Militärbevollmächtigter, Generalleutnant Freiherr
gel: Ich möchte nur etwas zur Beruhigung des Gemüts
üucklen sagen. Er hat davon gesprochen, daß der Komman⸗
bayerischen Infanterieregiments eine Zigarrenfabrik in der
errichtet habe. Diese „Zigarrenfabrik“ besteht aus einem Zigarrenarbeiter und seiner Frau. Der Abg. Stücklen hat
arüber gefreut, daß der Kommandeur schon dafür gesorgt habe,
— die Soldaten nicht unter den Nachteilen des Tabakszolls leiden. Das war nicht die Absicht des Kommandeurs, sondern er wollte ver⸗ hindern, daß die Soldaten seines Regiments darunter leiden, daß die im vorigen Jahre vorgesehenen Zulagen vom Reichstag gestrichen wurden. Uebrigens hat das Kriegsministerium verfügt, daß es nicht beabsichtige, den Truppen eine allgemeine Erlaubnis zur Anfertigung von Waren im eigenen Betriebe zu geben. Abg. Gothein (fortschr. Volksp.): Ich möchte mich mit den vor⸗ gestrigen finanzpolitischen Auseinandersetzungen des Ministers be⸗ schäftigen. Er meinte, die gesamten Ausgaben für Heer und Flotte machten nur 15,6 pCt. der gesamten Ausgaben aus, in Frankreich da⸗ gegen 34 pSCt. Eine solche Gegenüberstellung beweist nicht das ge⸗ ringste, selbst wenn die Zahlen richtig sind, denn dabei wird übersehen, daß Frankreich keine Staatseisenbahnen, keine Staatsbergwerke hat, daß es ein Einheitsstaat ist und reicher als Deutschland. Diese ganze Gegenrechnung ist keinen Schuß Pulver wert. Frankreich hat auch nicht unter einer solchen Lebensmittelteuerung zu leiden wie Deutschland, und trotz unserer enormen Viehzölle war Frank⸗ reich noch in der Lage, uns mit Vieh zu versorgen. Frankreich bringt auch sehr viel weniger für Schule und Erziehung auf, also kann auch aus diesem Grunde die deutsche Bevölkerung nicht so steuerkräftig sein wie die französische, die auch lange nicht in dem Grade wie die deutsche für neue Wohnungen für die Volks⸗ vermehrung zu sorgen braucht. Die Landesverteidigungsausgaben sind allerdings eine Prämie für die Versicherung des Nationalvermögens, eine keineswegs neue Behauptung; wenn der Kriegsminister dann aber meint, die Prämie betrage nur 1,64 pro Mille, weil die Aus⸗ gaben für Verpflegung, Kleidung usw. abgerechnet werden müßten, so ist das doch eine ganz naive Auffassung. Denn ganz gleich, wieviel von den Ausgaben ins Land zurückfließt, alle Aus⸗ gaben für Heer und Flotte sind, rein wirtschaftlich genommen, auch wenn alles im Inlande hergestellt wird, gänzlich unpraktikabel. Wenn man die wirkliche Höhe der Versicherungsprämie feststellen will, so kann man sich mit den 1600 Mill. Mark, die uns Heer und Flotte heute schon kosten, nicht begnügen, sondern man muß hinzurechnen, welche Summe von Produktion dadurch verloren geht, daß fast 600 000 Mann jährlich unter der Fahne stehen. Dadurch kommen wir auf 3 Milliarden jährlich, also 1 pCt. des National⸗ vermögens, welches der Kriegsminister auf jährlich 300 Milliarden schätzte. Ist also das Verhältnis zwischen Risiko und Versicherungs⸗ prämie noch das richtige? Die Prämie, könnte wesentlich niedriger sein, wenn man die Brandstifter unschädlich machte, die Lobpreiser des Krieges, die Verleumder des Weltfriedens. Die Versicherten sollten sich einmal koalieren und eine Herabsetzung der Prämie er⸗ streben; dazu gehört eine Verständigung der beteiligten Staaten und eine gleichmäßige Verminderung des Risikos, und eine Herab⸗ setzung der Rüstungen. In Frankreich hat neuerdings ein solcher Antrag die stattliche Zahl von 189 Stimmen bekommen, und ein Antrag, die Sache ans Haager Schiedsgericht zu bringen, ist an⸗ genommen worden. Beim Etat des Reichskanzlers wird auf diese Frage zurückzukommen sein. Die geplante Jugenderziehung muß ja Vorteile bringen, vielleicht auch für die Industriellen und die Land⸗ arbeiterschaft; aber man soll diese Wirkungen nicht überschätzen, man erklärt immer die Landwirtschaft als die Hauptversorgerin der deut⸗ chen Armee. Im Bestande des Heeres an Gemeinen und Unter⸗ offizieren bleibt die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung keineswegs besonders weit hinter dem Durchschnitt zurück. Der Unterschied schwankt zwischen den einzelnen Gegenden ganz enorm. Wir haben übrigens noch ein veraltetes Rekrutierungssystem nach den einzelnen Armeekorps, die sich nicht nach der wachsenden Bevölkerung gerichtet haben. Die überwiegend landwirtschaftlichen Provinzen sind natürlich außer⸗ ordentlich viel ungünstiger daran als die rasch sich entwickelnden Großstädte und Industriebezirke, die einen Ueberschuß an Rekruten haben, der nicht ausgehoben werden kann. Dadurch werden die Ersatz⸗ kommissionen sehr wählerisch, während sie in den geringer bevölkerten Bezirken alles nehmen müssen, weil sie es brauchen. Gerade auch im Interesse der landwirtschaftlichen Gegenden und einer möglichst gleich⸗ mäßigen Durchführung der Wehrpflicht sollte man dahin kommen, unsere Rekrutierungsbezirke entsprechend der Bevölkerungsverschiebung zu ändern. Es gibt kein stärkeres Argument gegen die Latifundien und für die innere Kolonisation, als die Schaffung von kleinem und mittlerem Grundbesitz. Der Kriegsminister hat erklärt, es beständen gar keine Schwierigkeiten, die Militäranwärter unterzubringen, man müsse im Gegenteil vielfach zu Zivilanwärtern greifen. Ein qualifizierter Militäranwärter, der die Zahlmeisterkarriere eingeschlagen, der seine Examina bestanden und Erfahrungen im Kanzleidienste hatte, der auch zwei Sprachen beherrschte, hat sich an eine Behörde nach der anderen wegen Aufnahme gewandt; aber eine Behörde nach der anderen antwortete nicht etwa in einem Schreiben, sondern auf vor⸗ gedruckten Formularen: Wir werden Sie zwar auf die Liste setzen, aber Sie haben gar keine Aussicht, in absehbarer Zeit anzukommen. Dabei jammern die Behörden häufig, daß sie ungeeignetes Material annehmen müssen. In einer Resolution hat der Reichstag verlangt, daß man die Unteroffiziere zu längerem Dienst in der Front fesseln möge, indem man sie zu Leutnants mache und ihnen ein höheres Gehalt biete; dadurch hätte man ausgezeichnete Rekrutenausbilder. Aber auch diese Resolution ist wie so viele andere in den Papierkorb geworfen. Selbstverständlich halten auch wir, wie sogar die Sozialdemokraten, die Disziplin im Heere für ein unbedingtes Erfordernis, aber wenn Offiziere und Unteroffiziere sich dazu hinreißen lassen, die Mann⸗ schaften zu beschimpfen und zu mißhandeln, so ist das eine Disziplin⸗ widrigkeit sondergleichen. Es heißt die Disziplin im Heere schwächen, wenn man gegen derartige Offiziere und Unteroffiziere nicht mit aller Schärfe einschreitet. Ich verstehe nicht die Aeußerung des Ministers, daß man da nicht mit demselben Maße messen dürfe. Damit wird er niemand im Volke überzeugen können. Noch immer werden Vergehen von Vorgesetzten gegen Mannschaften in den meisten Fällen unsagbar milde beurteilt. Die Art und Weise, wie der frühere Kriegsminister von Einem eingeschritten, wie er dagegen hier im Hause aufgetreten ist, wie er es als einen Schandfleck in der Armee bezeichnet und auf Abstellung hingearbeitet hat, war ein himmelweiter Unterschied gegen die Behandlung, die diese Be⸗ schwerden von dem jetzigen Kriegsminister erfahren. Wir erkennen die wesentliche Besserung an, aber immerhin gibt es noch so viel auf diesem Gebiete zu bessern, daß der Reichstag die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, immer wieder in diese Wunde seinen inger zu legen. Nun sagt der Kriegsminister nicht ohne einen chein von Recht, daß wir kein richtiges Urteil haben, weil wir nicht einmal die Akten kennen. Warum haben wir kein richtiges Urteil? Weil man die Oeffentlichkeit der kriegsgerichtlichen Ver⸗ handlung, sobald es sich um einen Offizier handelt, gegen die Ab⸗ sicht des Militärstrafgesetzbuches vollstandig beseitigt hat. Der Erlaß des Ministers wegen des Verkehrs der Offiziere mit Abgeordneten ist verfassungswidrig; es gibt keine Bestimmung in der Verfassung oder in irgendeinem Gesetz, die es einem Beamten oder Vßfizier verbietet, einem Abgeordneten Mitteilungen zu machen, die nicht durch das Dienstgeheimnis geschützt sind. Es wäre ein großer Schaden für die Armee, wenn Reichstags⸗ abgeordnete sich nicht durch aktive Offiziere informieren könnten. Was die adligen Offiziere betrifft, so würde es den Familiensinn in der Armee nur stärken, wenn man sie auch an die Grenze schickte. Ein Wort zu der Frage der Ehrengerichte. Der Kriegs⸗ minister hat sich seine Antwort auf die Frage des Abg. Müller⸗ Meiningen sehr leicht gemacht. Er meinte, die Kabinettsorder von 1844 stehe in der Gesetzsammlung und sei also Gesetz. Tas haben wir. nicht bestritten. Ganz anders steht es aber mit der Kabinettsorder
1u“
gesetzliche Kraft und Wirkung. Darüber müßte eigentlich auf allen Seiten des Hauses Uebereinstimmung bestehen. Darum ist es unzulässig, wenn man immer weiter dazu kommt, diese Befugnisse des Militärkabinetts zu erweitern. Ich erwarte von dem Kriegsminister nicht etwas, denn er hat keine Macht gegenüber dem Militärkabinett. Aber der Reichstag sollte einmal den Posten für den Chef des Militär⸗ kabinetts aus dem Etat streichen, bis hier Remedur geschaffen ist. Ich hoffe, daß auch das Zentrum hier sein Rückgrat zeigt. Der Abg. Lieber⸗ mann von Sonnenberg hat es sich mit unserm Antrag sehr leicht gemacht. Er meinte, die Juden wären keine Konfession, sondern eine Re⸗ ligion. Das ist doch kein Grund, unseren Antrag abzulehnen. Der Abg. Paasche äußerte Bedenken; wegen der politischen Rücksicht⸗ nahme sei es bedenklich, einen Sozialdemokraten zum Offizier zu machen. In Frankreich ist man nicht so ängstlich, dort schließt man keine Royalisten vom Offizierkorps aus. Man hat aber auch Angehörige der Zentrumsrichtung ausgeschlossen. Die Bezirks⸗ kommandos gehen auch gegen freisinnige Reserveoffiziere wegen ihrer politischen Anschauung vor. (Widerspruch rechts.) Ein solcher Fall ist mir von einem hohen Offizier bestätigt worden. Ich könnte nur jedem meiner Freunde sagen: Werdet nicht Offizier, Ihr begebt Euch Eurer politischen Freiheit. Wie die Ver⸗ hältnisse heute liegen, verstehe ich eigentlich nicht ganz, wes⸗ halb unsere jüdischen Mitbürger so viel Wert darauf legen, Reserveoffizier zu werden. Genießen denn unsere jidischen Richter nicht auch „Achtung“? Bis 1880 gab es jüdische Reserpe⸗ offiziere. Haben sie seitdem diese Achtung verloren? Es gibt eine ganze Anzahl von Offizieren bis zum General hinauf, die jüdischer Herkunft sind. Die Aeußerung des Kriegsministers gibt den Regiments⸗ kommandeuren usw. gerade unter den Fuß, eine Ablehnung jüdischer Aspiranten vorzunehmen. Ich habe dem Kriegsminister eine Reihe von Beschwerden über Zurücksetzung jüdischer Aspiranten vorgelegt. Der Redner führt einen Fall aus Frankfurt an, wo ein Vizefeldwebel Bock nicht befördert wurde, weil er seinen Vorgesetzten gegenüber nicht die nötige Zurückhaltung bewiesen hatte. Man hat ihm geschrieben, er möchte sich nur keine Illusionen machen. Dabei hatten ihn seine Vorgesetzten 7 Jahre nicht gesehen. Es lag kein anderer Grund vor, diesen Aspiranten zurückzuweisen, als — daß er Jude war. In einem anderen Falle wurde ein jüdischer Einjähriger zunächst nicht zur Offiziersprüfung zugelassen, weil er nicht die gehörige Figur habe. Der Eskadronschef erklärte ihm aber zugleich, er habe ihn nicht zugelassen, weil er Jude sei und also doch nicht Reserveoffizier werde. Am nächsten Tage nahm der Eskadronschef diesen „faux pas“ zurück und ließ den Betreffenden zu. Er erhielt auch die Qualifikation, Offizier ist er aber nicht geworden. In Oesterreich ist es anders. Dort ist die achtunggebietende Figur auch bei den Juden vorhanden, dort ist ein Jude General geworden; dort versteckt man sich nicht hinter solchen Ausflüchten und verletzt nicht systematisch die Ver⸗ fassung. Es geht so weit, daß man die jüdischen Einjährigen jetzt auch nicht mehr zu Unteroffizieren machen will. Es sind entsprechende Er⸗ lasse an die Offizierkorps ergangen. Wir müssen uns schämen, daß man eine andere Konfession, einen anderen Glauben entgegen der Verfassung in dieser Weise benachteiligt, denn es wird den Offizieren zugemutet, etwas wider besseres Wissen zu bekunden. Seit 1880 ist kein Jude mehr Reserveoffizier geworden. Kein ehrlicher Mensch glaubt mehr an die Gründe, die für diese Tatsache angegeben werden. Endlich muß auch unseren jüdischen Mitbürgern ihr Recht zu teil werden; der Kriegsminister hat aber sich in offenen Gegensatz zu dem gestellt, was in dieser Beziehung sein Amts⸗ vorgänger vor dem Reichstage erklärt hat.
Preußischer Kriegsminister, General der Infanterie von Heeringen:
Meine Herren! Der Herr Abg. Gothein hat zunächst meine Zahlen hier angegriffen wegen der Kostenübersichten; mir kam es darauf an, vor allen Dingen einen Vergleich zu ziehen mit den Kosten, welche Deutschland und Frankreich für seine Wehrmacht aufwendet; wenn für ihn die Verhältniszahlen, die ausgerechnet waren pro Kopf der Bevölkerung, welche auf die Wehrmacht und die übrigen Aus⸗ gaben unserer Staaten entfallen, nicht zutreffen, so will ich ihm die absoluten Zahlen, welche Deutschland für Heer und Flotte gegenüber Frankreich ausgibt, sagen. Das ist pro Kopf der Bevölkerung in Deutschland 21,90 ℳ und in Frankreich 28,55 ℳ, das Verhältnis bleibt also ziemlich dasselbe. Ueber die Begriffe produktiv oder un⸗ produktiv möchte ich mit ihm hier nicht streiten. Denn auf was kommt es denn schließlich an? Was kostet ein verlorener Krieg? (Sehr richtig! rechts.) Sind denn die Kosten, die wir für die Wehr⸗ macht im Frieden aufgewendet haben, dann als unproduktiv zu be⸗ trachten, wenn sie Deutschland vor einem Kriege bewahrt oder statt zu einem verlorenen zu einem siegreichen Kriege führen? (Sehr richtig rechts.)
Ich habe darauf hingewiesen, was ein verlorener Krieg ungefähr unserem Vaterlande für Lasten auferlegen würde, wenn man die Kriegskosten, welche das arme Preußen im Jahre 1807 aufbringen mußte für Frankreich — übersetzt in die moderne Währung —, ver⸗ gleicht mit unserer heutigen Bevölkerungszahl und dann annimmt, was Frankreich uns 1870/71 an Stelle der 5 Milliarden hätte bezahlen müssen, um eine natürlich nur geschätzte Unterlage dafür zu bekommen, was ein Krieg uns in Zukunft kosten wird. Ausrechnen läßt sich das natürlich nicht, aus dem Grunde nicht, weil die ganzen mittelbaren Einbußen, die ein Land erleidet, gar nicht zu schätzen sind; gar nicht zu schätzen, was sie kosten an zerstörtem Eigentum, Vernichtung von Personen usw.; gar nicht zu denken, was an unheil⸗ voller Rückwirkung eigentlich auf politischem, geistigem und wirtschaft⸗ lichem Gebiete infolgedessen eintreten wird. Ich glaube, dabei nicht fehl zu gehen, wenn ich erneut meine, daß die Ausgaben, welche Deutschland für seine Wehrmacht leistet, solange sich voll und ganz bezahlt machen, solange es uns gelingt, den Frieden zu bewahren und unser Vaterland vor derartigen Schicksalen zu retten.
Um so mehr meine ich, dies behaupten zu können, wenn ich mir unsere heutigen finanziellen Fortschritte im Volke ansehe. Unser Volksvermögen vermehrt sich im Reich jährlich um etwa rund 5 Milliarden; die Sgareinlagen von 1908 im Verhältnis zu 1907 wuchsen um 451 Millionen. Das sind Zahlen, die in unableugbarer Weise festlegen, daß trotz der großen Heeresausgaben oder richtiger gesagt, gerade deswegen Deutschland aufblühen konnte, unter dem Schutz einer starken Heeresmacht.
Der Herr Abgeordnete ist dann auf die Heeresergänzungsüber⸗ sicht eingegangen; ich kann natürlich seinen Zahlen, so wie er sie uns jetzt gegeben hat, nicht sofort folgen. Meine Zahlen lauten etwas anders. Nach meinen Zahlen ist der Prozentsatz der Tauglichen, d. h. der Eingestellten und Ueberzähligen, höher gegenüber dem Prozentsatz der in der Stadt Geborenen und in der Industrie Be⸗ schäftigten im Jahre 1909 bei den in der Stadt Geborenen und in der Land⸗ und Forstwirtschaft Beschäftigten um 7,69 %, bei den auf dem Lande Geborenen und in der Industrie Beschäftigten höher um 6,39 % und bei den auf dem Lande Geborenen und in der Land⸗ und Forstwirtschaft Beschäftigten um 8,90 %, während bei Gemeinden über 100 000 Einwohner die Zahl der Eingestellten um 35 % hinter den erwartungsmäßigen Zahlen zurückbleibt.
Ich glaube, daß der Herr Abgeordnete sich auch irrt in bezug
von 1874, also nach Erlaß der deutschen Verfassung. Diese hat keine
auf die Wirkungen des Gesetzes über die Ersatzverteikung im Jahre
893. Nach diesem Gesetz wird nämlich der Rekrutenbedarf für das preußische Kontingent und auch für die anderen Kontingente nicht mehr nach dem Verhältnis der Bevölkerung, sondern nach dem Ver⸗ hältnis der in den einzelnen Bezirken vorhandenen und zur Einstellung in den aktiven Dienst tauglichen Militärpflichtigen ausgehoben, sodaß also der von dem Herrn Abgeordneten gegebene Prozentsatz in dieser Richtung nicht zutrifft. Es ist also nicht ganz richtig, daß schwach bevölkerte Korpsbezirke zur Aufbringung des Ersatzes ihres Bezirks an und für sich stärker herangezogen würden, als die anderen; das hat sich seit 1893 geändert.
Der Herr Abgeordnete von Putlitz ist in einer sehr warmen Weise für die Armee eingetreten, für welche ich nicht verfehlen will, ihm im Namen der Armee ebenso warm zu danken.
Wenn, im direkten Gegensatz dazu, der Herr Abg. Stücklen das Regiment Gardes du Corps unter dem Gesichtspunkt angegriffen hat, daß darin 21 Prinzen und Grafen — ich glaube, ich habe die Zahl richtig verstanden — ständen, und wenn er daraus gefolgert hat, daß wir in der preußischen Armee Paradeoffiziere und Frontoffiziere in einem gewissen Gegensatz zu einander hätten, so muß ich mich ganz entschieden dagegen verwahren. Meine Herren, das Regiment Gardes du Corps hat in allen Feldzügen seine volle Pflicht und Schuldigkeit getan (bravo! rechts) und wird, ebensogut wie im siebenjährigen Kriege, wo es hieß, keine Schlacht sei verloren, wenn das Regiment Gardes du Corps noch nicht attakiert habe, . in Zukunft seine Pflicht und Schuldigkeit tun. (Bravo!) Bringen Sie nicht die Herren in einen Gegensatz, der faktisch nicht besteht! Die militärische Tüchtigkeit, die Tüchtigkeit vor dem Feinde ist wahrhaftig nicht abhängig von einem Gegensatz zwischen adlig und bürgerlich. (Sehr richtig! rechts. — Lebhafte Zu⸗ stimmung links. — Abg. Dr. Wiemer: Dann machen Sie keine Unter⸗ schiede!) — Die machen wir auch nicht! 3
Der Herr Abg. Dr. Paasche ist dann auf die Grenzgarnisonen eingegangen. Ganz gewiß gebe ich ihm darin recht, daß die eigent⸗ lichen Leidtragenden bei diesen Grenzgarnisonen unsere Offiziere sind.
Die Truppen selbst leiden verhältnismäßig weniger unter einer kleinen Garnison, weil sie die Unannehmlichkeiten, die ich einmal als mehr auf gesellschaftlichem Gebiete liegend bezeichnen will, eintauschen gegen manche dienstlichen Annehmlichkeiten. Die Offiziere aber, die längere Zeit dort stehen, sind durchaus übel daran; das erkennt auch die Militärverwaltung voll und ganz an. Infolgedessen ist aber auch gerade auf diesem Gebiete schon möglichst viel geschehen. Es ist eine große Uebertreibung, wenn gesagt worden ist, daß einzelne Offiziere die ganze Zeit bis zum Stabsoffizier dort dauernd zubringen müßten. Im Jahre 1903 ist bei 8 Infanterieregimentern, die in 11 kleinen Standorten an der Ost⸗ und Westgrenze standen, festgestellt worden, inwieweit diese Behauptung eigentlich zutrifft. Da hat sich heraus⸗ gestellt, daß von 321 Offizieren 36 Offiziere 15 und mehr Jahre lang in der Garnison waren, 62 Offiziere nur 10 Jahre lang, 126 nur 5 Jahre lang und 97 Offiziere weniger als 5 Jahre. Der Aufenthalt dieser ganzen Jahre wurde aber wiederholt unter⸗ brochen durch Kommandos von einem Jahr und länger bei 17 % der Offiziere. Also so furchtbar schlimm ist die Sache nicht. Ich erkenne aber, wie ich nochmals betone, an, daß diese Verhältnisse, die uns ge⸗ zwungen haben, die Offiziere in solche kleinen Garnisonen an de Grenze zu bringen, auch nicht im Interesse des Offizierkorps sind. Sie müssen getragen werden, weil es eben nicht anders geht. suchen auch dadurch u. a. Erleichterung zu bringen, daß die Herren Unterricht für ihr Examen zur Kriegsakademie bekommen. Wie Si wissen, ist es seit einer Reihe von Jahren eingeführt, daß General⸗ stabsoffiziere und sonst geeignete Offiziere namentlich in solchen kleinen Garnisonen Unterricht erteilen. Gewiß ist damit noch nicht genug geschehen, und die Frage entsteht: wie kann den Herren weiter geholfen werden? Allerdings können sie seit Jahren Beihilfen zur Reise in die Heimat bekommen. Aber vielleicht empfiehlt es sich auch — die Frage ist zurzeit in Erwägung —, daß man, mehr als bisher, durch Versetzung derjenigen Offiziere, die aus dem General⸗ stab oder der höheren Adjutantur oder einer anderen bevorzugten Stellung kommen, in solche kleine Garnisonen einen gewissen Wandel schaffen kann. Meiner Auffassung nach würde das mehrfachen Vor⸗ teil haben. Erstens würde es für diejenigen Offiziere, die bisher an einer bevorzugten Stelle gestanden haben, und vielleicht später in maßgebende Dienststellen der Armee zurückkehren, ganz gut sein, daß sie diese Verhältnisse an der Grenze durch eigenen Augenschein kennen lernen können. (Sehr richtig! rechts.) Zweitens würde durch die Versetzung von solchen Offizieren natur⸗ gemäß schon ein größerer Wechsel und eine Bewegung in die Offizier⸗ korps an der Grenze hineinkommen. Wie gesagt, die Fragen befinden sich noch in Erwägung. Im großen ganzen ist diesem Gesichtspunkt schon bisher soweit wie irgend möglich entsprochen worden. Will man noch weiter gehen und häufigere Versetzungen einzelner Offiziere darüber hinaus aus den Grenzgarnisonen eintreten lassen, so treten natürlich Schwierigkeiten hervor, die bei jeder Versetzung entstehen. Erstens kostet es wieder mehr Geld, zweitens ist es schwierig, immer an den geeigneten Orten die Stellen freizumachen.
Wenn es nun aber mit den Fehlstellen in Zusammenhang ge⸗ bracht wird, die wir noch haben, so muß ich doch darauf hin⸗ weisen, daß in Preußen ja gar nicht so viel Fehlstellen sind. Wenn ich die Zahl 604, die angegeben ist, und die durchaus stimmt, als solche ohne weiteres hinnehme, so ist das gewiß mehr als in Sachsen, in Bayern usw. Aber auch wir haben eine ganze Anzahl von Fahnen⸗ junkern zur Deckung dieser Fehlstellen. Es sind am 15. Dezember v. J. 1094 Fähnriche und Fahnenjunker vorhanden gewesen, die als Unteroffiziere in der Armee dienen. Nicht mitgerechnet sind dabei die noch nicht zu Unteroffizieren Beförderten. Also auch in Preußen wäre der Bedarf dadurch gedeckt. Aber wenn man sich das Verhältnis zu der etatsmäßigen Zahl an Offizieren ansieht, so steht Preußen durch⸗ aus nicht schlecht, im Gegenteil, Preußen hat nämlich 3,04 % Fehlstellen, Bayern 3,08 und Sachsen 8,97 %. (Hört! hört! rechts.) Sachsen hat keine Grenzgarnisonen, die Erscheinung kommt
aber einfach daher, daß in Sachsen die Neuformationen im Ver⸗ hältnis zur Gesamtstärke in den letzten Jahren ziemlich umfangreich waren. Also es hängt nicht an den Grenzgarnisonen, sondern wesent⸗ lich daran, inwieweit der Bedarf an Offizteren, sei es durch Abgabe an Kolonialtruppen, sei es durch Neuformationen, ein vorübergebend ganz bedeutender gewesen ist, was sich natürlich nur nach einzelnen Jahren wieder ausgleicht. Jedenfalls kann man nach diesen Zahlen niht sagen, daß die Grenzgarnisonen, in denen preußische Truppen
Wir
stehen, ganz besonders ein Grund für diese Fehlstellen wären. “ (Schluß in der Zmweiten Betlage.) .
en Reichsanzeiger und Kö
Von einem der Herren Abgeordneten — ich glaube, der Herr Abg. Paasche war es — ist auf die Bekleidungsfrage eingegangen worden und darauf hingewiesen, daß die Paradesachen der Armee un⸗ gemein viel kosten. Meine Herren, das ist wirklich nicht der Fall. Ich bin der Ansicht, daß wir gerade in bezug auf die Bekleidung so sparsam wie irgend möglich mit den Fonds wirtschaften. Das ist doch auch ohne weiteres zuzugeben, wenn man überlegt, daß die reinen Bekleidungskosten des einzelnen Mannes 67 ℳ pro Kopf betragen, und wenn ich dazu noch alle Unkosten, die im Kap. 26 stehen, hinzu⸗ rechne, erhöht sich diese Summe pro Kopf auf 71 ℳ. Dafür wird nicht nur der Mann persönlich bekleidet, sondern dafür werden auch noch die ganzen Mobilmachungsbestände erhalten. Die Ueberlegung ergibt also ohne weiteres, daß eine teuere Wirtschaft bei uns nach dieser Richtung hin nicht vorhanden sein kann.
Wieviel kosten nun eigentlich die Sachen, die tatsächlich rein für Paradezwecke in Frage kommen? Sie betragen pro Kopf 12 Pfennig! Ich glaube, diese Kosten sind wirklich nicht sehr hoch. Und, meine Herren da komme ich auf eine Ausführung, die ich auch in der Budgetkommission, ich glaube, unter Zustimmung der betreffenden Herren gemacht habe —, nehmen Sie unseren Leuten nicht jeden Glanz an ihrer Uniform weg! Gewiß, es ist ein äußeres Zeichen, aber ein Zeichen, daß für den inneren Geist der Armee eine gewisse Bedeutung hat. Ich glaube, jeder, der den Rock getragen hat, wird mir zugeben, daß ein elegant aussehender, auch äußerlich etwas geputzter Rock besser ist als das Umgekehrte. Ich gebrauchte den Ausdruck in der Kommission: wir können unsere Leute im Frieden nicht wie Straßenkehrer anziehen, wir müssen eine ctwas bessere Uniform haben. Die feldgraue Uniform entspricht den Verhältnissen im Felde; aber im Frieden dürfen wir den Leuten nicht allen Glanz nehmen, wenn wir auch hier nicht Imponderabilien der Armee ge⸗ fährden wollen. (Sehr richtig! rechts.)
Die Offiziere der Invalidenhäuser sind in die Diskussion gezogen worden. Auch wir hätten gern für sie eine Gehaltsaufbesserung gehabt. Aber soviel mir berichtet wird, ist seinerzeit ein Versuch in der Richtung einer Gehaltsaufbesserung, der in der Kommission des Reichstags gemacht wurde, abgelehnt worden. Vorläufig ist also keine Möglichkeit, einer Aufbesserung dieser Herren näher zu treten. Ich glaube auch nicht, daß eine absolut dringende Notwendigkeit, wie an vielen anderen Stellen, zurzeit in diesem Umfange anerkannt werden kann, daß unter allen Umständen etwas geschehen müßte; denn schließlich stehen sie noch besser, als die mit Pension verabschiedeten Offiziere.
Die Fehlstellen im Sanitätsoffizierkorps betragen allerdings zurzeit bei den Ober⸗ und Assistenzärzten 49,8 %. (Hört! hört! bei ddn Nationalliberalen.) Das ist ziemlich hoch, und das bleibt auch bestehen, wenn man sich überlegt, daß der vierte Teil dieser Fehlstellen mit Unterärzten besetzt ist, die aus den ersparten Gehältern be⸗ soldet werden. Woran liegt das nun? Zweifellos nicht daran, daß, wie oft behauptet wird, das Verhältnis zwischen aktiven Offizieren und aktiven Sanitätsoffizieren nicht das richtige wäre. Das mag vielleicht in viel früheren Jahren hier und da der Fall gewesen sein. Ich habe mich aber über diese Frage noch ganz speziell mit dem Generalstabsarzt der Armee unterhalten, und der hat mir selbst versichert, davon könnte in keiner Weise mehr die Rede sein. 1
Also woran liegt es nun? Ich glaube, im wesentlichen liegt es daran, daß Zivilpraxis von unseren Sanitätsoffizieren in keinem großen Umfange ausgeübt werden kann, daß die Aerzte infolge dessen als Zivilarzt erheblich günstiger stehen. Es mag auch sein, daß eine gewisse größere Bewegungsfreiheit, die sie als Zivilarzt haben, dabei mit eine Rolle spielt. Der Offizier scheidet nicht so bald aus, er dient so lange, wie er irgend kann; denn er verlirt mit dem Ausscheiden aus der Armee seinen Lebens⸗ beruf, der Arzt aber durchaus nicht; der bleibt darin, im Gegenteil, er gewinnt meist noch Vorteile. Hierin liegt wahrscheinlich mit der Grund, weshalb so viel Aerzte in verhältnismäßig jüngeren Jahren abgehen.
Ich glaube, die Zahl derjenigen Miltärpflichtigen, die bei uns alljährlich nicht eingestellt werden können, hat der Herr Abg. Paasche mißverstanden. Die Erklärung, welche der General Wandel in der Kommission abgab, wonach in Frankreich im Jahre 1908 315 000 und in Deutschland 527 000 Mann vorhanden wären, und davon wären dort so und so viel, bei uns so und so viel eingestellt, bezog sich auf die in den Listen geführten Wehrpflichtigen. Aber wir müssen doch damit rechnen, wieviel von den vorgemusterten Tauglichen tat sächlich eingestellt werden. Nun gebe ich ohne weiteres zu, daß unter denjenigen Mannschaften, welche als zeitlich oder dauernd untauglich ausgemustert sind, hier und da auch manche sind, die bei einem er⸗ höhten Rekrutenbedarf vielleicht auch noch als tauglich bezeichnet werden können; wie viel, können wir nicht schätzen. Um nun aber auf eine Zahl zu kommen, möchte ich darauf hinweisen, daß von den als tauglich Vorgemusterten im Reich 10,4 % nicht eingestellt werden. Das sind etwa im ganzen Reiche 30 000; also erheblich weniger, als der Herr Abgeordnete hier anführte.
Der Herr Abg. Stücklen ist dann auf die Rede des Generals von Deimling zu sprechen gekommen. Wegen der Reden der inaktiven Generale brauche ich hoffentlich nicht zu antworten; denn bezüglich dieser Herren, die aus der Armee ausgeschieden sind, wird mir wohl kaum eine Verantwortung, auch von dem Herrn Abgeordneten nicht, zugewiesen werden. Ich kenne die Rede des Generals Deimling auch nur aus den Zeitungen. Danach hat er ungefähr folgenden Ge⸗ dankengang verfolgt: Die Leistungsfähigkeit beruht nicht nur auf der Schlagfähigkeit von Heer und Flotte, sondern auf der Wehrhaftigkeit des ganzen Volkes. Diese zu erhalten und zu fördern muß das Be⸗
es gehört auch dazu die Erhaltung eines kriegerischen Geistes im guten Sinne des Wortes, also nicht einer chauvinistischen Ge⸗
sinnung, Ansicht
Zweite Beilage
Berlin, Montag, den 27. Februar
Befürwortung der meiner Anschauung eines ewigen Weltfriedens. Vor allen Dingen gehört dazu eine opfer⸗ willige Gesinnung gegen den Staat, das Bewußtsein, daß man in ernsten Zeiten dazu gezwungen ist und gesonnen bleibt, Gesundheit und Leben für den Staat zu opfern. Diesem Gedanken Ausdruck zu geben, war die Absicht des Generals von Deimling. Keine andere! Es ist dann auf den Vortrag des Herrn Abg. Lattmann in Göttingen eingegangen und darauf hingewiesen worden, daß dort Soldaten zu einem politischen Vortrag geführt worden sind. Meine Herren, ich bedaure den Vorgang (hört, hört! links); aber die Militärverwaltungen sind daran nicht schuld, und der Herr Abg. Lattmann auch nicht; sondern es ist diejenige Gesellschaft, die diese Vorträge arrangiert hat, eigentlich die Schuldtragende. Sie hat dem Truppenteil eine Anzeige geschickt, in der eine Anzahl — ich glaube 31. — früher gehaltener Vorträge verzeichnet war, sodaß der Truppenteil annehmen mußte, daß der zu erwartende Vortrag ein gleicher sein mußte, wie die 31 gehaltenen. Darauf sind die Leute gefragt worden, wer freiwillig hineingehen wollte — ich glaube für 10 ₰4 —, und die Leute sind dann in den Vortrag geführt worden, und zum Er⸗ staunen der Militärverwaltung und des Herrn Abg. Lattmann fand man sich nun zu einem Vortrag zusammen, der eigentlich für Soldaten gar nicht geeignet war. Das ist der Vorgang. Ich habe die Gesellschaft darauf hingewiesen, daß derartiges in Zukunft unbe⸗ dingt vermieden werden müsse, und ich habe von ihr die Garantie bekommen, daß dies auch vermieden werden wird. Meine Herren, unsere ehrengerichtlichen Verordnungen — das habe ich schon einmal hier gesagt — schreiben ja gar kein Duell vor. Ich bin darauf hier mit etwas Lächeln begrüßt worden; aber die Tatsache ist so, und warum denn, meine Herren? Unsere ehrengericht⸗ lichen Untersuchungen wollen ja gar nicht in erster Linie die Frage erörtern, ob sich der Betreffende hätte duellieren müssen oder nicht: sondern hauptsächlich wollen sie die Frage des Verhaltens, ehe es zu einer Forderung kam, einer Beurteilung unterziehen, und darin liegt meistenteils der Schwerpunkt, daß sich der Betreffende in dem Verhalten, das der ganzen Katastrophe vorangegangen ist, nicht so verhalten hat, wie es für einen Offizier notwendig ist. Die politischen Verhältnisse spielen bei dieser ganzen Sache überhaupt keine Rolle, und ich darf mich da auf das berufen, was Herr Abg. Erzberger im vorigen Jahre über eine Untersuchung, wenn ich nicht irre, im VI. Armeekorps vorge⸗ lesen hat, wo in einer Kabinettsorder ausdrücklich betont wurde, daß politische Verhältnisse überhaupt nicht zum Gegenstand ehrengerichtlicher Untersuchungen zu machen sind. Ich stehe genau auf dem Standpunkt, auf dem mein Herr Amtsvorgänger gestanden hat, der am 18. März 1909 hier im Reichstag folgendes vorgetragen hat: Meine Herren, nichts ist mir unangenehmer als die Verfolgung eines dem Heere als Landwehr⸗ oder Reserveoffizier angehörigen Mannes wegen politischer Betätigung. Der Reserveoffizier, der Landwehroffizier hat das aktive und passive Wahlrecht. Er kann es nicht anders ausüben, als wenn er sich tatsächlich politisch be tätigt. Er muß also Freiheit im politischen Handeln haben, und ich weise jegliche Verfolgung eines solchen Offiziers für politische Tätigkeit innerhalb der staatserhaltenden Parteien weit von mir. Ich hoffe, daß eine solche Verfolgung nicht vorkommt und nicht vorkommen wird. Ich hoffe aber auch, daß jeder dieser Reserve⸗ und Landwehroffiziere immer daran denkt, daß er in diesem Ver hältnis tatsächlich auch Pflichten habe. Das ist der Standpunkt, auf dem mein Amtsvorgänger stand, auf dem ich auch heute nech stehe, und nach dem die Militärverwaltung handelt; ich glaube, er ist einwandsfrei. Dem Herrn Abg. Gothein gegenüber möchte ich betonen: trotz seiner Ausführungen bleibt die Allerhöchste Kabinettsorder von 1844 nunmehr Gesetz. Daran läßt sich nichts ändern. Wir stehen auf diesem Boden, und ich glaube, das ist ein Boden, auf dem unsere ehrengerichtlichen Verordnungen festruhen. Der Herr Abgeordnete ist dann auf die Judenfrage eingegangen. Diese Frage ist hier wiederholt im Reichstage behandelt worden. Die Rechtslage — darin stimme ich mit dem Herrn Abg. Gothein überein — liegt hier absolut klar. Art. 12 der preußischen Verfassung und das Gesetz vom 3. Juli 1869 ergeben sonnenklar, daß eine Zurücksetzung des Glaubens wegen ausgeschlossen ist. Die Reserveoffizieraspiranten müssen den Bestimmungen entsprechen und da hat neulich eine von den Zeitungen, die Ihrer (nach links) politischen Richtung nahesteht, die „Frankfurter Zeitung“, eine meiner Auffassung nach durchaus richtige Ausführung gebracht; sie sagt nämlich am Schlusse eines Artikels wie folgt: 1 Unerläßlich ist, daß der Aspirant eine gute häusliche Erziehung und gute Formen in die Armee mitbringt, daß er in Anschauungen groß geworden, die in der Armee gepflegt und gehütet werden. Die allgemeine Regelung in der Armee ist genau den Gesetzen entsprechend vor sich gegangen. Sie kennen alle die Verfügung aus dem Jahre 1908, worin ausdrücklich ausgesprochen ist, daß ein Unter⸗ schied betreffs der Religionszugehörigkeit nicht . gemacht werden darf. Nun fragt sich, wie die einzelnen Fälle liegen, die der Herr Abgeordnete mir gegeben, und die heute hier verlesen worden sind. Ich kenne die einzelnen Fälle, die er vorgelesen hat, noch nicht; wenigstens ist mir von den Herren, die Zeit gehabt haben, seine vorgestern vor⸗ gelegten Fälle zu studieren, mitgeteilt worden, daß nur ein bereits bekannter Fall darunter ist. Ich bin also nicht in der Lage, auf die vorgelegten Fälle jetzt einzugehen, mit Ausnahme des einen: das ist der Fall von dem Vizewachtmeister der Reserve Bock. Er hat, wie der Abgeordnete vorgelesen hat, seine Dienstübungen mit vollem Er⸗ folg erledigt, er hat aber bei seinem außerdienstlichen Verhalten nicht nur Offizieren gegenüber, sondern auch seinen Untergebenen
nicht einer weichlichen
aber auch
nach etwas
niglich Preußischen Staatsanzeiger.
1941.
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nicht für angezeigt erachtet, ihn für die Ernennung zum Offizier für geeignet zu erklären. Diese Ansicht gründet sich nicht auf Er⸗ innerungen, sondern auf das Zeugnis im Jahre 1903. Die weiteren Verhandlungen im Bezirkskommando sind mir tatsächlich nicht bekannt. Ob der betreffende Herr nicht durch sein ganzes Verhalten auf dem Bezirkskommando gezeigt hat, daß bei seiner Person ein kleines
Fragezeichen zu machen ist. (Sehr richtig! rechts — sehr unrichtig! links.)
Der Herr Abg. Müller⸗Meiningen hat mir im vorigen Jahre 6 Fälle vorgelegt über jüdische Freiwillige. Von diesen 6 Fällen waren 5 allein vor neun und mehrere Jahre zurückliegend, also kaum noch feststellbar. Ueberhaupt liegen die Fälle, die Sie mir angeben, meist soweit zurück, daß die Vorgesetzten bereits aus der Truppe heraus sind und man sich kaum noch erinnert, wie der betreffende Einjährige geheißen hat. Nur ein einziger Fall des Herrn Abg. Müller (Meiningen) ist aus der neueren Zeit. Das war ein Einjähriger vom Regiment 26. Auch hier ist gesagt, er hätte sich in und außer dem Dienst ganz gut geführt, aber nach seinem Auf⸗ treten als Vorgesetzter, wozu ihn der Kompagniechef gern heran⸗ gebildet hätte, hat er absolut keine Anlage gezeigt. Es fehlte ihm vor allen Dingen daran, seinen Willen durchzusetzen und die un⸗ bedingt erforderliche Autorität aufrecht zu erhalten. (Rufe links: Aus⸗ reden!) — Ausreden sind das nicht!
Ich werde Ihnen noch einen Fall vorlegen. Der Herr Abg⸗ Gothein hat weiter im vorigen Jahre gesagt, im zweiten Garde⸗ regiment zu Fuß würde überhaupt kein jüdischer Freiwilliger Ge⸗ freiter. Das ist falsch. Nach den angestellten Erhebungen sind in den letzten Jahren beim Regiment auch Freiwillige jüdischen Bekennt⸗ nisses zu Gefreiten gemacht worden.
Der Herr Abgeordnete hat mir weiter einen Fall vorgelegt von einem jüdischen Einjährig⸗Freiwilligen Dannenbaum; ich nenne den Namen mit Absicht, weil auch er in der Plenarsitzung vom 17. März v. J. genannt worden ist. Da ist ausgeführt:
Assessor Dr. Dannenbaum, der 1903/04 beim Feldartillerie⸗ regiment Nr. 11 als Einjährig⸗Freiwilliger gedient hat, sei, obgleich er sich nicht das geringste habe zuschulden kommen lassen, zunächst einige Wochen später zum Unteroffizier befördert worden als die christlichen Einjährigen. Demgegenüber ist Tatsache und der Truppenteil betont: ““
Es ist unzutreffend, daß Dannenbaum später als die christlichen
Einjährigen befördert worden ist. Von den damaligen 5 Einjährig⸗ Freiwilligen sind die beiden Tüchtigsten am 29. 7. 04, die 3 anderen — darunter Dannenbaum — am 15. 8. 04 zum überzähligen Unteroffizier befördert worden. Dannenbaum ist also mit der Mehrzahl gleichzeitig Unteroffizier geworden. Ich hebe nochmals hervor: Dannenbaum ist also mit der Mehrzahl christlicher Gefreiter Unteroffizier geworden. Es ist weiter gesagt worden, er habe die Qualifikation zum Reserveoffizier mit gutem Zeugnis bekommen, sei aber schleunigst zum Train abgeschoben worden, während die beiden anderen bei der Artillerie geblieben seien. Auch das ist unrichtig. Es wird hier berichtet:
Es ist unzutreffend, daß Dannenbaum schleunigst zum Train abgeschoben worden ist, während die anderen Referendare bei der Artillerie blieben. Beim Regiment befanden sich im Jahrgang 1903/04 37 Einjährig⸗Freiwillige, von denen 26 die Befähigung zum Reserveoffizier erhielten. Von diesen 26 Offiziersasptranten mußten aus militärischen Gründen — weil für Feldartillerie entbehrlich — 13 zum Train übergeführt werden, die sämtlich außer Dannenbaum christlicher Konfession waren und unter denen sich außer Dannen⸗ baum noch 2 Referendare befanden. Die Ueberführung zum Train erfolgte nicht schleunigst, sondern zum vorgeschriebenen Termine bei der Entlassung.
Es heißt dann weiter — ich muß Ihnen das in Detail vor⸗ halten, weil die Herren immer sagen, es wären Ausreden, die es tat sächlich nicht sind, und es würde darauf nicht eingegangen. Ich will Ihnen den Beweis liefern, wie eingehend wir dies tun:
Die Offiziere des Regiments hielten ihn ursprünglich nicht für einen Juden und haben mit ihm freundschaftlich verkehrt bis zu dem Moment, wo es ihnen bekannt wurde, daß Dannenbaum ein Jude sei.
Darauf sagt der Truppenteil:
Es ist unzutreffend, daß die Offiziere Dannenbaum ursprüng⸗ lich nicht für einen Juden hielten und den angeblichen freundschaft⸗ lichen Verkehr in dem Moment aufgaben, wo ihnen die Zugehörigkeit des Dannenbaum zum Judentum bekannt wurde. Daß Dannenbaum Jude war, war den Offizieren bei seinem Diensteintritt bekannt, woraus hervorgeht, daß nicht die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Glauben, sondern die Tüchtigkeit auf den freundlichen Verkehr der Offiziere mit Dannenbaum von Einfluß gewesen ist. Er mußte aber später einige Male etwas schärfer angefaßt werden, da er nach Beförderung seiner beiden Kameraden zu Unteroffizieren einen ge⸗ wissen Mißmut an den Tag legte und seinen Dienst nicht immer mit derselben Freudigkeit als zu Anfang vershh. 8
(Hört! hört! rechts.) 8 8 Dies besserte sich aber bald wieder, sodaß ihm die Befähigung zum Reserveoffizier erteilt werden konnte.
Nun heißt es viertens beim Train habe er auch seine Schuldigkeit getan, sei aber, obgleich in seinem Zeugnis steht, daß er sich zum Reserveoffizier gut eigne, einfach aus der Liste gestrichen worden.
Und darauf wird erwidert: 8
Es ist unzutreffend, daß er einfach
von der Liste der Offiziers aspiranten gestrichen worden ist, obgleich er seine Schuldigkeit beim
Train getan habe. Er leistete Uebung A beim Trainbataillon Nr. 7 8 vom 26. 4. bis 20. 6. 05 ohne Erfolg ab. Prüfung ergab: im Schriftlichen zwei Aufgaben „nicht hinreichend, im Praktischen, im Fahrexerzieren und Fußexerzieren „nicht hinreichend“. Außerdem „mangelhafter Reiter“.
gegenüber nicht die erforderliche Zurückhaltung gezeigt. (Hört, hört!
streben aller nationalgesinnten Kreise sein. Zur Wehrhaftigkeit eines Volkes gehören aber nicht nur Waffenübungen und dergleichen, sondern
Aus diesem Grunde hat der Regimentskommandeur es 2à
(Hört! hört! rechts. Rufe links: Man wollte nicht!)