1911 / 70 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

B. bund? Dann soll man doch den Nachweis fuͤhren, daß allein die mit Geldern bedachten Korporationen Kalipropaganda betrieben haben. Der Zentrumsvertreter mit dem polnischen Mandat hat un⸗ widerleglich bewiesen, daß ein Teil dieser Summen für ausgesprochen parteipolitische Zwecke Verwendung gefunden hat. Man hat Wander⸗ lehrer davon bezahlt, die zugleich für die Parteipolitik wirksam waren. (Zuruf des Abg. Erzberger.) Man kann weit entgegenkommen und sagen, solche Vorkommnisse lassen sich schwer vermeiden, man kann schwer trennen, aber es bleibt doch die Frage bestehen, warum bekommen die anderen nichts? Nicht einmal der Ver⸗ wendungsnachweis war zu erbringen; man konnte die Gelder ausgeben, wofür man wollte. Wenn gesagt ist, der Bund der Landwirte sei keine politische Organisation, so steht doch fest, daß er bei der Aufstellung einer ganzen Reihe von Parteikandidaturen teilnimmt. Dem Unterstaatssekretär möchte ich auf seine Frage, wie man es machen solle, wirtschaftliche und politische Organisationen zu unterscheiden, erwidern: Gehen Sie mit derselben Sorglosigkeit vor wie gegen unsere Jugendorganisationen. Bei Besetzung von Stellen und Aemtern ist man doch immer recht genau orientiert, welcher politischen und religiösen Richtung der Be⸗ werber angehört. Das ist doch namentlich dem Zentrum nicht un⸗ bekannt. Hier versagt mit einem Male das Unterscheidungsvermögen. Ich bin uͤberzeugt, daß der Zentrumsvertreter über unrechtmäßige Verwendung von Propagandageldern noch viel mehr weiß, als er ausspricht. Wenn eine Or wie der Bund der Landwirte, der Träger der hochschutzzöllnerischen Politik, noch subventioniert wird, dann kann man wirklich sagen, toller treibt man es wirklich in der russischen Duma nicht. Das sind schon russische Zustände. Warum hat denn das Zentrum alle ent⸗ scheidenden Anträge der Linken abgelehnt? Der Antrag auf Führung des Verwendungsnachweises war durchaus konform der Absicht des Gesetzgebers und der Haltung des Zentrums bei Beratung des Kali⸗ gesetzes. Auch er ist abgelehnt. Das ist sehr charakteristisch für das Zentrum. Der neue Antrag der Kommission läßt den Korruptionsfonds bestehen und schreibt keinen Verwendungsnachweis vor und ändert nichts an der Benachteiligung der Kleinen durch die Großen. Wir werden für den Antrag Ablaß stimmen und bitten Sie dringend, nicht das 40 jährige Jubiläum des Deutschen Reichstages dadurch zu feiern, daß Sie einem Beschluß zustimmen, der eine CC““ der Kleinen und eine Korrumpierung bedeutet. Wir wollen dur unseren Antrag den § 27 dahin ändern, daß alles, was einkommt, jährlich in den Etat für sozialpolitische Zwecke ein⸗ gestellt wird. Für Kleinwohnungen, für wissenf haftliche Zwecke ist im Etat Mangel vorhanden; hier ist Geld dafür zu erlangen, ohne daß irgend jemand dadurch bedrückt wird. Unser An⸗ trag ändert an der sonstigen Struktur des Gesetzes gar nichts. Den Schmiergelder⸗ und Korruptionsfonds können Sie nicht anders ausräumen, als indem Sie diese Gelder der Reichskasse für all⸗ gemeine Reichszwecke zuführen. Das Gesetz hat den Vorteil, daß es den Arbeitern in wesentlichen Punkten Verbesserungen gebracht hat, darum haben wir im vorigen Jahre dafür gestimmt.“ In der Praxis ist noch nicht viel davon erfüllt. Im Punkte der Löhne encspricht es bisher nicht den gehegten Erwartungen; auch ist es noch nicht gelungen, auch nur einen Tarifvertrag mit einem Werke zu stande zu he In Aschersleben hat man ebenfalls unter Mißachtung des Gesetzes es zum Streik kommen lassen und sich bei den Siebenmonatskindern“, iden „Hintze⸗Gardisten“, bei diesem Lumpen⸗ gesindel Hilfe geholt, und die Behörde gibt sich dazu her, dieses Lumpengesindel auch noch zu schützen! In diesen Tagen ist ein guter Freund von mir in dem Deutzer Prozesse wegen angeblichen Landfriedensbruches zu der unglaublichen Strafe von 2 Jahren 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden! Die Unternehmer und ihre Spyndikate aber faßt man mit Glacéhandschuhen an, was sie sich auch an Gesetzesübertretungen leisten mögen. Das ist das Skandalöse an der Situation. Der Reichstag macht ein solches soziales Friedensgesetz, und in Preußen stellen Behörden und Fiskus sich e. Bestimmungen feindlich entgegen. Noch immer sind überlange Arbeitszeiten auf den Kaliwerken, auf den älteren Werken auch ganz erbärmliche Wohnungs⸗ verhältnisse an der Tagesordnung; sogar Lohnreduktionen haben trotz der Riesengewinne stattgefunden. Der nationale Schatz, den wir in

unseren Kalisalzlagern besitzen, muß sorgfältig gehütet werden und den Interessen der Allgemeinheit zu gute kommen!

Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Dr. Richter: Die 8 Festsetzung der Rabattsätze ist bisher weder für das Inland noch für das Ausland erfolgt. Es versteht sich von selbst, daß der Bundesrat sie so festsetzen wird, daß sie allen Organisationen gleichmäßig zu gute kommen. Was die Bemängelung der Etatsspezialisierung und die Verweisung des Vorredners auf die Erfahrungen des Kalisyndikats betrifft 415 decken sich doch die Aufgaben, die hier die Regierung und der Reichs⸗ kanzler zu erfüllen haben, nicht mit den Aufgaben, die das Kali⸗ syndikat bisher gehabt hat. Hätten wir uns an das Kalisyndikat gewandt, so wäre der erste, der das mißbilligt hätte, der Vor⸗ redner gewesen, der ja eben den Wunsch ausgesprochen hat, wir sollten nicht so verfahren wie das Kalisyndikat. Die Absicht, sämtliche Gelder dem Kalisyndikat zu überweisen, hat absolut nicht be⸗ standen. Der Vorredner hat übersehen, daß ich in meiner Erklärung in der Budgetkommission ausdrücklich festgestellt habe: es ver⸗ steht sich von selbst, daß der Reichskanzler nicht ohne weiteres die Gelder dem Kalisyndikat zur Verfügung stellen wird, sondern sich die Verteilung und die Kontrolle durch die Behörden vor⸗ behält. Die Reichsregierung ist sich also ihrer Verantwortung bei der Verwaltung dieser Gelder voll bewußt. Was die Behauptung anbetrifft, es bezögen jetzt dieselben landwirtschaftlichen Verbände das Geld, die früher die Provision erhalten hätten, so hat ja die Regierung die Gelder noch gar nicht verausgabt. Das geschieht erst, wenn die Grundsätze festgestellt sind. Selbstverständlich werden diese der Regierung dann auch als Richtschnur dienen für die Verteilung der bisher eingegangenen Gelder. Ich habe bereits vorhin betont, daß eine bvsr ame Kontrolle stattfinden soll, ob die Gelder auch wirklich für Propagandazwecke aufgewendet werden. Jeder Verband soll Gelder zugewiesen erhalten, der wirklich J. betreibt, nicht etwa nur die größeren Verbände. Was meine Bemerkung über die Schwierigkeit, zu entscheiden, welcher Verein politisch ist, angeht, so habe ich nur betont, daß heutzutage, wo die Sozialpolitik, die Wirtschaftspolitik in alle Verhältnisse des Lebens tief eingreift, auch rein wirtschaft⸗ liche Vereinigungen hier und da eine politische Tendenz betätigen. Dadurch, daß der Vorredner die Jugendorganisationen und die Gewerkschaften für nichtpolitisch erklärte, hat er selbst gezeigt, wie verschieden die Meinungen sind. Beim Vereins⸗ gesetz wird unterschieden zwischen Vereinen und politischen Vereinen. Hier ist festgestellt, daß das Geld für Propagandazwecke aufgewendet werden muß. 88 Heee tritt Vertagung ein. Schluß 6 ½ Uhr. 6 Nächste Sitzung morgen, Mittwoch, 2 Uhr. (Fortsetzung heutigen Beratung, zweite Lesung des Kolonialetats 1

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. . 54. Sitzung von. 21. März 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sweung ist in der gestrigen Nummer

d. Bl. beri orden. 1“ ver⸗ zunächst die Beratung des Etats der erg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung, und zwar die iskussion über die dauernden Ausgaben, fort. 1 5 Mit den Ausgaben für Materialien, Gebäude, Grunderwerb usw. wird zugleich in zweiter Beratung der Gesetzentwurf, betreffend Anleihe zur Erweiterung der Anlagen der Staatsbergverwaltung, besprochen.

Diese Vorlage sieht eine Anleihe bis zu 14,5 Millionen Mark zur Errichtung je einer Hapgbelhachtaala bei Knurow (O.⸗S.) und Klein⸗Bodungen 8 owie zur Einrich⸗ tung eines Tagebaues für die Bernsteingewinnung in Palm⸗ nicken vor.

Die Budgetkommission hat die Vorlage dahin abge⸗ ändert, daß nur die Neuanlagen in Klein⸗Bodungen und Palm⸗ nicken auf Anleihe genommen, dagegen die Kosten der Anlage bei Knurow auf den ordentlichen Etat gebracht werden. In⸗ hg hat die Kommission in den vorliegenden Etat für

en letzteren Zweck zunächst 870 000 eingestellt. Als Tilgungszeit 8 die Anleihe hat die Kommission die Jahre vom 1. April 1913 bis 31. März 1925 festgesetzt. (Die Vorlage bestimmte die Zeit vom 1. April 1915 bis 31. März

.“ bg. von Pappenheim (kons.): Es läge nahe, heute näher zu be⸗ leuchten, daß gestern offenbar absichtlich die Beratung des Etats ver⸗ schleppt worden ist. Ich versage es mir aber, darauf einzugehen. Die Lage der Bergwerksindustrie werden wir ausgiebig behandeln können, wenn erst der Bericht der von der Budgetkommission eingesetzten Unterkommission vorliegen wird. Von den Forderungen des Anleihe⸗ esetzes haben wir die Position für Knurow nicht als eine Neuanlage, 8; als eine Erweiterung schon bestehender Schachtanlagen ansehen zu müssen geglaubt und deshalb diese Ausgabe nicht auf Anleihe, sondern auf den ordentlichen Etat und die erste Rate von 870 000 auf den Etat für 1911 zu übernehmen vorgeschlagen. Wir wünschen ganz besonders, daß der Bergetat in sich ein klares Bild der Berg⸗ verwaltung geben möchte, insbesondere davon, welche Reinüberschüsse aus diesem Etat herauskommen; wir müssen das um so mehr wünschen, wenn der Grundsatz aufgestellt wird, daß die Bergverwaltung für die Erweiterung ihrer Anlagen aus sich selbst aufkommen muß, daß dafür nicht, wie für Neuanlagen, durch Anleihe Deckung gesucht werden muß. Die beiden anderen Anlagen in Bodungen und Palmnicken erscheinen uns dagegen als Neuanlagen. Erstere Schachtanlage ist als eine Reserve für die fiskalischen Kalisalzbergwerke zu betrachten und wird zur Regulierung des Kalisalzabsatzes gute Dienste leisten; wir gehen hier ausnahmsweise den Weg der Anleihe mit, vorausgesetzt, daß eine raschere Amortisation stattfindet, da die Geltungszeit des Kaligesetzes 1925 abläuft. Was Palmnicken betrifft, so kommt in Betracht, daß der Bernsteinmarkt hedroht wird, wenn der Fiskus beim Bernsteinbau unter Tage stehen bleibt. Streng genommen handelt es sich da um eine Neuanlage, aber der geplante Tagebau stellt sich als eine durchaus wirtschaftliche Anlage dar, und die Amortisation wird sich sehr schnell vollziehen.

Abg. Roeren (Zentr.): Obwohl die grundsätzlichen Fragen des Arbeitsverhältnisses in den Bergwerken aus der Diskussion aus⸗ geschlossen sein sollten, hat man sich gestern ausführlich über die Lohnverhältnisse im Saarrevier verbreitet, sodaß auch ich darauf zurückkommen muß. Ich beginne mit dem Ausdruck des Bedauerns über die gestrigen verhetzenden Uebertreibungen, die sich der Abg. Hoffmann erlaubt hat. Uns wird es durch solches Auftreten sehr er⸗ schwert, für die berechtigten Anspnüche der Bergarbeiter einzutreten, wie sie in der Denkschrift der christlichen Gewerkvereine Deutschlands enthalten sind. Allein an der Saar gehören 12 000 Bergleute den christlichen Organisationen an. Die Beschwerden richten sich haupt⸗ sächlich gegen die niedrigen Lohnsätze. Mit den Durchschnittslöhnen ist ein Bergarbeiter mit Familie trotz der größten Einschränkung nicht in der Lage, auch nur das Allernotwendigste für Unterhalt und Wirtschaft zu bestreiten. (Der Redner geht ausführlich auf das Budget einer 7 Köpfe starken Bergmannsfamilie ein.) So kann es nicht weiter gehen, wenn nicht wirtschaftliche Katastrophen eintreten sollen; die Bergleute sind bei den Kaufleuten usw. mit ganz unverhältnis⸗ mäßigen Beträgen verschuldet. Der Einwand, daß die Bergarbeiter an der Saar billiger auskommen könnten, weil sie in großer Zahl mit einem Häuschen angesessen seien, ist nur äußerlich richtig; denn diese Art Ansässigkeit kann sie auch beim besten Willen nicht dagegen schützen, daß sie immer tiefer in Schulden geraten. Eine Rundfrage bei den Spar⸗ und LE hat dies außer Zweifel gestellt. Die Arbeitszeit an der Saar ist mit 9 ½ Stunden immer noch viel zu lang; in allen übrigen fiskalischen Betrieben ist sie kürzer. Es muß auch endlich etwas geschehen, um die Krankenversicherung der Familienmitglieder zu regeln. Die Löhne in den Betrieben an der Ruhr sind erheblich höher als die der fiskalischen Betriebe im Saarrevier, und diese Differenz wird von den Bergarbeitern im Saarrevier um so härter empfunden, als die Preise der Lebensmittel und der Bedarfsgegenstände an der Ruhr und an der Saar ganz gleich sind. Die Löhne müssen doch wenigstens eine Höhe haben, daß die Arbeiter mit ihren Familien auch leben können.

Abg. Dr. Glattfelter (Zentr.): Dem Wunsche des Vorredners nach Erhöhung der Löhne an der Saar schließe ich mich voll an. Ich hoffe, daß Feierschichten in der nächsten Zeit nicht mehr eingelegt zu werden brauchen. Wünschenswert ist es, daß auch für Wohl⸗ fahrtszwecke mehr getan wird. Insbesondere muß die Bergverwaltung mehr Land zum Bau von Arbeiterwohnungen ankaufen, auch den Arbeitern Land für ihre Familien zur Verfügung stellen. Zu empfehlen wäre auch die Einrichtung von Familienkrankenkassen. Ein großer Zuschuß, um die bestehenden Familienkrankenkassen wirksam zu⸗

estalten, wird nicht nötig sein; aber wenn er 2 wäre, müßte die ö Schritte tun, damit die Existenz der Arbeiter und ihrer Familie gesichert wird.

Abg. Dr. Maurer (nl.): Auch eine Lohnerhöhung für die Berg⸗ leute an der Saar soll nach den Erklärungen des Ministers nicht möglich sein. Diese Aeußerung ist außerordentlich hart. Sie trifft den ganzen Mittelstand an der Saar. Zu bedauern ist, daß dieses Fallen der Löhne von gegnerischer Seite zu Agitationszwecken ausgenutzt wird. Früher ist unstreitig ein gewisser Wohlstand bei den Bergarbeitern vorhanden ge⸗ wesen, es fanden sichsoger für Arbeiter nicht ganz unbeträchtliche Vermögen. 1901 betrug der Durchschnittslohn 3,54 ℳ, 1908 4,04 ℳ, 1909 da⸗ gegen nur 3,96 ℳ. Die Löhne sind also gefallen; dazu kommen noch die Feierschichten, die auch einen großen Ausfall für das Ein⸗ kommen der Arbeiter bilden. Die Bergverwaltung hat den Grundsatz, größere Schwankungen in den Löhnen zu vermeiden. Aber stetige Löhne sind nur dann angebracht, wenn auch stetige Lebensverhältnisse da sind. Da die Kosten des Lebensunterhaltes aber beträchtlich ge⸗ wachsen sind, so hätten auch die Löhne steigen müssen.

Abg. Imbusch (Zentr.): Der Abg. Hoffmann hat hier im Hause am 11. Februar s 8 Ich verstehe auch nicht allzuviel vom Bergbau. Dieses Bekenntnis ist sehr blamabel für Herrn Fer Und trotz⸗ dem stellt er sich hier hin und richtet so

so scharfe Angriffe gegen die Bergbauverwaltung. Bezeichnenderweise steht die Rede des Abg. offmann noch nicht im

Vormwärts“, sondern nur ein kurzes Stimmungsbild. Aber sie soll noch gebracht werden und dann wohl als Agitationsmaterial dienen. Die Rede enthält Entstellungen und Unwahrheiten in großer Zahl. Gerade von dieser Seite wird be⸗ sonders mit Se gearbeitet. (Präsident von Kröcher: J nehme an, daß Sie das Wort Schimpfereien nicht in bezug au Mitglieder des Hauses gebraucht haben.) Nein, ich habe nicht Mit⸗ glieder des Hauses gemeint.

Abg. von Schubert (Hosp. d. Nl.); Für die Steiger ist schon eine 2 Zahl von Wünschen vorgebracht worden. Ich hoffe, daß der Minister diese Wünsche wohlwollend prüft. Ich bin auch der Ansicht, daß es dringend notwendig ist, die Löhne der Bergarbeiter im Saarrevier aufzubessern. Ich bin auch davon überzeugt, daß eine Familie mit solchen Löhnen nicht auskommen kann. Ich hoffe, daß die Kommission auch die Löhne der Bergarbeiter untersuchen und auf eine Besserung hinarbeiten wird. Mit den höheren Löhnen wird auch die Nrheitskeeudigkeit der Arbeiter zunehmen.

Der Gesetzentwurf wird nach den Beschlüssen der Kom⸗

mission in zweiter und darauf auch in dritter Lesung ohne Debatte angenommen. Die Etatstitel werden bewilligt.

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Bei dem der Oberbergämter bringt

Abg. Brust (Zentr.) eine Klage der Maschinenwärter zur Spracke die sich darüber beschweren, daß die Beamten, die die Maschinen zu revidieren haben, nicht genug technische Kenntnisse zur Beurteilung des Zustandes der Maschinen besäßen. Einem Steiger, der sich, obwohl er sieben Schichten gemacht hatte, weigerte, wieder einzufahren, ses von dem vorgesetzten Beamten geantwortet worden: „Das ist mir ganz egal, und wenn Sie verrecken, Sie fahren wieder ein!“

Bei dem Kapitel „Geologische Landesanstalt in Berlin“ weist

Abg. Weissermel (kons.) auf die immer mehr zunehmende Be⸗ deutung dieses Instituts hin. Es müßten aber auch von der Re⸗ ierung noch Maßnahmen getroffen werden, um das Ansehen der An⸗ stalt noch mehr zu heben. Eine Aenderung der Besoldungsordnung wünschen wir nicht; wohl aber ist es nötig, die Bezirksgeologen in eine andere Rangstufe zu versetzen.

Zu den übrigen Verwaltungs⸗ und Betriebsausgaben hat

die Kommission auf Antrag des Abg. Spinzig (freikons. den Beschluß gefaßt: „die Regierung zu ersuchen, den Betrag von 120 000 für Unterstützung ausgeschiedener Beamten und invalider Arbeiter sowie der Hinterbliebenen im nächsten Etat dem Bedürfnis ent⸗ sprechend zu erhöhen zwecks ausreichender Unterstützung der Invaliden und ihrer Hinterbliebenen aus staatlichen Berg⸗ und Hüttenbetrieben, für welche die Knappschaftsrente vor dem 1. Januar 1908 festgesetzt worden ist“.

Abg. Spinziglfreikons.) schildert in der Begründung dieses Antrages eingehend die Entwicklung der Renten nach der Invalidenversicherung des Reiches, der Knappschaftsrenten und der Beiträge der Arbeiter. Nach der Novelle zum Knappschaftsgesetz von 1907 werden vom 1. April 1908 ab die Invalidenrenten voll ausgezahlt, also nicht mehr auf die Knappschaftsrenten angerechnet. Dadurch sei es gekommen, daß die Invaliden, die vor dieser Zeit in den Bezug der Rente gekommen seien, bis zu 50 % schlechter gestellt seien als die später invalid gewordenen Arbeiter. Die Bergverwaltung des Oberharzes habe dankenswerterweise durch Unterstützungen nachgeholfen. Im Ober⸗ harz mit 6000 Arbeitern würden 34 000 an Unterstützungen gezahlt, im Oberbergamtsbezirk Breslau mit 20 000 Arbeitern nur 13 000 ℳ. Das zeige, wie notwendig die Unterstützungen im Oberharz gewesen seien. Diese Abhilfe sei mit großem Dank anzuerkennen, aber die Arbeiter dürften nicht allein auf Unterstützungen sie raneen sein, es müsse ihnen ein gewisses Anrecht auf höhere Rente gegeben werden, auf die sie mindestens einen moralischen Anspruch hätten.

Der Antrag der Budgetkommission wird angenommen. Das Kapitel wird bewilligt.

Die Petition der Handelskammer in Saarbrücken um Beschleunigung der Erschließung von Fettkohlengruben des staatlichen Saarkohlenbergbaues zwecks Lieferung von Koks⸗ kohlen an die Eisenhütten der Saarindustrie und Schaffung einer der Wirtschaftslage angemessenen Preispolitik wird nach dem Antrag der Kommission durch die Erklärung der Regierung für erledigt erklärt.

Die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben werden

ohne Debatte bewilligt.

Es folgt der Etat genossenschaftskasse.

Berichterstatter Abg. Dr. Rewoldt (freikons.) referiert über die Kommissionsverhandlungen. 8

Abg. Meyenschein (kons.): Der Umsatz der Preußischen Zentral⸗ genossenschaftskasse hat im letzten Jahre 15 Milliarden umfaßt, das sind 4 Milliarden mehr als im Vorjahre; ein Beweis dafür, wie sehr dieses Institut dem Mittelstande genützt hat. Wünschenswert wäre eine Mitteilung darüber, welche einzelnen Genossen⸗ schaften bei der Kreditgewährung in Betracht gekommen sind. Die Raiffeisenschen Kreditgenossenschaften haben von vornherein ein Bedürfnis zum Zusammenschluß gehabt, um den Geldaustausch und die Geldbeschaffung zu erleichtern. So entstand die Landwirtschaft⸗ liche Zentraldarlehnskasse; weil sie aber noch nicht genügend den Geldverkehr entwickeln konnte, trat der Staat mit der Gründung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse ein. Es ist nur zu bedauern, daß der Staat das tun mußte, was eigentlich die Genossenschaften aus eigener Kraft hätten tun müssen und unter anderen Umständen auch hätten tun können. Auffällig ist kürzlich ein Artikel der „Berliner Korrespondenz“ gewesen, wonach die Zentral⸗ genossenschaftskasse ihre Verbindung mit der Zentraldarlehnskasse gelöst hat. Es würde zu bedauern sein, wenn der Bund, den Staat und Selbsthilfe zum Segen des Mittelstandes geschlossen haben, wieder in die Brüche ginge. Die Zentralgenossenschaftskasse verlangt, daß die ihr angeschlossenen Genossenschaftskassen das Inkasso für sie übernehmen. Das trägt den ländlichen Verhältnissen nicht Rechnung. Der Gedanke, sich in dieser Weise tausend Zahlstellen zu schaffen, ist zwar sehr schön, aber er unterbindet die selbstlose Tätigkeit der Volksfreunde, die ehrenamtlich in den Genossenschaften tätig sind. Materielles und Ideales kann man wohl in der Theorie trennen, aber nicht in der Praxis. Bei den ländlichen Genossen⸗ schaften spielen Imponderabilien eine große Rolle, und sie vertragen keine schematische Behandlung. er Präsident der Zentral⸗ senoffenschaftöaaffe hat uns in der Kommission erklärt, daß es ihm

der Preußischen Zentral⸗

ern liege, die freie Tätigkeit der Genossenschaften zu hindern. Wir wollen ein starkes und selbständiges Genossenschaftswesen haben: dieses hat auch viele Aufgaben, die nicht die staatliche Kasse lösen kann, sondern die Genossenschaften selbst lösen müssen, aber nur lösen können, wenn sie einen starken Verband bilden. Die staatliche Kasse und der Genossenschaftsverband zusammen können die Wohlfahrt des Mittelstandes fördern. Unterstaatssekretär im Finanzministerium Dr. Michaelis: Die Landwirtschaftliche Zentraldarlehnskasse hat dem Direktorium der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse im Februar Mitteilung davon gemacht, daß sie Abmachungen mit der Reichsgenossenschaftsbank dahin getroffen habe, daß beide miteinander in Verkehr treten. Das würde nun direkt den Intentionen widersprochen haben, die die Preußenkasse verfolgen muß. Allerdings besteht keine positive gesetzliche Bestimmung dagegen, aber es würde durchaus dem Sinn widersprechen, der bei der Gründung der Preußenkasse obgewaltet hat und seitdem in ganz gleich⸗ mäßiger Uebung geltend gewesen ist, und an dem auch der Finanzminister immer strikt festgehalten hat, daß es undenkbar ist, daß die Genossenschaften auf Grund derselben Haftpflicht mit zwei Instituten in Verbindung treten. Es war deshalb selbst⸗ verständlich, daß von dem Direktorium der Preußischen Zentral⸗ genossenschastsrafse dem Vorstand der Zentraldarlehnskasse gesagt werden mußte: wenn dieser Vertrag mit der Reichs⸗ enossenschaftsbank besteht, dann muß es zwischen uns aus sein⸗ ußerdem hat sich die Zentraldarlehnskasse im Jahre 1907 verpflichtet, mit der Reichsgenossenschaftsbank nicht mehr in Geschäftsverbindungen einzutreten. Da nun die Möglichkeit eines Zusammenschlusses der Zentraldarlehnskasse und der Reichsgenossenschaftsbank viel erörtert wurde, und da daraus erhebliche Beunruhigungen entstanden, und weil sämtliche anderen Verbandskassen das Ausschließlich, keitsverhältlis mit der Preußenkasse haben und sich durch eine derartige differenzierte Behandlung seitens der Preußen⸗ kasse beunruhigt fühlen konnten, und da von der anderen Seite nichts geschah, so war es nötig, daß eine Klarstellung vel seiten der Preußenkasse erfolgte. Es ist richtig, daß der Artike in der „Berliner Korrespondenz“ vom 11. März von der Preußen⸗ kasse direkt inspiriert ist, und ich kann auch sagen, daß der Finanz. minister zu dieser Kundgebung seine Genehmigung erteilt hat.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Die Folge ist gewesen, daß die Verbindung zwischen der Zentraldarlehns⸗

kasse und der Reichsgenossenschaftsbank wieder abgebaut wurde; es ist uns gestern der Nachweis erbracht worden, das zurzeit dieses Ver⸗ hältnis zwischen beiden „als gelöst anzusehen ist. Wir mußten dies als Voraussetzung dafür erklären, daß erneute Verhandlungen zwischen der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse und der Zentraldarlehnskasse angeknüpft werden können. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß die Wiederanbahnung des Ver⸗ hältnisses uns erwünscht erscheint. Zurzeit ist vollständig klare Bahn, es besteht zurzeit keine vertragliche Abmachung zwischen der Zentraldarlehnskasse und der Preußischen Zentralgenossenschafts⸗ kasse; es muß von neuem in Verhandlungen eingetreten werden. Ob in geschäftlicher und rechtlicher Beziehung keine Ferene dagegen vorliegen, müssen wir selbstverständlich in den Verhandlungen, die wir jetzt einleiten, prüfen; ich hoffe, daß keine Hinderungsgründe vorliegen, aber das ist selbstverständlich Sache der Prüfung. Ich glaube, das wird genügen, um die Rechtslage zu charakterisieren und auszusprechen, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse durchaus bereit ist, mit Genehmigung des Finanzministers in erneute Ver⸗ handlungen mit der Zentraldarlehnskasse, und zwar mit dem Ziele einzutreten, daß eine geschäftliche Verbindung zwischen den beiden Instituten wieder hergestellt wird.

Abg. Stull (Zentr.): Der Landrat soll Anregungen zur Gründung von landwirtschaftlichen Genossenschaftskassen geben. Damit muß aber seine Tätigkeit beendet sein. Alles, was vom Landratsamt kommt, schmeckt im Volke nach Verfügungen und Verordnungen; die Genossen⸗ schaftskassen sollen aber vollkommen auf Freiwilligkeit beruhen, damit das Gefühl erhalten bleibt, daß die Genossenschaftskassen etwas Selbstgeschaffenes, etwas Bodenständiges sind. Die Vorsitzenden der Aufsichtsräte genügen vollkommen, um die Geschäfte der Kassen zu führen. Dazu hat der Landrat gar nichts zu sagen. Das ist ja fast so, als ob man den Genossenschaftskassen wie den Fürsorgezöglingen einen Generalvormund gibt. Ich freue mich über die Tätigkeit des Landrats; aber ich sehe darin eine große Gefahr, weil es dem Landrat schwer wird, bei verschiedenen gegnerischen Verbänden Neutralität zu wahren. Bei einer Konferenz der Landräte in Schlesien ist über die Einwirkung des Landrats auf das Genossenschafts⸗ wesen gesprochen worden. Der Referent in dieser Konferenz ist in⸗ sofern aus der Rolle gefallen, als er sagte, die Genossenschaften seien an und für sich unpolitisch, trotzdem hätkten aber die leitenden Persön⸗ lichkeiten großen Einfluß auf die Genossen, und es sei deshalb Auf⸗ gabe, dafür zu sorgen, daß politisch zuverlässige Persönlichkeiten an die Spitze der Genossenschaften kämen. Das hätte nicht kommen dürfen. Solche Ansichten sind Gift für das Genossenschaftswesen. Der Referent will die Genossen dadurch „uns“ politisch nähern. Was versteht er unter „uns“? Meint er damit die Konservativen oder die Freikonservativen oder die Nationalliberalen oder das Zentrum? Oder meint er die Regierung? Die Genossenschaftskassen müssen un⸗ abhängig erhalten bleiben. Sie haben die Genossenschaften vor kon⸗ fessionellen Bestrebungen bewahrt. Jetzt bewahren Sie sie auch vor politischen Einflüssen. Nur wenn diese Auswüchse und Schädlinge ferngehalten werden, kann der große Baum des Genossenschaftswes gute Früchte bringen. ““

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Finanzminister Dr. Lentze:

Der Herr Vorredner hat soeben Beschwerde darüber geführt, auf einer schlesischen Landratskonferenz seitens eines der Herren Land⸗ räte ein Referat erstattet worden ist, in dem eine Reihe von Thesen aufgestellt sind, welche die landwirtschaftlichen Darlehnskassen betreffen. Meine Herren, die Landratskonferenzen finden statt unter Vorsitz des Oberpräsidenten und unter Zuziehung der Regierungspräsidenten, sind aber vollständig vertraulich, und der Inhalt dieser Konferenzen ist uns hier an der Zentralinstanz auch gar nicht bekannt. Der Herr Vorredner hat allerdings gestern abend darauf hingewiesen, er würde diese Frage heute zur Sprache bringen; aber es war selbstverständlich unmöglich, das Nähere bis dahin festzustellen. Ich bin daher außer stande, irgend etwas über diese Konferenz zu sagen.

Ich muß nur bemerken, daß auf diesen Konferenzen die Themata an die einzelnen Herren vorher verteilt werden und daß da theoretisch etwas abgehandelt wird. Ob nun die Konferenz als solche diesen theoretischen Abhandlungen beitritt oder nicht, das ist eine ganz andere Frage. Ich weiß deshalb gar nicht und das hat der Herr Vorredner auch gar nicht gesagt —, ob die Konferenz den Vorschlägen, die da angeblich ein Landrat gemacht hat, beigetreten ist. Also, meine Herren, auch dies steht noch nicht fest.

2 Ich will mich aber mal auf den Boden stellen, daß ein Landrat diese Vorschläge gemacht hat. Meine Herren, ich glaube, in diesen theoretischen Vorschlägen ist sehr viel Gutes enthalten aber auch manches, was man nicht billigen kann. Ich kann es in keiner Weise für unrichtig halten, wenn ein Landrat sich in seinem Kreise auch um das Genossenschaftswesen kümmert. (Sehr richtig! rechts.) Dem Land⸗ rat muß auch das Genossenschaftswesen in seinem Kreise am Herzen liegen, und es darf keinem Landrat verwehrt sein, selbst Mitglied einer Genossenschaft zu werden und auch eine Genossenschaft mit zu gründen. Gerade der Herr Vorredner hat auf den hohen Wert der landwirtschaftlichen Genossenschaften hingewiesen. Der Landrat kann dadurch, daß er solche Genossenschaften ins Leben ruft, sehr viel Gutes stiften, und wenn er sich nun innerhalb der Genossenschaft selbst befindet, dann hat er däasselbe Recht wie jeder andere Genosse, auch ein lebhaftes Interesse daran zu bekunden, indem er sich selbst in den Vorstand wählen läßt und dafür sorgt, daß von Zeit zu Zeit Sitzungen abgehalten werden⸗- Meine Herren, wenn man die Verhältnisse auf dem Lande kennt, so muß man sich sagen, daß manches gute Korn erst gesät werden muß, daß in manchen Kreisen alle Vorbedingungen für eine landwirt⸗ schaftliche Genossenschaft vorhanden sind, daß es aber eines Mannes bedarf, der die nötige Aufklärung und Anregung bringt und dann mit zur Gründung der Genossenschaft schreitet. Soll man das dem Land⸗ zat nun verwehren, bloß weil er Landrat ist? Ich könnte ihm nur verwehren, es amtlich zu tun. Er soll sich nur privatim damit in Verbindung setzen und daran mitarbeiten. Dann ist er aber gerade vermöge seiner persönlichen und sachlichen Kenntnisse innerhalb des Kreises wohl berechtigt und befähigt, Genossenschaften zu gründen wie auch hinterher in den Vorstandssitzungen sich mit zu betätigen und defür zu sorgen, daß Bezirkstage usw. abgehalten werden. Das kann ich Din keiner Weise mißbilligen; dagegen würde ich es selbstverständlich mißbilligen, wenn der Landrat seine Stellung nachher dazu Ubrauchte, die Politik in die Genossenschaften hineinzutragen

und die Genossenschaften zu politischen Instrumenten auszubilden.

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Berlin, Mittwoch, den März

Das gehört in die Genossenschaften nicht hinein; darin stimme ich mit dem Herrn Vorredner vollkommen überein.

Also, meine Herren, der Königlichen Staatsregierung ist über den Vorfall in Schlesien nichts bekannt. Es war eine vertrauliche Sitzung, von der auch sonst nichts in die Oeffentlichkeit hineingedrungen ist. Die Königliche Staatsregierung kann es nicht billigen, wenn von amt⸗ licher Seite die Politik in die Genossenschaften hineingetragen wird.

Wenn der Landrat aber das Genossenschaftswesen fördert, den Ge⸗

nossenschaften selbst beitritt und in ihnen mitwirkt, so kann die König⸗ liche Staatsregierung das nicht nur billigen, sondern es warm unter⸗ stützen. (Bravo! rechts.)

Abg. von Bieberstein (kons.): Die Entschuldung des Grund⸗ besitzes in Ostpreußen und Posen ist von allergrößter Wichtigkeit. Wirk⸗ liche Erfolge können aber nur erreicht werden, wenn auch der Staat sich in weiterem Umfange an der Entschuldungsaktion beteiligt, und die Preußenkasse mitherangezogen wird.

Geheimer Finanzrat Dr. Busch: Es ist richtig, daß durch das neue Gesetz die Tätigkeit der Preußenkasse auch in gewissem auf die Entschuldung ausgedehnt ist. Es ist aber nicht möglich, über die gesetzlich vorgesehenen Bestimmungen hinauszugehen.

Abg. Gyßling sfortschr. Volkep.): Der Abg. Crüger hat sich durch die Erörterung der Genossenschaftsfrage große Verdienste erworben. Meine fpennde stehen auf dem Standpunkt, daß Staatsmittel nicht zur Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes flüssig gemacht werden dürfen. Sonst könnten mit demselben Recht auch andere Stände mit ihren Wünschen an den Staat herantreten. Wir wünschen, daß uns die Belege über die Lösung der Verbindungen zwischen der Zentraldarlehnskasse und der Reichsgenossenschaftskasse vorgelegt werden. Zur Sanierung der Zentraldarlehnskasse hat diese von ihren einzelnen Genossenschaften pro Anteil 750 Einzahlung verlangt; diese 750 werden bei den einzelnen Genossenschaften zwar als Aktiva gebucht, nicht aber bei der Zentraldarlehnskasse als Passiva. Das ist jedenfalls keine richtige Buchung. Bei Sichluß neuer Verbindungen zwischen der Preußenkasse und der Zentral⸗ darlehnskasse müssen uns die Abmachungen zur Kenntnis gegeben werden. Der Tätigkeit der Landräte im Genossenschaftswesen stehen wir mit einem trocknen und einem nassen Auge gegenüber; ich erinnere nur an die politische Tätigkeit der Landräte bei den Wahlen.

Präscdent der Preubisch Or Heiligkn⸗ stadt: Bei der heutigen Entwicklung der Dinge kann die Regelung des Geldperkehrs nur durch ein Institut übernommen werden, das nach gemeinwirtschaftlichen Rücksichten eingerichtet ist, und das kann nur ein staatliches Institut sein. Es ist daher ausgeschlossen, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse durch ein anderes Institut ersetzt werden könnte. In die Bilanzaufstellung der einzelnen Genossenschaften können wir uns nicht einmischen, wir können nur wohlmeinende Ratschläge geben; aber man ist unseren Ratschlägen nicht immer gefolgt. Trotzdem wird die Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Genossenschaften von uns gewahrt. Wir greifen nicht in die Selbständigkeit der Genossenschaften ein; aber wenn wir ihnen Kredit geben, so haben wir auch die Pflicht, sie in gewissem Sinne zu überwachen. Bei der Regelung des Kassen⸗ verkehrs sind wir mit der größten Liberalität verfahren; unsere Ge⸗ nossenschaften haben den Zweck, den gesamten Mittelstand in Stadt und Land an den Geldverkehr anzuschließen. Die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes wird sich nur mit Hilfe der Genossen⸗ schaften durchführen lassen, weil es sich viel mehr um den Personalkredit als um den Realkredit handelt. Die Erhöhung des Kapitals der Zentralgenossenschaftskasse gibt uns dazu die Möglich⸗ keit. Von Erfolgen können wir noch nicht berichten, denn es sind schwierige Vorarbeiten zu machen; wir müssen Jahr für Jahr ab⸗ warten, was wir erreichen können. In der Provinz Sachsen sind bereits mit Hilfe der Genossenschaften Realschulden abgedeckt und die bäuerlichen Besitzer in bessere Verhältnisse gebracht worden; so ist es auch in Schlesien. Politischen und veegiosen Bestrebungen steht die Preußische Zentralgenossenschaftskasse durchaus fern, wir ver⸗ folgen lediglich wirtschaftliche Gesichtspunkte.

„Abg. Stull (Zentr.): Auf die Bemerkung des Abg. Gyßling über die Tätigkeit der Landräte bei den Wahlen kann ich nicht antworten, der Präsident würde mich unterbrechen. Ich habe nur die An⸗ schauungen des Referenten in der Konferenz der Landräte zur Kenntnis bringen wollen; ob die Landräte ihm zugestimmt haben oder nicht, ist gleichgültig. Ich habe im übrigen die Tätigkeit der Landräte für die Genossenschaften anerkannt. Ich will nur die Bevormundung und die mißbräuchliche Ausnutzung der Genossenschaften in politischem Sinne vermieden wissen. Abg. Dr. Friedberg (nl.): Die Preußische Zentralgenossen⸗ schaftskasse verdient für ihre Tätigkeit Dank und Anerkennung. Wir würden uns freuen, wenn sie neue Verhandlungen mit der Zentral⸗ darlehnskasse führt. Sie hat dafür zu sorgen, daß die Grundlagen, auf denen unser Genossenschaftswesen beruht, solid fundiert sind. Bei ihrer Zinspolitik muß sie auf den Stand des Geldmarktes Rücksicht nehmen. Wenn die Genossenschaften dazu benutzt werden, die Mitglieder zu der politischen Partei des Landrats herüberzuziehen, so kann das nur das Vertrauen zu den Genossenschaften abschwächen. Der Minister muß solche Agitation verhindern.

Abg. Dietrich⸗Templin (kons.): Die Frage der Solidität oder Unsolidität spielt bei der Verhinderung des Zusammenschlusses der Zentraldarlehnskasse und der Reichsgenossenschaftsbank überhaupt nicht mit. Ein Zusammenschluß der verschiedenen Systeme der ländlichen Genossenschaften wird wohl möglich sein, um eine Solidarität herzustellen. Die Sanierungsaktion für die Zentral⸗ darlehnskasse erfordert eine Reihe von Zwischenstadien, nach deren Ueberwindung sich die heutige Kritik als hinfällig erweisen wird. Wir nehmen eine berechtigte Kritik gern an, aber nicht eine herbe Kritik, die sich freut, wenn ein System einmal Unglück erleidet. Wir müssen unsere Erfahrungen durch Opfer erkaufen. Auch der Staat hat auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens reiches Lehrgeld zahlen müssen. Ich erinnere nur an die 5 Millionen, die wir für die Kornhäuser haben geben müssen. Ich bitte also, die herbe Kritik zurückzustellen, bis wir Erfolge sehen.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Ich habe vollkommen anerkannt, daß die Zentralgenossenschaftskasse sich korrekt verhalten hat, und ich bin auch damit einverstanden, daß wir die Zukunft abwarten.

Abg. Gyßlinglfortschr. Volksp.): Die Konservativen sind es gerade gewesen, die die 5 Millionen für die Kornhäuser verlangt haben. Wir üben nur eine objektive Kritik. Kein Vertreter eines Genossenschafts⸗ systems wird sich darüber freuen, wenn eine Genossenschaft eines anderen Systems einmal verunglückt; aber wenn man ein bestimmtes System vertritt, so muß man auf einen solchen Fall hinweisen, um die Richtigkeit des eigenen Systems darzutun. Es würde unseren Beratungen nur dienlich sein, wenn der Schleier, der über der Zentraldarlehnskasse liegt, etwas mehr gelüftet würde. Der Abg. Stull hätte mir ruhig antworten können, der Präsident hätte ihn wohl nicht unterbrochen, denn Herr Stull hat selbst von der Tätigkeit der Land⸗ räte vgekangen ich. T Ich

Abg. Dietrich⸗Templin (kons.): will dem Abg. Gyßlin gern den Dienst leisten und den Schleier lüften, 1e ich Bling nach Schluß der Eühun die Bilanz des Raiffeisenschen Ver⸗ bandes zeigen will. (Abg. Hammer: Versteht er ja gar nicht!)

Wir haben allerdings über die Kornhäuser früher eine andere

Meinung vertreten als heute, aber das ist kein Tadel gegen eine Partei, auf deren Veranlassung Erfahrungen gesammelt sind. Die Landwirtschaftliche Zentraldarlehnskasse hat vorbildliche Versuche zu⸗ gunsten anderer Genossenschaften gemacht und hat dabei Einbußen erlitten, genau so, wie der Staat Verluste gehabt hat. Abg. Stull (Zentr.): Es ist doch ein Unterschied in der mätigkeit der Landrate bei den Wahlen und in den Genossen⸗ aften. Abg. Hammer kkons.): Die Bilanz des Raiffeisen⸗Verbandes ist eine sehr 5 Materie, die der Abg. Gyßling ohne Erläuterungen nicht verstehen kann. Die Ausführungen des Herrn Gyßling waren nur ein Abguß dessen, was Herr Crüger hier immer gesagt hat. 2* Etat der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse wird ewilligt. Der Etat des Herrenhauses wird ohne Debatte ge⸗ nehmigt.

Zum Etat des Abgeordnetenhauses beantragt die b6 „die Regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen das Recht der Präsidenten beider Hänser des Landfags zur Vertretung des Fiskus und die Rechtsverhältnisse der Beamten des Hertenhäs ses und des Hauses der Abgeordneten neu geregelt verden“.

Abg. Gyßling sfortschr. Volksp.) berichtet über die Verhandlungen der Kommission.

Abg. Leinert (Soz.): Die Diener des Abgeordnetenhauses müssen nach einer bestimmten Zeit fest angestellt werden, die Löhne für die Diener des Herrenhauses müssen erhöht werden. Dagegen muß die Frage des Stenographischen Bureaus des Herrenhauses anders geregelt werden; jetzt kostet jeder stenographische Bericht 2000 ℳ. In der Verfassung heißt es: Die Abgeordneten sind die Vertreter des ge⸗ samten Volkes. Da muß auch den Abgeordneten Gelegenheit gegeben werden, das ganze Land kennen zu lernen. Wir fordern deshalb er⸗ neut freie Fahrt durch ganz Preußen. Die Bevormundung des Herrenhauses müssen wir uns in dieser Frage entschieden verbitten. Im Reisekostengesetz sind die Kilometergelder für die Minister von 13 auf 9 herabgesetzt worden. Ich möchte der Re⸗ gierung anheimgeben, auch für die Abgeordneten die Sätze von 13 auf 9 herabzusetzen. Das Abgeordnetenhaus ist diesmal zu dem spätesten noch möglichen Termin einberufen worden. Unsere Arbeit ist in den letzten Wochen eine geradezu überanstrengende gewesen. Ein so großes Maß von Arbeiten, wie in den letzten Wochen, auf die Dauer zu leisten, kann die Regierung nicht von uns verlangen. Sie muß den Landtag eben früher einberufen. In der Kommisston ist die Schaffung eines Gartens gewünscht worden. Was soll uns der Garten nützen? Viel notwendiger wäre es, einige Zimmer als Schlafstellen einzurichten, damit die Abgeordneten ihrer Tätigkeit vollkommen gewachsen sind.

Abg. Graf von Spee (Zentr.): Der große Zimmerhunger, der im vorigen Jahre hier zum Ausdruck gekommen ist, ist durch die Maßnahmen des Präsidenten wohl zum größten Teil gestillt. Gegen den Plan, ein weiteres Stockwerk aufzu bauen, bin ich entschieden, zumal da der Umbau über ½ Million kosten soll.

Der Etat des Abgeordnetenhauses wird bewilligt und die Resolution der Kommission angenommen.

Es folgt der Etat der allgemeinen Finanz⸗ verwaltung. Bei dem Zuschuß an die Kronkasse zu den Betriebskosten der Königlichen Theater, 1 500 000 ℳ, tritt

Abg. Kopsch (fortschr. Volksp.) für niedrigere Theaterpreise ein. Besonders beim Königlichen Opernhause müßten Vorstellungen zu ermäßigten Preisen eingerichtet werden, um auch weiteren Kreisen das Opernhaus zugänglich zu machen. Das Königliche Operntheater wird als erste Opernbühne des Reiches nicht ihren Aufgaben gerecht. Die künstlerischen Leistungen befinden sich auf einem niedrigen Stande. Die Königliche Oper ist arm an hervorragenden Kräften. Dresden und München befinden sich auf einem höheren Niveau. Das Personalverzeichnis weist außerordentlich viel Namen von Aus⸗ ländern auf. Gewiß ist die Knunst international; aber es fragt sich doch, ob die hervorragenden Leistungen der ausländischen Kräfte ein solches Ueberwiegen rechtfertigen. Besonders von den amerikanischen Mitgliedern gilt es, daß sie noch nicht einmal die deutsche Sprache vollständig Eine Be⸗ vorzugung des Auslandes macht sich auch im Spielplan bemerkbar. Zieht man die Vorstellung Wagnerscher Opern ab, so bleiben im letzten Jahre 88 deutsche Vorstellungen, während 141 Vorstellungen ausländischer Werke stattgefunden haben. Das Opernhaus muß mehr als bisher der Kunst und dem Volke dienen.

Der Etat wird bewilligt.

Damit ist die zweite Etatsberatung erledigt. Das Etats⸗ gesetz und das Anleihegesetz werden in zweiter Beratung genehmigt. Zu dem ersteren wird der Antrag der Budget⸗ ommission angenommen, wonach wegen der verzögerten Fest⸗ stellung des Etats die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats geleisteten Ausgaben nachträglich ge⸗ nehmigt werden.

Präsident von Kröcher schlägt vor, am Mittwoch um 12 Uhr mit der dritten Etatsberatung zu derinnen.

Abg. Fischbeck (fortschr. Volksp.): Ich erhebe auf Grund des § 20 der Geschäftsordnung gegen den Vorschlag Widerspruch. Wir haben seit einiger Zeit nicht mehr die Instanz in unserem Hause, die früher dem Präsidenten bei der Vorbereitung der Geschäfte zur Seite stand, den Seniorenkonvent. Es hat sich eine Art Geschäftsführung ein⸗ Febctwert. indem im Gegensatz zur Linken gewisse Herren die Ge⸗ chäfte des Hauses besorgen. Ob diese Art, die Geschäfte des Hauses vorzubereiten, zum Vorteil geführt hat, ist mir sehr zweifelhaft. Jedenfalls ist es Tatsache, daß bei dieser Beratung des Etats die Linke sich außerordentliche Beschränkung auferlegt hat, und wenn zum Teil unsere Beratungen über den Rahmen dessen, was nötig war hinausgegangen sind, dann geschah es, wenn Herr Dr. Hahn in dem Hause erschien und Agitationsreden hielt. Wir haben keine Ver anlassung demgegenüber, nachdem die freiwillig Organisation, der Seniorenkonvent, nicht mehr da ist, schränkungen auferlegen zu 1ee. Wir nützen unserseits Rechte, die wir auf Grund der Geschäftsordnung haben, aus, inde wir auf Grund des § 20 gegen den Vorschlag des Präsidenten Wider spruch erheben. 8

Präsident von Kröcher: Dieser Widerspruch ist wirksam, wenn er von 14 Mitgliedern unterstützt wird.

Der Widerspruch wird von den Freisinnigen, Sozial demokraten und einem Teil der Nationalliberalen genügend unterstützt.

.ee. von Kröcher schlägt darauf für Mittwoch 12 Uhr als Tagesordnung vor: kleinere Vorlagen, die Stadterweiterunge für Erfurt und Breslau, Anträge aus dem Hause und die erste Be⸗ ratung des Gesetzes über die Feuerbestattung.

Das Haus ist damit einverstanden.

Auf Anfrage des Abg. Fischbeck (fortschr. Volksp.) erklärt

Präsident von Kröcher seine Absicht, die dritte Beratung d Etats für Donnerstag, 10 Uhr, vorzuschlagen.

Schluß gegen 5 ¾ Uhr.