kommen will, daß sie zwar die höhere Schule in gewissem Maße sicherstellt, daß sie aber die Volksschulen schutzlos sein laßt. Wer von Rom ißt, der stirbt daran; das wird auch für die Konservpativen gelten, die mit dem Zentrum Arm in Arm wandeln. Die Reibungs⸗ lächen zwischen Staat und Kirche werden beseitigt werden, wenn ein charfer Schnitt zwischen Schule und Kirche gemacht wird. Alg. Dr. Dittrich (Zentr.): Nach der Rede des Abg. Hoff muß ich noch etwas ausführlicher werden, als ich mir vorgenommen habe. Dem Antrag Hoff muß ich mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Präsident von Kröcher macht den Redner darauf aufmerksam, daß dieser Antrag nicht zur Debatte stehe.) Auf das, was der Abg. Hoff über den Einfluß des Antimodernisteneides und die Ausübung der eistlichen Schulinspektion gesagt hat, brauche ich wirklich nicht näher inzugehen. Die Frage des Antimodernisteneides ist für uns erledigt. Ich möchte überhaupt bezweifeln, ob dem Abg. Hoff klar ist, was Modernismus ist. Gegenuüͤber der Forderung der Unterrichtsverwaltung, die Kreisschulinspektion weiter auszubilden, werden wir uns auch veiterhin ablehnend verhalten, wenn wir auch nicht eine besondere Abstimmung beagntragen werden. Wir halten die geistliche Orts⸗ chulinspektion für durchaus notwendig. Die geistliche Schulaufsicht ist historisch begründet; das muß ich gegenüber den Ausführungen des Abg. Hoff energisch betonen. Die deutsche Schule leitet ihren Ursprung auf die Zeit Karls des Großen zurück. Karl der Große hat aber keine Schule begründet, sondern den Klöstern und Orden die Verpflichtung auferlegt, Schulen zu ründen. Unsere Haltung richtet sich nicht gegen die Person der Rektoren; wir erkennen die Arbeit aller Lehrer, auch der Rektoren, an. Aber wir können darum nicht ein Prinzip auf⸗ das wir für das allein richtige halten. Die Haltung 8 und Lehrervereine kann uns auch zu keiner anderen Meinung bringen. Die Aufgaben der Schule sind so zahlreich, mannigfaltig und ihrer Natur nach so verschieden, daß sehr wohl eine Teilung der Befugnisse von Rektor und geistlichem Ortsschul⸗ inspektor stattfinden könnte. Es müßte der Regierung möglich sei die Befugnisse zwischen Rektor
einen Weg zu finden, um ind geistlichem Ortsschulinspektor so abzugrenzen, daß der Orts⸗ pfarrer und der Rektor nebeneinander und miteinander segens⸗ voll an der Volksschule wirken können. Im Regierungsbezirk Trier besteht ja das Rektorensystem, trotzdem es dort noch geistliche Orts⸗ schulinspektoren gibt. Wenn der Abg. Hoff auch auf die Ansicht katholischer Rektoren hingewiesen hat, so ändert das doch nichts an der Tatsache, daß es dort ganz gut geht. Daß der Geistliche in den Schulvorständen sitzt, genügt nicht. Was soll ein Geistlicher dort, wenn die Schulvorstände, wie es vor⸗ kommt, nur alle drei Jabre einmal zusammentreten? Ebenso ist es mit dem Einfluß des Geistlichen in den Schuldeputationen der großen Städte. Man sagt, es genügte, wenn die Religionsgemeinschaften Aufsicht über den Religionsunterricht hätten. Was nützt dieser Einfluß, wenn in anderen Fächern wieder alles nieder⸗ gerissen wird, was im Religionsunterricht aufgebaut worden ist Wir müssen fordern, daß der religiöse und christ⸗ Geist den gesamten Unterricht durchdringt. Wenn auch Schule eine Veranstaltung des Staates sein soll, so gehört doch mindestens zu dem Grenzgebiet zwischen Kirche und Staat. Auf diesem Grenzgebiet muß stets eine Verständigung wischen Staat und Kirche stattfinden unter Anerkennung der beider⸗ seitigen Rechte. Die Kirche verlangt auf diesem Gebiet einen Platz an der Sonne und namentlich die Mitwirkung an der religiösen Unterweisung und Erziehung der Kinder. Mehr verlangen wir nicht, aber auch nicht weniger.
Abg. Dr. von Campe (nl.): Die Stellung meiner Freunde ist so klar und präzise, daß ich mich auf wenige Worte beschränken kann. Wir verlangen, daß mit der hauptamtlichen Kreisschulinspektion wirklich Ernst gemacht wird. Im Interesse der Schule müssen Per⸗ sönlichkeiten in dieses Amt hineinkommen, welche ihrer Aufgabe voll⸗
kommen gewachsen sind. Tagtäglich wachsen die Aufgaben der Kreisschul⸗ inspektoren. Gerade dieses Amt ist wichtig auf dem Gebiete der Schule. Was im Kreise der Landrat ist, ist in der Schule der Kreisschulinspektor. Ich verkenne nicht, Geistlichen sich mit der ihnen eigenen Pflichttreue dieser Apfgabe mterzogen und ihre Pflicht erfüllt haben, aber eine culpa ist es, ein Amt zu übernehmen, wenn man ihm nicht ganz gewachsen ist. Wir müssen in dieses Amt Männer bringen, die ihre ganze Arbeitskraft dem Amte widmen können und es nicht bloß so neben⸗ ei versehen. Wir wünschen deshalb ein rascheres Tempo mit der Umwandlung der nebenamtlichen Kreisschulinspektoren in haupt⸗ amtliche. Das bisherige Tempo ist ein Schneckentempo. Wir ver⸗ langen nicht gerade ein Automobiltempo, aber zwischen beiden Grenzen gibt es noch ein mittleres Tempo, das wir wünschen. Man hat sich schon etwas rascher bei der Teilung der Kreisschul⸗ inspektion in Potsdam entschlossen. Warum geht es nicht auch in anderen Fällen, warum immer wieder und wieder diese Hemmnisse? Bei der Begründung neuer hauptamtlicher Stellen wird man niemals Gründe angeben können, die jeden überzeugen können, sondern es muß ein gewisses Vertrauen auf die Angaben der Personen herrschen, die die örtlichen Verhältnisse kennen. Die geistliche Ortsschul inspektion kann auch beseitigt werden. Auch in Synoden und unter en Geistlichen gibt es Stimmen in diesem Sinne. Es gibt hier Reibungsflächen, die wir am besten vermeiden sollten. Mancher Lehrer würde den Rat des Geistlichen viel lieber befolgen, als venn dieser kraft seines Amts zu ihm spricht. Es liegt im Interesse des Schuldienstes, wenn eine andere Einrichtung getroffen würde; um eine Lockerung der Bande zwischen Kirche und Schule ndelt es sich gar nicht, sie ist nirgends zu befürchten. Die Stellung der Schule ist in der Verfassung gegeben. Die Schule ist danach eine Veranstaltung des Staats, und daran verden wir nicht rütteln lassen; die Kirche hat nach der Verfassung die Leitung des Religionsunterrichts, und in diesem Rahmen wollen vir uns bewegen. Man kann keine Tatsache angeben, daß eine Gefahr für die Kirche oder die christliche Erziehung der Kinder orliegt. Die Regierung muß aber dafür sorgen, daß ihre Erlasse, die sie herausgibt, nicht auf dem Papier stehen bleiben, sondern befolgt werden. Der Antrag des Zentrums, daß bei der Vermehrung des Rektorensystems der kirchliche Einfluß gewahrt werden soll, wirft geradezu die Befürchtung in das Volk, daß der kirchliche Einfluß gefährdet sei. Da davon keine Rede sein kann, können wir auch in der auf Antrag der Konservativen von der Kommission beschlossenen abgeschwächten orm, daß die Regierung in Erwägungen eintreten soll, wie der kirch⸗ liche Einfluß gesichert werden kann, dem Antrag nicht zustimmen. Wir erkennen die katholisch⸗ultramontane Auffassung nicht an, daß 2 Kirche ein historisches Recht auf die Schule habe. (Zwischenruf rechts.) Nein, es ist nicht evangelische Auffassung, sondern nur katholische, daß die Kirche ein Recht auf die Schule habe. Sagt och das Zentrum, der Geistliche habe nicht allein den Religions⸗ interricht zu leiten, sondern auch darüber zu wachen, ob in den anderen Fächern der sittlich⸗religiöse Geist herrsche. Diese Forderung beweist, daß unser Vorwurf in der Kommission, daß der Antrag zuf die Klerikalisierung der Staatsschule hinauslaufe, durchaus be⸗ echtigt war. Ich bin neugierig, ob die Konservativen die Hand ur Klerikalisierung der Schule bieten werden.
Abg. Graf Clairon d' Haussonville (kons.): Da die Kreisschulinspektoren oft mit 50 Jahren und darüber in dieses lmt kommen, so möchte ich den Minister bitten, durch Bei⸗
oder Zulagen dafür zu sorgen, daß diese Herren etwas
üher in den Besitz des Höchstgehalts kommen. Bei dem Antrag
er Kommission handelt es sich in keiner Weise um die Klerikalisie⸗
ung der Schule. Wir stehen auch heute noch auf dem Standpunkt,
daß wir bei dem Rektorensystem den kirchlichen Einfluß nicht ganz usgeschaltet wissen wollen. Wie das zu machen ist, ist Sache des
Ministers, und deshalb haben wir zu dem Zentrumsantrag die Fassung beantragt, daß die Regierung Erwägungen darüber nstellen möge. Das Rektorensystem hat den ursprünglichen
Plan für die Entwicklung der Schulen wesentlich verändert. Das Rektorensystem galt zunächst für die Städte, hat sich aber
daß eine ganze Reihe von
infolge der Bevölkerungszunahme in den Industriezentren auf das Land ausgedehnt. Wir sehen darin eine Gefahr, wenn die Kirche nicht mehr von Rechts wegen die Schule beeinflussen kann. Der Abg. Hoff verlangt Trennung von Kirche und Schule, die Stellung meiner Freunde ist immer konsequent diametral entgegengesetzt gewesen; wir wünschen, daß Kirche und Schule Hand in Hand zum Segen der Jugend und des Volkes zusammen⸗ gehen. Ich lasse mich auf die Frage nicht ein, welche von beiden die stärkere ist, wir wünschen lediglich ein Zusammenarbeiten beider. Der Abg. Hoff meint, das Volk würde uns auf unsere Haltung die rechte Antwort geben, aber wir werden fest und unbeirrt unseren Weg weitergehen, weil es sich um ein Prinziy handelt, von dem wir niemals abgehen wollen. Die Frage des Anti⸗ modernisteneibes sollte der Abg. Hoff noch einmal durchdenken. Wir wünschen auch die Reibungsflächen zwischen Schule und Kirche mög⸗ lichst zu beseitigen, aber wir können nicht die Hand dazu bieten, daß die Reibungsflächen dadurch beseitigt werden, daß die Kirche ganz ousgeschaltet wird. Unsere Unterstützung des Zentrumsantrags ist nicht ein Bruch des Schulkompromisses von 1904, denn die Konfessionalisierung spielte damals nicht mit. Gegen die neue hauptamtliche Kreisschulinspektorstelle in Rinteln haben wir uns zuerst ablehnend verhalten und stimmen jetzt dafür. Wir haben nämlich nicht den Wunsch, das Tempo der Umwandlung der nebenamtlichen Kreisschulinspektion in die hauptamtliche außer⸗ ordentlich zu beschleunigen, und zu unseren grundsätzlichen Bedenken gegen die Ausschaltung der Geistlichen von der Kreisschul⸗ inspektion kommt noch die Befürchtung hinzu, daß ein Mangel an ge⸗ eigneten Persönlichteiten eintreten wird, wenn das Tempo überstürzt wird. Zu Kreisschulinspektoren dürfen nur besonders tüchtige Persönlich keiten gemacht werden, die Herz und Interesse für die Schule und auch für die Lehrer haben, die auch Freunde und Berater der Lehrer sein können. Nach den Erklärungen, die uns in der Kommission gegeben worden sind, werden wir in der Lage sein, für den Kreis⸗ schulinspektor in Rinteln zu stimmen. Man hat uns wegen unserer Stellungnahme gegen die Hinzuziehung von Lehrern zum Schöffen⸗ oder Geschworenenamte angegriffen. Die Lehrer befanden sich bei diesem Ausschluß aber in der allerbesten Gesellschaft. Wir hatten diesen Standpunkt nicht eingenommen, um die Lehrer zurückzusetzen, sondern nur im Interesse der Schule, besonders der einklassigen Schulen, die dann ganz geschlossen werden müßten. Da aber die Lehrer in ihrer Allgemeinheit und in einheitlicher Weise den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, daß sie zu dem Amte hinzugezogen sein wollen, haben wir geaglaubt, uns nicht länger diesem Wunsche ver⸗ schließen zu können. Für wünschenswert halten wir es auch, daß an einklassigen Schulen nicht junge Lehrer tätig sind. Aber wir können doch schließlich nicht alle jungen Lehrer in die Städte bringen und die älteren Herren, die wegen ihrer Kinder und ihrer Familie besondere Berücksichtigung verlangen, auf dem Lande lassen. (Zuruf links: Vorübergehend!) Wer sich an die Stadt gewöhnt hat, geht nicht gern wieder auf das Land. Meine Freunde werden für den Kommissionsantrag stimmen und werden auch die neuen hauptamtlichen Kreisschulinspektorenstellen annehmen.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Die Stellung der Parteien über die grundsätzliche Frage der geistlichen oder fachmännischen Schulaufsicht ist nach allen Richtungen voll⸗ ständig klar, sodaß ich nichts weiter hinzuzufügen habe. Was die vorliegenden Anträge anbetrifft, so sind wir uns darüber klar, daß wir die 14; neuen hauptamtlichen Kreisschul⸗ inspektoren nach dem Antrage der Budgetkommission annehmen. Wir haben nicht nötig, unserseits einen Wechsel der Anschauungen näher zu begründen, wie der Vorredner. Den Antrag, daß Erwägungen angestellt werden sollen, wie auch bei vermehrter Einführung der Rektoren an Volksschulen der Einfluß der Kirche auf die Schule Uüecgrstee ist, werden wir ablehnen; wir haben die Gründe dafür bei der allgemeinen Besprechung ausführlich dargelegt. Wenn man als Gegner der geistlichen Schulaufsicht die Frage der Umwandlung in die Fachaufsicht lösen will, so ist es das Alleerverkehrteste, Er⸗ örterungen herbeizuführen, wie sie der Antrag Hoff veranlaßt hat. Die Gegner werden in ihrer grundsätzlichen Gegnerschaft dadurch nur noch fester gemacht. Der einzige Weg, wie man zum Ziele kommen kann, ist der, daß man die Dezentralisation der Schul⸗ vérwaltung fordert. Wenn aber die Herren von links sich so dagegen sträuben, dem Landrat auch auf dem Gebiete der Schule die Stellung su⸗ schaffen, die unbedingt notig ist, so schädigen sie nur ihre Ab⸗ ichten.
Abg. Schwarze (Zentr.): Der Abg. von Campe erkennt an, daß die Schule von religiösem Geiste durchdrungen sein muß. Dann muß man aber auch die geistliche Schulaufsicht aufrecht erhalten. Seine Stellung ist also völlig inkonsequent. Der Ministerpräsident hat gesagt, daß die Oberlehrer, die den Antimodernisteneid geschworen haben, nicht Geschichte und Deutsch lehren sollen. Jetzt kommt der Abg. Hoff und fordert sogar, daß Geistliche, die den Antimodernisten⸗ eid geschworen haben, nicht Ortsschulinspektoren sein können. Gerade in den großen Städten ist es nötig, daß die Geistlichen eine engere Fühlung mit der Schule behalten. Wenn Sie uns das Recht auf die Erteilung des Religionsunterrichts, das uns im Allgemeinen Land⸗ recht gewährleistet ist, erhalten wollen, dann dürfen Sie nicht die geistliche Ortsschulinspektion beseitigen wollen. Die Kirche hat ein Recht auf die Schule.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Wir halten es für unmoralisch, die Schulaufsicht zu politischen Zwecken zu mißbrauchen. Wir wollen an der Schule praktisch mitarbeiten, aber man hat uns von der Mit⸗ arbeit im kleinen immer auegeschlossen. Im Schulaufsichtswefen macht sich eine außerordentliche Kleinlichkeit geltend, die sich auch bei der Zulassung der Frauen zu den Schulkommissionen gezeigt hat. Bis zum heutigen Tage ist die Zuziehung der Frauen eine sehr spärliche. Die Herren vom Zentrum treten in der Frage der geistlichen Schul⸗ aufsicht sehr selbstbewußt auf. Das können sie ja auch, weil die größte Partei des Hauses ihnen Schleppenträgerdienste leistet. Das Ziel des Zentrums ist die volle Unterjochung der Schule unter die Kirche. Die protestantische Klerikalisierung der Schule ist für uns gleichwertig mit der katholischen Klerikalisierung. Die Bestrebungen des Zentrums marschieren, aber das Licht, das das Zentrum verbreiten will, ist nicht das Licht der Sonne, sondern ist in Wahrheit die Finsternis. Das Zentrum will die Lehrer beseitigt haben, die einmal an sozialdemokratischen Ver⸗ sammlungen teilgenommen haben; die Lehrer, die vielfach selbst aus den niederen Kreisen der Bevölkerung hervorgegangen sind, haben die Bedürfnisse und die Not des Volkes erkannt. In dem Fall der Beleidigung des Lehrers Reppin durch den Kreisschulinspektor Schreyer, der kürzlich das Lauenburger Schöffengericht be⸗ schaftigte, kam zur Sprache, wie der Kreisschulinspektor den Lehrer mit Schimpfreden wie ein Fischweib angefahren hat; das konnte er nur, weil er wußte, daß er die vorgesetzte Behörde hinter sich habe. Die Erteilung von Unterricht im Turnen in Vereinen an Jugendliche unter 21 Jahren ist von einem Erlaubnisschein für den Lehrer ab⸗ hängig gemacht worden, ja man hat sogar den Gastwirten Zwangs⸗ maßregeln angedroht, wenn sie in ihren Lokalen einen Turnunterricht durch einen Lehrer, der keinen Erlaubnisschein hat, zulassen. Dem Turnverein Fichte in Berlin hat man in dieser Weise beinahe die Eristenz unmöglich gemacht. Ebenso sind Gesangs⸗ und andere Vereine, deren politische Anschauungen der Regierung nicht vassen, von Schulaufsichts wegen behandelt worden. Ein Erlaß des Kultus⸗ ministers vom 18. Januar 1911 richtet sich gegen die freien Jugend⸗ vereine und regt eine patriotische Jugendbewegung an; die höchste In⸗ stanz will also die Jugendbewegung im Sinne der herrschenden Klasse einseitig beeinflussen. Wenn diese patriotische Jugendbewegung nicht ebenso als politische Veranstaltung angesehen würde, wie unsere Arbeiter⸗ jugendvereine, dann würde es auch hier heißen: mit zweierlei Maß messen. Gegen eine ganze Reihe von Veranstaltungen unserseits zur Aus⸗ bildung der Jugend, Lichtbildervorträge, Vorträge über Treitschke usw., ist man in schamloser Weise ganz rigoros vorgegangen. Die Vortragenden hat man in Polizeigewahrsam genommen, die Teil⸗
nehmer sind durch Schutzleute zur Wache gebracht worden. Alle anderen Vereine haben zur Erteilung von Unterricht an Jugendliche keinen
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Erlaubnisschein notwendig, es handelt sich nur um schikanöse Maß⸗ regeln gegen die Vereine der jugendlichen Arbeiter. In Posen ist ein 17 jähriger Stellmacher Schikowski von der Polizei zur Lock⸗ spitzelei gegen Jugendliche veranlaßt worden, und er hat einen anderen Jugendlichen socar zu einem Diebstahl angestiftet. Ich frage den Minister, ob die Polizeibeamten, die an Jugendliche Unter⸗ richt in der Lockspitzelei erteilen, auch eines Erlaubnisscheins bedürfen. Der Mmister hat sich auf Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts zur Rechtfertigung des Vorgehens der Verlangens eines Erlaubnisscheins berufen. Als ich ihn provozierte, eine solche Entscheidung zu nennen, eine Entscheidung, die ihm einer seiner Räte in hatte, zitiert, die mit dieser Sache gar nichts zu tun hatte. Minister hat also keine Ahnung davon gehabt, um was es sich han⸗ delte. Die Kabinettsorder von 1834 bezieht sich nach einer Ent⸗ scheidung des Reichsgerichts nicht auf die schulentlassene Jugend; es darf danach vielmehr, nur an die schulpflichtige nicht ohne Erlaubnisschein Unterricht erteilt werden. Der Redner führt einige praktische Fälle an, in denen ohne Unterrichtserlaubnisschein Unterricht erteilt
hohen Geldstrafen und sogar Gefängnis bestraft
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die Hand gegeben
haben, mit worden sind.
so viel zu tun hat, wie die Erde mit dem Mond. Gegen⸗ über dem Erkenntnis des Reichegerichts, daß nur der Unterricht an Schulpflichtige in Betracht kommen kann, erdreistet sich die Schul⸗ aussichtsbehörde, auf eine Eingabe von mir zu anworten, daß sie nicht in der Lage sei, meinem „Ansinnen“, die Verfügung aufzuheben, Rechnung zu tragen. (Unruhe rechts.) Ist denn die Scham zu den Hunden entflohen? (Großer Lärm rechts und im Zentrum, Zurufe: Unerhört! Zur Ordnung!)
Vizepräsident Dr. Porsch: Ich habe den Redner im Augenblick infolge der Zurufe nicht genau verstanden, ich werde aber in das Stenogramm Einsicht nehmen.
Abg. Dr. Liebknecht (fortfahrend): Der Kultusminister schützt alle diese Gewalttätigkeiten und gesetzwidrigen Maßnahmen der Auf⸗ sichtsbehörde und wirft das Erkenntnis des Reichsgerichts dem Volke zerfetzt vor die Füße.
Platz sitzen und mit Schimpf und Schande davongejagt werden. (Großer Lärm rechts.) Verhalten einen Anarchismus im schlimmsten Sinne des Wortes. Es hat gegen Gesetz und Recht verstoßen, wie es in Preußen noch nie ge⸗ schehen ist, und nur Antworten voll Hohn und Spott übrig gehabt. So
frage ihn, ob er nun endlich Gesetz Gesetz und Recht Recht sein lassen will, ob er nun endlich Kultur schaffen will, wie es seine Aufgabe als Kultusminister ist. Der Minister gehörte auf die Anklagebank. Herr Minister, ich klage Sie an des politischen Mißbrauchs der Amtsgewalt, ich klage Sie an, daß Sie Existenzen von deutschen Staatsbürgern ohne jede gesetzliche Grundlage gewalttätig vernichtet haben. Ich klage Sie an, daß Sie Staatsbürger ungesetzlich der Frei⸗ heit beraubt haben, ich klage Sie an, daß Sie leichtfertig die Entscheidungen des höchsten Gerichtshofs übergangen haben, ich klage Sie an, daß Sie die Grenzen der Amtspflichten unausgesetzt über⸗ schritten haben. Meiner Ansicht nach hätte jetzt nicht der Kultusminister das Wort, wenn wir in einem Rechtsstaat wären, sondern der Staatsanwalt. Aber ich will immerhin noch mit der Möglich⸗ keit rechnen, daß der Kultusminister etwas zu seiner Entschuldigung vorbringen kann. Ich schließe meine Anklage, ich bin am Ende mit meiner Anklage, die Sie nicht verstehen, weil Sie die Gesetz⸗ widrigkeit selbst sind. (Große Unruhe und Rufe: Unperschämtheit!) Vizepräsident Dr. Porsch: Ich rufe Sie wegen dieses Vorwurfs zur Ordnung. Abg. Dr. Liebknecht fortfahrend: Ich bin am Ende meiner Anklage und erteile nunmehr dem Kultusminister das Wort zu seiner
Verteidigung. 8 Vizepräsident Dr. Porsch: Der Abg. Dr. Liebknecht hat vorhin eine Aeußerung getan, die mir im Zusammenhange nicht ohne weiteres klar war. Nach dem Stenogramm muß ich annehmen, daß er den Ausdruck: „Ist denn die Scham zu den Hunden geflohen?“ auf die Schulaufsichtsbehörde bezogen und daß er sie der Schamlosig⸗ keit bezichtigt hat. Das ist eine schwere Beleidigung. Deshalb rufe ich den Abgeordneten zum zweiten Male zur Ordnung. .
zu Solz:
Meine Herren! Der Herr Abg. Liebknecht hat an die Spitze seiner Ausführungen den Grundsatz gestellt, daß die Sozialdemokraten dafür eintreten, alle politischen und religiösen Zwecke aus der Schul⸗ verwaltung und dem Unterrichtswesen auszuscheiden. Ich kann ihm zwar darin nicht beitreten, daß man aus der Schule und der Unter⸗ richtsverwaltung die religiösen Zwecke ausscheiden könnte; aber ich bin völlig der Ansicht, daß man aus ihr die politischen Zwecke ausscheiden sollte, und gerade das ist der Grund, warum die Schulaufsichtsbehörder sich verpflichtet fühlt, gegen die Machinationen der Sozialdemokratie vorzugehen, welche darauf gerichtet sind, ihre politischen Tendenzen in die Schule und in den Unterricht zu tragen. (Sehr richtig! rechts. Rufe bei den Sozialdemokraten: Bis zum 21. Jahr?!) Das ist ja auch von der Sozialdemokratie gar nicht bestꝛitten worden. Ich bitte Sie nur, die Protokolle der Parteitage aufzuschlagen; da werden Sie finden, daß die Herren der Ansicht sind, daß es zurzeit eine ihrer wichtigsten Aufgaben sei, an die Jugend heranzutreten und sie mit den Zielen der Sozialdemokratie zu erfüllen. (Sehr richtig! Zurufe bei den Sozialdemokraten: In der Schule? Wo steht denn das?) Alle die von dem Herrn Vorredner angegriffenen Maßnahmen, die wir neuerdings auf unterrichtlichem Gebiet dagegen getroffen haben, richteten sich gerade darauf, Abwehr gegen die der Schule nachteiligen Tendenzen der sozialdemokratischen Partei zu schaffen. (Sehr richtig! rechts.) Es ist auch die sozial⸗ demokratische Partei die einzige Partei, die von Partei wegen . Organisationen für Jugendliche schafft. (Widerspruch und Zurufe bei den Sozialdemokraten: Zentrum, Konservative!) — Keine andere politische Partei schafft als solche derartige Organisationen. (Erneuter lebhafter Widerspruch und Zurufe bei den Sozialdemokraten. Rufe rechts: Ruhig!) Es bestehen eine ganze Reihe von Einrichtungen für die heranwachsende Jugend; aber hinter keiner dieser Ein⸗ richtungen steht eine politische Partei als solche. (Allseitige Zustimmung. — Widerspruch bei den Sozialdemokraten) Es ist allein die saozialdemokratische Partei, die politisch auf die Jugend einwirken und sie ihren Zielen zuführen will; sie will 1 Rekruten für ihre Reihen schaffen. (Abg. Dr. Liebknecht: Sie machen genau dasselbe; es ist nur Notwehr!) Deshalb haben wir die Pflicht, im Interesse der Schule und unserer Jugend mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Ihnen entgegenzuwirken, und ich würde es für eine Pflichtverletzung halten, wenn die Schulbehörden das nicht täten. Selbstverständlich dürfen sie das nur tun auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten); das versteht sich ganz von selbst. (Erneutes Lachen bei den Sozialdemokraten. Abg. Dr. Liebknecht: Versteht sich gar nicht von selbst, bei Ihnen nicht!) — Sie werden das gleich hören, Herr Abg. Liebknecht. Ich habe Ihnen neulich gesagt, daß Sie die
Gewohnheit hätten, hier bei Ihren Reden die Dinge zu drehen, um
Schulaufsichtsbehörde gegen die Arbeiteriugendvereine hinsichtlich des da es keine solche gebe, hat er
Der
Jugend
Personen, die
Wir haben in der Tat ein Kultusministerium, das mit Christlichkeit
In einem parlamentarisch regierten Lande würde ein solcher Minister auch nicht eine Minute länger auf seinem 1 9
Das Kultusministerium protegiert durch sein
kann es nicht weitergehen, Herr Kultusminister, das Maß ist voll. Ich
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. von Trott
sie Ihren Zwecken anzubequemen. (Sehr richtig! rechts.) Denselben
Vorwurf muß ich Ihnen heute auch machen (sehr wahr! rechts), und ich will gleich auf den Kernpunkt unserer Auseinandersetzung eingehen, auf das von Ihnen erwähnte Reichsgerichtserkenntnis vom vorigen Jahre.
Sie haben ausgeführt, daß durch dieses Reichsgerichtserkenntnis
nun entschieden sei, daß die preußische Unterrichtsverwaltung sich im Irrtum befunden hätte, als sie annahm, daß die Bestimmungen der Kabinettsorder vom Jahre 1834 sich auch auf schulentlassene Jugend⸗ iche bezögen. Das hat das Reichsgericht nicht erkannt; im Gegenteil, das Reichsgericht hat ausdrücklich ausgesprochen, daß der Vorderrichter irre, wenn er annehme, daß jene Bestimmung von 1834 ich nicht auch auf Schulentlassene bezöge. Also das gerade Gegenteil
von dem, was Herr Abg. Liebknecht gesagt hat. (Lebhafte Zurufe des
Abg. Dr. Liebknecht. — Glocke des Präsidenten.)
Präsident von Kröcher: Ich habe Sie schon ein paarmal ge⸗ beten, Ihre Zwischenrufe zu unterlassen, Herr Abg. Liebknecht, ich rufe Sie zur Ordnung.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. von Trott
zu Solz:
Das Reichsgericht hat entschieden zunächst, daß die Bestimmung
der Gewerbeordnung auf den Turnunterricht keine Anwendung finde, wenn eine Landesbehörde den Turnunterricht zum Gegenstand des
Unterrichts gemacht hat. Ist das geschehen, dann findet der § 6 der Gewerbeordnung Platz, wonach diese sich auf das Unterrichtswesen
nicht bezieht. Ist das nun der Fall, hat eine Landesbehörde den
Turnunterricht in den Lehrplan des Unterrichts einbezogen, so gelten auch für das Turnen dieselben Bestimmungen, die sonst nach dem Schulrecht zur Anwendung zu bringen sind. Darüber kann gar kein Zweifel sein nach dem Erkenntnis des Reichsgerichts. Ebenso hat das Reichsgericht mit aller Deutlichkeit entschieden, wie ich schon vorhin sagte: auch der Turnunterricht, wenn er nämlich in das Gebiet des Unterrichts gezogen ist, unterliegt der Kabinettsorder von 1834, mag
er nun an schulpflichtige oder an schulentlassene Jugendliche erteilt werden.
Nun hat das Reichsgericht allerdings — und ich hatte geglaubt, der Abg. Liebknecht, der doch, soviel ich weiß, Jurist ist, müsse das ver⸗
standen haben (Heiterkeit) — eine wichtige Neuerung seiner Entscheidung zugrunde gelegt und damit einen ganz neuen Grundsatz für unsere preußische Schulverwaltung aufgestellt. Das Reichsgericht stellt nämlich das ganze Aufsichtsrecht, welches der Staat über das Privat⸗
schulwesen beansprucht, unter den Gesichtswinkel des Ersatzunterrichts. Das Reichsgericht deduziert so, daß nur dann zur Erteilung von
Privatunterricht eine Erlaubnis erforderlich ist, wenn der Unterricht, der erteilt werden soll, einen Ersatz bildet für den Unterricht, der an den öffentlichen Schulen erteilt wird. Es kommt hiernach dazu, daß, wenn der Sohn eines Mannes, von dem man nach den äußeren Um⸗ ständen annehmen muß, daß er seinen Sohn auf eine höhere Schule schicken würde, Privatunterricht erhält und dieser Unterricht sich erstreckt auf diejenigen Gegenstände, die auf der höheren Schule gelehrt werden, dann dieser Privatunterricht der Genehmigung bedarf. Handelt es sich aber um den Sohn eines Vaters, von dem man nach den begleitenden Umständen annehmen muß, daß er bei dem gewöhn⸗ lichen Lauf der Dinge seinen Sohn nicht auf eine höhere Schule, sondern auf die Volksschule schickt, dann bedarf ein Privatunterricht, der dem schulentlassenen jungen Mann gegeben werden soll, nicht der Genehmigung der Schulbehörde, weil das dann eben nicht ein Ersatz unterricht für den Unterricht an der öffentlichen Schule ist.
Zunächst werden Sie mir zugeben, daß dieser Grundsatz in der Praxis außerordentlich schwer zur Anwendung gebracht werden kann (sehr richtig! rechts), wenn nämlich in jedem Einzelfall erst nach den näheren Umständen gesucht werden muß, die entscheiden sollen, ob es sich um einen Jungen handelt, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die höhere Schule besucht oder nicht. Das ist die eine Schwierigkeit, die für die Praxis aus diesem Reichsgerichtserkenntnis sich ergibt.
Aber auch sonst muß man sagen, daß das Reichsgericht nicht alle tatsächlichen Umstände, die bei dieser Frage in Betracht zu ziehen sind, in Betracht gezogen hat. Es brauchte das allerdings wohl auch das Reichsgericht in diesem Falle nicht, weil der konkrete Fall, der zu seiner Entscheidung stand, das nicht verlangte. Es ist Ihnen ja be⸗ kannt, daß es sich um ein strafrechtliches Erkenntnis des Reichs⸗ gerichts handelt. Es war bekanntlich von seiten der Sozialdemokratie in einem Blatte die Aufforderung veröffentlicht worden, einer Ver⸗ fügung der Schulaufsichtsbehörde nicht zu entsprechen, weil sie un gesetzlich sei, und so ist die Sache dann schließlich an das Reichs⸗ gericht gelangt; sonst wäre das Reichsgericht überhaupt nicht in die Lage gekommen, über preußische Schulangelegenheiten zu entscheiden. Also das Reichsgericht hat die Tatsache nicht berücksichtigt, daß unsere Jugendlichen, die aus der Schule entlassen sind, in der Mehrzahl unserer Städte und zum Teil auch auf dem Lande verpflichtet sind, die Fortbildungsschule zu besuchen. Wenn aber die Fortbildungsschule von den jungen Leuten besucht wird, wenn eine Fortbildungsschule in einer Stadt eingerichtet ist, dann muß bezüglich der Fortbildungsschule dasselbe gelten, was das Reichsgericht gesagt hat bezüglich der höheren Schulen. Also dann wird auch in Zukunft der Privatunterricht der Erlaubnis bedürfen, wenn er an junge Leute erteilt wird, die die Fortbildungsschule besuchen, und der Unterricht sich auf Dinge bezieht, die in Fortbildungsschulen gelehrt werden.
So liegt die Sache, und ich glaube, bei der schwierigen Angelegenheit werden Sie mir zugestehen, daß ich nach diesen Ausführungen für mich in Anspruch nehmen kann, daß ich das Reichsgerichtserkenntnis sehr wohl gelesen habe (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Nein!) und seine Tragweite für unsere Schulverwaltung durchaus übersehe. Es ist auch nicht richtig, daß gegen dieses R. ichsgerichtserkenntnis mit Bedacht von den Schulbehörden verfahren wäre. Das Reichsgerichts⸗ erkenntnis ist allerdings Ende Juni erlassen. Die Sitzung, in der der Beschluß gefaßt wurde, hat Ende Juni stattgefunden. Es sind zunächst an die Zeitungen Nachrichten darüber gekommen, die vielfach lücken⸗ haft, vielfach falsch waren; ehe es mit seiner Begründung in die Hand der Behörden kam, sind noch Wochen vergangen, und ehe wir nicht im Besitz dieses Erkenntnisses waren, waren wir außerstande, unsere Praxis auf dasselbe einzustellen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Jetzt?) Man muß bedenken: es wird eine Praxis der Unterrichts⸗ verwaltung, die 80 Jahre hindurch unangefochten geblieben ist, bean⸗ standet und geändert. Hier in diesem Hause ist über das Privat⸗ unterrichtswesen schon oft verhandelt worden; man war wohl ver⸗
sch'edener Ansicht, hiel
die Aufsicht häö te; aber niemals ist der Gesichtspunkt in die Debatte geworfen worden, der jetzt vom Reichsgericht aufgestellt ist. Daß es der preußischen Unterrichtsverwaltung nicht ohne weiteres möglich war, ihre Praxis einfach abzuändern, sofort auf den neuen Gesichtspunkt einzustellen, und daß darüber einige Zeit vergangen ist, das ist doch wohl begreiflich.
Ich muß es aber mit aller Entschiedenheit ablehnen, daß ich mich über die Entscheidung des höchsten Gerichtshofes einfach hinwegsetze. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Haben Sie bewiesen!) Ich habe natürlich bei dieser veränderten Lage, die äußerst schwierig für uns war, eine eingehende Prüfung der ganzen Angelegenheit vornehmen lassen, habe juristische Sachverständige darüber gehört und habe nunmehr eine allgemeine Anweisung an die Behörden hinausgegeben, um deren Verfahren in Einklang zu bringen mit dem Reichsgerichtserkenntnis. Also die Vorwürfe, die nach dieser Richtung gegen mich von Herrn Liebknecht erhoben worden sind, sind gänzlich unbegründet. (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) — Ich habe einen Erlaß heraus gegeben, in dem die Konsequenzen — — (Glocke des Präsidenten) — gezogen sind, die ich eben dargelegt habe. Wie das Reichs⸗ gerichtserkenntnis aufzufassen ist, darüber kann kein Zweifel sein. Jeder, der in der Lage ist, Erkenntnisse eines Gerichts zu lesen, muß es verstehen, und wenn der Herr Abg. Liebknecht wollte, würde er es auch verstehen.
Was nun die speziellen Fälle angeht, die er angeführt hat, so möchte ich zunächst hervorheben, daß diese vor dem Erlaß des Reichs⸗ gerichtserkenntnisses stattgefunden haben und auf Grund der bis dahin regelmäßig beobachteten Praxis behandelt worden sind. Sie wundern sich über die erwähnten hohen Geldstrafen. Wie kommen diese denn zu stande? Es wird dem Betreffenden doch gesagt: wenn du noch weiter Unterricht erteilst ohne Erlaubnis, dann wirst du bestraft. Er hat es also in der Hand, den Unterricht einzustellen, und wird dann eine Strafe nicht erhalten. Schließlich muß doch eine Behörde, die glaubt, auf dem Boden des Rechts zu stehen (Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten: Glaubt!), und damals auch, nach aller Meinung, auf dem Boden des Rechts stand (Zuruf bei den Sozialdemokraten), ihre Anordnung durchführen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Renitenz so stark ist, wie sie in jenen Fällen war, dann muß der Renitente es sich selber zuschreiben, wenn die Strafen sehr hoch werden. (Zuruf des Abg. Dr. Liebknecht — Glocke des Präsidenten.)
Daß es sich nicht etwa um harmlose Dinge, um einen harmlosen Gesangunterricht, sondern auch wieder um politische Bestrebungen gehandelt hat, die unter dem Deckmantel des Gesangunterrichts be⸗ fördert werden sollten, ist ganz unbestreitbar. Wenn ich Ihnen eine Probe aus den Liedern mitteile, die in den Gesangstunden eingeübt wurden, so werden Sie mir ohne Zweifel recht geben. Es wird da z. B. gesungen: „wir schlagen die Deutschen in wilder Flucht über das Rote Meer.“ (Abg. Korfanty: Wo war es? — Namen nennen!) Es ist in Oberschlesien in dem Fall des Musiklehres Leo Poniecki gewesen. (Abg. Hoffmann: Welcher Spitzel hat das berichtet?) (Glocke des Präsidenten.)
Präsident von Kröcher: Ich bitte, die Zwischenrufe zu unter⸗ lassen, Herr Abg. Korfanty und Herr Abg. Hoffmann.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. von Trott zu Solz:
Meine Herren! Es ist für die Schulverwaltung eine sehr schwere Aufgabe, die ihr auf diesem Gebiet erwächst, und wenn sie sie über⸗ nimmt, dann glaubt sie damit einer Pflicht zu genügen. Dagegen, daß die Schule und der Unterricht zu parteipolitischen Zwecken benutzt wird, wehrt sich die Schulverwaltung; sie will Politik in die Schule nicht hereingebracht haben und will Schuleinrichtungen nicht zu politischen Zwecken verwerten lassen. Das ist der Standpunkt der Schulbehörde, und den muß sie, glaube ich, einhalten. Dabei muß sie eigentlich die Zustimmung aller Parteien haben; denn keine Partei kann wünschen, daß unsere Schuleinrichtungen und die weitere Förde⸗ rung unserer Jugend zu politischen Zwecken benutzt wird. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen die Politik, namentlich aber die sozialdemokratischen Tendenzen von Schule und Unterricht fernhalten. (Sehr richtig!) Das wird, glaube ich, Ihre Zustimmung finden, und Sie werden die Schulverwaltung in diesem Streben unterstützen. (Bravo! rechts.)
Präsident von Kröcher schlägt vor, zubrechen und um 7 ½ Uhr Abends fortzusetzen. Ein Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Rufe.) 8 “ “
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Ich erhebe namens meiner Freunde gegen den Vorschlag des Präsidenten Widerspruch. Diese fortgesetzten Abendsitzungen stellen an die Beamten des Hauses und die Diener ganz unerhörte Anforderungen, auch die Herren von der Presse werden so in Anspruch genommen, wie es kaum mehr möglich ist. Die Herren der Mehrheit beschließen eine Abendsitzung und erscheinen dann am Abend selbst nicht. Das haben wir erst am letzten Donnerstag wieder erlebt. “ Sö
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Ich bitte aus anderen Gründen den Präsidenten, von seinem Vorschlag abzugehen. Wenn wir noch ein bis zwei Stunden jetzt sitzen, können wir diese Debatte zum Abschluß bringen und brauchen eine Abendsitzung nicht zu halten.
Präsident von Kröcher: Ich kann von meinem Vorschlage nicht abgehen, das Haus hat mich ermächtigt, Abendsitzungen vorzuschlagen, wenn die Kontingentierung der Etatsberatung nicht innegehalten wird.
Abg. Dr. Schepp (fortschr. Volksp.): Namens meiner Freunde bitte ich, von der Abendsitzung Abstand zu nehmen, zum Teil aus den Gründen des Abg. Hirsch: ich schließe mich aber auch dem Abg. Dittrich an und bin bereit, noch längere Zeit zu verweilen, um diese Debatte abzuschließen.
Der Vorschlag einer Abendsitzung wird gegen die Stimmen der Konservativen abgelehnt. 8
Abg. Heckenroth (kons.) beginnt unter großer Unruhe und Un⸗ aufmerksamkeit des Hauses zu sprechen: Wir müssen schon in der Schule unsere Jugend vor den Verführungen und vor den Irrlehren derer bewahren, die die Monarchie, die Gesellschaftsordnung und den Staat vernichten wollen. Wenn wir da ruhig zusehen wollten, würden wir uns selbst aufgeben. Wenn wir für die Umwandlung der nebenamtlichen Kreisschulinspektion in die haupt⸗ amtliche sind, so liegt das daran, daß sich seit 40 Jahren die Verhältnisse durch die Entstehung der großen Industriezentren verschoben haben. Unsere grundsätzliche Stellung über das Ver hältnis von Staat und Kirche hat sich nicht geändert. Wir haben die konfessionelle Schule begründet, daraus folgt das Recht der Kirche, nicht nur den Religionsunterricht, sondern den ge samten Unterricht in gewissem Sinne zu überwachen. Allerdings steht auch für uns der Satz fest, daß die Schule eine Veranstaltung des Staats sei, und daß die Kirche ihr Amt nur im Auftrag des Staates ausübt. In der C hristlichen Union der Fesbing Sachsen hat ein Kreisschulinspektor in einem Vortrage über das Recht der Kirche auf die Schule durchaus an diesem Recht der Kirche festgehalten. Wie
die Sitzung nunmehr ab⸗ (Rufe: Abstimmen!) (Lebhafte „Oh, Oh!“⸗
gut oder nicht für gut, daß der Staat
aus meinen nenulichen Worten herauslesen, daß wir die
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Herren in der Schule sein wollen, und daß die Lehrer die Diener sein sollen? Wir sind dafür, daß Geistliche und Lehrer Hand in Hand gehen sollen und daß das Band zwischen Kirche und Schule erhalten bleibt. Der Schulaufsichtsbeamte soll ein Freund des Lehrers sein, aber er soll auch den Lehrer überwachen. Es ist merkwürdig, daß von der freisinnigen Seite gemeint wird, daß eine straffe Aufsicht notwendig ist, und daß deshalb die nebenamtliche Aufsicht durch eine hauptamtliche ersetzt werden müsse; dann scheint man also der Meinung zu sein, daß der Geistliche zu sehr der väterliche Freund der Lehrer sei. Die Trennung von Kirche und Schule würde keinen Segen bringen.
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): verein hat sich auch für die Fachaufsicht erklärt. Wir meinen, daß von der Schulverwaltung alle politischen Richtungen gleich behandelt werden müssen, daß nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Mit der Schulinspektion müssen mehr seminaristisch gebildete Männer, die die Volksschule kennen, betraut werden, auch wenn sie nicht die Oberlehrerprüfung gemacht haben. Wenn man aus Ober⸗ lehrerkreisen die Volksschullehrer nimmt, dann müssen es jedenfalls Mähnner sein, die eine Kenntnis von der Volksschule haben und nicht mehr in so jugendlichem Alter stehen, daß sie noch keine Erfahrung haben können. In der Kommission ist ein solcher Fall besprochen worden, und der Minister hat erklärt, daß es sich nur um einen Ausnahme⸗ fall handelt. Wenn die Schuldeputationen nicht durch Gesetz ein Aufsichtsrecht erhalten können, so bitte ich den Minister, den Weg zu verfolgen, den schon der Kultusminister von Goßler eingeschlagen hatte, daß die Schuldeputation kraft Delegation ein Aufsichtsrecht ausüben könne. In konfessionell gemischten Schulen kann die Auf⸗ sicht nicht im Sinne einer Konfession ausgeübt werden. Wir hoffen, daß unser Ideal der Simultanschule sich doch noch durchsetzen wird. Die von dem Abg. von Zedlitz empfohlene Dezentralisation des Schulwesens mit dem Landrat an der Spitze müssen wir vom schul⸗ technischen Standpunkt verwerfen; die fachmännischen Anordnungen des Schulinspektors dürfen nicht dem Uyxteil des nicht fachverständigen Landrats unterstellt werden. Wir müßten auch befürchten, daß in politischer Hinsicht bei den Wahlen die Lehrer von dem Landrat abhängig gemacht werden. Wir erwarten von dieser Dezentralisation nur Unheil für die Schule und für den Frieden in unserm politischen Leben.
Ein Schlußantrag des Abg. von Arnim wird angenommen.
In persönlicher Bemerkung verwahrt sich
Abg. Dr. Liebknecht gegen die Behauptung des Ministers, daß er das Erkenntnis des Reichsgerichts falsch zitiert habe. Er will die Entscheidung nochmals zitieren und daran längere Ausführungen knüpfen, wird aber wiederholt vom Präsidenten von Kröcher aufmerksam gemacht, daß das keine persönliche Bemerkung sei. (Lebhafte Rufe rechts: Schluß! Schluß! Präsident von Kröcher: Lassen Sie mich Schluß machen.) Die letzten Worte des Abg. Liebknecht gehen unter stürmischen Schlußrufen der Rechten verloren.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (frkons): b Abg. Cassel hat in der Rolle des Don Quichotte gegen Windmühlen gekämpft; ich habe nicht behauptet, daß der Kreisschulinspektor unter dem Landrat stehen soll, das ist reine Phantasie, weil Herr Cassel den Landrat als das bekannte rote Tuch ansieht.
Die Abgg. Ernst und Dr. Schepp bedauern, nicht mehr zum Worte gekommen zu sein, der letztere um nachweisen zu können, da gerade in katholischen Gegenden die geistliche Schulaufsicht nach
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Nach der Rolle des Quichotte bin ich nicht lüstern, ich habe nicht gegen Windmühlen ge⸗ kämpft, die Erfahrungen werden zeigen, daß es nicht Windmühlen sind. (Ruf rechts: Flasche Wein!) Wenn ich Don Quichotte bin, so sehe ich Herrn von Zedlitz als Sancho Pansa an.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): So dick wie Sancho Pansa bin ich doch nicht. (Abg. Hoffmann;: Dick⸗
fellig!) Ein bißchen Dickfelligkeit muß man ja haben, sonst würde fahren. Ddrr.
DHie
Der Neue Preußische Lehrer⸗
Der
Don
man bei den sozialdemokratischen Reden aus der Haut Abg. Cassel müßte wissen, daß seine Auffassung gänzlich falsch ist.
Präsident von Kröcher: Herr Hoffmann, der Ausruf „dickfellig“ ist unzulässig.
Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Auch den letzten Bemerkungen des Abg. von Zedlitz gegenüber bleibe ich bei meiner Auffassung.
Die Ausgaben für die Kreisschulinspektion einschließlich der sämtlichen neuen 14 hauptamtlichen Stellen für Kreisschul⸗ inspektoren werden bewilligt. Die Resolution der Kommission wegen Sicherung des kirchlichen Einflusses in den Rektoren⸗ schulen wird durch die Stimmen der Konservativen, des Zentrums und eines Teiles der Freikonservativen angenommen. Die Petition um Uebertragung der geistlichen Schulaufsicht an
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Fachmänner wird als Material überwiesen.
Um 5 ¼ Uhr wird die weitere Beratung des Kultusetats auf Dienstag, 10 Uhr, vertagt. Präsident von K röcher kündigt für Dienstag eine Abendsitzung an.
Land⸗ und Forstwirtschaft.
Saatenstand in Ungarn.
Der Saatenstandsbericht des Königlich ungarischen Ackerbau⸗ ministeriums vom 9. März d. J. hebt hervor, daß die am Ende des Monats Februar herrschende kalte Witterung sowie die eingetretenen Schneefälle eine günstige Wirkung auf die landwirtschaftlichen Ver⸗ hältnisse ausgeübt haben, wenn auch stellenweise die Schneedecke nur mangelhaft war und stellenweise Frostschäden unbedeutenden Grades zu verzeichnen sind. Nichtsdestoweniger kann man annehmen, daß sich die Verhältnisse im ganzen gebessert haben, da die kältere Witterung die Feldmäuse beinahe vollstäandig ver⸗ nichtete. Das in den letzten Tagen des Vormonats eingetretene mildere und trockenere Wetter ermöglichte die Durchführung von Feldarbeiten, insbesondere das Ackern und die Aussaat. Es wird berichtet, daß die Ueberwinterung der Wintersaaten überwiegend ent⸗ sprechend war. Die Feldmäuse haben an den Wurzeln der Getreide⸗ gattungen nur sehr wenig Schaden angerichtet und bloß den grünen Teil der Saaten abgefressen. An den beiden Ufern der Donau, am rechts⸗ und linksseitigen Theißufer und in einzelnen Teilen des Alföldes zeigen die Saaten einzelne Flecken und Fehler, doch herrscht im allgemeinen die Meinung, daß die Fehler durch günstiges Frühjahrswetter gutgemacht werden können. Der Sommer anbau ist teils im Zuge, teils bereits beendet. In Halmfutter⸗ gattungen und Stroharten besteht kein Mangel. Vereinzelt werden zwar Klagen über schwache Qualitäten des Futters laut, doch hofft man, daß eine baldige Entwicklung der Weiden die Lage auch in dieser Hinsicht bessern wird. In den Weingärten und sonstigen Gärten wurden die Arbeiten bereits begonnen. Die Maul⸗ und Klauenseuche ist im steten Abnehmen und der Viehbestand im größten Teile des Landes seuchenfrei. ““ 1
Das Königlich ungarische Ackerbauministerium veröffentlicht weiter eine Korrektur seiner vorjährigen Ernteschätzung, indem es nunmehr den voraussichtlichen Ertrag an Weizen mit 46,18, an Roggen mit 12,40, an Gerste mit 11,67, an Hafer mit 10,26, an Mais mit 47,69 und an Kartoffeln mit 48,16 Millionen Meter⸗ zentner angibt. Die Anbaufläche von Weizen beträgt 6,03, von Röoggen 1 81, von Gerste 1,90, von Hafer 1,86, von Mais 4,21 und von Kartoffeln 1,06 Millionen Katastraljoch. (Ung. Tel.⸗Korresp.⸗Bur.)
Saatenstand und Getreidehandel in Rumänien.
Das Kaiserliche Konsulat in Galatz berichtet unterm 6. d. M.: Das strenge Frostwetter, das gegen Ende Januar einsetzte, dauerte
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fast den ganzen Februar an. Ob und in welchem Umfange in einzelnen Gegenden des Landes, in denen eine genügende Schneedecke