1911 / 60 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

143. Sitzung vom 9. März 1911, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung beim Kapitel 85 Titel 1 der fortdauernden Ausgaben (Staatssekretär) fort.

Nach dem Abg. Dr. von Trzeinski (Pole), dessen Rede in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilt worden ist, ergreift das Wort der

Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg.): Wer die Hoffnung, daß in diesem Jahre der Etat rechtzeitig fertiggestellt wird, nicht ganz schwinden lassen will, muß sich bei der Beratung größte Beschränkung und Enthaltsamkeit auferlegen. Ich lasse daher alle allgemeinen Fragen beiseite. Wir hätten es gern gesehen, wenn an den neuen Stellen der Telegraphengehilfinnen gestrichen und dafür die Zahl der gehobenen Unterbeamtenstellen erhöht worden wäre. Die Zahl von 14 000 Gehilfinnen scheint uns schon sehr hoch. Jede Vermehrung dieser „billigen“ weiblichen Hilfskräfte erschwert den Unterbeamten die Begründung eines eigenen Haushalts. Die Rücksicht, Beamtentöchtern eine Existenz zu gewähren, kann doch auch nicht den Ausschlag geben. Die Bemerkung in der Kommission, daß die Beamten überhaupt nicht so früh heiraten, sondern erst die etatsmäßige Anstellung ab⸗ warten möchten, kann ich nur als die Auffassung eines gesättigten, bequemen Junggesellentums bezeichnen. Den Kommissionsresolutionen, die die zeitweilige Schließung der mittleren und höheren Karriere bezwecken, stimmen wir zu, ebenso der Resolution Gröber. Die höhere Beamtenschaft der alten Schule darf nicht zu einer mittleren Beamten⸗ schaft degradiert werden; in dieser Beziehung sollte uns der Staats⸗ sekretär reinen Wein einschenken. Die Forderung einer persönlichen Zulage von 300 für diejenigen Oberpostassistenten, die vor 1900 eingetreten und schon 3 Jahre im Genusse des Höchstgehaltes ge⸗ wesen sind, bedeutet nach der Mitteilung des Staatssekretärs einen Aufwand von 900 000 ℳ. Diese Summe könnte doch einfach ohne jede neue Steuer durch Erhöhung der Einnahmen im Etat gewonnen werden. Das laufende Etatsjahr wird den Etatsanschlag der Einnahmen um etwa 11 Millionen übersteigen. Es ist also Geld genug vor⸗ handen. Ich hoffe immer noch, daß die Postverwaltnng den Wünschen der Postassistenten nachommt. Der Abg. Stresemann hat gesagt, wir hätten mehr durchgesetzt für die Postbeamten, wenn wir bei der Finanzreform fest geblieben wären. Ich stelle fest, daß der gestrige Angriff von nationalliberaler Seite mindestens über⸗ flüssig war. Die anderen Parteien haben sich wohl gehütet, den alten Streit wieder aufzurühren. Das liegt auch nicht im Interesse der Beamten. Uns lassen diese Angriffe pöllig kalt, weil wir den Hergang kennen. Aber die Beamten werden durch solche haltlosen Angriffe auf den Gedanken gebracht, daß sie damals mehr erhalten hätten, wenn wir nicht gewesen wären. Der Reichsschatzsekreär hat damals erklärt, die Regierung würde der Besoldungsvorlage die Zustimmung versagen, wenn die angenommenen Gehaltssätze aufrecht erhalten werden würden. Das Unannehmbar der Regierung mußten wir aber ernst nehmen. Keine Partei kann sich in dieser Sache ein besonderes Verdienst vindizieren. Sie alle haben sich bemüht, für die Postassistenten und ge⸗ hobenen Unterbeamten mehr zu erreichen. Ich habe mich persönlich bei dem Schatzsekretär bemüht. Er hat mir sein Wort ge⸗ geben, daß die Vorlage mit jenen Gehaltssätzen unannehmbar sei. Auch die Nationalliberalen haben sich ja schließlich in dritter Lesung dem Unannehmbar der Regierung gebeugt. Ich begreife also nicht, wie Sie uns Vorwürfe machen können. Der freisinnigen

Resolution, die die Härten für die Unterbeamten beseitigen will, werden wir zustimmen, die sozialdemokratische Resolution wegen Revision der Gehaltssätze für die Unterbeamten werden wir ablehnen. Sie will lediglich den Leuten Sand in die Augen streuen; „unzulänglich“ sind die Bezüge der Unterbeamten keines⸗ wegs. Die Landbriefträger haben keine Wünsche auf Auf⸗ besserung geäußert; sie sind also zufrieden. Die Verallgemeinerungen der Sozialdemokraten sind schädlich. Wir sollten uns auch hüten, jetzt schon vor die Bevölkerung mit den Wünschen auf eine allgemeine Ver⸗ besserung der Gehälter zu treten. Das würde Publikum und Beamte nur noch mehr gegeneinander aufhetzen. Große Erwerbs⸗ kreise sind schon heute unmutig über die letzten Gehaltsaufbesserungen und die ihnen dadurch auferlegten Lasten. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Absonderungen der Beamten erschweren ohnehin schon eine Verständigung zwischen Beamten und Publikum. Wie denken sich denn die Sozialdemokraten die Deckungsfrage? Sie ver⸗ langen eine ganze Reihe von Portoherabsetzungen. Die Erb⸗ schaftssteuer würde vielleicht nur hinreichen, um das Loch wieder zuzustopfen, das jener Einnahmeausfall schaffen würde. Daß Härten, wie sie der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei erwähnt, entstanden sind, namentlich durch die Deklassierung einer Reihe von Orten, kann nicht geleugnet werden. Die Errichtung der Postbeamtenkrankenkassen muß auch endlich einmal erfolgen, um an ihrem Teile zur Ausgleichung dieser Härten beizutragen, ebenso 2 der Gedanke der Erziehungsbeihilfen weiter verfolgt und tunlichst bald verwirklicht werden. Die Uebertragung gewisser Geschäfte von den oberen auf die mittleren und von den mittleren auf die Unterbeamten muß weiter durchgeführt und auch auf diesem Wege dem Sparsamkeitsprinzip Rechnung getragen werden. Der Petition der gehobenen Unterbeamten sollte man auch nähertreten; ins⸗ besondere verdienen die Verhältnisse der Oberpostschaffner noch nähere Prüfung, soweit ihre Petita sich ohne Aenderung der Besoldungsordnung durchführen lassen. Auch den Wunsch der aus⸗ nahmsweisen zweiten Wiederholung der Sekretärprüfung sollte man

berücksichtigen: gestattet man das doch den zweimal durchgefallenen’

Assessoren. Der Redner schließt mit einem scharfen Angriff gegen die äußerste Linke, die diesmal gar keine begründeten Beschwerden über schlechte Behandlung der Postbeamtenschaft durch ihre Vorgesetzten habe vorbringen können und mit dem einzigen Fall, den sie auftreiben

konnte, glänzend abgefallen sei.

8 Abg. Bruhn (Rfp): Die Beamtengehälter haben doch nicht

eine solche Höhe, daß man auf Jahrzehnte die Hände in den Schoß legen kann; man kann verstehen, daß die Beamten unzufrieden sind und mit der erhaltenen Abschlagszahlung sich nicht begnügen wollen. Nur der Not gehorchend, haben die Parteien bei dem Widerspruch der Regierung die niedrigeren Sätze angenommen, um nicht alles zu Fall zu bringen. Die Beamten müssen aber auch ihrerseits Rücksicht auf die Steueckraft des Volkes nehmen. Die große Mehrzahl der

etitionen muß also vorderhand unberücksichtigt bleiben; nach dem Vorschlag der Kommission sollen nur die Oberpostassistenten auf ihre Rechnung kommen, und deren Wünsche sind allerdings durchaus be⸗ rechtigt, zumal 1906 den älteren Assistenten nur eine sehr kurze Frist gelassen wurde, das Sekretärexamen zu machen. Die Mittel für die Gewährung der Zulagen werden sich aufbringen lassen, es ist ja doch auch noch durchaus nicht sicher, ob Deckung für die Mehrkosten der Friedenspräsenzvorlage vorhanden ist. Man soll event. auf ie Kotierungssteuer zurückgreifen. Die Postschaffner reichen mit ihrem

Höchstgehalt von 1700 nicht einmal an das Mindestgehalt der Assistenten; wir müssen verlangen, daß bei nächster Gelegenheit

gegeben wird, was der Reichstag schon vor Jahren für notwendig er⸗

klärt hat. Auch die gehobenen Unterbeamten haben ihre Wünsche nicht erfüllt erhalten. Es ist bedauerlich, daß es in diesem Etat nicht möglich war, mehr als 809 neue Assistentenstellen zu schaffen; das

Verlangen des Verbandes mittlerer Postbeamten um Einstellung von

00 neuen Stellen erscheint an sich durchaus berechtigt. Die Wohnungsgeldzuschuß⸗Frage wird hoffentlich in einer für die Be⸗ nachteiligten günstigen Weise erledigt werden. Berechtigt ist auch der

Wansch der Berliner Unterbeamten auf Bemessung ihres Wohnungs⸗

geldzuschusses auf zwei Drittel desjenigen der mittleren Postbeamten.

Der Resolution Gröber stimmen auch wir zu. Die Landbriefträger⸗

petit sollten ebenfalls bei der Verwaltung ein geneigtes Ohr finden.

Den Altpensionären sollte man billigerweise eine Zulage geben. Ebenso möchte ich die Wünsche der Telegraphenarbeiter usw. dem

Wohlwollen der Verwaltung empfehlen. Der große Ueberschuß der Post läßt sich nur aus einer sehr weitgehenden Sparsamkeit erklären. Auf der anderen Seite muß der Vorwurf zurückgewiesen werden, daß die Postverwaltung rückständig ist. Nur einzelne Interessenten könnten sich beklagen, nicht die Allgemeinheit. Die Messenger⸗Boys bringen dem Unternehmer mehrere Zehntausende ein. Es ist durchaus berechtigt, daß der Staatssekretär über das Gesetz hinausgehenden Ansprüchen entgegentritt. Die Einkaufsgenossenschaften der Beamten machen dem Kleingewerbe eine unnötige Konkurrenz. Die Post⸗ verwaltung kann dies zwar nicht untersagen, aber sie sollte erzieherisch wirken und nicht selber Bedürfnisse in Warenhäusern usw. decken, nicht einzelne wenige Großunternehmer, sondern die große Masse der Gewerbetreibenden berücksichtigen.

Abg. Zubeil (Soz.): Es ist nicht richtig, daß die oberen Post⸗ beamten belastet sind; höchstens sind es die Postassistenten. Die Landbriefträger sind keineswegs so gut gestellt, daß 6 mit ihrer Lage zufrieden sein können. Die neue Dienstanweisung für die Unterbeamten hat die Wünsche derselben nicht erfüllt. ie Dienst⸗ zeit der Unterbeamten sollte nach den Wünschen des Reichstags 60 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Die neue Dienst⸗ anweisung sieht 69 Stunden vor bei schwerem Dienst. Hier in Berlin haben namentlich die Briefsortierer einen sehr anstrengenden Dienst; mit kurzen Unterbrechungen haben sie bis 12 Uhr Nachts Dienst. Für genügende Ventilation ist nirgends gesorgt, daher die große Zahl der Erkrankungen. Die Vertrauensärzte geben sich auch nicht die Mühe, die Ursachen der Krankheiten festzustellen, sonst müßten sie auf eine Herabsetzung der Dienstzeit dringen. Seit zwei Jahren ist ein Sparsinn bei unserer Postverwaltung eingerissen, der zu großen Unzuträglichkeiten geführt hat. Die Postagenturen, namentlich die kleineren, könnten mit Leichtigkeit von einem Landbriefträger ver⸗ sehen werden, jetzt liegen sie in der Regel in den Händen der Lehrer. Da diese den Dienst nicht durchweg versehen können, so führen ihn ihre Frauen und Töchter. Landbriefträger könnten diesen Dienst für eine Zulage von 300 übernehmen, und dadurch könnte erheblich ge⸗ spart werden. In Insterburg ist die Zahl der Unterbeamten aus Spar⸗ samkeitsrücksichten vermindert und der Dienst der Landbriefträger verstärkt worden. An eine solche Sparsamkeit hat der Reichstag gewiß nicht gedacht. Es wird nicht nach oben, sondern nur nach unten gespart. Die Post steht nicht auf der Höhe, wie die Abschaffung des Ankunftsstempels beweist. Zu besonderen Beschwerden gibt das Amt 68 in Berlin Anlaß. Das Sparsystem hat hier zu einer großen Ueberlastung der Briefträger geführt, ihre Zahl ist reduziert worden. Auch auf anderen Postämtern sind die Briefträger überlastet. Die Unterbeamten beschweren sich mit Recht, daß sie mit un⸗ gereinigten, ekelhaften Postsäcken hantieren müssen. Der Direktor Wegner auf dem Postamt 68 hat seine alten Praktiken fortgesetzt, namentlich in bezug auf die Anstellungsverhältnisse und die Behandlung der Oberschaffner, die unterschiedliche willkürliche Gewährung der Grati⸗ fikationen und in sanitärer Beziehung. 20 Unterbeamte müssen ein einziges Handtuch benutzen. Auch über die persönliche Behand⸗ lung des Personals durch den Direktor Wegner wird geklagt. Auch auf Postamt 12 werden die Unterbeamten unfreundlich hehandelt, ebenso die mittleren Beamten. Der Postinspektor hat einem Post⸗ assistenten, der sein Abendbrot auf dem Korridor verzehrte, gesagt: „Sie haben sich Ihr Abendbrot zu verkneifen!“ Auf dem Post⸗ amt Wilmersdorf ist die Ueberstundenwirtschaft zu einem Unfug ausgeartet; es sind vom August bis Oktober über 10 000 Ueberstunden geleistet worden. Als ein Unterbeamter sich infolge dieser Ueber⸗ stunden krank meldete, fragte ihn der Direktor: „Sie sind wohl faulkrank?“ Die Unterbeamten wünschen Vermehrung des Personals. (Der Redner führt eine Reihe weiterer Beschwerdefälle an.) Ein Unterbeamter hat sich die Androhung seiner Pensionierung so zu Herzen genommen, daß er einen Herzschlag bekam und starb. Die Vertrauens⸗ ärzte versagen mitunter den Erholungsurlaub unter nichtigen Vor⸗ wänden; einer hat einem Unterbeamten gesagt: „Sie sind krank? Saufen Sie nur nicht so viel!“ Spaäͤter hat sich dann heraus⸗ gestellt, daß die Bittsteller schwer krank waren. Die Ersparnis an Beamten führt zu einer Benachteiligung des Publikums, besonders in der Paketbeförderung. Die neue Anlage im Postamt 17 hat sich als unbrauchbar erwiesen. Schienengleise sind als altes Eisen zu Spottpreisen verkauft worden. So werden Reichsgelder zum Fenster hinausgeworfen. Die Aushelfer erhalten auf einem Postamt nur 2,60 täglich. Warum wird die Kantine auf Postamt 17 nicht ver⸗ pachtet, sondern einem Restaurateur unentgeltlich zur Verfügung gestellt. In einem Postamt zieht der Direktor die Unterbeamten zu allen häuslichen Geschäften und Verrichtungen heran; der Unterbeamte muß in Uniform zum Markt gehen und dort die Einkäufe für den Di⸗ rektor und seine Familie besorgen; weigert er sich, so wird er ver⸗ setzt. Die Mechaniker werden in derselben Weise in den Dienst⸗ stunden zu solchen Privatleistungen herangezogen. Sind die Beamten des Deutschen Reiches dazu da, den Privatzwecken der Vorgesetzten zu dienen, oder haben sich diese nicht dazu bezahltes Personal an⸗ zunehmen? Die 40 Bahnpostbegleitungsbeamten in Berlin haben vor der neuen Besoldungsordnung besondere Aufwandsgelder in Höhe von 270 erhalten; die wurden ihnen gelegentlich der Gehalts⸗ aufbesserung entzogen. Auf ihre Beschwerde wurde erwidert, daß das keine Aufwandsgelder, sondern. Stellenzulagen gewesen seien, die der Reichstag in Wegfall gebracht hätte. Das ist falsch, denn sonst hätte die Postverwaltung den Steuerfiskus eine Reihe von Jahren betrogen. Das hier begangene Unrecht sollte der Reichstag wieder gut machen. Auch hinsichtlich der Weihnachsgratifikationen sind die Bahnpostbegleiter des Hofpostamts getäuscht worden und leer aus⸗ gegangen, während die Begleiter des Postamts 40 (Lehrter Bahn⸗ hof) fast durchweg mit 20 bedacht wurden. Für die Postillione ist ja dank unserm unermüdlichen Eintreten allmählich etwas geschehen. Man wirft uns vor, wir trügen hier olle Kamellen vor (Sehr richtig! rechts); ja, für Sie (rechts) existieren die Unterbeamten nicht, darum müssen wir für sie eintreten, und unser Eintreten hat auch mit der Zeit Erfolg gehabt. Die Bahnpostbegleiter haben oft bis zu 17 Stunden ununterbrochen täglich Dienst; die Dienststunden müssen günstiger gelegt werden. Die Oberpostdirektion aber steht auf dem Standpunkt, daß 4 Uhr Morgens kein Nachtdienst, sondern schon Tagesdienst ist. Der Stundenplan für das Postamt 21 (Turmstraße in Moabit) ist so unglaublich, daß ihn die dortigen Beamten dem Reichskanzler ein⸗ gesandt haben. Ich muß leider hier auf das berühmte rote Flug⸗ blatt zurückkommen, das beim Militäretat zur Sprache kam. Durch die Verletzung des Postgeheimnisses seitens des Postamts in Mannheim und durch sein unfaires Verhalten sind zahlreiche un⸗ schuldige Personen in Verdacht geraten und in schwere Aufregung versetzt worden. Es handelte sich um ein Paket mit Ver⸗ sammlungsplakaten, das in der Eile nicht ganz richtig adressiert war. Da das Paket nicht ankam, telegraphierte der Empfänger: Habe keine Plakate erhalten, sendet sofort. Diese harm⸗ lose Depesche wurde durch Bruch des Amtsgeheimnisses der Polizei ausgeliefert; der Postchef glaubte wohl, auf diese Weise eine große patriotische Tat zu tun und dafür noch einen Piepmatz ins Knopfloch zu bekommen. Wie kam die Post dazu, dritten Personen davon Kenntnis zu geben? So fragte auch der Empfänger an; eine Ant⸗ wort hat er nicht erhalten. Es fand eine hochnotpeinliche Unter⸗ suchung statt... (Vizepräsident Schultz ersucht den Redner, sich kürzer zu fassen), und es wurde eine gro ze Aktion gegen eine Reihe von Unschuldigen eingeleitet. Es liegt hier unzweifelhaft ein Ver⸗ brechen im Amte vor. Die Behörde hat einen sanften Diuck geübt, die Postbeamten dem Reichswahrheitsverbande zuzuführen; viele Beamte sind dann auch „freiwillig“ beigetreten. Wir werden nach wie vor uns der Interessen der Unterbeamten, der Postproletarier annehmen. 11u“”“

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke: Es liegt mir durchaus fern, gegen die Liebhaberei des Herrn Abgeordneten, die Unterbeamten vertreten zu wollen, hier zu sprechen.

Ich muß aber entschieden dagegen Verwahrung einlegen, daß die Postunterbeamten den Herrn Vorredner als Vertreter ihrer Interessen

gewählt haben. (Sehr richtig! rechts. Zurufe von den Sozialdemo⸗ kraten.) Das ist eine Beleidigung für die Postunterbeamten, die wollen das nicht. (Sehr richtig! rechts. Wiederholte Zurufe von den Sozialdemokraten.) Ich bin Vertreter der Interessen der Unter⸗ beamten und weiß genau, daß sie Ihre Vertretung (zu den Sozialdemokraten) nicht wünschen. (Sehr richtig! rechts. Abg. Zubeil: Ich suche sie nicht auf, die kommen zu mir.) Ich habe mich bloß zum Worte gemeldet, um gegen die maß⸗ losen Angriffe des Herrn Vorredners gegen die Postverwaltung Ver⸗ wahrung einzulegen. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Er hat hier einen Fall vorgetragen, in dem er einem Postbeamten ein Ver⸗ brechen zur Last legte, und zwar ist als Verbrechen eine Angelegenheit bezeichnet, die mir unbekannt ist, in der nach des Herrn Vorredners Angabe Beschwerde geführt, aber noch kein Bescheid ergangen ist, also eine durchaus noch nicht abgeschlossene Sache. Er sprach vorhin von nicht fairem Verhalten. Das ist ein nichtfaires Verhalten, wenn Sie hier öffentlich im Hause und vor den Tribünen die Postbeamten eines Verbrechens bezichtigen, ohne zu wissen, ob ein solches Verbrechen vor⸗ gekommen ist. (Sehr richtig! rechts.) Da müssen Sie doch das Ergebnis der Untersuchung abwarten. (Bravo! rechts. Zuruf von den Sozialdemokraten: Ist das alles?)

Staatssekretär des Reichsschatzamts Wermuth:

Meine Herren! Die Resolutionen, welche Besoldungsfragen der Postbeamten betreffen, sind zwar nicht durchweg nur eine von ihnen zum Titel des Herrn Staatssekretärs gestellt worden; in⸗ dessen haben die Herren Redner doch fast durchweg Gelegenheit ge⸗ nommen, sich jetzt eingehend darüber zu verbreiten, und es sei deshalb auch mir gestattet, einige allgemeine Worte dazu zu sagen.

Meine Herren, wir haben bisher im vollen Einklang mit dem Reichstage daran festgehalten, daß die Besoldungsordnung einen halt⸗ baren Ausgleich zwischen den so überaus verschiedenartigen Interessen

darstellen sollte und daß sie deshalb eine längere Dauer beanspruchen

müßte. Eben um deswillen hat man die sämtlichen Besoldungsfragen dem Etat entzogen und in einem Gesetz zusammengefaßt, weil man da⸗ durch die gesamte Regelung den Augenblickseingebungen und besonderen Bestrebungen zugunsten einzelner Beamtenklassen entziehen wollte. Die verbündeten Regierungen halten durchaus an diesem Standpunkt fest. Ich bedauere es aber recht, daß doch im Schoße des Reichstags und innerhalb der Budgetkommission entgegenstehende Bestrebungen zu Tage getreten und auch zur Geltung gekommen sind. Ihre Kom⸗ mission schlägt Ihnen berêits eine Resolution vor, wonach den Ober⸗ post⸗ und Telegraphenassistenten sowie den Vorstehern der Post ämter III, welche vor dem 1. Januar 1900 eingetreten und 3 Jahre lang im Genusse des Höchstgehalts gewesen sind, eine persönliche Zu⸗ lage von 300 gewährt wird. Dieser Antrag ist jetzt in etwas anderer Form auch von einer Anzahl von Mitgliedern des Zentrums aufgenommen worden. Höher steigert sich sehr naturgemäß schon der Antrag, welcher unterschrieben ist von den Herren Mitgliedern der fortschrittlichen Volkspartei; diese wünschen, daß die unbeabsichtigten Härten, die durch die Regelung der Bezüge der Postunterbeamten in der Besoldungsordnung geschaffen sind, durch geeignete Maßregeln ausgeglichen werden möchten. Ebenso naturgemäß wird der Höhepunkt erreicht durch den Antrag der Herren Albrecht und Genossen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, eine Revision des Beamten⸗ besoldungsgesetzes in dem Sinne vorzubereiten, daß eine angemessene Erhöhung der durchaus unzulänglichen Bezüge der Postunterbeamten eintritt. Heute haben wir zur Begründung dieser Anträge von einer Seite schon gehört, daß die Beamten die ganze Besoldungsordnung nur als eine Abschlagszahlung betrachten, der bald eine weitere Zahlung folgen werde.

Meine Herren, ich glaube, diese Bemerkungen und Anregungen liegen weder im Interesse der Beamtenschaft, noch im Interesse der übrigen Bevölkerung des Reichs (sehr richtig! rechts); fangen wir einmal an, die Besoldungsfrage wieder aufzurollen, so ist es ganz un⸗ möglich, sie irgendwie zu lokalisieren. Es wird dann vielmehr das Beispiel, das an diesem Platze gegeben ist, überall ausgenutzt, es wird der Wetteifer auf der ganzen Linie wieder entfesselt werden auch da, meine Herren, wo die Beamten an sich mit der Regelung des Gehalts für ihre Gruppe ganz einverstanden sind. Denn sowie sie sehen, daß bei nahestehenden Beamtengruppen eine Aenderung eintritt, so wird es ihr ganz natürliches und berechtigtes Bestreben sein, auch ihrerseits wieder eine Aenderung zu verlangen (sehr richtig! rechts), der Wetteifer wird sich auch durchaus nicht auf die Klassen der Unterbeamten beschränken. Denn es ist bekannt und die Tatsache ist sehr leicht zu errechnen, daß die Besoldungsordnung von 1909 in erster Linie gerichtet war auf die Verhältnisse derjenigen Beamten, welche am niedrigsten besoldet sind, während, je höher die Besoldung stieg, desto weniger Verbesserungen eintraten.

Wir übernehmen aber auch eine große Verantwortung gegenüber den Bundesstaaten und den Beamten der Bundesstaaten, wenn wir jetzt schon wieder eine Regelung auch nur in ferner Zukunft in Aus⸗ sicht stellen. Viele Bundesstaaten sind in der Lage gewesen, mit großen Opfern und unter großem Nachteil für ihre ohnehin bedrängten Finanzen dem Vorgang des Reichs nachzu kommen oder wenigstens nahezukommen; sie haben dies teils bereits getan, teils sind sie sogar nech erst im Begriff, es zu tun. Ich erinnere an Württemberg, wo eben erst die Besoldungsvorlage eingebracht worden ist. In ihr wird unter dem Hinweise, daß die württembergischen Beamten hinter der Be soldungsordnung des Reichs weit zurückgeblieben seien, dargelegt, jetzt sei der Moment gekommen, um die Gehälter wenigstens zu erhöhen⸗ während sie den Besoldungsordnungen des Reiches keineswegs gleich⸗ gestellt werden können. Dasselbe trifft bei einer großen Anzahl anderer Bundesstaaten zu. Thüringische Staaten haben aus finan⸗ ziellen Gründen ganz davon absehen müssen, dem Vorgehen des Reiches zu folgen; andere sind unter schweren Opfern und mit großem Zögern gefolgt. Wenn nun jetzt das Reich nach noch nicht zwei⸗ jährigem Bestehen der Besoldungsordnung wieder anfängt, auf der ganzen Linie vorzugehen, so entsteht einerseits im Kreise der Beamten der Bundesstaaten wieder Unruhe und Unzufriedenhelt, andererseits werden die Bundesstaaten selbst in die üble Lage versetzt, daß sie von neuem in eine Erwägung eintreten müssen, wie sie sich dem Fort schreiten des Reiches gegenüber verhalten sollen.

Meine Herren, aus alledem ersehen Sie: Greifen Sie einen Beamten heraus, um ihm wohlzutun, so tun Sie hundert anderen Beamten gleichzeitig wehe. Und dieses Mißverhältnis steigert sich

8

lichen des Defizits, durch Abbürdung der Fehlbeträge und durch Erfüllung

noch, wenn berücksichtigt wird, daß jeder Beginn einer neuen Gehalts⸗ regelung, er mag noch so harmlos aussehen und noch so harmlos sein, in seinen Konsequenzen unvermeidlich eine Belastung der Gesamtheit und damit neue Opfer der übrigen Bevölkerungsklassen mit sich bringen muß. Ich bin recht erfreut, daß gerade von der linken Seite aus mehrere der Herren Redner die Finanzen des Reiches als in glück⸗ licher Entwicklung stehend betrachten. (Hört! hört!) Darin dürfen wir vielleicht den Beginn zu einer Ueberbrückung der Kluft erblicken, welche die Finanzgesetze aufgetan haben. (Bravo! rechts.) Indessen kann ich nicht umhin zu erklären, daß, soweit diese günstige Anschauung sich auf die Zufallsergebnisse einzelner Monate, ich darf sagen eines ein⸗ zelnen Monats, gründet, es doch wohl nötig sein wird, sich einen vergleichenden Ueberblick über die Entwicklung in einer längeren Periode zu verschaffen. Ich muß mir vorbehalten, einen solchen zu geben, möchte aber erst noch die in den nächsten Tagen erscheinenden Ergebnisse für den Monat Februar 1911 sowohl hinsichtlich der Zölle und Steuern, als auch hinsichtlich der Post⸗ und Eisenbahneinnahmen abwarten, weil gerade der Januar mit seinen außergewöhnlichen Ergebnissen zu ebenso außergewöhnlichen Schlußfolgerungen Anlaß geboten hat. Ich glaube dann nachweisen zu können die Debatte über die Heeresvorlage hat das auch ohnedies schon reichlich dargetan —, daß auch bei günstiger Ent⸗ wicklung unserer Finanzen die Mittel des Reiches bis 1913 durch die Sanierung unserer Finanzen in vollem Maße in Anspruch genommen werden. Wenn Sie also jetzt durch Ihre Anträge wieder eine Um⸗ wälzung der Besoldungen in die Wege leiten, nachdem dem Reiche vor noch nicht 2 Jahren eine jährliche Mehrbelastung von nahezu 100 Millionen Mark für Beamtengehälter auferlegt worden ist, so werden Sie sich und werden Sie auch die von Ihnen vertretene Bevölkerung mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß das neue Lasten mit sich bringt. (Sehr richtig!) Das ist nicht nur eine Scheinversicherung oder gar ein Abschreckungsmittel, meine Herren. Ich erinnere an die Vorgänge beim Zuwachssteuergesetz. Wo der Bedarf unwiderstehlich wird, da werden auch die Steuern un⸗ widerstehlich.

Meine Herren, aus diesem Grunde halte ich es für das Richtigste, ganz unumwunden zu erklären, daß die verbündeten Regierungen für eine Aenderung des Besoldungsgesetzes sicherlich nicht zu baben sind. Ich bitte Sie, auch Ihrerseits fest auf dem bisherigen Standpunkt zu verharren und nicht bei den Beamten unerfüllbare Hoffnungen zu erwecken, gleichzeitig aber die übrige Bevölkerung in Furcht vor neuen Opfern zu versetzen. (Bravo! rechts und in der Mitte.)

Abg. Freiherr von Gamp⸗Massaunen (Rp.): Ich kann es begreifen, daß die Resolutionen in dem Reichsschatzsekretär ernste Be⸗ fürchtungen hervorgerufen haben. Er wird aber doch der Budget⸗ kommission das Anerkenntnis nicht versagen können, daß sie ihm bei der Sanierung der Finanzen gegen den Ansturm in bezug auf die Aenderung des Besoldungsgesetzes treu zur Seite gestanden hat. Wenn die Budgetkommission selbst eine Resolution angenommen hat, so kann man nur sagen: Exemptio confirmat regulam. Die Frage der allgemeinen Gehaltserhöhung ist als erledigt zu betrachten, und es ist gerade jetzt um so weniger Veranlassung, auf diese Frage zurückzukommen, als im letzten Jahre eine nicht unwesentliche Ver⸗ billigung des Getreides eingetreten ist und auch der Rückgang der Wohnungsmieten ganz erheblich war. Aber wie die Verhältnisse liegen, kann zurzeit von einer allgemeinen Erhöhung der Gehälter nicht die Rede sein, und man wird dem Schatzsekretär recht geben müssen, daß der Einbruch der von verschiedenen Seiten in die Besoldungsordnung versucht ist, zu einer Aufrollung dieser Frage notwendig führen muß. Denn man kann sich nicht darauf beschränken, die Wünsche der Postbeamten zu erfüllen, ohne die Rückwirkung auf die Eisenbahnbeamten, die Beamten der Militärverwaltung, der Marine⸗ verwaltung ꝛc. in Betracht zu ziehen. Bis 1913 besteht zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstage eine stillschweigende Uebereinkunft über die, Aufgaben, die uns im Etat gestellt sind. An dieser Verständigung zu rütteln, lehnt meine Partei entschieden ab, wir halten es für notwendig, zunächst die Folgen der schauer Mißwirtschaft im Reiche zu beseitigen durch Beseitigung

der Aufgaben, die die Zustimmung des Reichstages gefunden haben, in erster Reihe des Militärgesetzes. Es ist Ihnen allen bekannt, daß nur ein geringer Teil der dauernden Ausgaben aus diesem Gesetz in diesen Etat aufgenommen ist. Bei der Beratung der Be⸗ soldungsvorlage haben wir den Standpunkt vertreten, wir wollen die Beamten besser bezahlen, wir wollen aber auch eine erhebliche Verminderung ihrer Zahl und wünschen auch, daß die Leistungen der Beamten, wo es angängig ist, entsprechend gesteigert werden. Die Budgetkommission hat in dieser Beziehung eine sehr dankens⸗ werte Resolution gefaßt. Ich habe wiederholt davor gewarnt, eine große Anzahl von Anwärtern für den mittleren Dienst einzustellen.

Die Verwaltung ist in der Einberufung von Anwärtern planlos vor⸗ gegangen und hat Ziele gesteckt, die sie nicht erreichen konnte. Es

Beamten.

rächt sich jetzt bitter, daß von allen mittleren Beamten das Abiturienten⸗ examen verlangt wurde. Ueber die Feststellung der Grundsätze, betreffkend die Einberufung und Anstellung der Anvärter, 1 ß. der Reichstag mitzusprechen haben. Es ist nicht G ig, daß nur die Sozialdemokraten sich der Unterbeamten besonders angenommen haben. Wir unserseits haben uns für die gehobenen Stellen bemüht und für eine bessere Besoldung dieser Der Abg. Zubeil hat in dieser Beziehung nur eine deplacierte Wahlrede gehalten. Er hat sich über die postalischen Verhältnisse zu unterrichten nicht gemüßigt gefunden. Er müßte wissen, daß bei der Postverwaltung die Nachtzeit berechnet wird von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens. Einen 17stündigen ununterbrochenen Dienst gibt es gar nicht. Daß ein Postdirektor auch das Recht hat, einem Verband beizutreten, wird der Abg. Zubeil von seinem freiheit⸗ lichen Standpunkt doch auch nicht bedenklich finden können. Auch ich möchte der Verwaltung empfehlen, zu gestatten, daß die Post⸗ und Telegraphensekretärprüfung zum zweiten Male wiederholt werden darf. Das ist in Krankheitsfällen usw. ein sehr begründeter Wunsch. Ebenso könnte den Postassistenten eine Zulage von 300 zugebilligt werden, ohne aus dem Rahmen des Besoldungsgesetzes herauszugehen. Die Angriffe gegen den schwarz⸗blauen Block wegen der Bestimmungen zum Besoldungsgesetz waren durchaus deplaciert. Die National⸗ liberalen haben doch selbst in dritter Lesung gegen weitergehende Forderungen gestimmt. Ich muß mir die deplacierten Angriffe des Abg. Stresemann ganz energisch für die Zukunft verbitten. Der polnische Redner hat mit Recht gesagt, daß die Post sich in private Angelegenheiten nicht zu mischen habe. Aber die

Ostmarkenzulage soll keine Belohnung sein für politische Dienste

der Postverwaltung, sondern eine Entschädigung für die Mehrarbeit der Postbeamten in den polnischen Landesteilen. Früher wurden in schikanöser Weise polnische Adressen so undeutlich geschrieben, daß daraus eine Menge Mehrarbeit für die Postbeamten entstand, ab⸗ gesehen von anderen Dingen. Die polnischen Herren würden sich um die Beamten ein großes Verdienst erwerben, wenn sie für die Zulage timmten. Sie würden damit anerkennen, daß es sich nur um eine Entschädigung für eine sehr erhebliche Mehrarbeit handelt. Die Ost⸗ markenzulage sollte aber endlich so gereg lt werden, daß das Wort „außerordentlich“ gestrichen würde. Bei der Post liegen die Verhält⸗ nisse anders als bei den Lehrern. Postbeamte, die ihre Pflicht nicht tun, können einfach versetzt werden. Pflicht einer großen Betriebs⸗ verwaltung ist es, Pensionskassen für die Arbeiter zu schaffen.

Die Eisenbahnverwaltung hat auf diesem Gebiete dazu die Initiative mit

gutem Erfolg ergriffen. Einige Millionen sollten auch im Reichspostetat zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt werden; es würde damit auch dem Drängen auf Vermehrung der Beamtenstellen entgegengewirkt werden können. Fast alle größeren Betriebe haben solche Kassen. Die Postverwaltung und das Reichsschatzamt würden sich große Sympathien erwerben, wenn sie diesem Vorschlag im nächsten oder übernächsten Jahre praktische Folge gäben.

Abg. Dr. Struve (fortschr. Volksp.): Der Schatzsekretär meinte, uns auf das Gebiet der Besoldungsverbesserung nicht folgen zu können. Es sind aber tatsächlich trotz der neuen Besoldungsordnung in weiten Kreisen des Postbeamtentums Mißstände vorhanden, die beseitigt werden müssen. Zunächst haben wir beantragt, daß die Reichsverwal⸗ tung darauf hinwirken möchte, die unbeabsichtigten Härten auszugleichen, die sich für eine Reihe von Kategorien von Unter⸗ beamten ergeben haben. Wir haben das Wort „unbeabsichtigte“ mit Vorbedacht gewählt. Viele Kategorien von Unterbeamten sind ja zu⸗ friedengestellt; die Landbriefträger, die am besten abgeschnitten haben, haben diesmal keine Petitionen eingesandt. Die Abgrenzung zwischen den Unterbeamten und den gehobenen Unterbeamten ist und bleibt ungerecht; das damalige „Unannehmbar“ der Regierung war wirklich so tragisch nicht zu nehmen. Die Resolution wegen Revision

.

des Besoldungsgesetzes wird ja im Hause auf Annahme nicht zu rechnen haben; wir haben in der Kommission dafür gestimmt. Durch den Fortfall der Stellen⸗ und Teuerungszulagen ist der Effekt erzielt worden, daß für manche Beamtenklassen an manchen Orten eine höchst unbedeutende oder gar keine Gehaltserhöhung eingetreten ist. Der Schaffner in Hamburg hat dunc⸗ die Reform ganze 50 mehr erlangt; eine so geringe Summe zu bewilligen, war nicht die Absicht des Reichstages. Der Oberschaffner bekommt gar nur genau dieselbe Gehaltsumme, wie er sie schon vor der Reform bezogen hat. Vor einer späteren Reform des Besoldungsgesetzes müssen diese Kategorien unbedingt vorweg berücksichtigt werden. Es kommt hinzu, daß in jeder einzelnen Klasse der Unterbeamte weniger Wohnungsgeldzuschuß im Verhältnis zum mittleren Beamten als vorher erhält, nachdem eine große Anzahl von Orten deklassiert worden ist. Dieser Wider⸗ spruch zwischen Versprechen und Halten bei der Regierung kann sehr wohl den ersten Anstoß zur Lockerung der Disziplin bei den Unterbeamten geben; der Staatssekretär muß seinen ganzen Ein⸗ fluß aufbieten, daß die Deklassierung der betreffenden Ortschaften wieder aufgehoben wird. Gerade da, wo die Mieten am höchsten, die Lebensverhältnisse am teuersten sind, befinden sich die meisten nicht etatsmäßig angestellten Beamten. Kann dieses Mißverhältnis nicht wenigstens provisorisch geändert werden, daß die etatsmäßige An⸗ stellung erleichtert wird? Das Entgegenkommen der Verwaltung gegen die Schaffner beschränkt sich auf die Erleichterung der Er⸗ langung des Titels Oberschaffner; im übrigen ist für ihn im ganzen eine Verbesserung von ganzen 60 herausgesprungen, und das nennt man „gehobene Stellung“. Eventuell wird der Oberpost⸗ schaffner 58 Jahre alt, ehe er das Höchstgehalt erreicht. So ist bei diesen Gruppen keine Zufriedenheit, sondern eine durchaus berechtigte Unzufriedenheit durch die neue Besoldungsordnung erzeugt worden. An die Telegraphenarbeiter sollte man doch auch denken und ihre Pensionsansprüche befriedigen. Die Dienststunden der Beamten müßten allmählich herabgesetzt, aber auf keinen Fall erhöht werden. Mir liegen Beschwerden vor, die ich dem Staatssekretär überreichen werde; auf Einzelheiten verzichte ich. In der Diensteinteilung sind erfreuliche Fortschritte gemacht worden. Der Staatssekretär hat gesagt, die Unterbeamten hätten früher selbst nur eine Er⸗ höhung ihres Gehalts auf 12⸗ bis 1600 verlangt. 1907 war das allerdings der Fall. Aber die Postschaffner verlangten, zu einer be⸗ stimmten Zeit zum Oberschaffner befördert zu werden. Wären sie berücksichtigt worden, dann hätten wir heute keinen Streit. Außerdem haben sich inzwischen die Teurungsverhältnisse verschärft. Im einzelnen mögen die Mieten etwas billiger geworden sein, aber nicht in den Großstädten. Der Vorwurf, daß die Unterbeamten selbst schuld seien, daß es so gekommen sei, wie es heute liegt, weil sie 1907 zu wenig gefordert hätten, wie der Staatssekretär meinte, kann nur Unzufriedenheit unter den Unterbeamten erregen. Sie könnten ein andermal ganz andere Forderungen aufstellen. Ein Uebelstand ist, daß die Atteste von anderen Aerzten als Vertrauensärzten von der Postverwaltung nicht anerkannt werden. Das ist ein ganz un⸗ berechtigtes Mißtrauen gegen die Aerzte, worüber sich diese mit Recht beschweren. Im Etat sind Beihilfen vorgesehen zur Herstellung und Unterhaltung von Genesungsheimen der Post⸗ beamten⸗ und Unterbeamtenvereine. Wir haben beantragt, auch die Krankenkassen dabei zu berücksichtigen. Zur Durchfuͤhrung der von uns beantragten Resolution wegen Ausgleichs der un⸗ beabsichtigten Härten, die die Besoldungsreform herbeigeführt hat, werden sich bei einem solchen Ueberschußetat schon die Mittel finden. Ich sehe nicht ein, warum der Schatzsekretär diesen Ueberschuß voll⸗ ständig zur Balancierung des Etats in Anspruch nimmt. Ich bitte den Staatssekretär des Reichspostamts, mit allem Optimismus und mit aller Energie dafür zu sorgen, daß die Unzufriedenheit der Post⸗ unterbeamten aus der Welt geschafft wird. Bei der Aufnahme von Anwärtern ist erst seit 1900 etwas vorsichtiger verfahren worden. Die Abwälzung gewisser Arbeiten an mittlere und untere Beamte allein hilft nicht, die mittlere und höhere Laufbahn muß für eine Reihe von Jahren geschlossen werden. Der Reichs⸗ tag ist an der großen Zahl der Beamten gewiß nicht schuld. Hätte der Staatssekretär zur rechten Zeit eine Reform und eine Abwälzung minderwertiger Arbeit nach dem Antrage Ablaß auf mittlere Beamte vorgenommen, so hätten wir heute 8000 Beamte der mittleren Laufbahn weniger. Leider ist dies nicht geschehen. Die Hauptsache ist in diesen Fragen die Prophylare, die 1906 versäumt worden ist. Daß die Assistenten es nicht weiter bringen können als bis 3300 ℳ, ist ein ungesunder Zustand. Hier muß Wandel geschaffen werden durch eine Zulage von 300 nach 24 jähriger Dienstzeit. Ich begreife nicht, weshalb das Zentrum jetzt sich dagegen sträubt. Geschieht dies nur darum, weil es sich nicht mehr in einer Ovppositionsstellung befindet wie 19072 Petitionen „ins blaue“ hinein liegen nicht vor; gegen diesen Vorwurf müssen die Beamten in Schutz genommen werden. Die Beamten können doch ihre Wünsche nicht im Instanzenzug ver folgen. Es muß eine engere Fühlung zwischen den Spitzen der Be⸗ hörden und der Beamtenschaft bestehen. In der Beziehung könnten wir vom Ausland noch sehr viel lernen. Auch bei uns wäre es wohl möglich, eine Institution zu schaffen zum friedlichen Austrag der Wünsche und Beschwerden der Beamten. In der neuen Dienstordnung vom 1. November 1910 ist den Beamten nicht mehr wie bisher eine „feindselige Parteinahme gegen die Regierung, sondern allgemein eine Parteinahme gegen die Regierung verboten. Schließlich ist doch jede Partei in der Lage, einmal gegen die Regierung Stellung nehmen zu müssen.

Steaatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Mieene Herren! Heute muß ich in das Gebiet des Herrn Vor⸗ redners als Arzt hineinpfuschen. Er hat sich vor einigen Jahren un⸗ angenehm darüber ausgelassen, daß ich eine Bemerkung über seine Einmischung gemacht habe. Ich möchte ihm aber heute folgen. Er sagte, wir litten an Fettsucht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann litten wir an Krebs; denn wenn der Antrag Ablaß angenommen worden wäre, so hätte er 37 Millionen gekostet. Das haben die Herren ja schriftlich bekommen. Sie mengen immer die Sachen durcheinander, Sie fordern einerseits Ersparnisse, andererseits wieder alles mögliche für die Beamten. Die ganzen Ausführungen, die hier vorgetragen worden sind, erinnern mich lebhaft an gewisse Ausführungen in der Fachpresse, in denen das alles schon ausgeführt worden ist. (Sehr richtig! rechts.) Ich bewundere die Spezialkenntnisse des Herrn Vorredners, kann ihm aber nicht folgen und hätte nach dem Anfang, den er gemacht hatte, auch gewünscht, daß er auf der Bahn geblieben wäre, und zwar des⸗

halb, weil er ja ausgeführt hat, ihm liege daran, Zufriedenheit bei den Beamten zu erzielen. (Abg. Dr. Struve: Sehr richtig!) Ja, verehrter Herr Abgeordneter, auf die Weise erwecken Sie keine Zu⸗ friedenheit (sehr wahr! rechts), sondern das sind Reden, die so auf⸗ reizend, so hetzend wirken (Unruhe links, Sehr richtig! rechts) wir wollen uns hier ganz ruhig auseinandersetzen —, daß die Folgen gar nicht absehbar sind. Sie können doch auch nicht alle Wünsche, die die Beamten haben, für erfüllbar halten.

Nun möchte ich Ihnen aber eins sagen nehmen Sie mir es nicht übel —, Sie sprachen immer von dem, was der Staatssekretär in der Budgetkommission gesagt hat, der Sie leider nicht angehört haben (hört, hört! rechts) ich hätte es nach diesen Ausführungen gewünscht —, und ziehen aus unrichtig wiedergegebenen Aeußerungen Ihre Schlüsse. Das kann auch nicht zur Zufriedenheit der Beamten beitragen. Sie führen hier vor dem hohen Hause an, der Staats⸗ sekretär hätte die Schuld auf die Postschaffner abgewälzt, daß sie nicht mehr Gehalt bekommen hätten. Das waren Ihre Worte. Ja, Herr Abgeordneter, sind Sie sich bewußt, was man tut, wenn man so etwas hier von der Tribüne aus ausspricht, ohne unterrichtet zu sein? (Sehr richtig! rechts.) Alle Herren, die in der Kommission anwesend waren, werden bestätigen, daß ich das nicht getan habe.

Wie spielte sich die Sache ab? Es wurden Anträge auf Besser⸗ stellung der Unterbeamten gestellt, für die ich sicherlich Verständnis habe. Es wurde bei dieser Gelegenheit aber der Ausdruck gebraucht, es wäre ein erbärmliches Gehalt, welches die Unterbeamten bekämen. Gegen diesen Ausdruck bin ich vorgegangen und habe gesagt, man sollte solche Ausdrücke nicht brauchen; denn ich könnte Ihnen Wünsche der Unterbeamten aus dem Jahre 1907 bekanntgeben, die weit hinter dem zurückblieben, was ihnen durch die Beamten⸗ besoldung bewilligt worden ist. (Sehr richtig! rechts.) Also ich habe mich dagegen verwahrt, daß eine Maßnahme, die eine große Wohltat für sämtliche Reichsbeamte gewesen ist, die 100 Millionen kostet, als ein erbärmliches Machwerk bezeichnet wird (sehr richtig! rechts), und das muß jeder Reichstagsabgeordnete mit unterschreiben und anerkennen, denn Sie haben dabei mitgewirkt, und wenn nicht alle Wünsche zu erfüllen sind, so muß man doch anerkennen, daß ein großer Schritt vorwärts getan ist. (Sehr richtig! in der Mitte.) Jedenfalls ist es verständlich, wenn der Chef der Verwaltung sich dagegen verwahrt, daß eine solche Maßnahme als erbärmlich bezeichnet wird. (Abg. Dr. Struve: Habe ich sie erbärmlich genannt?) Ich sage, Sie haben dem Staatssekretär den Vorwurf gemacht, er hätte die Schuld auf die Unterbeamten geschoben. (Abg. Dr. Struve: Lesen Sie mein Stenogramm, ich gebe es Ihnen unkorrigiert!) Dann sind Sie im weiteren auf die Karriere eingegangen und haben zum Ausdruck gebracht, daß die Karriere jämmerlich wäre, daß im weiteren planlos vorgegangen wäre. Das ist auch nicht zutreffend; ich habe nie anerkannt, daß wir zu viele Beamte haben, und die Zukunft wird zeigen, daß wir wieder Beamte annehmen müssen und bald annehmen müssen, denn wenn der Verkehr in der Weise steigt, sind Menschen nötig. Sie drehen doch alles immer im Kreise; Sie haben auch wieder vorgetragen, und es ist das auch von anderer Seite geschehen, es wären die Anforderungen an das Personal zu hoch, und mit demselben Tone sagen Sie wieder, es seien zu viele Beamte da. Wo sind denn zu viele Beamte? Der Verkehr nimmt zu und erfordert mehr Personal; das ist die Macht des Verkehrs, die geht über uns alle fort und zwingt uns zur (Zuruf links: Hoffentlich!) jawohl Einstellung von Beamten. Das ist doch nicht

zu billigen, hier in der Weise die Verwaltung anzuklagen, daß sie planlos vorgegangen sei. Ich habe in der Kommission ausdrücklich ausgeführt, daß sehr viele Einrichtungen getroffen sind, die Personal erfordern und schließlich uns gezwungen haben, dieses Personal anzu⸗ nehmen, um die vorhandenen Beamten zu erleichtern. Wir haben heute noch keinen Beamten zu viel. Daß die Verwaltung aber bestrebt ist, dem Wunsche des Reichstags zu entsprechen und Geschäfte, die von Unterbeamten ver⸗ richtet werden können, auf solche zu übertragen, das ist eine Tatsache, die auch von seiten des Reichstags anerkannt worden ist. (Abg. Dr

Struve: Auch von mir!) Wenn nun gleichzeitig große Ver

einfachungen in einem so großen Betriebe getroffen werden, so sind natürlich für kurze Zeit auch für stärkeren Verkehr noch genügend Beamte vorhanden, sodaß wir verzichten können auf neuen Zugang

Und deshalb habe ich auch erklärt, daß es angängig ist, der Resolution bis auf weiteres zu entsprechen; ich habe aber nicht anerkannt, daß wir überhaupt nie mehr Beamte anzunehmen brauchen, davon kann in der Tat nicht die Rede sein, sondern wenn der Verkehr steigt, müssen wir auch für das Personal sorgen.

Wenn nun die Karriere so schlecht wäre, wie der Herr Vorredner es zu schildern beliebt, wie kommt es dann, daß wir rein überschüttet werden mit Anträgen (sehr richtig! rechts), daß uns aus den Kreisen der Postbeamten sogar, die doch genau wissen, was ihren Kindern blüht, diese Anträge in großer Zahl zugehen? Sind denn unter den Postbeamten solche Rabenväter, daß sie ihre Kinder in eine Karriere hineinstecken wollen, die so schlecht ist, wie Sie sie schildern? Nein, Herr Abgeordneter, das glaubt Ihnen doch keiner, daß die Postkarriere so schlecht sei, die Aussichten so schlechte seien, daß sie sich ungünstig unterscheidet von anderen, weil einmal vorübergehend das Aufrücken etwas langsamer ist. Existiert denn nur die Postverwaltung für Sie? Sie studieren ja, wie ich eben gehört habe, auch die anderen Verwaltungen. Haben Sie nie davon gehört, daß die Forstkarriere zu viele Beamte hatte; haben Sie nie gehört, daß im Baufach so viele Menschen gewesen sind, daß es schließlich keine Beschäftigung für sie gab? Das kommt vor, obgleich genau darauf geachtet wird, daß der Bedarf an Beamten den Erfordernissen entspricht. Aber der Verkehr entwickelt sich eben nicht in ein für allemal feststehenden Formen, daß man ganz genau den Bedarf berechnen kann; das geht nicht.

Wenn dann der Herr Abgeordnete auf die fremden Länder ge⸗ kommen ist und es so dargestellt hat, als ob es für die Beamten in allen Ländern besser wäre als bei uns, so glaube ich, kennt er doch die Verhältnisse recht schlecht. (Abg. Dr. Struve: Das habe ich nicht behauptet!) Ich bewundere, daß er den Mut gehabt hat, darauf als vorbildlich hinzuweisen, nachdem vor kurzem im Nachbarlande Verhältnisse obgewaltet haben, daß jeder wirklich sagen muß: Wenn Ausschüsse solche Folgen zeitigen, dann bewahre uns der Herr vor solchen schönen Einrichtungen! (Sehr richtig!) Ich muß mich überhaupt wundern, wie der Herr Abgeordnete, der im ersten Teil seiner Rede Verständnis für die Schwierigkeit der Verh schließlich dazu

u““