wie 1:2, wie sie auch nach der Vermehrung auf 48 Mitglieder aufrecht erhalten ist, ungefähr den Verhältnissen entspricht. 1 Ferner, meine Herren, ist die Einrichtung getroffen, daß die Hälfte der Mitglieder vorgeschlagen werden von den großen Erwerbs⸗ gruppen unseres Wirtschaftslebens, vom Deutschen Landwirtschaftsrat, der die gesamten öffentlichen Organisationen der Landwirtschaft im deutschen Vaterlande umfaßt, vom Deutschen Handelstage, der sämtliche Handelsvertretungen im deutschen Vaterlande umfaßt, und in Ergänzung dieser Nomination vom Zentralverband deutscher Industriellen. Die andere Hälfte der Mitglieder wird vom Reichskanzler, de facto von mir ernannt, und es ist nun stets so verfahren, daß ich, wenn ich die einzelnen Gruppen aufgefordert habe, Mitglieder zu präsentieren, ungefähr angegeben habe, welche Interessen zurzeit im Ausschuß stark oder schwach vertreten sind. Ich habe auch un⸗ gefähr die geographischen Bezirke angegeben, aus denen die Herren stammten, und die nominierenden Körperschaften gebeten, ihre Präsentation danach einzurichten. (Zuruf.) Die Ernennung erfolgt nicht auf Zeit, sondern die Mitglieder bleiben immer im Ausschuß, solange sie an den Arbeiten teilzunehmen wünschen und dazu in der Lage sind. — Ich habe die Berufungen, die mir zustehen, in der Weise gehandhabt, daß ich versucht habe auszugleichen, daß ich also diejenigen Interessen, die nach meiner Ansicht durch die Präsentation der großen Körperschaften nicht hinreichend vertreten waren, daß ich diejenigen Bundesstaaten, die nicht hinreichend vertreten waren, bei den meinerseits vorzunehmenden Berufungen berücksichtigt habe. Ich habe den Eindruck, daß auf diese Weise eine annähernd den Ver⸗ hältnissen entsprechende Vertretung der einzelnen Erwerbsgruppen eingetreten ist. Daß sich hin und wieder die Dinge mal zugunsten der Sachsen oder zugunsten der Wupperthaler oder zugunsten des Saarreviers oder des Ruhrreviers oder sonstwie verschieben, das, meine Herren, ist nicht zu vermeiden, und das ist auch kein Unglück; denn wir leben im Deutschen Reich als einem einheitlichen Wirt⸗ schaftsgebiet, und wenn irgend etwas partikularistische Betrachtungen nicht vertragen kann, dann ist es Handel und Industrie. (Sehr gut! links.) Die Vertreter für den Wirtschaftlichen Ausschuß werden von den Berufsgenossen aus dem ganzen Deutschen Reich präsentiert nach ihrer Bedeutung, die sie für die gesamte Industrie haben, und ich 8 einzelnen örtlichen Gruppen, die hin und wieder meinen, aß sie dabei zu kurz gekommen wären, müssen sich doch diesen größer Gesichtspunkten unterordnen. 11““ Nun kommt aber noch eins hinzu. Mit der Tätigkeit der Mit⸗ glieder des Wirtschaftlichen Ausschusses ist die Zahl der Personen, die wir bei der Vorbereitung der Handelsverträge hören, nicht annähernd erschöpft. Es werden sämtliche Eingaben, die auf Grund eines der⸗ artigen Unternehmens wie eines Handelsvertrags bei mir eingehen, zunächst geprüft. Das geht in die Hunderte. Wenn ich mich nicht sehr irre, sind es annähernd 600 Eingaben mit über 2000 Einzelanträgen, die aus Anlaß des schwedischen Handelsvertrags an mich gelangt sind. Die in diesen Eingaben vertretenen Wünsche werden nun jeder einzeln verarbeitet. Sie werden zunächst durch meine Referenten, die ja das Material vollständig beherrschen müssen, geprüft und eventuell durch Vernehmung an Ort und Stelle ergänzt und vervollständigt.
Dann werden, eventuell unter Hinzuziehung von Mitgliedern des Wirtschaftlichen Ausschusses, Sachverständige vernommen. Zum 8 chwedischen Handelsvertrag sind rund 300 Sachverständige vernommen worden; dazu treten aber noch diejenigen Sachverständigen, die von anderen Stellen oder von den Herren Referenten des Wirtschaftlichen Ausschusses gehört werden, und in ganz besonders schwierigen Fällen habe ich stets Sachverständige aus den in erster Linie betroffenen Er⸗ werbszweigen auch noch zu den Verhandlungen des Wirtschaftlichen Ausschusses selbst hinzugezogen.
Ich habe die Ueberzeugung, daß wir bei dieser Organisation in der Lage sind, allen Interessen gerecht zu werden, und daß es uns auch gelungen ist, dasjenige Material, das für die Beurteilung der Handelsverträge notwendig war, in hinreichendem Maße zu beschaffen wenigstens — das werden mir die hier im Hause anwesenden Mit⸗ glieder des Wirtschaftlichen Ausschusses bestätigen — ist mir von einer großen Anzahl von Interessenten versichert worden, daß sie mit der Gründlichkeit und Vollständigkeit unserer Erhebungen vollständig ein⸗ verstanden seien.
Meine Herren, ich muß um Entschuldigung bitten. Mir ist aus der Fülle der Wünsche ein Teil dessen, was noch in den Bereich des Mittelstandes gehört, unter die Handelspolitik geraten. (Heiterkeit.) Ich möchte also, damit die Herren sich nicht zurückgesetzt fühlen, noch einige kurze Bemerkungen hierzu machen.
Es ist seinerzeit beantragt worden — ich glaube, es war der Abg. Graf von Hompesch und seine Freunde —, Erhebungen über die Ver⸗ hältnisse des kaufmännischen Mittelstandes anzustellen. Von meinem Herrn Amtsvorgänger ist erwidert worden, daß man zunächst einmal die Ergebnisse der Berufs⸗ und Betriebszählung von 1907 abwarten müsse. Zu meinem Bedauern — wir werden uns darüber noch an anderer Stelle zu unterhalten haben — liegen die Ergebnisse der Berufs⸗ und Betriebszählung noch nicht vor. Ich werde mir ge⸗ gestatten, wenn sie bekannt sind, auf diese Frage zurückzukommen.
Es ist dann seitens der Herren Redner moniert worden, daß die verbündeten Regierungen noch immer keine Vorschläge bezüglich der Konkurrenzklausel gemacht haben. Ich möchte doch die Herren von der äußersten Linken darauf aufmerksam machen, daß es sich hier nicht um eine einseitige Angestelltenfrage handelt, sondern um eine Frage an der auch die Industrie selbst in hohem Maße beteiligt ist, und daß es unter allen Umständen notwen, ig ist, hier einen Ausgleich der beteiligten Interessen zu schaffen. Ich habe infolgedessen Erhebungen eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen sind; Das ist auch der Grund, warum die Frage der Konkurrenzklausel aus
der letzten Novelle zur Gewerbeordnung ausgeschlossen war. Wenn die Herren darüber Klage führen, daß die Verhältnisse der Techniker in dieser Novelle nicht mit berücksichtigt sind, so kann ich nur sagen: in dem Augenblick, wo der unselige § 63 des Handelsgesetzbuches aus- scheidet, und die Herren damit einverstanden sind, daß diese Frage so geregelt wird, wie wir sie in Preußen in der Novelle zum Bergesetz für die Betriebsbeamten geregelt haben, bin ich bereit, Ihnen sofort einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Ich habe aber die wichtige Frage, die wir in der letzten Novelle zur Gewerbeordnung — das Gesetz heißt „Gesetz zur Abänderung des § 114 a der Gewerbeordnung“ usw. — regeln wollten, nicht belasten wollen auch mit einer Frage, von der ich nicht
er hat dann am Schluß gesagt — und darauf hat der Minister
vom 11. April 1910 noch weiter von den nachgeordneten Behörden mißverständlich aufgefaßt werden könne, nämlich dahin, daß öffentliche u
1 1 ständen, das in die Scheuern bringen, was von den Beschlüssen der Kommission der vorigen Sitzung sicher eingeerntet werden konnte.
Ueber die Frage der Sonntagsruhe ist auch mancherlei moniert worden. Ich kann feststellen, daß die allmähliche Ausgestaltung der Sonntagsruhe dauernd fortschreitet, soweit auf Grund der be⸗ stehenden Bestimmungen das möglich ist. Die Fage der Ausdehnung der Sonntagsruhe speziell im Handelsgewerbe durch die Gesetzgebung, bildet den Gegenstand von Erörterungen, die noch nicht abgeschlossen sind. Das Gleiche gilt für die Sonntagsruhe in der Binnnenschiff⸗ fahrt. Hier hatte der Beirat für Arbeiterstatistik den Wunsch aus⸗ gesprochen, es möchte über diese Frage ein Gutachten des Kaiserlichen Gesundheitsamts vorgelegt werden; das Gutachten ist eingegangen und die Verhandlungen des Beirats sind abgeschlossen. Auf dieser Grund⸗ lage werden die Vorarbeiten weiter gefördert werden.
Nun, meine Herren, komme ich zu den Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Müller⸗Meiningen über die Durchführung des Vereins⸗ gesetzes.
Der Herr Abg. Dr. Müller⸗Meiningen hat im vorigen Jahre in Aussicht gestellt, er würde alljährlich mit einer Interpellation über diese Angelegenheit kommen, bis endlich sich die Bundesstaaten ent⸗ schlossen haben würden, das Gesetz so auszuführen, wie es der Gesetz⸗ geber verlangt. Nun, meine Herren, ich habe mich gefreut, daß der Herr Abg. Müller in diesem Jahre keine Interpellation vorgelegt hat, sondern sich auf eine Anfrage bei meinem Etat beschränkt hat; denn ich halte mich für berechtigt, daraus zu schließen, daß das Maß der Beschwerden in diesem Jahre nicht mehr so groß gewesen ist, daß es eine Interpellation rechtfertigt. (Heiterkeit.) Meine Herren, ich halte mich zu dieser Annahme umso mehr für berechtigt, als auch meine eigenen Erhebungen und Beobachtungen zu dem Ergebnis führen, daß doch die Mißgriffe, wie sie sich bei der Ausführung des Vereinsgesetzes in der ersten Zeit gezeigt haben, in der Abnahme be⸗ griffen sind. Ich selbst habe im letzten Jahre überhaupt keine Be⸗ schwerden mehr bekommen.
Nun könnten die Herren ja dagegen einwenden, das sei lediglich der Erkenntnis zu verdanken, daß eine Beschwerde bei mir doch nicht helfen würde (Heiterkeit), weil ich sie lediglich an die zuständige Regierung weitergeben würde. Aber, meine Herren, auch die Zentral⸗ behörden der einzelnen Bundesstaaten haben mir mitgeteilt, daß bei ihnen die Beschwerden abgenommen, zum Teil ganz aufgehört haben. Wenn trotzdem immer noch über Mißgriffe geklagt wird, so muß ich doch sagen, daß das Maß der Beschwerden, die mir bekannt geworden sind, und die auch der Herr Abg. Müller⸗Meiningen hier vorgetragen hat, eigentlich nicht den Schluß rechtfertigen, daß das Gesetz ganz miserabel und in Widerspruch mit den Zielen des Gesetzgebers aus⸗ geführt wird; im Gegenteil, wenn Sie bedenken, welch große Zahl von Versammlungen im Laufe des Jahres in Deutschland abgehalten wird, welche Fülle von Umzügen und Versammlungen unter freiem Himmel beantragt werden und stattfinden, dann können Sie schon aus der geringen Zahl von Beschwerden entnehmen, daß im allgemeinen die Behörden sich mit dem Gesetz vertraut gemacht haben, und daß sie es eigentlich schneller getan haben, als von den Herren auf der linken Seite des Hauses angenommen wird und als auch nach Lage der Dinge an⸗ zunehmen war. Denn, meine Herren, Sie dürfen nicht vergessen: es handelt sich in einem großen Teile des deutschen Vaterlandes bei dem Vereinsgesetz um einen vollständigen Wechsel in der praktischen Be⸗ handlung und Ausführung des bisherigen Vereins⸗ und Versamm⸗ lungswesens. Dabei liegt ja die Ausführung zu einem erheblichen Teile in den Händen von Organen, die nicht in der Lage sind, bei Anwendung der Gesetze verwickelte Rechtsfragen zu lösen, und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß noch ab und an Mißgriffe vor⸗ kommen.
Nun hat der Herr Abg. Müller⸗Meiningen eine Reihe von Einzelbeschwerden vorgetragen, die ebenso interessant wie wichtig waren. Aber, meine Herren, es handelt sich hier um Dinge, die meines Wissens alle nicht bis an die Zentralinstanz gelangt sind, und über die ich also grundsätzlich nicht in der Lage bin, mich hier aus⸗ zulassen. Ich habe oft genug gesagt, dem Herrn Reichskanzler be⸗ ziehungsweise mir in seiner Vertretung liegt nur ob, dafür zu sorgen,
solange ich mich mit den Zentralbehörden der Bundeestaaten in grund⸗ sätzlicher Beziehung eins fühle, habe ich keine Veranlassung eine Ein⸗ wirkung auszuüben.
Kun besteht ja aber auch — der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) hat ja die Rede des preußischen Herrn Ministerpräsidenten selbst verlesen — zwischen diesem und mir völlige Uebereinstimmung über die Auslegung des Verein’gesetzes, insbesondere auch über die Auslegung des § 7 des Vereinsgesetzes, und da der Herr Minister des Innern in Preußen, gegen den die Beschwerde des Herrn Abg. Müller (Meiningen) in erster Linie gemünzt war, soweit ich mich erinnere, im Abgeordnetenhause auch ausdrücklich erklärt hat, daß er diese Auf⸗ fassung des Herrn Ministerpräsidenten teile und durchführen würde, so habe ich eigentlich nicht wohl begründeten Anlaß zu irgend welchem Eingreifen. Der Herr Abg. Müller (Meiningen) wird mir nun sagen: ja, das ist alles ganz schön, aber es bleibt die Differenz zwischen dem Erlaß des Herrn Ministers des Innern — er ist, glaube ich,
Aufzügen. Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat darauf hingewiesen, i daß es zweifellos mit dem Wortlaut, mit dem Sinn des § 7 des Vereinsgesetzes und der Bedeutung, die ich ihm selbst im vergangenen Jahre gegeben habe, unvereinbar sei, wenn der Herr Minister des Innern in Preußen öffentliche Aufzüge generell verboten hätte. Das wäre richtig, wenn ein generelles Verbot er⸗ gangen wäre. Der damalige Herr Minister des Innern hat unter dem Eindruck ganz bestimmter Vorgänge im Eingang seines Erlasses ausgeführt, daß, so wie die Dinge damals lagen, jeder öffentliche r Aufzug eine gewisse Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeute, und
von Moltke bei der Besprechung des Erlasses im Abgeordnetenhause n
auch hingewiesen —, in der Regel sollten demnach Aufzüge ver⸗ ü boten werden. Er hat also selbst die Möglichkeit der Genehmigung von Aufzügen zugelassen. Nun ist aber inzwischen eine ganze Reihe von Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts ergangen, die die von d mir im vergangenen Jahre gegebene Interpretation des § 7 des v Vereinsgesetzes bestätigen, und ich halte es unter diesen Umständen h für ausgeschlossen, daß der viel erörterte Erlaß des Herrn Ministers rechts) und wo es den einzelnen Wählern nicht möglich ist, ihre täg⸗ liche Hantierung, ihre Arbeit, ihr Geschäft zu verlassen, um 20 km
sicher war, ob wir uns einigen könnten. Ich wollte unter all
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nichts passieren. 8 nger geschriebenen Abmessungen hat oder der Schlitz nicht die vorgeschriebene daß in den Bundesstaaten grundsätzlich richtig verfahren wird, und Länge und Breite in Zentimetern, die wir ausgerechnet haben, so ent⸗ stehen natürlich wieder auf der anderen Seite Anlässe zu Protesten. Unter diesen Umständen habe ich doch Bedenken getragen, Ihnen eine Abänderung des Wahlreglements vorzulegen, und zwar lediglich zu dem Zweck, bezüglich der Wahlurnen Vorschriften zu machen. Ich stelle hier ausdrücklich fest: ich teile die Auffassung aller derjenigen Herren, die hier im Reichstage zu dieser Sache gesprochen und der Auffassung Ausdruck gegeben haben, daß es unanständig ist (Bravo! links), wenn die Wahlvorstände sich dazu hergeben, durch künstliche Manipulationen das gesetzlich garantierte Wahlgeheimnis zu durch⸗ brechen oder sonst das Wahlergebnis zu beeinflussen. (Bravo! links.) Aber das ist kein ausreichender Grund, nun ohne weiteres mit gesetz⸗ lichen Maßnahmen einzuschreiten. anderen Gebieten einschreiten.
zuzulassen sind oder nicht, ja wiederholt erörtert worden.
Hoffnung hin, daß auch in dieser Beziehung der Herr Abg. Müller (Meiningen) im nächsten Jahre keinen Anlaß zu Klagen mehr haben wird, und daß vielleicht an der Stelle der Interpellation nicht nur nicht mehr die Anfrage, sondern die freundliche Feststellung tritt, daß nunmehr das gewünschte Resultat erreicht sei. (Heiterkeit.)
Meine Herren, ich komme nunmehr zu einer anderen Anregung des Herrn Abg. Müller (Meiningen), die mir sehr viel mehr Kopfschmerzen gemacht hat, das sind nämlich seine Wünsche bezüglich der Wahl⸗ urnen und der kleinen Wahlbezirke. Meine Herren, die Frage der Wahlurnen beschäftigt uns ja heute nicht zum ersten Male. Mein Herr Amtsvorgänger hat sich zu dieser Frage geäußert, ich habe im vergangenen Jahre zu dieser Frage gesprochen und ich habe schon da⸗ mals der Anschauung Ausdruck gegeben, daß es mir zweifelhaft er⸗ scheint, ob die Mißstände, die aus gelegentlicher mangelhafter Be⸗ schaffenheit der Wahlurnen entstehen können, hinreichten, um eine gesetzgeberische Aktion zu rechtfertigen, namentlich mit Rücksicht darauf, daß es außerordentlich schwierig sein würde, eine Urne vorzu⸗ zuschreiben, die nicht durch ihre Beschaffenheit doch wieder zu Miß⸗ ständen und zu Wahlprotesten oder Wahlanfechtungen Veranlassung gäbe. Ich habe sämtliche Proteste gegen die unter der Herrschaft des neuen Wahlreglements vorgenommenen Wahlen, also gegen die Reichstagswahlen von 1903 und 1907, so⸗ weit sie von der Wahlprüfungskommission veröffentlicht sind, durch⸗ sehen lassen. Das Ergebnis ist folgendes: Während bei jeder dieser beiden Wahlen rund 60 000 Wahlurnen gebraucht worden sind, werden in den Protesten nur 102 Orte genannt, in denen im Jahre 1903, und 54 Orte, in denen im Jahre 1907 Schichtungen der Wahl⸗ kuverte vorgekommen sein sollen. Von diesen 156 Fällen — das sind 1,3 aufs Tausend — hat die Wahlprüfungskommission nur 50 für be⸗ weiserheblich erklärt, während die Rügen der übrigen Fälle mangels genügender Substantiierung oder aus formellen Gründen für unbe⸗ rechtigt erklärt worden sind. Da über die beweiserheblichen Tatsachen Beweis nur dann beschlossen wird, wenn das Beweisergebnis auf das Abstimmungsergebnis Einfluß haben kann, hat die Kommission nur in 22 Fällen Beweiserhebungen beschlossen. Diese Beschlüsse sind nicht sämtlich durch Beweiserhebungen erledigt worden, teils weil das Plenum die Wahl für gültig erklärt hat, teils weil die Wahlprüfung sich durch den Tod des Abgeordneten erledigt hat. In einem Falle stehen die Beweisergebnisse noch aus. Von den Beweiserhebungen, die hiernach in Betracht kommen, haben 10 nach dem Ausspruch der Wahlprüfungskommission ein negatives Ergebnis gehabt. Erwiesen sind nur 2 Fälle aus dem Jahre 1903, aus dem Jahre 1907 ist kein Fall erwiesen. Es entsteht nun die Frage, ob man unter diesen Umständen Be⸗ stimmungen über die Beschaffenheit der Wahlurnen treffen soll, wenn — und das möchte ich ausdrücklich betonen — nicht Sicherheit dar⸗ über besteht, daß man nun wirklich Vorschriften trifft, die nicht aus anderen Gründen Anlaß zu Schwierigkeiten bieten. Ich habe sämtliche Modelle von Wahlurnen durchprüfen lassen und besonders auch die vom Herrn Abg. Gothein empfohlene Siegfriedsche Wahlurne. Aber alle diese Wahlurnen haben den Mangel, daß sie nicht vollständig automatisch wirken, sondern daß, wenn in diesen Wahlurnen unter allen Umständen eine Schichtung verhindert werden soll, der Wahl⸗ vorstand in irgend einer Weise eingreifen muß, sei es, daß die Kurbel gedreht werden muß, sei es, daß geschüttelt werden muß oder daß andere Manipulationen vorgenommen werden müssen, die dann im Wahlreglement angeordnet werden müssen. Ich habe mich 8 der Frage ernsthaft angenommen. Wir haben im Reichs⸗ amt des Innern selbst angefangen zu konstruieren und versucht, ob wir die Frage vielleicht dadurch lösen können, daß wir, entsprechend dem Antrag des Freiherrn von Hertling, allgemeine Normativbestimmungen für die Wahlurne geben. Wir haben ein Gefäß konstruiert in Gestalt eines schmalen, hohen Holz⸗ kastens, der ungefähr so hoch ist wie ein Tisch. In einem solchen Kasten mischen sich allerdings vermöge seiner Höhe und seiner sonstigen großen Abmessungen die Wahlkuverte von selbst. Da kann Aber sobald ein solcher Kasten nicht die vor⸗
Dann könnten wir auch noch auf
Es ist reichlich so unanständig oder noch unanständiger, wenn
Doppelwahlen vorkommen, wenn für Leute, die überhaupt gar nicht Erla z 1 am Wahlorte anwesend gewesen sind, Stimmzettel abgegeben werden vom April vorigen Jahres — über die Genehmigung von öffentlichen und wenn dieselben Leute an mehreren Stellen wählen. (Zuruf: Das
st strafbar!) — Es wird mir zugerufen: dann werden die Leute be⸗
straft. Ich habe auch hierüber Ermittlungen anstellen lassen, und es hat sich herausgestellt, daß es nur in den allerseltensten Fällen möglich gewesen ist, den Schuldigen zu fassen oder zu überführen. welchem Umfang hier gesündigt wird, können Sie daraus sehen, daß bei einer Wahl — wenn ich nicht irre, in Bremen — festgestellt worden ist, daß 72 Personen ihr Wahlrecht ausgeübt haben, die mit unbekanntem Verbleib von Bremen verzogen waren.
Aber in
n (Hört, hört! echts.) Meine Herren, wir können uns ja überlegen, ob wir bei
Gelegenheit an eine Ausmerzung dieser Uebelstände herangehen sollen. Aber dann muß reiner Tisch gemacht werden.
Ich würde es auch icht für richtig halten, daß man einen solchen Versuch vor einem berlasteten Reichstage und kurz vor den Neuwahlen macht.
Was die kleinen Wahlbezirke betrifft, so ist die Frage, ob solche Man hat arauf aufmerksam gemacht, daß doch schließlich auch eine ganze Reihe on Wählern an den kleinen Wahlbezirken ein berechtigtes Interesse at, namentlich da, wo weite Wege zurückzulegen sind (Sehr richtig!
nd mehr durch das Land zu ziehen und ihr Wahlrecht auszuüben.
Aufzüge überhaupt nicht gestattet werden. Ich gebe mich also de
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
werden sollen.
8
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Wenn man also auf der einen Seite dadurch, daß man kleine Wahl⸗ bezirke verbietet, das Wahlgeheimnis schützt, so beschränkt man auf der anderen Seite Leute wiederum in der Ausübung ihres Wahlrechts, wenn man ihnen Wege zumutet, die sie nicht zurücklegen können, ohne sich schweren materiellen Schädigungen auszusetzen. (Sehr richtig“ rechts.) Ich möchte zu diesem Punkte und zu den vorhergehenden Punkten bemerken, daß ich meinerseits vor den nächsten Neuwahlen an die verbündeten Regierungen die ausdrückliche Bitte richten werde, diesen Fragen die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden und speziell dafür Sorge zu tragen, daß die mit der Ausführung der Wahlen betrauten Behörden darauf aufmerksam gemacht werden, daß als Wahlurnen nicht Gefäße verwandt werden sollen, die durch ihre Be⸗ schaffenheit, durch ihre Kleinheit oder aus anderen Gründen zu Miß⸗ bräuchen Veranlassung geben können, und daß auch sonst alles ge⸗ schehen soll, um das Wahlgeheimnis zu sichern. (Bravo! links und bei den Nationalliberalen.) Ich möchte hier, damit nicht noch eine Anfrage kommt, gleich uf etwas zurückkommen, was im vergangenen Jahre bei meinem Etat erörtert worden ist in bezug auf die Frage der Fristen, inner⸗ halb deren Ersatzwahlen vorzunehmen sind. Ich habe auch hier von Anregung einer gesetzlichen Regelung Abstand genommen, habe aber die einzelnen Bundesregierungen ersucht, Anordnung zu treffen, daß diese Ersatzwahlen, wenn nicht besondere Hindernisse entgegenstehen, in denselben Fristen erledigt werden, in denen die Neuwahlen nach einer Auflösung zu erfolgen haben. Von einer Anzahl von Bundes⸗ regierungen ist mir bereits die Mitteilung zugegangen, daß entsprechende Anordnungen ergangen sind. Damit kann ich die Fragen des Wahlgeheimnisses, der Wahl⸗ urnen usw. verlassen. Ich bin aber noch nicht fertig mit den An⸗ regungen, die mir der Herr Abg. Müller (Meiningen) gegeben hat. Der Herr Abgeordnete hat zu erfahren gewünscht, wie es mit dem Theatergesetz stünde. Meine Herren, es sind Aeußerungen der Bundes⸗ regierungen und der Interessentenverbände eingefordert worden, die bis auf die für die nächsten Tage in Aussicht gestellte Aeußerung Bayerns und eine nachträgliche Aeußerung des Bühnenvereins in⸗ zwischen eingegangen sind. Preußen hat bestimmte Vorschläge zu einschlägigen Vorschriften in der Gewerbeordnung gemacht, die dem⸗ nächst mit den Vertretern der Interessentenverbände mündlich erörtert
Also, meine Herren, wir haben mindestens eine bestimmte Grund⸗ lage für die Fortführung der Verhandlungen, und ich hoffe, daß auch diese Verhandlungen in nicht allzulanger Zeit zu einem befriedigenden Ergebnis führen.
Wenn nun aber der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) auch dem Wunsche Ausdruck gegeben hat, daß die Theaterzensur bei dieser
Gelegenheit geregelt werden möchte, so sind wir bisher aus wohl⸗ erwogenen Gründen der Ansicht gewesen, daß man diese Sachen nicht verquicken möchte. Die Theaterzensur liegt in den Händen der einzelnen
Bundesregierungen, und ich bin dementsprechend nicht in der
Lage, allgemein auf die Bundesstaaten oder auf Preußen dahin einzuwirken, daß die Theaterzensur nach dem von dem Herrn Abg. Dr. Müller (Meiningen) gebilligten und empfohlenen Muster von Bayern eingerichtet wird. Immerhin hoffe ich, daß die wichtige Frage des Theatergesetzes, soweit gewerbepolizeiliche Gesichtspunkte in Frage kommen, demnächst einer glücklichen Lösung entgegengeführt werden möchte.
Ich glaube, ich tue Ihnen einen Gefallen, meine Herren, wenn ich meine Aeußerungen für heute mit der Inaussichtstellung eines Theatergesetzes schließe. (Heiterkeit und lebhafter Beifall rechts, bei den Nationalliberalen und bei der fortschrittlichen Volkspartei.)
Abg. Brejski (Pole): Wir sind ja in dieser Session allerdings mit einer Masse sozialpolitischer Maßnahmen in der Reichsversicherungs⸗ ordnung bedacht worden; aber es wird damit kein Fortschritt ge⸗ macht, es werden dem Lande neue Lasten zugemutet, fast jeder Forde⸗ rung des Reichstags wird ein „Unannehmbar“ von der Regierung gegenübergestellt, und die Rechte der Arbeiter werden nicht gewahrt.
Auch die Ausführung der bestehenden sozialen Gesetze läßt sehr viel zu wünschen übrig; ganz besonders in den polnischen Landes⸗ teilen werden zahlreiche Klagen darüber laut. (Der Redner führt eine lange Reihe von Einzelfällen an aus dem Gebiete der Kranken⸗ und Invalidenversicherung.) Auch die ecracrs rserf muß von Reichs wegen gefördert werden. Bisher geschieht in den Bundes⸗ staaten hierfür nicht genug, und es wird damit die Politik verqutckt. Das preußische Ansiedlungsgesetz verdrängt die Polen von der heimischen Scholle und treibt sie nach dem Westen, nach den Berg⸗ werken. Der Ministerialdirektor Thiel hat sich nicht gescheut, zu sagen, Westfalen werde von polnischen Elementen durchseucht. Diese Aeuße⸗ rung muß ich im Namen der polnischen Bevölkerung als eine Un⸗ verschämtheit bezeichnen. (Präsident: Sie dürfen einem Beamten nicht Unverschämtheit vorwerfen; ich rufe Sie zur Ordnung!) Die Lage der Bevölkerung wird auch durch das Steigen der Fleischpreise verschlechtert. Sie führt zu einer Unterernährung. Daran sind auch die niedrigen Löhne schuld, die den Fleischkonsum verringert haben. Je höher in einem Lande die Arbeitslöhne, um so größer ist der Fleischkonsum. Daher entfällt denn auch auf England auf den Kopf der Bevölkerung der größte Fleischkonsum. Leider haben die Unter⸗ nehmer die Arbeitsnachweise monopolisiert. Wenn der Abg. Strese⸗ mann mit Recht den sozialdemokratischen Gewerkschaftsterrorismus verurteilt, so müßte er mit noch größerem Recht die Arbeitgeber⸗ nachweisstellen verurteilen. Der politische Kampf um die Ver⸗ besserung ihrer wirtschaftlichen Lage wird den Arbeitern sehr erschwert. Die polnischen Arbeiter haben es nicht gewagt, bei den Kommunal⸗ wahlen in Posen einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Solche, die einen mißliebigen Kandidaten unterstützen würden, würden gena. regelt. Das Koalitionsrecht der Arbeiter wird in ungehöriger Weise beschränkt, namentlich leiden darunter die polnischen Vereine. Meine Befürchtungen, daß Drtegruxven einer polnischen Berufsvereinigung als geschlossene Vereine behandelt werden könnten, ist eingetroffen. Die Posener Polizei behandelt die polnischen Berufsvereini⸗ ungen als eine politische Organisation. Das ist eine offenbare Gese esverletzung. Schon die bloße Existenz der polnischen Beüesvrktieeungen soll nach einer Gerichtsentscheidung genügen, den
Zweite Beilage
en Neichsanzeiger und Königlich Preußischen S
Berlin, Dienstag, den 14 Mürz
unehrlicher ist es, daß die Arbeitgeber ihre Arbeiter zwingen wollen, diesen Gewerkschaften beizutreten. Die polnischen landwirtschaft⸗ lichen Vereine werden nicht minder bedrängt und schikaniert. Der Ge⸗ brauch der polnischen Sprache wird in ihren Versammlungen verboten. Das Vereins⸗ und Versammlungsrecht wird von den preußischen Landräten den Polen gegenüber in der Weise gehandhabt, wie es Sonnabend der Abg. Müller⸗Meiningen gerügt hat. Der Sprachen⸗ paragraph wird natürlich in der rigorosesten Weise gehandhabt. Wie wir es vorausgesagt haben, wird der Prozentsatz der polnischen Bepölkerung möglichst unter 60 % angegeben, um ein Verbot der polnischen Sprache in Versammlungen zu ermäöglichen. Die politische Polizei bemüht sich, den polnischen Vereinen die Säle abzutreiben, wie dies besonders in Posen geschehen ist. Statuten polnischer Vereine hat die Polizei in verschiedenen Orten stempelpflichtig ge⸗ macht! Diesem Unfug sollte die Regierung ein Ende machen. Für Arbeiterlustbarkeiten polnischer Vereine werden ungewöhnlich hohe Steuern erhoben, indem man sie für öffentliche Lustbarkeiten er⸗ klärt. Das ist eine Ausplünderung armer polnischer Arbeiter. In Altenessen besteht ein polnischer Rosenkranzverein. Er feierte die Fahnenweihe. Ein Kriminalkommissar aus Essen bewarb sich beim Vorstand darum, der Feier beizuwohnen. Darauf denunzierte er den Verein als einen öffentlichen und weil Polnisch gesprochen sei. Der Vorsitzende und der Pater, die in der Versammlung ge⸗ sprochen hatten, kamen auf die Anklagebank. Der letztere wurde zwar freigesprochen, der Vee. aber mit 10 ℳ bestraft. Dieser Fall zeigt, wie verwerfliche Mittel die Polizei anwendet. Sie scheut vor Korruption und Spionage nicht zurück unter dem Vorwand, daß wir Polen gefährlich seien. Wie ich gezeigt habe, genügt 8 schon die Existenz der polnischen Vereine dazu, se für staatsgefährlich zu er⸗ klären. Mit solchen Velleitäten muß hier und in Preußen gebrochen werden.
Abg. Rieseberg (wirtsch. Vgg.): Ueber den Vorwurf un⸗
genügender Landwirtschaftsfreundlichkeit darf sich der Abg. Stresemann nicht beklagen. In dem Moment, wo man Wahlbündnisse mit Frei⸗ händlern schließt, ist man einem solchen Vorwurf mit Recht aus⸗ gesetzt. Wir haben alle Ursache, in der Wahlbewegung darauf hin⸗ zuweisen, daß die nationalliberalen Wähler nur ihre Pflicht tun, wenn sie den unterstützen, der sich die Förderung der Landwirtschaft an⸗ gedeihen läßt. Wer es gut mit der Landwirtschaft meint, darf keinen Sozialdemokraten wählen. Mit den Weltausstellungen haben wir üble Erfahrungen gemacht. Der Nutzen entsprach in keiner Weise den Aufwendungen. Wenn wir die Regierungsforderung im Etat unter⸗ stützen, so tun wir genug. Die Ausfuhrziffern für Portugal beweisen, daß wir recht taten, dem Handelsvertrage zuzustimmen. In den Wirtschaftlichen Ausschuß müssen auch Handwerker und Klein⸗ industrielle berufen werden. Mit tiefem Bedauern erfüllt es uns, daß man wiederum unsere Steinindustrie der schwedischen Konkurrenz preisgibt. Wissen denn die Herren im Wirtschaftlichen Ausschuß nicht, welche unendlichen Summen dabei in Frage kommen? Mit den vielgepriesenen Tarifverträgen muß man vorsichtig sein, nachdem Rexhäuser sie als ein Mittel bezeichnet hat, um allmählich in den Zukunftsstaat hineinzuwachsen. Vorläufig ist ja das iel der Sozialdemokraten erst die konstitutionelle Fabrik. Aber als reese eine solche einrichtete, hat die Sozialdemokratie seine guten Ab⸗ ichten zu nichte gemacht, weil sie eben wirklich zufriedene Arbeiter nicht haben will. Wenn Sie (zu den Sozialdemokraten) sagen, der Reichstag hat in der Sozialpolitik nichts geleistet, was haben Sie denn geleistet? Sie haben Anträge gestellt, von denen Sie von vornherein wußten, daß eine Mehrheit dafür nicht zu haben war. Der Abg. Stadthagen hat ja in Rummelsburg erklärt, unsere Hauptaufgabe im Parlament ist nur, Anträge zu stellen, um nach außen agitorisch zu wirken. (Fort⸗ währende Unterbrechungen von den Sozialdemokraten. Vizepräsident Schultz bittet, den Redner nicht unaufhörlich zu unterbrechen) Für die Sozialpolitik wird uns die Arbeiterschaft vielleicht doch noch einmal dankbar sein. Wir verlangen den Befähigungs⸗ nachweis für Drogisten und Zahntechniker, natürlich wünschen wir auf der anderen Seite auch, daß man den Leuten, die für ihre Ausbildung so viel ausgegeben haben, möglichst weitgehende Rechte einräumt. Wir freuen uns, zu beobachten, daß der Gedanke des Be⸗ fähigungsnachweises immer weiter um sich greift, und daß er selbst bis in die Kreise der Maschinenheizer eingedrungen ist. Ferner ver⸗ langen wir eine Aenderung des § 1 G.⸗O. Es ist nicht angängig daß jemand ein Geschäft, wie dies vorgekommen ist, auf den Namen seines 13jährigen Sohnes eintragen läßt, oder daß jemand nach einem Bankrott von neuem ein Geschäft auf irgendeinen anderen Namen eröffnet. Die Wanderlager findet man nicht da, wo keine Kaufgelegenheit ist, und wo sie etwas nützen könnten, sondern nur in den großen Städten. Sie können nicht riskieren, noch ein zweites Mal an demselben Orte wieder zu er⸗ scheinen. Wir verlangen ferner Einführung des zweiten Teiles des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen, denn die Zustände sind unhaltbar geworden. Hoffentlich kommt die bevorstehende Konferenz nunmehr zu einer Einigung über die Abgrenzung zwischen Handwerk und Fabrik. Die Bäckereibetriebe müssen auch da, wo sie nur Nebenbetriebe von Restaurations⸗ und anderen Unter⸗ nehmungen sind, unter die Bäckereiverordnung fallen. Die Drang⸗ salierung der Arbeitswilligen ist bekannt. Man glaubt, in einem ge⸗ knechteten Staate zu leben. Wer unter dem Bopkott gelitten hat wie ich persönlich, weiß, was für eine gefährliche Waffe er ist. Den Privatversicherungsentwurf betrachten wir als eine brauchbare Grundlage, bitten aber um baldige Einbringung dieser Vorlage. Die in Aussicht genommene Konferenz sollte nicht wieder vertagt werden; mögen darin deutsche Handwerker sitzen, die die Interessen des Handwerks wirklich wahrnehmen!
Abg. Bruhn (d. Rfp.): Gegen die mittelstandsfeindlichen Warenhäuser muß endlich energisch mit einer durchgreifenden Reichs⸗ steuer vorgegangen werden. Diese Erkenntnis bricht auch in freisinnigen gewerblichen Kreisen durch. Gegen die Uebermacht des Großkapitals muß das Handwerk durch Einführung des vollen Befähigungsnachweises geschützt werden. Die Konferenz zur Abgrenzung der Begriffe Fabrit und Handwerk wird hoffentlich zum Ziel führen; die Verpflichtung der Fabrikbetriebe zur Beitrags⸗ leistung für die Lehrlingsausbildung ist durchaus notwendig. Ohne die Inkraftsetzung des zweiten Teils bleibt das Bauhandwerkerschutz⸗ gesetz ein Schlag ins Wasser. Nur die Zwangsversicherung, nicht die Selbstversicherung kann dem Handwerk helfen. Das Privat⸗ beamtenversicherungsgesetz sollte noch von diesem Reichstage ver⸗ abschiedet werden. as Reichsviehseuchengesetz wird vielfach, so hinsichtlich der Sperre einzelner Gehöfte, in allzu rigoroser und oft geradezu schikanöser Weise ausgeführt. Für seine weiteren Aus⸗ führungen gegen das Handwerk und Gewerbe ruinierende jüdische Kapital benieht sich Redner wiederholt auf Zitate von Werner Sombart, wobei er vom Vizepräsidenten Schultz wiederholt auf das eigentliche Verhandlungsthema zurückverwiesen wird.
Um 8 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Dienstag 1 Uhr vertagt.
anzeiger
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(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen und Unterrichtsange⸗ legenheiten im Kapitel „Elementarunterrichts⸗ wesen“ fort. Die Titel, welche die Ausgaben für die Schulaufsicht enthalten, werden in der Diskussion verbunden. Dazu beantragt die Budgetkommission:
I. die Regierung zu ersuchen, in Erwägung darüber einzutreten, wie auch bei vermehrter Einführung der Rektbren an Volksschulen der Einfluß der Kirche auf die Schule sicherzustellen ist; II. die Petition um Uebertragung der Schulaufsicht nur an Fachmänner der Regierung als Material zu überweisen. 1 Die im Etat geforderten 14 neuen hauptamtlichen Kreisschulinspektorenstellen sind von der Kommission be⸗ willigt worden, darunter nachträglich auch die vorher abgelehnte Stelle in Rinteln. 6 Ein Antrag der Abgg. Hoff und Genossen (fortschr. Volksp.), die Regierung aufzufordern, die notwendigen Maß⸗ nahmen zu treffen, um a. die geistliche Ortsschulinspektion auf⸗ zuheben, b. mit tunlichster Beschleunigung die nebenamtliche Kreisschulinspektion durch die hauptamtliche zu ersetzen und hier⸗ für in erster Linie im Dienst der Volksschule erfahrene Männer zu berufen, wird auf Antrag des Abg. Freiherrn von Zedlitz und Neukirch (freikons.), mit dem sich der Abg. Hoff ein⸗ verstanden erklärt, vorläufig aus der Debatte ausgeschieden. Abg. Hoff (fortschr. Volksp.): Gegen die von der Kommission empfohlene Resolution, der Kirche unter allen Umständen den Ein⸗ fluß auf die Schule zu sichern, müssen wir ganz entschieden Stellung nehmen; wir erblicken darin einen Vorstoß des Zentrums, dem von liberaler Seite einmütiger Widerstand entgegengesetzt werden muß. Die Durchführung der weltlichen Kreisschulinspektion war ja ei Hauptpunkt des Holleschen Programms; leider hat Herr Holle nicht lange Gelegenheit gehabt, sich die Durchführung angelegen sein zu lassen. Wir müssen wünschen, daß auch der jetzige Minister hier rascher vorgeht; 14 neue Stellen bei 327 erforderlichen bedeuten sehr wenig; sie ermöglichen nur ein Schneckentempo, und es würden noch mehrere Jahrzehnte vergehen, bis das Prinzip überall in die Praxis übertragen ist. Bei Neubesetzung der Kreisschulinspektoren muß in erster Linie auf solche Männer zurückgegriffen werden, welche im Dienst der Volksschule erfahren sind; dieses Verlangen hat auch einmütig der katholische Lehrerverein erhoben. Aus welchen Wirkungskreisen die Kreisschul⸗ inspektoren stammen, darüber hat man früher eine amtliche Statisti regelmäüßig veröffentlicht; diese ist auffallenderweise neuerdings unter⸗ bliebens. Erfahrungen darüber, daß auch die seminaristisch gebildeten Lehrer sich vorzüglich zu Kreisschulinspektoren eignen, brauchen doch wirklich nicht noch gesammelt zu werden. Was die Ortsschul⸗ inspektion betrifft, so scheint in dem Regierungsbezirk Erfurt eine eigentümliche Praris befolgt zu werden. Ein Geistlicher der, nachdem für die betreffende Schule ein Hauptlehrer ernannt war, die Ortsschulinspektion niederlegte, wurde von der Regierung auf gefordert, auch den Vorsitz in der Schuldeputation niederzulegen; sind diese Vorgänge dem Minister bereits bekannt und billigt er sie? Die Sache sieht doch etwas nach einer Maßregelung aus. In dem Regierungsbezirk Trier bestehen zahlreiche mehrklassige Schulsysteme mit Rektoren an der Spitze; trotzdem wird dort immer noch die geistliche Ortsschulinspektion aufrecht erhalten. Gerade aus katholischen Lehrerkreisen kommen hier die Beschwerden. In dem Schulunterhaltungsgesetz sind ja die konfessionellen Verhältnisse ohnehin weit über Gebühr berücksichtigt worden; das Bestreben geht besonders darauf hin, ganz ohne Rücksicht auf die der andern Konfession angehörige Schülerminorität auf jeden Fall zu ver⸗ hindern, daß ein paritätisches Lehrerkollegium vorhanden ist. Darum muß diesem neuen Vorstoß der Kirche, weitere Rechte zu erwerben, aufs schärfste entgegengetreten werden. Wenn jetzt die Konservativen diesen Antrag des Zentrums unterstützen, so er⸗ scheint mir das als ein Bruch des Schulabkommens von 1904. Unter dem „Handinhandgehen“ von Kirche und Schule verstehe ich, daß Kirche und Schule gleichberechtigt nebeneinander stehen, nicht aber, daß die Schule die Dienerin, die Kirche die Herrin ist. Die geistliche Orts⸗ schulinspektion liegt heute weder im Interesse der Schule, noch der Kirche, noch der Schüler. Von einem „historischen“ Recht der Kirche auf die Schule kann, zumal in Preußen, unserer Ueberzeugung nach keine Rede sein; auch D. Hackenberg hat aus demselben Gesichts⸗ punkte in einem sehr lesenswerten Vortrage dargelegt, daß man für die Aufrechterhaltung der geistlichen Ortsschulinspektion nicht mehr eintreten kann. Daß die Schule eine Tochter der Kirche sei, ist eine auf ganz falschen Voraussetzungen beruhende Annahme. Die ältere preußische Volksschule ist das Werk weitblickender Könige, das Werk der Fürsorge des Staates und der Opferfreudigkeit der Gemeinden. Das ausschließliche Recht des Staates auf die Schulaufsicht stand schon längst fest, bevor es in dem Gesetz von 1872 noch besonders festgelegt wurde. Die preußische Volksschule ist von als Staatsanstalt gedacht, und der Staat hat sich unbedingt das Aufsichtsrecht vorbehalten. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn die Schule selbständig auf eigene Füße gestellt wird. Sie muß unter der Verantwortung derjenigen stehen, die die Erziehungsarbeit zu leisten haben. Für eine Zwangsaufsicht liegt nicht das mindeste Bedürfnis vor; der Lehrer wird dadurch nur eines Teiles seiner Verantwortung entkleidet. Die geistliche Orts⸗ schulaufsicht ist weder ein Segen für die Schule noch für die Kirche. Wenn erwidert wird, was dann aus den jungen Lehrern werden soll, die eine einklassige Schule haben, so muß ich
darauf sagen: junge Lehrer gehören überhaupt nicht an eine solche Schule hin. Gerade der Antimodernisteneid macht die Beseitigung der geistlichen Schulaufsicht unbedingt notwendig. (Präsident von Kröcher: Dieser Antimodernisteneid gehört zur allgemeinen Debatte!) Ich wollte auf den Antimodernisteneid auch nur so weit eingehen, als Konsequenzen für die Schulaufsicht aus dem Bestehen dieses Eides zu ziehen sind. Die Bindung ist so weit⸗ gehend, daß es ganz unmöglich erscheint, daß ein Mann, der unter diesem Eide steht, zugleich die staatliche Aufsicht auszuüben in der Lage ist. Die innere Natur des Amtes eines Schul⸗ inspektors läßt dies für ganz unmöglich erscheinen. Niemand kann zween Herren dienen. Ein Schulinspektor, der den Modernisteneid eschworen hat, wird sich immer auf die Seite des Papstes stellen müssen. Die Würde des Staates 9 es, daß hier ein entscheidender Schritt vorwärts getan wird. Interessant war die Mitteilung der „Kreuzzeitung“, daß der Gesandte in Rom deshalb nicht gehört worden sei, weil er nicht Katholik sei. Die Kurie verhandelt also nicht mit einem Protestanten! Die Re⸗
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