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jenigen Zuverlässigkeitsfahrten, bei denen eine Geschwindigkeitsprüfung stattfindet, die Zentralbehörden auch die Bedingungen festzustellen haben, unter denen diese Fahrten stattfinden können, ist die Möglich⸗ keit gegeben, Mißständen, die sich aus diesen Fahrten ergeben sollten, entgegenzutreten, und vor allen Dingen sind die Landeszentralbehörden, die diese Genehmigungen bei Geschwindigkeitsprüfungen zu erteilen haben, auch in der Lage, die Wegeunterhaltungspflichtigen zu schützen.
Im übrigen aber, meine Herren, möchte ich bemerken, daß ein internationaler Wegekongreß besteht, der voraussichtlich im über⸗ nächsten Jahre in London tagen wird. Auf diesem Kongresse wird auch diese Frage, wie ich annehme, zur Erörterung kommen, und wir verden eventuell zu einer internationalen Regelung dieser Schwierig⸗ eiten gelangen. Auf diesem Kangresse werde ich durch einen Beamten neines Ressorts vertreten sein. (Bravo! rechts.) Die Herren sehen
lso, daß auch in dieser Richtung das Nötige geschehen ist.
Was nun endlich die Haftpflichtversicherung betrifft, so ist es
daß bei der Verabschiedung des letzten Automobilgesetzes regierungsseitig die Einbringung einer Vorlage in Aussicht gestellt worden ist, welche die Zwangsversicherung der Automobilhalter für Automobilunfälle regeln sollte. Aber, meine Herren, wenn man damals auf eine gesetzliche Regelung verzichtet hat, so hat das doch seinen Grund darin gehabt, daß man sich über die Bedürfnisfrage damals jedenfalls nicht klar gewesen ist.
Nun haben wir versucht, zunächst einmal durch eine sorgfältige Kontrolle der Presse festzustellen, ob ein Bedürfnis für die Einrichtung einer derartigen Versicherung gegeben sei oder nicht. Da diese Er⸗ mittlungen zu einem sachdienlichen Ergebnis nicht geführt haben, wird durch Vermittlung des Aufsichtsamts für Privatversicherung eine Feststellung darüber versucht, in welchem Umfange die Automobil⸗ halter bei den im Reiche zugelassenen Versicherungsgesellschaften eine Versicherung genommen haben. Insbesondere ist aber durch eine Er⸗ gänzung der Unfallstatistik für die Automobile Vorsorge getroffen, daß in jedem einzelnen Falle, in dem ein entschädigungspflichtiger Unfall festgestellt wird, auch gleichzeitig festgestellt werde, welcher Schaden angerichtet ist, wer den Schaden zu bezahlen gehabt hat, und inwieweit dieser Schaden durch eine Versicherung gedeckt gewesen ist.
Ich hoffe, daß wir auf diesem Wege alsbald in die Lage kommen werden, festzustellen, ob die Notwendigkeit einer derartigen Versiche⸗ rung besteht; sowie diese, Ermittlungen abgeschlossen sind, werde ich nicht unterlassen, dem hohen Hause davon Mitteilung zu machen, und falls ein Bedürfnis zu bejahen ist, eine entsprechende Vorlage zu machen. (Bravo! rechts.)
Von Interesse dürfte es immerhin sein, wenn ich darauf hinweise, daß nach der bereits vorliegenden Unfallstatistik der bei Automobil⸗ unfällen entstandene Sachschaden im wesentlichen nicht dritten Per⸗ sonen, sondern den Automobilhaltern selbst zugefügt worden ist; denn während nach der Statistik aus dem vergangenen Jahre an dem Ge⸗ samtschaden von 1 220 950 ℳ die Automobilhalter mit 1 009 844 ℳ beteiligt waren, entfiel auf dritt Personen nur ein Sachschaden von 211 106 ℳ. (Bravo! rechts.) 8“ 8
1111 icht in
Abg. Giesberts (Zentr.): Die Konsumvereine dürfen ni einen Topf geworfen werden mit den großkapitalistischen Warenhäusern. An dem Zustandekommen der Reichsversicherungsordnung und der anderen sozialpolitischen Gesetze, von denen der Staatssekretär sprach, werden wir nach besten Kräften mitarbeiten. Zu bedauern wäre es, wenn das Arbeitskammergesetz an der Zuziehung der Arbeiterfekretäre scheitern sollte. Vielleicht gelingt es doch noch, den Widerstand der Industrie zu überwinden. Die von uns gewünschte Zentralstelle zur Förderung des Tarifwesens soll Vorsorge treffen, daß Lohnstreitig⸗ keiten möglichst im Keime erstickt werden. Ueber das Privatbeamten⸗ recht hätten wir bestimmtere Erklärung von dem Staatssekretär ge wünscht. Die Regelung des Privatbeamtenrechts wird eine der ersten Aufgaben bei Aenderung der Gewerbeordnung sein müssen. Die Bundes⸗ ratsverordnungen sollten im allgemeinen beweglicher sein, namentlich die Schutzbestimmungen sollten wo möglich alle 10 Jahre erneuert werden. Ich denke hier vor allem an die Großeisenindustrie. Wir dürfen an den Feuerarbeitern nicht vorübergehen. In bezug auf die Privat⸗ boamtenversicherung möchte ich wünschen, daß bei dieser gesetzlichen Regelung auch die Arbeiterpensionskassen mitgeregelt werden. Dem Staatssekretär möchte ich dann empfehlen, die Bestrebungen der Bauvereine auf Schaffung billigerer Arbeiterwohnungen durch⸗ Zuwendung von Reichsversicherungsgeldern gegen mäßige Zinsen zu erleichtern; es bestehen auf diesem Gebiete berechtigte Klagen. Die Sozialdemokraten sollen ruhig Kritik üben; sie haben das Recht dazu; Kritik muß sein, sie ist der Hebel des Fortschritts. Aber eine Kritik, die nur das Schlechte sieht und hervorhebt, muß schließlich das Gegenteil erwecken, muß Mutlosigkeit auf der ganzen Linie erzeugen. Die sozialpolitische Gesetzgebungsmaschine arbeitet ja mit Hochdruck. Beim Arbeitskammergesetz hat sich das Zentrum bis auf einige wenige für die Einbeziehung der Staatsarbeiter ausgesprochen. Kommt das Gesetz nicht zu stande, so gehen wir an die einzelstaatlichen Verwaltungen mit der Forderung, die fiskalischen Arbeiterausschüsse ordentlich auszubauen. Die Sozial⸗ demokraten sollten die Nationalliberalen veranlassen, darauf hinzuwirken, daß der Arbeitersekretärparagraph im Arbeitskammergesetz bleibt, und ihnen, wenn sie es nicht tun, die Entziehung ihrer Unter stützung bei den nächsten Wahlen androhen; dann werden wir das Gesetz in dieser Form bekommen. Nachdem wir beim Marineetat für die sozial⸗ demokratische Resolution, betreffend die Tarifverträge usw., die ur⸗ sprünglich eine Zentrumsresolution war, gestimmt hatten, erfahren wir aus den Blättern der äußersten Linken, daß das Zentrum damit bis auf die Knochen blamiert sei! Darum haben wir sie beim Militär⸗ etat auf dieser Resolution sitzen lassen, und auch die Rede des Abg. Hue hat ihre Wirkung auf uns hei dieser veränderten Stellungnahme nicht verfehlt. Was von der Resolution annehmbar war, dem ist durch uns bei den anderen Etats auch zur Annahme verholfen worden. In allen diesen Fragen fallen die Angriffe des Abg. Fischer gegen uns platt zu Boden. In der Krankenkassengesetzgebung sollen wir die Entrechtung der Arbeiterschaft mit beschlossen haben; in Belgien haben gerade die Sozialdemokraten jetzt eine Krankenkasseneinrichtung beautragt mit gleichen Beiträgen der Arbeitgebe: und der Arbeit⸗ nehmer! Wir sollen auch beteiligt sein daran, daß den Gewerk⸗ schaften Schwierigkeiten gemacht werden. Ich weiß nichts davon; wenn die Rechte gegen die Gewerkschaften redet, so schadet das ihrer Entwicklung nichts. Aber die größten Gegner der Ent⸗ wicklung, des Gewerkschaftswesens sitzen in dem Lager der Sozialdemokraten selbst; der alte Gegensatz zwischen der revolu⸗ tionären Klassenkampfidee und der praktischen Gewerkschafts⸗ arbeit bricht immer wieder gelegentlich hervor. Noch 1906 trat eine Konferenz zusammen, die Front gegen die Gegnerschaft in den eigenen Reihen, der Sozialdemokratie, gegen die sozial⸗ demokratische Parteipresse machen mußte, wo Bömelburg, der sich in der Arbeit für die Besserung des Loses der Maurer aufgerieben hat und jetzt schwerkrank liegt, sich gegen die häßlichsten Angriffe dieser Presse verteidigen mußte; Legien hat sich ähnliche Gemein⸗
eiten von seinen eigenen Parteigenossen gefallen lassen müssen. Es ist uns auch vorgeworfen worden, das Zentrum erstrebe Ausnahmegesetze. Das sagt man, nachdem wir das Ausnahmegesetz, die Zuchthausvorlage, die Ausnahmebestimmungen beim Vereinsgesetz bekämpft und abgelehnt haben. (Andauernde Zurufe von links; Vize präsident Spahn bittet das Haus und den Redner, die Zwiegespräche zu unterlassen.) Wir werden jedes Ausnahmegesetz abweisen. Was sich jetzt
für die nicht sozialdemokratische Arb
1616“ * ft vorbexeitet, ist viel schlimmer als sozialdemokratischer Terrorismus, ist die Gefahr der Arbeits⸗ monopolisierung, des Ausschlusses von der Arbeit auf dem Wege der Tarifverträge. Ich verweise nur auf die Vorgänge im Buchdruckerverband und im chemigraphischen Gewerbe. Die sozialdemokratische „Metall⸗ arbeiter⸗Zeitung“ hat geschrieben, die Frage des Ausschlusses müsse von Fall zu Fall ontschieden werden. Was heißt das? Erst rot, dann Brot, und ohne rot kein Brot; den nicht sozialdemokratischen Arbeitern wird der Herd umgedreht. Wir verwerfen jeden Jerrorismus, aber vor allem den Terrorismus der Massen. Die Verantwortung für die Verhetzung der christlichen Arbeiter trägt Ihre (zu den S ozialdemokraten) Presse und die Agitatoren. Auf dem letzten sozialdemokratischen Parteitage hat Bebel anerkannt, daß ohne das Zentrum Baden und Bayern nicht das allgemeine Wahlrecht hätten, und daß ohne Zentrum wir nicht eine vernünftige Sozialreform hätten. Der Abg. Lehmann hat uns ebenfalls Gerechtigkeit widerfahren lasse Und nun klagt uns der Abg. Fischer an, daß das Zentrum der Vater aller Hinder⸗ nisse wäre, und daß es Ausnahmegesetze wolle! D.
n.
die Freiheit der Arbeiter ist vom Zentrum gewiß nicht bedroht; das sollten die Sozialdemokraten in einer Selbstprüfung vor den Wahlen sich klar machen. Den deutschen Arbeitern droht hier keine Gefahr durch ein Ausnahmegesetz, sondern durch den sozialdemokratischen Terrorismus. Jede Ausnahmegesetzgebung verwerfen wir, aber wir verlangen, daß Gerechtigkeit und Arbeitsfreiheit aufrecht erhalten bleiben.
Abg. Sachse (Soz.): Vor 4 Jahren, als 7 christliche Gewerk⸗ schaftssekretäre in den Reichstag kamen, wurden den Arbeitern allerlei schöne Versprechungen gemacht. Jetzt sieht es mit der Erfüllung dieser Versprechungen kläglich genug aus. Die Taten der christ lichen Sekretäre in der Kommission über die Reichsversicherungs⸗ ordnung lassen Arbeiterfreundlichkeit nicht erkennen. Wenn man uns geraten hat, der nationalliberalen Partei die Gefolgschaft bei den Wahlen zu versagen, wenn sie weiterhin Gegner des Arbeiter⸗ sekretärparagraphen bliebe, so erwidere ich: Wir haben mit den Nationalliberalen keinen Block geschlossen, und die Gegner jenes Paragraphen sind nicht nur die Nationalliberalen, sondern vor allem die Konservativen. Wegen der Tarifresolution bleibt be⸗ stehen, daß beim Militäretat, wo keine namentliche Abstimmung stattfand, das Zentrum sitzen geblieben ist. Daß meine Parteifreunde in Belgien ein Krankenkassengesetz mit gleichen Beiträgen und gleichen Verwaltungsrechten vorgeschlagen haben, lag nur daran, daß bei dem klerikalen Regiment in Belgien nicht mehr zu erreichen war. Ueber Terrorismus uns gegenüber zu klagen, hat das Zentrum wahrlich keinen Anlaß. Die christlichen Gewerkschaften haben sich gegenseitig be⸗ schimpft; aber wenn wir ihnen das zu Gemüte führen, sind sie dabei,
sich nach echt München⸗Gladbacher Art herauszuwinden. Die
Resolution des bayerischen Zentrums ist den Herren in Berlin offenbar sehr, unangenehm; diese Resolution besagt nicht bloß, daß keine sozialdemokratische Agitation innerhalb der Staatsbetriebe ausgeübt werden darf, sondern daß auch jeder abgelegt werden soll, der sich außerhalb des Betriebes agitatorisch betätigt. Der Abg. Giesberts beschwerte sich über den einseitigen sozialdemo kratischen Arbeitsnachweis. Das Zentrum hat aber doch unseren An⸗ trag auf paritätischen Arbeitsnachweis abgelehnt. Wenn das Zentrum uns solche Vorwürfe macht, so könnte ich Ihnen tagelang Ihre Ver⸗ sprechen vorhalten. Wenn die christlichen Gewerkschaften Doppel züngigkeiten, ein falsches Spiel treiben, müssen allerdings Reibungen zwischen den christlichen Gewerkschaften und den unserigen vor⸗ kommen. Auch darüber könnte ich eine Reihe von Beispielen an⸗ führen. Im übrigen sind Verstöße auf allen Seiten vorgekommen und am meisten bei Ihnen (zum Zentrum). Der Abg. von Gamp hat behauptet, die Arbeitsverhältnisse hätten sich bedeutend gebessert. Das ist nicht richtig. Ich erinnere an die schmählichen Hungerlöhne der Textilarbeiter in Sachsen und Schlesien, wo Feierschichten über Feier⸗ schichten stattfanden. Den Abg. von Gamp, der leider hier nicht im Saale ist, mache ich darauf aufmerksam, daß in den preußischen Berg⸗ arbeitergebieten die Löhne in 2 Jahren um 136 % Millionen niedriger geworden sind. Spaßig war die Bemerkung des Abg. von Gamp, daß die höhere geistige Bildung dem preußischen Staate zu verdanken sei; diese höhere Bildung verdanken die Arbeiter den Bildungs⸗ bestrebungen der Organisationen, die das Lesebedürfnis der Arbeiter durch gute Lektüre zu befriedigen sich bemüht haben. Wir waren die ersten, die den Kampf gegen die Schmutzliteratur aufgenommen. Die Behauptungen des Abg. von Gamp über sozialistischen Terrorismus müssen so lange zurückgewiesen werden, als er nicht Namen nennt Der Freiherr von Gamp ist Vorsitzender der Budgetkommission, die in den letzten Tagen viel über den Kalibergbau verhandelt hat. Auch da kam Terrorismus zur Sprache, nämlich derjenige der großen Verbände, die den kleinen Bauernverbänden kein Kali lieferten wenn die kleinen Verbände nicht Mitglieder der großen würden. Der Abg. von Gamp wird auch von dem Terrorismus der Elberfelder Farben fabriken wissen, wo organisierte Arbeiter überhaupt nicht gedulde werden. (Zurufe links: Es ist ja sein Werk.) Und wie steht es denn mit dem Terrorismus des Hefesyndikats gegen die Bäckermeister? Wo war da der Abg. Rieseberg, um sich dagegen zu entrüsten? Er hat dazu geschwiegen und sich lediglich um ungelegte Eier bekümmert. Wie werden dagegen die Arbeiter behandelt? Schon das gesetzlich garantierte Streikpostenstehen wird als unerträglicher Terrorismus der Arbeiter gebrandmarkt! Im Sauerland ist zurzeit ein Streik von christlicher Seite inszeniert. Da berichtet die „Kölnische Volks zeitung“, daß eine Versammlung der Streikenden eine besondere Gefahr für den Frieden der Gegend in der Heranziehung arbeits williger, zweifelhafter Elemente erblickt habe, auf die ein aufmerksames Auge zu haben, die Behörden ersucht werden. Dieselbe Zeitung berichtet über den „brutalen“ Terrorismus der national liberalen Schutzherren und Direktoren bei der Vornahme der Bochumen Stadtverordnetenwahlen. Und da klagt auch der nationalliberale Dr. Stresemann über den Terrorismus der Arbeiter! Terrorismu gegen Arbeitgeber, die den Syndikaten mißliebige Arbeiter be⸗ schäftigen, wird ebenfalls vielfach geübt und noch dazu der rücksichtsloseste Boykott angedroht und eventuell durchgeführt Wir im Bergbau können lange Klagelieder anstimmen über die Maß regelungen von Arbeitervertretern in den Knappschaftskassen. Be⸗ den oberschlesischen Wahlen haben die Gelben schlecht abgeschnitten da ging denn das Maßregeln los, zunächst bei der Fürstlic Pleßschen Verwaltung, wo ein Familienvater von 6 Kindern gemaß regelt wurde, bloß weil er Arbeitervertreter war; auch die Metall industrie nimmt keinen organisierten Arbeiter an, wirft dagegen Leute auf die Straße, die schon 20 oder 30 Jahre gearbeitet haben. Da können die Abga. Rieseberg, Stresemann, von Gamp und wie sie alle heißen, wirklichen Terrorismus spüren. Der Abg. Rieseberg ver langt Kampf gegen die Konsumvereine durch Erdrosselungssteuern auf den Handwerkertagen tritt er aber für die Handwerkergenossen schaften ein; er will also die Arbeiterschaft unter ein Ausnahme recht stellen. Genossenschaften und Warenhäuser sind heute schon zu hoch mit Steuern belastet. Der Abg. Rieseberg bekam es fertig wieder auf die Arbeitergroschen hinzuweisen, von denen wir leben. Haben die christlichen Gewerkschaften und alle übrigen gewerkschaft lichen Organisationen nicht auch bezahlte Arbeitersekretäre? Warum uns allein immer diesen Vorwurf machen? Das Zentrum verlangt Einschränkung des Hausiergewerbes; der Abg. Strombeck vom Zentrum aber stellt sich diesem Verlangen entgegen, und zahlreiche Petitionen tun dasselbe. Wir verwerfen die Besteuerung der Warenhäuser und ebenso jeden Zwang und jede Ausnahmemaßregel gegen das Hausier gewerbe, das zum Teil den Aermsten der Armen ein kärgliches Brot gibt. „Schutz der nationalen Arbeit“ heißt es immer wieder, aber gleichzeitg befindet sich die deutsche Textilindustrie in einern schweren Krise, der Sie entgegentreten wollen mit Errichtune einer Zentralstelle zu ihrer Hebung und Förderung. Wodurch ist diese Krise entstanden? Lediglich durch Ihre Schutzzollpolitit, durch die Verteuerung aller Lebensmittel und Bedarfsgegenstände! Mit einer Kommission sind wir einverstanden, aber nur unter der Voraussetzung, daß sie darauf dringt, daß bei den nächsten Handels verträgen die Zölle herabgesetzt werden. Der armen spulenden Witwe haben Sie die Lebensmittel, die Streichbölzer verteuert, und da reden Sie vom Schutz der nativnalen Arbeit. Nirgends ist die
Kindersterblichkeit größer als in der Textilindustrie. Das Einfuhr⸗ scheinysstem ist nichts anderes als eine vpersteckte Ausfuhr⸗ prämie für Getreide. 1905, haben wir noch 352 000 t Roggen mehr eingeführt als ausgeführt, 1910, betrug die Mehrausfuhr 135, 000 t. So viel ist also nach dem Ausland transportiert, und von jeder Tonne bekommen unsere Großgrundbesitzer 5 ℳ, gleichgültig, ob der Roggen in Deutschland gebaut ist oder anders⸗ wo. Warum hat der Abg. Rieseberg nicht in die Klagen der Bäcker⸗ innungen eingestimmt, die Schritte gegen dieses Einfuhrscheinsystem verlangt haben? Er hält es für notwendig, gegen die Sozial⸗ demokratie zu räsonieren, aber für den Schutz der Handwerker und der Arbeiter hat er keine Zeit und Lust. In unserer Resolution ersuchen wir den Reichskanzler um baldige Vorlegung eines Reichs⸗ berggesetzes, in dem vor allem die Marximalschichtzeit der Berg⸗ arbeiter je nach den vorhandenen Wärmegraden und der Näüsse auf 6 bis 8 Stunden beschränkt wird. Deutschland und Rußland sind bisher die einzigen Länder, die keine Maximalarbeitszeit für die Bergwerke gesetzlich eingeführt haben. Ferner muß das System der Arbeiterkontrolleure und der gesamte Bergarbeiter⸗ schutz besser ausgebaut werden. Im Abgeordnetenhause haben die Bergherren das System der Sicherheitsmänner zur Annahme gebracht,
aber dafür gesorgt, daß es weiße Salbe bleibt. Die Beschäftigung
jugendlicher Arbeiter unter Tage muß gänzlich verboten sein. Daß ein einheitlicher Knappschaftskassenverband für das ganze Reich notwendig ist, wird schon dadurch bewiesen, daß in Sachsen die allgemeine Knappschaftspensionskasse die Statuten geändert hat und eine Rentenverschlechterung einführen will. Für die Vertreterwahlen in Knappschaftskassen muüß das gleiche geheime Wahlrecht vor⸗ geschrieben werden. Ferner bitten wir die verbündeten Regierungen, ihr Augenmerk den Regalabgaben zuzuwenden.
Abg. Schwabach (nl.); Die Handhabung des § 12 des Vereins⸗ und Versammlungsrechts durch die unteren Polizeibehörden ist das einzige Thema, das ich behandeln möchte. Wir werden dem An⸗ trage Müller⸗Meiningen über diese Frage zustimmen, den sozialdemo⸗ kratischen Antrag aber ablehnen. § 12 des Reichsvereinsgesetzes stellt das Prinzip auf, daß die Verhandlungen in deutscher Sprache zu führen sind. Ausnahmen sind der Landesgesetzgebung überlassen. Preußen hat nun von diesem Vorbehalt bisher überhaupt keinen Ge⸗ brauch gemacht. Der frühere Minister von Moltke erklärte, er könne sich auf eine gesetzliche Regelung nicht einlassen, da die Sache bereits grundsätzlich geregelt sei. Noch bedenklicher ist die Erklärung, die sein Kommissar abgegeben hat, daß die Regelung auf dem Verwaltungs⸗ wege richtiger sei als die auf gesetzlichem Wege. Durch diese Erklärung klingt sehr deutlich ein Mißtrauen hindurch gegen diejenige Bevölke⸗ rung, die durch ihre Vaterlandsliebe und Königstreue hierzu keine Ver⸗ anlassung gegeben hat. Nach der Fassung des § 12 ist es nicht gerechtfertigt, wenn ein Staat wie Preußen von einer Gesetzgebung absehen will, sondern auf dem Verwaltungswege die Sache regeln will. Es wäre doch viel einfacher gewesen, die ganze Sache der Landes zentralbehörde zu überlassen; dafür wäre aber eine Blockmehrheit nicht zu haben gewesen. Der damalige Staatssekretär von Bethmann Hollweg hatte erklärt, daß das fremde Idiom überall da geschützt werden solle, wo eine Abkehr vom deutschen Vaterlande nicht zu befürchten sei. Daß die Litauer gute Patrioten sind, ist hier oft genug gesagt worden. Sollten die Litauer dieses Schutzes beraubt sein, so würden sie schlechter stehen als vor Erlaß des Vereinsgesetzes. Die Masuren sind geschützt, weil sie mit den Polen zusammen über 60 % der Bevölkerung bilden; die Litauer sind trotz ihres loyalen Verhaltens, weil sie nicht 60 % bilden, der Willkür der Verwaltung ausgesetzt. § 12 des Vereins gesetzes enthält in seinem vierten Absatz nur eine Uebergangs⸗ bestimmung in dem Sinne, daß bis zur landesgesetzlichen Regelung die Landeszentralbehörde denjenigen Zustand herbeiführen solle, der später durch die Gesetzgebung herbeigeführt werden soll. Der Staatssekretär sollte die preußischen Behörden hiervon überzeugen.
Abg. Gothein (fortschr. Volksp.): Graf Kanitz hat die Er⸗ klärung des Abg. Stresemann begrüßt, daß die nationalliberale Partei auf dem Boden des Zolltarifes stehe. Es hat eine Zeit gegeben, wo auch Mitglieder der nationalliberalen Fraktion den Zolltarif für einfach scheußlich erklärt haben. Allmählich hat man sich an das Scheußliche gewöhnt, ob s aber besonders zweckmäßig ist, immer wieder zu betonen, daß man an dem Zolltarif festhalte, ist mir zweifelhaft. Man sollte doch an die bevorstehende Revision der Handelsverträge denken. beute ist selbst die Stellung des hochschutzzöllnerischen Zentral⸗ verbandes der deutschen Industriellen keineswegs mehr so, daß an diesem Zolltarif nicht gerüttelt werden dürfe, sondern er meint vielmehr, daß beim Abschluß neuer Handelsverträge auf dem Boden dieses Zolltarifes Konzessionen gemacht werden können und sollen. Die Lage unserer deutschen Pflastersteinindustrie ist gewiß keine günstige; aber durch einen Zoll kann man daran nichts ändern; iese Industrie gerade hat unsere Wirtschaftspolitik betroffen, indem ie die Produktionskosten unverhältnismäßig gesteigert hat. Auch die deutsche Textilindustrie krankt aus demselben Grunde. Wir werden weiter die Forderung des Abbaues unseres heutigen Zoll systems vertreten. Was wir heute haben, sind keine Erziehungszölle, deren bedürfen wir nicht mehr. Unsere Schutzzölle sind nur noch Verteuerungszölle, Zölle zur Erhöhung der Grund⸗ und Kapitalrente. Das gilt vor allem von den Agrarzöllen, wie neuerdings auch schon Leute bekennen, die Sie (rechts) von Ihren Rockschößen nicht ab schütteln können, so der frühere preußische Landwirkschaftsminister von Arnim⸗Criewen. Die Güterpreise sind seit 1906 enorm gestiegen: das ist Ihnen (rechts) sehr unbequem, weil es in Ihren Kram nicht hineinpaßt. Die amtliche Statistik, die darüber ein Beamter der Finanzverwaltung veröffentlicht hat, hat der Bund der Landwirte vergeblich zu entkkräften versucht. Nun will man uns weismachen daß die Steigerung der Produktivität unserer Landwirtschaft auf den Fortschritten der Technik beruht, eine im Prinzip durchaus diskutable Behauptung; aber trifft sie zu, wie konnte dann der Deutsche Landwirtschaftsrat die Erhöhung der Agrarzölle verlangen? Und wie wirkt diese Politik auf den Gütermarkt? Kaum jemals ist eine Spekulation dagewesen, wie jetzt auf dem landwifktschaftlichen Grundstücksmarkt; der Besitzwechsel vollzieht sich nur in ver schwindenden Fällen noch durch Erbgang, in den meisten Fällen durch Heschäfte unter Lebenden. Im Regierungsbezirk Königsberg sind in einem Jahre durch Erbgang nur 35, durch Verkauf aber 135 Güter über 100 ha in andere Hände übergegangen, und so stellt sich das Verhältnis in vielen anderen Regierungs bezirken, obwohl doch ein großer Teil des Besitzes fideikommissarisch gebunden, also vom Verkauf ausgeschlossen ist. Das ist eine direkte Gefahr für unsere Landwirtschaft; denn wenn alle diese Vorteile eskomptiert sein werden, stehen wir doch wieder am Anfange, nur daß dem deutschen Volke inzwischen seine Ernährung bis zur Unerträglichkeit verteuert ist. In Oesterreich hat man eine Enquete aufgenommen, wie wir sie bei uns vergeblich verlangt haben; das Er gebnis ist ein solches für den Bauernstand gewesen, daß man sich wohl⸗ veislich gehütet hat, sie zu publizieren. Man weiß aber so viel daraus, daß der österreichische Bauernstand durch dieses System dem Ruin nahe gebracht ist. Sind bei uns die Verhältnisse für die Bauern günstiger, so liegt das an unserer großartigen industriellen ontwicklung, der gesteigerten Kraft der Abnehmer und an der Volksvermehrung. Der Freihandelsgedanke macht wieder energische Fortschritte in der Welt, so in England, wo die Tories ihre schutz⸗ zöllnerische Idee bei den Wahlen schon etwas verstecken müssen, und in den Vereinigten Staaten von Amerikg, wo selbst ein so vopulärer Mann wie Roosevelt eine vernichtende Niederlage erlitten hat. In Canada sehen wir dasselbe. Nun wollen auch wir versuchen, aus dieser Verteuerungspolitik herauszukommen. In Frankreich kommt der Zoll beim Preis des Getreides nicht zum Ausdruck, weil Frank reich eine stagnierende Bevölkerung und kein Einfuhrscheinsystem hat. Die Bevölkerung bei uns hat diese Verteuerungspolitik endlich satt.
Das beweisen die Nachwahlen. Den meisten Stimmenzuwachs hatte
diejenige Partei, die am entschiedensten gegen die Hochschutzzölle
aufgetreten ist. Wir unserseits haben am wenigsten Veranlassung, von unserem alten Programm abzugehen Wenn die nächsten
Wahlen noch nicht die Entscheidung bringen, s. wird es bei den übernächsten Wahlen sein. Graf Kanitz empfahl einen allgemeinen bürgerlichen Block zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Man hat den Nationalliberalen zugerufen: Ernst, kehre zurück, alles ist Hir vergeben. Nach der Presse der Nationalliberalen und ihren Reden ist nicht zu schließen, daß sie dieser Mahnung Folge leisten. Sie werden darin lediglich die Aufforderung erblicken, in den Armen der Parteien der Rechten sanft zu entschlafen. Wir unserseits bleiben die alten, und die Herren brauchen sich nicht der Illusion hinzugeben, daß wir der Phalanx der Rechten folgen. Die Nationalliberalen sind uns in mancher Beziehung näher getreten. Sie haben in der Finanzreform und in sozialen Fragen neuerdings eine Haltung eingenommen, die uns sehr sympathisch ist. Der Abg. Junck hat gestern z. B. eine Rede gehalten, die von liberalem Geiste erfüllt war. Es ist ein schweres Unrecht des Reichstags und der Regierung, daß sie immer noch nicht die landwirtschaftlichen Arbeiter den Industrie⸗ arbeitern in bezug auf das Koalitionsrecht gleichgestellt haben. Mit den Nationalliberalen bekämpfen wir die Exzesse des preußischen Polizeigeiste. Zu diesem Zwecke muß zunächst der schwarz⸗blaue Block zertrümmert werden; das wird uns hoffentlich bei den nächsten Reichstagswahlen gelingen. Der Deutsche Land⸗ wirtschaftsrat ist keine Vertretung der deutschen Landwirtschaft, sondern des Großgrundbesitzes. Das kann auch gar nicht anders sein nach dem Wahlrecht zu dieser Körperschaft; alle kleinen Landwirte werden ausgeschlossen. Dasselbe ist der Fall bei dem Landesökonomiekollegium und bei den Landwirtschafts⸗ kammern. Die kleinen Landwirte gelten Ihnen (rechts) etwas, wenn sie für die Zölle stimmen, aber nichts, wenn sie in die Körperschaften gewählt werden wollen. Die Land⸗ wirtschaft ist nun auch im Wirtschaftlichen Ausschuß vertreten, In⸗ dustrie und Handel kommen aber zu kurz. Daß der Staatssekretär an dem Diner des Zentralverbandes teilgenommen hat, verüble ich ihm nicht. Um so mehr muß ich Bueck und dem Zentral⸗ verband einen Vorwurf daraus machen, daß sie ihm eine Rede ge⸗ halten haben, die für ihn sehr angreifend war. Er sollte doch aus diesem Vorgang die Lehre ziehen, künftig gegenüber solchen Ein⸗ ladungen etwas vorsichtiger zu sein. Uebrigens sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten. Das gilt sowohl von dem Staatssekretär wie von dem Reichskanzler. Es besteht bei ihnen eine gottgewollte Abhängigkeit von den Junkern und Schlotbaronen. Der Staatssekretär sagte, die Regierung solle nicht in alles hinein⸗ regieren. Tatsächlich ersticken wir bereits im Paragraphenwust, und wir leiden unter nichts so schlimm wie unter der Bevormundung durch die Behörden. Bei einer einzigen Regierung in Preußen, bei der in Oppeln, haben wir 72 Regierungsräte. Das sind natürlich alles strebsame Leute. Sie wollen sich betätigen, und wenn sie keine Arbeit haben, dann machen sie sich solche, indem sie sich in alles und jedes einmischen. Die Freiheit des Individuums soll gewiß nicht untergehen in der Herrschaft der Massen, aber sie soll auch nicht untergehen in der Herrschaft der Bureaukratie. Wir müssen uns doch das eine vor Augen halten: die Masse kann nur etwas durchsetzen, wenn sie sich zu⸗ sammenschließt; der einzelne vermag nichts. Da ist es sehr bedauerlich, wenn die Masse dazu schreitet, Terrorismus auszuüben, einen Zwang zum Beitritt zu einer Koalition, wofür Freiherr von Gamp Beispiele angeführt hat. Wir verdenken es den Arbeitern nicht, wenn sie Mit⸗ glieder werben und ihre Organisationen festigen, das ist ihr gutes Recht, ja ihre moralische Pflicht. Aber sie dürfen nicht so weit gehen, zu verlangen, daß jeder, der nicht ihrer Organisation angehört, in dem Betriebe nicht mehr beschäftigt wird. In der Beziehung muß ie Freiheit des Individuums geschützt werden. Gerade die Ge⸗ werkschaften müssen gegen eine Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit auftreten. Mit vollem Recht hat aber demgegenüber auch der Abg. Sachse hervorgehoben, daß nicht bloß auf der Arbeiter⸗ seite gesündigt wird. Der Freiherr von Gamp sagte, durch nicht; dokumentiert sich eine niedrigere Gesinnung, als wenn man jemanden us der Arbeit bringt, weil er nicht einer Organisatioa angehört. Aber diese niedrige Gesinnung findet sich in gleichem Maße, ja noch schlimmer bei den Arbeitgebern. Die Sittlichkeit, die wir vom Arbeiter verlangen, müssen wir in mindesten; demselben Grade bei den Arbeitgebern voraussetzen. Auch der preußische Fiskus hat als Arbeitgeber diesen Standpunkt vielfach nicht vertreten. Ich erinnere mich, daß Oberberghauptmann Velsen erklärte: wer auf den preußischen Staatsgruben Sozial⸗ demokrat ist, fliegt. Das ist derselbe Terrorismus, den man bei den Arbeitern beklagt hat. Und was ist denn schließlich der Grund des öffentlichen Wahlrechts? Doch nur der Wunsch nach einer Kontrolle, wer nicht so stimmt, wie Sie es wollen. Dasselbe ist es, wenn Sie keine einheitlichen Wahlurnen haben wollen. In den Syndikatsverträgen ist die Bestimmung enthalten, daß der Abnehmer seinen gesamten Bedarf bei einer hohen Konventional strafe von dem Syndikat beziehen muß. Diese Bestimmung finden wir selbst bei denjenigen Syndikaten, an denen der preußische Staat beteiligt ist. Hier hätte der Staatssekretär allen Anlaß, die Freiheit des Individuums zu schützen. Wenn Sie dem Handwerk durchgreifend helfen wollen, dann brechen Sie mit der Verteuerungspolitik. Mit schonen Reden und Gesetzesparagraphen helfen Sie dem Mittel⸗ stande nicht, sondern nur damit, daß Sie ihm die Lebensbedürfnisse billig machen. Wir wünschen den Frieden im Arbeiterverhältnis, dazu sind Tarifverträge das beste Mittel. Nach der Rede des Staatssekretärs bin ich zweifelhaft geworden, ob eine Zentral⸗ stelle Zweckmäßig wäre. Ich halte es für wünschenswert, diese Frage einmal in einer Kommission zu prüfen. Wir treten für die Tarifverträage ein unter dem Gesichtspunkt, daß durch sie ein Machtverhältnis zu einem Rechtsverhältnis wird. Wir werden wenigstens eins damit los werden, die vielen Einzelbestimmungen der Gewerbeordnung, die viel besser lokal geregelt werden. Was hat denn die Börse mit den Bankzusammenbrüchen zu tun? Sie ist doch bestrebt, in jeder Weise auf die Solidität hinzuwirken. Daß sie eine unumgänglich notwendige Einrichtung ist, darüber wird doch ein so unterrichteter Mann wie Graf Kanitz nicht im Zweifel sein. Wenn die Firma Neuburger Filialen in den kleinen Städten von Brandenburg und Pommern errichtet, so hat das weder mit der Börse noch mit dem Depositenwesen etwas zu tun; ist das Publikum dieser unsoliden Spekulation zum Opfer gefallen, so liegt das namentlich auch daran, daß die kleine Provinzpresse versagt hat, die einen Warnungsruf hätte erheben sollen. Ohne die Aktien⸗ gesellschaften kommen wir anderseits in unserer Wirtschaft nicht mehr aus. Wir haben eine Menge kleine Rentner, pensionierte Beamte usw., die ihr Geld in Staatspapieren angelegt haben und jetzt mit ihrer Rente nicht mehr auskommen können, weil alle Lebens⸗ bedürfnisse so verteuert worden sind. Die Resolution Albrecht auf Verabschiedung eines Reichsberggesetzes unterstützen wir; diese Forde⸗ rung feiert nächstens ihr 25 jähriges Jubiläum, und es ist wirklich beschämend, daß der Reichstag sie immer aufs neue erheben muß, daß der Widerstand Preußens dagegen noch immer nicht hat gebrochen werden können.
Abg. Waida⸗Pleß (Pole): Bei der Regierung finden wir kein Ohr; wo sollen wir schließlich zum Worte kommen, wenn nicht hier im hohen Hause? Viele Klagen haben wir vorzubringen. Die schwere Industrie in Oberschlesien vergewaltigt die Arbeiter in der unbarmherzigsten Weise. Die Schichtlöhne sind erbärmlich. Auf der Donnersmarckgrube wurden die Leute durch die reine Verzweiflung in den Streik getrieben. Ich habe vergeblich in dem Schoppinitzer Streik zu vermitteln gesucht und auch im Handelsministerium ver⸗ geblich vorgesprochen; dieses war falsch, absichtlich falsch unterrichtet worden. 8 Wochen hielten sie aus; dann wollten sie die Arbeit wieder auf⸗ nehmen. Da aber kam die Rache; sie wurden nicht wieder auf⸗ genommen und fanden auch auf den henachbarten fiskalischen Werken keine Arbeit, weil die Listen ihre Wirkung taten. Nichts von Gerechtigkeit, von Güte gar nichts war da bei den Werksbesitzern zu spüren. Von Pensionskassen, Unterstützungskassen, von Krankenhäusern ist für die Arbeiter auf einem Betriebe, der auch für unsere Marine Schießbaumwolle usw. liefert, keine Rede: aber verteilt werden stolze
Dividenden, das letzte Jahr 24 %. Die Freiheit des Gedankens, die
geistige Freiheit ist bei uns unbekaunt; Versammlungsfreiheit ist ein Märchen. Drei Jahre lang bin ich Reichstagsabgeordneter, in diesem Jahre wollte ich zum ersten Male eine Versammlung abhalten, aber man setzte dem Gasthofbesitzer so zu, daß er mich himmelhoch be⸗ schwor, nicht zu reden, da es sein Ruin wäre. So geht es bei uns zu. Im Kreise Ratibor machen Polen und Mähren zusammen 90 % der Bevölkerung aus, aber Mährisch und Polnisch zu sprechen, ist hier verboten. Mich selbst hat man hei meiner geistlichen Behörde angeschwärzt, weil ich mit Arbeitern ein freies Wort zu sprechen gewagt hatte. Aus dem Schulvorstand bin ich eliminiert worden. (Präsident Graf Schwerin ersucht den Redner während der weiteren Ausführungen wiederholt, bei der Sache zu leiben.) Der Redner verbreitet sich dann noch über ungesetzliches Verhalten von Gendarmen und schildert die ständigen Verfolgungen, denen die polnischen Gesangvereine ausgesetzt sind. „Das Volk gewinnt man nur, indem man sich seine Pflege angelegen sein läßt.“ (Rufe bei den Sozialdemokraten: Was sagt Herr Delbrück dazu?) Hierauf wird ein Schlußantrag angenommen.
Persönlich bemerkt der
Abg. Graf von Kanitz (dkons.): Der Abg. Gothein irrt, wenn er meint, daß ich bei meinen Bemerkungen über das Depositenwesen etwas gegen die Börse gesagt habe; er weiß doch auch, daß ich ein besserer Freund der Börse bin als er.
Zur Geschäftsordnung bedauern die
Abgg. Dr. Frank⸗Ratibor (Zentr.) und Hengsbach (Soz.), nicht mehr zum Worte gekommen zu sein. Letzterer zieht die beiden Resolutionen, betreffend die Werkspensionskassen und den Hütten⸗ arbeiterschutz, für jetzt zurück.
Abg. Graf Kanitz (dkons.) bedauert, die Resolution wegen des Zwischenhandels mit Lebensmitteln nicht mehr begründen zu können, bittet aber, sie trotzdem anzunehmen.
In der Abstimmung werden von den zum Titel „Gehalt des Staatssekretärs“ beantragten Resolutionen abgelehnt: die Resolution Gröber wegen Abänderung der Vorschriften der Gewerbeordnung über die Detailreisenden und Hausierer, die Resolution Albrecht und Genossen (Soz.) wegen Vorlegung eines Reichsberggesetzes. Die Resolutionen, die sich auf das Reichs⸗ vereinsgesetz beziehen, werden erst bei der dritten Lesung zur Abstimmung gebracht werden. —
Die übrigen Resolutionen gelangen sämtlich zur An⸗ nahme, u. a. die, betreffend die Wanderlager und Waren⸗ auktionen, die Errichtung einer Zentralstelle zur Förderung der Tarifverträge, die Resolution Ablaß, betreffend einheitliche Wahlurnen und Beseitigung der Zwergwahlbezirke (diese Resolution gegen die Stimmen der beiden Parteien der Rechten), die Resolution, betreffend Schaffung einer deutschen Einheitsstenographie, und die Resolutionen Basser⸗ mann, betreffend die Gehilfen der Rechtsanwälte usw., die Ausdehnung der Bestimmungen sozialer Natur des Handels⸗ gesetzbuchs auf die technischen Beamten und die eventuelle Einführung eines Petroleumhandelsmonopols. Auch die Reso⸗ lution der Polen auf einheitliche Regelung des Bergrechts wird angenommen.
Die Besoldungen für das Reichsamt des Innern werden bewilligt.
Schluß 7¼ Uhr. (Fortsetzung.)
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Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr.
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Preußischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. G11““ 49. Sitzung vom 15. März 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen und Unterrichtsange⸗ legenheiten im Kapitel „Technisches Unterrichts⸗ wesen“ fort.
Bei Erledigung des Titels der dauernden Ausgaben für die Technische Hochschule in Berlin wird auf An⸗ trag der Budgetkommission eine Petition um Umwandlung der neu geforderten Bureauassistentenstelle bei der Technischen Hoch⸗ schule in Berlin in eine Kanzlistenstelle der Regierung als Material überwiesen. Ueber eine Petition um Schaffung einer neuen Sekretärstelle an dieser Hochschule geht das Haus zur Tagesordnung über.
1 Bei Erledigung des Titels der Ausgaben für die Technische Hochschule in Hannover wird der im Bericht über den Beginn dieser Sitzung erwähnte Antrag des Abg. Dr. von Woyna an die Budgetkommission überwiesen.
Bei den Ausgaben für die Technische Hochschule in Danzig gibt Abg. Heine (nl.) seiner Freude über die Begründung einer Pro⸗ fessur für ländliche Baukunst und landwirtschaftliche Baukunde Aus⸗ druck und wünscht, daß die Kirchenbauten auf dem Lande mehr der ländlichen Umgebung angepaßt werden. Dasselbe gelte auch für die Schulgebäude, die allerdings in erster Linie praktisch gebaut werden müßten. Hoffentlich trage die Errichtung dieser neuen Professur in Danzig zu einer Förderung der ländlichen Baukunst wesentlich bei.
Die dauernden Ausgaben für die technischen Hochschulen werden bewilligt.
Bei den einmaligen und außerordentlichen Ausgaben für das technische Unterrichtswesen tritt
Abg. Meyer⸗Rottmannsdorf (freikons.) für die Schaffung ge⸗ eigneter Räume für die Schiff⸗ und Schiffsmaschinenbauabteilung an der Technischen Hochschule in Danzig ein.
Abg. Dr. Wagner⸗Breslau (freikons.): Bei der Einweihung der Technischen Hochschule durch den Kaiser hat sich gezeigt, daß in dem größten Auditorium eine drangvoll fürchterliche Enge geherrscht hat. Deshalb besteht der lebhafte Wunsch, daß bald mit den Ab⸗ teilungen für Architektur- und Ingenieurwesen der Bau der Hoch sal vollendet werden möge, damit die Hochschule würdige Reprä⸗ entationsräume erhält.
Die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben für die technischen Hochschulen werden bewilligt.
Es folgt das Kapitel „Kunst und Wissenschaft“.
Die Einnahmen werden ohne Debatte bewilligt.
Bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei den Ausgaben für die Kunstmuseen in Berlin findet die allge⸗ meine Besprechung statt.
Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Für die Kunst eine offene Hand! Hier wäre Sparsamkeit an falscher Stelle. Alle größeren Staaten haben erhöhte Mittel für die ästhetische Erziehung des Volkes aufgewendet. Preußen hat dazu erst recht die Pflicht. Es konnte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Kunstpflege mehr Auf⸗ merksamkeit widmen. Früher konnte es an die Aufgabe nicht heran treten, da das Staatsgebäude erst vollendet werden mußte. Preußen war arm. Jetzt aber wächst der Wohlstand und mit ihm das Bedürfnis nach Schmuck und nach Schönheit. Die in den Etat eingestellten Titel reichen nicht hin, sobald einmal ein wertvolles Kunstwerk
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aufgekauft werden soll. Das hat sich bei dem Ankauf des be⸗ rühmten Werkes van der Goes' gezeigt. Wir brauchen eine reich⸗ lichere Dotierung dieses Etats aber auch, um die kunstgewerhliche Bildung zu fördern, damit die Handwerker über den bloßen Nutz⸗ wert hinaus auch einer Vollendung der Form zustrehen. Der Zu⸗ wachs des Volksvermögens beträgt schätzungsweise 4 Milliarden Mark. Davon muß ein größerer Betrag der Kunst zugeführt werden, auch auf dem Umwege über den Staat. Es war der Ehrgeiz Bayerns, allerdings mehr der Krone als der gegenwärtigen Volksvertretung, München zu einer Kunststadt zu machen. Es muß der Ehrgeiz der preußischen Regierung werden, Berlin zu einer Kunststadt zu machen. Was ist dem protéctor artium in München nachgerühmt worden? Daß er die feste Zuversicht hatte, daß Tüchtiges sich durchsetzt. Das muß auch bei uns der Standpunkt der Verwaltung sein. In der Kunstpflee muß das Prinzip der Parität befolgt werden. Was in den Sammlungen ausgestellt wird, darf nicht zu viel sein, damit die Schaulust nicht unterdrückt wird. Es muß eine Trennung zwischen Schaustellung und Wissenschaft stattfinden. Wir hoffen, daß in Dahlem endlich ein Neubau für das Völkermuseum entsteht, damit eine größere Uebersicht für die dortige Sammlung erreicht werden kann. Die Besuchszeiten für die Museen müssen so ein⸗ gerichtet werden, daß sie besonders Sonntags Nachmittags zum Be⸗ suche geöffnet sind. Ebenso lassen die Kataloge viel zu wünschen übrig. Zu wüͤnschen wäre, daß der Bestand an Marmorwerken vermehrt wird. Denn Gips ist der Tod, Marmor die Auferstehung! Die Schaffung einer Galerie historischer Portraits wäre sehr zu begrüßen. Es brauchte nicht eine Galerie von Fürsten sein, sondern von Portraits derjenigen Männer, die in ihrer Zeit Führer gewesen sind. In Lindi in Ostafrika sind Ausgrabungen aus der Kreidezeit gemacht worden. Da könnten wir ein wertvolles Schaustück für unser Naturkunde⸗ museum bekommen, das jetzt so stolz ist auf seinen Archaeopteryx. Es wird ein Gesetzentwurf im Kultusministerium vorbereitet, der aber im Finanz⸗ ministerium Schwierigkeiten gefunden haben soll, der dazu bestimmt ist, die Ausgrabungen von Privatpersonen nach Möglichkeit zu unterbinden. Es wäre zu wünschen, daß uns der Entwurf bald bekannt gegeben würde. Ich glaube, daß der Gesetzentwurf im Hause nur sympathische Aufnahme finden würde. Die Zoologische Station Rovigno muß weiter bestehen. Alle Staaten sind daran beteiligt und haben dort Arbeitsplätze. Wir müssen verlangen, daß eine Einrichtung, die derart gewürdigt wird, in irgendeiner Form erhalten bleibt. Kann sie der Staat nicht ankaufen, dann ist der Fortbestand vielleicht in Anlehnung an eine Privatgesellschaft zu erreichen. In der Presse ist von der Kaiser⸗ Wilhelms⸗Gesellschaft die Rede gewesen. Bis das geschehen ist, muß der bisherige Zuschuß weiter gewährt werden. Ein Redner der Sozialdemokratie hat gegenüber den Zuwendungen von Privatkapital für wissenschaftliche Zwecke scharfe Bedenken vorgebracht, weil dadurch der Einfluß des Kapitalismus auf Kunst und Wissenschaft gestärkt werden könne. Ich meine, es ist gerade erwünscht, daß die Privat⸗ kapitalisten mehr Opfer für Kunst und Wissenschaft bringen, daß mehr amerikanische Zustände auch bei uns entstehen. Ich hoffe, daß sich unsere Ansichten mit denen des Kultusministers und seines Dezernenten decken.
Abg. Dr. Wagner⸗Breslau (freikons.): Ich freue mich, diesen letzten Worten des Vorredners zustimmen zu können. Wir befinden uns hier auf einem neutralen Boden. Die ethnographische Sammlung wird hoffentlich durch den Neubau in Dahlem ihre Auferstehung erleben. Es war nicht die Absicht, die ganzen wertvollen Sammlungen in Kisten liegen zu lassen. Ob die Trennung von Schau⸗ und Arbeits⸗ sammlung praktisch durchführbar ist, müssen wir abwarten. Auch wir wollen die weitere Erhaltung der Zoologischen Station in Rovigno. Es fragt sich, welchem wissenschaftlichen Institut diese Station an⸗ gegliedert werden soll. Ich bezweifle, daß es gut ist, sie dem Institut für Meereskunde anzugliedern. Mir würde es richtiger er⸗ scheinen, diese Station einem zoologischen Institut anzuschließen. Vielleicht wäre der Anschluß an Berlin oder Kiel möglich. Es wäre durchaus nicht entwürdigend, wenn das Privatkapital sich mehr der Förderung von Kunst und Wissenschaft annehmen würde. Péecunia non olet. Es ist durchaus nicht nötig, dazu die Gelder der Steuer⸗ zahler heranzuziehen. Die Frage des Befähigungsnachweises der Musiklehrer muß geklärt werden. Die Interessenten rufen nach Staatsaufsicht und wünschen, daß bestimmte Grundsätze für eine Staatsprüfung der Musiklehrer durchgeführt werden. Eines Gesetzes bedarf es dazu nicht. Wir haben die Kabinettsorder von 1834, die eine Handhabe für die Lösung dieser Frage gibt. Dazu kommt der Ministerialerlaß von 1839. Es ist versucht worden, das Kultus ministerium durch eine Reihe von Eingaben dafür zu interessieren. Vor 25 Jahren hatte der bekannte Musiklehrer Breslauer schon eine Eingabe abgesandt. Das Kultusministerium hat eine Verfügung er⸗ lassen, die es den höheren Verwaltungsbehörden überläßt, Schritte zu unternehmen. Die Regierungen in Merseburg und Düsseldorf sind darauf diesen Weg gegangen. Es wäre erwünscht, wenn jetzt das Ministerium den Wünschen der Musiklehrer weiter nachkommen würde. Der zwingende Charakter der Königlichen Kabinettsorder wird zwar in Zweifel gezegen. Ich bin nicht in der Lage, das juristisch beurteilen zu können, möchte aber den Minister bitten, sich energisch der Klärung der Frage anzunehmen. Geeignete Persönlichkeiten als Kom missare werden schon gefunden werden. Die Konservatorien haben zum Teil den Charakter von Warenhäusern mit Filialbetrieb angenommen. So hat ein Institut 10 Filialen in Berlin und eine in Leipzig. Die Lehrkräfte sind meist außerordentlich minderwertig, sodaß man von einem musikalischen Sweating⸗System sprechen kann. Dem Musikerproletariat, das dadurch gezüchtet wird, muß energisch ent⸗ gegengewirkt und alles getan werden, was gesetzlich moöͤglich ist.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Gegen die Freie Volksbühne ist mit kleinlichen Maßregeln vorgegangen. Bei uns sucht man systematisch jede freie Regung des Volkes zu unterdrücken. In einem Artikel anläaßlich des Prinz⸗Regenten⸗Jubiläums legt die „Deutsche Tageszeitung“ ein feines Verständnis für die Beziehungen zwischen dem lebendigen demokratischen Prinzip und der freien Entwicklung von Kunst und Wissenschaft an den Tag. Der Abg. Porsch hat aus⸗ geführt, die katholische Kirche wolle nicht so sehr die freie Forschung wie die Wahrheit. Aber die Wahrheit, die Sie wollen, ist eine intuitive Wahrheit, ist das Dogma. (Zuruf im Zentrum: Der Marxismus!) Der Marxismus ist kein Dogma! Wir wünschen vielmehr, daß er nach allen Richtungen hin geprüft wird. (Vizepräsident Dr. Porsch bittet den Redner, zur Sache zu sprechen.) Ich füge mich dem und komme zu dem Verwandlungskünstler Herrn von Jagow, der aus einer Hose einen Riesen, aus cinem Erzengel Gabriel eine Schwiegermutter gemacht hat. Ein Künstler dieser Art ist vorzüglich geeignet, die Theaterzensur auszuüben. Die Künstler müssen bei uns sozusagen auch einen Antimodernisteneid leisten; Künstler von anerkannter Qualität erhalten nicht die höchsten Auszeichnungen, die sonst an Künstler vergeben werden. Die Theaterzensur. (Vizepräsident Dr. Porsch verweist den Redner wiederum auf die Sache.) Dann will ich die Theaterzensur nicht besprechen. Der Abg. Wagner verlangt für den Musik⸗ unterricht noch mehr Reglementierung, er wünscht die Ausdehnung der Kabinettsorder von 1834 über die Notwendigkeit eines Er⸗ laubnisscheins für die Unterrichtserteilung auf den Musikunterricht. Das ist kein geeignetes Mittel gegen die Mißbräuche der Schmutz⸗ konkurrenz und des Lehrlingswesens; diese Mißbräuche könnten die Musiker selbst beseitigen, wenn sie sich organisierten. Der Aba. Pachnicke irrt sich in uns: wir wollen durchaus, daß die Privatkapitalisten für Kunst und Wissenschaft etwas tun; der Abg. Ströbel hat neulich nur gesagt, daß die wissenschaftlichen Institute nicht durch die Art ihrer Finanzierung beeinflußt werden sollen. Die amerikanischen Privatkapitalisten geben ja Millionen für wissenschaftliche Stiftungen aus, aber sie kreiben zugleich damit eine kolossale Reklame für ihre Geschäfte, wie z. B. Carnegie. Es sind nicht nur von unserer, sondern auch von anderer Seite Bedenken geltend gemacht worden, ob die Kaiser⸗Withelm⸗Gesellschaft bei der Art ihrer Finanzierung wirklich unbeeinflußt der voraussetzungslosen Wissen⸗ schaft Dienste leisten kann. Selbstverständlich enthält unser Kultusetat manche erfreulichen Aufwendungen, wir sollten aber nicht nur die körperlichen Reste früherer Kulturen, sondern auch