In England bildet sich jetzt eine Käuferliga, die ihre Spitze gegen den Bezug deutscher Waren richtet. Es ist gut, auf derartige Be⸗ strebungen hinzuweisen, denen wir in Deutschland in den Kreisen der Industrie immer widerstrebt haben, weil wir uns sagten, daß wir auf den gegenseitigen Güteraustausch angewiesen sind. Vielleicht müßte es he doch zu Gegenmaßregeln kommen. Auf die Lage unserer deutschen Textilindustrie wurde schon die Aufmerksam⸗ keit gelenkt in einer großen Vereinigung von Industriellen, und wir sind bei Besprechung dieser Frage einstimmig zu der Ueber⸗ eugung gekommen, daß das, was die deutsche Textilindustrie augen⸗ licklich zur Besserung ihrer Lage vom Reichstag erwartet, die Be⸗ willigung von großen Mitteln für den Anbau von Baumwolle in unseren Kolonien ist. Die Preissteigerung der amerikanischen Baumwolle kostet uns für 1910 allein 151 Millionen. Es liegt eine große Gefahr darin, daß wir in unserer Roh⸗ offversorgung immer mehr von den großen ausländischen Syndikaten abhängig werden, die es dadurch in der Hand haben, den Lebensaufwand des deutschen Konsumenten ihrerseits mit⸗ zubestimmen. Es kann in meßbarer Zukunft der Tag kommen, wo wir die nötige Baumwolle nicht mehr erhalten können, ob über⸗ aupt nicht oder zu einem unerschwingbaren Preise, ist dasselbe. Vielleicht werden wir dadurch unabhängiger, daß wir uns nach Asien wenden und von dort aus für die Zufuhr von Baumwolle sorgen. Aber am nächsten liegen uns doch unsere Kolonien. Die Sozialdemo⸗ kraten behaupten, daß das, was an Produktion noch vorhanden wäre, einen Tropfen bedeute im hohlen Faß. Aber wenn sich die Produktion relativ so weiter steigert wie bisher, namentlich in Togo, so bietet uns das vorteilhafte Aussichten. In einer Frage, die an das Lebens⸗ interesse von Hundecttausenden von deutschen Arbeitern heranreicht und die deutsche Volkswirtschaft so tief berührt, sollte es nicht darauf ankommen, mehrere Millionen zur Verfügung zu stellen. Leide sind wir nicht früh genug aufgestanden in der Kolonialpolitik und ver⸗ fügen nicht über die Kolonien, die für England ein Reservoir seiner volkswirtschaftlichen Kraft sind. Daher können wir auch nicht ein⸗ seitig die Exportindustrie forcieren. Als im freihändlerischen England im vorigen Jahre noch 10 % Arbeitslose waren, hatten wir nur 2,7 %, ein Beweis dafür, daß der durch die letzten Zollverträge er⸗ reichte Schutz der Landwirtschaft und die dadurch hervor⸗ gerufene Steigerung der Kaufkraft der Landwirtschaft nicht nur dieser selbst, sondern unserer Industrie und der ge⸗ samten deutschen Volkswirtschaft zugute gekommen ist. Der Abg. Dr. Pieper hat gemeint, daß der Hansabund einen Zwie⸗ spakt zwischen Handel und Industrie und Landwirtschaft schaffe, und der Abg. Pauli⸗Potsdam hat behauptet, daß der Hansabund dem Mittelstande feindlich sei. Das muß ich durchaus zurückweisen. Der 1.“ hat zwischen Handwerk und Industrie in der Lehrlings⸗ rage vermittelnd gewirkt. Das versteht sich auch von selbst, wenn man die große Zahl der Handwerker und Handelsangestellten in Be⸗ tracht zieht, die noch neuerdings dem Hansabund beigetreten sind. Der Bund der Landwirte hat über die Produktion der Industrie eine falsche Darstellung gegeben. Er hat den Produktionswert auf 9900 Millionen angegeben, die Löhne allein betragen aber schon 8447 Millionen. Der Deutsche Landwirtschaftsrat hat sich glücklicher⸗ weise zu solchen Scherzen nicht hergegeben. Er hat die Industrie⸗ produktion auf 36 Milliarden geschätzt. Man nützt dem Zusammen⸗ gehen von Landwirtschaft und Industrie nicht, wenn man die Pro⸗ duktion der Industrie so herabsetzt, wie es durch den Bund der Land⸗ wirte geschehen ist. Der Generalsekretär Bueck hat sich bei seinem Scheiden aus dem Zentralverband deutscher Industrieller mit er⸗ freulicher Offenheit dahin ausgesprochen, daß er und seine Freunde erwartet hätten, daß aus der Mitte der Landwirtschaft heraus die Anregung auf Ermäßigung der Agrarzölle gekommen wäre. Leider läßt das Vorgehen des Abg. Dr. Hahn ein Ent⸗ gegenkommen vermissen. Die Handelskammer in Plauen hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine weitere Erhöhung der Lebensmittelpreise eine Gefahr für das ganze Feh Leben ist. Man hat von einem Linksabmarsch der Nationalliberalesg nach dem Freihandel gesprochen. Man kennt offenbar das Heidelberger Pro⸗ ramm nicht, wenn man es gegen die gegenwärtigen) wirtschaft⸗ ichen Tendenzen der nationalliberalen Partei ausspielt. Die nationalliberale Partei ist in dieser Legislaturperiode einstimmig auf den Boden des Schutzes der nationalen Arbeit getreten; früher nahm nur der Abg. Büsing eine abweichende Stellung ein. Ich weiß nicht, wie man sich in dieser Frage offener aussprechen soll. Wir sind uns einig in der Anerkennung dieses Schutzgedankens, und wir freuen uns, daß dieser Gedanke immer weiter in Kreise ein⸗ dringt, die uns früher bekämpft haben. Ein Freisinniger hat in seinem Organ bei der Erörterung der Fleischteuerung darauf hin⸗ gewiesen, daß diese mit der Zollpolitik nichts zu tun habe; das war der Freisinnige D. Naumann. In wirtschaftlichen Fragen haben sich eben Freisinnige auf unsern Standpunkt gestellt, nicht umgekehrt. Schutzzollpolitik soll Schutz der nationalen Arbeit sein. Es ist aber nicht mehr Schutz der nationalen Arbeit, wenn mit Hilfe der Unter⸗ bietungen deutscher Syndikate dem Auslande Produkte zu einem reise angeboten werden, zu dem die Industrie nicht mehr bestehen ann. Die Holländer bekommen das Schiffsmaterial bedeutend billiger als die Deutschen. Das ist nicht mehr Schutz der nationalen Arbeit, sondern eine Schädigung deutscher Inter⸗ essen. Der Staatssekretär würde gut tun, auf jene große Or⸗ anisation einzuwirken, das Maß nicht zu überspannen, es önnte sonst in der Schutzzollpolitik ein Rückschlag eintreten. Man könnte sagen, der Verdienst der Syndikate fließe dem In⸗ lande zu. Es ist aber die Frage aufzuwerfen, ob sich nicht in Deutschland eine Monopolisierung des gesamten Petroleums durch die Standard Oil Company vollzogen hat. Ihre Herrschaft hat sich, seitdem wir hier diese Sache verhandelt haben, immer weiter ausgedehnt. In dem Augenblick, wo sie den letzten Konkurrenten niederkonkurriert hat, wird sie unzweifelhaft den Preis uns ab⸗ nehmen, den sie nur abnehmen kann. Alle großen Petroleumfirmen in Deutschland sind nur noch Agenten der Standard Oil Company. Der Detailhandel wird nur noch von ihr betrieben. Durch eine solche Konzentration können allerdings viele Zwischenstationen vermieden werden. Die Ersparnisse, die dadurch erzielt werden, genießt aber nicht etwa der Konsument, sondern die Gesellschaft. Die Regierung sollte dem Weltmonopol entgegentreten durch die Ueberleitung des Zwischenhandels auf das Reich, beziehungsweise durch eine von ihm ontrollierte Gesellschaft. Das Reich als Gesamtkäufer könnte die Konkurrenz gegen die Standard Oil Company ganz anders aufnehmen. Das Petroleum brauchte deswegen nicht einen Pfennig t-urer werden, aber dem Reich flössen erhebliche Gewinne zu. Die Standard Oil Company ist eine kaufmännisch genial, aber brutal geleitete Profit⸗ esellschaeft. Sie wird das Deutsche Reich als Abnehmer nicht oykottieren, sie wird sich mit dem Deutschen Reich verständigen. Die Idee einer mitteleuropäischen Produktions⸗ und Konsumentsunion ist wieder aufgegriffen worden. Würden sich dadurch nicht unsere Verhältnisse zur Nordamerikanischen Union wieder verschlechtern? In dem Prozeß zwischen der Standard Oil Company und dem Staate hat der Vertreter des letzteren der Gesellschaft gegenüber eine Sprache geführt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ; erdrückender Mißbrauch der Macht und erpresserische Machenschaften hätten die Gesellschaft zu dem gemacht, was sie jetzt wäre. Wenn ich übrigens bei der Besprechung der Interpellation über die Ueber⸗ schwemmung Deutschlands mit exotischen Wertpapieren hervorhob, daß wir das amerikanische Petroleum und Kupfer und die amerikanische Baumwolle noch nicht entbehren könnten, so habe ich damit gewiß keine deutschen Geschäftsgeheimnisse verraten, wie Dr. Hahn gemeint hat. Wir haben eine Enquete über diese ganze Petroleumfrage zu veranstalten beantragt, in der auch der Gedanke eines Reichehandelsmonopols erwogen werden muß. Die Revision der deutschen Nahrungemittelgesetzgebung ist unerläßlich und sehr dringend geworden; die heutige Rechtsprechung bringt die Produktion in die schwierigste Lage. Die Sozialreform legt heute den Arbeit⸗ eem 413 Millionen, dem Reich 51 Millionen, den Arbeitern 42 Millionen jährlich auf. Demgegenüber ist es nicht ehrlich, diese
pfennige hinwirft. Wenn die Sozialdemokraten unter sich sind, sprechen sie darüber sehr anders. Die Ausdehnung der sozialen Gesetzgebung in der Reichsversicherungsordnung und die Pensions⸗ versicherung der Privatangestellten werden diese Summe von 806 Mil⸗ lionen bald auf über eine Milliarde jährlich anschwellen lassen. Da kann man doch nicht von einem sozialen Defizit des Reichstags in der laufenden Legislaturperiode reden. Der Terrorismus und die Boykottierungsmethode, die die sozialdemokratischen Organi⸗ sationen gegen jeden ausüben, der sich ihnen nicht anschließen will, ist nicht mehr zu ertragen. Die Leute müssen den freien Gewerk⸗ schaften beitreten, sie mögen wollen oder nicht; die Tarifverträge werden nur noch abgeschlossen unter der Bedingung, daß nur der von den Arbeiterorganisationen unterhaltene Arbeitsnachweis seitens der Arbeitgeber benutzt werden darf. Damit ist aus der Koalitionsfreiheit ein Koalitionszwang geworden; dagegen muß nicht mit Ausnahmegesetzen, aber mit der schärfsten⸗Anwendung der bestehenden gesetzlichen Machtmittel eingeschritten werden. Die 11 muß auf der Grundlage des vor⸗ handenen Entwurfs aufgebaut werden, für den sich der Hauptausschuß der Angestelltenorganisationen ausgesprochen hat, während allerdings eine Minderheit von 60 — 70 000 Mann den Anschluß an die In⸗ validitätsversicherung vorzieht. Die geräuschvolle und wüste Agitation, die von der letzteren Seite ausgeht, darf nicht abschrecken; man kann nicht warten, bis sich alle Interessenten geeinigt haben. In bezug auf die bestehenden privaten Pensionseinrichtungen muß aber möglichst auch eine Verständigung herbeigeführt werden. Leider ist ja in diese Angelegenheit auch dadurch Ver⸗ wirrung hineingetragen worden, daß niemand weiß, wie lange dieser Reichstag noch zusammengehalten werden wird.
Je mehr einzelne Erwerbsgruppen ihre eigenen Interessen in den Vordergrund schieben, desto mehr haben wir als Vertreter des ge⸗ samten Volkes die Verpflichtung, den einheitlichen Nenner zu suchen für das Gesamtinteresse des deutschen Volkes auf allen diesen Ge⸗ bieten. Mit einem solchen Ausgleich der Gegensätze glauben wir der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft, glauben wir der Ent⸗ wicklung des deutschen Vaterlandes zu dienen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:
Meine Herren! Es ist eine vielseitige und reichhaltige Sammlung von Wünschen und Anfragen, die mir von seiten der Herren Redner, die bisher gesprochen haben, gestellt und entgegengebracht sind; es wird nicht ganz leicht sein, bei Beantwortung aller dieser Fragen den Wünschen aller derer gerecht zu werden, die bisher zu diesen Dingen das Wort ergriffen haben.
Ich werde mich zunächst einmal bemühen, die wichtigsten von den hier erörterten Dingen herauszugreifen, sie nach bestimmten Gesichts⸗ punkten zu gruppieren, und ich behalte mir vor, auf Einzelheiten, die heute nicht zur Erörteruug kommen sollten, im Laufe der Debatte zu meinem Gehalt oder zu meinem Etat im Laufe dieser Woche — hoffentlich wird es ja nicht länger dauern — (Heiterkeit) nochmals zurückzukommen.
Meine Herren, die beiden Herren Redner, welche die Erörterung über meinen Etat eröffnet haben, haben sich sehr eingehend mit dem Stande unserer Sozialpolitik und der vermeintlichen Stellung der heutigen Regierung zu den Forderungen dieser Sozialpolitik be⸗ schäftigt. Sie gingen auseinander in der Bewertung dessen, was wir bisher auf dem Gebiete der Sozialpolitik geleistet haben, sie stimmten aber in gewissen Grenzen überein in der meines Erachtens allerdings unbegründeten Annahme, daß der Eifer der verbündeten Regierungen, auf sozialpolitischem Gebiete etwas zu leisten, nachgelassen hätte, in der Annahme, daß auch der jetzige Staatssekretär des Innern eigentlich nicht das ge⸗ leistet hätte, was man nach seinen Ausführungen bei der vorjährigen Besprechung seines Etats habe erwarten müssen. Meine Herren, ich halte diese letzte Annahme nicht für zutreffend, ich werde nachher noch darauf zurückkommen; es sei mir gestattet, vorweg einige Be⸗ trachtungen über die Bewertung unserer Sozialpolitik und dessen, was sie bisher geleistet hat, anzustellen.
Der Herr Abg. Fischer hat zu meiner großen Freude — ich glaube, das ist ein Novum — ausdrücklich erklärt, daß er nicht ver⸗ kennen könne, daß die bisher im Deutsche Reiche erlassenen sozial⸗ politischen Gesetze — sie sind ja überwigend ohne Ihre Mitwirkung zustande gekommen — doch einen gewissen Wert hätten. Er ist aber auf der anderen Seite der Meinung gewesen, daß es außerordentlich wenig wäre, was auf diesem Gebiete bisher geleistet sei, und er hat diese nach seiner Meinung geringe Leistung in Verhältnis gesetzt zu den Ueberschüssen unserer Volkswirtschaft, von denen ich bei einer anderen Gelegenheit in diesem Winter hier gesprochen habe.
Meine Herren, ich glaube nicht, daß der Herr Abg. Fischer dabei richtig argumentiert und daß er vergleichbare Faktoren miteinander verglichen hat. Der Herr Abg. Stresemann hat vorhin bereits darauf hingewiesen, daß im Jahre 1909 unsere gesamten Leistungen für die Sozialpolitik auf 810 Millionen zu beziffern sind, davon entfallen 415 Millionen auf die Arbeitgeber, 343,6 Millionen auf die Arbeitnehmer und 51,5 Millionen auf das Reich, und der Herr Abg. Stresemann hat ebenfalls schon darauf hingewiesen, daß, wenn die Reichsversicherungsordnung verabschiedet würde und eventuell auch das Gesetz über die Versicherung der Privatbeamten zur Verab⸗ schiedung gelangen sollte, die Aufwendung Deutschlands für die Zwecke der Sozialpolitik auf weit über eine Milliarde im Jahre zu berechnen sein würde.
Meine Herren, nun habe ich neulich bei einer anderen Gelegen⸗ heit erwähnt, daß das, was das deutsche Volk alljährlich zurücklegt, d. h. diejenigen Summen, die in geldwerten Papieren, Hypotheken usw. angelegt werden (Zuruf links: Die arbeiten doch mit!) — aber in einer anderen Weise, sie erscheinen doch zweifellos als ein Ueberschuß insofern, als sie zu dem bisher vorhandenen Kapital weiter angelegt werden können — mit 4 Milliarden zu berechnen sei. Ich gebe dem Herrn Abg. Gothein recht, daß es nicht leicht ist, derartige Schätzungen anzustellen; aber wenn man diese Summe zu⸗ grunde legt und annimmt, daß unsere sozialpolitischen Gesetze nicht bestünden, so würden eben eventuell diese jährlich freiwerdenden Summen nicht auf 4, sondern auf 5 Milliarden zu bemessen sein. Daraus ergibt sich also, daß wir in Deutschland den fünften Teil dessen, was man als Zuwachs des Nationalvermögens ansprechen kann, für sozialpolitische Zwecke verwenden, und das ist — gegen dieses Exempel wird nichts einzuwenden sein — eine immerhin anständige Summe. Dabei ist dem Herrn Abg. Fischer noch ein Irrtum unter⸗ gelaufen. Er hat angenommen, daß diese 4 Milliarden Jahresüber⸗ schuß der deutschen Volkswirtschaft lediglich von der Industrie erübrigt werden. Das ist nicht richtig, sondern es ist das diejenige Summe, die das deutsche Volk überhaupt zurücklegen kann. Ich erinnere daran, daß allein die Zunahme der Einlagen bei unseren Sparkassen
Gesetzgebung als eine solche zu bezeichnen, die den Arbeitern Bettel⸗
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beinahe eine Milliarde Mark zu berechnen sind. Wenn man das alles in Rücksicht zieht, so wird man unmöglich behaupten können,
Leistungen aufzuweisen hätten. Noch viel weniger wird man behaupten können, daß eine Regie⸗
Gesetze auf sozialpolitischem Gebiete vorgelegt hat, daß sie in der ernstesten Besorgnis ist, ob der Reichstag imstande sein wird, diese Gesetze alle zu verabschieden. Meine Herren, es liegt Ihnen vor die Reichsversicherungsordnung, und man wird nicht behaupten können, daß es an den verbündeten Regierungen liegt, man wird aber auch nicht behaupten können, daß es an der Kommission liegt, wenn dieses Gesetz nicht zur Verabschiedung gelangt, ein doch zweifellos sehr be⸗ deutsames Gesetz. Es ist Ihnen vorgelegt inzwischen eine Novelle zur Gewerbeordnung. Es ist Ihnen vorgelegt ein Gesetz über die Heim⸗ arbeit, es ist Ihnen vorgelegt ein Gesetz über die Arbeitskammern, und selbst wenn das letztere Gesetz nicht zur Verabschiedung gelangen sollte, so würden doch die übrigen Gesetze, die nach meiner Meinung sehr wohl verabschiedet werden können, immerhin ein ganz erkleckliches Guthaben für die Regierung auf dem Gebiete sozialpolitischer Leistungen ergeben.
zum Schutze der Gesundheit des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter zu erlassen, nicht mehr in dem Maße wie bisher Gebrauch machten. Ja, meine Herren, diese Beobachtung ist richtig, nur hat sie ihren Grund nicht darin, daß unser Interesse an der Sache erschöpft wäre, sondern sie hat ihren Grund darin, daß nach unserer Ueberzeugung diejenigen Betriebe, die eine allgemeine Reglementierung durch den Bundesrat erfahren können, allmählich erfaßt sind. Es stehen vielleicht noch zwei oder drei große Betriebszweige aus, für die ähnliche Bestimmungen des Bundesrats erlassen werden können; über diese Betriebszweige schweben zurzeit Verhandlungen, und ich nehme an, daß, wenn diese Verhandlungen abgeschlossen sind, auch die entsprechenden Verordnungen des Bundesrats ergehen werden. Aber, meine Herren, es gibt eine ganze Reihe von Betriebszweigen, für die sich die durch die Verschiedenartigkeit der Betriebsweise gewisse Hindernisse für eine allgemeine Reglementierung ergeben. In solchen Fällen haben wir uns, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, zum Teil mit ausgezeichnetem Erfolge auf anderem Wege geholfen. Wir haben einmal durch gewerbepolizeiliche Verordnungen der Ge⸗ werbeaufsichtsbeamten in die Betriebe eingegriffen, und ich möchte z. B. darauf hinweisen, daß es uns gelungen ist, die Schleifereien des Wuppertals auf diesem Wege, wie mir von sachverständiger Seite
Betriebe habe feststellen können, in mustergültiger Weise zu regeln. Wir haben auch noch eine zweite Möglichkeit. Wir sind in der Lage, bei Neueinrichtuug von Betrieben, soweit sie unter § 16 der Gewerbe⸗ ordnung fallen, schon bei Erteilung der Konzession diejenigen Vor⸗ schriften zu machen, die für das betreffende Werk mit seinen besonderen Einrichtungen und Eigentümlichkeiten die Sicherheit bieten, daß alles geschieht, was im Interesse der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter notwendig ist. Daß wir so verfahren, halte ich für einen sozialpolitischen Fortschritt. In vielen Verhältnissen ist es bedenklich, große Betriebs⸗ zweige für den Umfang des ganzen deutschen Vaterlandes zu regle⸗ mentieren. (Sehr richtig! links.) Man läuft dabei Gefahr, weder den Interessen des Arbeiters noch denen des Arbeitgebers gerecht zu werden. Je individueller die Sachen behandelt werden, um so besser ist es für alle Teile, und daß wir das können, ist ein Beweis dafür, wie weit unsere sozialpolitischen Erfahrungen und unser sozialpolitisches Geschick fortgeschritten ist. Es ist vor allem ein Beweis dafür, wie es den einzelnen Bundesstaaten doch gelungen ist, das Institut der Gewerbeaufsicht und den Dienst unserer Gewerbeaufsichtsbeamten zu entwickeln. Also wenn Bundesratsverordnungen in geringerem Um⸗ fange als bisher erscheinen, so ist das kein Zeichen von Nachlassen in unserer Aufmerksamkeit, sondern es hat seinen natürlichen Grund, und man kann in der Art, wie die Dinge jetzt behandelt werden, eher einen Fortschritt als einen Rückschritt sehen.
Dann haben die Herren, die sich mit der Sozialpolitik befaßt haben, speziell ein Nachlassen der Regierung in ihrem Eifer zu sehen geglaubt deshalb, weil noch immer kein Gesetz über die Regelung des Tarifvertrages erschienen ist, und speziell hat, wenn ich mich recht erinnere, der Herr Abg. Pieper geglaubt, daß das Fehlen eines der⸗ artigen Gesetzentwurfs nicht recht in Einklang mit den Erklärungen zu bringen sei, die ich im vergangenen Jahre hier abgegeben habe. Ich glaube, Herr Pieper irrt; denn ich glaube mich bestimmt erinnern zu können — ich habe es im Drange der Geschäfte nicht nachlesen können —, daß ich im vorigen Jahre ausdrücklich auf die Schwierig⸗ keiten hingewiesen habe, die sich einer gesetzlichen Regelung des Tarif⸗ wesens entgegenstellen. Ich bin dann zu dem Ergebnis gekommen, daß die Materie jedenfalls nicht zu einer gesetzlichen Regelung reif sei, und daß der Versuch, sie gesetzlich zu regeln, so wie die Sache namentlich auch im Parlament liegt, wahrscheinlich nicht zu einer Ver⸗ besserung, sondern zu einer Verschlechterung der bestehenden Zustände führen werde. (Sehr richtig! rechts.)
Ich möchte im Anschluß an meine vorjährigen Ausführungen folgendes feststellen: Mir liegt nichts ferner als die Bedeutung des Tarifvertrages zu verkennen. Ich erkenne an, daß der Tarifvertrag eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit ist für eine große Anzahl unserer Betriebe. Es gibt aber auch Betriebe, für die zweifellos der Abschluß von Tarifverträgen nicht geeignet ist, und vor allen Dingen nicht forciert werden sollte. (Sehr richtig! rechts.) Aber, meine Herren, hat sich denn dem Abschluß von Tarifverträgen bei uns überhaupt irgendwelche Schwierigkeit in den Weg gestellt? Nein, die Tarifverträge haben — ich möchte beinahe sagen — einen Siegeszug durch fast alle Industrien gemacht. Wir haben eine Fülle von musterhaft ausgearbeiteten Tarifverträgen anf zahlreichen Gebieten des gewerblichen Lebens; wir haben sie überall da, wo die wirtschaft⸗ lichen Voraussetzungen zum Abschluß derartiger Verträge vorlagen. Wenn das der Fall ist, so wird man nicht sagen können, daß hier unter allen Umständen ein Eingreifen der Regierung notwendig set, um dem Ganzen erst durch eine behördliche und gesetzliche Reglemen⸗ tierung die höhere Weihe zu verleihen. (Sehr richtig! links.)
Was unseren Tarifverträgen augenblicklich fehlt, ist ja lediglich die Vollstreckbarkeit unter ganz bestimmten Voraussetzungen. An sich sind
— das sind also im wesentlichen nicht diejenigen Summen, die der
Tarifverträge nicht verboten. Tarifverträge sind auch klagbar, sobald sie
Industrielle zurücklegt, sondern die der kleine Mann zurücklegt — auf daß wir auf sozialpolitischem Gebiete eigentlich recht kümmerliche
rung sozialpolitisch unproduktiv wäre, die dem Reichstag so viele
Nun, meine Herren, ist allerdings von seiten der beiden Herren Redner darauf hingewiesen worden, daß die verbündeten Regierungen von der Vollmacht des Bundesrats, Bestimmungen für die Betriebe
versichert ist und soweit ich selbst bei Besichtigung eines Teils dieser
zwischen Rechtssubjekten abgeschlossen werden, die ihrerseits vor Gericht
Aagen können und verklagt werden können, die die Rechte der
juristischen Persönlichkeit haben. Nur wo diese Voraussetzungen
mangeln, entstehen Schwierigkeiten hinsichtlich der Vollstreckbarkeit.
Das heißt also, um es einmal mit einem früher in diesem Hause
oft gehörten Schlagwort kurz auszusprechen: das Einzige, was
Schwierigkeiten bereitet, ist die mangelnde Rechtsfähigkeit der Berufs⸗
vereine. (Sehr richtig! links.) Wenn unsere Gewerkschaften rechts⸗
fähig wären, dann würden auch der Durchführung der von ihnen ab⸗ geschlossenen Tarisverträge nicht die geringsten Schwierigkeiten entgegenstehen, unter der Voraussetzung, daß unsere Gewerkschaften unter das gemeine Recht gestellt würden, daß man sie so behandelte, wie jeden anderen eingetragenen Verein, der für die Hand⸗ lungen seiner Beamten und seiner Vorstände mit seinem Ver⸗ mögen haftbar ist. Wenn Sie aber dazu übergehen, wie man es mir gelegentlich als billig und nützlich vorgestellt hat, den Berufsvereinen zwar die Rechtsfähigkeit zu geben, aber davon abzusehen, ihnen auch die Verpflichtung aufzuerlegen, mit ihrem Vermögen für die Erfüllung der von ihnen eingegangenen Ver⸗ pflichtungen einzutreten, dann bleiben die Tarifverträge ebenso in der
Luft stehen wie jetzt. Denn wenn ich nicht die Mittel habe, eine
wegen Bruchs eines Tarifvertrags verklagte Arbeitgeber⸗ oder Arbeit⸗
nehmergemeinschaft bei ihrem Vermögen zu fassen, dann ist das ob⸗ siegende Erkenntnis, das der eine oder der andere Teil erstreitet, un⸗ vollstreckbar. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, daß wir uns heute oder in nächster Zeit über diese Frage einigen, halte ich für unwahrscheinlich. Ich persönlich wäre bereit, mich auf der Grundlage, die ich eben auseinandergesetzt habe, sofort mit Ihnen zu einigen. Damit würden manche Schwierig⸗ keiten aus der Welt geschafft sein. Aber ich glaube nicht, daß wir uns darüber einigen, und aus diesem Grunde halte ich es für richtiger, wenn wir die Materie so laufen lassen, wie bisher. Denn Verträge, bei denen große Massen beteiligt sind, haben etwas den Charakter von Bündnissen und Staatsverträgen, die auf ewige Zeiten, d. h. für so lange geschlossen werden, wie beide Teile einen Vorteil davon haben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Aus diesem Grunde ist tatsächlich die mangelnde Vollstreckbarkeit der Tarifver⸗ verträge nicht so bedenklich, wie es auf den ersten Blick scheint.
Dann kommt noch eins dazu. Glauben Sie nicht, meine Herren, daß wir ein Gesetz über den Tarifvertrag so einfach und mit wenigen Sätzen verabschieden könnten, wie ich das hier eben charakterisiert habe. Ich habe im Gegenteil die ernsteste Besorgnis, daß dann eine Fülle von Vorschriften kommen würde über das, was in einem Tarif⸗ vertrage stehen muß, und das, was in einem Tarifvertrage nicht stehen darf. Die Folge würde sein, daß man den Tarifvertrag nicht fördert, sondern daß man seine Entwickelung hintanhält. Ich persönlich bin der Ansicht, daß auch beim jetzigen Zustande die Judikatur der Ge⸗ richte hinreichen wird, eventuell festzustellen, was in einem Tarif⸗ vertrage stehen darf, weil es mit den guten Sitten vereinbar ist, und was in einem Tarifvertrag nicht stehen darf, weil es mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.
Das, meine Herren, ist meine Auffassung zum Tarifvertrag, und ich glaube, mich auf diese Ausführungen beschränken zu können. Sie werden daraus entnehmen, daß es nicht mangelndes Interesse für diese zweifellos wirtschaftlich wichtige Frage ist, wenn die verbündeten Regierungen und speziell ich an eine gesetzliche Regelung der Sache nicht herangetreten sind. Nein, ich halte den Zeitpunkt nicht für geeignet, eine derartige Regelung vorzunehmen, obwohl — das möchte ich persönlich dazu bemerken — es sich hier um eine Aufgabe handelt, die gesetzgeberisch im höchsten Maße interessant ist und einen taten⸗ durstigen Minister verleiten könnte, in Aktion zu treten. (Heiterkeit.)
Ich glaube, ich kann mich auf diese allgemeinen Ausführungen sozialpolitischer Art für heute beschränken. Ich werde mir gestatten, auf Einzelheiten eventuell zurückzukommen resp. einzelne Fragen, die angeregt sind, durch einen meiner Herren Kommissare beantworten zu lassen.
Dann haben einen breiten Raum in den Ausführungen der Redner des vorigen Sonnabends und auch des heutigen Tages in An⸗ spruch genommen Fragen der Mittelstandspolitik. Meine Herren, daß ich es für eine Pflicht der verbündeten Regierungen halte, den Mittelstandsfragen unausgesetzte Aufmerksamkeit zu widmen, das habe ich bereits vor Jahresfrist ausgesprochen, und daß ich selbst geneigt bin,
diese Verpflichtung auch gewissenhaft zu erfüllen, das glaube ich in meiner früheren Stellung als preußischer Handelsminister bewiesen zu haben. (Beifall rechts.) Und an dieser Stelle liegt ja auch die Hauptmöglichkeit, Mittelstandspolitik zu treiben. Das haben ja die Herren Redner von vorgestern auch ausdrücklich anerkannt.
Das, was man für den gewerblichen Mittelstand tun kann, ist in erster Linie, ihn tüchtig zu machen für die Erfüllung der schwierigen Aufgaben, die ihm in der völligen Umwälzung unserer wirtschaftlichen und sozialpolitischen Verhältnisse erwachsen, wenn er überhaupt sich einen Platz an der Sonne bewahren will. (Sehr richtig! in der Mitte.) Das ist die Frage des gewerblichen Schulwesens, das ist die Frage der Organisation, das ist die Frage der Errichtung von Kassen, Darlehnskassen, Genossenschaften und was dergleichen mehr ist. Aber, meine Herren, das sind alles Sachen, die nur von seiten der Bundesstaaten gemacht werden können, und es sind alles Dinge, von denen ich nach meiner Erfahrung die Ueberzeugung habe, daß es kaum einen Bundesstaat im Deutschen Reiche geben wird, der sich nicht der Pflichten bewußt ist, die er auf diesem Ge⸗ biete zu lösen hat. Im Reiche wird auf diesem Gebiete immer nur die Möglichkeit bleiben, diese und jene Frage gesetzgeberisch zu regeln.
Dasz sind ja eine Reihe von Fragen, die uns hier regelmäßig beschäftigen. Es handelt sich hier zunächst um den § 100 g der Ge⸗ werbeordnung, um die Festsetzung von Preisen für Zwangsinnungen. Es handelt sich um die Frage des Unterschiedes von Industrie und Handwerk; es handelt sich um die Besteuerung derselben Personen einmal für die Organisationen der Industrie und des Handels und außerdem für die Organisationen des Handwerks.
88 Daß diese Fragen schwierig sind, haben die Erörterungen in diesem Hause und in den einzelnen Landtagen oft genug ergeben. (Sechr richtig rechts.) Die Herren Redner des vorigen Sonnabends haben das aus⸗ drücklich anerkannt. Sie haben auch anerkannt, daß ich meinerseits
wenigstens versucht habe, die Sache der Lösung näher zu bringen da⸗
durch, daß eine Konferenz einberufen ist, die demnächst tagen wird und von der ich hoffe, daß sie, wenn sie auch nicht alle diese Dinge zu einem befriedigenden Resultat führt, so doch uns bei einigen zu
Es ist dann gesprochen worden von den Wanderauktionen. Meine Herren, Sie wissen, daß Wanderauktionen verboten sind, daß Aus⸗ nahmen nur zuͤgelassen sind, wenn es sich um Gegenstände handelt, die rasch dem Verderben ausgesetzt sind. Ich glaube nicht, daß wir noch eine weitere Verschärfung dieser Vorschrift, die sich im § 56 c der Gewerbeordnung findet, ernsthaft in Aussicht nehmen können. Dann handelt es sich um die Wanderlager. Meine Herren, über die Frage, ob das Wanderlagerwesen im Interresse des seßhaften Mittel⸗ standes anderweit und zweckentsprechender geregelt wird, schweben Erörterungen zwischen den Bundesstaaten; seitens Preußens hat man den Vorschlag gemacht, den Betrieb von Wanderlagern in Ortschaften, für welche dies durch Ortsstatut festgesetzt wird, von einer Erlaubnis und dem Nachweise des Bedürfnisses abhängig zu machen. Das würde zweifellos nach meiner Ansicht ein Fortschritt in der von Ihnen ge⸗ wünschten Richtung sein. Soweit ich übersehen kann, wird die Mehr⸗ zahl der Bundesstaaten dem Schwierigkeiten nicht entgegensetzen; immerhin sind noch eine Reihe von Einzelfragen und einzelnen Schwierigkeiten zu überwinden. Ich werde mich bemühen, auf diesem Gebiete bald zu einem Ergebnisse zu kommen.
Dann kommt die Frage der Beschränkung des Hausierhandels. Es ist insbesondere die Frage angeregt worden, die Erteilung des Wandergewerbscheines von der Bedürfnisfrage abhängig zu machen. Die Herren wissen, daß in ihren eigenen Reihen über die Möglich⸗ keit und Zulässigkeit einer derartigen Einrichtung erhebliche Bedenken bestehen, auch in den Reihen der verbündeten Regierungen ist keines⸗ wegs Einigkeit über die Behandlung dieser Frage. Ein völliges Verbot des Hausierhandels halte ich für ausgeschlossen „auch die Frage der Prüfung des Bedürfnisses wird nicht leicht in angemessener Weise zu lösen sein; es stehen aber kommissarische Beratungen mit den Bundesstaaten und speziell mit Preußen bevor, um festzustellen, ob man den Mißständen, die sich in einzelnen Teilen des Deutschen Reichs, besonders in Bayern, gezeigt haben, nicht in geeigneter Weise auch ohne eine radikale Aenderung der Gesetzgebung wird entgegen⸗ treten können, d. h. also den Gewerbebetrieb im Umherziehen da zu konservieren, wo er noch eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist und zu Mißständen keine Veranlassung gibt.
Dann, meine Herren, wird verlangt eine Aenderung der Bestim⸗ mungen über das Detailreisen. Hierüber schweben Erwägungen, ob wir zu einer Veränderung der bestehenden Gesetzgebung kommen können. Es ist mir in hohem Maße zweifelhaft.)
Und nun, meine Herren, sind endlich eine Reihe von Wünschen vorgetragen über die Regelung des Submissionswesens. An sich ist die Regelung des Submissionswesens ja Sache der Einzelstaaten; wir sind nicht in der Lage, den Einzelstaaten Vor⸗ schriften zu machen, wie sie ihr Submissionswesen zu regeln haben, noch viel weniger sind wir in der Lage, den Kommunalverwaltungen bezüglich des bei ihren Submissionen einzuschlagenden Verfahrens Vorschriften zu machen. (Zuruf rechts: Soweit es das Reich angeht!) Soweit es aber das Reich angeht, sind wir zweifellos in der Lage, entsprechende Anordnungen zu treffen. Nun sind für Preußen neue Grundsätze vor nicht all zu langer Zeit herausgekommen, und nach diesen Grundsätzen wird zurzeit seitens des Reichsamts des Innern bereits verfahren. Ich bin indessen dabei, diese Vorschriften einer Umarbeitung zu unterziehen, die namentlich auf eine schnellere und raschere Entscheidung von Streitigkeiten hinzielt, und ich werde dann versuchen, wenn ich selbst zur Klarheit gekommen bin, auch mit den übrigen Ressorts mich über diese Frage zu verständigen. Die Herren sehen also, daß auch auf diesem Gebiete bereits das nötige veranlaßt ist.
Nun hat der Herr Abg. Pieper eine spezielle Frage zur Er⸗ örterung gestellt, nämlich den Wunsch seiner polittschen Freunde, daß Maßnahmen zuͤgunsten der Terxtilindustrie getroffen würden, und zwar ist angeregt worden erstens die Schaffung einer Zentralstelle zur Hebung und Förderung der heimischen Textilindustrie und zweitens Maßnahmen zur Hebung der Produktion von Textilstoffen in den deutschen Schutzgebieten. Von der Bedeutung dieser Zentralstelle kann ich mir heute ein Bild nicht verschaffen. (Sehr richtig! links.) Ich habe auch den Eindruck, daß den Herren Antragstellern eine um⸗ fassende Kenntnis von dem nicht innewohnt, was an Instituten, die ähnlichen Zwecken dienen sollen und die funktionieren, in den Einzelstaaten bereits vorhanden ist. Ich habe die letzte Tagung des Wirtschaftlichen Ausschusses benutzt, um mit den dort anwesenden Vertretern der Textilindustrie nebenher die Frage zu erörtern, ob ein derartiges Institut notwendig oder nützlich sei. Auch diese Erörterungen haben für mich zu einer Klärung der Frage nicht ge⸗ führt. Ich bin aber gern bereit, in eine Prüfung der Sache einzu⸗ treten, und werde hoffentlich in der Lage sein, den Herren Antrag⸗ stellern im nächsten Jahre mitteilen zu können, wie ich zu der Sache stehe. Ohne eine eingehende Erörterung werden wir schwerlich zur Klarheit kommen.
Es ist dann — und die Frage ist von verschiedenen Rednern, wenn ich nicht irre, auch von dem Herrn Abg. Stresemann, berührt worden — die Frage aufgeworfen worden, ob wir nicht noch in intensiverer Weise, als es jetzt schon geschieht, etwas tun könnten, um unsere heimische Industrie von den ausländischen Rohprodukten unabhängiger zu machen, und die Herren haben dabei in erster Linie die Baumwolle im Auge gehabt. Meine Herren, soweit es sich um Maßnahmen handelt, die in unseren Kolonien selbst zu treffen sind, würde das ja eine Sache sein, die beim Etat des Kolonialamts zu erörtern sein würde. Soweit es sich um die Förderung dieser Bestrebungen im Inlande handelt, werden sie von mir unterstützt, und ich stehe auch in dauernder Fühlung mit den Herren, die der internationalen Vereinigung angehören, deren Bestreben darauf hinausgeht, die euro⸗ päische Industrie speziell von der nordamerikanischen Baumwoll⸗ produktion unabhängiger zu machen. Die Sache ist also an sich im Gang. Es wird ihr von allen Seiten und, was das wichtigste ist, von den Beteiligten selbst eine von Jahr zu Jahr wachsende Auf⸗ merksamkeit geschenkt. Die Ergebnisse sind an sich, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, die zu überwinden sind, auch nicht unerfreulich. Es wird allerdings noch einige Zeit dazu gehören, bis wir auch bei energischer Förderung der Dinge zu dem von den Herren Abgg. Stresemann und Pieper gewünschten Ziele gelangen, nach dem zu streben aber, wie ich ohne weiteres anerkenne, des Schweißes der Edlen wert ist.
Meine Kerren, ich bin jetzt bei handelspolitischen Erörterungen angelangt und darf dabei vielleicht auf einige damit mehr oder weniger zusammenhängende Dinge übergehen. Verschiedene Redner sind auf unsere Syndikate, ihre volkswirtschaftliche Bedeutung und die eventuelle
zum Teil ausgezeichnet
sprechen gekommen. Auch hier hat es der Herr Abg. Pieper bemängelt, daß die verbündeten Regierungen kein Gesetz über die Regelung des Syndikatsweses vorgelegt hätten. Meine Herren, ich habe mir gestattet, im vergangenen Jahre über die Frage der Syvndikate mich sehr eingehend auszulassen, und die Schwierigkeiten dargelegt, die sich einer zweckentsprechenden gesetzlichen Regelung des Syndikatswesens entgegenstellen. Ich habe darauf hingewiesen, daß eine allgemeine Aufsicht, die Vorschrift einer gewissen Publizität, der Zwang zur Veröffentlichung von Bilanzen usw. keinen erheblichen Erfolg haben würde, zumal man die Publizität erheblich würde einschränken müssen, weil wir nicht die Geschäftsgeheimnisse unserer Geschäftsleute durch diese Publizität unseren ausländischen Konkurrenten zugänglich machen dürfen. Ich habe ferner daran erinnert, daß es nicht ganz leicht sein würde, Kommissare zu finden, die sich wirklich einen Einblick in das Geschäftsgebahren der Syndikate verschaffen könnten; ich habe aber endlich darauf aufmerksam gemacht, daß weder ich noch die Regierungen der Einzelstaaten im großen und ganzen jemals Schwierig⸗ keiten gehabt haben, wenn sie vertraulich von Syndikaten Auskünfte über ihre geschäftlichen Verhältnisse verlangten. Es sind Bücher und alles vorgelegt, was wir irgendwie zu unserer Information zu sehen und zu wissen wünschten.
Nun habe ich auch schon damals gesagt, daß man nach meiner Ansicht der Syndikate nur Herr werden kann, wenn man die Ver⸗ hältnisse eines einzelnen Syndikats den augenblicklichen Erfordernissen entsprechend gesetzlich reglementiert, d. h. selbstverständlich nur dann, wenn ein öffentliches Interesse ein derartiges Eingreifen notwendig macht. Sie haben ein solches öffentliches Interesse im vergangenen Jahre bei dem Kalisyndikat als vorliegend anerkannt, und ich habe den Eindruck, daß diese Tatsache allein hinreichend ist, um die Mehr⸗ zahl unserer Syndikate zu einer Geschäftsgebarung zu veranlassen, die das Eintreten eines öffentlichen Interesses, das ein Eingreifen der Gesetzgebung hervorruft, ausschließt. Jedenfalls kann ich nicht die Auffassung des Herrn Abg. Pieper teilen, daß die Notwendigkeit, diee er anerkannt hat, die ich auch anerkenne, die beiden großen Syndikate, nämlich das Kohlensyndikat und den Stahlwerksverband, wieder zu stande zu bringen, ein besonderer Anreiz sein sollte, jetzt an eine gesetzgeberische Lösung dieses Problems heranzutreten. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß, wenn wir in die überaus schwierigen Verhältnisse, die hier zu überwinden sind, jetzt mit gesetzgeberischen Projekten eingreifen würden, wahrscheinlich das Zustandekommen dieser Syndikate nicht erleichtert, sondern erschwert werden würde. Meines Erachtens wird der Zeitpunkt, hier reglementierend einzugreifen, erst gekommen sein, wenn wir wissen, wie sich die Dinge entwickelt haben, und wenn wir übersehen können, inwieweit die zahlreichen Mittel, die den einzelnen Bundesstaͤaten zur Hand liegen, auf indirektem Wege die Geschäftsgebarung der Syndikate zu beeinflussen, versagt haben. Jedenfalls möchte ich nicht jetzt die überaus schwierigen Verhältnisse auf dem Gebiete der Syndikate durch gesetzgeherische Experimente beeinflussen, deren endgültiger Auslauf unübersehbar sein würde. (Sehr richtig! links.)
Nun hat der Herr Abg. Stresemann im Anschluß an die Er⸗ örterung über die Syndikate eine Reihe anderer wirtschaftspolitischer Erörterungen gemacht, die im wesentlichen auf die Bedürfnisse unserer Exportindustrie herauskamen. Er hat insbesondere den Wunsch vor⸗ getragen, daß die von ihm vertretenen industriellen Interessen, die auf dem Gebiete der Exportindustrie besonders stark sind, bei der Vor⸗ bereitung unserer Handelsverträge und bei der Zusammensetzung des Wirtschaftlichen Ausschusses eine angemessene Berücksichtigung erfahren möchten. Ich freue mich über die ruhige und entgegenkommende Art, in der der Herr Abg. Stresemann die Frage erörtert hat (Heiterkeit), die in früheren Jahren ziemlich starke Wellen hervorgerufen hat. Ich entnehme daraus, daß man über die Tätigkeit des Wirtschaft⸗ lichen Ausschusses inzwischen zu einem anderen Urteil gekommen ist und daß man jedenfalls die Ueberzeugung gewonnen hat, daß ich, solange ich im Amte bin, ernstlich bestrebt gewesen bin, den Wirt⸗ schaftlichen Ausschuß so arbeiten zu lassen, wie es den vielseitigen Interessen dienlich ist, für die er geschaffen ist.
Ich glaube, auch der Herr Abg. Linz hat über den Wirtschaft⸗ lichen Ausschuß gesprochen. Er hat insbesondere zu wissen gewünscht, wie die Neuzusammensetzung des Ausschusses, von der vielfach die Rede gewesen ist, eigentlich erfolgt ist. Nun, meine Herren, ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Gelegenheit geben, zu dieser Frage noch einige Worte zu sagen.
Der Wirtschaftliche Ausschuß ist geschaffen worden, nachdem man sich überzeugt hatte, daß der sehr zahlreich zusammengesetzte ehemalige Zollbeirat in allererster Linie vermöge der vielen Köpfe, die ihm an⸗ gehörten, für die Lösung der Aufgaben einer derartigen wirtschaftlichen Beratungsstelle der Reichsregierung nicht geeignet gewesen war. Der Wirtschaftliche Ausschuß hat nicht die Aufgabe, allgemeine wirtschafts⸗ politische Richtlinien festzustellen, er hat nicht darüber zu befinden, ob wir Schutzzoll oder Freihandel auf unsere Fahne schreiben wollen; alle diese Fragen werden an anderer Stelle und in allererster Linie in diesem Hause entschieden.
Der Wirtschaftliche Ausschuß hat er soll einmal die Reichsverwaltung über bestimmte technische Fragen, die zum Verständnis unserer eigenen und der fremden Zolltarife notwendig sind, unterrichten, und er hat ferner die Aufgabe, uns in der wirtschaftlichen Bewertung der einzelnen Posi⸗ tionen der deutschen und der fremden Tarife und die in der Vorbereitung befindlichen Handelsverträge zu unterstützen. Diese Aufgabe ist nur zu lösen, wenn der Wirtschaftliche Ausschuß auf eine nicht allzu große Mitgliederzahl beschränkt ist.
Naturgemäß drängt nun gegenüber einer geringen Zahl von Mit⸗ gliedern die Industrie wie die Landwirtschaft, namentlich aber die erstere, unablässig auf eine Vermehrung, und ich habe, um diesen Wünschen zu entsprechen, mich im vergangenen Jahre ent⸗ schlossen, die Zahl der Mitglieder von 36 auf 48 zu erhöhen. Nun werden diese 48 Mitglieder in der Weise berufen, daß ein Drittel davon der Landwirtschaft und den zugehörigen Gewerben und zwei Drittel Handel und Industrie zugewiesen sind. Ob diese Ziffer ganz genau den Verhältnissen entspricht, das ist sehr schwer festzustellen. Es wird überhaupt sehr schwer sein, das Interesse der einzelnen Berufs⸗ stände an einer derartigen Institution zahlenmäßig zu ermitteln. Wenn Sie aber berücksichtigen, meine Herren, daß von unserer erwerbstätigen Bevölkerung annähernd ein Drittel in der Landwirt⸗ schaft und annähernd zwei Drittel in Handel und Industrie be⸗
eine doppelte Aufgabe:
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Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Syndikatswesens zu
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