1911 / 68 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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und die Renten können auf die Dauer nicht gezahlt werden. Nach Wohlwollen kann nicht verfahren werden, sonst müssen wir eben durch ein Gesetz die Beiträge erhöhen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß dadurch einem Empfangsberechtigten die Rente entzogen oder nicht bewilligt wird, weil bekanntlich gegen jede Rentenversagung und ⸗Entziehung ein geordnetes Rechtsverfahren gegeben ist vor ganz un⸗ abhängigen Gerichten. Wenn die Berufungen gegen die Versicherungs⸗ anstalten zahlreicher geworden sind, so ist das ganz natürlich, denn die Leute versuchen, mit den ihnen unentgeltlich zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln ihre Rente weiter zu erhalten. Aber worauf es ankommt, die Zahl der erfolgreichen Revisionen hat in dieser Zeit prozentual nicht zugenommen. Darin liegt ein zwingender Beweis dafür, daß die Rentenentziehung oder Minderbewilligung mit den gesetzlichen Bestimmungen übereinstimmt. Wenn die Beitrags⸗ einnahmen und das Vermögen der Versicherungsanstalten erheblich zugenommen haben, so ist das eine Tatsache, aber es ist auch not⸗ wendig, denn die Zahl der Rentenansprüche wächst ebenfalls beständig. Daraus kann man nicht den ziehen, daß ohne Schädigung 5 Versicherungsanstalten mehr oder höhere Renten bewilligt werden önnten.

Darauf wird gegen 6 ½ Uhr auf Antrag Mugdan die Fortsetzung der Beratung auf Montag 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 52. Sitzung vom 18. März 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die erste Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Reichszuwachssteuergesetz vom 14. Februar 1911 fort. 1

Auf die Ausführungen des Abg. Marx (Zentr.) er⸗ widert der

Minister des Innern von Dallwitz:

Der Herr Vorredner hat Bedenken gegen die im Entwurf vor⸗ gesehene Regelung der Veranlagung der Steuer geltend gemacht und namentlich bemängelt, daß in der Rheinprovinz und in Westfalen die Veranlagung durch die Landbürgermeister und die Amtmänner statt⸗ finden soll. Ich glaube, daß die Bedenken, die er geltend gemacht hat, nicht zutreffen. Wir haben in den Landbürgermeistern und Amt⸗ männern ein so ausgezeichnetes und ausgesuchtes Material, daß es meines Dafürhaltens schade wäre, von ihrer Arbeitsfähigkeit und Tüchtigkeit in diesem Falle nicht Gebrauch zu machen. Es kommt hinzu, daß die Amtmänner und Landbürgermeister den Verhältnissen der Gemeinden ganz erheblich näherstehen als eine zusammengesetzte Behörde, daß sie mithin in weit höherem Maße in der Lage sind, auf Grund ihrer genauen Kenntnis der örtlichen Verhältnisse eine sachgemäße Veranlagung zu bewirken, als es eine den Verhältnissen fernerstehende Behörde tun könnte.

Ich mache noch auf einen andern Gesichtspunkt aufmerksam, daß nämlich die Möglichkeit gegeben ist, bei der Veranlagung im Wege des Vergleichs eine ganze Anzahl von Fragen der Ver⸗ anlagung auszuschalten und sich durch gegenseitiges Einverständnis über die Schwierigkeiten hinwegzusetzen. Der Abschluß derartiger Vergleiche seitens einer den Landgemeinden und Bürgermeistereien fernerstehenden Behörde könnte doch sehr leicht dazu führen, daß beim Abschluß solcher Vergleiche die Interessen der Gemeinden nicht ge⸗

nügend wahrgenommen werden würden, während dies bei Zuständig⸗ keit der Landbürgermeister und der Amtmänner meines Dafürhaltens nicht zu befürchten sein wird.

In bezug auf die Rechtsmittel hat der Herr Vorredner es als erwägenswert bezeichnet, an Stelle der im Entwurf vorgesehenen Regelung den Rechtsweg zu geben. Ich glaube, daß dem doch außer⸗ rdentliche Bedenken entgegenstehen. Der Herr Vorredner hat selbst darauf hingewiesen, daß durch Einfügung des Rechtsweges als Rechts⸗ mittel gegen die Zuwachssteuerveranlagung den Interessenten, sowohl den Zensiten als auch den Gemeinden, ganz außerordentlich hohe Kosten entstehen würden. Ich glaube, daß man in der Tat schon aus diesem Grunde davon wird absehen müssen, eine andere als die im Entwurf vorgesehene Regelung zu treffen. Ich möchte aber auch noch darauf hinweisen, daß zweifellos bei der Einführung des Rechtsweges die Erledigung der Beschwerden gegen die Veranlagung sehr viel mehr Zeit erfordern wird (sehr richtig!), als in dem im Entwurf vorgeschlagenen Verfahren.

Es ist in dem Entwurf vorgesehen, im Rechtsmittelverfahren im Hinblick auf die außerordentliche neue Belastung, die dem Ober⸗ verwaltungsgericht erwachsen wird, die einfachere Form gelten zu lassen, wie sie durch den § 51 der Einkommensteuernovelle von 1906 für das Beschwerdeverfahren in streitigen Einkommensteuersachen bereits eingeführt ist. Dieses Verfahren hat sich ganz außerordentlich bewährt, und, meine Herren, dem einen Bedenken, das der Herr Vor⸗ redner geltend gemacht hat, daß es doch notwendig sein werde, auf Antrag die Interessenten zur mündlichen Verhandlung auch vor dem Oberverwaltungsgericht zuzulassen, ist ja in dem Verfahren, das der § 51 der Einkommensteuernovelle vorsieht, Rechnung getragen. Es ist vorgesehen, daß das Oberverwaltungsgericht auf Antrag der Interessenten die mündliche Verhandlung ansetzen kann, sodaß die Befürchtung, diese Interessenten ihre eigenen Interessen nicht persönlich würden vortragen können, meines Dafürhaltens hinfällig ist.

Der Zwang zur Zuziehung von Sachverständigen, den der Herr Vorredner vorgeschlagen hat, würde ein vollständiges Novum in das Verwaltungsstreitverfahren hineinbringen. Es ist bisher Grundsatz gewesen, daß es dem freien Ermessen der Gerichte überlassen ist, in

eelcher Weise sie die Beweiserhebungen, die sie für zweckdienlich halten, gewähren wollen. Einen Zwang nach dieser Richtung auszu⸗ sprechen, möchte ich für sehr bedenklich halten.

Gegen die Einführung des Rechtswegs das habe ich vorhin vergessen zu sagen spricht auch der Umstand, daß das Oberver⸗ waltungsgericht bereits durch die kommunalen Wertzuwachssteuern und durch die zahlreichen Entscheidungen, die es auf dem Gebiete der kom⸗ munalen Wertzuwachssteuern bisher schon hat fällen müssen, eine ganz eingehende Kenntnis dieser Materie besitzt. Das ganze Material, welches aus den früheren Vorgängen dem Oberverwaltungsgericht zu Gebote steht, würde verloren gehen, wenn man davon absehen wollte,

das Oberverwaltungsgericht zu befassen und an dessen Stelle das Reichsgericht setzen würde.

Was nun die Beteiligung der Gemeinden und der Kreise an der Entschädigungsquote, die nach dem Reichsgesetz in Höhe von 40 %,

ihnen gemeins so muß meines Dafürhaltens

beachtet werden, daß der Kreisanteil einerseits ein Entgelt für die Kosten, die den Kreisorganen durch die Veranlagung der Steuer in den einzelnen Gemeinden erwachsen, darstellen soll, andererseits aber ein Aequivalent für den Verlust der Steuerberechtigung der Kreise. Es wird daher die Entschädigung der Kreisanteile verschieden zu be⸗ messen sein, je nach der Mitwirkung, die den Kreisorganen bei der Veranlagung der Steuer in den Gemeinden zufällt. Es erscheint an⸗ gemessen, in den Fällen, in denen die Veranlagung der Steuer den Kreisausschüssen übertragen wird, den Anteil des Kreises in gleicher Höhe festzusetzen, wie denjenigen Anteil, den der Staat nach dem Reichsgesetz für die Aufsicht und für die behördliche Mitwirkung im Rechtsmittelverfahren erhalten soll, also auf 10 % der Reichssteuer. In den Fällen dagegen, in denen die Veranlagung der Steuer durch die Gemeinden selbst erfolgt, in denen mithin der Kreisanteil lediglich sich darstellt als ein Aequivalent für den Verlust des Besteuerungs⸗ rechts der Kreise, schlägt der Entwurf vor, diesen Kreisanteil nur auf 5 % der Steuer festzusetzen, sodaß den Gemeinden volle 35 % er⸗ halten bleiben.

Der Herr Vorredner hat diese Verteilung nicht bemängelt, hat aber den Gedanken angeregt, daß in den Fällen, in denen die Ge⸗ meinden von der Zuschlagsberechtigung, die ihnen im § 59 des Reichs⸗ gesetzes vorbehalten ist, Gebrauch machen, die Bestätigung der Satzungen durch die beteiligten Minister erfolgen solle. Meine Herren, eine derartige Bestimmung würde der ganzen Tendenz der Verwaltungs⸗ reform widersprechen, möglichst wenig zu zentralisieren und die Aus⸗ führung derartiger Geschäfte in die Instanzen zu verlegen, die den Verhältnissen näher stehen. Ich würde es daher für in hohem Maße bedenklich halten, wenn der Anregung des Herrn Vorredners Folge gegeben und an Stelle des Kreis⸗ und Bezirksausschusses, die nach den bestehenden Bestimmungen und auch nach dem Vorschlage des Ent⸗ wurfs die Genehmigung derartiger Satzungen erteilen sollen, die Minister als entscheidende Behörde bestimmt werden. Ich möchte bitten, auch in der Kommission von dieser Anregung mäöglichst ab⸗ zusehen.

Abg. Graf von Carmer⸗Zieserwitz (kons.): Mir scheinen die Vorschlaͤge des Ausführungsgesetzes durchaus richtig zu sein. Es ist ein Unterschied zwischen den Gemeinden über und denen unter 3000 Ein⸗ wohner gemacht worden. In den größeren ist die Veranlagung dem Ge⸗ meindevorstand überlassen; dieser ist durchaus in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. In den kleineren Gemeinden würde man den Gemeindevorstehern aber eine ungeheure Last auferlegen, die sie nicht übernehmen können. Das Verwaltungsstreitverfahren halte ich mit dem Minister für angemessen gegenüber dem Vorschlag des Rechtsweges. Im Interesse aller Beteiligten liegt die beschränkte Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht, damit bei der Unzahl dieser Prozesse eine möglichst schnelle Erledigung stattfinden kann. Mit der vorgeschlagenen Verteilung des Anteils an der Steuer zwischen den Gemeinden und Kreisen können wir uns dagegen nicht einverstanden erklären. Die Kreise müssen einen größeren Anteil er⸗ halten, sie müssen auch einen Anteil an den 10 % des Steuer⸗ ertrages erhalten, die nach dem Reichsgesetz den Einzelstaaten zufließen. Wir sind auch nicht damit einverstanden, daß die Gutsbezirke gar keinen Anteil bekommen. Die Begründung der Vorlage sagt einfach, daß die Gutsbezirke kein Besteuerungsrecht haben. Das ist an sich richtig, aber in gewissem Sinne haben sie doch nach dem Kommunal abgabengesetz die auf den Gutsbezirk entfallenden Steuern auf die Eingesessenen zu verteilen, haben also eine Art Besteuerungsrecht, und deshalb ist es ungerecht, wenn sie keinen Anteil an der Zuwachssteuer erhalten sollen. Man könnte die 40 %, die den Gemeinden von der Steuer zufallen sollen, in einem Fonds sammeln, der vom Kreis⸗ ausschuß für öffentliche Zwecke verwendet wird. Ich schließe mich dem Antrag auf Ueberweisung der Voklage an eine Kommission von 21 Mitgliedern an. .

Abg. von Dewitz (kons.): Bei der Schwierigkeit der Veranlagung würden wir es für angebracht halten, die Veranlagung auf dem Lande principaliter allgemein dem Kreisausschuß zu übertragen; den Gemeinden über 3000 Einwohner könnte dann die Veranlagung auf ihren Antrag selbst überlassen werden. In der Rheinprovinz und in Westfalen die Landbürgermeister und Amtmänner auszuschließen, könnte ich nach meinen Erfahrungen nicht empfehlen; ich stimme da dem Minister zu, daß wir in diesen ausgezeichnete Leute haben. Uns ist zweifelhaft, ob es richtig ist, daß der Staat die ganzen 10 % der Steuer erhält, die ihm das Reichsgesetz gewährt. Als Rechtsmittel halten wir das Verwaltungsstreitperfahren im all⸗ gemeinen für genügend, aber bei größeren Objekten, wo es sich manchmal um Hunderttausende handelt, müßte wenigstens das münd⸗ liche Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht obligatorisch gemacht werden; ich möchte vorschlagen: bei Objekten von etwa 5000 an. Von einer Beteiligung der Gutsbezirke möchte ich absehen.

Finanzminister Dr. Lentze:

Die beiden Herrn Vorredner haben die Frage aufgeworfen, ob es richtig sei, daß der Staat 10 % von der Steuer erhält, obschon er selbst die Erhebung nicht vorzunehmen hätt’. Allerdings ist es zu⸗ treffend, daß in dem Entwurf die Erhebung der Steuer den Kreisen und Kreisausschüssen und den Gemeinden übertragen worden ist; aber der Staat hat außerdem noch ganz erhebliche Kosten selbst aufzu⸗ bringen. In dem Reichsgesetz ist auch nicht allein von einer Ver⸗ gütung von 10 % an den Staat für die „Erhebung“, sondern auch für die „Verwaltung“ die Rede, und durch die Verwaltung hat der Staat nicht unbeträchtliche Kosten. Dadurch, daß die Kreise die Steuern erheben, wird der Staat auch von den Erhebungskosten nicht vollständig entlastet; denn die Kreise und Gemeinden sind immer darauf hingewiesen, daß sie eine Reihe Benachrichtigungen und Auskünfte von staatlichen Behörden erhalten. Sie müssen sich in Verbindung setzen mit den Grundbuchämtern, Kataster⸗ ämtern und den Behörden der indirekten Steuern, und alles das macht Arbeit für die staatlichen Behörden.

Nachdem die Steuer veranlagt worden ist, treten die staatlichen Behörden in erheblichem Maße in Tätigkeit. Es wird leider nicht ausbleiben, daß eine ganze Reihe von Einsprüchen zur Entscheidung gelangen müssen. Die Bezirksausschüsse werden dadurch in erheblichem Maße in Anspruch genommen, und auch das Oberverwaltungsgericht wird zweifellos eine große Arbeit durch die Wertzuwachssteuer be⸗ kommen. Die Kosten, die dem Staat erwachsen, sind mithin nicht unbeträchtlich, und wir können deshalb auf die Einnahmen der 10 % nicht verzichten; denn sie werden kaum ausreichen, um die Kosten des Staats selbst zu decken.

Abg. Büchtemann (ffortschr. Volksp.): Der Erfolg wird sein, daß gerade die ärmsten Gemeinden weniger bekommen als die besser situierten. Gegen die Art der Veranlagung haben wir auch große Bedenken. Bei der Veranlagung kommen so viele Rechts⸗ fragen vor, die besser durch geschulte Beamte erledigt werden können. Dem Kreisausschuß steht das Material für die richtige Einschätzung gar nicht zu Gebote. Es wäre besser, die Veranlagungskommissionen, die ja schon mit der Einschätzung zur Vermögenssteuer zu tun haben, mit der Veranlagung der Wertzuwachssteuer zu beauftragen. Den Rechtsweg wollen meine Freunde nicht zulassen, weil dadurch das Nesehrer ungeheuer

kompliziert werden würde. Für die Stempelsteuer ist zwar der Rechtsweg zugelassen, aber das sind doch veraltete Bestimmungen. Die Gemeinden sind jedoch nicht in der Lage, sich in dem Verwaltungs⸗ streitverfahren selbst vertreten zu lassen; diese Vertretung müßte der Regierungspräsident übernehmen; dann würde auch eine andere Kostenverteilung eintreten, und der Anteil des Staates von 10 % ließe sich besser rechtfertigen. Nach der Vorlage sollen die größeren Gemeinden über 3000 Einwohner nur ein Achtel von ihren 40 % Anteil an die Kreise abgeben, die kleineren Gemeinden dagegen ein Viertel; die kleineren kommen also viel schlechter weg. Die Guts⸗ bezirke haben einen guten Ausweg; wenn sie einen Anteil haben wollen, so brauchen sie sich ja nur mit Landgemeinden zu vereinigen oder in Landgemeinden umwandeln zu lassen. Nach dem Reichs⸗ gesetz kann die Landesgesetzgebung von der Steuerfreiheit der Landes⸗ fürsten zugunsten der Gemeinden Ausnahmen machen; wir werden in der Kommission zu prüfen haben, ob wir nicht davon Gebrauch machen sollen.

Abg. Dr. Dumrath (nl.): Als Rechtsmittel halten wir das Be⸗ schlußverfahren für angebracht, das bisher schon in der Steuergesetzgebung gilt. Für die Kreise wünschten wir auch einen größeren Anteil. Die Gutsbezirke werden ja hart betroffen, aber das können wir im Gesetz nicht ändern. Wir sind auch für Kommissionsberatung, halten jedoch eine Kommission von 14 Mitgliedern für genügend.

Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Große Bedenken haben wir gegen die Veranlagung durch die Kreisausschüsse, denn darin ist der Landrat ausschlaggebend. Die Vorlage läßt nicht die Beschwerde gegen die Veranlagung zu, sondern nur den Einspruch; das ist eine Verschlechte⸗ rung gegen das Reichsgesetz, denn dieses hat die Möglichkeit der Beschwerde vorgesehen. Durch das beschränkte Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht werden die Sachen allerdings schneller erledigt werden können, aber für die Steuerzahler kommt es nicht allein auf die Schnelligkeit, sondern auch auf die Richtigkeit der Veranlagung an. Wir wünschen die Zulassung des ordentlichen Rechtsweges. Gegen die Beteiligung der Kreise an dem Steuerertrage haben wir nichts einzuwenden, die Voraussetzung ist jedoch, daß die Gemeinden nicht schlechter gestellt werden als bisher. Das Reichsegesetz gibt den Gemeinden das Recht, mit Genehmigung der Regierungen durch Statut Zuschläge zur Zuwachssteuer zu erheben; dieses Zuschlagsrecht sollte in dieser Vorlage gesetzlich festgelegt werden, und wir werden für die zweite Lesung einen solchen Antrag stellen. Hier könnte den Gemeinden eine neue Steuerquelle eröffnet werden, die um so be⸗ rechtigter wäre, als das Reichsgesetz ihnen diese Steuerquelle zum Teil genommen hat. Der preußische Staat müßte hier die Gelegen⸗ heit ergreifen, den anderen deutschen Staaten mit der Beseitigung der Steuerfreiheit der Landesfürsten mit gutem Beispiel voranzugehen.

Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage wird einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.

Darauf wird die Beratung des Etats des Finanz⸗ ministeriums und zwar die am 6. März begonnene und unterbrochene allgemeine Debatte beim Titel des Minister⸗ gehalts fortgesetzt.

Abg. Dr. Schroeder⸗Cassel (nl.): In jedem Jahre haben wir bei den verschiedensten Gelegenheiten die Frage des Kursstandes der Konsols behandelt, es läßt sich darüber nichts Neues mehr sagen. Der preußische Staat hat allerdings ein Vermögen von 18 bis 19 Milliarden, und diesen stehen nur 9 ½ Milliarden Schulden gegenüber, aber es darf nicht vergessen werden, daß Preußen auch Anteil an den Reichs⸗ schulden hat und sekundär für die Schulden seiner Provinzen haftet. Der hohe Stand der Papiere eines Staates ist durchaus noch kein Beweis für einen günstigen Stand seiner Volkswirtschaft, denn unsere Industrie blüht trotz des niedrigen Kursstandes. Vor Vergleichen mit dem Stande der Papiere anderer Staaten möchte ich warnen, denn diese Vergleiche sind ganz unsicher. Wir dürfen nicht vergessen, welche Wirkungen die Konversion unserer Konsols gehabt hat, auch wenn sie schon weit zurückliegt; die kleinen Sparer kaufen seitdem nicht mehr gern die preußischen Konsols. Nun sollen die Sparkassen veranlaßt werden, ihre Bestände in Konsols anzulegen; den öffent lichen Feuersozietäten ist diese Verpflichtung schon im vorigen Jahre durch Gesetz auferlegt worden; das hat keine große Wirkung gehabt, weil sie ihre Bestände schon zum größten Teil in Staatspapieren angelegt hatten. Bei den Landesversicherungsanstalten könnte eine solche Verpflichtung aber größere Wirkungen haben. Was die Sparkassen betrifft, so haben die größeren Sparkassen bereits erhebliche Bestände in Staatspapieren, anders liegt es bei den kleineren Sparkassen; bei diesen muß vor allem die Liquidität gewahrt werden. Wenn eine solche Sparkasse ihren Einlegern 4 % geben will, muß sie Hypotheken zu wenigstens 4 ½ % aufnehmen; das ist natürlich nicht sicher. Um ihre Liquidität zu erhalten, benutzen diese Spar⸗ kassen Wechsel, und das halte ich für bedenklich. Die frühere Gesetzes⸗ vorlage, welche die Sparkassen zur Anlegung ihrer Bestände in Staats⸗ papieren verpflichten wollte, scheiterte in der Kommission, obwohl der Gedanke Zustimmung fand, daran, daß man diese Verpflichtung allein den Sparkassen auferlegen wollte. Ich weiß nicht, ob eine solche Vorlage jetzt mehr Aussicht auf Erfolg hätte; das Zentrum hat sich bereits dagegen ausgesprochen; in meiner Fraktion sind die Meinungen geteilt, die Mehrheit meiner Freunde ist aber dagegen. Die Zulassung ausländischer Wertpapiere hat uns neulich beschäftigt. Ich bin sehr zweifelhaft, ob der Staat eine Prüfung der Bonität solcher Papiere vornehmen könnte, er würde damit eine große Ver⸗ antwortung übernehmea, wenn er durch eine Zulassung gewissermaßen die Bonität bescheinigte. Mit einer Verhinderung der Industrie⸗ obligationen würde man den Ast absägen, auf dem unsere Industrie sitzt. Ich warne dringend vor einem solchen Schritt, er würde unsere Industrie auf das schwerste schädigen, und ich danke dem Finanz⸗ minister, daß er dagegen Stellung genommen hat. Die Fallissements der Banken, die wir in der letzten Zeit mehrfach gehabt haben, sind ja betrübende Erscheinungen, aber es fragt sich, ob wir uns durch gesetzgeberische Maßnahmen davor schüͤtzen können. In vielen Fällen sind unredliche Handlungen die Ursache der Fallissements, und Bücherfälschungen sind selbst für einen gewiegten Bücher⸗ revisor sehr schwer zu entdecken. Eine Vorschrift über die Anlage des Reservefonds der Aktiengesellschaften in Staatspapieren ist ganz unmöglich. Dem Grafen Kanitz gebe ich darin recht, daß mit der Veröffentlichung von Zweimonatbilanzen der großen Banken ein Allheilmittel auch nicht gegeben ist; immerhin bin ich damit einverstanden, wenn auch nicht viel davon zu erhoffen ist. Der Finanzminister hat sich gegen die Aufbesserung der Alt⸗ bvensionäre erklärt, weil sie neun Millionen kosten würde. Die Freisinnigen haben ihre Aufbesserung um 10 % beantragt, wir beantragen die Aufbesserung ohne einen bestimmten Prozentsatz.

Der Finanzminister hat bereits ausgeführt, daß die Begrenzung der

Aufbesserung auf diejenigen, die nur bis zu 3000 Einkommen haben, willkürlich ist; auch die Altpensionäre mit größerem Ein kommen leiden unter der Teuerung. Ich freue mich, daß die Mehr⸗

heit der Konserpativen sich mit einer gesetzlichen Regelung der Ver⸗

hältnisse der Altpensionäre einverstanden erklärt hat. Von eine Seite ist gesagt worden, daß die Altpensionäre nicht mit 10 % zufrieden sein könnten, daß sie bedaure, daß die Ansprüche so in die Höhe wachsen, und daß sofort mit so grobem Geschütz geschossen wird. In vielen Fällen sind die Altpensionäre mit Unterstützungen von 15, 20, 30 abgespeist worden. Die Erkundigungen nach den Verhältnissen der Alt pensionäre bei Unterstützungsgesuchen sollten in Weise erleditt werden. Für die Berechnung des Wohnungsgeld zuschusses in den deklassierten Städten sind türzlich neue Grund⸗ sätze vom Reichsschatzamt aufgestellt worden, über die die Beamten sich beschweren. getretene Veränderungen berücksichtigt werden können, daß also nicht nur der Stand vor dem 1. April 1908 zu Grunde gelegt wird,

daß die Verhältnisse in den Vororten berücksichtigt werden sollen usw.

alle Entscheidungen dem denn der Reichsschatz immer auf die Finanz⸗ Ich finde es auch nicht

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Bedenken habe ich aber dagegen, daß Reichsschatzamt vorgelegt werden sollen, sekretär wird gar nicht umhin können, lage des Reichs Rücksicht zu nehmen.

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40 % verlangen müßten; ich

wohlwollenderer

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Erfreulich ist darin allerdings, daß auch neu ein-

richtig, daß neue Feststellungen für die mittleren Beamten immer zugleich für die unteren und höheren Beamten gelten sollen; besonders für die höheren Beamten möchte ich diese Notwendig⸗ keit bezweifeln. Bei der Besoldungsordnung hat der Finanzminister von Rheinbaben gesagt, daß alle G namentlich die Unter⸗ beamten, eine 1 von mindestens 200 erfahren sollten. Wenn nun aber die Wirkung der Deklassierung der Städte und der Fortfall der Teuerungszulagen abgerechnet wird, so kommen Fälle vor, wo nur eine Aufbesserung von 40 bis 90 herauskommt. J möchte also den Minister bitten, die Bezüge der Altpensionäre vch Gesetz zu verbessern und die deklassierten Städte wieder in ihre frühere Klasse hinaufzusetzen.

Abg. Rosenow (fortschr. Volksp.): Um den Kursstand der Staats⸗ papiere zu heben, darf man nicht in das industrielle Leben zu dessen Schaden eingreifen. Auch die Sparkassen darf man nicht zwingen, ihre Bestände in Staatspapieren anzulegen. Manche Beamtenkategorien sind bei der Besoldungsordnung nicht genügend berücksichtigt worden, namentlich die Unterbeamten. Die Stellung der großen Mehrheit der konservativen Partei zu Gunsten der gesetzlichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre hat uns angenehm überrascht; es ist ja immer er⸗ freulich, wenn äußere Umstände auf die Konservativen einzuwirken vermögen. Die Altpensionäre haben sich erst gescheut, als Bittende zu erscheinen, um Unterstützung zu erhalten; die Lage ihrer Familien hat sie schließlich dazu gezwungen. Es ist unsere Pflicht, für diese alten Beamten zu sorgen. Wir müssen ihre Lage gesetzlich regeln. Der bittere Ton in manchen Eingaben, z. B. in der letzten aus Breslau, berührt ja nicht angenehm, aber die Breslauer vertreten nicht alle Altpensionäre; in anderen Eingaben finden wir vielmehr ein Gefühl der Beschämung. Der Finanzminister sollte doch bedenken, daß die Kosten infolge Absterbens immer geringer werden, und wir leben doch nicht auf einer Insel; andere Staaten, Bayern, Sachsen, Baden und selbst das kleine Reuß, haben bereits die gesetzliche Regelung. Die Stadt Berlin soll jetzt mehr als bisher zu den Kosten der Unterhaltung des Tiergartens heran⸗ gezogen werden. Berlin hat allerdings große Annehmlichkeiten von dem Tiergarten, aber es hat keine rechtliche Verpflichtung und zahlt doch, wie der Finanzminister anerkannt hat, einen recht hohen Beitrag. Seinerzeit erklärte sich die Stadt bereit, 30 000 beizutragen, und dafür iit der Tiergarten erst als Park eingerichtet worden, er ist ent⸗ wässert und gepflastert worden. Später hat die Stadt den Beitrag auf 50 000 erhöht, während der Staat 224 000 zahlt. Andere Großstädte zahlen für die dortigen Parkanlagen lange nicht so viel, zum Teil sogar garnichts. Dabei hat Berlin für seine eigenen Parks seit Jahren über 15 Millionen ausgegeben. Nur der Haß gegen die Großstadt und Berlin kann sagen, daß wir nichts für unsere An⸗ lagen tun. Diese bedecken viele Hektar, 346 Hektar allein an Park⸗ anlagen, nicht gerechnet die zahllosen Anlagen in den Straßen. Was den Kauf des Opernhauses anlangt, so hat sich Berlin nicht dazu gedrängt, sondern man hat uns den Kauf angeboten; wir haben uns dazu bereit erklärt und gleich auf Anhieb 6 Millionen geboten. Herr von Arnim hat nun gesagt, man wisse nicht, ob wir das Opernhaus auch würdig benutzen würden. Das ist eine so schwere Beleidigung der Stadt Berlin, daß ich nicht laut genug dagegen protestieren kann. (Oho! rechts.) Ja, wir empfinden das als eine Beschimpfung. Wenn man an uns nicht verkaufen will, hätte man das Angebot nicht nötig gehabt, um nachher von subversiven Einflüssen in der Stadtverord⸗ netenversammlung zu sprechen. Zu solchen Worten haben wir in keiner Weise Anlaß gegeben. Anderswo ist man stolz darauf, die Landeshauptstadt zu fördern, der deutschen Hauptstadt setzt man Hinderungen und Beschimpfungen entgegen. Wir verbitten uns das, wir wissen, wie wir unsere Würde, die des Staates und des Königs⸗ hauses zu schützen haben, dazu brauchen wir keine Erklärung aus anderen Parteien. Wir verschließen uns Neueinrichtungen keineswegs, Beweis dafür ist schon die Jubiläumsgabe der Stadt an die Universität in Höhe von 200 000 ℳ. Das ist nicht engherzig, und es geschieht nicht durch den Zwang des Gesetzes, sondern von selbst und freiwillig im Interesse des Staates und der Allgemeinheit. Wenn man auf Berlin lospaukt, muß man auch einen Grund dafür haben. Wir verwalten die Stadt vielfach mustergültig, und wenn wir mit speziellen Gebieten kommen: mit der Pflasterung, unserer Schule usw., dann heißt es: jawohl, das muß man anerkennen. Nur übrig als Angriffspunkt bleibt die liberale Stadtverwaltung, und deswegen sind Sie (nach rechts) gegen Berlin.

Abg. Dr. Seyda (Pole): Es wird sich empfehlen, die Mittel, die dazu dienen sollen, eine antipolnische Politik zu treiben, abzuschaffen. Diese Politik ist immer mehr bestrebt, den Wünschen der Bevölke⸗ rung entgegenzuwirken. Dadurch wird auch der Gerechtigkeitssinn der deutschen Bevölkerung vergiftet, und die Zahl derjenigen Beamten, die der Förderung des polnischen Volkes entgegenwirken, vergrößert sich immer mehr. Besonders die Organe der Polizei setzen ihre Diligenz darin, Grund zu scharfem Einschreiten zu finden, namentlich gegen Versammlungen unter freiem Himmel, die bei uns in Ober⸗ schlesien der Bepölkerung die einzige Möglichkeit bieten, in größeren Mengen zusammenzukommen. Wir beklagen uns auch über schikanöse Anwendung der Baupolizei, die aller Hygiene Hohn spricht. Der Pole soll dadurch gezwungen werden, sein Be⸗ sitztum dem Deutschen zu verkaufen. Man erreicht auf diese Weise, daß eine Familie von 11 Köpfen sich auf ein Zimmer beschränken muß. Das beweist einen moralischen Tiefstand bei einem solchen Beamten, der bei einem anderen Stande nicht vor⸗ kommen kann. Gegenüber dem polnischen Gesangverein gräbt man mehr als hundert Jahre alte Gesetze aus, um die Pflege des polnischen Gesanges zu unterbinden. Dadurch wird auch der Beamtenstand ver⸗ schlechtert; wir kennen einen Polizeibeamten, der sich eines Diebstahls schuldig gemacht hat. Es kommt so weit, daß kein Beamter mehr nach seiner Ueberzeugung zu handeln wagt, wenn er das Wohl der Bevölkerung fördern soll. Dazu trägt auch die Verletzung des Brief⸗ geheimnisses bei, die immer noch vorkommt. Wie wir neuerdings festgestellt haren, wird jetzt auch die Ostmarkenzulage nicht mehr bloß unteren und mittleren Beamten, wie es vorgesehen war, zu teil, sondern auch höheren Beamten. Wir bitten daher, alle diese Positionen im Etat zu streichen.

Finanzminister Dr. Lentze:

Der Herr Vorredner hat eine Reihe von Beschwerden vor⸗ gebracht über Beamte in der Provinz Posen, und hat dabei Aus⸗ drücke gebraucht, die ich unter keinen Umständen hingehen lassen kann, gegen die ich energisch protestieren muß. Er hat von einem mora⸗ lischen Tiefstand gesprochen, der bei den Beamten zutage getreten sein soll, er hat davon gesprochen, daß ein Beamter des Polizeipräsidiums einen Diebstahl begangen hätte, daß Beamte unter Verletzung des Briefgeheimnisses gehandelt hätten. (Sehr richtig! bei den Polen.) Das sind Beschuldigungen, die eines Beweises bedürfen, und es wäre richtig gewesen, daß, wenn der Herr Vorredner sie zur Sprache bringen wollte, er mich davon voörher unterrichtet hätte. Denn ich bin augenblicklich außerstande, darauf zu antworten. Diese Beschuldigungen gehören in das Ressort des Ministers des Innern und nicht zu dem Ressort des Finanz⸗ ministers; aber ich bin doch immerhin Vertreter der Staats⸗ regierung, und ich kann es unter keinen Umständen hingehen lassen, daß in dieser Weise von der Tribüne des Hauses gegen die preußischen Beamten vorgegangen wird. (Bravo! rechts.) Der Herr Vorredner spielt die gekränkte Unschuld und sagt, die Polen werden von dem preußischem Staate verfolgt. Ich glaube, die Sache ist durchaus um⸗ gekehrt. Der ganze Kampf ist dem preußischen Staat von den Polen auf⸗ genötigt worden. (Na, na! bei den Polen.) Die Polen haben zuerst begonnen, einen Staat in unserm Staat zu begründen. Sie haben sich von den Deutschen abgesondert; sie haben überall einen solchen Terrorismus geübt, daß kein Pole mit den Da mußte

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der preußische Staat Maßregeln ergreifen, damit nicht in seinem Herzen ein besonderer Staat von einer fremden Nation entstand. Also die Verhältnisse liegen vollständig umgekehrt. Wenn Sie heute einen Blick in eine der polnischen Zeitungen hineinwerfen, so werden Sie finden, daß die Verhetzung der Polen gegen die Deutschen größer ist als umgekehrt (sehr richtig! rechts), und daß der Terrorismus, den die Polen gegen ihre eigenen Stammesgenossen ausüben, sehr viel größer ist als der Terrorismus, wie er den Deutschen gegen die Polen imputiert wird. Wenn ein Pole irgend einem Deutschen etwas verkauft oder mit Deutschen in nähere Verbindung tritt, dann wird er in polnischen Zeitungen so gegeißelt, daß jedermann sich fürchten muß, überhaupt so etwas zu tun, selbst wenn er es wollte. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe gelesen, daß z. B. ein Pole, der an einen Deutschen Grund⸗ besitz verkauft hatte, öffentlich in der Zeitung selbst bis in das siebente Glied hinein verflucht worden ist. Das ist eine Maßnahme, die gen Himmel schreit. (Zuruf bei den Polen: Wo hat das gestanden ) Ich bin bereit, Ihnen das Material zu bringen.

Dann, meine Herren, möchte ich auf einzelne Ausführungen der anderen Herren noch etwas näher eingehen. Der Herr Abg. Dr. Schroeder hat in einer Erklärung, die ich in der Budgetkommission über die Ausführungsbestimmungen hinsichtlich des Unterstützungsfonds für Altpensionäre abgegeben habe, einen Widerspruch gegenüber der⸗ jenigen Erklärung gefunden, die der Herr Ministerialdirektor Halle über dieselbe Frage abgegeben hat. Ich gebe zu, daß die beiden Er⸗ klärungen formell nicht völlig übereinstimmten. Ich habe erklärt, die Bestimmungen seien gemildert, und der Herr Ministerialdirektor hat gesagt, sie würden am 1. April in Kraft treten. Ich habe bei dem Hinweis auf die Milderung der Bestimmungen auch im Auge gehabt, daß sie am 1. April in Kraft treten sollen, sobald die Mittel für diesen Zweck bewilligt worden sind. Wenn ich mich unklar ausgedrückt haben sollte, so möchte ich das hiermit klar stellen. Ein Widerspruch hat also nicht stattgefunden, sondern es war von vornherein be⸗ absichtigt, daß die milderen Bestimmungen mit demselben Zeitpunkt in Kraft treten sollen, für welchen in dem Etat die Mittel für die weitere Unterstützung der Altpensionäre bewilligt worden sind.

Dann hat der Herr Abg. Dr. Schroeder hier ein Formular produziert, nach welchem die Unterstützungsfälle bei den Alt⸗ pensionären behandelt werden sollen. Ich glaube, der Herr Abg. Dr. Schroeder hat sich in einem Irrtum befunden. Das Formular, das er hier vorgelegt hat, betrifft nicht die hier in Frage stehende Unter⸗ stützung der Altpensionäre, sondern irgend welche andere Unter⸗ stützungen, und zwar Unterstützungen, welche von den Ressorts selbständig aus ihren Fonds ohne Mitwirkung der Finanz⸗ verwaltung gegeben werden. Das hier vorgeführte Formular betrifft also in keiner Weise die Unterstützung der Alt⸗ pensionäre. Die Bedingungen für diese sind ganz andere und erheblich bessere und werden, sobald der Etat bewillit ist, noch milder werden. Ich möchte hier von dieser Stelle aus einen Appell an die Altpensionäre richten, daß sie, wenn ihnen auch eine gesetzliche Erhöhung der Pension nicht zuteil wird, sich doch immer, wenn sie es nötig haben, vertrauensvoll an die Staatsregierung wenden. Es wird ihr Gesuch in der allerwohlwollendsten Weise geprüft werden, und die Altpensionäre sollen, soweit Not vorhanden ist, aus staatlichen Fonds unterstützt werden. Ich habe schon das vorige Mal erklärt, daß, wenn der Fonds nicht ausreicht, im nächsten Jahr eine Verstärkung vorgesehen werden soll, und daß den Alt⸗ pensionären dadurch ihr Recht werden soll. (Bravo! rechts.) Ich kann aber trotz der warmen Befürwortung, die die Herren Vorredner der gesetzlichen Regelung der Pensionserhöhung für die Altpensionäre haben angedeihen lassen, doch nicht anders als nochmals zu betonen, daß die Königliche Staatsregierung mit Rücksicht auf die außer⸗ ordentlich großen Konsequenzen, welche ein solcher Schritt hat, und mit Rücksicht auf die außerordentlich hohen Kosten sich doch nicht ent⸗ schließen kann, dem Wunsch der Herren nachzugeben.

Dann hat der Herr Abg. Dr. Schroeder bemängelt, daß der Fragebogen, der ins Land hinausgegangen ist zur Feststellung der Un⸗ kosten der Wohnung der Beamten, nicht richtig aufgestellt wäre. Meine Herren, das Verfahren ist folgendes. Wir müssen ja in Preußen mit dem Reiche Hand in Hand gehen bei der Festsetzung des Wohnungsgeldzuschusses, weil sonst unerträgliche Verhältnisse ent⸗ stehen; in derselben Stadt erhalten sonst ganz gleichartige Beamte einen verschiedenartigen Wohnungsgeldzuschuß. Infolgedessen ist ja auch von Preußen, nachdem zunächst die provisorische Regelung statt⸗ gefunden hatte, hinterher dieselbe Klassierung eingeführt worden, wie sie das Reich vorgenommen hatte. Nun hat der Bundesrat auf Grund der vielen Petitionen Grundsätze für eine Rundfrage bei den petitionierenden deklassierten Orten auf Antrag Preußens erlassen, und es mußte dabei allerdings von der Grundlage ausgegangen werden, die von der Reichstagskommission bei Prüfung der damaligen Petitionen und der Vorlage selbst gewählt worden war; denn es müssen überall die gleichen Grundsätze und Vor⸗ aussetzungen obwalten. Die versandten Fragebogen werden dann verarbeitet werden, und wir werden darauf beim Bundesrat die notwendigen Anträge stellen, wenn wir die Ueberzeugung haben, daß nach den neueren Ermittlungen die Deklassierung unbegründet ist, daß die Hinaufklassierung der bisher deklassierten Orte stattfindet. Meine Herren, daß diese ganzen Geschäfte auf das Reicheschatzamt über⸗ gegangen wären und das preußische Staatsministerium sich dabei seiner eigenen Rechte freiwillig entäußert hätte, ist unzutreffend. Also der Bundesrat hat, weil die Klassierung der Orte an sich eine Reichssache ist, auf den Antrag Preußens hin die Grundsätze für die neue Um⸗ frage aufgestellt. Sobald diese beendet ist, erfolgt die Prüfung, die dann wieder Preußen die Veranlassung geben wird, die notwendigen Anträge beim Bundesrat zu stellen, damit dann eine endgültige Be⸗ schlußfassung stattfindet. Wir sind dadurch auch hier in der Lage, den geäußerten Wünschen tunlichst entgegenzukommen.

Was dann die Heranziehung der Stadt Berlin zu den Kosten des Tiergartens anlangt, so habe ich schon in der Budget⸗ kommission darauf hingewiesen, daß der Staat der Stadt Berlin gegenüber einen rechtlichen Anspruch auf irgend eine Beitrags⸗ leistung nicht hat. Die Stadt Berlin ist bis dahin freiwillig bereit gewesen, einen Beitrag von 50 000 zu gewähren. Dieser Beitrag erscheint überhaupt im Etat; denn die Stadt Berlin hat die Ver⸗ wendungszwecke des Beitrages von vornherein festgelegt, und danach wird das Geld verwendet. Wenn nun der Wunsch des hohen Hauses dahin gehen sollte, daß die Stadt Berlin noch einen erhöhten Beitrag für den Tiergarten zahlen soll, so bin ich sehr gern bereit, mich mit

der Stadt Berlin nochmals in Verbindung zu setzen und sie darum zu ersuchen, ihren Beitrag zu den Kosten des Tiergartens zu erhöhen. Aber wie gesagt, ein Zwangsmittel haben wir nicht, es wäre immer eine freiwillige Leistung der Stadt Berlin.

„Abg. Strosser (konsf.): Es ist erfreulich, daß der Minister den Wünschen, die aus dem Hause an ihn herantreten, bereitwillig ent⸗ gegenkommt, wir würden es auch gern in der Frage der Altpensionäre sehen. Die sehr große Mehrheit meiner Fraktion ist der Meinung, daß es besser wäre, diese Frage gesetzlich zu regeln. So wie es jetzt liegt, müssen die Altpensionäre doch auch noch extra dazu beitragen, daß man ihren Interessen gerecht wird. Mit Unterstützungen ist ihnen nicht geholfen. Es gibt doch auch unter den Altpensionären Männer, die da sagen; wir wollen keine Unterstützung, sondern uns lieber einschränken bis zum äußersten; wir können uns nicht erniedrigen, uns hier sozusagen ein testimonium bHaupertatis auszustellen. Ich möchte doch dringend bitten, 8— einmal zu überlegen, ob die Sache nicht doch in unserem Sinne geregelt werden kann. Daß Berlin freiwillig einen Beitrag für die Unterhaltung des Tier⸗ gartens leistet, ist durchaus anzuerkennen; wenn aber früher der Staat allein die Kosten getragen hat, so war das ein großer Vorzug für die Stadt, da der Tiergarten wesentlich immer dem Berliner zu gute gekommen ist. Wir erwarten von dem Entgegen⸗ kommen der Stadt Berlin, daß sie ihren Beitrag von 50 000 Mark freiwillig noch weiter erhöht. err Rosenow sollte seinen Einfluß auf die Stadtverordnetenversammlung dahin geltend machen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Minister bitten, die Tiergartenverwaltung zu energischerer Bekämpfung der Raupenplage zu veranlassen, gegen die bisher nicht viel geschehen ist. Die Raupenplage ist immer schlimm gewesen, aber in den letzten Jahren konnte man kaum noch in den Tiergarten Die städtischen Parks sind von der Raupenplage nicht befallen, weil die städtische Verwaltung bessere Vorkehrungen getroffen hatte. Es kommt hinzu, daß aus dem Tier⸗ garten die Vögel, besonders die Nachtigallen, verdrängt sind. Herr Rosenow redet sich immer in eine Erregung hinein, als ob wir die bittersten Feinde der Stadt Berlin wären. Ich habe schon hier namens meiner Freunde betont, daß wir die Verwaltung der Stadt Berlin in manchen Beziehungen geradezu für musterhaft halten, ich habe auf die Straßen, die Beleuchtung usw. hingewiesen und nur gesagt: was nützen uns die schönen Straßen, wenn die Automobile die Luft verpesten. Auch die sogenannte liberale Stadtverwaltung hassen wir nicht, aber Sie (zur Linken) in Berlin sind außerordentlich empfindlich und können nicht das leiseste Wort vertragen, das den Stadtvätern nicht vollkommen gefällt. Wir können uns doch nicht jeder Kritik enthalten. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß auch Charlottenburg ich wohne selbst in Charlottenburg alle ÜUrsache hätte, einen großen Beitrag für den Tiergarten zu geben, und ebenso Schöneberg. Wenn wir hier von Berlin sprechen, meinen wir überhaupt Groß⸗Berlin. Ich möchte also Herrn Rosenow bitten, den Ausdruck „Beschimpfung der Stadt Berlin“ zurückzunehmen. Wenn wir Bedenken haben, das Opernhaus der Stadt Berlin zu überlassen, so meinen wir nur, daß das Opernhaus Staatseigentum bleiben soll. Es läßt sich anderer⸗ seits nicht leugnen, daß der Staat unendlich viel für die Stadt Berlin getan hat in bezug auf Kunst und Wissenschaft, wofür der Staat so große u aufgewendet hat, wie procentualiter keine Stadt; wir können von Berlin verlangen, daß es auch seinerseits sein nobile oflicium anerkennt, wenn wir wünschen, daß es freiwillig etwas mehr für die Unterhaltung des Tiergartens gibt.

Geheimer Oberfinanzrat Löhlein: Allerdings sind die städtischen Parks nicht so durch die Raupenplage betroffen worden wie der Tiergarten. Das kommt namentlich daher, daß wir im Tiergarten sehr alte Bestände haben. Die Raupen gehen bis in die höchsten Kronen der Bäume und sind dort nicht erreichbar. Es sind aber mit Aufwendung sehr erheblicher Mittel Maßregeln gegen die Raupen ergriffen worden, wie ich hoffe, mit Erfolg. Wenn dies nicht zutreffen sollte, so bitte ich von vornherein, daß man uns nicht die Schuld zuschiebt. Wir hoffen doch, daß sich in absehbarer Zeit ein Erfolg zeigen wird.

Abg. Lucas (nl.): Die Kreditwürdigkeit unseres Staates ist über jeden Zweifel erhaben, das Vertrauen dazu ist nicht verloren gegangen; der niedrige Kursstand hängt von anderen Ursachen ab. Der Besserstand der französischen und englischen Papiere ist wesentlich auf ideale Motive zurückzuführen, auf den Nationalstolz; dort fühlt sich der Kapitalist als Gläubiger seines Staates, wir haben es da⸗ gegen mit Kapitalisten zu tun, die in dieser Hinsicht indifferent sind. Wir halten die Art der Anleihebegebung, wie sie Preußen in den letzten Jahren angewendet hat, für richtig; durch ein anderes Verfahren würden keine besseren Erfolge erzielt werden. Unsere Verhandlungen vom 6. März über die Verpflichtung der Sparkassen und der Aktiengesell⸗ schaften zur Anlegung von Vermögensbeständen in Staatspapieren haben zum Teil eine Beunruhigung hervorgerufen, die durchaus beschwichtigt werden muß. Man macht sich falsche Vorstellungen von dem Charakter des Reservefonds der Aktiengesellschaften. Der Reserve⸗ fonds ist ein Teil des wirtschaftlichen Ganzen, er wird gebildet durch die Gewinne der Aktiengesellschaft oder durch das Agio beim Kapital. Der Gewinn einer Aktiengesellschaft zeigt sich vielfach nicht in barem Gelde, sondern in Investierung für Ma schinen, Einrichtungen usw. Füeth die Aktiengesellschaften einen Teil ihres Reservefonds in Konsols anlegen, so müßten sie dafür Schulden machen. Eine Aktien⸗ gesellschaft, die nur einen Teil ihres Kapitals als Wirtschaftskapital ansehen müßte, würde zu unvernünftigen Kapitalserhöhungen schreiten müssen, und den Gewinn würde sie nur den jeweiligen Aktionären zuwenden, und sie müßte ihre Aktien zu pari ausgeben. Die Be⸗ fürchtungen für unsere Banken können nicht unwidersprochen bleiben; unsere großen Banken sind so gefestigt, wie keine anderen in der ganzen Welt. Es handelt sich bei den Fallissements nur um einzelne Fälle, die auf besondere Umstände zurückzuführen sind, unsere Banken sind die Pfad⸗ finder unserer Industrie und unserer nationalen Arbeit. Was die ausländischen Wertpapiere betrifft, so scheiden eigentlich die erwähnten Eisenbahnpapiere aus, weil die niemand kauft, der sein Geld sicher anlegen will. Die übrigen ausländischen Anleihen sind Sache der Wilhelmstraße. Auf die Industrieobligationen kann nicht verzichtet werden; denn die Industrie braucht unter Umständen enorme Kapitalien. Durch das ewige Suchen nach Zwangsabnehmern für unsere Staats⸗ anleihen werden wir das Ansehen derselben nur schädigen.

Abg. Dr. Crüger (fortschr. Volksp.): Der jetzige Finanz⸗ minister steht der Frage des Kursstandes objektiver gegenüber als sein Amtsvorgänger, aber die immer wiederholten Erklärungen, daß etwas geschehen müsse, um weitere Kursverluste zu vermeiden, sind nur geeignet, Beunruhigung hervorzurufen. Wir haben eigentlich gar keinen Grund zu Klagen. Es ist bedenklich, französische Verhältnisse in Vergleich zu ziehen, da dort ganz andere wirtschaftliche Momente für den Kursstand den Aus⸗ schlag geben. Ist der niedrige Kursstand überhaupt ein nationales Unglüͤck? Er hängt zusammen mit dem Bankdiskont. 1907 wurde in diesem Hause die Frage erörtert, was geschehen könne, um den Bankdiskont herabzudrücken. Zwischen Bankdiskont und Zins besteht ein 5* innerer Zusammenhang, den man gar nicht durch irgend welche Maßnahmen beeinflussen kann. Die Gründe für unsern Kurs⸗ stand liegen einmal in der gewaltigen wirtschaftlichen Energie⸗ entwicklung, dann in den Wertverschiebungen infolge der Wirt⸗ Fetter har ferner in der Verschuldung unserer Landwirtschaft. Wir haben insgesamt an Reichs⸗, Staats⸗ und Kommunalanleihen 37 Milliarden Schulden; da darf man sich über den Kursstand nicht wundern; 35 Milliarden davon befinden sich in den Händen des deutschen Publikums. Als Hilfsmoment kommt in Betracht, daß der Deutsche besser verzinsliche Papiere als Anlagepapiere sucht. Jeden⸗ falls geschieht es nicht aus Spekulationssucht, wenn unser Publikum die 3 ½ % igen Staatspapiere ablehnt. Ein weiteres Moment wäre dann noch die Konvertierung. Den Kursstand kann man durch künst⸗ liche Mittel nicht ändern. Er entspricht im wesentlichen den wirt⸗ schaftlichen Verhältnissen. Man will den Kreis der Käufer z. B. durch Zuführung der Sparkassen erweitern. Wenn man deren liquide Mittel vermehren will, so ließe sich darüber reden, namentlich bei den starken Anlagen der ländlichen Sparkassen in Hypothekenforderungen. Aber Staatspapiere sind gerade in kritischen Momenten, bei kriege⸗