der vorletzten Woche hier gefallenen Aeußerungen, daß ein ver⸗ brecherisches Vorgehen der Staatsanwaltschaft die Geschworenen zu einem derartigen Spruche geführt habe. Eine Aeußerung, in der einem Staatsanwalt oder Richter derartiges imputiert wird, kann ich immer nur mit tiefster Empörung zurückweisen. (Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Varenhorst (Rp.): Der Abg. Frank ist heut in das Fahrwasser seines Parteigenossen Stadthagen geraten. Er hat sich an den Gerichten gerieben und die Staatsanwälte an gegriffen. Er meinte, besonders die Breslauer Gerichte gingen gegen die Sozialdemokraten scharf vor, die meisten Redakteure säßen im Gefängnis. Das liegt nicht an den Richtern, sondern an den Redakteuren, sie sollten sich etwas mäßigen. Ich erinnere daran, wie die sozialdemokratische Prefse den russischen Zaren, der mit seiner Gemahlin hier in Deutschland zur Kur weilte, in der schamlosesten Weise verunglimpft hat. Sehen Sie doch Ihren Parteitag in Magdebur an, und wie Sie sich gegenseitig beschimpft haben. Wer den Bonner Fall kennt, weiß, daß es sich im Grunde um harmlose Sachen handelte, um einen
aus Glogau, ein Fall aus
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literatur betrifft, so sind die Verhandlungen zwischen dem Reichs⸗ justizamt und dem Reichsamt des Innern dauernd im Gange. Die Justizverwaltung steht auf dem Standpunkte, daß es sich nicht sowohl darum handelt, neue Strafbestimmungen in das Strafgesetzbuch ein⸗ zufügen, sondern daß es sich im wesentlichen nur um eine Ausgestaltung des Gewerberechts handeln kann (sehr richtig! links), mit dem Zwecke, der Schundliteratur immer weiter und immer wirksamer entgegenzu⸗ treten.
Dann hat der Herr Abg. Belzer noch über Luftschiffahrtrecht gesprochen. Ich kann auch hier sagen: es hat wegen der Regelung dieser Angelegenheit eine Konferenz stattgefunden, es wird auch hier ein Verwaltungsabkommen angestrebt, das sich im wesentlichen beziehen soll auf die Benutzung des Luftraums, auf die Beschränkung der
Budenzauber, um Dinge, die man auf kleineren Uniyersitäten immer macht. Die Studenten sind wegen Hausfriedens⸗ bruch verurteilt worden. Wenn das neue Strafgesetzbuch auf sie Anwendung fände, würden sie wahrscheinlich straffrei geblieben sein. Im Moabiter Prozeß haben es die Verteidiger in hervorragender Weise verstanden, den Zeugenvernehmungsparagraphen nicht zu ge⸗ brauchen, sondern zu mißbrauchen und die Aufmerksamkeit von den Angeklagten abzulenken und auf die Polizei hinzulenken. Sie haben sich bemüht, die Sozialdemokratie, die die moralische Mitschuld trägt, rein zu waschen. Weiter will ich mich mit den Sozialdemokraten nicht beschäftigen. Ich möchte einige Fragen an den Staatssekretär richten. Die eine bezieht sich auf die Haftpflicht der Klein⸗ und Straßenbahnen bei Sachschäden. Diese Pflicht ist nicht durch die Reichsgesetzgebung, sondern durch die Landesgesetzgebung geregelt, und da besteht die größte Bunt⸗ scheckigkeit. Es muß hier eine Einheitlichkeit geschaffen werden. Ferner möchte ich fragen, wie es mit der Revision der Gebühren⸗
Benutzung in der Nähe von Festungen, das sich außerdem mit der Zollbehandlung, mit polizeilichen Maßregeln beschäftigt. Das Privat⸗ recht einzubeziehen ist nicht beabsichtigt. Nur ist der Wunsch rege geworden, daß in den einzelnen Staaten die Schadensersatzfrage geregelt werde. Aber auch dieses Abkommen schwebt noch in der Luft. (Heiterkeit.) Mit der Zeit wird es hoffentlich in Kraft treten. Dann ist sowohl der Herr Vorredner wie der erste Herr Redner auf verschiedene Fälle eingegangen, die sich auf dem Straf⸗ rechtsgebiet bewegen, und es sind Wünsche laut geworden, die die Abänderung des Strafrechts und des Strafprozesses betreffen. Meine Herren, gerade hierüber liegen Ihnen zwei Gesetzentwürfe vor. Wir werden, wie ich hoffe, in den nächsten Wochen und Monaten zu einem günstigen Ergebnis der Strafprozeßreform gelangen; für die allgemeine Reform des Strafrechts, die von Herrn Abg. Frank hier bereits scharf kritisiert worden ist, soll ja erst ein Entwurf aufgestellt werden; dabei werden alle Anregungen, die hier gegeben sind, berück⸗ sichtigt werden.
Ich möchte nur noch kurz auf die Anfragen eingehen, die bezüglich
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ordnung für Zeugen und Sachverständige steht. Die bestehenden Gebühren reichen heute nicht mehr aus, namentlich nicht für die Zeugen und Sachverständigen auf dem Lande. Gewiß ist die Zeugenpflicht eine Staatsbürgerpflicht, aber zu große pekuniäre Opfer darf man nicht auferlegen. Ich bitte, uns so bald wie mög⸗ lich Fine Novelle vorzulegen, die die Gebühren dem jetzigen Geldwert anpaßt.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:
Ich möchte gleich auf die beiden zuletzt gestellten Frage ant. worten. 6 Was die Ausdehnung des Haftpflichtgesetzes auf die durch Eisen⸗ bahnen verursachten Sachschäden anbetrifft, so habe ich alsbald nach Antritt meines Amtes erneute kommissarische Beratungen angeregt. Diese haben zur Aufstellung von Grundsätzen geführt, die in einem Gesetzentwurf niedergelegt sind. Der Entwurf unterliegt jetzt Er⸗ örterungen zwischen den Bundesregierungen; auch ist in Aussicht ge⸗ nommen, die Vertreter der interessierten Kreise wahrscheinlich schon im März dieses Jahres über die Angelegenheit zu hören. Welchen
einzelner Fälle an mich gerichtet sind, und zwar zunächst auf den 8 1“ bö1ö1öqp 81
Ausgang die weiteren Beratungen haben werden, steht noch dahin⸗
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