vergessen, daß Feetlicher Rhug der arbeitswilligen und reich reuen Volkskreise noch immer fehle, und daß diese Forderung jetzt wieder in den Vordergrund treten müsse.
In der allgemeinen Besprechung ergreift zunächst das Wort der
Finanzminister Dr. Lentze:
Meine Herren! Den klaren und erschöpfenden Ausführungen des Herrn Berichterstatters habe ich eigentlich nur weniges noch hinzu⸗ zufügen. Dank der Besserung der wirtschaftlichen Lage ist es ja zum Glück eingetreten, daß der diesjährige Staatsetat ein ganz wesentlich anderes Bild zeigt, als wie die Staatsetats der vergangenen Jahre. Während wir in vergangenen Jahren immer noch mit erheblichen Defizits zu kämpfen hatten, ist das Deftzit in diesem Jahre auf 29,9 Millionen herabgesunken. Meine Herren, aber nichtsdestoweniger darf uns dieser günstige Umstand nicht dazu verleiten, daß wir an⸗ nehmen dürften, wir wären jetzt in einer absolut günstigen Lage und es wäre unser Staatsetat schon so weit, daß man sich weitere Aus⸗ gaben leichter gestatten dürfte. Das ist durchaus nicht der Fall. Denn das Defizit von 29 Millionen Mark mahnt sehr zur Vorsicht, und es erfordert auch, daß es möglichst bald zum Verschwinden ge⸗ bracht wird. Es ist absolut ausgeschlossen, daß der preußische Etat auf die Dauer mit einem Deftzit abschließen darf. In früheren Jahren waren ja die Jahres⸗ und Etatsabschlüsse immer außerordentlich günstig; sie schlossen wiederholt mit erheblichen Reinüberschüssen ab. Im Jahre 1907 trat dann aber ein starker wirtschaftlicher Umschwung in der ganzen Welt ein und zwar so plötzlich, daß niemand ihn voraussehen konnte. Die Folge war, daß überall infolge dieses wirtschaftlichen Niederganges auch die Ein⸗ nahmen der Staats⸗ und sonstigen Betriebe zurückgingen. Zu gleicher Zeit machte es sich bei uns in Preußen unaufschiebbar, daß infolge der stark gestiegenen Preise für alle Lebensbedürfnisse die Gehälter, Besoldungen und Löhne erheblich in die Höhe gesetzt werden mußten. Es traf also sowohl eine ungünstige Konjunktur wie eine Notwendig⸗ keit für ganz verstärkte Mehrausgaben zusammen. Es mußten über 200 Millionen für Besoldungs⸗, Lohn⸗ und Pensionserhöhungen in den Etat eingestellt werden und dabei sanken zu gleicher Zeit die Einnahmen ganz beträchtlich. Das war allerdings eine Belastung, welche selbst der preußische Etat nicht vertragen konnte und infolge⸗ dessen schloß der Etat mit ganz erheblichen Fehlbeträgen ab. Auch die Jahresrechnungen wurden wesentlich in Mitleidenschaft gezogen und zeigten ganz bedeutende Fehlbeträge.
Es wurden von meinem Herrn Amtsvorgänger sofort eingehende Untersuchungen darüber angestellt, welcher Art diese Fehlbeträge wären, ob sie lediglich darauf beruhten, daß ein Konjunkturrückgang eingetreten war oder ob sie nicht wesentliche Bestandteile des Etats wären insofern, als die Besoldungserhöhungen die Ausgaben ja er⸗ heblich vermehrt hatten. Und da stellte sich allerdings heraus, daß zwar ein Teil der Fehlbeträge Konjunkturfehlbeträge waren, aber der überwiegende Teil entstanden war durch die erhebliche Steigerung der dauernden Ausgaben. Da nun damals gerade die Reichsfinanzreform schwebte und dem Lande dadurch ganz erhebliche Mehrbelastungen auf⸗ erlegt wurden, entschloß sich die Staatsregierung, wicht den vollen Betrag der Fehlbeträge durch neue Abgaben zu decken, sondern nur einen Teil durch erhöhte Stempelabgaben und Zuschläge zur Ein⸗ kommen⸗ und Ergänzungssteuer aufzubringen und im übrigen vorzu⸗ sehen, daß diese dauernden, sogenannten chronischen, Fehlbeträge wieder beseitigt werden sollten durch Herabminderung der Ausgaben, durch Zurückhaltung der Ausgaben bis zum äußersten und durch Steigerung der Einnahmen, die schon vorhanden waren. Hierdurch ist es im Laufe der Jahre ermöglicht worden, daß die chronischen Fehlbeträge allmählich immer mehr zurückgegangen sind, und zwar bis auf 29,9 Millionen in diesem Jahr. Aber, meine Herren, es ist bisher noch in keiner Weise feststehend, ob es uns gelingen wird, auf dem⸗ selben Wege auch in Zukunft diesen Rest des Fehlbetrags zu beseitigen. Es ist ja gelungen, daß ein erheblicher Teil der Fehlbeträge herunter⸗ gebracht worden ist, aber anderseits wissen wir, daß eine Reihe von Ausgaben, auf deren Zurückhaltung die Staatsregierung keinerlei Einfluß hat, zu deren Leistung sie aber gesetzlich gezwungen ist, noch neu hinzutreten. Die neue Reichsversicherungsordnung bringt dem preußischen Staat eine Mehrbelastung von mehreren Millionen. Ebenso bringt die neue Volkszählung dem preußischen Staat eine Mehrbelastung von mehreren Millionen dadurch, daß für dle nächsten Jahre die ungedeckten Matrikularbeiträge auf 80 ₰ pro Kopf der Bevölkerung des Reichs festgesetzt sind und infolge der gestiegenen Bevölkerungszahl Preußens sein Beitrag sich entsprechend erhöht. Ferner sind die Beträge für die Pensionen und die Relikten⸗ bezüge im Steigen begriffen, und zwar in sehr erheblicher Steigerung, sodaß auch hier eine größere Mehrforderung an den Staat herantritt. Ferner ist auch nicht vorher zu sehen, ob nicht noch eine Reihe anderer unvorhergesehener Ausgaben an den Staat heran⸗ treten, die ihn belasten. Infolgedessen ist sowohl äußerste Sparsamkeit als auch sonst geboten, daß man sich nicht der trügerischen Hoffnung hingibt, als wären nun diese 29,9 Millionen ohne weiteres beseitigt,
Die Fehlbeträge, welche durch Konjunkturrückschläge bei den Be⸗ triebsverwaltungen in die Erscheinung getreten sind, sind ja zum aller größten Teile wieder ausgeglichen worden. Die Staatseisenbahnver⸗ waltung hat in ihren Einnahmen und in ihren Reineinnahmen er⸗ freulicherweise einen ganz außerordentlichen Aufschwung erfahren. Die Reineinnahmen sind so erheblich gestiegen, daß wir für das Jahr 1910 bereits mit einem großen Ueberschusse der Staatseisenbahnver⸗ waltung zu rechnen haben. Aber diese großen Ueberschüsse der Staats⸗ eisenbahnverwaltung berühren den Staatshaushaltsetat nur indirekt, sie beeinflussen das Plus, welches für den Staatshaushaltsetat heraus⸗ zurechnen ist, nur in beschränkter Weise. Im vorigen Jahre ist ja laauf Vorschlag der Staatsregierung vom Landtag beschlossen worden, daß zunächst auf einen Zeitraum von fünf Jahren derjenige Betrag, welcher der Staatsverwaltung für ihre Zwecke aus den Eisenbahn⸗ überschüssen zur Verfügung gestellt werden soll, nach oben bin begrenzt wird: es darf nicht mehr als 2,10 % des zuletzt abgerechneten statistischen Anlagekapitals zu den allgemeinen Staatsausgaben ver⸗ wendet werden. Der Betrag, der darüber hinausgeht, muß zu einem Reservefonds angesammelt werden und dieser Reservefonds soll dam dienen, einen Ausgleich in schlechten Jahren herbeizuführen. Wir därfen uns also nicht mehr auf die hohen Einnahmen der Eisenbahn⸗ verwaltung berufen, wenn wir beweisen wollen: es sind ja die Mittel da. Für das Etatsjahr 1910 ist der Ueberschuß voraussichtlich so groß daß in den Ausgleichsfonds einige 60 Millionen hineinfließen werden. Es ist dies umso erfreulicher, als, wie das ja der Herr Generalreferent
1 schon hervorgehoben
hat, im vorigen Jahre hier im Hause sehr leb⸗ hafte Bedenken geäußert worden sind, ob es überhaupt möglich wäre, auch nur einen Pfennig dem Ausgleichsfonds zuzufuͤhren. Trotzdem sind im Jahre 1910 die Einnahmen derartig gewesen, daß sie eben in dieser Höhe in den Reservefonds hineingeflossen sind.
Die Höhe des Reinüberschusses der Staatseisenbahnverwaltung ist nicht allein dadurch herbeigeführt, daß der Verkehr so rapide ge⸗ stiegen ist, sondern auch dadurch, daß es dem Herrn Eisenbahnminister gelungen ist, die Betriebskosten wieder he rabzudrücken. Der sogenannte Betriebskoeffizient war, wie der Herr Generalreferent schon bemerkt hat, in den letzten Jahren immer mehr gestiegen und der ganze Betrieb der Eisenbahnverwaltung war da⸗ durch erheblich unwirtschaftlicher geworden. Dadurch nun, daß der Betriebskoeffizient wieder herabgedrückt worden ist, und daß es dem Herrn Eisenbahnminister gelungen ist, die ganz er⸗ heblichen Mehrleistungen für den Eis enbahnverkehr ohne Kostenerhöhung durchzuführen, hat er das wesentlich günstigere Resultat der Eisenbahn⸗ verwaltung herbeigeführt.
Meine Herren, wir haben also erfreulicherweise schon für das Etatsjahr 1910 mit einem beträchtlichen Ueberschuß aus den Eisen⸗ bahnen, der in den Reservefonds hineinfließen kann, zu rechnen. Für das Jahr 1911 haben wir bereits in den Etat einen Betrag von 32 ½ Millionen für den Ausgleichsfonds einstellen können. Es ist außerordentlich wichtig, daß dieser Ausgleichsfonds eingeführt worden ist, denn wenn wir ihn nicht hätten, würde ohne Frage sehr viel flotter gewirtschaftet werden, und es würde weniger darauf gesehen, mit den Ausgaben zurückzuhalten. Man ersieht das sofort, wenn man die beiden Zahlen einander gegen⸗ überstellt, auf der einen Seite das Defizit von 29 ½ Millionen und auf der anderen Seite die Ueberweisung an den Ausgleichsfonds von 32 ½ Millionen. Es ist das eine Spannung von rund drei Millionen. Diese drei Millionen wären ohne Frage nicht erspart worden, sondern bei den allgemeinen Staatszwecken mit verwendet worden, wenn sie überhaupt zur Verwendung zur Verfügung gestanden hätten. Da sie aber in den Ausgleichsfonds hineinfließen mußten, mußten die Staatsausgaben unabhängig davon festgesetzt werden, und dadurch wurde dieser Betrag erspart. Es bedeutet das also eine wesentliche Ersparnis, und wir haben infolgedessen die Hoffnung, daß in Zukunft dadurch, daß die Eisenbahnreineinnahmen wirklich getrennt sind von den Ausgaben für allgemeine Staatszwecke, auch für die allgemeinen Staatszwecke wirtschaftlicher verfahren wird, wie bisher. Denn die Staatsverwaltung kann viel mehr mit festen Beträgen rechnen wie vorher. In den früheren Jahren wurden die gesamten Eisenbahnüberschüsse in ihrer vollen Höhe zu allgemeinen Staatszwecken mitverwendet. Wenn dann mehrere Jahre hintereinander die Eisenbahnverwaltung hohe Ein⸗ nahmen brachte, entstand die irrige Meinung, daß diese hohen Ein⸗ nahmen auch bleiben würden, und es wurden infolgedessen auf diese hohen Einnahmen dauernde hohe Mehrausgaben gestützt und das hatte zur Folge, daß, wenn einmal ein plötzliches Herabgehen der Eisenbahnüberschüsse eintrat, sofort große Fehlbeträge erschienen. Durch die im vorigen Jahre getroffene Neuregelung wird der Staatshaushalt ein sicherer, weil er nicht mehr als höchstens 2,10 % des zuletzt ab⸗ gerechneten statistischen Anlagekapitals der Eisenbahnverwaltung zur Verfügung für seine Zwecke erhält.
Sehr förderlich für eine gute Etatsaufstellung ist auch die im Jahre 1909 mit dem Reichstage zwar nicht im Wege des Gesetzes, sondern im Wege des einfachen Abkommens getroffene Regelung, daß die ungedeckten Matrikularbeiträge auf einen Zeitraum von 5 Jahren nach oben fixiert sind. Die ungedeckten Matrikularbeiträge waren früher in einem Jahre hoch, in dem anderen niedrig und dadurch kamen die Finanzen der einzelnen Bundesstaaten erheblich in Un⸗ ordnung. Kein einziger Bundesstaat wußte, mit welchen Beträgen er zu rechnen hatte, und wenn er sich nicht vorher sorgfältig vorsah, dann hatte er sicher im folgenden Jahre eine unangenehme Ueber⸗ raschung zu erleiden. Ferner besitzen die Bundesstaaten dem Reiche gegenüber nur noch eine einzige ihnen zu überweisende Ein⸗ nahme, die Einnahme aus der Branntweinsteuer. Auch diese Ein⸗ nahme schwankte in den einzelnen Jahren außerordentlich, und dadurch trat der Erfolg ein, daß die Bundesstaaten zwei sehr unsichere be⸗ wegliche Faktoren in ihrer Rechnung hatten. Durch das erwähnte Abkommen mit dem Reichstag ist nun auf fünf Jahre hinaus — wenn ich mich so ausdrücken darf — eine Kompensation eingetreten. Es ist bestimmt: das Reich behält die Branntweinsteuer, überweist nichts an die Bundesstaaten, und dafür zahlen diese an das Reich einen festen Betrag an ungedeckten Matrikularbeiträgen von 80 ₰ pro Kopf der Bevölkerung des Reichs. Wenn auch dieser Betrag von 80 ₰ ein ziemlich hoher ist, so ist diese Regelung doch vom Standpunkt der Finanzverwaltung sehr freudig zu begrüßen, weil die Finanzverwaltung endlich feste Zahlen hat, auf die sie sich verlassen kann und von denen sie bestimmt weiß; über diese Zahlen hinaus brauchen weiter keine Beiträge an das Reich in dem betreffenden Jahre geleistet zu werden. Dieser Vorteil ist ganz erheblich größer, als wenn die Finanzverwaltung vielleicht die un⸗ bestimmte Hoffnung hätte, aus der Branntweinsteuer doch noch einen höheren Betrag zu erhalten, als sie ange⸗ nommen hatte. Wir haben infolgedessen den lebhaften Wunsch, daß es gelingen möge, auch dem Reich gegenüber dauernd zu einer ähnlichen Regelung zu kommen, wie ich sie eben dargestellt habe.
Meine Herren, der Herr Generalreferent hat dann darauf hingewiesen, daß in dem anderen Hause eine Resolution gefaßt worden ist, die dahin geht, daß den Eisenbahnassistenten wegen der Verschiedenheit ihrer untersten Besoldungsstufen gegenüber den Besoldungsstufen derselben Beamtenkategorien in der Verwaltung des Reichs ohne Abänderung der Besoldungsordnung ein Ausgleich gewährt werden möchte, und er hat dabei hinzugefügt, daß das Herrenhaus in seinen Rechten durch diese Maßnahme leicht ver⸗ letzt werden könnte. Er hat auch gebeten, daß von der Staats⸗ regierung die gesetzliche Bestimmung, daß die Besoldungsordnung nicht anders abgeändert werden dürfe als durch Gesetz, auch beobachtet werden möchte. Meine Herren, ich muß hier dem Herrn Referenten recht geben, daß diese Gefahr vorliegt. Es ist seinerzeit beim Erlaß der Besoldungsordnung ein besonderer Paragraph eingefügt worden, der bestimmt, daß sie nur durch Gesetz abgeändert werden darf und daß es ausgeschlossen ist, diese gesetzlichen Bestimmungen durch be⸗ sondere Einstellungen in den Etat zu umgehen. Nun haben aller⸗ dings die sämtlichen Parteien des Abgeordnetenhauses bezüglich der Eisenbahnassistenten einen Beschluß gefaßt, der zwar
* 1““
die Aufrechterhaltung der Besoldungsordnung fordert,
doch verlangt, daß ihnen eine Zuwendung gemacht wird. Es ist seitens der Königlichen Staatsregierung eine vohlwollende Prüfung dieser Resolution des Abgeordnetenhauses zugesagt worden, und zwar nach der Richtung hin, daß die Staatsregierung prüfen wird, ob es möglich ist, nicht allen Eisenbahnassistenten, sondern einzelnen, bei denen die Härten sich ganz besonders fühlbar machen, eine Vergütung zu geben, um wenigstens die größten Härten zu be⸗ seitigen. Ob dieser Weg durchführbar ist, kann ich ohne weiteres noch nicht voraussagen. Denn, meine Herren, er könnte doch sehr leicht dazu führen, daß dadurch eine Abänderung der Besoldungs⸗ ordnung indirekt herbeigeführt wird. Ich war selbst vorher weniger dieser Ansicht; aber nachdem in der Petitionskommission des anderen Hauses vor wenigen Tagen von fast sämtlichen Parteien bei anderen Beamtenkategorien die Stellung eingenommen worden ist, daß ein Ent gegenkommen den Eisenbahnassistenten gegenüber es erforderlich mache, nun wiederum auch anderen Beamten entgegenzukommen und Härten der Be⸗ soldungsordnung durch besondere Unterstützungen auszugleichen, bin ich bedenklich geworden. Das würde dazu führen, daß die Besoldungs. ordnung als solche abgeändert würde, und die Staatsregierung muß deshalb sehr sorgfältig erwägen, ob dieser Weg beschritten werden kann. Denn die Besoldungsordnung kann nach meiner Ueberzeugung in den nächsten Jahren überhaupt nicht abgeändert werden. Meine Herren, die Besoldungsfrage muß endlich einmal zur Ruhe kommen (sehr richtig); denn sie hat die Staatsfinanzen vor einigen Jahren erheblich erschüttert und hat mit dazu beigetragen, daß dem Lande eine erhebliche Mehrbelastung hat auferlegt werden müssen. Nun hat die ausgedehnte Agitation, die aus Anlaß der Besoldungs⸗ erhöhungen stattgefunden hat, weite Kreise der Beamtenschaft daran gewöhnt, daß sie ihre Ansprüche immer weiter steigern. (Sehr richtig!) Es ist aber die Ueberzeugung der Königlichen Staatsregierung, daß auf diesem Gebiete endlich einmal Ruhe ein⸗ treten muß. Die Bespoldungsordnung hat so wesentliche Ver⸗ besserungnn in den allermeisten. Beziehungen gebracht, daß sie als ab⸗ geschlossen gelten muß. Es kann nicht immer von neuem darüber be⸗ raten werden, die Besoldungsordnung an der einen oder anderen Stelle wieder abzuändern, denn das weckt die Begehrlichkeit und Un⸗ zufriedenheiten auf allen Seiten. (Sehr richtig!) Auch leiden das weder die Staatsfinanzen, noch auch die Finanzen der Bevölkerung selbst; denn weitere Besoldungserhöhungen können gar nicht auf andere Weise durchgeführt werden als durch Erschließung neuer Einnahmen, und neue Einnahmequellen für den Staat zu erschließen, ist zu ver⸗ meiden, so weit es nur eben geht. Eine Mehrbelastung wäre auch im Lande in keiner Weise erwünscht. (Sehr richtig!)
Das führt mich dazu, mich auch über das neue Steuergesetz zu äußern, soweit der Herr Generalreferent darauf eingegangen ist. In welcher Weise dieses neue Stenergesetz ausgestaltet werden soll, darüber bin ich mir selbst noch im unklaren, ich weiß nur soviel, daß die allgemeinen Verhältnisse es leider nicht zulassen, die vor drei Jahren beschlossenen Zuschläge überhaupt fortfallen zu lassen, daß es vielmehr notwendig ist, die Zuschläge nunmehr in das Gesetz hinein⸗ zuarbeiten. Meine Herren, ich erinnere daran, daß, als die Besoldungs⸗ ordnung erlassen wurde und nach neuen Deckungsmitteln gesucht werden mußte, provisorische Steuerzuschläge erlassen wurden. Ich sage: provisorische, obwohl das nicht ganz zutrifft. Das Wort provisorisch trifft nur insoweit zu, als die damaligen Steuerzuschläge nach der damaligen Lage der Geschäfte nicht mehr gründlich in das Gesetz hineingearbeitet werden konnten; im übrigen war man aber gerade immer in diesem hohen Hause der festen Ueberzeugung: diese Zuschläge sind jetzt dauernd bewilligt. (Sehr richtig! und Widerspruch.) Wenn eine Uebereinstimmung zwischen den gesetzgebenden Faktoren nicht eintritt, dann bleiben die Zuschläge in der Form, in der sie damals bewilligt worden waren, bestehen (Widerspruch). — Es wird mir ein Nein entgegengerufen; da möchte ich folgendes ins Gedächtnis zurückrufen: In der Finanzkommlssion des Herrenhauses sind damals die Worte: die Staatsregierung habe innerhalb drei Jahren ein neues Gesetz vorzulegen, zunächst gestrichen worden mit der Begründung, es wäre überflüssig, daß im Gesetze Selbstgespräche gehalten würden. Wenn die Staatsregierung nach Ablauf von drei Jahren ein neues Gesetz vorlegen wollte, dann könnte sie es tun, ohne daß es in dem Gesetze stünde. Es ist zu gleicher Zeit dabei betont worden, diese Zuschläge wären festliegend und blieben solange, als bis ein neues Gesetz sie abändere. Meine Herren, ich habe damals die Verhandlungen von A bis Z mitgemacht und kann bestimmt betonen, daß gesagt worden ist: solange ein neues Gesetz nicht verabschiedet wird, bleiben die bisherigen Zuschläge in Kraft. (Sehr richtig!) Wenn dann hinterher die Worte „innerhalb drei Jahren“ doch in das Gesetz aufgenommen worden sind, so geschah es, weil die Staats⸗ regierung des anderen Hauses halber den größten Wert darauf legte. Das andere Haus wollte gern, daß die Staatsregierung diese Zu⸗ schläge in der rohen Form tunlichst nicht länger als drei Jahre auf⸗
recht erhielte, und das Herrenhaus hat sich dann dem aus der Er⸗
wägung heraus angeschlossen, daß man die näheren Umstände des Zu⸗ standekommens des Gesetzes vergessen könne, und es sich empfehle, durch den Text des Gesetzes daran erinnert zu werden, daß dieses Gesetz tunlichst bald in ein normales überzuführen wäre. Es wurde darauf hingewiesen, daß im Kommunalabgabengesetze die Bestimmung, daß das Steuerprivileg der Beamten demnächst zu ändern wäre, von sehr wohltätiger Wirkung gewesen wäre, indem tatsächlich dadurch immer wieder der Antrieb gegeben wäre, diese Bestimmung zu ändern, und das sollte auch bei dem Einkommen⸗ und Ergänzungssteuergesetz ebenso der Fall sein. Also meine Herren, es ist von vornherein bei Erlaß des Gesetzes über die Zuschläge nie daran gedacht worden, daß diese Zuschläge fortfallen sollten, wenn sie länger als drei Jahre dauerten. Es ist damals nur gesagt worden, die Form der Erhebung der Zuschläge sei roh, und es sei notwendig, daß möglichst innerhalb drei Jahren ein neues Gesetz eingebracht werden sollte.
Meine Herren, leider gestatten die finanziellen Verhältnisse, wie sie zurzeit liegen, nicht, diese Steuerzuschläge zu beseitigen, und aus diesem Grunde kann ich bezüglich des neuen Gesetzes nur das eine sagen, daß versucht werden wird, die Steuerzuschläge in einer andern Form in das Gesetz hineinzuarbeiten. Erlassen werden können sie leider nicht. Es wäre ja für die Finanzverwaltung und für die ganze Staatsregierung überaus angenehm, wenn sie von diesen Zuschlägen wieder abkommen könnten, aber leider gestatten die finanziellen Ver⸗ hältnisse das nicht, denn wir müssen dafür sorgen, daß die Finanzen des preußischen Staates absolut gesunde bleiben. (Brarol
(Schluß in der Zweiten Beilage.) 1
gestern
3 chen Reichsanzeiger und Königlich Pr
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Herr Dr. von Dziembowski: Der Etat bietet das Bild wohl⸗ eordneter Finanzen. Die Einnahmen gewähren ein durchaus er⸗ freuliches Bild. Der Rückgang der Finanzen seit 1907 darf allerdings nicht vergessen werden; aber aus der schrittweisen Verminderung des Feblbetrages geht doh die Tatsache einer Rekonvaleszenz, einer dauernden Gesundung hervor. Das Verdienst der Regierung in dieser Beziebung anzuerkennen, ist der Wunsch aller meiner Freunde; der neue Finanzminister darf fur sich in Anspruch nehmen, daß er in der vorsichtigen Schätzung der Einnahmen und der Bemessung der Aus⸗ aben sich bewährt hat. Dabei sind seit 1907 erhebliche Schwierig⸗ eiten zu überwinden gewesen, manches ist abgewendet worden, was die Finanzen von Grund aus hätte erschüttern können: wie würde der Etat heute aussehen, wenn der Versuch der Einführung einer Reichseinkommen⸗ oder Reichsvermögenssteuer gelungen wäre? Das Raäckgrat der preußischen Finanzen sind und bleiben die direkten Steuern. Der neue Finanzminister wird hoffentlich in dieser Be⸗ ziebung die Auffassung seines Amtsvorgängers mit Energie und Nach⸗ druck vertreten. Die Frage der Steuerzuschläge wird brennend. Die provisorischen Zuschläge sind ohne organische Verbindung mit dem Steuer⸗ svstem eingeführt worden; sie verschieben sowohl die staatliche, wie die kommunale Besteuerung. Eine Reform muß erfolgen. Auf das Wrrk der Besoldungserhöhung und der Erhöhung der Wohnungsgeld⸗ uschüsse kann die Regierung mit Genugtuung zurückschauen, um so
nehr, da diese Maßnahme in die Zeit einer rückgängigen Konjunktur fiel.
Korrekturen der Besoldungsordnung können nur auf dem Wege des Gesetzes erfolgen, und die Mitwirkung des Herrenhauses darf nicht aus eschaltet werden; das gilt auch von der Assistentenfrage. Ob nan auch noch die Alwensionäre in die Korrektur einbeziehen darf, telle ich anheim. Eine nachträgliche Aufbesserung des Minimums
Beamten⸗Witwenpensionen würde jedenfalls vom sozialen Fesichtspunkt zu begrüßen sein. Die frühere Einberufung des Landtages, die rechtzeitige Einbringung des Etats und eine zweckmäßige Verteilung des Arbeitsstoffes auf beide Häuser st ein auch hier schon oft ausgesprochener Wunsch. Die Mehr⸗ aufwendungen fur die Volksbibliotheken und Volksbildung, die Mebr⸗ ausgaben für die Fürsorgeerziehung sind lebhaft zu begrüßen. Die beschlossene Resolution bezüglich der Neuregelung der Dotationen an die Provinzen möchte ich dem Finanzministerium ans Herz legen. Die Ausgaben der Provinzen für die Irrenpflege sind von Jahr zu Jahr gestiegen. So hat sich der Kreis der Aufgaben dr Provinzen immer mehr erweitert. Der alte Maßstab fur die Staatszuschüsse kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die preußischen Finanzen ruhen auf sicherer Grundlage; dies sind die Voraussetzungen für die preußische Machtstellung im Reich. Der Staat muß nach altpreußischer Tradition auf sicherem Grund auf⸗
gebaut sein.
8
die große Zahl von
Graf von Mirbach: Es liegt Ihnen ein Antrag betreffs Klar⸗ stellung über die Reichsfinanzreform vor. Namens der Antragsteller erlaube ich mir, Ihnen nachfolgende Erklärung zu unterbreiten: Sie sprechen ihre Genugtuung aus über die Stellungnahme des Reichs⸗ kanzlers zur Reichsfinanzreform in der Reichstagssitzung vom 30. März, und mit Rücksicht auf die Verhandlungen vom 24. März im preußischen Abgeordnetenhause verzichten die Antragsteller zurzeit auf eine Beratung ihres Antrages. Zur Erläuterung nur Worte. Der Antrag hat doch schon eine gewisse Bedeutung durch über 100 Mitgliebern des Hauses, welche ihn unte 8 haben. Der Antrag wollte im Sinne der Antragsteller das politische Gebiet vollkommen meiden, das zeigt sich durchweg, sowohl im Antrage selbst wie in der Begründung. Wir wollen den Versuch, die Frage auf das politische Gebiet hinüber⸗ zuztehen, mit Entschiedenheit zurückweisen. Der Wunsch war lediglich, eine Klarstellung auf dem Gebiete der kleinen Konsum⸗ steuern vorzunehmen. Eine solche Klärung ist zweifellos im Inter⸗ esse aller staatserhaltenden Parteien erwünscht, gleichviel, welchen Standpunkt sie zur Reichsfinanzreform eingenommen haben. Hier im Hause sitzen doch überwiegend Männer gereifteren Alters und gereifter politischer Erfahrung, und ich bin überzeugt, daß Sie alle den Wunsch haben, es möge ein Einverständnis aller großen im Interesse unseres Vaterlandes herbeigeführt werden.
ne solche Annäherung ist aber nach meiner Meinung sehr viel leichter, wenn in der großen Masse auch die steuerlichen Dinge geklärt find, und eine vollkommen genaue Kenntnis über diese Gebiete vorhanden ist. Wenn die Wahrheit den Leuten vorliegt, dann haben wir
einen Kampf mit berechtigten Waffen, gegen den nichts einzuwenden ist.
Aber kämpfen auf Grund von
entstellten Zahlen und Ziffern, das neune ich einen Kampf mit vergifteten Waffen, der allerdings ver⸗ hängnisvoll für alle Parteien ist und nur dem Radikalismus dient. In der vorhin zitierten Sitzung vom 30. März hat der Reichskanzler ferner gesagt: die Stimmung in bezug auf Kriegsgefahr, die Stim⸗ mungen, aus denen bei uns in Europa jetzt Kriege entstehen können, wurzeln in Gegensätzen, die vom Volksemr finden getragen sein müssen. Jedermann weiß aber, daß dieses Empfinden sich sehr leicht beeinflussen laßt, wie z. B. leider häufig durch unverantwortliche Preßtreibereien. Es ist erfreulich, daß der Reichskanzler diesen Satz scharf betont und scharf unterstrichen hat. In Deutschland sind die Ver⸗ hältnisse gerade auf diesem Gebiete überaus ungünstig. Sowohl unsere heimische deutsche Presse wie auch die Prese des Auslandes vertritt deutsche Interessen, politisch und wirtschaftlich, nach meiner Kenntnis der Dinge absolut nicht, eher das Gegenteil. Der erste Reichskanzler Fürst Bismarck hatte ja aus einem Fonds, den ich nicht zu nennen brauche, sehr große Geldsummen zur Verfügung zur Verteidigung unserer Autorität, unseres Ansebens und unserer wirtschaftlichen Interessen im Auslande. Fürst Bismarck hatte davon ausgiebigen Gebrauch emacht, und zwar mit dem allerbesten Erfolge. Heute sind diese Ponds vollkommen ungenügend, und die dieser Richtung noch mehr vinkuliert, als das vorher der Fall war. Der Reichs⸗ kenzler muß nach dieser Richtung mehr fordern und verlangen. In einem mir vorliegenden Briefe klagt ein hoher preußischer Staats⸗ beamter darüber, daß er bei seinem viermonatigen Aufenthalt im Ausland fast täglich Gelegenheit gehabt habe, sich zu überzeugen, wie sehr unser Ansehen im Ausland unter dem Einfluß gewisser Blätter, die er in dem Briefe nennt, leidet. Er stellt dazu in Gegensatz, wie ausländische Blätter durch tendenziöse Entstellungen das Deutsche Reich auf dem ganzen Weltball herabsetzen, Nicht in letzter Reibe stehe auch die Hetze des polnischen Preßkomitees in Paris. Die Abwehr solcher tendenziösen Entstellungen ist fast gleich⸗ wertig mit der Aufrechterhaltung unserer notwendigen Rüstung. Ich . auch den Wunsch, daß in bezug auf die politische Er⸗ mebung unse es Volkes — ich meine nicht im Sinne einer bestimmten politischen Richtung — die Presse stärker würde, zur Er⸗ baltung des nationalen Sinnes im Genensatz zu den radikalen B wegungen, wie sie jetzt durch die Presse berbeigeführt werden. Daß die Gesundung der Finanzen des Deutschen Reiches nicht nur unseren Einfluß im Ausland erhöhen, sondern auch bei uns einen erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung bringen würde, war voraus⸗ zusehen. Die Erwartungen haben sich glänzend erfüllt. Ich weise nur hin auf den interessanten Geschäftebericht der Deutschen Bank, für den wir Herrn von Gwinner, der hier unter uns sitzt, nur dankbar zein können. Aber an dem bedeutsamen Aufschwung hat die deutsche Landwirtschaft einen verhältnismäßig geringen Anteil. Dadurch, daß
letzten Beschlüsse des Reichstags haben in
sehr wenige
Berlin, Donnerstag,
sie ohne Rücksicht auf ihre Renten zu einem sehr intensiven Betrieb übergehen mußte, wurde sie zu einem starken Käufer und hat als Abnehmer industrieller Produkte die Industrie wirksam in den Zeiten der Krisis unterstützt. Aber der Verdienst der Land⸗ wirtschaft ist sehr gering — Ausnahmen will ich gern konzedieren. Ich stütze mich auf die offizielle preußische Statistik. Im Jahre 1909 hatten von 1000 Personen in den Städten durchschnittlich 27,5 ein Einkommen von über 3000 ℳ, auf dem platten Lande nur 7. Auf die Zinssätze, die bedauerlich niedrig sind, will ich nicht eingehen. Es ist vielleicht eine gewisse Freudigkeit und Hin⸗ gebung an unseren Beruf, vielleicht auch das Gefühl unserer Gesund⸗ erhaltung, das uns veranfaßt, an unserer Scholle festzuhalten. Wer Gewinn sucht, wird sich schwerlich der Landwirtschaft zuwenden. Die beiden genannten Zahlen haben vielleicht dem Hansabund, dieser Vereinigung par excellence zur Verhetzung aller Gewerbe gegen die Landwirtschaft (Widerspruch) — das kann ich Ihnen be⸗ weisen —, Veranlassung gegeben zu seiner Zusammenstellung über die Belastung von Industrie und Landwirtschaft. Der ländliche Grund⸗ besiß steht auch heute noch zum überwiegenden Teile in einem schweren Kampfe um seiae Eristenz. Dieser ist im Westen nicht so schwer wie im Osten. Das beweisen Aeußerungen von ganz autoritativer Stelle. Der Oberpräsident von Ostpreußen — er ist kein Schwarzseher, nimmt im Gegenteil die Dinge vielleicht etwas sehr leicht — hob bei Eröffnung des Provinziallandtags zwei Tatsachen als bedauerlich hervor: die Bevölkerungsabnahme der Provinz, die weiter in der Zunahme begriffen ist, und die ständig anwachsende Belastung der Kommunalverbände mit Steuern. Die Konsequenzen sind im Gebiete der Landwirtschaft, wo die Rente an sich eine sehr geringe ist, eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung des Grundbesitzes, die auch durch innere Kolonisation nicht paralysiert werden kann, und Landflucht. Und der Bevölkerung einer solchen Provinz will man noch auf dem Gebiete der direkten preußischen Staatssteuern Daumschrauben anlegen. Ich hoffe, daß dieser Kelch an uns vorübergehen wird. Ich werde darauf noch zurückkommen. Der jetzige Ministerpräsident von Bethmann Hollweg hat mich als Minister des Innern bet einem Besuche gefragt: glauben Sie wirklich nicht, daß diese schwierigen Verhältnisse sich bessern werden? Ich antwortete: nein; dies wird so lange nicht geschehen, bis nicht zwei Fragen gelöst sind, die Arbeiterfrage und die Frage der kommunalen Besteuerung. Nach dieser Richtung ist aber noch nichts erreicht worden, und bis dahin ist eine Gesundung unserer Verhältnisse nicht möglich. Wir können ja durch einen intensiven Betrieb, durch hingebende Tätigkeit, durch Einschränkungen manches erreichen, aber ein durchschlagender Erfolg ist nur dann zu erreichen, wenn auf diesen beiden Gebieten eine Remedur erfolgt. Auf dem Gebiete der inneren Kolonisation ist manches zu erreichen, aber doch nur in Menschenaltern. Wir können schnell nur etwas erreichen, rentabel wird, und dazu gehört eine Entlastung auf dem Gebiete dieser verhängnisvollen direkten Steuern. Zum Schluß noch zwei Be⸗ merkungen auf allgemein politischem Gebiet. Der „Vorwärts“, das offizielle Organ der Sozialdemokratie, schrieb am 23. Dezember 1910: „Es sei kein Zweifel, daß das Vorgehen der Liberalen in Ostpreußen insofern begründet sei, als es dazu beitrage, den Bann des Konservativismus, der wie ein Alp auf dem politisch⸗ wirt⸗ schaftlichen Leben der Provinz laste, zu brechen, politische Um⸗ gestaltungen zu schaffen und das politische Leben reger zu gestalten. Die Liberalen dürfen sich aber nicht verhehlen, daß der endgültige Entscheidungskampf, ebenso wie im Westen zwischen Zentrum und Sozialdemokraten, so im Osten zwischen Sozialdemokraten und Konservativen ausgefochten werden müsse.“ Das ist ziemlich interessant; aber noch wertvoller er⸗ scheint mir, was ich in der heutigen „Kreuzzeitung“ gefunden habe. Der freisinnige Universitätsprofessor von Schulze⸗Gaevernitz hat eine Rede gehalten, worin er ganz offen zu verstehen gibt, daß eine
Liberalisierung Deutschlands nur mit Hilfe der Sozialdemokratie müich sei.
Sie werden sich der Ausführungen des Abg. Bebel, des geistigen Führers der Sozialdemokratie, entsinnen. k. ist etwas altersschwach geworden, und Professor von Schulze⸗Gaevernitz ist sehr wohl berechtigt, sein Nachfolger zu werden. Dieser wird wohl sofort bereit sein, der sozialdemokratischen Partet beizutreten. Professor von Schulze⸗Gaevernitz weiß doch, daß die Scozial⸗ demokratie die Vorkämpferin der republikanischen Regierungs⸗ form ist, und Baden ist ein monarchischer Staat. Wenn man in dieser Weise gegen einen Bundesstaat hetzt, so könnte die preußische Regicrung denn doch in die Notwendigkeit kommen, bei der badischen Regierung wegen eines derartigen Vorstoßes zu reklamijeren; ich würde das mit Freude begrüßen. Wohin kommen wir, wenn selbst ein angestellter Dozent in der Weise hetzt und eine Liberalisierung Preußens mit Hilfe der Sozialdemokratie empfiehlt! Wir alle ohne Rücksicht auf die Parteistellung legen großen Wert auf den Bestand des Deutschen Reiches mit einem starken monarchischen Preußen. Nach der Verfassung ist das Deutsche Reich ein Staatenbund zur Förderung der Wohlfahrt des Deutschen Reiches. Verträgt es sich mit diesem staatsrechtlichen Gedanken, daß die Sozialdemokratie bei uns die herrschende Partei wird? Dagegen muß auf das schärfste protestiert werden. Dem Hinabgleiten auf die schiefe Ebene des Radikalismus muß eine starke Hand Halt gebieten. Herr von Wedel⸗Piesdorf: Ich bin von meinen Freunden be⸗ auftragt, einige Bemerkungen über die Verfassung von Elsaß⸗ Lothringen zu machen, welche gegenwärtig der Verhandlung des Reichstages unterliegt. Ich bedauere, dies tun zu müssen, Sea der Ministerpräsident heute nicht in unserer Mitte sein kann, weil er durch eine Trauerfeier in seiner engsten Familte anderweit in An⸗ spruch genommen ist. Die Gestaltung der Verhältnisse in S. Lothringen ist von so eminenter Wichtigkeit für ganz Deuts land, daß die konservative Partei dieses Hauses geglaubt hat, an den jetzt schwebenden Verhandlungen nicht stumm vorüber⸗ gehen zu dürfen. Unsere Berechtigung, diese Angelegenheit, die eine Angelegenheit des Reiches ist, zum Gegenstand unserer Verhandlungen zu machen, ist im anderen Hause von Rednern ver⸗ schiedener Parteien eingehend erörtert worden. Sie ist auch von
der Königlichen Regierung nicht bestritten worden; ich brauche daher
über unsere Legitimation zur Sache weiter kein Wort zu verlieren. Die Verhandlunsen über die Einführung einer Verfassung in Elsaß⸗ Lothringen erfüllen uns mit lebhafter Besorgnis, weil wir der Ausicht sind, daß die Bewohner von Elzaß⸗Lothringen in ihrem Verhältnis zu Deutschland noch nicht so weit gereift sind, daß sie noch nicht so weit zu Deutschen geworden sind, daß man Elsaß⸗Lothringen ohne Besorgnis zu einem deutschen Bundesstaat machen kann. Lch mache hieraus den Bewohnern von Elsaß⸗Lothringen keinen Vorwurf, denn sie sind nicht in der Lage gewesen, an der Entwick⸗ lung des deutschen Nationalgefühls, teilzunehmen. Als Elsaß⸗ Lothringen von Deutschland losgerisseen wurde, konnte man überhaupt von einem deutschen Nationalgefühl nicht sprechen. Damk einer verfehlten Politik, die Jahrhunderte in Deutschland ge⸗ herrscht hatte, und dank einem engherzigen Partikularismus, der von jeher ein Fehler der Deutschen war, war das deutsche Nationalgefühl. überhaupt damals verschwunden, und auch zu den Zeiten, als die beutigen Reichslande mit Frankreich vereinigt waren, war Deutschland noch lange nicht viel mehc als ein geographischer Begriff. Die heutigen Reichslande waren damals mit einem Staate vereinigt, der der mächtigste in Europa war, und sie nahmen an seinen Erfolgen und an seinem Ruhm den lebhaftesten Anteil⸗ Durch den Sieg der deutschen
wenn die Landwirtschaft
Das ist
deswegen
gemacht.
Waffen sind nun die Reichslande mit Deutschland vereinigt. Wir mußten
das tun, um ein Unrecht zu sühnen, das an Deutschland begangen war,
teils aber auch um uns zu sichern gegen einen unruhigen Nachbar. Aber
man kann nicht verlangen, daß die Gefühle der Elsaß⸗Lothringer
für ihr neues Vaterland nun gleich umschlagen sollten. Um dies
zu bewirken, scheint mir auch eine Periode von 40 Jahren nicht lang
genug zu sein. Ich für meine Person möchte glauben: ein Um⸗
schwung wird erst eintreten, wenn die Elsaß⸗Lothringer Schulter an
Schulter mit uns sich schlagen und einen Kampf siegreich durchfechten.
Daß bis jetzt die Elsaß Lothringer noch nicht geneigt sind, sich als
Deutsche zu fühlen, beweist eine Reihe von Vorgängen der neuesten
Zeit. Diese sind im Reichstage und im anderen Hause eingehend
crörtert worden. Ich erinnere nur an die in diesem Jahre statt⸗
Ereignisse in Metz. Diese Ereignisse beweisen, daß unsere
Besorgnis, es möchte mit Einführung einer selbständigen Ver⸗
fassung eine große Gefahr für Deutschland verbunden sein, keines⸗ wegs unbegründet ist. Deshalb ist auch der Verfassungsentwurf mit Kautelen umgeben. Wir konnten wohl hoffen, daß bei zweck⸗ entsprechender Ausgestaltung dieser Kautelen im Reichstage der Verfassungsentwurf eine Gestalt annehmen möchte, die den größten
Teil der Besorgnisse der Bundesstaaten zerstreuen könnte. Leider haben die bisherigen Verhandlungen in der Reichstagskommission
den Eindruck hervorgerufen, daß diese Hoffnung eine trügerische sein
würde. Ich kann heute auf die Einzelheiten des Verfassungs⸗
entwurfs natürlich nicht eingehen; sich darüber zu verbreiten, ist nicht Aufgabe dieses hohen Hauses. Ich will nur einige Punkte berühren. Da ist besonders das allgemeine, gleiche Wahlrecht,
welches uns mit lebhafter Besorgnis erfüllt, weil wir der Ausicht sind, daß dieses Wahlrecht überhaupt den tatsächlichen Verhältnissen, wie sie in einem Volke bestehen, nicht entspricht und deshalb zu verwerfen ist. Die verbündeten Regierungen behaupten, in Elsaß Lothringen um das allgemeine gleiche Wahlre 1t nicht herumkommen zu können, weil schon seit geraumer Zeit alle Wahlen in Elsaß⸗Lothringen auf Grund dieses Wahlrechts statigefunden haben, und man es daher der Bevölkerung nicht wieder entziehen könne. Gleichwohl haben sie versucht, eine Anzahl von Bestimmungen in den Entwurf hineinzubringen, durch welche sie die Demokratisierung der Wahlen nach Möglichkeit hintanzuhalten hofften. Leider ist ein Teil dieser Kautelen und Sicherungen dur
die Kommission schon wieder beseitigt. Dann möchte ich eingehen au
die Verleihung von Stimmen im Bundesrat an die Reichslande. An sich ist es nach meiner Auffassung von keiner großen praktischen Bedeutung, ob im Bundesrat 58 oder 61 Stimmen sind, ob Preußen mit 17 Stimmen an 58 oder mit 17 an 61 Stimmen beteiligt ist, oder mit 20 an 61. Nach der vom Fürsten Bismarck begründeten und seitdem gepflegten Tradition ist es im Bundesrat überhaupt nicht üblich;, Beschlüsse über wichtige Angelegenheiten mit knappen Majoritäten zu fassen. Es kommt daher auf diese Zahlen in der Tat nicht so sehr an; aber das Aushilfsmittel, welches man gefunden hat, um die Vermehrung der Stimmen im Bundesrat, die ja in der Hauptsache wohl von Preußen abhängig sein wünden, den übrigen Bundesstaaten schmackhaft
zu machen, findet unsern Beifall nicht. Man hat bestimmt, daß die
Stimmen von Elsaß Lothringen nur gezählt werden sollen, wenn sie gegen Preußen gelten, aber nicht, wenn sie für Preußen gelten.
eine Bestimmung, die unser preußisches Ehrgefühl verletzt, möchte ich geradezu sagen. Wir sind stolz darauf, daß Preußens Macht es gewesen ist, die das Deutsche Reich ge⸗ gründet hat, und wir sind der Ueberzeugung, daß Preußens Macht das festeste Fundament ist, auf dem das Reich beruht, und können wir uns nicht damit befreunden, wenn auf diese Weise Preußen gewissermaßen in eine schlechtere Kategorie rangiert wird als die übrigen Bundesstaaten. Noch eine Reche anderer Sicherungen, die die verbündeten Regierungen vor⸗ sichtigerweise in den Entwurf eingefügt hatten, haben in der Reichstagskommission lebhafte Anfechtung, teilweise Beseitigung ge⸗ funden. Man muß natürlich abwarten, wie die Verhandlungen im Plenum verlaufen werden, ehe man bestimmte Entschlüsse in dieser Richtung fassen kann; ich fürchte aber, es wird auch im lenum nicht besser werden als in der Kommission, und wenn das der Fall sein sollte, dann gebe ich mich der Hoffnung hin, daß die verbündeten Regierungen zu der Ueberzeugung gelangen werden, daß es jetzt noch zu früͤh ist, Elsaß⸗Lothringen zum selbständigen Bundesstaat zu machen, daß sie sich entschließen werden, diese Maßregel auf eine spätere, günftigere Zeit zu vertagen. Wir bedauern, in dieser Angelegenheit in Wider⸗ spruch mit dem sonst von mir hoch verehrten Herrn Ministerpräsidenten uns setzen zu müssen. Ich möchte aber hervorheben, daß wenigstens, was die konservative Fraktion dieses Hauses angeht, darin ] aus keine Abwendung von dem Ministerpräsidenten aus⸗ esprochen sein soll. Als im Abgeordnetenhause über die elsaß⸗ otbringische Frage verhandelt worden war, erhob sich im liberalen Blätterwalde der Ruf, die Konservativen gehen darauf aus, den Reichskanzler zu stürzen. Ich meine, bei diesem Rufe war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Liberalen hatten seit Jahr und Tag den Reichskanzler heftig angefeindet, und es konnte idnen ja nichts Erwünschteres begegnen, als wenn jetzt die Konservativen es auf sich nähmen, für sie die Kastanien aus dem Feuer zu bolen. Das ist nach meiner Ueberzeugung keineswegs die Absicht der Konservaliven. Ich muß die Hoffnungen, welche in dieser Richtung in den liberalen Blättern ausgesprochen sind, auf das bestimmteste zerstören, wenigstens soweit die konservativen Fraktionen des Reichstags und des Herrenhauses darauf einen Einfluß haben. Der Reickskanzler hat wiederholt ausgesprochen, daß er Wert darauf legt, nicht der Minister einer Partei zu sein, sondern daß er über den Parteien steht. Das ist sein gutes Recht, und ich glaube auch, daß das für den deutschen Reichskanzler eine richtige Stellung ist. Auf der anderen Seite legen wir auch Wert darauf, nicht eine gouvernementale Partei zu sein, sondern eine selbständige Partei, die zwar ihrer Tradition und Tendenz nach gern die Regierun unterstützt, die sich aber auch nicht scheuen darf, ihre abweichende Meinung offen und bestimmt aus⸗
zusprechen, wenn eine solche der Regierung gegenüber vorhanden ist. Und von diesem unserem Rechte haben wir in diesem Falle Gebrauch Unser Vertrauen zu dem Reichskanzler ist dadurch keines⸗ wegs erschüttert. Wir freuen uns der Erfolge, die er in neuerer Zeit in der auswärtigen Politik errungen hat, und wir sehen auch mit Zuversicht die innere Politik in seiner Hand, wenn wir auch uns
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in einigen Fällen auf einen anderen Standpunkt stellen müssen als er. Mit besonderer Genugtuung würde es uns erfüllen, wenn wir ihm über der Asche des Verfassungsentwurfes von Elsaß Lothringen die Freundeshand reichen könnten. 1
Minister des Innern von Dallwit: 8
Wie der Herr Vorredner bereits erwähnte, ist der Herr Reichs⸗ kanzler leider behindert, den heutigen Beratungen⸗ beizuwohnen, weil er durch einen Trauerfall in seiner Familie genötigt ist, sich heute außerhalb Berlins aufzuhalten. Er wird dies umsomehr bedauern. als ihm dadurch die Möglichkeit genommen ist, heute vor diesem hohen Hause die Entschließungen zu begründen und zu vertreten, welche in der Frage der Verfassungsänderung der Reichslande getroffen worden sind.