kleinliche Absichten zu unterstellen. (Abg. Dr. Struve: Was für Absichten?2) Er hat die große Postdienstanweisung studiert, die aus 12 Bänden besteht, ungefähr so dick! Da stand früher im Abschnitt X: „Feindliche Parteinahme gegen“. Jetzt steht nur: „Parteinahme gegen“. Das ist ein Attentat! Ich habe, als ich das in der Zeitung las, gelacht. Es ist da ein Deutschfreund gekommen und hat gesagt: „Feindliche Parteinahme gegen“ ist ein Pleonasmus, den wollen wir wegbringen. Eine „Parteinahme gegen“ ist eben feindlich und nicht freundlich. „Feindliche Parteinahme“ ist so etwas wie „weißer Schimmel“. Also wozu? Wir geben uns überall Mühe, zu re⸗ formieren, und da beseitigen wir auch Worte und Ausdrücke, die über⸗ flüssig sind. Würde es denn den Herrn Abgeordneten beruhigen, wenn
wir die Sache wieder umänderten und schrieben: „Feindliche Partei⸗ nahme gegen“? Meine Herren, das sind doch wirklich keine Dinge, die man vorbringen sollte, um die Verwaltung herabzusetzen. Ich glaube, es wäre dienlicher, wenn das nicht geschähe.
Der Herr Abgeordnete hat dann sein Bedauern darüber aus⸗ gesprochen, daß einzelne Postämter bei Erkrankungen Atteste nicht voll respektierten, daß auch noch Atteste von anderen Aerzten eingeholt würden. Solche Fälle mögen vorgekommen sein. Ich bin aber
überzeugt, daß der Herr Abgeordnete, der selbst Arzt ist, auch weiß, daß man selbst in ärztlichen Kreisen auch mal einen anderen Arzt
hinzuzieht. Warum soll ein Postamtsvorsteher, der einen Beamten oder Unterbeamten 10, 12 Jahre lang kennt, nicht auch mal schwankend sein können? Er bekommt z. B. ein Attest, da steht drin: Rheumatismus. Er sagt sich vielleicht: Rheumatismus ist eine Krankheit, bei der nicht sehr viele äußere Zeichen sichtbar sind, der
Mann neigt zur Bequemlichkeit, ich will ihn nochmal zum Post⸗ vertrauensarzt schicken, der soll ihn auch noch untersuchen. Ich würde es auch für falsch halten, wenn das ständig geschähe; aber daß es
hier und da geschieht, scheint mir durchaus richtig. Man sollte daraus nicht gleich Schlüsse ziehen, wie sie der Herr Abgeordnete zu ziehen beliebt hat. (Abg. Struve: Was habe ich denn gesagt?)
Ich möchte mich dann zu den Wünschen wenden, die die übrigen Herren heute hier zum Ausdruck gebracht haben und möchte dabei be⸗ ginnen mit den Bemerkungen des Herrn Vertreters der polnischen Fraktion. Ich möchte ihm die Zusicherung geben, daß seine Vermutung, bei der
Behandlung der Bevölkerung würde von den Beamten nach ver⸗ schiedenen Grundsätzen verfahren, je nachdem es ein Deutscher oder Pole wäre, unzutreffend ist. Er wird auch keine Spezialfälle an⸗ führen können, daß so etwas geschehen wäre. Wenn es aber vor⸗ kommen sollte, würde es viel richtiger sein, im Weg der Beschwerde den Einzelfall zu verfolgen. Von hier wird nicht gebilligt, wenn die Bevölkerung differenziell behandelt würde. 8 Der Herr Abgeordnete hat dann auch von einer Strafversetzung eines Direktors gesprochen. Ich möchte ihm kurz darauf sagen: 8 Klagen hierher gekommen, daß dieser Beamte im Bureau auf seine Beamten eingewirkt hat; infolgedessen ist eine Untersuchung eingeleitet worden, um die Sache klarzulegen. Die Untersuchung schwebt noch, und ich kann Ihnen daher noch nicht sagen, welchen Ausgang sie nehmen wird. 8 Der Herr Abgeordnete hat im ferneren sich beschwert, daß Land⸗ briefträger keine Bestellungen auf polnische Zeitungen annehmen. Wenn ein solcher Fall vorgekommen ist, wäre es eine Dienstwidrigkeit, der Landbriefträger ist verpflichtet, die Bestellung anzunehmen, und wenn er dabei irgend eine Bemerkung gemacht haben sollte, daß der Besteller doch lieber eine deutsche Zeitung lesen solle, dann würde ich das für ungehörig halten. Ich kann dem Herrn Abgeordneten auch ier nur anheimstellen, den Fall zur Sprache zu bringen. Es ist mmer besser, wenn er einen solchen Einzelfall auf dem Dienstweg verfolgt. Wir können es hier nicht beurteilen. Es wäre dann auch möglich, daß sein Argwohn damit verschwindet.
Ich wende mich dann zu den Bemerkungen, die der Herr Abg. gemacht hat. Der Herr Abg. Lattmann brachte besonders zum Ausdruck, daß es ihm unsympathisch wäre, die Gehilfinnen in der Zahl vermehrt zu sehen. Ich habe bereits bei früheren Gelegenheiten
um Ausdruck gebracht, daß bei der großen Zunahme des Fernsprech⸗ erkehrs es nicht zu umgehen sei, die Zahl der Gehilfinnen zu ver⸗ mehren, weil nach den langjährigen Erfahrungen das weibliche Personal besonders geeignet für den Fernsprechdienst ist. (Sehr ichtig! rechts.) Im großen und ganzen sind sie geduldiger, und ich glaube, es ist dem Publikum damit gedient; denn wenn ich mir nur lteres männliches Personal an dem Fernsprecher denken würde, das ede kleine Bemerkung gleich übel nimmt, so glaube ich, würden wir och mehr Streitfälle haben, als jetzt leider schon vorkommen. 8 Der Herr Abg. Lattmann ist dann wieder darauf gekommen, daß die höheren Beamten Befürchtungen hätten, ob die Aussichten für die Mitglieder der alten und neuen höheren Karriere die gleichen wären. Ich hatte schon mehrfach hier im hohen Hause zum Ausdruck ge⸗ bracht, daß eine Schädigung der Mitglieder der bisherigen höheren Karriere nicht beabsichtigt ist, und möchte bitten, daß die nochmalige Bestätigung dieser Erklärung als eine den Tatsachen vollständig ent⸗ prechendz und zur Beruhigung dienende genügen möge.
Der Herr Abgeordnete hat weiter in seiner temperamentvollen Art, möchte ich sagen, hier zum Ausdruck gebracht, auch er wünsche dringend ein recht gutes Verhältnis zwischen Verwaltung und Beamtenschaft; in einer Hinsicht ist er aber etwas entgleist. Das Verhältnis zwischen Beamten und Verwaltung ist gut und ver⸗ trauensvoll. Dabei will ich nicht sagen, daß nicht diese oder jene Wünsche noch bestehen, denen leider Erfüllung nicht hat gebracht werden können. Es kann aber nicht gut wirken, wenn in der Weise, wie der Herr Abg. Lattmann es getan hat, Entscheidungen höchster Disziplinargerichte hier heruntergesetzt werden. Wenn ein Be⸗ amter vor ein Disziplinargericht gebracht, und wenn in erster wie in zweiter Instanz ein Urteil gefällt wird, in dem be⸗ sonders hervorgehoben wird, daß die Ausschreitungen des be⸗ treffenden Beamten sehr starke gewesen seien und eigentlich eine schärfere Strafe rechtfertigten, dann hätte ich doch gewünscht, daß diese Gerichtshöfe, die ja nicht mir unterstehen, nicht dadurch herunter⸗ gesetzt würden, daß man sagt, das Urteil wäre zu streng ausgefallen. Erstens mal haben zwei Gerichte entschieden, und dann haben in diesen Gerichten die juristischen Mitglieder die Ueberzahl, sodaß in der ungünstigen Beurteilung der Entscheidung gewissermaßen eine Herabsetzung der Justiz liegen mußte.
Es sind dann noch mehrfach auch von anderen Rednern Wünsche geäußert worden. Insbesondere ist einer der Herren Vorredner warm für die Gründung einer Krankenkasse für
eing treten, bei welcher auch für die
11.“
“ 8 8 8
gesorgt würde. Diesen Wunsch hat die Verwaltung gleich⸗ falls, und ich hatte bereits bei früheren Gelegenheiten die Ehre, in diesem hohen Hause darzulegen, daß wir die entsprechende Summe einstellen zu können hoffen, sobald die finanziellen Verhältnisse besser sind. Es handelt sich hierbei um eine Maßnahme, die in einem gewissen Zusammenhang mit einem Vorschlage des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Gamp steht, der in diesem Sinne einen warmen Appell an die Regierung und an das Haus gerichtet hat, nicht bloß für die Unterbeamten und ihre Familien, sondern auch für die Hinter⸗ bliebenen zu sorgen. Ich hoffe, daß wir, wenn unsere Finanz⸗ verhältnisse sich mal gebessert haben werden, vielleicht auch nach dieser Richtung hin einen Schritt weiter tun können. (Bravo! rechts.)
Abg. Lehmann⸗Wiesbaden (Soz.): Die bürgerlichen Parteien sind steuerscheu, und deswegen kommen sie aus dem Firkel nicht heraus, daß sie zwar den Beamten helfen, aber auf die Postüberschüsse nicht verzichten wollen. Der Staatssekretär hat alle Anträge als un⸗ durchführbar zurückgewiesen. Mit der Schweiz und Frankreich ließe sich sehr leicht der Zehnpfennigtarif vereinbaren, wie es mit Amerika geschehen ist. Mannheim hat bisher vergeblich um die Schaffung eines Postscheckamts petitioniert. Die Postverwaltung ist in dieser Beziehung öö träge. Die bayerische Postverwaltung hat in Ludwigshafen ein Scheckamt eingerichtet; sie ist uns also zuvorgekommen. Mannheim ist ein bedeutender Handelsplatz, es ent⸗ behrt eines Scheckamtes, dafür hat Karlsruhe eins als Beamten⸗ stadt! Ebenso rückständig ist die Post im Zeitungsversendungs⸗ wesen. Die bürgerlichen Harleien haben sich in Lobsprüchen auf die Postverwaltung überboten. Der Abg. Dröscher schloß seine Rede beinahe mit einem Hoch auf den Staatssekretär, und er schien die Aufgabe zu haben, uns als Hetzer in Grund und Boden zu reden. Zu meiner Freude ist nun auch der Abg. Struve von dem Staats⸗ sekretär zu den Hetzern rangiert worden. Wir unserseits sind jederzeit für die Unterbeamten ohne Nebenziele eingetreten. An der Ablehnung der Vermögenssteuer sind wir doch nicht schuld. Der Abg. Lattmann hat sich nicht entblödet, unsere Resolution für einen Unsinn zu er⸗ klären, und der Abg. Struve hat die Hoffnung ausgesprochen, daß sie abgelehnt werde. (Widerspruch des Abg. Struve.) Gut, dann ich das letztere zurück. Dieselbe Resolution ist beim Marine⸗ etat in namentlicher Abstimmung mit 240 gegen 99 Stimmen an⸗ genommen worden. Wenn der Abg. Lattmann nicht zur Ordnung gerufen worden ist, so lag dies nur daran, 6 der Prä⸗ sert sich des Beschlusses des Reichstages nicht bewußt war. benachteiligten Orte in bezug auf den Wohnungsgeldzuschuß ist auch für Wiesbaden erforderlich. Erstaunt war ich, daß der Reichstag den Bruch des Postgeheimnisses, von dem der Abg. Zubeil sprach, so ruhig hin⸗ genommen hat. Die Post hat sich doch in den Dienst der Polizei gestellt, sonst hätte diese von dem Inhalt der Depesche keine Kenntnis erhalten. Es handelt sich gar nicht um ein Gerichtsverfahren gegen „Unbekannt“. Der Staatesekretär meinte, die Untersuchung wäre noch nicht abgeschlossen. Wir wünschen, daß, wenn unser Verdacht sich be⸗ stätigt, der betreffende Beamte zur Rechenschaft gezogen wird. Wie denkt es sich der Staatssekretär, daß die Polizei in den Besitz der Depesche gekommen ist? Die Postverwaltung hat sich durch ihre Dienstordnung bemüht, die Beamten zu entrechten, sie politisch zu bevormunden. Ein patriarchalisches Verhältnis zwischen Postbeamten und ⸗Verwaltung besteht nicht und kann nicht bestehen. Wir können zu der Postverwaltung kein Vertrauen haben.
Abg. Gisberts (Zentr.): Den Vorwurf des Abg. Struve, daß das Zentrum den Unterbeamten Versprechungen 8. aber nicht gehalten habe, weise ich entschieden zurück. Wenn es dem Zentrum nicht gelungen ist, ihre Wünsche in dieser Beziehung durchzusetzen, so lag dies nur an der Ungunst der Verhältnisse. Bei der Be⸗ soldungsordnung haben wir für den nationalliberalen Antrag auf Gehaltserhöhung gestimmt. An demselben Abend haben wir ernste Be mit dem Beamtenverein gehabt, und keiner der Herren hat den Mut gehabt, uns zu eree das Gesetz daran zum Scheitern zu bringen, daß weitergehende Wünsche von der Regierung nicht erfüllt wurden. Die Beamtenschaft draußen hat sich schweren Herzens damit abgefunden, daß vorläufig an ein Aufrollen der ganzen Besoldungsreform nicht zu denken ist. Das schließt selbst⸗ verständlich nicht aus, daß wir die Postverwaltung bitten, Wünsche der Beamten, die nicht im Rahmen der Besoldungsordnung liegen, zu berücksichtigen. Wir haben deshalb beantragt, den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß a. die vor dem 1. Januar 1900 in den Dienst getretenen Postassistenten, Oberpostassistenten usw. nach 24jähriger etatsmäßiger Dienstzeit eine persönliche Zulage von 300 ℳ jährlich erhalten; b. die nichtetatsmäßigen Unterbeamten der Reichspost — die Klasse der Landbriefträger ausgenommen — nach 10 jähriger Dienstzeit etatsmäßig angestellt werden. Im Bezirk Düssel⸗ dorf ist fast die Hälfte der Unterbeamten nicht H angestellt. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Ich bitte die Verwaltung, diese Forderung wohlwollend zu prüfen. Die Deckung wird bei den steigenden hene der Postverwaltung leicht zu finden denn Auch das Kaligesetz böte, wenn man die großen Werke entsprechend heranzöge, eine Einnahmequelle für diesen Zweck. Die Vermehrung der Dienststunden ist von den Beamten sehr unangenehm empfunden worden, sie glauben, die Besoldungserhöhungen sollen auf diese Weise wieder eingebracht werden. Ich habe dies den Beamten ausgeredet, das wäre nicht der Wille des Reichstags gewesen, aber verdenken kann man den Beamten einen solchen Verdacht eigentlich nicht. Die Löhne der Post⸗ boten stehen in keinem richtigen Verhältnis zu den Löhnen in der Industrie. In den Industriegebieten ist eine Steigerung der Mieten eingetreten, Herr von Gamp. Die Reklassierung der zurückgesetzten Orte halten auch wir für dringend notwendig. Den Sozialdemokraten will ich nur sagen, daß, wer den Beamten helfen will, auch die Mittel dazu bewilligen muß. Sie lehnen aber doch den Etat ab! (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Also: Entweder, oder! Die Beamtenschaft ist auch nicht sozialdemokratisch gesinnt, wie Sie (zu den Sozialdemokraten) meinen.
Abg. Dr. Eickhoff (fortschr. Volkp.) befürwortet den Antrag seiner Partei, den Zentrumsantrag dahin abzuändern, daß die nicht etats⸗ Fehigen Unterbeamten und Arbeiter der Reichspost nach spätestens 10 jähriger Dienstzeit etatsmäßig angestellt werden.
Abg. Giesberts (Zentr.) hält diesen Unterantrag für über⸗ flüssig. Es könne sich nur um die qualifizierten Arbeiter handeln.
lgs Dr. Eickhoff (fortschr. Volksp.) hält seinen Antrag aufrecht.
Abg. Dr. Struve (fortschr. Volksp.): Der Staatssekretär hat mir so heftig geantwortet, daß ich dagegen Verwahrung einlegen muß. Es tut mit leid, daß der Cbef der Verwaltung sich so weit hat hinreißen lassen. Nicht ich habe Un⸗ zufriedenheit unter der Beamtenschaft erregt; die Zufriedenheit wird wachsen, Herr Staatssekretär, wenn Sie die Anregungen des Reichstags prüfen und ihnen entsprechen. Durch einen Machtspruch werden wir die Unzufriedenheit der Postbeamten nicht beseitigen. In bezug auf den Antrag Ablaß hat sich der Staatssekretär auf das Gebiet der Kurpfuscherei begeben. Wenn er berechtigte Wünsche der Beamten für eine Krebs⸗ krankheit erklärt, so kann er sich nicht wundern, wenn das Blüm⸗ lein Zufriedenheit in seinem Ressort nicht wächst. Von erbärm⸗ lichen Gehältern habe ich überhaupt nicht gesprochen. Ich habe überhaupt diese ganze Frage mit der Ruhe und Liebens⸗ würdigkeit behandelt, die mich nie verläßt. Dann hat der Staats⸗ sekretär mir „Hetze“ vorgeworfen. Bei einer anderen Gelegenheit habe ich ihn um das Stenogramm seiner Rede gebeten. Er hatte es abgelehnt, weil er sein Stenogramm noch nicht korrigiert hätte. Ich stelle ihm mein unkorrigiertes Stenogramm zur Verfügung und bitte ihn, mir nachzuweisen, ob ich ihm zu diesem Vorwurfe nur den leisesten Anlaß gegeben habe. In der Sache selbst habe ich nichts Nineittandtgen
bg. Beck⸗Heidelberg (nl.): Das Zentrum hat seinen Antrag
Eine Reklassierung der
wegen der Postassistenten wohl nur eingebracht, weil sich in bezug 1““ Gu6“ 8 1 v“ 11““ 1 8
auf die Besoldungsordnung von 1909 sein Gewissen regt. Seine
Resolution steht aber hinter der der Budgetkommission insofern zurück, als sie die persönliche Zulage den Postassistenten erst nach einer 24 jährigen etatsmäßigen Dienstzeit gewähren will, während die Resolution der Budgetkommission sie gewähren will 3 Jahre nach Erreichung des Höchstgehalts. Ich habe mit dem Abg. Eickhoff diese G bei diesem Titel aufgenommen und bitte um deren An⸗ nahme.
Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:
Meine Herren! Was diese Anträge anbetrifft, daß Unterbeamte und Arbeiter nach spätestens zehnjähriger Dienstzeit etatsmäßig ange⸗ stellt werden müssen, so ist es mir eigentlich nicht recht verständlich, was beabsichtigt wird. Es ist hier ausdrücklich gesagt: die Klasse der Landbriefträger ausggenommen. Nun werden die Landbriefträger jetzt ungefähr nach 7 bis 8 Jahren schon angestellt. Den Landbriefträgern haben wir stets das Recht zuerkannt, daß sie, falls sie geeignet be⸗ funden werden, späterhin in Postschaffnerstellen einrücken.
Nun würden sich die Verhältnisse also derartig stellen: es werden Stellen in den großen Städten frei und die Landbriefträger wollen dort hinein. Dann werden also Postboten disponibel. Die würden nun sagen: nach der Resolution haben wir einen Anspruch, al⸗ Schaffner angestellt zu werden. In der Weise, wie Sie den Antra gefaßt haben, geht es also nicht.
Zur Anstellung gehören natürlich notwendig auch Stellen. können, wenn keine Stellen da sind, die Leute nicht anstellen. Daher kommen wir bei jedem Etat und bitten um so und so viel Stellen, und wenn Sie uns die Stellen bewilligen, sind wir in der Lage, Diätare von der und der Dienstzeit anzustellen. 8
Nun habe ich bereits in der Kommission mir gestattet Ihnen vor zutragen, daß die Verhältnisse in den einzelnen Bezirken sehr ver⸗ schieden liegen. Wir bedauern das, aber dem läßt sich nicht ab helfen, und für gewöhnlich wollen die Beamten aus Bezirk nicht heraus. Sie sind bodenständig. Was nun werden? In Bezirken, in denen sehr viel Landbriefträger sind — wir wollen einmal annehmen Mecklenburg und Ostpreußen — sind sehr wenig Schaffnerstellen. Da warten die Landbriefträger, daß sie in einen Nachbarort kommen, um als Schaffner angestellt zu werden. Nun sagen Sie: die Landbriefträger bleiben ausgeschlossen. Die Postboten sollen nach zehnjähriger Dienstzeit angestellt werden So wie die Resolution und der Abänderungsantrag gefaßt ist, können wir es nicht ausführen. (Abg. Erzberger: Mehr Stellen!) — Nicht bloß mehr Stellen, sondern die Klasse der Landbriefträger ist aus genommen, das müßte auch fallen. Den geeigneten Landbriefträgern soll ja auch die Möglichkeit, in die Schaffnerstellen zu kommen, bleiben. So geht es also nicht.
Dem Herrn Abg. Struve möchte ich nur kurz erwidern: Ich befinde mich in derselben Lage wie er. Auch ich habe Wesentliches zu der Sache nicht mehr hinzuzufügen. (Zurufe links.)
Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Giesberts (Zentr.) Zubeil (Soz.) und Beck⸗Heidelberg (nl.) schließt die Debatte
Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt und geger 8 Uhr die weitere Beratung auf Freitag, 1 Uhr, vertagt Außerdem Etat des Reichsamts des Innern.
Für den Fall, daß der Postetat in der Tagessitzung nich erledigt werden sollte, kündigt der Präsident für morgen eine Abendsitzung an.
Haus der Abgeordneten.
45. Sitzung vom 9. März 1911, Vormittags 11 Uhr
(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen und Unter⸗ richtsangelegenheiten bei den dauernden Ausgaben des Kapitels „Evangelischer Oberkirchenrat“ fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. 8
Auf die daselbst im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen des Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) entgegnet der “
der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten von Trott zu Solz:
Wir sind es ja gewohnt, wenn der Abg. Liebknecht die Tribüne dieses Hauses betritt und in seiner temperamentvollen, nicht gerade sehr sympathischen Art (sehr richtig! rechte) Worte an das Haus richtet, daß er dann alle Dinge so modelt, so darstellt, wie es sich gerade für seine Zwecke eignet, für die Zwecke der Agitation, un⸗ bekümmert darum, wie die Dinge wirklich sind. (Sehr richtig! rechts.) Wenn ich jemals diesen Eindruck von einer Rede des Abg. Liebknecht gewonnen habe, so ist es heute der Fall gewesen. (Sehr richtig! rechts.) Er hat sich namentlich über die evangelische Kirche des weiteren verbreitet. Nun kann man ihm ja allenfalls zugute halten, daß er dieser Kirche, soviel ich weiß, völlig fern steht (sehr gut! rechts); aber dann sollte man doch auch etwas vorsichtiger sein, wenn man hier über solche Dinge spricht. (Sehr richtig!) rechts.) Alles das, was er vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche gesagt hat, ist zum Teil direkt falsch, zum Teil nicht richtig. (Heiterkeit rechts.) Er hat behauptet, unsere Entwicklung ginge dahin, daß die Kirche immer mehr in die Staatsgewalt hinübergezogen werde, immer abhängiger werde vom Staate, und hat demgegenüber auf die glückliche Zeit hin⸗ gewiesen, als Friedrich der Große regierte und das allgemeine Land⸗ recht emaniert wurde. (Zuruf des Abg. Liebknecht.) Die Dinge
liegen bekanntlich umgekehrt. Zu jener Zeit bestand entsprechend den Heute besteht es
damaligen Verhältnissen das Staatskirchentum. nicht mehr, heute geht die Tendenz nach der anderen Richtung hin; wir gestalten die Kirche durch unsere Gesetzgebung immer freier; wir haben sie ausgestattet mit parlamentarischen Möglichkeiten, mit der Synodalverfassung — alles gerade das Gegenteil von dem, was Herr Liebknecht behauptet hat.
Ebenso ist seine Darstellung des Falles Jatho nach seiner for⸗ mellen Behandlung direkt falsch. Er hat immer wieder von Disziplinar⸗ behörden gesprochen. Disziplinarbehörden kommen, wie Sie wissen, in diesem Falle gar nicht in Betracht. Nicht der evangelische Ober⸗ kirchenrat ist die entscheidende Behörde, sondern ein besonderes Spruch⸗ kollegium ist dazu eingerichtet, um derartige Fälle aus dem Disziplinar⸗ — verfahren herauszuheben und anders zu regeln. (Sehr richtig! rechts.) — Wiederum das Gegenteil von dem, was Herr Liebknecht gesagt
auch gar nicht nötig gewesen, daß ich dazu das Wort nehme. (Schluß in der Zweiten Beilage.) 3 — 8 8
“
Wir
Was mich veranlaßt, das Wort zu nehmen, ist das, daß der Abg. Liebknecht die heftigsten und unbegründetsten Angreiffe gegen Geistliche gerichtet hat und insonderheit gegen einen Geistlichen unter Namensnennung, gegen den Pastor Pfeifer, der direkt mir nachge⸗ ordnet ist. Wir wissen, in welcher aufopfernden Tätigkeit diese Herren bemüht sind, die Not und das Leiden in unserem Volke zu lindern und Hilfe zu schaffen. (Sehr richtig! rechts.) Wir sind den Herren dankbar dafür, und wenn sie von jener Seite deshalb angegriffen werden, so kann ich nicht anders sagen, das spricht nur für diese Herren. (Bravo! rechts.) Sie stehen in dem schweren Kampf um die Seelen und um das Gewissen unseres Volkes, sind karitativ tätig und wollen helfen, die Mühen und Nöte des Lebens zu mildern. Solche Männer werden angegriffen von Ihnen, die Sie behaupten, Sie wären diejenigen, die für das Volk sorgten. Dann sollten Sie mindestens diese selbstlose, opferwillige Tätigkeit auch dieser Männer anerkennen, wenn sie auch nicht in ihren Reihen stehen. (Bravo! rechts.) Wie ungerechtfertigt diese Angriffe ins⸗ besondere gegen den Pastor Pfeifer sind, geht auf das eklatanteste aus folgendem hervor.
Herr Liebknecht hat gesagt, dieser Herr beschäftige sich mit anderen Dingen und vernachlässige darüber sein Amt. Legionen von Klagen seien ihm aus der Gemeinde zugegangen über die Tätigkeit des Pfarrers Pfeifer. Nun, dieser Pfarrer Pfeifer ist Anstaltsgeistlicher an der Charité, hat überhaupt keine Gemeinde. — Wie können da von der Gemeinde Legionen von Klagen kommen? (Abg. Liebknecht: Kein Wort davon habe ich gesagt!) Der Pfarrer Pfeifer ist vom Gericht zum Vormund der Kinder, insonderheit der unehelichen Kinder ernannt. Er hat eine bewundernswerte — kann man beinahe sagen — Tätigkeit auf diesem Gebiet ausgeübt unter Hintansetzung seiner eigenen persönlichen Interessen. Der Dank dafür ist nun, daß ein Mann wie dieser in der Weise angegriffen wird; das muß ich mit aller Ent⸗ schiedenheit zurückweisen. (Bravo! rechts.)
Ebenso scheint die Tätigkeit für die Schiffer Herrn Liebknecht sehr unbequem zu sein, daß die Schiffer auch mal etwas anderes hören als nur sozialdemokratische Tiraden. (Sehr gut! rechts.) Und wenn er schließlich besonders daran Anstoß genommen hat, daß in einer Versammlung für die Schiffer das Wort gefallen ist: Fürchtet Gott und ehret den König! — so sind wir denjenigen dankbar, die dieses Wort in das Volk hinaustragen. (Lebhafter Beifall rechts.)
Damit schließt die Debatte.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) bemerkt eree d., der Minister habe so viel Unrichtigkeiten über seine Ausführungen gesagt, wie er Worte gesprochen habe. ö“ “
Das Kapitel wird bewilligt. v1“
Bei dem Kapitel der evangelischen Konsistorien, in welchem eine dritte Generalsuperintendentur für die Provinz Sachsen in Magdeburg gefordert wird, spricht
Abg. Graf von Wartensleben⸗Rogäsen (kons.) dem Minister Dank dafür aus, daß er den langjährigen Wunsch der sächsischen Provinzialsynode nach Errichtung dieser neuen Generalsuper⸗ intendentur erfüllt habe; die Freude darüber werde leider dadurch getrübt, daß dafür die Stelle eines Geistlichen Rats in Magdeburg künftig wegfallen solle; er bitte den Minister, diese Stelle dauernd zu erhalten.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten von Trott zu Solz:
Der Herr Vorredner ist einigermaßen beunruhigt, weil in dem Titel des Etats bei einem Konsistorialrat für das Konsistorium in Magdeburg der Vermerk steht „künftig wegfallend“. Dieser Vermerk ist eingesetzt worden, weil in diesem Etat gleichzeitig die Summe an⸗ gefordert worden ist, um einen dritten Generalsuperintendenten für die Provinz Magdeburg zu bestellen. Man nimmt zurzeit an, daß es wohl möglich wäre, daß dieser dritte Generalsuperintendent auch noch die Geschäfte erledigte, die jetzt der Konsistorialrat zu erledigen hat. Wie sich die Dinge aber weiter entwickeln werden, ob weiter die Ge⸗ schäfte zunehmen werden, das läßt sich selbstverständlich noch nicht übersehen. Wenn also demnächst der Fall praktisch werden sollte, der in dem Vermerk berührt wird, so wird man von neuem prüfen können, ob die Verhältnisse in der Tat noch so liegen wie jetzt, oder ob in⸗ zwischen die Geschäfte einen solchen Umfang angenommen haben, daß diese Stelle bestehen bleiben muß. Ich kann alsv dem Herrn Vor⸗ redner erwidern, daß, wenn der vorgesehene Fall eintritt, eine erneute Prüfung der Verhältnisse vorgenommen wird.
Abg. Delius (fortschr. Volksp.) führt darüber Beschwerde, daß die Orte Groß⸗ und Klein⸗Godulla der Kirchengemeinde Vesta zuge⸗ schlagen worden sind, während sie bei ihrer bisherigen Kirchengemeinde Keuchberg zu bleiben wünschten.
Ministerialdirektor von Chappuis sagt eine Prüfung dieser Angelegenheit zu.
Das Kapitel wird bewilligt, ebenso die einmaligen Aus⸗ gaben für die evangelischen Konsistorien.
Bei den dauernden Ausgaben für schulkollegien weist
Abg. Ernst (fortschr. Volksp.) auf besonders ungünstige Ergebnisse bei der zweiten Lehrerprüfung an dem Seminar in Posen hin. Di
nochmalige
die Provinzial⸗
ie Erziehung auf den Seminaren müsse dahin gerichtet sein, Persönlich⸗ keiten von innen heraus zu entwickeln, und es müsse von vornherein bei dem Schülermaterial darauf geachtet werden, daß nicht Persön⸗ lichkeiten in den Lehrerberuf hineinkommen, die dafür gar nicht geeignet sind. Die Vorschriften über die Anforderungen an die Vorbildung der Seminaristen seien nicht beachtet worden, man habe die Augen zugedrückt, um die Seminare zu füllen. In der Provinz Posen sei ein bedauerlich häufiger Wechsel der Oberlehrer an den Seminaren vorhanden. “ Abg. Dr. von Woyna (freikons.): Meine Freunde sind im all⸗ gemeinen mit der Organisation und der Tätigkeit der Provinzial⸗ schulkollegien einverstanden; wir meinen, daß an der der Kollegien Verwaltungsbeamte stehen müssen, wenn wir auch nicht dagegen sind, daß einmal ein schultechnischer Fachmann dazu berufen wird. Bei der Vielgestaltigkeit unserer höheren Lehranstalten wollen wir an der jetzigen Organisation nichts ändern. Unsere humanistische Bildung pflegt den deutschen Genius, und wenn so viele junge Leute sich der humanistischen Bildung widmen, so ist das der
Zweite Beilage en Neichsanzei
Berlin, Freitag, den 10 März
deutschen Mutter zu danken, die Verständnis für den deutschen Genius hat. Es würde traurig sein, wenn der ideale Zug in der deutschen Nation aufhören wollte. Wir müssen allerdings auch die Kehrseite in Kauf nehmen, die Halbbildung, Ueber⸗ bildung und das Banausentum, das sich heute überall breit macht, nicht zum wenigsten auch in den Parlamenten. Diese Gefahr ist aber nicht so bedeutend gegenüber den Vorteilen, die uns die Vormachtstellung in der ganzen Welt sichert. In die Viel⸗ gestaltigkeit unseres höheren Schulwesens sollen wir nicht schematisch eingreifen, wir wollen behalten, was wir haben, damit der deutsche Genius mit seiner humanistischen Bildung auch den Materialismus der Sozialdemokraten niederringen kann. b
Abg. Dr. Schmitt⸗Düsseldorf (Zentr.): Ein Ministerialerlaß von 1908 über den Besuch des Schulgottesdienstes an Sonntagen läßt im Einzelfall einen Dispens seitens der Eltern zu, schxeibt aber vor, daß auf eine möglichst allgemeine Beteiligung der Schüler an dem Schulgottesdienst hingewirkt werden solle. In einer Verfügung des Provinzialschulkollegiums fehlt die letztere Bemerkung. Als der Abg. Dittrich dies schon einmal zur Sprache brachte erklärte der Minister, daß den Eltern gestattet sei, Ausnahmen zu machen, wenn sie mit ihren Kindern Ausflüge machen wollten. In der Praxis schreiben aber die Eltern einfach an den Lehrer, daß ihre Kinder dem sonn⸗ täglichen Gottesdienst fernbleiben werden. Ich kann mir nicht denken, daß die Unterrichtsverwaltung einen allgemeinen Dispens vom Schul⸗ gottesdienst zulassen wollte. Statt daß, wie es in dem Erlaß des Ministers vom 15. Februar 1908 heißt, die Schüler eine angemessene Belehrung und Ermahnung erhalten, an dem Schulgottesdienst teil⸗ zunehmen, weisen wenig kirchlich gesinnte Ordinarien noch ausdrücklich darauf hin, daß nicht einmal eine Entschuldigung nötig ist, sondern eine einfache schriftliche Mitteilung genügt. Wir müssen gegen eine solche Praxis, wie sie sich herausgebildet hat, protestieren im Interesse der kirchlichen und religiösen Erziehung der Jugend.
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Die Berliner Schuldeputation hat dem Rektor einer Gemeindeschule, der in Konflikt mit seinen Lehrern geraten war, wegen seines Verhaltens ihre Mißbilligung aus⸗ gesprochen. Auf eine Beschwerde hat das Provinzialschulkollegium dieses Vorgehen beanstandet und eine derartige Wicsälligun unter⸗ sagt. Nach unserer Meinung ist die Schuldeputation vo lständi dazu berechtigt auf Grund der Instruktion vom Jahre 1829, die fast ein Jahrhundert lang ohne Widerspruch in Gültigkeit war. Wie kann sonst auch die Schuldeputation ihre Pflicht wahrnehmen, wenn sie nicht einmal ihre Mißbilligung aussprechen darf. „Wenn die Staatsregierung bei ihrer Praxis bleibt, dann wird die Lust und Liebe der Schuldeputation untergraben; denn wenn sie bloß das Recht hat, Anzeige zu machen, damit ein Disziplinarverfahren ein⸗ geleitet wird, so ist das eine Beschäftigung, zu der freie Männer sich nicht hergeben. Die Rektoratswahl wird in Berlin so gehandhabt, daß zunächst die Kreisschulinspektoren zusammentreten und ihre Vorschläge machen, die Schuldeputation macht dann die Vor⸗ schläge, und der Staat hat die Rektoren zu bestätigen. Nun scheinen aber noch andere Behörden daran beteiligt zu sein. Zu einem Lehrer kam nämlich ein Schutzmann, um das Verzeichnis der Lehrer zu er⸗ halten und daraus zu erfahren, wo ein Kandidat für das Rektorats⸗ amt wohnt. Hier war also unzweifelhaft die Lolnft beauftragt, Ermittlungen über die Kandidaten vorzunehmen. In einem anderen Falle kam ein zum Rektor vorgeschlagener Lehrer zu seinem Schuhmacher, der ihm zu seiner Ernennung gratulierte. Auf die er⸗ staunte Frage, woher ihm das bekannt sei, sagte der Schuhmacher⸗ meister: „Ja, ein Schutzmann ist soeben hier gewesen und hat sich über Sie erkundigt; ich habe ihm eine sehr gute Auskunft gegeben, so daß Sie sicher Rektor werden.“ Diese Zustände sind doch der Lehrer unwürdig. (Zuruf links: Unerhört!) Die Polizei ist doch gar nicht in der Lage, richtige Auskünfte über den Kandidaten zu geben. Ich muß dieses Vorgehen der Schulverwaltung als unan⸗ gemessen bezeichnen.
Wirklicher Geheimer Oberregkerungsrat von Bremen: Mit den Ansichten des Abg. Dr. Schmitt ist die Schulverwaltung durchaus einverstanden. Die Befreiung kann nur stattfinden, wenn die Eltern sie beantragen. Dieser Erlaß ist der Oeffentlichkeit ja genügend bekannt.
Abg. Dr. Hintzmann inl.): Wir begrüßen es, daß an die Spitze der Schulkollegien auch Schulmänner berufen werden. Die Viel⸗
estaltigkeit unseres Bildungswesens ist besser als die Einheits⸗ schale. weil dadurch der Individualität der Schüler viel mehr Rech⸗ nung getragen werden kann. Bedenklich ist es aber, daß manche Eltern durchaus ihre Kinder in die höhere Schule bringen wollen und sie dann künstlich bis in die obersten Klassen befördern lassen. Es sollten nur diejenigen in die höhere Schule kommen, die wirklich geistige Fähigkeiten haben.
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.) spricht sein Bedauern darüber aus, daß über die Nachforschungen über die sittliche Qualifikation ber zu Rektoren vorgeschlagenen Volksschullehrer keine Erklärung er⸗ olgt sei.
Nach einer Erwiderung des Regierungskommissars, Wirk⸗ lichen Geheimen Oberregierungsrats von Bremen werden die Ausgaben für die „Provinzialschulkollegien“ bewilligt.
Das Kapitel „Prüfungskommissionen“ wird ohne Debatte erledigt.
Zu den dauernden Ausgaben für das Elementars 8 wesen sund zwar zu dem Titel: „Besoldungen des Lehrer⸗ personals an Lehrer⸗ und Lehrerinnenseminaren“ beantragt die
Kommission: „Die Königliche Staatsregierung möge in Erwägungen ein⸗ treten, wie die Oberlehrerstellen an den Volksschullehrerseminaren in geeigneter Weise zu vermehren sind.“
Abg. Graf Clairon Haussonvirte Die Zahlen, die der Abg. Friedberg in der allgemeinen Debatte über die Ausgaben der ver⸗ schiedenen Länder für das Schulwesen anführte, sind nicht zutreffend gewesen, und es ist nicht richtig, daß in dieser Beziehung England an der Spitze marschiere. Wir freuen uns, daß durch die Errichtung neuer Seminare für Lehrerinnen die Möglichkeit für die Ausbildung zu diesem Beruf erweitert wird, was wir seinerzeit in dem Antrag unseres Freundes von Brandenstein gewünscht haben. Der Abg. Fried⸗ berg hat uns gestern einen 11 wegen unserer Zustimmung zu den Anträgen des Zentrums in der Budgetkommission gemacht, unsere Stellungnahme dazu entspricht lediglich der prinzipiellen Auf⸗ fassung, die wir stets vertreten haben, und wir wären inkonsequent gewesen, wenn wir uns anders verhalten hätten. Ich muß also den Vorwurf des Abg. Friedberg entschieden zurückweisen. Wir freuen uns über die Einrichtung der Kurse zur Fortbildung der Lehrer. Wir begrüßen es auch, daß 1 Million Mark in den Etat für die Jugendpflege eingestellt worden ist, und namentlich empfinden wir darüber Freude, daß der Minister alle an dieser Frage interessierten Kreise zur Mitarbeit heranziehen will.
Abg. Dr. Glattfelter (Zentr.): In mancher Beziehung steht allerdings im Schulwesen England guünstiger da als wir; aber wir müssen unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß dieser Etat eine so hohe Summe fuüͤr Kunst und Wissenschaft vorsieht, und daß allein für das Elementarunterrichtswesen 165 Millionen verwendet werden. An unsere Schulhäuser könnte man schreiben: Deo et patriae, ur Gottesfurcht und Vaterlandsliebe, und damit auch zur Liebe für das angestammte Herrscherhaus wollen wir unser
ger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Jugend erziehen. Staat und Kirche, Schule, Familie und Gesell schaft müssen zur sittlichen Erziehung des Volkes zusammenarbeiten. In dem Unterricht der Volksschule müssen Religion, Deutsch und Rechnen im Vordergrund stehen. Nicht auf multa, sondern auf multum kommt es an. Für ein Lesebuch sollte kein Monopol ge⸗ geben werden, man sollte vielmehr unter den Lehrern einen freien Wettbewerb für die Aufstellung eines Lesebuches zulassen und dieses Buch in dem betreffenden Berirk nach einer Prüfung desselben durch die Behörde einführen. Ueber die Herausgabe des Lesebuches sind zwei Ministerialerlasse ergangen, wonach Verträge der Schulleiter mit Verlagshandlungen zulässig sind, aber verboten sind die Monopol⸗ verträge, welche die freie Konkurrenz der Händler ausschließen. Alle Verträge sind also gültig, wenn sie diesen Erlassen und das gilt auch von dem in letzter Zeit viel besprochenen Ver⸗ trag in dem Schulaufsichtsbezirk des Kreisschulinspektors Dr. 97. Aber um Unzuträglichkeiten zu vermeiden, sollte man solche Verträge lieber überhaupt untersagen. Der Gedanke, durch einen organischen Lehrplan Präparandenanstalten und Seminare mit⸗ einander zu verbinden, ist ganz gut, aber es wird dann nicht mehr so leicht sein, vom Lande Schüler zu bekommen, die sich die Liebe zum Lande durch das Seminar erhalten. An der Akademie in Posen be⸗ steht ein Kursus zur Fortbildung der Volksschullehrer, wir wünschen, daß auch an andere Universitäten solche Kurse angeschlossen werden. Für die Provinz Brandenburg soll ein katholisches Lehrerseminar errichtet werden, es ist aber noch keine Einigung über den Ort erzielt. Was die Lehrerbesoldung betrifft, 8 ist zu wünschen, daß die Umzugskosten der Lehrer einheitlich im ganzen Lande ge regelt werden, und daß den Altpensionären die Pension erhöht wird. Für den Uebergang der Lehrer von Privatschulen an die öffentlichen Schulen müssen Erleichterungen geschaffen werden.
In der Kommission ist beschlossen worden, die Regierung zu ersuchen, in Erwägungen darüber einzutreten, wie auch bei vermehrter Ein⸗ führung der Rektoren an Volksschulen der Einfluß der Kirche auf die Schule sicherzustellen ist. Hier muß die Schulverwaltung Mittel und Wege finden. Wir bedauern, daß zur 1. . von Schulen mit sechs aufsteigenden Klassen eine gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen stattfinden kann. Die Koedukation bringt viel Gefahren mit sich. Wir wünschen, daß die Erziehung der Mädchen besonders in den oberen Klassen, wo die seelische Verschiedenheit der Geschlechter stark zu Tage tritt, getrennt stattfindet.
Abg. Dr. von Campe (nl.): Die Durchführung des Lehrer⸗ bsoldung88,e . ist als eine durchaus loyale, wenn nicht sogar liberale zu bezeichnen. Aber viele Gemeinden und noch mehr Lehrer sind nicht damit zufrieden, wie sich die Regierung zu der Ausführung der Ortszulagen gestellt hat. Es ist nicht direkt verboten, aber man hat durchblicken lassen, daß man mit der Gewährung von Er⸗ gänzungszuschüssen nicht so willig sein dürfe, wie es viele Ge⸗ meinden tun. Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Ergänzungs uschüsse ganz unabhängig sind von der Frage der Ortszulagen. Auf seiten der Regierung ist man nicht ganz konsequent vor gegangen. Als das Lehrerbeseleungsgeses beschlossen wurde, hatten wir gehofft, daß jetzt die Lehrer zufriedengestellt sein würden. Um diese Zufriedenheit aufrechtzuerhalten, möchte ich die Re⸗ gierung bitten, dahin zu wirken, daß streng gerecht vorgegangen wird. Die Frage der Mietsentschädigung ist vielfach nicht 2 ge⸗ regelt worden, wie man erwarten konnte. Es sollte doch möglich sein, auf eine mehr gleichmäßige Gestaltung der Tarife hinzuwirken. Es liegt durchaus im Sinne des Gesetzes, wenn die Provinzial⸗ behörde über die Mindestsätze hinausgeht. Wir begrüßen die Ver⸗ fügung des Mmisters vom Januar vorigen Jahres über die Durch⸗ 8 der Rektorenschule, sie muß aber mehr als bisher befolgt werden. Wenn Gemeinden Widerstand leisten, so hat die Regierung die Pflicht, durchzugreifen und die Gemeinden zur Erfüllung des Er⸗ lasses anzuhalten. Aus der Provinz Hessen ist mir ein Fall mitgeteilt worden, wo ein junger Lehrer von 28 Jahren als Hauptlehrer ein⸗ gesetzt worden ist, ohne daß dem Schulvorstande oder der Gemeinde irgendeine Mitteilung gemacht worden wäre. Das nennt man dann Selbstverwaltung! Nach den gesetzlichen Bestimmungen sollen den Gemeinden drei Lehrer vorgeschlagen werden, unter denen die Gemeinde die Wahl hat. In manchen Fällen mag ja wirk⸗ lich ein Lehrermangel vorhanden gewesen sein, aber wenn von der Regierung immer nur ein Lehrer vorgeschlagen wird, so wird das ganze Wahlrecht illusorisch gemacht. Wenn ein solcher Lehrer schnell wechseln muß, dann hat eigentlich die Regierung die Umzugskosten zu tragen. Diesen Standpunkt sollten einmal die Gemeinden durch fechten. Der Zuschuß für die Alterskasse wird oft gekürzt; so ist mir eine derartige Verfügung aus Posen bekannt. Im Lehrerbesoldungs gesetz ist ausdrücklich festgesetzt, daß dieser Zuschuß nicht gekürzt werden darf. Wir haben in der Kommission gebeten, uns eine Uebersicht über die Verteilung der Ergänzungszuschüsse vorzulegen, die wir nach dem Gesetz fordern können, damit wir sehen können, wie die Verteilung der Zuschüsse stattgefunden hat. Wenn wir die Uebersicht jetzt nicht bekommen, ist sie für uns wertlos. (Zuruf vom Minister⸗ tische.) Sie ist da? Aber wir haben sie noch nicht gesehen. Der zugesagten Regelung der Küsterdienste werden von den unteren Instanzen vielfach Schwierigkeiten entgegengesetzt. Diesen Wider⸗ ständen muß der Minister energisch zu Leibe gehen. Der Lehrermangel ist noch nicht beseitigt. Preußen steht durchaus nicht in bezug auf die Schülerzahl in den einzelnen Klassen voran. Die Zahlen der Statistik von 1906 zeigen, daß wir noch 505 einklassige Schulen mit mehr als 120 Kindern, in der Hochsnnah mit 233 Kindern haben, und zwar in Orten im reise Samter; ferner gibt es 74 Schulen mit 100 bis 135 Schülern. Weitere statistische Er⸗ hebungen sind vorläufig 1 nötig. Es genügt, wenn wir die Miß⸗ stände beseitigen, die durch diese Statistik klar zu Tage liegen. Auf dem Lande ist jeder vierte Lehrer ein junger Lehrer unter 24 Jahren. Ich freue mich, daß die Regierung eine Million zur Jugendpflege zur Verfügung gestellt hat; 100 000 ℳ davon sind aber aus einem anderen Titel und weitere rund 100 000 ℳ aus dem Handels⸗ und Gewerbeetat übernommen worden, sodaß nur 800 000 ℳ neu zur Verfügung gestellt sind. Es wäre interessant, zu erfahren, vob auch aus anderen Etats noch Summen genommen sind. Der Kernpunkt der Lehrerbildungsfrage liegt in der Seminar⸗ 8 1892 hat ein Herr vom Kultusministerium gesagt: Das Maß des positiven Wissens des Lehrers braucht nicht wesentlich über das der Volksschule zu erheben. Ueber solche Anschauungen sind wir hoffentlich hinaus; sie gehören längst vergangenen Zeiten an. In Sachsen gehören die Seminare schon zu den höheren Lehranstalten. Für den Zentrumsantrag, daß gehobene Stellen für die Lehrer ge⸗ schaffen werden, können wir nicht stimmen; es ist nicht möglich, im Augenblick die Tragweite zu übersehen, es bedarf dazu mindestens erst einer Kommissionsberatung. Ebenso können wir nicht dem Antrag zustimmen, daß zugunsten der dritten Turnstunde nicht der Religions⸗ unterricht beschränkt werden soll. Auch für den Antrag, daß in den Rektoratsschulen mehr der kirchliche Einfluß gewahrt werde, liegt kein Anlaß vor, denn der kirchliche Einfluß ist genügend gewahrt. Die Konservativen können nicht sagen, daß sie auf dem Boden des Ministers stehen, sie haben für die Fertrma t . der Kommission gestimmt, obwohl sich der Minister dagegen erklärte.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Die Volksschule hat nicht nur das Ziel, denkende Menschen zu erziehen, sondern auch gute Christen und Staatsbürger. Das
können die Lehrer nur, wenn sie auch von diesem Geiste