1911 / 85 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 08 Apr 1911 18:00:01 GMT) scan diff

ochschullehrer nicht würdig, das ganze Leben lang Hilfs⸗ ehrer“ zu bleiben; sie müßten Ordinarien werden können. Jedes Lehrbedürfnis müßte überhaupt mit einem Ordinariat be⸗ setzt werden, und nicht aus falscher Sparsamkeit dürften dauernde Lehrstühle mit außerordentlichen Professoren besetzt werden. Es würde auch zu begrüßen sein, wenn die Regierung sich entschließen könnte, die außeretatsmäßigen Extraordinariate in etatsmäßige Extraordinariate zu verwandeln, und die etatsmäßigen Extra⸗ ordinarien müßten den Staatsbeamten gleichgestellt werden.

Herr Dr. Küster: Ich habe bereits im vorigen Jahre mich über die geplante Kommunaluniversität Frankfurt ausgesprochen, und meine Meinung hat sich seitdem darüber nicht geändeit. Inzwischen ist aber ein weiterer Schritt geschehen, indem im Februar der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung eine Denkschrift vorgelegt hat über den Stand der Sache und die zur Verfügung stehenden Mittel, woraus hervorgeht, daß nur noch 130 000 an der zur Unterhaltung noch notwendigen Summe fehlen. In der Universität Marburg ist darüber erklärliche Aufregung entstanden, und die Universitätsrektoren⸗ konferenz in Halle hat einstimmig eine Gegenvorstellung an das Ministerium gerichtet, welche die Regierung vor der Genehmigung einer sogenannten Stiftungsuniversität warnt. Als Stiftungskapital hat die Stadt 50 Millionen angesetzt; wir haben darauf hinge⸗ wiesen, daß die Zinsen dieses Kapitals nicht für alle Zeit ge⸗ nügen können, insbesondere wegen der erforderlichen Kliniken. Diese kann die Stadt in dem Umfange, wie sie eine Universität braucht, nicht bauen, und so wird sich Frankfurt schon nach wenigen Jahren nach Staatshilfe dafür umsehen müssen. Der Vorschlag des Pro⸗ sessors Friedberg, die Genehmigung nur durch Gesetz zu erteilen, wird ernstlich zu erwägen sein. Die Zustände des Museums für Völker⸗ kunde sind sehr mangelhaft; viel Kunstschätze müssen dort im Keller lagern. Man sollte wenigstens Baracken errichten. Für zoologische Untersuchungen bedürfen wir einer Vermehrung der Stationen. Die Erwerbung der Station Rovigno, die für die Erben des verstorbenen Aquartumsdirektors Hermes eine Last ist, erscheint gesichert; aber der bisberige Zuschuß von 30 000 aus öffentlichen Mitteln für die Arbeitsplätze sollte fortgewährt werden.

Herr Dr. Waldever: Falls hinreichende Garantien geboten werden, daß die Universität Frankfurt bestehen kann, würde ich meinerseits kein Bedenken tragen, dafür einzutreten. Daß Frankfurt als Universität gegründet werde an einer Stelle, wo sich Uni⸗ versitäten in Hülle und Fülle befänden, kann ich als Bedenken gegen die neue Gründung nicht anerkennen. Marburg bietet so viele Reize, daß die Studenten nach wie vor zu dieser alten, schönen Musen⸗ stadt pilgern werden; auch Gießen wird nicht leiden. Aber im Osten fehlts. Es sollte in jeder preußischen Provinz eine Universität bestehen, die zugleich die Eigenart jeder Provinz zum Ausdruck zu bringen hätte. Ein solcher Einheitsschwärmer, daß ich Deutsch⸗ land ganz unter ein Schema bringen möchte, bin ich nicht und sind wir alle wohl nicht. Es fehlt in Danzig, in Posen an einer Universitat. Die Museen reichen nicht aus, das Material, das uns von allen Seiten zuströmt, zu bergen. Für das Museum für Völkerkunde und Naturgeschichte sollte man ausreichend große Ge⸗ bäude schaffen, damit an einem Zentralpunkt alles vereinigt ist. Ich befürworte ferner die Hergabe reicher Mittel für die wissenschaftliche Expedition durch Deutsch⸗Ostafrika, wo Reste von urweltlichen Dinofauriern usw. aufgefunden worden sind, die alles bisher Gefundene an Bedeutung übertrafen. Es muß hier schnell eingegriffen werden, damit diese unschätzbaren Funde nicht verwittern; es liegt hier eine Schatzkammer wissenschaftlicher Art vor, wie sie wohl kaum je wieder sich bieten wird. Für die Station Rovigno lege ich auch ein gutes Wort ein; keine Station liegt für Deutschland so günstig; wir können von dort lebendiges Material herschaffen, was von Neapel nicht moglich ist.

Herr Dr. Adickes: Bei, der Beratung im anderen Hause über die Gründung einer Universität Frankfurt schien gleichsam das Gefühl vorzuherrschen, als ob Frankfurt eine nichtpreußische Stadt wäre. Die Worte hier in diesem Hause haben eine etwas günstigere Lage geschaffen, und so kann ich mich etwas kürzer fassen, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte. Die kleinen Universitäten sind nicht beliebig erweiterungsfähig. Es ist interessant, was Professor Lexis in seinem Buch über die Universitäten des 19. Jahrhunderts ausgeführt hat, daß die neuen Universitäten ein ganz anderes Gesicht zeigen, daß sie alle in die Großstädte gelegt werden. Das ist auch natürlich, da die Förderung aller Institute nur in den Großstädten möglich ist. Deshalb baben mich die Ausführungen von manchen Seiten im Ab⸗ mit einem gewissen Gefühl der Heiterkeit erfüllt. Ich ann nicht verstehen, wie dort so naive Anschauungen geäußert werden konnten. Die Bedürfnisfrage braucht wohl gar nicht weiter erö tert zu werden, das liegt ganz klar auf der Hand. Ein Universitätslehrer kann nur dann seine Fähigkeiten voll entfalten, wenn er einen Stamm von Schäülern hat, die mit ihm zusammen vissenschaftlich arbeiten. Das wird aber nur möglich sein können, wenn die Studierenden alles vorfinden, was sie brauchen. Frankfurt hat zwar schon jetzt eine Reihe von Instituten, aber es ist nötig, daß die Se⸗ mester, die ein Studierender dort zugebracht hat, angerechnet werden. Die Forschungsuniversität, die Fortbildungsuniversität haben wir ge⸗ wissermaßen schon in Frankfurt. Wir wollen aber auch die Berechtigung haben. Denn ein ungeprüfter Mensch in Deutschland oder Preußen kann sich, wenn er nicht Rittergutsbesitzer ist, nicht gut sehen lassen. Der Wunsch nach der Gründung einer Universität in Frankfurt ist nicht von heute auf morgen entstanden, sondern hat eine lange Vorgeschichte. Schon im Jahre 1763 hatte der damalige Arzt Dr. Senckenberg ein Institut zur Ausbildung der Aerzte geschaffen, als auf den Universitäten das medizinische Studium noch tief danieder⸗ lag. Diese Anstalt war in der großberzoglichen Zeit der Mittelpunkt für eine medizinische Fakultät, wurde aber aufgehoben, als Frankfurt wieder an Preußen zurückfiel und man wieder zum Sypstem der einheitlichen Universitäten zurückkehrte. Es handelt sich jetzt nur darum, die verschiedenen Institute zusammenzufassen.

en Besuchern der Akademie werden schon jetzt zwei Semester zum Universitätsstudium angerechnet. Bei Frankfurt mit seinen vielen Einrichtungen sozialer Natur würde es auch möglich sein, die soziale Seite der Wissenschaften rege zu pflegen. Von einer Gefährdung der Bedeutung Marburgs kann keine Rede sein. Marburg ist in ständiger Entwicklung gewesen. 1864 hatte es nur rund 250 Studenten, jetzt an 2000. Weder Straßburg noch Münster hat dem Siegeslaufe Marburgs einen Abbruch getan. Ich boffe, daß es möglich sein wird, die großen Schwierigkeiten, die ich an⸗ erkenne, zu überwinden, da abweichend vom Schema, das in Pre ßen herrscht, eine Universität auf anderer Grundlage aufgebaut werden soll. Ich hoffe, daß in Deutschland, das nicht mehr nur ein Volk der Denker, sondern auch ein Volk der Kaufleute ist, es möglich sein wird, vernünftige Gedanken auch in die Wirklichkeit umzusetzen. Von irgendwelchen Parteiinteressen kann bei der beabsichtigten Universität keine Rede sein. Auch von einer kommunalen Universität kann nicht geredet werden. Es muß auch erwogen werden, ob es unbedingt not⸗ wendig ist, ein Gesetz zu schaffen, und ob die Gründung der Universität nicht ohne ein Gesetz vollzogen werden kann.

Herr Dr. Loening: ch halte mich für verpflichtet, im Namen zahlreicher Kollegen an den preußischen Universitäten zu erklären, daß wir der Eingabe der Universitätsrektorenkonferenz in keiner Weise zu⸗ stimmen. Ich bin der Ueberzeugung, daß wir noch lange nicht genug Universitäten haben. Wir haben 2 40 Millionen Einwohnern in nur 10 Universitäten; das reicht nicht aus. Wenn Frank⸗

urt nicht dank der Opferwill seiner Burgerschaft eine Uni⸗ versität gründete, so würde die egierung auch gegen den Willen des Finanzministers über kurz oder lang genötigt sein, eine neue Uni⸗ versität zu gründen. Dagegen würde ich nicht empfehlen, in Posen eine Universikät zu gründen. Suchen Sie doch in ganz Deutschland eine Stadt, die soviel für die Pflege des alismus tut wie Frankfurt. Sollen wir aus kleinlichen Rücksichten dem Wunsche der Stadt Frankfurt entgegentreten? Ich balte dies für un⸗ möglich. Natürlich müssen Universitäten als Veranstaltungen des Staates eingerichtet werden, aber nur in dem Sinne,

daß eine Universität nur mit Genehmigung des Staates errichtet werden kann und seiner Beaufsichtiung unterliegt. In diesem Sinne sind auch Privatschulen Veranstaltungen des Staates. Frank⸗ furt liegt es vollständig fern, eine sogenannte freie Universität zu er⸗ richten. Es ist auch ausgeschlossen, daß wir bei der Frankfurter Universität zu amerikanischen Zuständen kommen würden. Es muß statutarisch ausgeschlossen werden, daß die Geldmächte Frankfurts oder gar politische Parteien einen maßgebenden Einfluß auf die Be⸗ setzung der Professuren haben. Es muß ihr dieselbe Freiheit der Forschung statutarisch garantiert werden wie allen übrigen Uni⸗ versitäten. Daneben muß die Sicherheit gegeben werden, daß die finanziellen Grundlagen dauernde sind, daß nicht nach 10, 20 Jahren Zuschüsse vom Staate verlangt werden können. Die neue Uni⸗ dersität müßte eine Universität neuen Stils sein, die von dem Zopf der alten Universitäten frei ist. Die Promotions⸗ ebühren dürfen nicht in die Taschen der Professoren fließen.

enn Frankfurt diesen Schritt täte, würden die anderen Universitäten

über kurz oder lang folgen müssen zum Besten ihres Ansehens. Das wäre ein Fortschritt, der mit Freuden zu begrüßen wäre. Ich habe noch eine Beschwerde an den Minister zu richten. Als vor zweieinhalb Jahren der Gedanke von dem Ministerium angeregt wurde, von unseren Studenten eine Bibliotheksgebühr zu erheben, hatten alle Beteiligten das Gefühl, daß das nicht richtig sei; es ent⸗ sprach nicht unseren bisberigen Gewohnheiten. Als es aber so dar⸗ gelegt wurde, daß das Finanzministerium bestimmt erklärte, daß es für die Bibliotheken keine Mittel bewilligen würde, solange jene Gebühr nicht erhoben würde, haben die Professoren nachgegeben, denn unsere heutigen Universitätsbibliotheken genügen dem modernen Bedürfnis nicht mehr, sie haben große Lücken, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind. Die Senate der Universitäten haben also zugestimmt, aber unter der Bedingung, daß der Staat fämtliche Bibliotheksetats um 68 000 erhöhte. Es sind nun nur 62 000 bewilligt worden. Es wurde in einer Denkschrift ver⸗ sprochen, den Bibliotheken in 5 Jahren zur Ausfüllung der Lücken 1 Million zukommen zu lassen. Diese förmliche Zusage ist aber bis auf den heutigen Tag nicht erfüllt worden. Ich möchte die dringende Bitte an den Minister richten, diese Zusage, auf Grund deren die Senate zugestimmt haben, endlich auch zu erfüllen. Es handelt sich um Mißstande, deren Beseitigung auch die Regierung als notwendig anerkannt hat. Je später jene Lücken ausgefüllt werden, um so teurer wird die Sache, denn seltenere Bücher werden von den Amerikanern im Preise in die Höhe getrieben.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Gestatten Sie, daß ich gleich auf die letzte Anklage, die gegen mein Ministerium erhoben worden ist, antworte. Ich erkenne an, daß es erwünscht ist, etwas für unsere Universitäts⸗ bibliotheken zu tun, Mittel aufzuwenden, um die Bestände der Bibliotheken zu ergänzen und die Lücken auszufüllen. Wenn der Herr Vorredner aber daraus, daß das bisber noch nicht geschehen ist, eine so heftige Anklage gegen die Staatsregierung glaubt erheben zu können, so ist er dabei doch, wie mir scheint, von einer nicht ganz zu⸗ treffenden Voraussetzung ausgegangen. Denn das ist nicht geschehen, daß damals, als die Verhandlungen über die Einführung einer Bibliotheksgebühr geführt worden sind, eine feierliche Zusage gegeben worden ist, daß bestimmte Beträge für die Universitäts⸗ bibliotheken nunmehr vom Staate gegeben werden sollten. Es ist damals eine Denkschrift von dem Herrn Generaldirektor der Königlichen Bibliothek aufgestellt und in dieser ein Plan entwickelt worden, wie man die Verhältnisse der Universitätsbibliotheken verbessern könnte. Diese Denkschrift ist allerdings die Unterlage für die Verhandlungen mit den Universitäten gewesen, aber es hat sich keineswegs die Staats⸗ verwaltung identifiziert mit dem Plane des Herrn Generaldirektors. Sie war nur ein Anhalt für die Verhandlungen. Also den Vorwurf möchte ich zurückweisen, daß die Staatsregierung ein feierliches Ver⸗ sprechen gegeben und nicht erfüllt habe. Indessen erkenne ich aber voll an, daß für unsere Universitätsbibliotheken etwas geschehen muß. Wenn es bisher nicht geschehen ist, so hat das seinen Grund in unseren finanziellen Verhältnissen. Wenn diese sich bessern, wenn die Mittel dazu vorhanden sind, wird sich niemand mehr freuen als ich, und ich werde mich dann bemühen, mit dem Herrn Finanzminister darüber in Verhandlung zu treten, und ich hoffe, dabei zu einem Er⸗ gebnis zu kommen. Meine Herren, es wird ja immer gesagt, wenn ein solcher Wunsch vorgetragen wird, es sei ja eine so geringe Summe, nur 200 000 ℳ, der preußische Etat balanziere mit Milliarden, so könne es nicht darauf ankommen; aber wenn das sehr oft gesagt wird, summieren sich die Summen, und dann wird der Herr Finanzminister bedenklich. (Heiterkeit.)

Dr. Graf von Zedlitz und Trützschler: Ich denke mit dankbaren Empfindungen an die Stadt Frankfurt zurück. Aber das allein bestimmt mich nicht, für die Gründung der Universitäat in Frankfurt einzutreten. Ich möchte nur eins hervorheben, was eine allgemeine Bedeutung hat. Wir baben in den letzten Tagen sehr ernste Hinweise bekommen auf die bedenkliche Steigerung unserer Staats⸗ und Kommunallasten, und es ist immer dabei hervorgeboben worden, daß der Grund bei den kommunalen Lasten darin läge, daß nicht eine genügende Kraft vorhanden wäre, um den Pee einer steigenden Kultur⸗ E1“ zu werden. Daher bei uns die Erscheinung, daß man sich ununterbrochen an den Staat wendet und zu wenig vertraut auf die eigene Kraft. Hier nun sehen wir, daß die Bürger⸗ schaft einer altertümerreichen Stadt getreu den Traditionen der längst vergangenen Jahrzehnte aus ihren reichen Mitteln ein ideales Ziel fördern will, nicht in einseitig lokalem Interesse, sondern in Erfüllung langjähriger Wünsche, die der Staat kaum befriedigen kann. ehnlich war es ja auch mit der Begründung der Kaiser⸗Wilhelm⸗Gesellscheft. Wo sind denn die Mittel dafür hingekommen? Ist die Begründung der Frankfurter Uni⸗ versität nicht eine Parallelaktion zu der Gründung jenes Instituts, das unter Kais rlicher Aegide sich so machtvoll entfaltet hat? Daß die staatlichen Interessen bei der Universität Frankfurt nach jeder Richtung gesichert werden müssen, darüber ist auch hier nicht der ge⸗ ringste Zweifel. Wenn das aber der Fall ist, dann ist es nicht richtig, daß wir heute schon, wo noch gar nicht zu erkennen ist, wie sich die virge gestalten werden, eine ablehnende Haltung dagegen einnehmen ollen.

Herr Dr. Hillebrand⸗Breslau: Wir können zu dieser Angelegenheit, bevor sie nicht an den Staat herantritt, kein bestimmtes Votum abgeben. Die rallele zwischen der Uni⸗ versität Frankfurt und der Kaiser⸗Wilhelm⸗Gesellschaft, wie sie der letzte Redner, der Kurator der Universität Breslau, gezogen hat, stimmt nicht ganz. ür die Kaiser⸗Wilhelm⸗Gesellschaft ist das Geld für einmal gege worden, während derjenige, der die Universität Frankfurt stiftet, damit auch für die Zukunft eine dauernde Verpflichtung eingeht in einer Höhe, die man heute noch nicht ahnen kann. Das Extraordinarium bei den Universitäten wird immer größer, es beläuft sich schon bis auf 400 000 ℳ; ich glaube nicht, daß in dieser Höhe eine Zuwendung bei der Universität Frankfurt vorgeseben ist. Wie dem auch sein mag, die Mittel sollen von einer einzelnen Kommune aufgebracht werden. Ich erkenne die Worte, die hier ein verehrter Sohn von Frankfurt und ein verehrter Vater von Frankfurt gesprochen haben, gern an. Ob aber in Zukunft noch die begeisterten Leute in Frankfurt zu finden sein werden, kann ich 18 beurteilen, zumal ich zum ersten Male höre, daß die Uni⸗

ität Frankfurt allen Gesetzen und Einwirkungen des Staates

vW11“ v v 1

8

unterworfen sein soll. Vor einiger Zeit las man das ganz anders. Frankfurt soll wie eine andere Universität arbeiten, es kann unter Umständen auch wie bei städtischen Gymnasien eine Zwangs⸗ etatisierung notwendig werden. Frankfurt mag zurzeit die Mittel haben, aber im Mittelalter wetteiferten die italienischen Städte auch darin, eine Universität zu haben, und nun sehen Sie diese kümmerlichen einzelnen Universitäten in Italien, die nicht leben und nicht sterben können. Man hofft auf fernere freiwillige Stiftungen, wenn aber der Strom der Geber versiegt, und wenn die Stadt Frankfurt nicht mehr eine gebende Stadt sein sollte, so wird man sagen: Staat, hilf uns, wir können nicht mehr⸗ weiter, wie es mit den Gyanasien vor 30 Jahren gegangen ist. Damals wurden in allen Kommunen Gymnasien gegründet, aber dann klagte man: wir haben kein Geld mehr, die Gymnasien müßten verstaatlicht werden. Ich hoffe ja nichts daß es so kommt, aber möglich ist es. Daß wir nicht genug Universitäten haben können, gebe ich zu, vorausgesetzt, daß wir sie ausreichend dotieren können. Es ist schon gesagt, der Staat Preußen sei nickt mehr imstande, weil die Be⸗ dürfnisse der Universitäten immer mehr steigen, alle diese Bedürfnisse mit leichter Hand zu erfüllen, daß die Universitäten unterernährt sind, daß man schon die Studenten mit den Bibliotheksteuern belasten muß. Der Staat hat nicht die Mittel für neue Universitäten. Es wäre ganz gut, wenn auch Westpreußen eine Universität bekäme. Frankfurt wird aber später auch zu den notleidenden Universitäten ge⸗ hören, wenn die Stifter sehen, 2=— nicht frei schalten und walten können. Man sagt, der deutsche Doktortitel habe im Auslande kein Ansehen mehr, aber wie kommt es denn, daß die Leute aus dem Aus⸗ lande hierher kommen, um zu promovieren? Ich erinnere mich des Wortes eines Studienfreundes aus dem Auslande, der mir sagte, der deutsche Dr. chem. habe die Chemie auf ihre Höhe gehoben. Jedenfalls wünschen wir, daß die Universität Frank⸗ furt ganz unter der Aufsicht des Staates steht.

Herr Dr. Wagner: Ich erkenne vollständig an, daß die Stadt Frankfurt vieles und Schönes auf wissenschaftlichem Gebiete geleistet bat, Leistungen, die speziell an den Namen des Oberbürger⸗ meisters anknüpfen, der vorhin gesprochen hat. Aber mit der Neu⸗ gründung einer Urniversität in Frankfurt würden wir in eine neue geschicht⸗ liche Phase des Universitätswesens überhaupt eintreten, die ich die großstädtische Phase nennen möchte. Da scheinen mir doch einige Be⸗ denken vorzuliegen. Was über die Geeignetheit Frankfurts für Kunst und Wissenschaft gesagt wird, kann auch für andere Großstädte, z. B. Cöln, gesagt werden. Mit den Handelshochschulen hat man auch lange Zeit gezögert, um dann vielleicht etwas zu rasch und in zu vielen Städten damit vorzugehen, wie Leipzig, Frankfurt, Cöln, Aachen. Eine Universitätsgründung ist auch in Hamburg erwogen. Wir können die ganze Frage nur einheitlich für das ganze Reich betrachten. Sobald die Bewegung in Fluß kommt, werden auch Cöln und Düssel⸗ dorf Universitäten beanspruchen; beide sind die schärfsten Rivalen im Reiche. Warum dann nicht auch Hannover, Hamburg und in Bayern auch Nürnberg? Der Staat würde dadu allerdings entlastet, aber der Ehrgeiz und der Patriotismus der Städte wird dadurch angeregt, die Gelder werden leicht fließen. Deutschland ist in mancher Be⸗ ziehung in der Zeit der relativen Dürftigkeit der ganzen Nation zurück⸗ geblieben. Aber dann werden die städtischen Interessen, die Interessen des großen modernen beweglichen Kapitals mehr Einfluß erlangen. Die Stifter brauchen ja nicht unmittelbaren Einfluß auf die ee. der Professuren zu erlangen, aber indirekt werden sich solche Einflüsse geltend machen, die Einflüsse des ganzen Geistes, der in diesen Kreisen herrscht. Wir können dann leicht etwas amerikanisches Universitätsleben be⸗ kommen. Ob es erwünscht ist, von großen Gebern, wie Rockefeller und anderen solchen Leuten, mehr Geld zu erlangen, auch wenn dieses Geld noch so zweifelhaft erworben war, ist mir bedenklich. Auf allen Gebieten kommen auch Interessenfragen in Betracht, und da sehen wir schon jetzt in Deutschland manche Einflüsse. Bei der Berufung eines Nationalökonomen kann z. B. in Betracht kommen, wie der Mann zu den großen Interessenfragen der Zeit stebt, z. B. für Aktienfreiheit und derg!l. Wenn auch die Staatsregierung die Professuren besetzt, so wird doch ein Vorschlagsrecht den Uni⸗ versitätsbehörden zu geben sein, und dabei werden sich ge⸗ wisse Interessen geltend machen, wie schon jetzt bei uns. Gottloh ist das aber bisber nur in geringem Maße ge⸗ schehen. Ich könnte einen Namen anführen, ich will ihn nicht nennen, er steht in gewisser Beziehung zu mir. Hunc tu, Romane, caveto! Die Staatsregierung steht über den Parteien, eine staatliche Universität ist unabhängig, aber eine städtische Universität, die in⸗ direkt unter städtischem Einfluß steht, wird nicht so unabhängig sein. Das ist für mich ein sehr wesentlicher Punkt. Dazu kommt die Frage der Studenten. Ich bin einer der ältesten Lehrer der Berliner Universität, seit mehr als 40 Jahren, jetzt ist die Ent⸗ wicklung der Studentenzahl riesengroß. Hat man das der Besetzung der Universität zu verdanken? Nach dem französischen Kriege war die Berliner Studentenzahl bis auf 1500 zurückgegangen. Leipzig hatte mehr, und dort wurde man als Berliner mit Nasenrümpfen begrüßt: „Wir Leipziger sind ja größer.“ Da kam die kolossale Aufschwungs⸗ phase, Leipzig ist nicht so sebr Lenesen München nähert sich Berlin. Diese drei Universitäten haben annähernd 20 000 Studenten. Nun soll noch eine großstädtische Universität hinzukommen. Diese Entwicklung kann leicht zu weit gehen. Wenn Frankfurt vorgeht, folgt Düsseldorf nach, und die kleinen Universitäten müssen mehr oder weniger vegetieren. Das balte ich nicht für glücklich. Ich ver⸗ stehe darunter nicht Universitäten nach einer Rangordnung, sondern nach der Größe der Städte. Die mittleren und klemneren Universi⸗ täten, Greifswald, Göttingen, Jena, Tübingen, Erlangen usw., sind doch ein Segen, sie sind der wahre Brennpunkt des geistigen Lebens außerbalb der großen Städte, sie dezentralisieren das g⸗istige Leben, und das ist eine Wohltat für das ganze deutsche Volk. So hängt die Frage von Frankfurt mit großen allgemeinen Angelegenheiten zusammen. Das alles be⸗ stimmt mich nicht, zumal das Prejekt noch nicht genügend fundiert ist, mich gegen die Errichtung der Frankfurter Universität zu erklären, aber wir köͤnnen die Frage noch nicht entscheiden. Jedenfalls muß es im Wege des Gesetzes geschehen, wobei das Herrenhaus mitraten kann. Ich nehme weiter an, daß genügende Garantie ge feben wird, daß der Einfluß des Staates bei den Personalfragen ud bleibt, dann wird vielleicht Frankfurt ein geeigneter Ort sein, eine Ent⸗ scheidung wird noch nicht zu treffen sein.

Dr. Hiklebrandt erklärt, daß auch er namens der konser⸗ vativen Partei sich die Stellungnahme vorbehalten habe, bis das Projekt vorliege.

Dr. Buß⸗Münster: Ich darf mich Worten des Dankes, ugleich im Namen des Universitätssenats, an den Minister für das in diesem Jahre unserer Hochschule im Etat bekundete Wohlwollen bedienen. Die Zahl der Studenten Münsters hat im Laufe von 15 Jahren sich vervierfacht; die Universität verdankt diesen Zuwachs auch der dankenswerten, aufopfernden Mitwirkung des Dozenten⸗ körpers. Leider ist sie noch immer ein Torso; noch immer fehlen ihr die medizinische und die evangelisch⸗theologische Fakultät. Der Ausbau wird um so zwingender, als ja demnächst wohl die neuen B“ Frankfurts und Hamburgs den vorhandenen hinzutreten werden. Graf von Mirbach: Die Begründung eines Lehrstuhles für exakte Wirtschaftsforschung wird von der Vereinigung der Steuer⸗ und Wirtschaftsreformer für durchaus notwendig gehalten. Ich habe diesen Wunsch bereits dem Kultus⸗ und dem Finanzminister unter⸗ breitet. Das politische Element muß hier ausgeschaltet werden.

Herr Dr. Wagner: Ich bedauere, in dieser Beziehung dem Grafen Mirbach widersprechen zu müssen. Der Plan ist lediglich zugeschnitten auf den eehcs Ebrenberg in Rostock, dem es aber bisber nicht gel ngen ist, damit auf einer preußischen Universität an⸗ zukommen. Was exakte Wittschaftsforschung“ genannt wird, ist auf unseren Univerfitäten keineswegs vernachlässigt worden. Auf diesem Gebiete kann man aber exakte Forschung wie in den Natur⸗ wissenschaften nicht treiben. uch Thünen knüpft tbeoretisch durchaus an die klassische Noationalökonomie wie Ricardo an.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

(Schluß aus der Ersten Beilage.) In das Geheimnis der großen Betriebe wie Krupp einzudringen, würde sehr einfach sein, wenn diese Betriebe ihre Wirtschafts⸗ prinzipien offen legen würden; aber neuer Lehrstühle dazu bedarf Entscheidend sind doch schließlich im Leben psycho⸗ sche, nicht soziale Momente; und diese Momente sind zu wechselvoll, als daß man darauf mathematisch sichere Resultate gründen könnte. Wir brauchen keine Versuche derart, und ich ersuche den Herrn Kultusminister, auf diese Anregungen, für Herrn Ehren⸗ berg und Konsorten Lehrstühle zu errichten, nicht einzugehen. Ich sage hier wie bei der Frankfurter Universität: Principiis obsta! Die sozialen Gesichtspunkte sind es vielfach, die man uns vorgeworfen hat; man sagte uns: Ihr seid zu arbeiterfreundlich, zu unternehmerfeindlich. Ist gar nicht wahr; wer das sagt, kennt uns nicht, wir suchen Licht und Schatten nach beiden Seiten gleich⸗ mäͤßig zu verteilen. Wir stehen aber in einem Zeitalter der natur⸗ wissenschaftlich fundamentierten Technik; die Vorteile davon müssen gerade den Arbeitern zugute kommen. Wenn man das arbeiter⸗ freundlich nennen will, mag man es. Der Unternehmer ist der Chef des ganzen Wirtschaftslebens; ohne Persönlichkeiten kann die Volks⸗ wirtschaft nicht vorwärts kommen.

Graf von Mirbach: Geheimer Rat Wagner hat eine rein persön⸗ liche Rede gegen Professor Ehrenberg gehalten. Ich habe Ihnen meine eigene Anschauung vorgetragen. Professor Ehrenberg hat allerdings die Frage angeregt; aber wir wollen diese etwas einseitige Anregung erweitern, deshalb unsere Bitte an den Kultusminister. Geheimer Rat Wagner nannte die Firma Krupp; gerade diese steht diesen Be⸗ strebungen sehr warm zur Seite, Herr Kirdorf desgleichen. Die Vereinigung der Steuer⸗ und Wirtschaftsreformer behandelt diese Frage überhaupt jetzt durchaus neutral und objektiv; ich schreibe n Teil des Verdienstes zu, diese Vereinigung dahin gebracht zu haben.

Herr Dr. Wagner: Hier handelt es sich um ein allgemeines Prinzip der Besetzung der Universitäten. Allen Respekt vor den Herren der Praxis, aber dazu sind sie nicht geeignet, wenn ich auch die höchste Achtung vor den Praktikern, vor den Herren Stinnes, Kirdorf usw. habe.

Graf von Mirbach: Daß nur die Professoren das Vorschlags⸗ recht haben, ist doch eine zu weit gehende Forderung. Ich bitte den Minister, meinen Anregungen Folge zu geben.

Bei den höheren Lehranstalten drückt

Herr Dr. Soetbeer⸗Glogau seine Befriedigung darüber aus, daß durch die Dienstanweisung an die Direktoren und Ober⸗ lehrer endlich eine Einheitlichkeit geschaffen worden sei. Den

Gemeinden sei dadurch ein gewisser Einfluß auf die Besetzung der

Lehrstühle eingeräaumt worden, wenn auch noch nicht alle Wünsche befriedigt wären. Der Redner wünscht weiter den Ausbau der Ober⸗ realschule in Glogau. Bei dem „Elementarschulwesen“ bemerkt

8 Herr Dr., Dr.⸗Ing. Klein⸗Göttingen: Die Ausbildung der Volksschullehrer an den Seminaren muß mehr realistisch werden. Die Seminarlehrer waren für ihre Ausbildung zum großen Teil auf Selbstunterricht angewiesen. Das hat den Nachteil, den jede Auto⸗ didaktik hat, daß der Lernende darauf an ewiesen ist, welche Lehr⸗ mittel er zufällig in die Hand erhält. anche Buchhändler haben sich das direkt zunutze gemacht. So wird ein Lehrbuch der Mathematik z. B. in Zehnpfennigheften herausgegeben. Das ganze Werk kostet aber zusammen 360 ℳ! Ich möchte den Minister bitten, doch darauf einmal seine besondere Aufmerksamkeit lenken zu wollen. Bei den Seminarlehrerkursen soll es sich nicht um Aneignung neuer Wissensgebiete handeln, sondern um die Vertiefung der bisherigen Kenntnisse. Daß ich als Universitätsprofessor über diese Fragen gesprochen habe, kommt daher, daß ich unser ganzes Bildungs⸗ wesen als eine Einheit ansehe, von den Volksschulen bis zu den Universitäten.

„Bei dem Fonds von 1 Million für die Jugend⸗ pflege führt

Graf von Haeseler aus: Ich bin mir eigentlich noch im Zweifel, b auf diesem Wege das angestrebte Ziel zu erreichen ist. Die Initia⸗ tide des Ministers ist mit Dank zu begrüßen, aber um die allgemeine Pflichtfortbildungsschule werden wir nicht herumkommen. Ich möchte den Minister fragen, wie er sich die Vereinigung der städtischen und der ländischen Fortbildungsschule mit der Jugend⸗ plege denkt. Die Jugendwehr könnte gut wirken; aber bei dem sesigen System lernen sie den vollen Ernst des Dienstes in der Armee nicht kennen. Das Uebelste ist aber, daß die Ansprüche so weit gehen, daß von der Armee Gegenleistungen für die durch die Jugendwehr gegangenen jungen Leute gefordert werden. Freiherr von Bissing: Das Vorgehen der Regierung in dieser wichtigen und großen Frage wird einstimmig von beiden Häusern des Landtags gebilligt. In dieser Zeit der Unzufriedenheit und Undankbarkeit ist es unserem Aller⸗ gnädigsten König und Herrn von Gottes Gnaden zu ver⸗ danken, daß der Jugendpflege diese Unterstützung zuteil wird. Der Allerhöchsten Anregung entsprechend, hat das Kultusministerium in einem Erlaß Grundsätze, Gedanken und Ratschläge den Organen der Selbstverwaltung und des Staates mitzuteilen. Alle Stände und Klassen werden zur Mithilfe aufgefordert und die Erwartung ausgesprochen, daß die freien Vereinigungen zur Jugendpflege eine noch fruchtbringendere Tätigkeit mit dieser Beibilfe entfalten werden. Treu im nationalen, königstreuen Sinne sollen alle diese Ver⸗ einigungen wirken, mögen sie einer Konfession angehören, welcher sie wollen. Die Aufgabe des Staates ist aber damit noch nicht erfüllt. Die segensreichen Erfolge der freien Vereine kamen einem bevorzugten Teile unserer männlichen Jugend bisher zu gute. Die 4 Millionen schulentlassener Jungen, namentlich die Söhne unserer Landarbeiter, die Dienstknechte usw., waren sich selbst überlassen, oder sie gerieten in die Hände der Volks⸗ verderber, sie unterwarfen sich dem Zwange des Terrorismus. Hier soll Wandel geschaffen werden. Stadt⸗ und Ortsausschüsse, Kreis⸗ und Bezirksausschüsse sollen für die Jugendpflege gebildet werden. in Zwang auf die Jugend soll nicht ausgeübt werden. Aus eigener Ueberzeugung und beeinflußt durch das planvolle Wirken der freien Vereine hofft das Ministerium, daß ohne eine straffe Organisation die Jugendpflege gedeihe. Ich selber hätte allerdings eine straffere Organisation gewünscht. Staat, Regierung und Selbstverwaltung müssen Hand in Hand gehen zu dem einen Ziel, daß körperliche und sittliche Erziehung das gleiche Recht genießen. Einseitigkeit und

Uebertreibung durch Leibesübungen müssen vermieden werden. Die Pugendpflege darf keine Domäne irgendeiner politischen Partei sein. Alle Vaterlandstreuen und vor allem die Regierung haben das Recht und die eine Pflicht, dazu energisch Stellung zu nehmen. Nicht nur die Sozialdemokratie meine ich hier, auch das Berliner Tageblatt hat die Politisierung der Jugend gefordert. Nicht in einen verhetzenden und verbitternden Kampf der Partei soll die Jugendpflege hineingezogen werden, die Jugend muß erst reif werden. der göttliche Funke der Freude und Begeisterung muß die Jugend⸗ pflege durchglühen. Daß die vom Staat für die gesamte Jugend⸗ 8 zur Verfügung gestellte 1 Million nur als eine sehr be⸗ schedeene Unterstützung anzusehen ist, brauche ich nicht aus⸗

11“ 1“

da

weite Beilage

zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

5.

Berlin, Sonnabend, den 8. April⸗

—— ——

einanderzusetzen. Es fragt sich, wie diese geringen Mittel am zweck⸗ mäßigsten zu verwenden sind. Leicht ist die Frage nicht zu be⸗ antworten, weil die praktischen Erfahrungen fehlen. Die größte Gefahr liegt in der Zersplitterung bei der Verteilung. Vielleicht empfiehlt es sich, ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen, wo völlig Neues geschaffen wird, aber nur, wo bewährte Männer sich besonders eignen, vorbildlich die Jugendpflege zu organisieren. Solche Männer werden sich wohl in allen Provinzen finden, auch auf dem Lande. In den großen und größeren Städten fließen die not⸗ wendigen Mittel reichlicher, Plätze und Räume stehen mehr zur Ver⸗ fügung. Auf dem Lande herrscht vielfach in dieser Beziebung Mangel. Die kräftigste Unterstützung des Staates wird hier zur Notwendigkeit. Wäre das ländliche Fortbildungsschulwesen schon weiter entwickelt, der obligatorische Fortbildungsschulunterricht schon durchgeführt, so könnte die Jugendpflege diesem angegliedert werden. Solange die Bildung der Fortbildungsschule von dem guten Willen der Gemeinden abhängt, bedarf die Jugendpflege auf dem Lande der besonderen staatlichen Unterstützung unter erweiterter Tätigkeit der freien Vereine. Die Gewinnung von Persönlichkeiten, die die Jugendpflege in die Hand ngehmen und mit Begeisterung führen, bleibt besonders wichtig.

L

Ich appelliere an die Opferwilligkeit aller vaterlandstreuen Kreise, damit es gelingen möge, diese hochwichtige Aufgabe einer glücklichen Lösung entgegenzuführen.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Für das warme Interesse, was aus den Reden meiner beiden Herren Vorredner für die Jugendpflege und für unsere heranwachsende Jugend überhaupt hervortritt, bin ich ihnen außer⸗ ordentlich dankbar. Denn wenn die Staatsregierung sich jetzt diesen Zweigen ihrer Aufgaben in weiterem Umfange widmet, wie das bisher der Fall gewesen ist, so kann sie doch nur dann auf Erfolge rechnen, wenn sie bei Lösung dieser Aufgabe in weiten Kreisen des Volkes Hilfe und warme Unterstützung findet. Ohne das ist es nicht denkbar, daß wir dem Ziele, welches wir uns gesteckt haben, näher kommen, dem Ziele, auf unsere heranwachsende Jugend in weitem Maße einen fördernden Einfluß zu gewinnen. Mein Herr Vorredner hat darauf hin⸗ gewiesen, daß wir mit den Maßnahmen, die hier ins Auge gefaßt sind, vor etwas Neuem stehen, und daß wir erst Erfahrungen sammeln müßten. Es ist das ganz richtig, aber wir haben doch glücklicherweise im Lande doch auch schon eine ganze Reihe von wertvollen Ansätzen auf diesem Gebiete, an die wir uns anschließen können, und ich glaube, darauf kommt es an. Wir wollen das, was vorhanden ist, benutzen, aus⸗ bauen, und von da aus dann weitere Maßnahmen treffen. Wir wollen die Vereine und die Körperschaften, die sich bisher schon in den Dienst dieser Sache gestellt haben, weiter fördern, wir wollen ihnen behilflich sein, ihre Ziele zu erreichen, aber wir wollen sie nicht stören in ihrem Bemühen. Alle die Vereine sollen innerhalb der Aufgabe, die sie sich gestellt haben, selbständig bleiben, aber sie sollen uns zur Mitarbeit willkommen sein, wenn sie dasselbe Ziel verfolgen, was wir erstreben. Dabei werden wir ganz gewiß auch von den Fortbildungsschulen, die von den beiden Herren Vor⸗ rednern erwähnt worden sind, nicht etwa abrücken dürfen. Wir werden in nahen Beziehungen zu den Fortbildungsschulen mit unseren Bestrebungen stehen müssen; denn es ist ja gerade die Jugend, an die wir uns wenden, die auch in den Fortbildungsschulen unterrichtet wird, die die Fortbildungsschule besuchen muß. Also er⸗ gibt sich das Zusammenwirken von Fortbildungsschule und Jugend⸗ pflege eigentlich ganz von selbst, zumal ja vielfach dieselben Männer in der Fortbildungsschule und in der Jugendpflege stehen. So glaube ich denn die Frage, die Seine Exzellenz Graf von Haeseler an mich gerichtet hat, wie das Verhältnis von Fortbildungsschule und Jugend⸗ pflege sein wird, dahin beantworten zu können, daß das ein freund⸗ nachbarliches Verhältnis sein muß, daß diese beiden Einrichtungen, die schließlich denselben Zielen dienen sollen, Hand in Hand gehen, daß die eine die andere ergänzen soll. Das wird namentlich in den größeren Städten zutreffen, wo ja alle diejenigen jungen Leute, an die wir uns mit unseren Bestrebungen wenden, in den Fortbildungsschulen gesammelt sind und so der Schüler der Fortbildungsschule ohne weiteres auch von unserer Jugendpflege erfaßt werden wird. Wir stehen hier vor großen Aufgaben, die nur dann einigermaßen erfüllt werden können, wenn, wie ich vorhin schon sagte, weite Kreise des Volkes sich warm dafür interessieren. Wir brauchen vor allen Dingen Menschen, die sich in den Dienst dieser Aufgabe stellen, die mit uns nach dem Ziele streben, das wir uns vorgesetzt haben, im Interesse unserer Jugend, im Interesse unseres Vaterlandes. (Bravo!)

Bei den Ausgaben für „Kunst und Wissenschaft“ er⸗ kundigt sich

Herr Körte⸗Königsberg nach dem Stande des Neubaues der Kunstakademie in Königsberg. Die Stadt habe schon vor langem dem Staate ein geeignetes Gelände zur Verfügung gestellt und sich bereit erklärt, ihm das alte Gebäude abzunehmen. Pie Stadt und die Aka demie sehnten sich sehr nach einer endlichen Entscheidung.

Bei den Ausgaben für das technische Unterrichts⸗ wesen lenkt Herr FAI. ann die Aufmerksamkeit der Regierung auf die wissenschaftliche und strategische Seite der Luftschiffahrt. Es werde auf diesem Gebiete sehr fleißig in Deutschland von nicht weniger als 60 Vereinen gearbeitet. Namentlich habe das Problem des Lenkballons große Fortschritte gemacht. Wie der Sport die Luftschiffahrt entwickelt habe, so müsse jetzt die Wissenschaft der Luftschiffahrt ihr hohes Ziel erreichen helfen. Da könne man der Mithilfe der Hochschulen nicht entbehren; es müsse ein Hochschul⸗ unterricht für die heranwachsende studentische Jugend eingeführt werden. Darin seien wir bis jetzt zurückgeblieben; Deutschland dürfe nichts versäumen, was dazu beitragen könne, auch hier voran⸗ zukommen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Belehrung der Jugend beständen erfreuliche Anfänge; aber sie müßten ausgebaut werden. Auf eine hierauf bezügliche Eingabe an den Minister sei er, der Redner, bisher ohne Antwort geblieben. Bei der Schiffbauabteilung sollte eine Unterabteilung mit Lehrstühlen für Luftschiffbau, Flug⸗ motortechnik, Meteorologie, Aerodynamik, Navigation geschaffen werden. Die Nation sei wesentlich an dieser Frage beteiligt; die Luftschiffahrt sei kein Kindersport, kein Spielzeug mehr.

Beim Extraordinarium wünscht 1 8

Herr Körte⸗Koͤnigsberg die S-, en. Se. von

i

Serta bis Obersekunda beim Neubau des staatlichen? formgymnasiums selbst, da diese Klassen an Ueberfüllung litten.

8

Nach Erledigung des Etats des Kultusministeriums be⸗ antragt Graf von Mirbach um 5 Uhr die Vertagung.

Graf von Seid litz⸗Sandreczki bittet, weiter zu tagen, sonst würde man morgen nicht so zeitig fertig werden, daß einzelne Herren noch mit den Nachmittagszügen heimzureisen imstande wären, und es

möchte doch jeder am zu Hause sein. v“ t

Graf von Mirbach: Es gibt doch auch Nachtzüge. Der Vertagungsantrag wird abgelehnt.

Ueber den Etat des Finan zministeriums berichtet

Herr Dr. Oehlerv; er verbreitet sich ausführlicher über das Pro⸗ jekt des Neubaues des Königlichen Opernhauses in Berlin.

Bei den dauernden Ausgaben führt

Herr von Gwinner aus: Wir befinden uns in der siebenten Stunde der Beratung, und ich will nmnich möglichst kurz fassen. Ein Gesetzentwurf wegen Anlegung der Bestände der Sparkassen wurde 1906 im Herrenhause angenommen, im andern Hause aber leider abgelehnt. Ich bin durchaus der Meinung des jetzigen Finanzministers, daß ein solcher Entwurf aber⸗ mals eingebracht werden sollte; ich verspreche mir davon eine be⸗ deutende Wirkung auf die Hebung des Kurses unserer Staatsanleihen. Es ist gesagt worden, man solle auch die Banken, Versicherungs⸗ und Aktiengesellschaften anhalten, in großem Maßstabe preußische Papiere zu kaufen. Der Gedanke hat etwas Verführerisches, aber nach reiflicher Prüfung muß man ihn doch verwerfen. Wir haben über 5000 Aktiengesellschaften in Deutschland; wenn die ihre Reserve⸗ fonds ganz oder teilweise in Staatsanleihen anlegen müßten, würden wir nur dem Beispiele Rußlands folgen, und die Wirkung würde sein, daß die Reserven, die jetzt im Geschäftsbetriebe mitarbeiten, diesem Zweck entzogen würden, und daß die Gesellschaften ihr Kapital erhöhen müßten durch Ausgabe neuer Aktien, welche durch ihren Druck auf den Geldmarkt wiederum auf die Kurse drücken würden. Die Banken sollen erhebliche Beträge ihrer Reserven und auch ihrer Depositen ebenso anlegen, so wird verlangt und dabei auf das englische Bei⸗ sviel verwiefen. Aber die englischen Konsols sind über 30 % in einem Jahrzehnt gefallen; das gibt doch zu denken. Läge das Heil in dieser Richtung, so müßte es in England anders gekommen sein. Das Heil liegt eben in einer anderen. Richtung. Eine Auslassung des Gouverneurs der Union Bank of London, einer Autorität in City⸗ kreisen, betont, daß es sehr viel mehr auf die leichte Möglichkeit der Realisierung der Konsols ankomme, daß dieser Weg nicht verengt werden dürfe. In derselben Rede wird bezüglich der eng⸗ lischen Staatssparkassen ausgeführt, daß die Ankäufe derselben von Jahr zu Jahr zurückgegangen sind, und schließlich mehr Konsols von ihnen verkauft als angekauft wurden. Das liegt aber an den be⸗ fonderen Umständen, die in England obwalten, in Italien, Oesterreich, Frankreich ist es anders. Die französischen Sparkassen dürfen nur französische Renten kaufen. Die preußischen Sparkassen haben etwa 11 Milliarden Mark Einlagen, die deutschen etwa 16 Milliarden Mark. Von den 11 Milliarden sind nur 900 Millionen in Staatspapieren angelegt, der größte Teil dagegen in Hypotheken. Im Ernstfall würden unsere Sparkassen zahlungsunfähig werden, und ich ver⸗ stehe deshalb, wenn der Finanzminister dagegen Maßregeln ergreifen will, ich verstehe auch weiter, daß der Staat sich Absatzgebiete für seine Papiere zu schaffen sucht. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen in Deutschland an Svparkasseneinlagen 223 ℳ, in England nur 97 und in Frankreich 101 Fr. Die geringeren Sparkasseneinlagen in England und Frankreich kommen daher, weil dort der kleine Mann seine Gelder selbst in Staatspapieren anlegt. Bei uns zahlen die Sparkassen durch den Wettbewerb untereinander mehr Zinsen, als die Staatspapiere Zinsen bringen. Da ist es nicht zu verwundern, daß das Geld eher zur Sparkasse fließt. Was wird nun der Effekt sein, wenn wir den Sparkassen vorschreiben, mehr Staatspapiere zu kaufen? Es wird dadurch der Wert unserer Staatspapiere steigen. Steigt aber der Wert der Staatspapiere, so sinkt dadurch der Zinsfuß automatisch. Selbst wenn die Sparkassen weniger Hypotheken kaufen, werden durch das Sinken des Zinsfußes die Leute, die jetzt ihr Geld bei den Sparkassen suchen, ihr Geld anderswo ebensogut finden. Bei den Versicherungsgesellschaften darf man sich darauf verlassen, daß ihr eigenes Interesse sie schon dazu führen wird, ihre Kapitalien in Staatspapieren anzulegen. Denn durch die größere Beteiligung der Sparkassen werden die Staatspapiere schon an sich beliebt werden. Bezüglich des Extraordinariums des Eisenbahnetats bin ich der An⸗ sicht, daß Geheimrat Kirchhoff in vielem das Richtige getroffen hat. Die jetzige Regelung ist keinesfalls gut. Denn selbst wenn wir in diesem Jahre einen Ueberschuß von 500 Mil⸗ lionen hätten, würden wir mit einem Defizit abschneiden müssen. Ich verstehe es ja, daß ein Finanzminister so ein kleines Defizit ganz gern hat, weil er dadurch auf die anderen Ressorts drücken kann. Während wir im Reich das Verhältnis erreicht haben, daß der Reichskanzler sagt, wenn von ihm neue Ausgaben gefordert werden: schafft mir erst die Mittel, muß der preußische Finanz⸗ minister immer auf das Defizit hinweisen, wenn neue Forderungen an ihn herantreten. Aber wir haben jetzt fünf Jahre ein Defizit ge⸗ habt. Die Tendenz der Staatsausgaben ist darum doch wachsend ge⸗ blieben, und ich glaube deshalb, daß es schwer sein wird, die Zuschläge zu den Steuern wieder aufzuheben. Aber wir sind mit den Steuern schon recht weit gekommen. Im Frieden muß man die Steuerkraft möglichst schonen. Borgen soll man im Frieden, weil man in Kriegsfällen nicht borgen kann. Erinnern Sie sich an 1870. Der nächste Krieg wird geführt mit Papiergeld und mit Zwangsanleihen bei den Steuerza lern. Durch Anleihen kann man die Summen, die für einen modernen Krieg erforderlich sind, nicht aufnehmen. Wir müssen also irgend etwas Neues finden, damit wir auf dem jetzigen Wege nicht unbedingt fünf Jahre stehen bleiben müssen. Wir müssen dafür sorgen, daß das Defizit zum Verschwinden kommt. Wenn ich auch nicht mit allem ein⸗ verstanden bin, was Kirchhoff will, so würde ich doch statt 2,1 % des statistischen Anlagekapitals, die an den allgemeinen Etat ab⸗ geführt werden, 2 ¼ % vorschlagen. Das Extraordinarium werden wir ebenfalls, wenigstens soweit es sich um sichere werbende Anlagen handelt, auf Anleihe übernehmen müssen. Und in Verbindung damit werden wir in eine andere Tilgung der Staatsschuld eintreten müssen. Wir brauchen ja nicht in der Tilgung so weit zu gehen wie das Reich; wir könnten auch staffeln, wenn wir unsere Staatsschuld von 8 bis 9 Milliarden mit 4 ½ % tilgen, so kommt täglich eine Million heraus.

Hierauf nimmt der Finanzminister Dr. Lentze das Wort, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

Auf Antrag des Grafen von Mirbach wird sodann um 6 ¼ Uhr die Fortsetung der Etatsberatung auf Sonnabend, 11 Uhr pünktlich, vertagt.

11 L1“