1911 / 118 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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als die Veranlagung vor 50 Jahren nach sehr wechselnden und schwankenden Grundsätzen erfolgte. Erst recht unvollkommen ist diese Steuer, nachdem sich diese Verhältnisse so gründlich geändert haben; da ist es doppelt bedenklich, eine Ermächtigung zu geben, sie zur Grundlage für die Auferlegung neuer Lasten zu machen. Nach dem Grundsteuerfuß ist eine gerechte Lastenverteilung nicht möglich. Heute sind vielfach die Ergebnisse von Böden dritter bis achter Klasse höher als die von Böden zweiter Klasse, namentlich infolge der verbesserten landwirtschaftlichen Technik und der Kunstdünger⸗ wissenschaft. Von dem Rechte, einen anderen Maßstab zu wählen, ist kaum Gebrauch gemacht worden. Will man nicht den Arbeiterbedarf, dann sollte man den gemeinen Wert der Grundstücke zur Grundlage machen. Es hat auf mich einen geradezu komischen Eindruck gemacht, daß ausgerechnet die „Deutsche Tageszeitung“ als Argument für die Bei⸗ behaltung des Grundsteuermaßstabes die Selbstverwaltung angeführt hat. Zum Lachen ist dies geradezu, nachdem die bö“ in der Form angenommen sind, wie wir sie die Mehrheit haben annehmen sehen. Es ist verständlich, daß die Bureaukraten es lieben, eine bequeme Veranlagung zu haben, aber eine summarische Veranlagung, wie die Vertreter der verbündeten Regkerungen sagen, ist nicht im Interesse der landwirtschaftlichen Betriebs⸗ inhaber, die die Kosten zu tragen haben. Mir ist bekannt, dag in Hessen⸗Nassau von einer Berufsgenossenschaft der Versu gemacht worden ist, an Stelle des Umlageverfahrens nach Arbeits⸗ tagen und Gefahrenklassen den Grundsteuermaßstab einzuführen. Dagegen hat sich die große Mehrheit der in Betracht kommenden landwirtschaftlichen Betriebsinhaber erklärt. Dort wiegen die Klein⸗ bauern vor. Ebenso ist es im Württembergischen. Es will mir nicht einleuchten, wieso die Veranlagung nach Gefahrenklassen in Bayern so außerordentliche Schwierigkeiten machen soll. In Schleswig⸗ Holstein z. B. bereitet der ertragreichste fette Marschboden, wie wir ihn an der Küste und im Westen haben, geringe Arbeit, während der minderwertigere Boden mit Gespannen usw. bearbeitet werden muß. 5 diese Distrikte bedeutet der Grundsteuermaßstab eine Mehr⸗ elastung und eine Ungerechtigkeit. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß in den Kreistagen, aus denen die Wahlen für die Berufs⸗ enossenschaften hervorgehen, auch der Großgrundbesitz maßgebend ist, o müssen wir gegen diese Bestimmung sehr mißtrauisch sein, um so mehr als sie von der „Deutschen Tageszeitung“ empfohlen wird. Alles, was von dieser Seite kommt, nehme ich mit außerordentlichem Mißtrauen auf. Durch die Erfahrungen, wie durch die sachlichen Erwägungen gelangen wir dazu, daß allein die Veranlagun nach Arbeitstagen unter Berücksichtigung von Gefahrenklassen gerecht ist, und bitten daher, dem Antrage Dörksen zuzustimmen.

Direktor im Reichsamt des Innern Caspar: Daß der Grund⸗ steuermaßstab unter gewissen Verhältnissen ungerecht wirkt, hat noch niemand bestritten. Das ist von vornherein erkannt und anerkannt. Aber auf der anderen Seite ist ebenso unbestritten, daß für viele Ver⸗ hältnisse der Grundsteuermaßstab von den Beteiligten selbst als ein ganz besonders geeigneter angesehen wird. Man kann also nicht die Notwendigkeit anerkennen, daß er nicht da angewendet werden soll, wo er paßt. Wenn der Abg. Fegter meinte, der Umstand, daß der Berufsgenossenschaften sich für den Grundsteuermaßstab erklärt haben, beweise, daß er den Bureaukraten bequemer wäre, so handelt es sich ja gar nicht um die Verwaltung durch Bureaukraten, sondern um die Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften, und wenn von den ke haeh F sich dafür aussprechen, so müssen sie sich doch wohl dabei fühlen.

Abg. Molkenbuhr (Soz.) spricht sich für den Antrag Dörksen

aus. Es handle sich darum, endlich eine Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, für deren Beseitigung seine Partei schon seit 10 Jahren eingetreten sei.

Abg. Graf von Westarp (dkons.): Daß der Grundsteuermaßstab ein ungerechter ist, wird durchaus nicht überall zugegeben, sondern höch⸗ stens, daß er ein unvollkommener ist. Es ist auch nicht richtig, daß er für den kleinen Grundbesitzer besonders ungerecht ist. Richtig ist nur, daß die schwereren Böden mehr belastet werden. Der Großgrundbesitz braucht für dieselben Flächen verhältnismäßig weniger Arbeitskräfte als die kleinen Besitzer. Der hauswirtschaftliche Unfall ist in der Landwirtschaft von dem eigentlichen landwirt⸗ schaftlichen Unfall schwer zu unterscheiden. Die Entschädigung der hauswirtschaftlichen Unfälle kommt aber besonders dem kleinen

Landwirt zu gute. Der Maßstab der Arbeitskräfte verursacht

sehr erhebliche Kosten, erhebliche Arbeitskräfte und wirkt auch nicht überall gerechter als der Grundsteuermaßstab. Der Lohn ist auch

. deshalb schwer zu Grunde zu legen, weil die kleinen Landwirte keine Buchführung haben. Die Entscheidung über diese Sätze muß den lokalen Organen überlassen werden, die in der Lage sind, die ver⸗

schiedenen Verhältnisse zu berücksichtigen. Man müßte den Selbst⸗ verwaltungsorganen wirklich die Entscheidung überlassen. Zu

diesem Zwecke sind wir dem Abg. Dörksen insofern entgegen⸗

gekommen, als wir es zugelassen haben, daß in § 1001 a auch

andere Maßstäbe zu Grunde gelegt werden können, z. B. die

Küulturart, die Fläche in Verbindung mit der Grundsteuer, der Rein⸗ ertrag der Grundstücke als solcher und der Ertragswert aus dem

25 fachen dieses Reinertrages.

Abg. Vogt⸗Hall (wirtsch. 1 polemisiert im Sinne des

Grafen Westarp gegen die Ausführungen der Abgg. Molkenbuhr

und Fegter. Wenn die Umlagen nach dem Grundsteuermaßstab immer ungerecht wären, dann sollte der Abg. Fegter auf eine bessere und gerechtere Veranlagung der Grundsteuer hinwirken. (Zuruf links.) Dann dürfte man auch die Kosten für diese Aenderung nicht scheuen. Die Erträge des Waldes seien mit den Jahren gestiegen und in seiner Heimat Württemberg bemühe man sich seit Jahren vergebens, den Fiskus zu veranlassen, mit seinem Waldbestande in die Berufsgenossenschaft einzutreten. Er bitte, bei dem Kommissions⸗

3 beschluß stehen zu bleiben.

Abg. Herold (Zentr.): Zweifellos trifft die Umlage nach Arbeits⸗ tagen und Gefahrenklassen das richtige, aber praktisch ist die Durch⸗ führung dieses Gedankens sehr schwierig. Mit dem Grundsteuer⸗ maßstabe sind die Berufsgenossenschaften tatsächlich in manchen Gegenden ganz zufrieden. Die Verteilung nach einem festen Maßstabe

hat den großen Vorzug, daß auch die Nebenbetriebe erfaßt werden.

können. Ich kann Sie auch nur bitten, die Kommissionsbeschlüsse anzunehmen.

Abg. Fegter (fortschr. Volksp.) (von der rechten Seite mit leb⸗ haftem „Oh“ empfangen): Ich freue mich, daß Sie mich gern hören. (Große fortdauernde Unruhe rechts und im Zentrum.) Wenn Sie so nach Belieben über eine Stunde über diesen Gegenstand reden, dann müssen Sie auch uns anhören. Endlich einmal haben wir wieder die Herren von den Mehr⸗ heitsparteien wirklich reden hören; ich konstatiere aber, daß es schon spezifisch agrarische Fragen sein müssen, die sie veranlassen können, aus ihrer Schweigsamkeit herauszutreten. Auch

er Regierungsvertreter hat zugeben müssen, daß die Grundsteuer ls Maßstab roh ist. Die Beibehaltung der Grundsteuer durch 34 landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften ist anderseits noch kein Beweis für ihre Vorzüge; es können auch dabei egoistische Motive mitgewirkt haben. In allen landwirtschaftlichen Berufsgenossen⸗ chaften kommen wie in den Landwirtschaftskammern die Kreise des kleinen und mittleren Grundbesitzes nicht zur Geltung. Der Vorschlag des Abg. Vogt⸗Hall, die Grundsteuer neu zu veranlagen, würde in seiner Ausführung viel kostspieliger sein als die Umlegung nach Arbeitstagen unter Berücksichtigung der Gefahrenklassen. Die Herren rechts führen die Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften, sie iehen auch das 8vs der Gerechtigkeit ins Feld, leider aber nur nicht allgemein sondern bloß dann, wenn es ihnen für ihre Sonder⸗

zwecke in den Kram paßt. (Schluß⸗Rufe, die sich mehrmals stärker

wiederholen.) Auch der Abg. Herold hat den Maßstab der Arbeitstage ls richtig anerkannt und nur seine Durchführbarkeit bezweifelt. Ich

bitte Sie nochmals, den Antrag Dörksen anzunehmen.

Damit schließt die Diskussion. Ueber den Antrag Dörksen⸗ Gaebel wird namentlich abgestimmt. I

Das Ergebnis ist die Ablehnung des Antrags mit 170 gegen 141 Stimmen; 3 Mitglieder enthalten sich der Abstimmung.

§ 967 hat in der Kommission einen Zusatz erhalten, wonach das Reichsversicherungsamt, wenn es die Geschäfte der Genossenschaftsorgane zu führen hat, infolge des Nichtzustande⸗ kommens der Wahl von solchen oder infolge Weigerung der gesetzlichen Organe, sie zu führen, nicht berechtigt ist, an Stelle der Genossenschaften Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und technische Aufsichtsbeamte anzustellen. Diesen Zusatz haben die Sozialdemokraten zu streichen beantragt; es soll darüber namentlich abgestimmt werden.

Abg. Eichhorn (Soz.) tritt für die Streichung ein. Die Unfall⸗ gefahr sei besonders in der Landwirtschaft eine sehr große; die Zahl der Unfälle in der Landwirtschaft sei stetig gestiegen. Die von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften angestellte Zahl technischer Aufsichtsbeamter sei viel zu gering, das werde auch von den Auf⸗ sichtsbehörden beklagt. Der Maschinenbetrieb greife in der Land⸗ wirtschaft immer mehr um sich und ihm stehe meist ein Personal von jungen Leuten gegenüber, die in ihrem Leben keine Maschine gesehen haben. Die vorgeschlagene Einschränkung der Befugnisse des Reichs⸗ versicherungsamts könne ja gar keinen anderen Grund haben, als daß die Aufsicht des Reichsversicherungsgamts den Herren in den land⸗ wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften unbequem und lästig sei. In einem Jahre wären in der Landwirtschaft nicht weniger als 138 000 Unfälle zur Anmeldung gekommen; Entschädigungen erhalten hätten 61 000 Unfallverletzte, darunter nicht weniger als 2381 Kinder, d. h. Knaben und Mädchen unter 16 Jahren; auch hätten sich ca. 4000 Erwerbsunfähige darunter befunden. Das ergebe ein grausiges Bild von der Höhe der landwirtschaftlichen Unfallgefahr. Die Agrarier hätten von dem preußischen König selbst die Aufforderung zu hören bekommen, im Punkte der Unfallverhütung mehr als bisher ihre Pflicht zu tun. Sie wären dieser Aufforderung nicht nur nicht nach ekommen, sondern fielen hier sogar der Regierung direkt in den Arm. Wo bleibe da die preußische Regierung und die Reichsleitung mit ihrem „Unannehmbar“? Sei die preußische Regierung etwa sicher, daß sich an der obersten Stelle auch die Meinung gegen früher geändert habe, etwa wie in der Frage des Brotwuchers? Die preußische Regierung habe die Gesundheit des Volkes gewissenlos dem Junkertum, dem Brotwucher zum Opfer gebracht (der Präsident rügt diesen Aus⸗ druck als unzulässig); hier solle auch Leben und Efbteöhett der preußischen Landarbeiter dem preußischen Junkertum überantwortet werden. Rühre die Regierung keinen Finger, so solle wenigstens bie ein Einsehen haben und den Zusatz der Kommission reichen.

Abg. Gothein (fortschr. Volksp.): Zu den vielen Unbegreiflich⸗ keiten, die die Kommission fertiggebracht hat, gehört auch die Ausnahme⸗ bestimmung, daß das Reichsversicherungsamt nicht berechtigt sein soll, an Stelle der Genossenschaften Unfallverhütungsvorschriften zu er⸗ lassen und technische Aufsichtsbeamte anzustellen. Ich hätte nicht ge⸗ laubt, daß man den Mut gehabt hat, eine solche Bestimmung zu beschließen. Es gibt eine ganze Anzahl von landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, die bisher von ihrem Rechte, Unfallverhütungs⸗ vorschriften zu erlassen, überhaupt keinen Gebrauch gemacht haben, dazu gehören vor allem die mecklenburgischen Berufsgenossen⸗ schaften. Wo sie aber erlassen sind, sind sie vielfach völlig un⸗ zulänglich. Das Reichsversicherungsamt hätte alle Veranlassung, Unfallverhütungsvorschriften für die gesamte Landwirtschaft zu er⸗ lassen. Der Einwand, daß das Reichsversicherungsamt zum Erlasse solcher Vorschriften unfähig sei, ist von der Regierung in der Kommission bündig widerlegt worden. Aber auch die besten Unfall⸗ verhütungsvorschriften nützen nichts, wenn sie auf dem Papier stehen bleiben, wenn die Kontrolle fehlt. Unsere Technik ist soweit vor⸗ daß die Unfallverhütung sehr wohl durchzuführen ist. Man sieht aber auf dem Lande, daß Dreschmaschinen usw. ohne alle Schutzvorrichtung vorhanden sind, so daß namentlich zahlreiche Frauen verunglücken. Es ist eigentlich unerhört, daß man hier nicht energisch vorgeht. Es ist unser aller verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß die ungeheure Unfallziffer in der Landwirtschaft fällt. Ich freue mich, daß über den sozialdemokratischen Antrag namentliche Abstimmung beantragt ist. Vielleicht überlegt es sich noch mancher von Ihnen, ehe er dem Kommissionsbeschluß zustimmt.

Damit schließt die Diskussion.

Berichterstatter Abg. Dr. Mugdan (fortschr. Volksp.) weist unter lebhaften Hört⸗hört⸗Rufen darauf hin, daß in der Kommission mehrere Regierungsvertreter sich gegen den Zusatz der Kommission ausgesprochen haben.

In namentlicher Abstimmung wird § 967 Absatz 2 der Kommissionsbeschlüsse mit 188 gegen 130 Stimmen bei einer Stimmenthaltung aufrecht erhalten. § 967 bleibt unverändert.

Der Rest der Vorschriften über die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird mit einem mehr redaktionellen Kom⸗ promißantrag Schultz ohne Debatte nach den Beschlüssen der Kommission angenommen. 8 5

Der dritte Teil betrifft die „Seeunfallversicherung“.

Die §§ 1036 1103 handeln von dem „Umfang und dem Gegenstand der Versicherung“. 3

Nach § 1042 gilt die Versicherung für Unfälle beim Be⸗ triebe einschließlich der Unfälle, die während des Betriebs durch Elementarereignisse eintreten ( Betriebsunfälle).

Die Sozialdemokraten wollen dem hinzufügen: „und ein⸗ schließlich der klimatischen Krankheiten“.

Nach § 1048 sind auch Unternehmer gewerblicher Betriebe der Seeschiffahrt versichert, wenn das Seefahrzeug nicht mehr als 50 Raummeter Gesamtraum enthält.

Die Sozialdemokraten wollen die Zahl 50 durch 100 er⸗ setzen und die Schlußbestimmung des Paragraphen streichen, wonach die Versicherungspflicht nur bestehen soll, wenn bei dem Betriebe regelmäßig keine oder höchstens 2 Versicherungspflich⸗ tige gegen Entgelt beschäftigt werden. f * S.

§ 1060 besagt: E“

„Bei Personen der Schiffsbesatzung, für die kein besonderer Durchschnitt festgesetzt ist, werden dreiviertel des für Vollmatrosen festgesetzten Durchschnitts berechnet.“

Die Sozialdemokraten wollen für solche Personen die Durchschnittssätze der Personen gelten lassen, die ihnen im Range und der Heuer gleich oder am nächsten stehen.

Zu § 1073 soll sich das Maß der Fürsorge des Unter⸗ nehmers bei neuen Leuten richten nach den maßgebenden Be⸗ stimmungen des Handelsgesetzbuchs und der Seemannsordnung. 8 Die Sozialdemokraten wollen diese Fürsorge weiter aus⸗ ehnen.

Abg. Schwartz⸗Lübeck (Soz.) empfiehlt diese Anträge zur An⸗ nahme, insbesondere den Antrag wegen der klimatischen Krankheiten. Diese könnten mit beruflichen Krankheiten nicht verwechselt werden. Viele Seeleute schleppten diese Krankheiten über drei Monate mit sich herum und wenn die Krankheit zum Ausbruch kommt, haben sie ihren Anspruch verwirkt.

Abg. Molkenbuhr (Soz.) weist darauf hin, daß sehr viel Seeleute an klimatischen Krankheiten zu Grunde gehen. Die Regierung habe früher anerkannt, daß diese Krankheit eine Begleiter ge der Seeschiffahrt wäre, und eine Erwägung darüber zugesagt, ob in einem künftigen Unfallversicherungsgesetz eine Gleichstellung der klimatischen Krankheiten mit den Betriebsunfällen einzuführen sei. Den am gelben Fieber Erkrankten und den Hinterbliebenen der an dieser Krankheit Verstorbenen müsse ebenso zu Hilfe ge⸗ kommen werden wie denen, die ein Unfall betroffen habe.

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Eine erhebliche Mehrbelastung würde durch Annahme diese nicht Febekliche ,n ch eses Antrages Sämtliche sozialdemokratischen Anträge werden ab ebenso ein Antrag Potthoff, der im § 1063, der bütlehn. daß, soweit der Jahresarbeitsverdienst 1800 übersteigt 88 nur mit einem Drittel angerechnet wird, statt 1800 3000 win. 1 1170 regeln das U 1151 1170 regeln das Umlage⸗ und Er v ö g hebungs⸗

§ 1156 besagt: XX“X“ 8 „Uebersteigt der Entgelt während der Beitragszeit im Jahres betrag 1800 ℳ, so wird vom Ueberschuß nur ein Drittel dn rechnet; übersteigt er 3000 ℳ, so wird der Ueberschuß nur 1nge

rechnet, soweit die Satzung der Versicherung sich auf einen höheren

Jahresarbeitsverdienst erstreckt hat.

Abg. Dr. Potthoff (fortschr. Volksp.) befürwortet ei statt 3000 zu setzen 5000 Rℳ. sch p.) befürwortet einen Antrag

Nachdem der Direktor im Reichsamt des Innern Casypar erklärt hat, daß die Regierung gegen diesen Antrag keine dar denken habe, wird er angenommen.

„Der Rest des dritten Buches „Unfallversicherung“ wird mit einigen weiteren mehr redaktionellen Kompromißanträgen E“

ach 6 ½ Uhr wird die weitere Beratung au re 12 hr vertat .“ 8 f Freitg

11“ Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 8 79. Sitzung vom 18. Mai 1911, Mittags 12 Uhr, (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) .

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der estri Nummer d. Bl. berichtet worden. gestrige

Das Haus setzt die zweite Beratung des Ges etzentwurfs betreffend die Feuerbestattung, und zwar zunächst die De⸗ batte über § 1 der Regierungsvorlage fort, der lautet:

„Die Feuerbestattung darf nur in landespolizeilich genehmigten Anlagen erfolgen.“

Von den Abgg. von Goßler (kons.) und Dr. Schrock (freikons.) sind Anträge eingegangen, die, da die Kommission schließlich die ganze Vorlage abgelehnt hat, die Wiederherstellung der Kommissionsbeschlüsse der zweiten Lesung zu den einzelnen Paragraphen vorschlagen.

Abg. von Wenden kskons.): Ich habe keine Veranlassung, auf die Ergebnisse der Kommissionsberatung einzugehen. Die ablehnende Haltung desjenigen Teils meiner Freunde, welcher auf meinem Stand⸗ punkt steht, ergibt sich aus ganz bestimmten Grundanschauungen, die durch keinerlei Abänderungen des Gesetzentwurfs irgendwie

eändert werden können. Tausende und aber Tausende draußen im ande stehen auf unserem Standpunkt. Die Kommissionsberatungen fanden gerade zu der Zeit statt, als in diesem Jahre in deutschen Landen das deutsche Volk sich anschickte, deutsche Ostern zu feiern, als es seinem Auferstehungsglauben in den Liedern unserer Kirche warm empfundenen Ausdruck gab. In diese Stimmun hinein klang der Ruf nach der Leichenverbrennung, der energic mit einem Aufwand von Pathos erhoben wurde. Daß eine so ziel⸗ bewußte und energische Agitation sch ßlich zum Ziele gelangt und daß sie auch mit der Zeit die Anschauungen der Regierung erschüttert, sehen wir auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens⸗ Das ist es, was das Herz des Vaterlandsfreundes bluten läßt und in tiefster Seele erschüttert. Wir sind uns darüber längst einig, daß sich bei dieser ganzen Sache gar nicht um ein kirchliches Dom handelt, das Gefahr läuft, angetastet zu werden, aber um ein ge heiligte christliche Sitte, die hier auf das Empfindlichste angtzuffen werden soll. Wir leben in einem christlichen Staat, und dieser af christlichen Grundlagen aufgebaute Staat sollte es seinen Bürgem nicht geflissentlich erleichtern, sich über die deine. Sitten hinwegzusetzen. Die Königliche Staatsregierung die Aufgabe, an der Erhaltung des christlichen deutschen Volkes mitzuarbeiten. Ernst Moritz Arndt hat einmal ge⸗ sagt: Scheue dich nicht, das zu schonen und zu schirmen, was viele vielleicht als Torheit oder Aberglauben ein⸗ schätzen; es muß das erhalten werden, woran Glaube und Liebe festhalten. Wer sein Volk wahrhaft liebt, wird eben so denken. Das ist der Kern, um den es sich hier handelt. Glaube und Liebe hängt an den Grabstätten unserer Lieben, an den Gottesäckern, an der christlichen Bestattung. Es darf kein Hinter⸗ bliebener gezwungen werden, die irdische Hülle eines Geliebten dem verheerenden Feuer eines Krematoriums übergeben zu sollen. Eine so erzwungene Leichenverbrennung muß die schmerzlichsten Gefühle hervorrufen. Wir stehen auf dem Standpunkte, daß die christ⸗ liche Kirche unter dem starken Schutze des Staates stehen muß, daß aber auch die Kirche eine der starken Stützen des Staates ist.

Abg. D. Hackenberg (nl.): Auf die Abstimmung werden meine Worte allerdings keinen Einfluß haben, es können neue Gründe nicht vorgebracht werden. Die Sache muß ruhig und sachlich behandelt werden. Es gilt immerhin ein zartes Gebiet, das Lebensgewohnheiten und Gefühle berührt. Es ist nicht am Platz, auf Heiterkeit und Lachsalven hinzuwirken, wie es gestern zu meinem Bedauern geschehen ist. Ich habe nur nochmals den Standpunkt meiner Freunde und aller derer, die der Vorlage zustimmen, kurz und bündig darzulegen und die Unterstellungen, die in letzter Zeit gemacht sind,

zurückzuweisen. Es handelt sich schlechterdings nicht um eine“

religiöse Frage, sondern um eine Frage der Billigkeit und des öffent. lichen Interesses, um eine Forderung, die der moderne Staat ich sage ausdrücklich nicht: der christliche Staat er füllen muß, und deren Erfüllung er in seinem Interesse nicht langer aufschieben darf. Gegen diesen Standpunkt erhebt sich ein goßer Teil dieses Hauses; die Einwände dieses Teils sind unberechtigt⸗ Der Minister hat gestern nachgewiesen, weshalb die Regianmn ihre frühere Stellung gegen die Feuerbestattung aufgegeben 9* Vom kriminalistischen Standpunkt ist gerade die gegenwärtige 2 schädlicher, als sie nach dem neuen Gesetz sein wird; das ist gestem ien klar nachgewiesen worden. Uebereinstimmung ist auf allen ecs darüber, daß keine christliche Lehre berührt wird, aber men Ertt. mit diesem allseitigen Zugeständnis doch nicht reoct 8 Herr Müller⸗Koblenz sagte nämlich trotz dieses Zu⸗ eständnisses, daß die Sache doch in einem gewissen 8b ammenhang mit der christlichen Lehre stehe, daß die Fr son

der Feuerbestattung Freidenker, Buddhisten oder was An⸗ für Leute seien. Es ist nicht richtig, daß die b hänger der Feuerbestattung nicht auf christlichem Boden strener Wenn man Aeußerungen von Blättern zu Gunsten der Prrerf bestattung zitiert, die etwas überschwänglich sind, so kann man doh uj denen, die sie zitieren, sagen: ihr versteht den christlichen erstehungsglauben nicht, wenn ihr sagt, daß er von der Vras ie Feuerbestattung abhängig sei. Unwürdig für einen Ehristen ie des Feuerbestattung nicht. 2 soll sich um eine alte, geheiligte Volke⸗ christlichen Volkslebens handeln. Wer sollte den Wert a . sitten, die von den Vätern überkommen sind, unterschätzen, meristliche ihn bestreiten, und wer wollte die alte, ehrwürdige Männer Begräbnisstätte stören? Niemand will das! Es treten do h Moieser

für die Zulassung der Feuerbestattung ein, die selbst Unzählige

alten christlichen Sitte für ihre Person gern festhalten. fromme Leute wollen aber einen anderen Weg bescherue wieder zu Leib auf anderem Wege dem großen Haushalt der Natur Eese a⸗

führen. Ist es tolerant, diesen Weg zu erschweren? Gächen Staats

alle anderen Staaten rings herum an! Ist es des preu

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das zu tun? Wir freuen uns, daß die Regierung nicht allein

würdig, waltungsweg beschritten, sondern die Volksvertretung mit⸗

den Ver 2 eine ise 5 i

den Vern at, um diese Frage in einer Weise zu lösen, die au Neancezogen fülche Sitte schützt; die Regierung 1- damit uch die derungen der modernen Zeit erkannt. Die alte Begräbnissitte Fond geschützt, aber es wird auch Freiheit gewährt für die andere Art, wiree mer christlichen Sitte und Lehre widerspricht.

Bei der von den Abgg. Dr. Friedberg (nl.) und Dr. zachnicke (fortschr. Volksp.) beantragten namentlichen Abstim⸗ P. ird § 1 mit 176 gegen 158 Stimmen angenomm en;

wird § 1 mit munge tglied enthält sich der Abstimmung. Für den § 1 stimmen

eschlossen die gesamte Linke und die Freikonservativen (letztere mit Ausnahme des Abg. Dr. von Woyna, der sich der Stimme enthält), der Däne Kloppenborg⸗Skrumsager und von den Kon⸗ servativen die Abgg. Bauer, Bethge, Boehmer, von Bredow⸗Görne, Dr. von Brüning, Dr. Busse, Graf Clairon d'Haussonville, dr. Dionysius, von Ditfurth, Eberhard, von Eisenhart⸗Rothe, Fuzlaff von Goßler, Hammer, Hofer, Hogrefe, Karow, Dr. von Korn⸗Rudelsdorf, Dr. von Kries, Dr. Krüger⸗Marienburg, duntze, Prinz zu Löwenstein⸗Wertheim⸗Freudenberg, Freiherr umn Maltzahn, von Prittwitz und Gaffron, Quehl, Reinecke⸗

ußwitz, Reiner⸗Ruhden, Freiherr von Schoenaich, Schulze⸗

hellum, Siebert, von Stockhausen, von Tilly, von Waldow, geissermel, von Wentzel, von Wilckens.

Zu § 2 beantragen die Abgg. von Goßler kkons.) und Dr. (freikons.) die von der Kommission in zweiter gesung beschlossene Fassung:

„Die Genehmigung darf nur Gemeinden und Gemeinde⸗ verbänden oder solchen anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes, denen die Sorge für die Beschaffung der öffentlichen Begräbnisplätze obliegt, erteilt werden, sofern die nach den be⸗ sehenden Staats⸗ oder Kirchengesetzen erforderliche Zustimmung der für die Körperschaft zuständigen Aufsichtsbehörde vorliegt.“ (Die Regieungsvorlage enthielt die Bestimmung: „Die Genehmigung wird erteilt usw.“*)

Ag. von Goßler empfiehlt seinen Antrag kurz zur Annahme.

Minister des Innern von Dallwitz:

Meine Herren! Ich möchte nur ganz kurz erklären, daß gegen iie Kommissionsbeschlüsse seitens der Staatsregierung Bedenken nicht geltend zu machen sind.

Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Wir haben in der Kom⸗ mission diesem Kompromiß zugestimmt, werden also auch hier dafür stimmen.

Abg. Dr. Lohmann (nl.): Ich kann für meine Freunde dasselbe

erklären. Abg. Hoffmann (Soz.): Wir sind nicht in der Lage, für die Verschlechterung zu stimmen.

§2 wird nach dem Antrage von Goßler angenommen, tüenso werden bei den übrigen Paragraphen entsprechend den Aurägen von Goßler die Kommissionsbeschlüsse wiederhergestellt. die zur Vorlage eingegangenen Petitionen werden für er⸗ ldigt erklärt.

Es folgt die Beratung der Denkschrift für 1910 über die Ausführung der Ansiedlungsgesetze für Lestoreußen und Posen.

die Budgetkommission (Berichterstatter Abg. von Arnin⸗Züsedom) beantragt, die Denkschrift durch Kenntnis⸗ nahme für erledigt zu erklären.

Mnister für Landwirtschaft ꝛc. Dr. Freiherr von Scorlemer:

Meine Herren! Wenn die Ausführungen, welche ich bei Vorlage

dr Denkschrift über die Tätigkeit der Ansiedlungskommission im

Phre 1910 in der Budgetkommission dieses hohen Hauses gemacht üce, nicht in allen Punkten und auf allen Seiten Zustimmung ge⸗ inden haben, so muß ich doch dankbar anerkennen, daß die an die Lorlage der Denkschrift und meine Ausführungen sich anknüpfende Grörterung eine ebenso eingehende wie ruhige und sachliche gewesen ist. Ih nehme selbstverständlich am wenigsten für das, was ich gesagt labe, Unfehlbarkeit in Anspruch; aber auf der anderen Seite glaube ch dech zu der Bitte berechtigt zu sein, daß in einer so wichtigen und des Staatsinteresse lebhaft berührenden Frage auf Phrasen und Schlagwörter nach Möglichkeit verzichtet wird. Wenn irgendwo, so dit es im öffentlichen Leben und in der Politik not, sich auf realen boden zu stellen und nur das zu erstreben, was unter Berück⸗ schigung der tatsächlichen Verhältnisse und aller in Betracht vommenden Faktoren möglich und erreichbar erscheint. Die Stärke einer Regierung beruht nicht überall in dem rücksichtslosen Draufgehen, sondern in dem Festhalten der als richtig erkannten Ziele und in der ichtigen Auswahl der für die Erreichung dieser Ziele geeigneten Mittel.

Was ich hier sage, das hat vor einigen Tagen und wohl mit nitreffenderen Worten auf dem deutschen Handelstage der Herr Reichskanzler ausgesprochen, wenn er ausführte: „nüchternes Kalkulieren, Rechnen mit realen Größen, frei von allem Phrasentum und doch noße Ziele im Auge nur so kann der deutsche Kaufmann seinen Platz in der Welt erobern und behaupten. Kann unser Staatsleben unter anderer Flagge segeln?“ Ich glaube, das hier gestellte Erfordernis rind auch bei der Beurteilung der Polen⸗ und Ansiedlungspolitik nicht außer acht zu lassen sein. Schon in der Budgetkommission durfte ich ausführen, daß es mir überflüssig erschien, noch einmal ein⸗ gäend auf die Gründe einzugehen, welche die Stellungnahme der eimtsregierung in den Ostmarken seit Jahrzehnten bestimmt

ben. Solange der polnische Volksteil nicht darauf verzichtet,

1 uch Absonderung von seinen deutschen Nachbarn einen Staat im

etate zu bilden und Bestrebungen und Forderungen zu vertreten, Erfüllung unmöglich und für das Wohl und die Sicherheit des müsschen Staates gefahrdrohend ist, solange in den vorzugsweise (Letracht kommenden Provinzen Posen und Westpreußen die chtung nicht ausgeschlossen erscheint, daß der Rück⸗ der deutschen Bevölkerung und des deutschen Besitzes fener anhalten und nicht imstande sein wird, auch unter gen Zeitverhältnissen gegenüber dem Vordringen nichtdeutscher läat vom Osten nach dem Westen einen festen und unerschütter⸗ neem zu bilden, so lange kann meines Erachtens von einer michen Aenderung der Stellung der Staatsregierung gegenüber

sen keine Rede sein. (Bravo! rechts.) n8. dem Bestreben, dem Deutschtum in den Ostmarken die ihm ummende Stellung zu erhalten, hat die Königliche Staatsregierung dnen durch das Gesetz vom 26. April 1886 gezeichneten Wege 8† die Ansiedlung deutscher Bevölkerung betrieben, wie auch in Jahren die Befestigung des alten deutschen Groß⸗ und bes zu fördern gesucht. Sie mußte sich aber von Anfang

a darüber klar sein, daß die Foͤrderung und Erbaltung

des deutschen Besitzes nur eine der Maßregeln darstellt, mit denen

dem polnischen Volksteil entgegen getreten werden muß. Wer glaubt, daß allein auf dem Wege der Ansiedlung in dem Kampfe um den Boden die polnische Frage gelöst und Ruhe und Frieden wieder in die Ostmark gebracht werden könnte, der befindet sich meines Er⸗ achtens in einem großen Irrtum; er vergißt, zu erwägen, daß die Vermehrung und Erhaltung des deutschen Besitzes sich doch vornehm⸗ lich nahezu ausschließlich nur auf dem Lande bemerkbar macht. Der auch heute noch festgestellten Zunahme der polnischen Bevölkerung der Städte, dem so vielfach beklagten Rückgang deutschen Handels und Gewerbes in der Ostmark, dem Vordringen der Polen in die benachbarten Provinzen und auch in dem Westen der Monarchie wird auf dem Wege weiterer Ansiedlungstätigkeit sicher ein Damm nicht entgegengesetzt werden können. Deshalb war ich auch berechtigt, in der Budgetkommission zu sagen, daß ich nicht den Anspruch erheben könnte, die Frage der Zu⸗ stimmung zur Ansiedlungspolitik der Staatsregierung zum Wert⸗ messer nationaler Gesinnung zu machen, daß auch wir mit der Tat⸗ sache zu rechnen haben, daß auch in den Kreisen, welche grundsätzlich mit der Staatsregierung in den Bestrebungen zur Stärkung des Deutschtums und zur Abwehr der Polen übereinstimmen, die An⸗ sichten über die Wirkung der Ansiedlungspolitik vielfach geteilt sind. Aber auch hier möchte ich hervorheben, daß jeder, der unbefangen und auf Grund eigener und örtlicher Kenntnis der Verhältnisse die Zu⸗ stände in den Provinzen Posen und Westpreußen, wie sie gegenwärtig sind, mit denjenigen vor Beginn der Besiedlungstätigkeit vergleicht, sich der Anerkennung nicht verschließen kann, daß mit der Ansiedlung ein hervorragendes Werk geschaffen ist, daß auf diesem Wege Wohl⸗ stand und Kultur in weite Gegenden getragen sind, und daß sie Seg⸗ nungen gebracht hat, die allen Bewohnern und vielleicht nicht zuletzt auch den Polen zugute gekommen sind. Wenn man dem gegenüberhält, daß es in dem harten und heißen Kampf um den Boden, der nunmehr über 25 Jahre dauert, in der Zeit vom Jahre 1896 bis zum Jahre 1910 den Polen gelungen ist, im Landerwerb gegenüber den Deutschen einen Vorsprung von 92 000 ha zu erzielen, dann darf man nicht vergessen, auch die Frage zu stellen, was aus der Ostmark unter den ob⸗ waltendenden Verhältnissen geworden wäre, wenn ihr die Hilfe der Staatsregierung und die von Staatswegen betriebene Besiedlung nicht zuteil geworden wäre. (Sehr richtig!)

Ich glaube, meine Herren, daß man zu der Annahme berechtigt ist, daß es den Polen im Laufe weiterer Jahre nicht gelingen wird, in gleicher Weise den Landerwerb gegenüber den Deutschen mit Er⸗ folg fortzusetzen. Dafür spricht einmal die zweifellos zutreffende Tat⸗ sache, daß im Laufe der vergangenen Jahre allmählich der größere Teil desjenigen deutschen Besitzes veräußert worden ist, der wegen drückender Schuldenlast vom Eigentümer nicht gehalten werden konnte; dafür spricht aber auch der große Fortschritt, der in der Be⸗ festigung des alten deutschen Besitzes gemacht worden ist. Ich glaube, wir werden uns gegenüber den in letzter Zeit so vielfach besprochenen Zahlen auch vergegenwärtigen müssen, daß schon am Schlusse des Jahres 1910 von dem deutschen Gesamtgrund⸗ besitz in der Provinz Posen, der 1 618 680 ha umfaßt, rund 875 000 ha dauernd dem Deutschtum gesichert waren. In Westpreußen beträgt der gesamte deutsche Grundbesitz 1 839 441 ha, und auch von diesem Besitz sind über 872 000 ha als Eigentum des Staats und deutscher Korporationen, als Ansiedlungsgrundbesitz, durch fidei⸗ kommissarische Bindung und durch Befestigung seitens der Deutschen Bauernbank dauernd dem Deutschtum erhalten. In Westpreußen beträgt der ganze polnische Grundbesitz nur 581 375 ha, in Posen 1 124 024 ha, wird also auch hier durch den deutschen Grundbesitz noch heute um nahezu 500 000 ha übertroffen.

Meine Herren, ich führe diese Zahlen an, um damit einer vielfach in der Presse und auch sonst hervortretenden pessimistischen Auffassung entgegenzutreten, um auf der anderen Seite auch damit den Beweis zu liefern, daß es zur Unmöglichkeit gehört, wie noch vor einigen Tagen und meines Erachtens mit Unrecht in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ als Programm des Ostmarkenvereins proklamiert wurde, die letzte Scholle polnischen Bodens in deutschen Besitz zu bringen. (Hört, hört! bei den Polen.)

Meine Herren, dahin können die Wege der Staatsregierung schon aus finanziellen Gründen niemals führen! Wenn selbst Amerika den Indianern, trotzdem sie noch immer gelegentlich Weiße skalpiert haben, ihre Reservationen belassen hat, dann werden wir auch als Deutsche und Preußen den letzten Polen nicht aus dem Lande treiben können. Wer so etwas fordert, der verdient wirklich den Namen eines politischen Kurpfuschers; er betritt den Boden der Phrase und er könnte mit gleichem Recht und vielleicht noch mit besserem Erfolge gegen die Polen die Wiederholung des bethlehemztischen Kindermords in Vorschlag bringen. (Widerspruch und Zustimmung.)

Meine Herren, gegenüber solchen Uebertreibungen, gegenüber solchen Utopien ist es wirklich notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Staatsregierung durch ihre Ansiedlungspolitik nicht den Zweck ver⸗ folgt und auch nicht verfolgen kann, den gesamten polnischen Grund⸗ besitz in deutsche Hand zu überführen, daß auch die Ansiedlungspolitik vernünftigerweise sich darauf beschränken muß, durch Erhaltung und Vermehrung des deutschen Grundbesitzes dem Deutschtum in den Ostmarkenprovinzen auf dem Lande das erforderliche Uebergewicht und eine ausschlaggebende Bedeutung zu sichern. Ich glaube, aus diesem Gesichtswinkel wird man auch die Frage der Enteignung betrachten müssen. Daß sie keine andere Aufgabe als die eben bezeichnete haben sollte auch nach dem ursprünglichen Vorschlage der Staatsregie, rung —, gebt klar aus den bei Beratung des Gesetzes vom 20. März 1908 geführten Verhandlungen und auch aus dem Wortlaut des § 13 dieses Gesetzes hervor. Nicht minder deutlich ist in dem Gesetze zum Ausdruck gebracht, daß die Staatsregierung die Enteignung nicht be⸗ liebig, sondern nur nötigenfalls und nur dann zur Anwendung bringen kann, wenn die Sicherung des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Abrundung und Stärkung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlungen möglich erscheint. Ich habe in der Budgetkommission diese gesetzlich festgelegten Voraussetzungen und Beschränkungen kurz als ultima ratio bezeichnet und ich muß auch heute noch an der Be⸗ hauptung festhalten, daß dies die kürzeste und zutreffendste Uebersetzung des deutschen Wortlauts der Gesetzesbestimmungen ist.

Nun hat man sich in der Presse meinen Ausführungen gegenüber vor allem auf den früheren Reichskanzler Fürsten von Bülow be⸗ rufen und die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“ hatte es sogar für erforderlich gehalten, den Fürsten selbst über seine Haltung in der Ostmarkenfrage zu befragen. Bülow

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erteilt hat, hätte auch bei einer Befragung des Delphischen Orakels nicht besser ausfallen können. (Sehr richtig! Große Heiterkeit.)

Da aber auch der Fürst Bülow sich darauf berufen hat, daß seine Haltung in der Ostmarkenfrage aus seinen Reden und aus seiner gesamten politischen Tätigkeit zweifellos hervorgehe, so ist es wohl erlaubt, auch hier darauf hinzuweisen, daß er im Herrenhause bei Beratung des Enteignungsgesetzes die Worte gesprochen hat:

Entweder Sie gewähren uns die Möglichkeit der Anwendung der Enteignung ich sage ausdrücklich: die Möglichkeit der An⸗ wendung der Enteignung; ich teile die ausgesprochene Hoffnung, daß im Falle der Annahme des Antrages Adickes die Enteignung so selten wie möglich zur Anwendung gelangen wird

Diesen Worten hat der derzeitige Reichskanzler auch dadurch weitere Folge gegeben, daß während seiner Amtstätigkeit die Enteignung nicht zur Anwendung gekommen ist. Wie man daraus für die gegenwärtige Staatsregierung ein Abweichen von dem bewährten Kurse des Fürsten Bülow konstruieren kann, ist mir unerfindlich.

Wenn ungeachtet der Tatsachen, welche zum Erlaß des Enteignungs⸗ gesetzes geführt haben, wenn ungeachtet des Umstandes, daß die Not⸗ wendigkeit der Enteignung bei Beratung des Gesetzes als besonders dringlich hingestellt wurde, noch anderthalb Jahre ins Land gegangen sind, und der damalige Leiter der Staatsregierung die Enteignung nicht zur Anwendung gebracht hat, dann darf, glaube ich, auch die gegenwärtige Staatsregierung wenigstens den Anspruch erheben, daß die für ihre Stellungnahme maßgebenden und ausgesprochenen Gründe einer sachlichen Beurteilung unterzogen werden.

Meine Herren, ich habe mit Zustimmung des Staatsministeriums im Herrenhause die Erklärung abgegeben und in der Budgetkommission dieses Hauses wiederholt, daß die Königliche Staatsregierung nicht gesonnen ist, die mit dem Gesetz vom 26. April 1886 betretenen Bahnen der Ansiedlungspolitik zu verlassen, und daß sie deshalb auch nicht darauf verzichten wird, von der ihr durch § 13 des Gesetzes vom 20. März 1908 gegebenen Befugnis zur Enteignung Gebrauch zu machen, sobald die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen der Ent⸗ eignung als vorliegend zu erachten sind.

Ein Mitglied der freikonservativen Fraktion hat in einem sehr beachtenswerten Artikel vor einigen Tagen darauf hingewiesen, daß die Anwendung des § 13 des Gesetzes vom 20. März 1908 nicht mit einem bloßen Landmangel der Ansiedlungskommission begründet werden kann, daß es notwendig ist, in jedem einzelnen Falle die Vor⸗ aussetzungen der genannten Gesetzesbestimmung zu prüfen und daß nur da enteignet werden kann, wo bereits deutsche Niederlassungen bestehen, wo das Deutschtum in ihnen gefährdet ist und wo eine Sicherung desselben nicht anders als durch Stärkung und Abrundung mittels Ansiedlung möglich erscheint. 8

Der Wortlaut des Gesetzes und die ihm zweifellos gegebene richtige Auslegung lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß in der Enteignungsbefugnis nicht das scharfe Schwert erblickt werden kann, mit dem in einem Schlage die Fraͤge der Fortsetzung der An⸗ siedlungspolitik für ewige Zeiten gelöst werden kann. 1

Die Enteignung kann nur für einen bestimmten Bezirk in Frage kommen. Sie kann dort allerdings, wie ich gern zugebe, zur Abrundung und Erweiterung deutscher Besitzungen nützlich bei⸗ tragen. Aber bei dem beschränkten Umfange, der der Enteignungs⸗ befugnis gegeben ist, glaube ich, ist es sicher gerechtfertigt, nicht von der Hand in den Mund weiter zu leben, sondern sich recht⸗ zeitig und klar die Frage zu beantworten, wie unter den obwaltenden Verhältnissen die notwendige Fortsetzung der Ansiedlungstätigkeit zu ermöglichen ist. Die Staatsregierung wird, wie ich bereis in der Budgetkommission ausgesprochen habe, sich bei Prüfung der Voraus⸗ setzungen der Enteignung lediglich durch sachliche Erwägungen leiten lassen. Aber zu den hiernach in Betracht kommenden G sichtspunkten gehört meines Erachtens nicht allein die Frage, ob die Enteignung der einzelnen Ansiedlung oder dem einzelnen Bezirke Nutzen bringt, sondern es wird auch die Frage zu prüfen und zu beantmworten sein, welche 8 Wirkung die Enteignung auf die gesamte weitere Anftetlungetärigkeit ausüben kann. *

Wenn gegenmwärtüg die Preise in dem ArfusdeungApenvinzen eine siedlung eine amgemeffem Schrdnmltung des Ssttunters nusgestlyssen erscheint, wemm keimm Iumtfell drricher Hefterht, duaß die im serien Güterverkehr geßrülen Prelse ch ee ee Ercschärigung im Frlle der Entetgmumng Fugrumde gülngt erden n el eir scher unmßh noch eime bedenmmde Erchlchumg rfün erfränen morder. daßs der treffende Besitzer unfretniälng Hʒmns nd Hof derürssen mus 3 richtig! rechts) und mam am schläeslüch auch bedenkt daß die für tie Enteignung gezahltem Gelder dielleicht zu einem großen Teile neue Mittel für die Polen zum Erwerde deutschen Landes bedeuten, danm kann man es der Staatsregierung wohl nicht verdenken, wenn sie in der Anwendung der Enteignung bisher zurückgehalten und sich mehr als früher der Befestigung des vorhandenen deutschen Befitzes zu

nach gesetzlicher Bestimmung nicht enteignet werden können, st

es jedenfalls richtiger und näher liegend, zunächst den deutschen

Besitz nach Möglichkeit vor weiterem Ankauf durch die Polen iu

schützen und den polnischen Befsitz, der schliesluch dech ams

nicht davonlaufen kann, erst im weiteren Laus des Verfahmens in r. spruch zu nehmen.

Zu einem solchen Verfahren muaß auch dae Brrrede nötigen, daß leider vielfach bei den deutschen Besttherm imn der Percing Posen nicht die Heimatliebe und das Hrimatgefühl dordanden . welches den Polen besonders auszeichnet, und daß die dohen Eüter⸗ preise dauernd den Anreiz dafür bilden, den vielleicht in mancher Be⸗ ziehung nicht so erfreulichen Besitz in der Ostmark abzustoßen und in Gegenden mit besseren Lebens⸗ und Daseinsbedingungen neuen Besitz zu erwerben.

Auch in der Budgetkommission hatte ich bereits darauf hin⸗ gewiesen, daß der hohe Stand der Güterpreise die Verminderung der Ankäufe der Ansiedlungskommission herbeigeführt habe. Wie man von einem guten Kaufmann nicht verlangen kann, daß er zu Zeiten hoher Preise Vorräte aufspeichert, die er nur mit großem Verlust demnächst verarbeiten und wiederverkaufen kann, so kann man es auch der Ansiedlungskommission gewiß nicht verdenken, daß sie in Rücksicht auf ihre Einnahmequellen und auf die Staats⸗ finanzen sich in letzter Zeit auf notwendige und verhältnismäßig gün⸗ stige Ankäufe beschränkt hat. Wenn beim Anhalten der jetzigen Preise vielleicht im Laufe der nächsten Jahre gegenüber den Vorj

gewandt hat. 8 Von der Tatsache ausgehend, daß mehr als 70 000