1911 / 65 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Der Regierungsrat Freiherr von Rössing in Breslau ist der Königlichen Regierung in Marienwerder und der Regierungsrat von Loefen in Magdeburg der Königlichen Regierung in Gumbinnen zur weiteren dienstlichen Verwendung überwiesen, der neuernannte Regierungsassessor Besser aus Potsdam dem Landrat des Kreises Habelschwerdt und der neuernannte Regierungs⸗ assessor Dr. Simon aus Posen dem Landrat des Kreises St. Wendel zur Hilfeleistung in den landrätlichen Geschäften zu⸗ geteilt worden.

Laut Meldung des „W. T. B.“ sind S. M. SS. 11.“ „Emden“ und „Leipzig“ vorgestern in Tsingtau eingetroffen.

S. M. S. „v. d. Tann“ ist vorgestern in Rio de Janeiro eingetroffen und geht am 24. März von dort wieder in See.

S. M. S. „Seeadler“ ist vorgestern in Aden eingetroffen und geht übermorgen von dort nach Mombassa in See.

Oesterreich⸗Ungarn ö

Im Budgetausschuß des österreichischen Abgeordneten⸗ he ises wurde gestern bei der fortgesetzten Beratung des Budgets des Ministeriums des Innern die Frage der Aus⸗ weisung österreichischer Staatsangehöriger aus dem Deutschen Reiche erörtert. 8

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ wandte sich der Abg. Malik gegen die von Kramarsch vorgeschlagenen Vergeltungsmaßregeln und erklärte, daß bei einer gegenseitigen Anwendung der Ausweisungen die Oesterreicher im Hegtschen Reiche sehr schlimm wegkommen würden. Der Abg. Pacher erklärte, die Ausweisung slavischer Einwanderer aus Oesterreich durch die preußische Regierung würde durch die feindselige Haltung der Tschechen gegen das Deutsche Reich und gegen dessen Bündnis mit Oesterreich gewiß mit veranlaßt. Warum frage kein tschechischer Redner nach dem Schicksal der öster⸗ reichischen Staatsangehörigen in der französischen Fremdenlegion? Der Abg. Beer (Soztaldemokrat) sprach sich gegen den im Staats⸗ voranschlag eingestellten Posten für die Internationale Aus⸗ stellung für Hygiene in Dresden aus. Es handle sich um eine tendenziböse Ausstellung, da die sächsische Regierung den deutschen Gewerkschaften die Ausstellung von Gegen⸗ ständen der Heimindustrie untersagt habe. Der Sozialdemokrat Nemec erklärte sich für den weitestgehenden Schutz der Arbeiter gegen die Ausweisung aus Deutschland, doch sei er gegen jede Ver⸗ geltungsmaßnahme. Der Minister des Innern Graf Wickenburg verwies auf die Erklärung des Ministers des Aeußern in der öster⸗ reichischen Delegation über die aus Anlaß besonderer Fälle zu⸗ gunsten der betroffenen Personen eingeleiteten diplomatischen Schritte. Eine Fortsetzung dieser Aktion sei vom Auswärtigen Amt in Aussicht genommen. Selbstverständlich widme auch die öster⸗ reichische Regierung der Behandlung der Oesterreicher im Auslande volle Aufmerksamkeit und unterlasse es nicht, aus Anlaß einzelner Fälle stets an das Ministerium des Aeußern zur Einleitung einer geeigneten diplomatischen Aktion heranzutreten. Die Anregung, gegen⸗ über der Ausweisungspraxis der preußischen Behörden auch deutsche Angehörige lediglich wegen ihrer Staatsangehörigkeit auszuweisen, halte er für zu weit gehend, da er es nicht richtig finde, was man auf der einen Seite als Unrecht hinstelle, auf der anderen Seite selbst zu üben.

Großbritannien und Irland.

Das Unterhaus hat gestern, „W. T. B.“ zufolge, die im Budget vorgeschlagene Heereseffektivstärke genehmigt.

Rußland.

Der Senat feierte gestern das 200 jährige Jubiläum seiner Gründung. In der Jubiläumssitzung führte der Kaiser Nikolaus den Vorsitz und hielt eine Ansprache, in der er, „W. T. B.“ zufolge, auf die Ergebenheit des Senats während der vergangenen zwei Jahrhunderte zum Nutzen des Staats hinwies und daran erinnerte, daß der Senat in den Tagen schwerer Unruhen eine unerschütterliche Feste der Ordnung und des Gesetzes gewesen sei. Der Senat überreichte dem Kaiser eine Jubiläumsmedaille. 1

Die Reichsduma beriet gestern den Etat des Mi⸗ nisteriums des Auswärtigen. 1

Die Debatte wurde von dem Kadettenführer Miljukow mit einer anderthalbstündigen Rede eingeleitet, in der er, „W. T. B.“ zufolge, ausfuͤhrte, das von Iswolski verteidigte System der russischen Bündnisse und Abkommen sei in seinen Grundlagen erschüttert. Die auswärtige Lage sei gegenwärtig geradezu bedrohlich. (Die Vertreter des Ministeriums des Auswärtigen verließen den Saal.) Die Uebertragung der türkischen Schuld an Bulgarien kostete den russischen Steuerzahlern zwanzig Millionen Rubel, die angeblich zur Stärkung der Sympathien Bulgariens für Rußland dienten. Wünsche man zu wissen, wie Bulgarien dafür danke, so gebe darauf die Antwort der jüngste Besuch des Königs Ferdinand in Wien. Ganz abgesehen von der Zweckmäßigkeit dieses gebrachten Opfers frage es sich, wer dafür verantwortlich sei. Das Mini⸗ sterium des Auswärtigen sage, das Opfer sei auf Allerhöchste Weisung gebracht worden; doch sei in den Staatsgrundgesetzen eine derartige Ordnung nicht vorgesehen. Daher müsse man auf die Gefahren solcher unverantwortlicher Handlungen der Diplomatie hinweisen. Trotz der erst kurzen Amtstätigkeit Ssasonows sei bereits der Abgang Iswolskis zu bedauern. Der Redner ging sodann zur Potsdamer Entrevue über. Nach der Einverleibung Bosniens sei Deutschland, der Freund Oesterreichs, als neuer Freund Rußlands erschienen, den Bismarckschen Traditionen folgend. Die Potsdamer Entrevue sei ein radikaler Umschwung der russischen Politik. Nach dieser Entrevue hätten die russischen Bünd⸗ rufi ihre aggressive Bedeutung verloren, und die Beziehungen Ruß⸗ lands zu seinen enttäuschten Verbündeten hätten ihre Festigkeit einge⸗ büßt. Von russischer Seite seien in der Bagdadbahnfrage die früheren langdauernden Verhandlungen zwischen den betreffenden Mächten vergessen und die Interessen der Verbündeten Rußlands geopfert worden. Frankreich und England seien in eine peinliche Lage versetzt worden und fühlten sich verletzt. Die Potsdamer Entrevue weise Rußland nach dem fernen Osten hin und fessele seine Hände im nahen Osten. Die als Fftseh. ääps ausgedachte große Indienbahn sei ein totgeborenes Kind. efahrdrohend sei auch das Verhalten gegenüber China. Wenn Rußland seine Rechte schütze, dürfe es doch nicht vergessen, daß China erwacht sei. Er warne vor einem chinesischen Abenteuer. Rußland würde dort nur für Japan die Kastanien aus dem Feuer holen. Das letzte Stadium der Politik im fernen Osten gleiche völlig der russischen Politik vor dem russisch⸗japanischen Kriege. Der Berichterstatter Krupenski erklärte, er habe nur bezüglich der Budgetposten zu antworten, und beschränkte sich auf den Hinweis, daß die Reden der einzelnen Abgeordneten nur deren Privat⸗ meinung wiedergäben und nicht die Meinung der Duma aussprächen. Der Abg. Pokrowski (Sozialdemokrat) beschuldigte unter großem Lärm die russische Regierung der feindlichen Politik gegen China. Seine Partei sei nicht beunruhigt durch den Sieg der japanischen Diplomatie über die russische. Die Regierung wünsche die innere Schwäche auszugleichen und unternehme wieder ein⸗gefährliches Spiel. Seine Partei fürchte eine zweite Repolution nicht, begrüße sie vielmehr. Der Abg⸗Wetschinin (Nationallist) verlas eine Erklärung seiner Partei,

daß die dilettantische und grundlose Rede Miljukows in dem Augen⸗ blicke, wo die Regierung mit China ernste Verhandlungen pflege, un⸗ passend und unpatriotisch gewesen sei; er halte es für höchst schädlich, unter den gegenwärtigen Umständen über die äußere Politik zu de⸗ battieren. Der Abg. Kamenski (Oktobrist) erklärte unter Beifall, nicht nur die Abgeordneten, sondern das ganze russische Volk würden vor keinen Opfern zurückschrecken, wenn die Ehre und Würde Ruß⸗ lands angetastet würden. Der Abg. Wojeikow sprach den Wunsch aus, daß in den russischen Konsulaten im Auslande nur russische Untertanen angestellt werden sollten.

Die Duma nahm schließlich die einzelnen Posten des Etats des Ministeriums des Aeußern gemäß den Vorschlägen der Kommission an. 8 1

Im Laufe der gestrigen Abendsitzung wurde die Inter⸗ pellation über die Vorgänge an den Hochschulen erörtert.

Das Mitglied der äußersten Rechten Obrassow sprach über die Frauenhochschulen und erwähnte, obiger Quelle zufolge, daß während der Revolutionszeit Hörerinnen sich zu Hunderten trunkenen Matrosen angeboten hätten, um ihre Propaganda erfolgreicher zu betreiben. Diese Worte riefen Proteste auf der linken Seite des Hauses hervor. Man hörte die Rufe: „Herunter mit dem Schuft!“, und es entstand ein furchtbarer Lärm, der sich trotz der Ermahnung des Präsidenten immer mehr steigerte. Als Obrassow weiter zu reden versuchte, forderte ihn der Prä⸗ sident auf, die Tribüne zu verlassen, da die einstündige Redefreiheit verflossen sei. Dies rief wieder auf den Bänken der Rechten einen Sturm hervor. Der Präsident schloß die Sitzung unter großem Lärm. Mitglieder der Linken und der Rechten eilten zur Redner⸗ tribüne, doch die Beamten des Hauses stellten sich dazwischen und verhüteten einen Zusammenstoß. Erst als die esektrische Beleuchtung abgestellt wurde, verließen die Deputierten allmählich den Saal.

Spanien.

Der Senat hat gestern mit der Beratung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend den obligatorischen Militärdienst, begonnen.

In der Deputiertenkammer wurde gestern, „W. T. B.“ zufolge, der Gesetzentwurf, betreffend die Tilgung der äußeren Schuld, angenommen. Danach wird während einer Periode von fünfzig Jahren alljährlich ein Kredit von 6 509 000 Pesetas zur Amortisierung der Schuld in das Budget eingestellt und zwar unabhängig von den Summen, die für die Zahlung der Zinsen dieser Schuld bestimmt sind. Die Tilgung soll durch Auslosung erfolgen, wenn der Kurs der Titel über Pari steht, und durch Aufkauf, wenn dies nicht der Fall ist. Die Kammer beriet sodann den Gesetzentwurf, betreffend die Verwaltung und Rechnungslegung von Staats⸗ geldern, der einen Artikel enthält, durch den die Zulassungs⸗ frist von Reklamationen gegen den Anfall von Gütern der Toten Hand, die auf Grund des Spezialgesetzes von 1869 in Stagtsgest gelangt sind, auf ein Jahr festgesetzt wird.

Der ehemalige Minifter Urzais protestierte im Laufe der Debatte energisch gegen diesen Artikel und erklärte, es wäre unerhört, wenn man auch nur die Möglichkeit anerkennen wollte, daß derartige Werte, bei denen es sich um viele Millionen handele, zurückerstattet würden, wovon einzig und allein einflußreiche Persönlichkeiten Vorteil haben würden. 8 Portugal.

Das Amtsblatt hat gestern das Wahlgesetz für die Wahl der Ahgeordneten zur gesetzgebenden Ver⸗ sammlung verbzpintlicht. Das Wahlrecht wird, „W. T. B.“ zufolge, geheim Hirekt und fakultativ sein. In dem Wahlkreise Lissabon vyd Pene1694 00. das Proportionalsystem, in den 21.22 8 aw.. 2 9 übrigen Wahlkn jelg c enwahl zur Anwendung kommen. Jeder koloniale NdgdWeis wird einen Abgeordneten wählen.

Die Minister sind mit der Prüfung eines Militär⸗ Irafgese ibn shon beschäftigt, das die Abschaffung der Todes⸗ sen enthalten soll, die in Wirklichkeit schon jetzt nicht mehr angewandt wird.

Amerika.

Der permanente Ausschuß des merikanischen Kongresses hat gestern, „W. T. B.“ zufolge, einstimmig die Vorlage angenommen, die die konstitutionellen Garantien ür die Dauer von sechs Monaten aufhebt.

. Asien. seldung des „Reuterschen Bureaus“ zufolge haben die russischen Truppen Kaswin gestern vollständig ge⸗ räumt. Bloß 80 Kosaken sind als Konsulatswache zurück⸗

geblieben. Afrika. Nach einer Meldung des „W. T. B.“ ist der König von

Sachsen gestern wohlbehalten in Renk am Weißen Nil ein⸗ getroffen.

Nach amtlichen Berichten, die der französische Konsul am 11. März aus Fes abgeschickt hat, hat sich die Lage seit dem Sieg der Mahalla des Sultans am 7. März erheblich ge⸗ bessert.

Aus Boma im Congostaat wird dem belgischen Kolonial⸗ ministerium, „W. T. B.“ zufolge, gemeldet, daß die Nachricht der „Indépendance belge“ von der Entdeckung eines gegen die Weißen gerichteten Komplotts der Eingeborenen jeder

Begründung entbehre.

Parlamentarische Nachrichten. Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗

tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Zweiten Beilage.

In der heutigen (149.) Sitzung des Reichstags, der der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück beiwohnte, wurde die Spezialberatung des Etats für das Reichsamt des Innern bei den fortdauernden Ausgaben (Allgemeinen Fonds) fortgesetzt.

Abg. Dr. Pfeiffer (Zentr.): Ueber die fortschreitende Ausgestaltung und Bereicherung der Sammlungen des Germanischen Museums in Nürnberg kann man nur vollauf zufrieden sein. Erheblichen Staub aufgewirbelt und namentlich in Nürnberg Beunruhigung hervorgerufen haben aber bezüglich der Gemäldegalerie die Zentralisationsbestre⸗ bungen des neuen Direktors von Tschudi. Mehr und mehr setzte sich die Ueberzeugung durch, daß auf diesen Kunstgebieten die De⸗ zentralisation dem Kunstleben der Allgemeinheit nützlicher ist als die Zentralisation. Bei dem Bilderaustausch ist das Germanische Museum nicht zu kurz gekommen. Die Bundesstaaten sollten in freundnachbarlichen Meinungsaustausch darüber eintreten, wie es möglich wäre, eine ähnliche Museumspolitik für ganz Deutschland durch⸗ zuführen, damit die Wegnahme von Kunstobjekten aus Süddeutschland nach Norddeutschland und umgekehrt vermieden wird. In preußischen Sammlungen würden manche für Bayern unschätzbare und unersetz⸗ liche Kunstgegenstände und Kunstdenkmäler völlig wertlos sein. Eine richtige Heimatspolitik muß auch die Schönheit der Heimat schützen, sie muß das ästhetische Moment durchaus berücksichtigen. Aus diesem

Grunde muß auch die ausgeschriebene Konkurrenz für ein Bismarckd

bei Bingerbrück auf Bedenken stoßen. Für die Renovierung des Rathaus⸗ saales in Regensburg sollte das Reich die geplante Lotterie genehmigen.

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (50.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. Ange⸗ legenheiten D. von Trott zu Solz beiwohnte, nahm vor Eintritt in die Tagesordnung

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) das Wort, um folgendes zur Geschäftsordnung zu bemerken: Es ist all⸗ gemeiner Wunsch, daß die geschäftlichen Dispositionen des Hauses für die nächste Zeit richtig und sachgemäß getroffen werden und dies so zeitig geschieht, daß jeder sich danach richten kann. Ich bin von der großen Mehrheit des Hauses beauftragt, den Herrn Präsidenten zu bitten, die Geschäfte des Hauses in nächster Zeit folgendermaßen zu ordnen: Zunächst werden wir in der Etatsberatung fortzufahren haben mit dem Ziel, sie möglichst bald zu Ende zu führen. Aber es wird nötig sein, die erste Lesung des Ausführungsgesetzes zum Reichszuwachssteuergesetz einzu⸗

schalten, weil dieses Gesetz am 1. April in Kraft treten muß. Nach

der Beendigung der Etatsberatung, die hoffentlich bis zum 24. März erfolgt sein wird, würden dann bis zum 6. April Plenarsitzungen zu folgen haben; am 6. April würden die Osterferien beginnen können. In dieser Zeit würde zunächst die zweite und dritte Lesung des erwähnten Gesetzes vorzunehmen sein, dann würden die ersten Lesungen der ganzen Reihe von Gesetzentwürfen, die vorliegen und die vielleicht noch eingehen, zunächst zu erledigen sein, darunter eine Reihe von sehr wichtigen Vorlagen, wie die rheinische Landgemeindeordnung, damit sie alsbald an Kommissionen über⸗ wiesen werden können. Soweit etwa dafür die Zeit nicht voll in Anspruch genommen ist, würde den Kommissionen möglichst freie Zeit zu lassen sein; ohne dies würde es nicht möglich sein, die beiden Zweckverbandsgesetze noch vor Ostern zu verabschieden. Das ist doch erwünscht, wenn wir nicht allzu lange in den Sommer hinein sitzen wollen. Was nun die Osterferien anlangt, so wollen wir dem Herrn Präsidenten vorschlagen, mit den Plenarsitzungen erst am 2. Mai wieder zu beginnen, aber in der bestimmten Er⸗ wartung, daß die Kommissionen die Tage von dem 25. April, dem natürlichen Wiederbeginn der Arbeiten, bis zum 2. Mai nachdrücklich und eifrig zur Förderung ihrer Geschäfte benutzen. Dann werden wir für unsere h reifes Material haben und zugleich in einem Monat bis Pfingsten Zeit genug haben, um die Petitionen und die Anträge aus dem Hause, die zahlreich vorliegen, auch unsererseits zu beraten. Ich bitte den Präsi⸗ denten, in diesem Sinne die Geschäftsführung zu ordnen.

Präsident von Kröcher: Die Herren, die diesen Plan der Ge⸗ schäftsführung vereinbart haben, haben die Güte gehabt, mir ihn vorher mitzuteilen. Ich bin meinerseits mit dem Plan einverstanden und werde danach verfahren, wenn das Haus nicht einen anderen Wunsch hat. Das scheint nicht der Fall zu sein; also werden wir ungefähr nach dem Plan verfahren. Hoffentlich kommt nichts da⸗ zwischen, das verhindert, daß die Etatsberatung bis zum 24. März meiner Ansicht nach eine etwas optimistische Auffassung be⸗ endet wird.

Sodann wird die Beratung des Etats des Ministe⸗ riums der geistlichen und Unterrichtsangelegen⸗ heiten bei dem Kapitel der Universitäten fortgesetzt. Es findet zunächst eine allgemeine Debatte bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben für die Universität Berlin statt.

Berichterstatter Abg. Dr. von Savigny referiert über die Kommissionsverhandlungen.

Zur Beratung steht hierbei auch der Antrag der Abgg. Dr. Friedberg (nl.), Graf Clairon d'Haussonville (korc und Dr. Rewoldt (freikons.):

„die Staatsregierung zu ersuchen, die Errichtung einer nichtstaat⸗ lichen Universität in Frankfurt a. M. nicht anders als auf Grund eines Gesetzes zu genehmigen“.

Abg. Graf Clairon d'Haussonville (kons.): Bei der Ver⸗ teilung des Bibliotheksfonds ist allein die Universität Greifswald leer ausgegangen. Ich möchte den Minister bitten, das Versäumte in diesem Jahre nachzuholen. Die Busage, daß mehr Lehraufträge für Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft erteilt werden sollen, ist zu begrüßen. Dem zu einem späteren Titel gestellten Antrage des Abg. Schmedding, der weitere außerordentliche Beträge von je 200 000 in die Etats bis 1916 zur Ausfüllung der in den Be⸗ ständen der Universitätsbibliotheken vorhandenen Lücken eingestellt haben will, glauben wir zustimmen zu können. Den Antrag betreffs einer nichtstaatlichen Universität in Frankfurt a. M. haben wir gestellt, weil wir der Ansicht sind, daß eine solche Universitätsgründung nur unter Mitwirkung sämtlicher zuständigen Instanzen auf diesem Gebiet erfolgen kann. Das private Vorgehen Frankfurts würde unüber⸗ sehbare Konsequenzen nach sich ziehen. ie Gründung der Universität darf nur durch ein Gesetz geschehen.

Schluß des Blattes.)

Die Verwaltung der öffentlichen Arbeiten in Preußen.

Im Anschluß an die in Nr. 58 und 61 des Bl. veröffentlichte Angaben aus dem Inhalt des Seiner Maägjestät dem Kaiser und König von dem Minister der öffentlichen Arbeiten erstatteten Bericht über die Verwaltung seiner Ressorts innerhalb der letzten Jahre seien in Folgendem abschließend noch einige Mitteilungen aus den letzten Teilen jenes Berichts gemacht, die wieder auf den in der „Zeitung des Vereins der Eisenbahnverwaltungen“ von einem Fachmann ver⸗ öffentlichten Auszügen fußen.

Ein besonderes Kapitel ist den Privatbahnen gewidmet. Die Länge der genehmigten Privateisenbahnen betrug am 1. April 1900 rd. 3617 km, davon waren 3012 im Betriebe. Seitdem sind 562 km Privatbahnen genehmigt und rd. 1184 km vom Staate an⸗ gekauft, in Kleinbahnen umgewandelt oder nicht ausgeführt worden. Die Länge der in der Zeit vom 1. April 1900 bis 31. März 1910 in Preußen eröffneten Privatbahnstrecken beträgt rd. 975 km. Die Länge der am 1. April 1910 im Betriebe besindlichen Privat⸗ bahnen betrug 2948 km, außerdem waren 47 km noch im Bau. Die Zahl der Unternehmer (Gesellschaften, Kreise und sonstige Körperschaften) war 77. Das Aktien⸗ und Obligationenkapital dieser Privatbahnen betrug rd. 257 Millionen Mark, der durch⸗ schnittliche Ertrag in letzter Zeit etwa 4 %. Das staatliche Auf⸗ sichtsrecht über diese Bahnen wird von den Präsidenten der König⸗ lichen Eisenbahndirektionen als EA111“ geübt. Am Baukapital einiger Privateisenbahnen ist der Staat beteiligt, so hat er 4 Millionen Mark Aktien der erwähnten Brandenburgischen Städte⸗ bahn übernommen. Seit 1880 sind zu solchen Zwecken rd. 15 Millionen Mark hergegeben, durch die der Bau von rd. 945 km Babnen ermöglicht wurde, da sonst das erforderliche Kapital nicht hätte aufgebracht werden können.

Ein weiteres Kapitel unterrichtet über die Kleinbahnen, für die seit dem 1. April 1900 durch fast alljährlich ergangene Gesetze zunächst in den Jahren 1900 und 1902 je 20 Millionen, später je 5 Millionen, zuletzt 1903: 3 Millionen, zusammen 73 Millionen Mark bewilligt worden sind. Insgesamt sind seit Erlaß des Gesetzes 102 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Verausgabt waren an Staatsbeihilfen bis 1. April 1910 zusammen rd. 88,5 Millionen Mark, von denen 71 Millionen auf das letzte Jahrzehnt fallen. Die Zahl der Kleinbahnunternehmungen ist von 333 auf 475 ge⸗ wachsen. Die Länge der Kleinbahnen in Preußen betrug am 1. April 1900 rd. 6134 km, am 1. April 1910 rd. 11 671 km. Die Bau⸗ kosten der Kleinbahnen beliefen sich am 31. März 1910 auf rd. 1372 Millionen Mark, davon entfielen auf Straßenbahnen rd. 796,

Ministeriums auf dem Gebiet des öffentlichen Bau⸗ Auch bei der Staatsbauverwaltung haben sich die Dienstgeschäfte an Umfang wie Bedeutung stetig gesteigert. amten der Provinzial⸗ und Lokalinstanzen sind von 2449 auf 3054

gierungsbausekretäre,

auf nebenbahnähnlichen Kleinbahnen rd. 576 Millionen Mark. Von den nebenbahnähnlichen Kleinbahnen dienen 5068 km vorzugsweise landwirtschaftlichen Zwecken, rd. 1056 km. vorzugsweise Handel und Industrie. Die Erträgnisse haben sich im allgemeinen ebessert.

Der dritte Teil des Berichts schildert die Tätigkeit des en Bauwesens.

Die Stellen der Be⸗

vermehrt worden; 1909 zählte die Verwaltung 9 Oberbauräte,

169 Regierungs⸗ und Bauräte, 650 Bauinspektoren, 11 Maschinen⸗

bauinspektoren, 330 Regierungsbaumeister, 41 Landmesser, 184 Re⸗ sh 248 Bausekretäre, 87 Bauassistenten und

1325 Beamten im Betriebs⸗ und Aufsichtsdienst. Die

Einnahmen sind von 9,4 Millionen Mark im Jahre 1900 auf

18,9 Mill. Mark im Jahre 1909 gestiegen, ebenso die Ausgaben des

Ordinariums von 33 auf 44,2 Mill. Mark; außerdem sind in den

einzelnen Jahren aus dem Extraordinarium zwischen 15,4 und 23,3 Mill. Mark und aus Anleihemitteln usw. zwischen 8,1 und 41,9 Mill. Mark aufgewendet worden. die Krankenversicherung der Arbeiter bestehen 58 staatliche Krankenkassen mit 14 000 Mitgliedern. Die Ausgaben für die Unfallversicherung der Arbeiter (24 000) sind von 148 000 im Jahre 1900 auf 262 000 bis zum Jahre 1909 gestiegen. Zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Arbeiter und gering besoldeten Beamten wurden aus den Mitteln der Klein⸗ wohnungsgesetze 59 Wohnhäuser mit 186 Wohnungen hergestellt.

Es folgen Angaben über „Maßregeln zur Verbesserung der Binnenschiffahrtsstraßen und Seeschiffahrts⸗ Für jene kommen namentlich der Bau des Rhein⸗Weser⸗ kanals und des Großschiffahrtsweges Berlin—Stettin sowie die Ver⸗ besserung der Wasserstraße zwischen Oder und Weichsel, der Warthe und des Schiffahrtsweges zwischen Schlesien und dem Oder⸗Spree⸗ kanal in Betracht. Die Bauausführungen erfordern einen Kosten⸗ aufwand von rd. 466 Millionen Mark. Von Verbesserungen der See⸗ schiffahrtsstraßen sei die Vertiefung des Fahrwassers der Unterems auf 10 m, der Unterweser auf 8,5 m, der Außenweser auf 10 m, der Unterelbe auf mindestens 10 m, der Bau einer 6,5 m. tiefen Schiffahrtsstraße von Pillau nach Königsberg und die Ver⸗ breiterung der Fahrrinne Swinemünde —Stettin sowie die Vertiefung des Swinestroms bei Swinemünde genannt. Die Einnahmen der Wasserstraßen an Verkehrsabgaben sind von 5 463 100 im Jahre 1900 auf 9 884 800 im Jahre 1909 gestiegen. Weiter finden sich im Bericht Angaben über Leuchtfeuer und Nebelsignale, über Maß⸗ nahmen, die im Interesse der Landeskultur und der öffent⸗ lichen Sicherheit getroffen wurden, solche über die Regulierung und Kanalisierung von Binnenwasserstraßen, über die Her⸗ stellung und Verbesserung künstlicher Wasserstraßen und über die Verbesserung von Seeschiffahrtsverbin⸗ dungen, die Herstellung von Dünenbauten und Inselschutz und die Anlage und Erweiterung von Binnenhäfen.

Die von der Wasserbauverwaltung im letzten Jahrzehnt auf⸗ gewendeten Kosten stellen sich für die

Binnenwasserstraßen auf . . . . . . . 296 767 800

Seeschiffahrtsverbindungen und Häfen auf . 121 384 000 Ruhrort⸗Duisburger Häfen auf 68668P'0” zusammen auf 451 401 600 ℳ.

Die Bauausführungen der Hochbauverwaltung werden übersichtlich zusammengestellt. Die Ausgaben für Rechnung des Etats der Bauverwaltung beliefen sich auf 34 822 100 ℳ. An Hochbauten vollendet für den Geschäftsbereich des Ministeriums der öffent⸗ ichen Arbeiten 164, des Staatsministeriums 11, des Finanzministeriums 285, des Ministeriums für Handel usw. 10, des Justizministeriums 301, des Ministeriums des Innern 335, des Ministeriums der geist⸗ lichen usw. Angelegenheiten 1299, des Ministeriums für Landwirt⸗ schaft usw. 1863, zusammen 4268 Bauten mit 337 130 400 Aus⸗ führungskosten.

Von den in den Berichtsjahren ausgeführten öö Hoch⸗ bauten seien erwähnt: das Landtagsgebäude, die Königliche Bibliothek, das Kaiser Friedrich⸗Museum, das Land⸗ und Amtsgericht I, die Neu⸗ bauten der Charité in Berlin, die Königliche Akademie der Künste in Charlottenburg, die zahlreichen Neubauten für Regierungen, Land⸗ und Amtsgerichte, Gefängnisse, für die Bedürfnisse der Zoll⸗, der Polizei⸗ und der Schulverwaltung in den Provinzen. Unter den Kirchen steht der Dom in Berlin obenan, unter den Gebäuden der Kunst und Wissenschaft außer den schon genannten Berliner Bauten das Schloß in Marienburg. Neue technische Hochschulen sind in Danzig und Breslau erbaut; zuletzt mag hier des Gebäudes der Ansiedlungskommission in Posen gedacht werden.

Weitere Abschnitte behandeln die Gebiete des Wegewesens und der Baupolizei. Zum Schluß erwähnt der Bericht die Mitwirkung des Ministeriums bei Ausarbeitung des Fetraurfe eines einheitlichen preußischen Wasserrechts, die Maßnahmen bezüglich des Grunderwerbes für gewerbliche Zwecke usw. bei Ausführung der neuen Wasserstraßen und die Neuregelung der Fischereiver⸗ hältnisse auf den Strömen auf Grund der neuen wasserwirt⸗ schaftlichen Gesetze.

Interessenten, die den mit zahlreichen graphischen Darstellungen und Tabellen ausgestatteten Bericht eingehender studieren wollen, seien nochmals darauf hingewiesen, daß er inzwischen in Buchform im Verlag von Julius Springer in Berlin erschienen ist.

Statistik und Volkswirtschaft.

Bevölkerung des Deutschen Reichs am 1. Dezember 1910.

ach dem vorläufigen Ergebnis der Volkszählung vom 1. De⸗ zember 1910 betrug die ortsanwesende Bevölkerung für das gesamte Reich 64903 423 (32 031 967 männliche und 32 871 456 weibliche) Personen. Die Volkszählung vom 1. Dezember 1905 hatte 29 884 851 männliche und 30 756 638 weibliche, zusammen 60 641 489 Personen ergeben; somit ist die Bepölkerung in den letzten fünf Jahren um 4261 934 Personen oder um 7,03 v. H. gewachsen (in den fünf Jahren von 1900 bis 1905 um 4 274 100 Personen oder um 7,6 v. H., von 1895 bis 1900 um 4 087 277 Personen oder um 7,8 v. H., von 1890 bis 1895 um 2 851 431 Personen oder 5,8 v. H.). Die männliche Bevölkerung hat um 2 147 116 Personen oder 7,18 v. H., die weibliche um 2 114 818 Personen oder 6,88 v. H. zugenommen. Auf je 1000 männliche Personen kamen im Jahre 1910 1026 weibliche. Seit der Volkszählung von 1905 ist in allen Einzelstaaten eine Zunahme der Bevölkerung eingetreten. veath am größten war sie, ab⸗ S von den drei Hansestaaten Lübeck, Bremen und Hamburg,⸗wo e 10,1, 13,4 und 16,1 v. H. erreicht hat, im Großherzogtum Olden⸗ burg (9,9 v. H.), im Königreiche Preußen (7,7 v. H.), im König⸗ reiche Sachsen (6,5 v. H.), in Baden (6,5 v. H.), in Sachsen⸗ Coburg⸗Gotha (6,1 v. H.) und im Großherzogtum Hessen (6,0 v. H.). Die Zahl der o ts dt d. h. der Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern, ist seit 1905 von 41 auf 47 gestiegen. Zu diesen 47 Großstädten, die insgesamt 13 709 863 Einwohner oder 21,12 v. H. der gesamten Reichsbevölkerung zählten, ist noch 1 Land⸗ gemeinde mit mehr als 100 000 Einwohnern hinzugetreten, nämlich

Hamborn mit 101 718 Einwohnern. 8

Zur Arbeiterbewegung.

Die in der Gelbmetallindustrie beschäftigten Arbeit⸗ nehmer Berlins und der Vororte, soweit sie im Deutschen Metallarbeiterverband organisiert sind, erklärten sich, der „Voss. Ztg.“ zufolge, in einer außerordentlich stark Versammlung, die gestern abend stattfand, mit den Ausständigen bei der Firma Niemann u. Co. Kronleuchterfabrik solidarisch und verpflichteten sich, diese moralisch und materiell zu unterstützen

Die gewerkschaftlich organisierten Heizer und Maschinisten der Oderschiffahrt haben nach der „Volkswacht“ erneut Lohn⸗ erhöhungen gefordert. b

Ueber 7000 Gehilfen und Gehilfinnen der Damen⸗ schneiderbranche in Wien sind, „W. T. B.“ zufolge, infolge Ablehnung ihrer Forderung auf Erhöhung der Löhne für die Arbeiterinnen in den Ausstand getreten.

Nach längeren Verhandlungen, bei denen der Präfekt und der Bürgermeister die Vermittlung übernommen hatten, ist, wie „W. T. B.“ meldet, eine Verständigung zwischen den streikenden Hafen⸗ arbeitern und den Unternehmern in Bayonne erzielt und ein Vertrag mit dreijähriger Gültigkeit unterzeichnet worden.

Die Vertreter der internationalen Seeleutevereinigung berieten gestern in Antwerpen über den Vorschlag englischer See⸗ leute, einen internationalen Streik zur Besserung ihrer Lage zu veranstalten. Vertreten waren Deutschland, England, Nordamerika, Belgien, Holland, Schweden, Norwegen und Dänemark. Es wurde, „W. T. B.“ zufolge, beschlossen, eine internationale Kommission einzusetzen, die die Lage prüfen soll. Es sollen Deutsch⸗ land und Belgien gegen, England, Amerika, Norwegen, Dänemark und Holland für den Streik sein.

Die Mühlenarbeiter der Umgebung von Lissabon, die sich im Ausstand befanden, haben „W. T. B.“ zufolge die Arbeit wieder aufgenommen.

(Weitere „Statist ische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten und Dritten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Die prähistorische Fachsitzung der Berliner Gesell⸗ schaft für Anthropologie brachte recht interessante Mitteilungen. Zunächst sprach Dr. Hubert Schmidt, der im letzten Sommer Italien, die Balkanhalbinsel und Kreta besucht hat, über gewisse, erst neuerdings von den Forschern aufmerksamer geprüfte, seltene die sich im Norden wie im Süden des Erdteiles auf

rzeugnissen der Keramik, Urnen, Schalen, Krügen, Bechern ꝛc., finden und die man bisher nur als Verzierungen deutete. Der Redner legte die von ihm auf solchen Gefäßen germanischen Ur⸗ sprungs gefundenen Zeichen, in einer Tafel geordnet, im Lichtbilde vor. Es sichd ausschließlich aus geraden Strichen bestehende Zeichen von 3 kurzen Strichen an, die horizontal, parallel, nebeneinander oder in der Form eines lateinischen H angeordnet sind, bis zu einer aus 15 Strichen bestehenden zusammengesetzten Form, dem „Doppelkamm“, die einem lateinischen doppelten T gleicht, auf dessen oberen und unteren Querbalken je 6 untereinander parallele kurze Striche nach oben und unten gerichtet aufgesetzt 1 Man würde kaum im Zweifel sein, daß hier nur bedeutungslose Ver⸗ zierungen vorliegen, wenn nicht einige dieser Zeichen, u. a. der zuletzt erwähnte Doppelkamm, sich auf keramischen Erzeug⸗ nissen Kretas in Verbindung mit anderen, graphisch weiter ent⸗ wickelten Zeichen vorfänden, von denen man den Eindruck gewinnt, daß sie in ihrer keineswegs regelmäßigen Zusammenstellung eine be⸗ stimmte Bedeutung besitzen, also daß sie wohl den allerersten Anfang einer Schrift vorstellen. Zum Beweise dessen führte Dr. Schmidt das Bild einer tönernen bemalten Scheibe aus Kreta vor, die in vier spiralförmigen Windungen eine große Anzahl dieser Zeichen, eines neben dem andern, aber ohne erhebliche Ordnung gruppiert, zeigte. Es sind naturalistische, der Pflanzen⸗ und Tierwelt entlehnte Zeichen abwechselnd mit jenen einfacheren geradlinigen, zusammen 45 an der Zahl, wie eine zweite sie in Einzeldarstellungen enthaltende Tafel erwies. Es ist nun höchst merkwürdig, daß auf keramischen Erzeugnissen anderen Ursprungs, aber gleich den vorerwähnten auch dem 18. bis 14. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung angehörig, sich andere Zeichen vorfinden, die gleich jenen nach der Art ihrer Anbringung die Vorstellung erwecken, daß sie eine bestimmte Bedeutung haben und erste Anfänge einer Schrift darstellen. Auch diese hat Dr. Schmidt auf einer dritten Tafel geordnet, die er in Lichtbildern vorführte. Es bleibt abzuwarten, was sich weiter aus diesen Beobachtungen ergeben wird. Jedenfalls hat der Vor⸗ tragende die Sache für wichtig genug erachtet, während seiner Reise die Aufmerksamkeit darauf gerichtet zu halten und ähnliches auch an anderen Fundstätten vorhistorischer Keramik, in Italien wie in Thessalien gefunden, namentlich auf der Akropolis von Inini in Thessalien. Eine auf einer vierten Tafel versuchte vergleichende Zu⸗ sammenstellung der Zeichen auf Scherben aus Tordos, Thessalien, Kreta und Italien ergab zweifellose Aehnlichkeit. Aller⸗ dings bleibt es, mit Ausnahme von Kreta, doch zweifelhaft, ob die Zeichen nur eine dekorative oder eine konkrete Bedeutung haben. Die thessalische Keramik ist besonderer Beachtung wert, weil sie großenteils farbig ist und hierin Bewundernswertes geleistet hat. Der gleichen Kunstübung in vorgeschichtlicher Zeit begegnet man auch im südlichen Ungarn, Rumänien bis nach Bessarabien hinein. Der Redner versprach, hierüber noch in einem späteren, sich mit den ältesten Anfängen von Wappenmalerei beschäftigenden Vortrage zu sprechen. „Ein neues langobardisches Urnenfeld aus dem 3. Jahrhundert nach Chr. zu Dahl hausen in der Prignitz“ lautete das Thema des nächsten Vortrags. Der Vortragende, Herr Quento ist der Entdecker und Erforscher dieses ausgedehnten Friedhofes, der sich am Fuß einer etwa 25 m hohen Anhöhe an deren Westseite in nordwestlicher Richtung über ein Gelände von 2000 Quadratmeter ausbreitet. Unter den bisher geöffneten 150 Gräbern fanden sich nur in fünf Knochen ohne Gefäße und nur 8 mal Branderde. Ein Opferplatz von 9 Quadratmeter wurde un⸗ gefähr in der Mitte des Friedhofes mit Sicherheit festgestellt, ebenso in der Nähe ein gepflasterter Platz von annähernd doppelter Größe (6 ¾ auf 2 ¾ m), dessen Steine nicht mürbe, aber häufig geschwärzt sind. Am un⸗ durchgrabenen Boden waren die Wege zu bestimmen, der See zur Ver⸗ brennungsstätte und der anderen immer nordsüdlich gerichteten Wege zwischen den Grabstätten. Die Beisetzungstiefe der Urnen übersteigt selten ein halbes Meter. Die vorgefundenen Gefäße 400 an der Zahl stellen Urnen, Töpfe, Schalen, kleine Beigefäße dar. Ver⸗ zierungen sind in schlichtester Weise teils mit dem Fingernagel, teils mit Hölzchen erfolgt; doch entbehren viele Gefäße dieses ten Schmuckes. Wo Henkel an den Gefäßen angebracht sind, zeigen sie sich nicht angeklebt, sondern organisch mit dem Gefäß verwachsen. Ob die schalenförmigen Gefäße besonderen Zwecken dienten, ob die kleineren Gefäße Kinderurnen darstellen, entzieht sich der Beurteilung. Besonders häufige Grabfunde sind nächst Spinnwirteln Gewandnadeln der verschiedensten Form, darunter auch einige Knochennadeln von 30 cm Länge. Waffen wurden dagegen in merkwürdig geringer Zahl gefunden, was die Vermutung daß der bisher durchforschte Teil des Urnen⸗ feldes im wesentlichen Frauen⸗ und Kinderbegräbnisstätte gewesen ist. Wertvollere Gegenstände fehlen gänzlich, einen solchen fand man jüngst in größerer Entfernung in einer sumpfigen Wiese in Gestalt eines vom Vortragenden vorgelegten, sehr schönen Gefäßes, wahrscheinlich römischen Ursprungs aus Perra sigillata. Der Vortragende nahm zum Schluß seiner Mitteilungen Anlaß, der verständigen Unter⸗ stützung seiner Erforschung des Urnenfeldes durch die Landbevölkerung lobend zu gedenken. Zum letzten Punkt der Tagesordnung „Stone⸗ henge“ empfing Herr Willy Pastor das Wort, um seiner von Pro⸗ fessor Schuchhardt (vergl. dessen Vortrag vom 19. Februar) ab⸗ weichenden Ueberzeugung Ausdruck zu geben daß Stonehenge nicht das Grabmal eines Großen, sondern in Wahr eit eine Kultstätte, und zwar eine Stätte des Sonnenkultus darstelle. Die Lockyerschen Ermittlungen und die daran geknüpften Folgerungen scheinen ihm nicht genügend beweiskräftig, da die Orientierung nach Sonne und Sternen in jenen entfernten Zeiten natürlich nur mit rohen Hilfsmitteln und nicht mit der heute möglichen Ge⸗ nauigkeit erfolgen konnte. Im übrigen verlege auch die Lockyersche Nachprüfung die Entstehung von Stonehenge auf eine mit allen anderen Funden laut der Chronologie von Montelius sehr gut übereinstimmende Zeit, nämlich auf das erste Drittel des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung. Die Annahme, daß weder die von Herodot und Diodor als Bewohner der britischen Inseln

angesprochenen Hyperboreer, noch die Germanen „Tempel“ als Kult⸗ stätten besaßen, treffe nicht zu; Diodor spreche im ersteren Fall von einem merkwürdigen Tempel, Tacitus im letzteren wiederholt von Tempeln. Und daß die Ueberlieferung von der Eigenschaft von Stonehenge als einer Stätte der Sonnenverehrung sich bis heute im Volke lebendig erhalten habe, sei doch sicher als Beweis auch nicht gering zu achten. Der Redner führte dann zur Unterstützung seiner Ansicht 12 Lichtbilder von Steinkreisen und Trojaburgen aus keltischer und germanischer Urzeit vor, die seines Erachtens dafür sprechen, daß mit diesen Stätten Götterkulte verknüpft waren. In seiner Er⸗ widerung auf diese Darlegungen erklärte Professor Schuchhardt, daß er volles Verständnis für die von der seiner abweichenden Auffassung Pastors besitze und einräume, daß man die Dinge auch von einer anderen Seite betrachten könne, die er als die „künstlerische“ im Gegensatz zu der von ihm vertretenen „wissenschaftlichen“ bezeichnen möchte. Die vorliegenden Meinungsverschiedenheiten erinnern an die bekannte Tatsache, daß Ernst Curtius aus einem Widerstreit seines künstlerischen Empfindens gegen moderne Forschungsergebnisse allezeit den Ergebnissen der neuen Troja⸗ und Mykenäforschungen die Anerkennung versagt habe. Gewiß habe der Gedanke an eine uralte Verehrung der segenspendenden Sonne in besonderen Formen viel An⸗ ziehendes, er dürfe aber nicht blind machen gegen offenkundige Tat⸗ sachen, wie die sind, daß in mehr als 175 Steinkreisen Gräber gefunden worden sind, daß die Umgebung von Stonehenge ein großer Friedhof ist, und daß in Stonehenge in ihrer Anlage ganz ähnliche Stätten als Begrähnisstätten zweifellos nachgewiesen sind. Die Stelle aus Diodor, welche den Hyperboreern den Besitz eines prächtigen „kugel“⸗ förmigen Tempels des Apollo zuschreibt und auf das „runde“ Stonehenge bezogen worden ist, hat hiermit eine etwas gewaltsame Deutung erfahren. Die Bemerkung will aus der Philosophie des ge⸗ legentlich als Hyperboreer angesprochenen Pythagoras heraus ver⸗ standen werden, der die Kugelgestalt als das Erhabenste in der ganzen Welt erklärte, wonach also das Beiwort kugelförmig“ als ein Superlativ in der Schilderung eines offenbaren Phantasiegebildes zu deuten ist. Ebenso liegen Uebersetzungsfehler vor, wenn bei Tacitus ja von „Tempeln“ der Germanen die Rede ist, der Urtext spricht nur von Heiligtümern, wie 3 B. die Irminsul. Eine schlagende Analogie zu den von Pastor in Bildern vorgeführten Steinkreisen bietet Lissauer in seinen prähistorischen Denkmälern der Provinz Westpreußen, durch fünf Stellen mit Steinkreisen, die er 1874 selbst untersucht hat und bei deren jedem er bei dem hochstehenden Mittelsteine (Stele) das zugehörige Grab gefunden hat, und zwar stets aus der letzten Steinzeit, wie etwa vorhandene Beigaben erwiesen Es sind die Steinkreise in der Nähe von Trzebez bei Culm, Ossowo bei Pr. Stargard, Starschiska ebendort, Bösenfleisch bei Konitz und Odri ebendort, wo sogar 9 Steinkreise und 11 „Trilithe“ vorhanden sind. In der sich anschließenden Aussprache hob Dr. Kiekebusch hervor, daß die Aufrollung der Stonehenge⸗Frage gleichzeitig in Eng⸗ land und in Deutschland schon sehr dankenswerte Ergebnisse geliefer habe, wie u. a. die nachgewiesene Aehnlichkeit mit den Gräbern von Mykenä, und daß sie hoffentlich weitere interessante nusschlag bringen werde. Das von Pastor geltend gemachte volkskundli Moment sei nicht so entschieden abzuweisen, wie es von gegnerischer Seite geschehe. In diesem Punkte müsse auf das Soldiner Königs⸗ grab hingewiesen werden, dessen Oeffnung im Jahre 1899 der Ueber⸗ lieferung von einem in dreifachem Sarge hier beigesetzten Könige recht san Allerdings werde bei Stonehenge behauptet, daß die Entstehung der auf diesen Fall bezüglichen Ueberlieferung recht S Datums, nämlich kaum einige hundert Jahre alt sei. Das bedürfe ernstlich der Nachprüfung. Von Herrn Staudinger wurde noch darauf aufmerksam gemacht, daß im Stonehenge⸗Falle an Ort und Stelle die Untersuchung bisher keineswegs 56 gründlich geführt worden sei, wie es nötig erscheine, um alle vorhandenen Tatsachen zu ihrer geschichtlichen Deutung den berufenen Beurteilern zu unterbreiten. Im Anschluß hieran konnte Professor Schuchhardt mitteilen, daß noch im bevorstehenden Monat Mai in Stonehenge auf Anregun englischer Archäologen die Lücken der bisherigen Untersuchung ergänz werden sollen. Namentlich werde hierbei geschehen, was längst hätte geschehen sollen; es werde der schwere, sogenannte Altarstein um⸗ gedreht werden, eine Arbeit, die bei Vorhandensein der nötigen Kräfte in einer halben Stunde ausgeführt sein könne. Der Altarstein zeigt jetzt eine rauhe Oberseite. Falls die Unter⸗ seite sich als geglättet herausstellt, würde das beweisen, daß seine jetzige Lage nicht die ursprüngliche ist, daß der Stein vielmehr auf⸗ recht Gb hat und nachher nach vorn umgefallen ist, so wie es, als bei Gelegenheit des Sturzes des größten Trilithen, der ihn um⸗ geworfen hat, geschehen, von Professor Schuchhardt angenommen wird. Man darf also auf das Ergebnis dieser int b ersuchun gespannt sein. .“ 8

Verkehrswesen.

Zum 1. April wird die Postagentur in Lankwitz unter der Be zeichnung „Lankwitz bei Berlin“ in ein Postamt III umgewandelt.

Für die Folge werden auch die nach Westafrika fahrenden Dampfer der Woermann⸗Linie die Insel Madeira wieder anlaufen; erstmalig wird dies bei der Fahrt des Dampfer „Alexandra Woermann“ (Kamerunlinie II), ab Hamburg am 25. März geschehen. Mit den Dampfern werden wieder in alter Weise Post sendungen aus Deutschland für die genannte Insel befördert werden. Für Briefsendungen, die zur Beförderung mit dem am 25. März von Hamburg abgehenden Dampfer „Alexandra Woermann“ bestimmt sind wird der Postschluß beim Postamt 1 in Hamburg voraussichtlich a

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dem genannten Tage gegen Mittag eintreten.

Theater und Musik.

4X*X*”“

Die von Max Reinhardt lange verheißene Aufführung vom zweiten Teil von Goethes „Fauft⸗ ist gestern zur Tat geworden in achtstündiger Vorstellung, von 4 Uhr Nachmittags bis 12 Uhr Nachts, (einschließlich einstündiger Pause nach der klassischen Wal⸗ purgisnacht) ging das Werk gestern zum ersten Male in Szene. Es ist dies innerhalb dreier Jahrzehnte in Berlin der vierte Versuch, diese dem Theater gegenüber sich stets spröde verhaltende Dichtung für die Bühne zu gewinnen. Im September 1889 führte das Deutsche Theater sie in der unter dem Titel „Fausts Tod“ von L'Arronge be⸗ arbeiteten, stark gekürzten Fassung auf, im Jahre 1897 gab sie der Intendant Prasch im Berliner Theater gleichfalls in einer eigenen, das Werk im Rahmen eines normalen Theaterabends wiedergebenden einige Jahre später folgte das Schillertheater, welches der

ragödie zweiten Teil an zwei aufeinander folgenden Abenden vor⸗ führte. Max Reinhardt gebührt das Verdienst, diesen zweiten Teil in allem Wesentlichen fast unverkürzt auf die Bühne gebracht zu haben: ein interessantes Experiment, das indessen wohl auch nur Experiment bleiben wird. Der zweite Teil des „Faust“, an welchem Goethe bis in sein spätestes Alter gearbeitet hät, besteht aus einer über⸗ wältigenden Menge großer dichterischer Einzelleistungen, philo⸗ sophischer Probleme und zeitgenössischer Anspielungen in fom bollschene Gewande, welche eine innere Einheit des Gedankengangs schwer er⸗ kennen lassen. Nur ein äußeres Band hält sie zusammen; ist doch der dritte Akt der Tragödie unter dem Titel „Helena“ seinerzeit als selbständiges Gedicht veröffentlicht worden. Es böüeh somit wahr⸗ lich Mut und Begeisterung dazu, sich an die Bühnenaufführung des zweiten Teils von „Faust“ heranzuwagen, ob die Tat dann mehr oder weniger gelingt, immer wird man Achtung und Bewunderung vor der Größe des Unternehmens empfinden. Reinhardts Inszenierung des Werks ging nicht auf Ausstattungskünste aus; die Schlichtheit des äußeren Gewandes befremdete sogar zuweilen geradezu und stand in einem gewissen Gegensatz zu dem den Theater⸗ zettel schmückenden Ausspruch Goethes zu Eckermann über „Faust II“: „Aber doch ist alles sinnlich und wird, 8 dem Theater gedacht, gut in die Augen fallen. Und mehr habe ich nicht gewollt. enn

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