1911 / 120 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 22. Mai.

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Seine Majestät der Kaiser und König hat,„W. T. B. zufolge, dem Präsidenten Fallières anläßlich des jähen Todes des Kriegsministers Berteaux ein herzliches Beileidtelegramm S. und gleichzeitig die besten Wünsche für die Wiederher⸗ stellung des Ministerpräsidenten Monis übermittelt. Der Reichskanzler und der stellvertretende Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Unterstaatssekretär Zimmermann haben gestern bei dem französischen Botschafter vorgesprochen, um ihm ihr Beileid anläßlich des Unglücksfalls, der den Ministerpräsidenten Monis und den Kriegsminister Berteaux betroffen hat, aus⸗ usprechen. Der Reichskanzler hat ferner den deutschen Bot⸗ schafter in Paris beauftragt, der französischen Regierung die Teilnahme der Kaiserlichen Regierung an dem erschütternden Unglücksfall auszusprechen.

5 L11“

Der Vorsitzende der Reichsschulkommission, heime Oberregierungsrat Präsident Dr. Kelch ist aus Bayern von der Dienstreise zurückgekehrt.

In der Zweiten Beilage zur heutigen Nummer des Reichs⸗ und Staatsanzeigers werden im Kaiserlichen Statistischen Amt zusammengestellte Nachrichten über den Saatenstand im Deutschen Reich um die Mitte des Monats Mai 1911 veröffentlicht

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.““ 9 v1“ Bayern. 1““ 1““ Seine Königliche Hoheit der Prinz⸗Regent hat, TII1I1 dhf die bayerische Gesandtschaft in Paris beauftragt, der französischen Regierung seine wärmste Anteil⸗ nahme an dem schweren Unglück zu übermitteln, das sie und die französische Armee betroffen hat.

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Großbritannien und Irland. 8

Der Kaiser Wilhelm und die Kaiserin Auguste Viktoria sind, „W. T. B.“ zufolge, vorgestern nachmittag mit der Prinzessin Viktoria Luise nach herzlicher Ver⸗ abschiedung vom König und der Königin, die ihre hohen Gäste zum Bahnhof geleitet hatten, nach Port Victoria abge⸗ fahren und haben von dort mit der Jacht „Hohenzollern“ gestern früh die Rückreise angetreten.

Frankreich.

In der vorgestrigen Sitzung des Ministerrats verlas der Kriegsminister Berteaux eine Depesche des Generals Toutée über das Gefecht bei El Aluana vom 15. d. M., in der, „W. T. B.“ zufolge, mitgeteilt wird, daß die Verluste in diesem Gefecht größer gewesen seien als ursprünglich ge⸗ meldet sei. Außer einem Hauptmann seien 27 Mann gefallen und ein Leutnant und sechs Mann verwundet worden.

In der gestern vormittag abgehaltenen Beratung haben die Minister keine Ernennung eines interimistischen Ministers des Innern ins Auge gefaßt, da der Unterstaatssekretär Constant die Fähigkeit besitze, die laufenden Geschäfte zu erledigen. Schwierigkeiten würden sich nur ergeben, wenn der Zustand Monis sich verschlimmern sollte. Mit der vorläufigen Führung der Geschäfte des Kriegsministers wurde der Minister des Aeußern Cruppi betraut. Ausschlaggebend war hierfür die Rücksicht auf die marokkanischen Angelegenheiten. Da die Organisation der Hilfskolonne von Berteaux und Cruppi in gegenseitigem Einvernehmen vorbereitet worden war, waren der Präsident Falliéres und die Minister der Ansicht, daß Cruppi dazu bestimmt wäre, die Verantwortung für die der Kolonne zu erteilenden Instruktionen zu übernehmen.

Der ehemalige E1152 Albert Sarraut ist zum Generalgouverneur von Indo⸗China ernannt worden.

Rußland.

Vorgestern vormittag fand vor dem Großen Palais in Zarskoje Sselo in Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin, des Kronprinzen Wilhelm und der Kronprinzessin Cecilie eine arade der Truppen der Garnison von Zarskoje Sselo und Pawlowsk und daran anschließend im Alexanderpalais ein Familienfrühstück statt. Abends reisten der Kronprinz und die Kronprinzessin, vom Kaiser, der Kaiserin und den Großfürstinnen Olga und Tatjana Nikolajewna zum Bahnhof geleitet, nach herzlicher Verabschiedung nach Kalisch ab, wo der Kronprinz die Parade über das 14. Kleinrussische Dragonerregiment, das seinen Namen trägt, abnehmen wird.

Zur Begrüßung des Kronprinzen und der Kronprinzessin, die gestern abend in Kalisch eintrafen, waren auf dem Bahnhof der Generalgouverneur von Warschau und der Gouverneur von Kalisch erschienen. Das kleinrussische Dragonerregiment des Kronprinzen hatte die Ehrenwache gestellt, das ganze Regiment war neben dem Bahnhof aufgestellt. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, spielte die Musik die deutsche National⸗ hymne. Der Kronprinz begrüßte in russischer. Sprache die Mannschaften des Regiments, das im an ihm vorbeizog. Um 10 Uhr verließ der Zug den Bahnhof.

In der vorgestrigen Sitzung der Reichsduma wurde über eine Vorlage beraten, durch die dem Ministerrat die Er⸗ mächtigung gegeben werden soll, einzelnen Gesuchen um Erlaubnis zur Einfuhr von Gußeisen für die Bedürfnisse der metallurgischen Industrie zu einem ermäßigten Zoll⸗ satz bis zum 14. Juli 1912 Falge zu geben. Für die Vor⸗ lage sprachen, „W. T. B.“ zufolge, der Handelsminister und einige Oktobristen, dagegen der Kadett Kuttler, der eine Formel beantragte, die die dringende Notwendigkeit betont, den Guß⸗ eisenzoll von 45 auf 20 Kopeken für das Pud zu ermäßigen. Diese Formel wurde abgelehnt und die Vorlage als dringlich angenommen. In geheimer Sitzung heendete die Duma die allgemeine Besprechung der Gesetzvorlage über die Kredite zum Bau von vier Linienschiffen für die balki sche Flotte.

Die Kommission der Duma hat dem Plenum den Gesetzentwurf, betreffend die Ansiedlung von Nichtrussen im Südwestgebiet, unterbreitet. In dem Entwurf wird es, obiger Quelle zufolge, als notwendig bezeichnet, die Be⸗ siedelung durch Nichtrussen zu verhindern. Ausgenommen sind Tschechen, Galizier und die eingeborene Bevölkerung Polens.

Im Gegensatz zu der Regierungsvorlage verlangt der Entwurf

nicht die Zugehörigkeit zur russischen Kirche und beschränkt auch

nicht das Erbrecht der bereits ansässigen Bevölkerung. 8 Spanien.

Der Minister des Aeußern Garzia Prieto gab vor⸗ gestern auf eine Marokko betreffende Anfrage Sorianos in der Deputiertenkammer, „W. T. B.“ zufolge, nachstehende Erklärung ab:

Alkassar gehöre zur spanischen Einflußzone, da es nicht weit von Larrasch liege, wo Spanien die Polizei auszuüben habe. Die spanischen Truppen würden dort einzuschreiten haben, wenn die Ruhe gestört werden sollte. Die von spanischen Truppen besetzten Stellungen würden geräumt werden, sobald alle Bestimmungen des spanisch⸗ marokkanischen Vertrags vom 16. November 1910 erfüllt sein würden.

Türkei.

Die jungtürkische Kammerpartei hat mit 83 gegen 24 Stimmen den besonders von den Dissidenten unterstützten Antrag abgelehnt, die Parlamentssession über den 27. Mai hinaus zu verlängern, und den Wunsch ausgesprochen, daß das Parlament am 14. Oktober wieder zusammentrete.

Die aufständischen Malissoren haben, „W. T. B.“ zufolge, Torghut Schefket Pascha mitgeteilt, daß sie zu Unterhandlungen bereit seien, falls Ferebn die Bedingungen mildere, den Frauen und dem Eigentum Schutz zugestehe und von den angedrohten Verwüstungen b

Nach einer Meldung des „Wiener K. K. Telegr. Korrespondenzbureaus“ ist in Monastir ein französischer Ingenieur von einem Albanesen, der angeblich auf einen türkischen Offizier zielte, versehentlich erschossen worden. Bei der Verfolgung des Albanesen wurden aus vielen Häusern Schüsse abgegeben. In Monastir herrscht große Aufregung.

. Serbien. Im Hinblick auf das Unglück auf dem Flugfelde Issy⸗les⸗ Moulineaux hat der König, wie „W. T. B.“ meldet, seine Reise nach Frankreich verschoben.

8 8 Schweden. 1““

Die Verfassungskommission hat sich in ihrem vor⸗ gestern erstatteten Bericht über die Frage, ob der frühere Marineminister Ehrensvaerd wegen Ueberschreitung des Marinebudgets um eine Million Kronen zur Verantwortung gezogen werden solle, laut Meldung des „W. T. B.“ entgegen dem Votum sieben liberaler Mitglieder dahin ausgesprochen,

daß kein Grund zu einem solchen Schritt vorliege. men⸗

TIRnmmr NnnsUAngw.— e —-Amerika.

8 Wie die „Associated Preß“ meldet, haben diesmexikanischen Regierungstruppen nach viertägigem Kampfe Cuautla ge⸗ räumt und Manzanillo ohne Kampf übergeben. Eine vom „W. T. B.“ verbreitete Depesche aus Juarez meldet, daß Madero auf dem Schlachtfelde von dem Heere Abschied genommen und dabei erklärt habe, er gehe nach der Stadt Mexiko, um die Verwaltung zu modernisieren und ein neues Mexiko aufzubauen. Die aufrührerischen Mexikaner im Norden zerstreuen sich, in Juarez bleiben fünfhundert zurüÜckk.

Der Vertrag über die Anleihe für die Hukuang⸗ bahn, die sich auf sechs Millionen Pfund Sterling beläuft, ist vorgestern unterzeichnet worden. Wie das „Reutersche Bureau“ meldet, sieht die Anleihe eine fünfprozentige Ver⸗ zinsung und Rückzahlung in vierzig Jahren, beginnend mit dem elften Jahr, vor. Die Garantie bilden die Einkünfte der Pro⸗ vinzen Hupeh und Hunan. Der Vertrag enthält Bestimmungen über eine weitere Anleihe von vier Millionen Pfund Sterling unter denselben Garantien. Innerhalb dreier Jahre soll der Bau der Linien vollendet sein. Zur Ueberwachung der Aus⸗ gaben wird die internationale Bankengruppe für die einzelnen Linien je einen Revisor ernennen.

Infolge der Anordnung, daß die Gouverneure von

Kirin und Zizikar in Zukunft ihre Berichte nach Peking durch den Generalgouverneur einreichen sollen, haben beide Gouverneure ihren Abschied erbeten, der, „W. T. B.“ zu⸗ folge, aber zunächst nicht erteilt st.

Von der „Agence Havas“ verbreiteten Meldungen aus Alkassar vom 19. Mai zufolge ist die Kolonne Brulard mit dem Konsul Boisset an den Ufern des Sebu nahe der Ein⸗ mündung des Uergha in Verbindung getreten. Das Gros der Kolonne lagerte bei Sidi Gueddar. Der Marsch wurde ohne Zwischenfall fortgesetzt. Mehrere Abteilungen von Scherarda und Beni Hassen, die vor Fes standen, sind auf die Nachricht von der Ankunft der Franzosen in ihre Heimat zurückgekehrt. Ein Angriff auf Fes hat seit dem 11. Mai nicht mehr statt⸗ gefunden.

Unter den am 15. Mai in dem Kampf bei Aluana Gefallenen, die alle dem ersten Regiment der Fremden⸗ legion angehören, befinden sich acht aus Deutschland stammende Soldaten, von denen zwei Elsaß⸗Lothringer sind. Von den Verwundeten stammen gleichfalls drei aus Deutschland.

Der Generalgouverneur in Ceuta hat einer Notabelnversammlung der umliegenden Duars, die er hatte einberufen lassen, „W. T. B.“ zufolge, erklärt, daß Spanien keine militärischen Operationen unternehmen, sich viel⸗ mehr darauf beschränken werde, die Stellungen, die es kraft des mit dem Machsen unterzeichneten Vertrags inne habe, besetzt zu halten.

Parlamentarische Nachrichten. 1

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

Der Reichstag setzte in seiner heutigen (181.) Sitzung, der der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück beiwohnte, die zweite Lesung des Entwurfs einer Reichsversicherungs⸗ ordnung auf Grund der Berichte der XVI. Kommission mit dem sechsten Buch „Verfahren“, §§ 1528—1754, fort. (Re⸗ ferrent ist der Abg. Dr. Dröscher (d. kons.)

In § 1546 wird bei der Feststellung der Leistungen der Unfallversicherung vorgeschrieben, daß bei der Untersuchung des Unfalls der Verletzte oder seine Hinterbliebenen erwachsene An⸗ gehörige oder andere geeignete Personen, die das Verhandeln

vor Behörden nicht geschäftsmäßig betreiben, als Beistand zu den Verhandlungen zuziehen. 111“

Abg. Busold (Soz.) befürwortete die Streichung der Won „die das Verhandeln vor Behörden nicht geschäftsmäßig b. etrelborte Es sei doch gerade erwünscht, vielfach notwendig, daß die 8a fahrenen und routinierten Arbeitersekretäre diese Vertretung ü zerneh 8 und diesen Beistand leisten könnten. Auch der Staatssekretär feldn habe noch vor kurzem die Tatigkeit dieser Arbeitersekretäre geruh Hechst wunderbar sei, doß auch das Zentrum, daß doch selbst in been

eihen 5 Arbeitersekretäre zähle, diese Beschräͤnkung in die Vorlan hineingeschrieben habe. Einen Vorteil davon hätten nur die Bernde genossenschaften, aber nicht die Verletzten. ufs.

Abg. Dr. Mugdan (fortschr. Volksp.): Gegen die Beruft genossenschaften läßt sich bei dieser Gelegenheit kein Vorwurf erheben denn sie haben um die Beseitigung dieser Bestimmung petitionien Zweifellos wird das Verfahren nach dem neuen Gesetz so kompliniat werden, daß sich die Beteiligten nur sehr schwer in dessen Uat schriften zurecht finden werden, und es wäre durchaus richtig, 888 die Arbeitersekretäre das Recht erhielten, das ihnen die Vorlan gewähren wollte. d Der Antrag Albrecht auf Streichung der erwähr Worte wurde abgelehnt. väts Nach § 1547 sollen auf Antrag der Versicherungsträger oder des Berechtigten Sachverständige zugezogen werden; de Kosten trägt der Antragsteller. Abg. Brühne (Soz.): Diese Bestimmung ist sehr bedenklich un für die Arbeiter durchaus schädlich; die Arbeiter müssen dann auf Zuziehung von Sachverständigen verzichten. Wir beantragen ste „Antragsteller“ zu setzen „Versicherungsträger“. Der Antrag wurde abgelehnt. § 1555 (weitere Ermittlung) wurde auf Antrap Dröscher eingefügt: „um eidliche Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständiga darf der Versicherungsträger nur ersuchen, wenn er die Vereidigung für notwendig hält, um eine wahre Aussage herbeizuführen“.

Hinter § 1556 wurde ebenfalls auf Antrag Dröscher

folgender § 1556a eingefügt: Bei Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen ist da Beteiligten Gelegenheit zur Teilnahme zu gewähren.

§§ 1565—1573 (Bescheid) wurden zusammen behandelt.

§ 1569 bestimmt:

Die rechtzeitige Erhebung des Einspruchs begründet des Recht auf persönliches Gehör des Berechtigten. Die für a Erlaß des Bescheides zuständige Stelle bestimmt, ob der W⸗ rechtigte vor ihr oder vor dem Versicherungsamt vernommen werden soll. Für die Zuständigkeit des Versicherungsamts gelten die §§ 1598 bis 1599a entsprechend. Solange der Berechtigte vor der zuständigen Stelle noch nicht vernommen ist, kann er jedoch ver⸗ langen, daß er vor dem Versicherungsamt vernommen wird, in dessen Bezirk er zurzeit der Vernehmung wohnt oder beschäftigt ist. Wird der Berechtigte vor dem Genossenschaftsorgan vernommen, so werden ihm bare Auslagen und Versäumnis vergütet. Auf Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung entscheidet das Oberversicherungsamt endgültgg. Der Stelle, die den Berechtigten vernehmen soll, sind die Ver⸗ verhandlungen vorzulegen.

Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.) befürwortete den Antrag, den ersten Satz hinzuzufügen: „vor dem Versicherungsamt“, Satz 2,4 und 5 zu streichen und den letzten Satz wie folgt zu fassen⸗ „Dem Versicherungsamt sind die Vorverhandlungen vorzulegen“. G. sei zu bedauern, daß das Verfahren in allen drei Vecscher. zweigen nicht einheitlich geregelt worden sei. Die getrennte Regelung sei viel zu kompliziert, umständlich und für den Arbeiter zeitraubend. Der Redner schilderte eingehend die Verzögerungen, die durch den Vorbescheid und Endbescheid der Berufsgenossenschasten und die Vorentscheidung und Entscheidung des Versicherungsamts herbeigeführt werden. Er möchte den Arbeiter sehen, der sich in diesem Instanzenwust zurechtfinden könne. Die Berufsgenossenschaft habe vor dem Versicherungsamt sachverständige Vertreter, die der⸗ letzten Arbeiter könnten nur ihre Angehörigen zuziehen. Dann es schon besser, daß beide, Berufsgenossenschaft und Arbeir,

vor dem Versicherungsamt keine Vertreter hätten; dieser Antrag st 8

aber in der Kommission abgelehnt worden. Es müsse verlangt were daß nach Abschluß der Ermittlungen das Versicherungsamt mündlicher Verhandlung unter Hinzuziehung von je zwei Vertretem

der Arbeitgeber und der Versicherten entscheide. Die lette

Instanz sei das Oberversicherungsgamt. Dies ganze Verfahren wende komplizierter und auch kostspieliger sein als das bisherige Ve⸗ fahren, wo ein Rekurs an das Reichsversicherungsamt zulässig gr⸗ wesen. Diese ganze Einrichtung sei eine der unglücklichsten, die in das Versicherungswerk hineingekommen sei. Manche Sache würde jahre⸗ lang laufen, ehe sie zum Abschluß komme. Wahrscheinlich wäre diese gesuchte Bestimmung die erste, die reformiert werden müßte, denn das Verfahren führe zu einer unnötigen Verschleppung. Leider seien die Beschlüsse erster Lesung viel zu wenig der öffentlichen Kritik über⸗ geben worden, sonst würde wohl ein stärkerer Widerspruch dagegen erhoben worden sein. ö11X*“

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (82.) Sitzung des Hauses der Ab⸗

1ö“ geordneten, welcher der Minister für Handel und Gewerte

Sydow beiwohnte, wurde zunächst die Beratung des im Bericht über die 81. Sitzung ausführlich mitgeteilten Antrages der Budgetkommission, betreffend die Lage der staatlichen Bergwerke (Beseitigung der Mängel in den Verhältnissen der Beamten und Arbeiter, Lohnpolitik, Preispolitik, Tarifpolittt, Beteiligung am Kohlensyndikat, übersichtlichere Aufstellung des Etats, Feststellung des Anlagekapitals), fortgesezt. Abg. Dr. Röchling (nl.): Der Rückgang der finanziellen g. gebnisse der staatlichen Betriebe im Saarrevier ist unbestreithar ꝛmn⸗ trotz der Darstellung des Oberberghauptmanns in der Hauptsache an organisatorische Mängel zurückzuführen. Es ist zwar richtig, daß durch das lothringische Kohlenrevier dem Saarbergbau eine Konkurrenz erwachsen ist, aber die Beratungen in der Ko 5 haben doch unbestreitbar eine Reihe Organisationsfebler aufgedes 8 Der Oberberghauptmann hat sich gegen eine Vermin der Beamtenzahl gewandt. Er meinte, daß durch eine Verminderung 6 Zahl der Beamten die Berufsfreudigkeit verringert würde an 8s gerade der Steiger durch die Möglichkeit, eine feste Beamtenste 4* erhalten, zu hervorragenden Leistungen angespornt werde. Daß ruft gewiss Beunruhigung und Besorgnis jetzt in der Stegee vgn⸗ herrscht, ist mir wohl bekannt. Die Unruhe ist aber daduich Nichts gerufen, daß die Beamten nicht wissen, woran sie sind Büagn ist schlimmer, als ein solches Inderluftschweben. Entscheidunger nt notwendig sind, sollen kräftig und möglichst schnell durchgevden werden. Ob es notwendig sein wird, das Privaldienstverhältnis Beamtenqualität gegenüber vorzuziehen, haben wir nicht zu J82I. Heres⸗ das ist Sache der Regierung. Wir sind nicht dazu da, der 78 4 zu fagen, was sie im einzelnen tun soll. Wir, haben ken. in der Kemmission damit begnügt, die Mängel aulentrmt Der Abg. Brust hat sich als Vertreter des 8e am Sonnabend gegen das Vertragsverhältnis ausgespe⸗ Demgegenüber muß ich aber darauf verweisen, doß käͤltnis in Kommissien erklärt hat, daß mit dem Privatdienstbertn morden seiner westfälischen Heimat recht gute Erfahrungen sproch 2 Fch seien. Weshalb hat der Abg. Brust hier andens gesprochen sche kann mir nicht helfen, 1 kann das nur qauf pe 8 Motive zurückführen. Wie die Eetscheiduge der Rogiettaleßung aber auch fallen mag, nötig ist es, daß sie schnell 8 en Seite. trifft, entweder nach der einen oder nach der andere gehabt, Ueber den Bergbau im Saarrevier habe ich früher eine Ansich Lage in die mir heute als zu optimistisch erscheint; heute sehe 22 acherei im diesem Revier nicht als so günstig an. Statt der Gle 6 8

(Schluß des Blattes.)

Löhnen follte man vielleicht einen Anreiz schaffen, durch 18 die Leistungen erhöht werden und die Arbeitsfrendigkeit beg ben wird. Es ist nicht richtig, wenn der fleißige gad tüchtige Arbeiter sehen muß, daoß er nicht mehr verdient und er ungeschicktere Arbeiter. Der Oberberghauptmann sagt, es dürfe

Arbeiter schuldlos um seinen Lohn kommen, es ist aber ungheuer schwierig, festzustellen, ob der Arbeiter schuldlos etwas von seinem Lohn ebüßt hat. Was die Preispolitik und die Ausfuhrpolitik betrifft, 5 Faben meine Freunde dem Kohlensyndikat nicht mit dem Mißtrauen egenübergestanden wie viele andere. Wir hoffen, daß die jetzige kuhigere Beurteilung zu praktischen Resultaten führen werde. 1 Ein Fohlenabsatz ist auch nach dem Auslande nötig, und man könnte sich diesen Absatz nicht erhalten ohne den Kohlenhandel. Wenn der staatliche Bergbau nicht rentabler gemacht wird, werden die Steuer⸗ fähler keine Neigung haben, noch Geld in neue staatliche Anlagen zu stecken. In der Kommission haben sich alle Kreise eisrig bemüht, nicht nur die Einnahmen des Staates zu erhöhen, sondern auch die Verhältnisse der Beamten und Arbeiter zu verbessern. Aber eine

dauernde Zufriedenheit der Beamten und Arbeiter ist nicht möglich

ohne Verträglichkeit. Der Ministerpräsident hat auf dem Handelstag die Notwendigkeit des kaufmännischen Geistes auch für die Staats⸗ betriebe betont. Gerade in den Staatsbetrieben, die in Konkurrenz mit der Privatindustrie stehen, ist der kaufmännische Geist notwendig. Die Staatsbergverwaltung steht und fällt damit, ob sich der kauf⸗ männische Geist zu fatkräftigen Entschließungen aufrafft oder ob die alten, bergebrachten Bahnen weiter befolgt werden. 1

Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.): Der ausführliche schriftliche Bericht der Kommission kann leider den Eindruck der mündlichen Ver⸗ bandlungen nicht wiedergeben, zumal da manches als vertraulich be⸗ zandelt werden muß. Wir müssen aber den Kommissionsmitgliedern und auch den Herren der Industrie, die mitgewirkt haben, für die umfang⸗ niche Arbeit danken. Die Untersuchung der Schuldfrage könnte nur deSanierungsaktion, die kräftig begonnen werden muß, beinträchtigen. e wäre verfehlt, der Staatsregierung allein die Schuld an zmungünstigen Verhältnissen des staatlichen Bergbaues zuzuschieben, uh das Parlament muß von sich sagen: wenn auch nicht maxima alpa, so doch mea culpa. Das Parlament hätte mindestens uiber von seinem Kontrollrecht besseren Gebrauch machen sollen. die Ueberschüsse der staatlichen Bergverwaltung sind allerdings sct 1890 bedeutend gesunken, aber wir müssen bei dem rechnungs⸗ mäßigen Ueberschuß diejenigen Beträge berücksichtigen, die für neue Anlagen, also für Vermögenszuwachs ausgegeben worden sind. Danach beträgt der Rückgang seit 1890 pro Mann der Belegschaft nicht mehr 300 %, wie es nach dem rechnungsmäßigen Ueber⸗ schufe erscheint, sondern nur noch 46,63 %. Für das Saar⸗ nbier beträgt allerdings der Rückgang 100 %. Es gibt im staatlibeen Bergbau aber auch günstigere Momente, z. B. bei den Bernsteinwerken in Ostpreußen, und die Regierung tut recht daran, daß sie ihr Interesse den Bernsteinwerken in Palmnicken zuwendet; die Rente hat dort das Anlagekapital schon vollkommen wieder ein⸗ gebracht. Ich bitte die Regierung, diesem Werke ihr Interesse zu erhalten; denn das ist außerordentlich wichtig für Ostpreußen. Wir dürfen nicht zu schwarz sehen, wir wollen die Schwarzseher ver⸗ bannen, um dem Finanzminister nicht die Grundlage für eine Er⸗ böhung der Einkommensteuer zu bieten. Mit den Ergebnissen, die der Kommissionsbericht feststellt, kann ich mich nicht in allen Punkten einverstanden erklären. Die sozialen Lasten sind beim Staate höher als bei der Privatindustrie, und es ist auch recht so; denn wir wollen doch, daß die staatlichen Betriebe Musterbetriebe sind. Ich bitte die Regierung, auf diesem Wege nicht zurückzugehen, sondern vorwärts zu schreiten. Meine politischen Freunde unter⸗ stützen die Regierung auch darin, daß sie bei niedergehender Kon⸗ jonkkur ihre Arbeiter nicht entläßt. Auch in der Höhe der Lööhne müssen die Staatsbetriebe an der Spitze marschieren. Daran darf nichts geändert werden. Die Löhne können selbst⸗ veiständlich nur festgestellt werden im Hinblick auf die Löhne in der Privatindustrie. Würden die Löhne zu hoch bemessen, dann würde die Privatindustrie zu höberen Löhnen getrieben werden, die den Betrieb nicht mehr wirtschaftlich machen. Die Bergwerksverwaltung nuß ferner auf dem Gebiete der Sicherheitsmaßregeln bahnbrechend wrangehen. Das hat die Bergwerksverwaltung bisher getan, und das niß auch weiter so bleiben. Alle diese einzelnen Faktoren zusammen⸗ mommen geben eine erheblich höhere Belastung des Staatsbetriebs mmüber dem Privatbetrieb. Die Bergverwaltung wendet auch il Kosten für die Ausbildung der Beamten auf, die nicht llein dem Staatsbetrieb, sondern auch dem Privpatbetrieb mutze kommen. Diese Kosten müßten eigentlich auf den Kultusetat ibernommen werden. Der Staat muß auch für die Erhaltung der Kohlenschätze sorgen; er darf keinen Raubbau treiben, wie es vielfach in Privatbetriebe geschieht.

8 v1A14“

Dem Herrenhause ist der Entwurf eines C 8, betreffend die Umlegung von Grundstücken in Cöln, nebst Begründung zugegangen. Nach dem Gesetzentwurf sollen das Gesetz, betreffend die Umlegung von Grundstücken in Frank⸗ furt a. M., vom 28. Juli 1902 und das Gesetz wegen Ab⸗ aͤnderung des § 13 des vorbenannten Gesetzes vom 8. Juli 1907 in Cöln sinngemäß Anwendung finden.

Ferner ist dem Herrenhause ein Staatsvertrag zwischen dem Fänigreich Preußen und dem Herzogtum Sachsen⸗ Meiningen zur Erweiterung und Abänderung des am 18. Juni 1868 unterzeichneten Vertrags wegen Ueber⸗ tragung der Leitung der Grundstückszusammen⸗ legungen und Hutablösungen auf die Königlich preußischen Auseinandersetzungsbehörden nebst einer Denkschrift unterbreitet worden.

Dem Hause der Abgeordneten ist der Entwurf eines Bullenhaltungsgesetzes für die Rheinprovinz nebst Begründung vorgelegt worden. 88

Nr. 18 des „Eisenbahnverordnungsblatts“, heraus⸗ gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 16. Mai hat solgenden Inhalt: Bekanntmachung des Reichseisenbahnamts vom 19. April 1911, betr. Ergänzung und Aenderung der Anlage C zur dijenbahnverkehrsordnung. Erlasse des Ministers der öffentlichen mbeiten: vom 7. Mai 1911, betr. eisenbahnseitige Prüfung der Ent⸗ rürfe füc staatlich zu unterstützende Kleinbahnen; vom 9. Mai 1911,

Gemeinsame Bestimmungen für die Arbeiter aller Dienstzweige;

i 11. Mai 1911, betr. Eirzuhr von Tieren für Zoologische Gärten ad Tierparke. Nachrichen.

Wohlfahrtspflege.

„Das Problem der Arbeitslosigkeit und der Mittel zu rer Bekämpfung steht heute im Vordergrunde des öffentlichen Iateresses der gesamten Kulturwelt. Die innerpolitische, wirtschaft⸗ iche und solzialpolitische Bedeutung dieses Problems liegt klar zu Tage. So hat denn die im Herbst vorigen Jahres in Paris abgebaltene internationale Konferenz zur Bekämpfung der Arbe tslosigkeit die Be⸗ gründung einer Internationalen Vereiniqgung beschlossen, deren Aufgabe es fein foll, unter Teilnabme sämtlicher Kulturstaaten alle dieses Problem betreffenden Fragen zu studleren und in Versammlungen in erörtern, alle darauf hezuüglichen Materialien zu sammeln und so Wege zu ebnen, die zur Lösung des Problems führen können. Das Statut der Internatsonalen Vereintgung siebt die Bildung von nationalen Abteilungen vor, die zur Mitarbeit an dem

nnternationalen Werke kerusen sind, und es vilt nunmehr, die Be E111I11“ 1 18 1“

heühndung der deutschen Abteilung durchzuführen. Die Herren Adickes, Oberbürgermeister von Frankfurt a. M., Beutler, Ge⸗ heimer Rat, Oberbürgermeister von Dresden, Dr. van der Borght, Präsident des Kaiserlichen Statistischen Amts, Dominicus, Erster Bürgermeister von Schöneberg, Feig, Regierungsrat im Kaiserlichen Statistischen Amt, Dr. Freund, Vorsitzender der Landesversicherungs⸗ anstalt Berlin, Vorsitzender des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise und Vizepräsident der Internationalen Vereinigung zur Bekämpfung der Arbeitelosigkeit, Freiherr von Freyberg, Rechtsrat in München, Fuchs, Beigeordneter in Cöln a. Rh., Dr. Kaufmann, Präsident des Reichsversicherungsamts, Kirschner, Oberbürgermeister von Berlin, Dr. von chanz, Universitätsprofessor in Würzburg, Schustehrus, Oberbürgermeister von Charlottenburg, Silber⸗ gleit, Professor, Direktor des Statistischen Amts der Stadt Berlin, und Dr. Zacher, Direktor im Kaiserlichen Statistischen Amt, laden daher zu einer Versammlung auf Sonnabend, den 27. Mai, Nachmittags 2 Uhr, im Sitzungssaale der Landesversicherungsanstalt, Berlin, Am Köllnischen Park 8, ein. In dieser Versammlung soll die Gründung der deutschen Abteilung unter Zugrundelegung des ge⸗

druckt vorliegenden Satzungsentwurfs beschlossen und die Wahl

Mitglieder der Organe der Gesellschaft vorgenommen werden.

Kunst und Wissenschaft.

A. F. In der ordentlichen Sitzung der Berliner schaft für Anthropologie am 20. Mai sprach der Bankdirektor Otto Messing, der im verdienten Rufe eines genauen Kenners von Ostasien steht, über die „chinesische Staatsreligion und ihren Kultus“. Der Redner erinnerte einleitend daran, daß die leg. Kultur älter als irgend eine andere, Aegypten und Babylon nicht ausgenommen, und zuverlässiger festgestellt worden ist, daß dort auch die wichtigsten Einzelkulturerrungenschaften auf technischem Gebiet in Tschung⸗Kwo, dem Land der Mitte, lange vor der Zeit im sichern Besitz der Tschung⸗Kwo⸗schön, der Chinesen, waren, ehe sie in Europa, allerdings ganz unabhängig vom Osten, nachentdeckt und nacherfunden wurden. (Um 105 n Chr. wurde z. B. in China bereits Papier aus Baumrinde oder Lumpen gewonnen, und im 6. Jahrhundert dort die Buchdruckerkunst erfunden.) Es ist daher auch in hohem Grade wahr⸗ scheinlich, daß auf intellektuellem Gebiet die Bewohner des großen Landes früher als andere Völker zu bestimmten Vorstellungen über das Verhältnis des Menschen zur Natur gelangt sind und sich Gedanken gemacht haben über Entstehen und Vergehen und über den Urgrund der Dinge und den Sinn des Lebens. In der Tat lehren uns ihre Schriften eine Schrift besaßen sie wahrscheinlich seit 2850, zuverlässig seit 2000 v. Chr. daß die Chinesen zu einer Zeit, die weit gegen die geschichtlich gesicherte, um 2200 mit der Hia⸗Dynastie und dem Herrscher Jao beginnende zurückliegt, nämlich unter dem sagenhaften Fu hi, der vielleicht um 4000 v. Chr. anzunehmen ist, bereits die Vorstellung von einem höchsten Wesen besaßen, von dem alle Dinge gemacht, dem Schang⸗ti, das ist oberster Herrscher, dessen Verehrung sich mit der des Himmels vermischte. Die Kenntnis hiervon verdanken wir dem ältesten chinesischen Geschichtswerk, dem Schu⸗King, das ist „Leitfaden der Aufzeichnungen“, das von keinem Geringeren als Confucius im 6. Jahrhundert v. Chr. geschrieben, in wichtigen Abschnitten verloren gegangen, aber doch zu einem großen Teil gerettet und später pietätvoll gehütet worden und in zablreichen Abschnitten vorhanden ist. Es war ursprünglich in dünne Bambus⸗ blätter eingeritzt; diese „Rollen“ wurden nach der Erfindung des Papiers und der Anwendung des Pinsels im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in entsprechend veränderter äußerer Gestalt ver⸗ vielfältigt. Wir entnehmen ihnen, daß jene monotheistische Vor⸗ stellung etwa bis 1200 v. Chr. und während der mehr als sechshundert⸗ jährigen Herrschaft der Dynastie Schang als Steaatsreligion maßgebend blieb. Um 1200 und unter der nachfolgenden Dynastie Tschou, die 870 Jahre im Besitz der Herrschaft war, empfing diese Staatsreligion indessen eine Weiterbildung zum Dualismus, in⸗ dem außer dem Himmel fortan auch die segenspendende Erde Ver⸗ ehrung fand. Diese Fortbildung ist sehr verständlich bei der im wesent⸗ lichen kontinentalen Seßhaftigkeit des der Schiffahrt zumeist ab⸗ geneigten chinesischen Volks und bei der Richtung, die es durch die Bodenverhältnisse, die natürliche Fruchtbarkeit, die Güte und Gleichmäßigkeit des Klimas, die leichte Bewässerungsfähigkeit des Landes auf Acker⸗ und Gartenbau, als hauptsächlichste Nahrungsquelle empfing. Doch auch diese weiterentwickelte Vorstellungsweise erfuhr etwa um 600 eine wesentliche Aenderung, also kurz vor der Zeit, in der die Zeitgenossen Confucius (chinesisch Kung⸗tze) und Lao⸗tze den Vorstellungen ihres Volkes in manchem Betracht abweichende Wege wiesen, die in der Folge zu dem moralphilosophischen System des Confucius einerseits und dem Taoismus andererseits führte, die als Religion der niederen Volks⸗ klassen noch heute mit der überkommenen Staatsreligion und dem Buddhismus wetteifert, welcher letztere im Jahre 61 n. Chr. unter der Regierung des Kaisers Ming⸗ti von Indien her eingeführt worden ist. Jene dritte und bisher letzte Aenderung der somit als äußerst konservativ wirkenden chinesischen Staatsreligion um 600 v. Chr. war und blieb indessen zugleich grundlegend und richtung⸗ gebend für die nachfolgenden Lehrgebäude von Kung⸗tze und Lao⸗tze, welche deshalb nichts weniger als keterisch bei den Trägern der Staatsreligion galten, obgleich sie nur ein einziges Mal während des Verlaufes der chinesischen Geschichte unter Kaiser Hwang⸗-ti (221 v. Chr.) so aufgefaßt und ihre Träger mit Feuer und Schwert verfolgt worden sind. Verbindend zwischen den verschiedenen Richtungen, die in mehr als 2000 jähriger, seitdem vollzogener Ent wicklung vergleichsweise frledfertig nebeneinander bestehen, ist, daß sie alle mit dem Volksempfinden übereinstimmen, aus diesem hervor⸗ gegangen sind, und daß die materialistisch⸗agnostische Entwicklung, als welche diese dritte Entwicklung zu kennzeichnen ist, als die reife Frucht des Naturkultus zu betrachten ist, der, wie gesagt, mit der Verehrung von Himmel und Erde einsetzte und allmählich alle heil⸗ oder verderbenspendenden Naturdinge und Naturkräfte in den Kreis der Anbetung zog. Der im wesentlichen auf das Praktische ge⸗ richtete Volksgeist der Chinesen war dem Gedanken an Unsterblichkeit und an ein Leben nach dem Tode zwar von jeher abgewandt, aber mit der Ausdehnung des Kreises der verehrungswürdigen Gegenstände ergab es sich von selbst, daß man von der Ve⸗ ehrung um das Gemein⸗ wohl verdienter und deshalb hochgeachteter Menschen nach dem Tode überging zur Verehrung und Anbetung ihrer irdischen Reste und ihres Andenkens. So entstand ein Ahnenkultus, wie er in dieser Ausdehnung und Inbrunst sich bei keinem andern Volke findet und wie er begreiflicherweise von den Machthabern allezeit ge⸗ begt und gefördert wurde als eine nicht w e Stütze ihrer Herrschaft. So entwickelte sich in weiterer Folge auch der Brauch der Opfer, Opfer nicht bloß der segenspendenden Sonne oder dem Monde in den ihnen geweihten besonderen Tempeln daorgebracht, nicht bloß den hohen Bergen, unter denen man namentlich die 5 mit Tempeln gekrönten von 2400 3500 m hohen Gipfel in den Provinzen Schan⸗si und Honan auszeichnet, nicht bloß dem Donnergott und dem besonderen Stadtgott, sondern vor allem den Ahnen, an erster Stelle den verstorbenen Herrschern⸗ Schang⸗ti der oberste, einst alleinige Gott, von dem die 4 6000⸗ jährige Entwicklung ausging, ist dabei allmählich etwas zu kurz ge kommen. Es wird in den Gebeten der Priester weniger von ihm als von anderen Verehrungswürdigen gesprochen. Neuerdings erst wird und zwar von den protestantischen Missionaren, sein Name öfters ge⸗ nannt, indem sie den chinesischen Christen „Gott“ mit „Schange ti“ übersetzen. Die katholischen Missionare vermeiden es und dereichnen „Gott“ mit „Thien-tre“, d. i. Sohn des Himmels, was cigen⸗ ftümlich ist, da Thien⸗tre und Hwangeti (erhabener Herrscher) guch der Kalser genannt wird. Der Redner ging nach diesen mit großem Interesse angehörten Darlegungen zu der Schilderung der wichtiesten der chinesischen Staatsreligion dienstharen Tempel über, namentlich solcher in Peking, wo den Ahnen der Herrscher, namentlich der gegenwärtigen Mandschu. Dynastie, geweidte Tempel in beträchwcher Jahl und prüchtigster Ancschmückung verhanden 8

sind. Es wurden auch Ahnentafeln vorgewiesen: solche von

einfachster Gestalt, aus Holz, mit den eingezeichneten Namen der Ver⸗ storbenen, wie sie in jeder chinesischen Wohnung aufgestellt sind, bis zu der kostbaren Gestalt, in der z. B. ein Gouverneur dem Andenken seiner Vorfahren Verehrung widmet. Viele der Tempel sind zugleich Aufbewahrungsorte für kostbare bronzene Weih⸗ und Opfergefäße von ästhetisch vollendeten Formen. Auch von solchen Gefäßen wurden einige Exemplare vorgezeigt neben anderem eigenartigen Tempelschmuck. Es ist indessen an dieser Stelle nicht möglich, auf die interessanten Einzelheiten des Tempeldienstes einzugehen, von denen der Vortragende berichtete und die er teilweise an ausge⸗ hängten Bildern von Tempelinnern erläuterte. Sehr bemerkenswert ist nach dem Gehörten die große Duldsamkeit welche die verschiedenen Kulte sich gegenseitig erweisen, und die Tatsache, daß außer dem oben angeführten einen Falle während einer mehrtausendjährigen Geschichte die Verschiedenheit der Bekenntnisse nicht zu Unterdrückungsversuchen durch die Machthaber geführt hat. Aehnliche Duldsamkeit wird staatsseitig jetzt auch seit lange den zahlreichen Anhängern des Islam im chinestschen Reiche sowie den Juden und den Christen erwiesen. Es ist aber bezüglich der Christen keineswegs immer so gewesen, wenn auch in langen Perioden der Verganßenheit. unter der mongolischen Dynastie Jüan, wie unter der großen Ming⸗Dynastie und seitens des zweiten Herrschers aus dem Hause Tsing, der gegenwärtigen Dynastie, den Christen große Förderung zuteil geworden ist. Den zweiten Vortrag des Abends hielt unter Begleitung zahlreicher Lichtbilder Geheimrat, Professor Dr. Virchow über die Weich⸗ teile des Chinesinnenfußes. Einleitend wies der Redner darauf hin, daß er zwar zum dritten Male über den gleichen Gegen⸗ stand an dieser Stelle spreche, daß ihm jedoch die ihm zu Unter⸗ suchungen überlassenen, in Spiritus konservierten, charakteristischen Füße einer mit 63 Jahren gestorbenen Chinesin einige neue interessante Erfahrungen gebracht hätten. In den beiden früheren Fällen habe er Füße am lebenden Körper zu untersuchen Gelegenheit gehabt, sie mit Roentgenstrahlen durchleuchtet und an den betreffenden Bildern, die nochmals vorgezeigt wurden, die eigenartige Verkrüpplung nachweisen können. Die neuen Präparate aber hätten erlaubt, Muskeln und Sehnen der Füße anatomisch zu untersuchen, und dabei hätte sich, wie auch in Lichtbildern dargestellt wurde, eine wunderbare Fähigkeit der Natur herausgestellt, die Formen der Muskeln unter Ausschluß krankhafter Verkrümmung trotz der so überaus ungünstigen Umstände zu erhalten. Uebrigens set fest⸗ zustellen, daß die chinesischen Frauen, welche dieser Sitte huldigten, die ith rnelge in schnellem Abnehmen begriffen sei, es durch die Herstellung des Schuhwerkes fertig brächten, ihre Füße noch kleiner er⸗ scheinen zu lassen, als sie in Wahrheit seien. Nur der vordere Teil des Fußes werde vom Schuh bedeckt, der hintere sei kunstvoll in die Bekleidung des Unterschenkels hineinbezogen. Professor von den Steinen fügte aus eigener Beobachtung in China hinzu, daß es ihm schlechterdings unmöglich gewesen sei, im Krankenhaus verkümmerte Frauenfüße zu untersuchen, weil die Chinesinnen in diesem Punkte von einer durch nichts zu überwindenden Schamhaftigkeit seien. Der sie im Gehen stark hindernde verkümmerte Fuß sei übrigens nicht die einzige Torheit, zu der eine unsinnige Mode die Chinesin zwinge oder verleite, eine andere ähnliche Torheit sei die außerordentliche Länge, zu der sie ihre Fingernägel wachsen lassen, die manchmal länger sind als die Finger. Natürlich hemmt eine solche Länge der Nägel bei jeder Arbeit, jedem Handgriff; aber gerade darum gälte die Mode als das unzweifelhafte Zeichen des Reichtums und der Vornehmheit, indem die glückliche Besitzerin solcher Nägel dartue, daß sie sich in allen Stücken bedienen lassen könne. Hermione von Preuschen⸗Telmann eröffnet am 1. Juni

in ihrem Landhause „Tempio Hermione“ eine Ausstellung von e 250 Gemälden aus Japan, China, Siam, Java, Sumatra usw.

Theater und Musik.

öniglichen Opernhause wird morgen, Dienstag, „Die Zauberflöte“ in der bekannten Besetzung der e * wiederholt. Im Königlichen Schauspielhause wird morgen als 14. Vorstellung im Lustspielzyklus zu ermäßigten Preisen „Der Krampus“ von H. Bahr aufgeführt. Die Titelrolle spielt Herr Vollmer, die Generalin von Malt Frau Butze. In den sonstigen Fenptranes sind die Damen Mexyer, Ressel, Heisler und Steinsteck owie die Herren Zeisler, Eggeling, Boettcher, Werrack und Ballentin beschäftigt.

Mannigfaltiges. Berlin, 22. Mai 1911.

Ueber die Witterung in Norddeutschland um 1 April 1911 berichtet das Königlich preußtsche Memaurasngfsür Institut auf Grund der angestellten Beobachtungen Ebense win er vorangegangenen Monate vom Dezember vorigen Jahraes 16 Fgen auch der April im größten Teile Norddeutschlands dunchschnieuh einen Ueberschuß an Wärme, der allerdings nur vereinzaltr übur 1* hinausging, meist aber zwischen ½ und schwankte. Ledigläch im westlichen Deutschland sowie im Bereich der nordfriesischen Infaln wun es etwas zu kalt. Im einzelnen machten sich jedoch während des Moamacs ungewöhnliche Schwankungen im Temperaturverlauf bemerkbar. Nachdem in den ersten Tagen noch milde Witterung geherrscht hatte, trat bis zum 5. April ein außerordentlicher Temperaturrückgang ein der überall aus⸗ gesprochenes Winterwetter herbeiführte. Speziell in Berlin lagen die Tagesmittel vom 4. und 5. mehr als 2 ° unter den tiefften sett 1848 an diesen Tagen beobachteten. Allmählich zunehmend erreratz im Gegensatz dazu die Temperatur um den 20. bermm am scüche Höhe, daß die Maxima nicht selten über 25 ¼ demmsenen enüe dessen betrug der Unterschied 3 bismhm umn tiefsten im Monat beodachteten m müeher Oriten mehr als 30 ˙9. Gegen G MWmʒmm, e kwdee wieder kühleres Wetter ein. nlerne Bemlhmmg m meist etwas zu groß und die Scumerschemdaumm demeeehem zu klein, doch erreichten die Amerhumngen um den ee Werten keine bedentendem Betrüäge. Tuar de mnas e üe Himmelsbedeckung gingen die Fffürlemen Wdeeküngsmnemme iee e einzelt ein wenig üder den langfütrager Dursichnn ee zwar stellenweise in Oberschlefien Pummnarmr e ie Süüee Holstein; meist betragen e ungführ uum de hüe ii ee der Mittelwerte. Dde Vertrtlung der Muderschlöagr süen Monat war dabei sebr unqleikmähmg. In der e vom 15. bis 25. April kerrschte amfnemmilk Tanäemihett während desenders die T om .. i. i bwee wee, lichere Regenfälle auszen In der Erer Monmadeude nlne im Gezolge des großen Tempercturrökpanger ulrrerilhemn Simnerfäln auf. Gewitter wurden desonders an den erder und IAaern Dngen sem Gebdirgsgegenden und nech soust ciragt eng baxnengem Begec wei. scheidct, derbältnismäßig gleichfermig mder dar guna Gethür vere Ucder 100 mm ging die gemessere Sesamtmengt an komem O dinans. Zwischen 75 und 100 mm detrag sit. ader mumr kdermgenn an der Nordseite der Eisel, im Wurper⸗ und Nakagedirt im K im Thüringerwald und in den Sudeten. Mematsfummen dom 50 bns 75 mm kamen dagegen schon etwas hänfiger in denselben 0. vor sowie auch noch im östlichen Oberschlehien und vereingelt in Pommern und im westlichen Deutschland. Die Prinvsten Betrage. nämlich weniger als 10 mm, wurden an einigen Orten im dftlichen Ostpreußen sowie am Unterlauf der Saale deobachtet. In den ganzen übrigen Gebiet schwankten die Niederschlagemengen pmrschen 10 und 50 mm. Die an den ersten Monatstagen . Luft. druckverteilung erbielt bald einen sehr bestimmten Charakter durch Ausbildung eines Hochdruckgebiets im Nordwesten von Europa, das in Norddeutschland Winde aus nördlichen Richtungen und infol dessen die schon mehrfach erwähnte am 4. und 5. April ihren H. 2₰ punkt erreichende Temperaturerniedrigung sowie leichte Schnersäökbe