1911 / 121 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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181. Sitzung vom 22. Mai 1911, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Fortsetzung der 8 Beratung des Entwurfs einer Reichsversicherungs⸗ ordnung.

Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Abg. Dr. Fleischer (Zentr.): Wenn dier Dinge sich jedesmal so entwickeln würden, wie es der Vorredner schilderte, würde aller⸗ dings ein ungeheuer komplizierter Apparat vor uns entstehen. Aber es werden doch durchaus nicht alle Fälle alle Instanzen durchlaufen. In der Praxis wird nur ein Teil in das Stadium der Dauerrente einmünden. Ideal ist das Verfahren allerdings nicht, und auch hier begeben wir uns auf den Boden eines Kompromisses; anderseits ist aber anzuerkennen, daß eine gänze Reihe von Streitfragen dadurch verschwinden wird. Der Wille des Ver⸗ letzten kann für die Entscheidung des Versicherungsamtes nicht maßgebend sein, dieses hat vielmehr sowohl die Interessen des Verletzten, wie die Interessen der Berufsgenossenschaft abzuwägen. Bislang war der wunde Punkt die Arztfrage, und hier erzielt die Reichsversicherungsordnung ganz enorme Fortschritte. In Zukunft kann ein Arzt, der in einem Vertragsverhältnis zur Berufsgenossen⸗ schaft steht oder auch nur als regelmäßiger Gutachter von einer

Berufsgenossenschaft verwendet wird, nicht mehr Vertrauensarzt des

Versicherungsamts, Schiedsg richts oder Reichsversicherungsamts sein. Schon damit ist dem Verletzten eine Wohltat erwiesen, die deshalb gar nicht hoch genug zu veranschlagen ist, weil, wie die Recht⸗ sprechung sich im Laufe der Jahre entwickelt hat, schließlich das ärztliche Gutachten den Ausschlag für das Urteil gibt. Nachdem wir so den Arzt von den Fesseln der Berufsgenossenschaft befreit haben, haben wir wirklich objektive Gutachten sichergestellt. Gewiß ist das Gutachten kein Urteil, aber das Oberversicherungsamt kann doch an dem Gutachten nicht einfach achtlos vorüber⸗ gehen. Es kommt hinzu, daß bisher die erste Instanz, wo

ü. Verletzte persönlich eingreifen konnte, das Schiedsgericht für

Arbeiterversicherung war, das gewöhnlich weitab lag.

Jetzt tritt das Versicherungsamt als Anwalt des Verletzten ein. Schon vor dem Versicherungsamt kann dieser den Tatbestand fest⸗ tellen. So werden Kosten gespart, und der Verletzte kann von Anfang an sein Beweismaterial vorbringen. Es ist bemängelt vorden, daß nach § 1572 ed die Genossenschaft sich durch einen Vertrauensmann vertreten lassen darf, der Berechtigte nur durch erwachsene Angehörige oder andere geeignete Personen, die das Verhandeln vor Behörden nicht geschäftsmäßig betreiben, also nicht durch Arbeitersekretäre. Immerhin kann der Berechtigte doch andere geeignete Personen als Beistand zur Verhandlung zuziehen. Nun steht doch die deutsche Arbeiterschaft heute nicht mehr un⸗ organisiert da; in jeder kleinen Gemeinde gibt es jetzt sach⸗ kundige Leiter der Lokalorganisationen, die dem Verletzten zur Seite tehen können. Nicht überall, wo ein Versicherungsamt ist, kann ein Arbeitersekretariat bestehen. Alles in allem haben wir es hier nicht mit einer Benachteiligung der Arbeiter zu tun, sondern im Gegenteil mit einem bemerkenswerten Fortschritt zugunsten der Abg. Dr. Mugdan (fortschr. Volksp.): Der Vorredner scheint voll⸗ ständig übersehen zu haben, daß dieses Einspruchsverfahren ein Ausgleich st dafür, daß man dem Versicherten den Rekurs außerordentlich beschränkt hat. In 65 % der Fälle ist ihm dieser genommen, und als Ausgleich für diese Rechtsmittelverschlechterung das Einspruchs⸗ verfahren eingeführt. Das muß man sich vor Augen halten, um zu erkennen, daß der Versicherte in Zukunft zweifellos schlechter dastehen wird. In der Zuziehung des Arztes ist das Versicherungsamt vollständig souverän. Wir sprechen von Dauerrente, trotzdem es sich gar nicht um eine Dauerrente handelt, und vom Versicherungs⸗ amt, trotzdem nur eine Person in Frage kommt, der Vorsitzende.

Es wird gar keine amtliche Vernehmung sein, die mit Rechtskautelen 2,7. M. g . . 2 ; 9 8 2 . 1 umgeben ist. Der Vorsitzende wird einfach die Aussagen aufschreiben

und an die Berufsgenossenschaft schicken. Diese ist dann absolut frei und kann entscheiden, wie sie will. Diese ganze Regelung kann nur ein paar Tage Gesetz bleiben. Man kann nicht ein Amt damit be⸗ lästigen, eine Vernehmung zu veranstalten, ohne daß es dann nachher irgend welche Einwirkung hat. So etwas ist bisher in der Gesetz gebung noch nicht vorhanden. Das Einspruchverfahren wird zu einer ungeheuren Verschleppung und zu einer Vermehrung der Zahl der nervösen Unfallerkrankungen führen. Die Zuziehung von Aerzten, die mit Berufsgenossenschaften in Verbindung stehen, als Sachverständige zu den Schiedsgerichten war eigentlich jetzt schon nicht möglich. In Zukunft werden erst recht die Oberversicherungs⸗ ämter ausschließlich beamtete Aerzte hinzuziehen. Diese werden aber den Versicherten gegenüber nicht die Vertrauensstellung ein⸗ nehmen wie frei praktizierende Aerzte. Das mag unberechtigt sein, die

Tatsache aber steht fest. Gewiß wird ein Teil der Verletzten eines

Arbeitersekretärs als Beistandes nicht bedürfen, aber in vielen Ein⸗ spruchsverfahren von den Versicherungsämtern wird eine solche Mit⸗ wirkung durchaus notwendig und zweckmäßig sein. Die Berufs⸗ genossenschaften wünschen sogar selbst die Zulassung von Arbeiter⸗ sekretären, aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß dadurch die Streitigkeiten verkürzt werden. Sie haben uns in einer Petition ge⸗ beten, die beantragte Streichung vorzunehmen. Wenn so die beiden sich entgegenstehenden Parteien, Versicherte wie Berufsgenossenschaften, den gleichen Wunsch haben, sehe ich nicht ein, warum wir dem nicht entsprechen sollen. Jetzt, wo die Reichsversicherungsordnung an⸗ genommen wird, habe ich nur noch den einen Wunsch, daß meine Be fürchtungen sich nicht erfüllen mögen.

Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Ich kenne den Vorredner gar nicht wieder, er war fonst immer gegen die vielen Instanzen; hier will er sie noch vermehren. Die Rechtsprechung des Reichsversicherungs⸗ amts blieb bisher nur zu sehr im Rückstande. Da mußte irgendwie eingegriffen werden, und schließlich hat die Kommission gefunden, daß ihre Vorschläge das zweckmäßiaste sind. Nach Abschluß des Heil⸗

g verfahrens, spatestens nach 2 Jahren, wird die Dauerrente festgesetzt

und tritt dann auch das Rekursverfahren mwieder ein. Nur

8G in Ausnahmefällen wird der Berufsgenossenschaftsvorstand von dem

Gutachten abweichen, da sonst ja der Verletzte sofort an das Ober⸗ versicherungsamt gehen kann. In den Osterferien habe ich mit zahlreichen Arbeitersekretären und Rechtsschutzbeamten die neuen Kommissionsvorschläge durchgesprochen, und alle haben der Kom⸗ missionsvorlage den Vorzug gegeben gegenüber dem jetzigen Zustande.

Darüber täuschen theoretische Erwägungen nicht hinweg. Nicht in allen Bezirken der Versicherungsämter gibt es Arbeitersekretäre; diese

Ungleichheit würde einseitig gerade für die Berufsgenossenschaften einen Vorteil ergeben, wenn nach dem Antrage Albrecht verfahren würde.

Abg. Molkenbuhr (Soz.): Die Herren, die die umfangreichen und weitschweifigen Bestimmungen der §§ 1565, 1565 a 1565 d, 1566, 1967, 1567 a, 1568 1572, 1572 a 1572 d, 1572 e, 1572 ea, 1572 eb, 1572 ec, 1572 ed, 1572 ee, 1572 f 15721 in der Kommission zusammengebracht haben, sind ja gewiß der Meinung, aller Schwierig⸗ keiten Herr geworden zu sein und ein großes Werk geschaffen zu haben. Tatsächlich wird die schon vorhandene Komplikation dadurch nur noch verschlimmert, und der einfache Arbeiter kann sich da un⸗ möglich zurecht sinden. Dr. Fleischer hält es geradezu für ein Glück, daß die Arbeitersekretäre ausgeschlossen sein sollen. Dadurch kommt der Verletzte in den allergrößten Nachteil gegenüber der Berufsgenossenschaft. Was nützt es dem Verletzten, wenn er zwar seine Großmutter mitbringen kann, nicht aber jemand, der die Arbeiterinteressen auf Grund vielseitiger Erfahrungen wahrzunehmen versteht? Was dem Vertrauensmann der Berufsgenossenschaft recht ist, muß dem Arbeitersekretär billig sein; sonst müßte auch die Berufsgenossenschaft bei der Verbandlung vor dem Versicherungsamt unvertreten bleiben. Weshalb ignoriert die Mehrheit, daß auch

die Berufsgenossenschaften die Regelung nach den Vorschlägen der

Kommission in diesem Punkte ablehnen? Der „unparteiische“ Ver⸗ sicherungsamtmann ů doch in Preußen der Landrat, der Helfer der Verletzten, also zugleich Vertreter der landwirtschaftlichen Berufs⸗ genossenschaft; wie eigenartig muß eine solche Personlichkeit kon⸗ struiert sein, wenn sie nach beiden Seiten gerecht abwägen soll! Die selbständigen Versicherungsämter sind ja durch die Kommission be⸗ seitigt und dafür die unteren Verwaltungsbehörden eingesetzt worden; in die Landkrankenkassen werden ja die Arbeitervertreter von den Arbeitgebern gewählt. Auch bezüglich der Rentenkürzung ist das neue Verfahren ein Nachteil für die Verletzten gegenüber dem jetzigen Rechtszustand.

Abg. Becker⸗Arnsberg (Zentr.): Die letztere Behauptung ist nicht richtig; die heutige Bestimmung wegen der Kürzung der Renten nach der Schutzfrist von 5 Jahren mußte ausgemerzt werden, gerade um den Verletzten gegen heute nicht schlechter zu stellen. s2 Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.) erklärt diese Deduktion für hin⸗ fällig.

Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Dr. Mugdan und Becker⸗Arnsberg werden die Kommissionsvorschläge nach Ablehnung der Anträge Albrecht angenommen.

§§ 1597 ff. betreffen die „Feststellung im Spruchverfahren“ und zwar zunächst vor dem Versicherungsamt (Vorverfahren, mündliche Verhandlung). 8

§ 1615 wird mit einem redaktionellen Verfassungsantrag Dröscher angenommen.

Die Kommission hat einen neuen § 1619b eingefügt: „Der Vorsitzende kann in allen Sachen ohne mündliche Verhandlung eine Vorentscheidung treffen.“

Abg. Molkenbuhr (Soz.) beantragt, diese Bestimmung zu

streichen.

Der Antrag wird abgelehnt.

Nach § 1620 a, von der Kommission eingefügt, entscheidet der Vorsitzende in öffentlicher mündlicher Verhandlung allein über Leistungen der Krankenversicherung, wenn es sich handelt um: 1) lediglich rechnerische Feststellung der Dauer und Höhe der Krankenhilfe, 2) Gewährung der. Krankenhauspflege an Stelle der Krankenhilfe, 3) Sterbegeld, 4) Leistungen im Ge⸗ samtwert von weniger als 50 ℳ.

Ein Antrag Albrecht, die Ziffer 4 zu streichen, wird ab⸗ gelehnt.

§§ 1638 ff. betreffen das „Verfahren vor dem Ober⸗ versicherungsamt“.

Nach § 1639 a ist in Sachen der Seeunfallversicherung

für die Zuständigkeit des Oberversicherungsamts der Heimat⸗

hafen desjenigen Fahrzeuges oder der Sitz desjenigen Betriebes maßgebend, in dem der Unfall sich ereignet hat. Ist der Heimathafen nicht im Bezirk eines Oberversicherungsamts be⸗ legen, so ist die Berufung bei dem für den Sitz der See⸗ C zuständigen Oberversicherungsamte zu erheben.

Abg. Schwartz⸗Lübeck (Soz.) beantragt, diese Bestimmung zu streichen.

er Antrag wird abgelehnt.

Nach § 1645 ist die Spruchkammer nicht deshalb beschluß⸗ unfähig, weil außer dem Vorsitzenden nur je ein Beisitzer aus den Arbeitgebern und Versicherten erschienen ist. Sind drei Beisitzer erschienen, so scheidet aus der doppelt besetzten Gruppe der dem Lebensalter nach jüngere aus.

Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.) will diese Bestimmung streichen.

Der Antrag wird verworfen.

§§ 1651 ff. regeln das Verfahren vor dem Reichs⸗ versicherungsamt.

Nach § 1651 der Kommissionsbeschlüsse ist gegen die

Urteile der Spruchkammern in Sachen der Krankenversicherung sa der Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversicherung Revision zulässig. b Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.) begründet einen Antrag Albrecht, in Kranken⸗ und Unfallversicherung den Rekurs wie bisher zuzulassen, Laage wenigstens auch für die Unfallversicherung die Revision zu⸗ zulassen. b 8

Die Anträge werden abgelehnt. 8 8

Nach § 1657 soll der Rekurs gegen die Urteile der Spruchkammern in Sachen der Unfallversicherung ausgeschlossen sein u. a. bei Neufeststellung von Dauerrenten wegen Aende⸗ rung der Verhältnisse.

Abg. Dr. Mugdan (fortschr. Volksp.) beantragt, diese Be⸗ stimmung zu streichen.

Ein gleicher Antrag liegt von dem Abg. Albrecht vor.

§ 1657 wird aufrecht erhalten.

88 1662—1665 (Zuständigkeit des Reichsversicherungs⸗ amts bezw. der Landesversicherungsämter) werden mit einigen Amendements Schultz und Genossen, die der Abg. Schickert (dkons.) kurz begründet, im übrigen nach den Kommissions⸗ anträgen genehmigt.

Der Rest des sechsten Buches bis inkl. § 1754 wird ohne Debatte nach den Kommissionsbeschlüssen angenommen, nachdem auf eine Anfrage des Abg. Hausmann (nl.) der

Direktor im Reichsamt des Innern Caspar erklärt hat, daß eine Absicht, die technischen Senate abzuschaffen, niemals bestanden hat.

Die von der Kommission vorgeschlagenen Resolutionen werden mit einem Amendement angenommen.

Damit ist um 3 Uhr 10 Minnten die zweite Lesung des Entwurfs einer Reichsversicherungsordnung bis auf § 1341 abgeschlossen. Die namentliche Abstimmung über diesen Para⸗ graphen wird erst um 5 Uhr stattfinden.

Es folgt die erste Lesung des schwedischen Handels⸗ vertrags.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Stacrtssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:

Meine Herren! Sie wissen, daß der mit Schweden abgeschlossene Handelsvertrag vom 8. Mai 1906 ursprünglich nur eine Geltungs⸗ dauer haben sollte bis zum 31. Dezem ber 1910. Die relativ kurze Zeit, für welche dieser Vertrag abgeschlossen war, erklärt sich daraus, daß Schweden bereits damals einen Zolltarif in Vorbereitung hatte, der eine erhebliche Erhöhung des gesamten Zollschutzes für Schweden bringen sollte, und sich demeun tsprechend die Möglichkeit offenhalten wollte, nach Fertigstellung diesers Tarifs alsbald auf dessen Grundlage einen neuen Handelsvertrag abzuschließen. Der stark protektionistische neue schwedische Tarif ist inzwischen Gesetz geworden und tritt mit dem 1. Dezember 1911 in Kraft. Bei dieser Sachlage würde ein Vakuum eingetreten sein, wenn der jetzt geltende Handels⸗ vertrag, wie ursprünglich vereinbart, bereiks am 31. Dezember 1910 außer Kraft getreten wäre. Die deutsche und die schwedische Regie⸗ rung haben sich dementsprechend in Uebereinstimmung mit einem Beschluß dieses hohen Hauses dahin geei aigt, daß der jetzige Handels⸗ vertrag fortdauern soll, bis der neue schwepische Tarif in Kraft tritt. Die

74 hierdurch gewonnene Zeit ist benutzt worden, um einen neuen Handelsvertrag it Schweden zu vereinbaren; und Sie sehen, daß diese Zeit kageh ausgereicht hat, um diesen neuen Vertrag so rechtzeitig zum Abschluß zu bringen, daß er noch die Genehmigung des deutschen und des schwedischen Parlaments erlangen konnte. 3

Der neue Vertrag ist Ihnen und der Oeffentlichkeit alsbald nach seinem Abschlusse bekannt geworden durch die unter dem 3. d. M. erfolgte Wiedergabe in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“. In derselben Nummer sind auch eine Reihe von Aus⸗ führungen zur Begründung und Erläuterung des Vertrags enthalten sodaß ich hoffe, Sie werden in der Lage sein, alsbald in eine Beratung des Vertrages einzutreten. Ich bin jedenfalls meinerseits bestrebt gewesen, den Vertrag der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen, soͤbald als dies nach Lage der Verhältnisse irgend möglich war. Ich darf mit Rücksicht hierauf mich heute wohl auf einige kurze einführende Betrachtungen zu dem Vertrage beschränken und speziellere Erörterungen den Verhandlungen der Kommission überlassen, welcher der Vertrag wohl überwiesen werden wird.

Meine Herren, wenn Sie auf die Zeit zurückschauen, während welcher der abgelaufene Handelsvertrag mit Schweden in Gültigkeit ist, so werden Sie Sie finden die speziellen Daten in der Ihnen vorliegenden Denkschrift zu dem Ergebnis kommen, daß sis die Handelsverhältnisse zwischen Deutschland und Schwed in dieser Zeit nicht ungünstig entwickelt haben. 0 Jahre 1910 um nur diese Zahlen zu geben hat

die deutsche Einfuhr aus Schweden 164 Millionen Mar

die deutsche Ausfuhr nach Schweden 190 Millionen Mark betrag Die letzte Ausfuhrziffer ist die bedeutendste, die bisher im Verk mit Schweden erreicht wurde, die Einfuhr wird nur von der des Jahres 1907, die um eine Kleinigkeit höher gewesen ist, etwas ük troffen. Wenn Sie diese beiden Zahlen neben einander halten, so werden Sie das ist charakteristisch für die Lage sehen, daß unsere Handelsbilanz mit Schweden um 26 Millionen Mark aktiv ist. Immerhin geben diese Zahlen allein kein richtiges Bild von der handelspolitischen Situation zwischen Schweden und uns; man muß, um diese Situation richtig und voll beurteilen zu können, sich noch einige andere Momente und Zahlen vor Augen führen.

Die Ausfuhr von Schweden nach Deutschland und die deutsche Ausfuhr nach Schweden spielt, verglichen mit dem schwedischen Ge⸗ samthandel, für Schweden eine weit größere Rolle als für Deutsch⸗ land. Von der schwedischen Gesamteinfuhr entfielen im Jahre 1909

allein etwa 35 % auf die Einfuhr aus Deutschland, und von der ge⸗

samten schwedischen Ausfuhr gingen in diesem Jahre 21 % nach

Deutschland. Wenn Sie die Zahlen unseres Handelsverkehrs mit

Schweden mit dem gesamten deutschen Außenhandel ver⸗ gleichen, so wekden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, für Schweden der Verkehr mit Deutschland in der Tat eine größere Rolle spielt als für uns. Immerhin dürfen wir nicht vergessen, daß gewisse deutsche Ausfuhrartikel, namentlich solche landwirtschaftlicher Art, in Schweden ihr natürliches Absatzfeld haben, und daß insofern und soweit diese Güter in Betracht kommen, das deutsche Interesse größer ist, als es nach den eben ven mir angegebenen Zahlen erscheint. Der schwedische Absatz nach Deutschland besteht überwiegend in Rohstoffen und Halbfabrikaten⸗ die wir industriell weiter verarbeiten, während Deutschland überwiegend Fertigfabrikate nach Schweden liefert. Aber auf der andern Seite besteht ein ganzes Drittel der schwedischen Einfebr nach Deutschland in Eisenerzen, an deren gesichertem Fortbemn unsere Industrie in hohem Maße interessiert ist. Wenn man die Zahlen und Erwägungen objektiv würdigt, so wird man zu dem Er⸗ gebnis kommen, daß die beiderseitigen Interessen an den Zustandekommen dieses Vertrages balanzieren. Es fragt sich nur⸗ wie sich diesen balanzierenden Interessen gegenüber die Chancen des Kampfes um das Zustandekommen des Vertrags stellten, und da ist es vielleicht nicht uninteressant, wenn ich darauf aufmerksam mache, daß unsere ursprüngliche Forderungsliste zum schwedischen Zolltarif, als unsere Verhandlungen begannen, sich auf, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, rund 500 Positionen bezog, während auf schwedischer Seite etwa nur der sechste Teil von Forderungen erhoben wurde.

Die Schwierigkeiten, die sich aus der Sachlage für uns ergaben, lagen darin, daß Schweden auf Grund eines neuen, gegen die bis⸗ herigen Zollsätze außerordentlich erhöhten Zolltarifs verhandelte, daß also der Kampf sich in erster Linie drehen mußte um eine Herabsetzung der Sätze des neuen schwedischen Tarifs, daß aber die Möglichkeit, eine Herabsetzung der schwedischen Zölle unter den status quo zu er⸗ reichen, für uns sehr schwierig war. Der Vertrag ist unter diesen Umständen das Ergebnis einer Summe von Kompromissen, die nach endlosen und zähen Kämpfen von beiden Seiten zustande gekommen sind. Im einzelnen möchte ich auf folgendes hinweisen.

In den allgemeinen Abmachungen zum Vertragstert werden Sie die Erfüllung manchen Wunsches vermissen und ich tue das mit Ihnen —, der über den bestehenden Zustand hinausging. Dahin rechne ich in erster Linie, daß es uns nicht gelungen ist, eine Herabsetzung der Patentgebühren für die Handlungsreisenden zu er⸗ reichen. Auf der anderen Seite ist es aber, wie ich schon ansführte, im wesentlichen gelungen, hier den status quo aufrechtzuerhalten. Das gilt insbesondere von den Abmachungen über den Betrieb von Handel, Gewerbe und Schiffahrt, über Erwerb und Veräußerung von bereg⸗ lichem und unbeweglichem Vermögen, über die wechfelseitige An⸗ erkennung der Aktien⸗ und anderen kommerziellen, industriellen un finanziellen Gesellschaften, einschließlich der Versicherungsgesellschaften⸗ Es gilt das ferner von der Zulassung der Handlungsreisenden, den dabei zu entrichtenden Abgaben und zu beobachtenden Formalitäten, von dem Musterverkehr und der Zulassung des Reisens mit unpunzierten Edelmetallwarenmustern, von der Behandlung arsenikhaltiger Waren, sowie von den detaillierten Bestimmungen, die unserer an dem Verkehr mit Schweden bekanntlich sehr stark beteiligten Schiffahrt die Gleich⸗ stellung mit der schwedischen Flagge oder doch die Meistbegünstigung sichern sollen.

Nicht zu unterschätzen ist in diesem Teile des Vertrags die Zusage, daß Schweden während der Dauer des neuen Handelsver⸗ trags die Eisenerze nicht mit einem Ausfuhrzoll belegen darf⸗ Daruͤber hinaus hat Schweden sich verpflichtet, während der Vertragsdauer eine Aenderung der Verträge des schwedischen Staates mit den Vg gesellschaften zu unseren Ungunsten nicht eintreten zu lassen. ch er

achte dies für ein sehr wertvolles Zugeständnis, das zu erlangen 8g ¹möglich gewese

Gegenstand eingehender Erörterung in den Verhandlungen mit Schweden ist ferner die Anwendung der schwedischen Import⸗ vermerkverordnung gewesen. Die bisherige Handhabung der schwedischen Bestimmungen hat unserer Industrie zu erheblichen und berechtigten Beschwerden Anlaß gegeben. Wir haben auf Grund der Verhandlungen und der uns gemachten Zusagen die Hoffnung, daß auf diesem Gebiete eine wesentliche Besserung eintreten wird und ein Zustand, der den berechtigten Wünschen unserer Exporteure entspricht.

Was nun die Zugeständnisse Schwedens auf dem Gebiete seines Zolltarifs anlangt, so habe ich schon vorher darauf hingewiesen, daß wir uns hier nach Lage der Verhältnisse in der Hauptsache damit haben begnügen müssen, eine Reduktion des neuen Zolltarifs zu er⸗ reichen, daß es uns aber nicht vergönnt gewesen ist, die Aufrechter⸗ haltung des status quo in vielen Fällen oder gar eine Ermäßigung unter den status quo zu erzielen. Immerhin haben wir auch in letzterer

Hinsicht eine Reihe von Erfolgen zu verzeichnen. Ich rechne dahin die

Ermäßigung unter den derzeitigen Zollstand für Porzellanperlen, Albums, Perlmutterwaren, Briefordner und Schnellhefter, gewisse Hartpapier⸗ waren, Masken, baumwollenen Nähzwirn, emaillierte Blechwaren, Fahrräder und Fahrradteile, Metalluhren mit Spielwerk, Steinnuß⸗ knöpfe und noch andere. Diese Zugeständnisse werden zweifellos von den betreffenden Industrien mit Freude begrüßt werden. Immerhin ist der wichtigere Teil unserer Erfolge auf diesem Gebiete in der doch zum Teil nicht unerheblichen Herabdrückung des neuen autonomen schwedischen Zolltarifs zu suchen

Die Bedeutung der Verhandlungen in dieser Hinsicht darzustellen und zu verstehen, ist nicht ganz leicht, schon weil infolge der völlig veränderten Systematik des schwedischen Zolltarifs erhebliche Ver⸗ schiebungen eingetreten sind, insofern Artikel derselben Branche in dem neuen Zolltarif in Positionen gekommen sind, die für sie teils eine Ermäßigung, teils eine Erhöhung bedeuten. Immerhin ist es uns gelungen, für 250 Positionen des schwedischen Tarifs Zollherab⸗ setzungen zu erreichen. Abgesehen davon sind Sie werden das finden, wenn Sie den Vertrag genauer ansehen eine erhebliche Menge von Anmerkungen zum Tarif vereinbart, die im Erfolge be⸗ trächtlichen zolltarifischen Zugeständnissen gleichkommen. Ich will, ohne behaupten zu wollen, daß ich damit ein erschöpfendes Bild der erzielten Ergebnisse mitteile, hier auf folgendes aufmerksam machen. Es beträgt die vertragsmäßige Ermäßigung: für Hopfen 66 %, für Lederhandschuhe 25 %, für Täschnerwaren 33 %, für Papierwaren 25 %, für Ansichtskarten und Glückwunschkarten, je nach der Bearbeitung 33, 50 und 75 %, andere Erzeugnisse der Bilddruckmanufaktur vielfach 25 bis 70 %, ganz⸗ und halbseidene Gewebe 40 %, wollene Gewebe in großem Umfang 30 %, gemusterte Leinengewebe, feinere 20 %, bei Baumwollsamt 30 und 44 %, bei gemusterten Baumwollgeweben zumeist 20 und 23 %, bei gewirkten Handschuhen 20 %, bei Korsetts 20 %, bei Tüllstickereien 19 %, bei seidenen Kleidern 25 und 30 %, bei halbseidenen Kleidern 31 und 35 %, bei baumwollenen Kleidern großenteils 24 und 30 %, bei Platten und Packungen aus Kautschuk 31 %, bei Fahrradschläuchen aus Kautschuk 75 %, bei Kautschuk⸗ waren 20 %, bei Luxusgegenständen aus Porzellan und Majolika 40 und 70 % bei wichtigen Artikeln der Kleineisenindustrie 20 %, 33 % und mehr, bei Taschen⸗ und Federmessern 31 %, bei Gas⸗ und Petroleum⸗ motoren teilweise 20 und 40 %, bei Metallbereitungsmaschinen teil⸗ weise 20 %, bei Näh⸗ und Strickmaschinen großenteils 20 %, bei klektrischen Maschinen bis zu 20 % und mehr, bei Akkumulatoren 40 %, bei Blei⸗ und Farbstiften 30 %, bei Barometern, Thermo⸗ metern und Wassermessern 50 %, bei Akkordeons 50 %, bei Phono⸗ graphen 33 %, bei Metalluhren 47 % und bei Spielzeug 40 % des neuen autonomen schwedischen Tarifs.

Meine Herren, es ist nicht leicht gewesen Ermäßigungen des in seiner Gesamtheit sehr hohen neuen schwedischen Tarifs in einem Umfang zu erzielen, die nach dem Gutachten unserer Sachverständigen und unserer Interessenten diesen den Import ihrer Produkte nach Schweden noch sicherstellen werden.

Außer diesen 250 Herabsetzungen haben wir aber auch 200 Bin⸗ dungen der neuen Zollsätze erreicht. Auch diese Bin⸗ dungen sind Gegenstand heftiger Kämpfe gewesen. Sie sind zum Teil von unseren Interessenten stürmisch verlangt und deshalb von uns vertreten worden; allerdings ist schließlich die Wahrscheinlichkeit von Zollerhöhungen während der Dauer der neuen Vertragsperiode gering, und jede Bindung von seiten Schwedens wurde uns natürlich als eine Konzession bewertet.

In 7 Fällen sind wir so vorsichtig gewesen, an Stelle der nicht zu erreichenden Bindung des bestehenden Zollsatzes wenigstens die Höhe zu vereinbaren, über die hinaus während der Vertragsdauer Zollerhöhungen nicht eintreten dürfen.

Mit diesen Bindungen und Ermäßigungen wird aber in der

Totalität das Ergebnis unserer Verhandlungen noch nicht erschöpft;

denn es liegt in der Systematik des schwedischen Tarifs, daß die hier von uns errungenen Erfolge auch für eine Reihe anderer nicht besonders aufgeführter Artikel ihre Wirkung haben werden. Der Ausfuhrwert der durch diese Ermäßigungen und Bindungen stabilisierten Positionen des Zolltarifs berechnet sich für das Jahr 1909 auf 107 ½ Millionen Mark, d. h. auf 69 % unserer Gesamtausfuhr nach Schweden. Bei dem vorigen Vertrage betrug der Wert der deutschen Ausfuhr in den durch Fest⸗ legungen gesicherten Artikeln nur 55 % unserer Gesamtausfuhr. Dabei muß berücksichtigt werden, daß der restierendende, von unseren Abmachungen nicht getroffene Teil unseres Exports wesentlich auf Waren entfällt, die Schweden selbst zu seiner Produktion bedarf, wie Wolle, Häute, Kohlen, Staßfurter Salz und dergleichen mehr, für die also ohnehin eine Zollerhöhung nicht in Aussicht steht.

Was nun die Zugeständnisse bei dem deutschen Tarif an Schweden betrifft, so liegt die Masse unserer Zugeständnisse bereits in der Gewährung unserer Meistbegünstigung, und auch darin ug für uns eine Schwierigkeit bei den Verhandlungen, weil wir diese Neistbegünstigung nur als Ganzes und nicht in einzelnen Teilen zu ver⸗ geben in der Lage waren. Ueber die Meistbegünstigung hinaus sind Schweden im allgemeinen dieselben Sonderzugeständnisse zugebilligt, die ihm schon nach dem jetzigen Vertrag zustanden. Dahin gehört in erster Linie die Zollfreiheit der Preißelbeeren unter Ausdehnung auf die ohne Zucker eingekochten, die Ermäßigung für Tinte, Kautschukschuhe, Klinker, verzinkten Draht, Pferderechen, Wagenfedern, Hufnägel, Milchentrahmungsmaschinen, insbesondere aber die Zollfreiheit für Pflastersteine und der Satz von 4 für Türen und Fenster und andere groben Tischlerwaren in dem birsherigen

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Ausmaß. Nur diese beiden letzteren Konzessionen, die aber die Aufrecht⸗ erhaltung des status quo bedeuten, sind für uns von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.

Dem hohen Hause sind die Klagen unserer Hartsteinindustrie und insbesondere unserer Pflastersteinindustrie zur Genüge be⸗ kannt, und auch die verbündeten Regierungen haben sich redlich bemüht, diesen Klagen wenigstens insoweit Rechnung zu tragen, als ein mäßiger Zollsatz entgegen dem jetzt bestehenden Zustande der Zollfreiheit für die Pflastersteine zu erringen versucht wurde. Aber in diesem Punkte, um den sich der Kampf bis zur letzten Stunde gedreht hat, war Schweden unerschütterlich, und es war auch in der Lage, uns glaubhaft zu machen, daß gerade in dieser Position und in der Position der groben Tischlerwaren für Schweden die beiden Konzessionen lagen, die für seinen Reichstag die Annahme eines Vertrags möglich machen würden.

Nun haben wir uns ja wohl sagen müssen, daß, wenn auch die in Betracht kommende Menge der Pflastersteine immerhin einen nicht sehr erheblichen Teil unserer Gesamteinfuhr aus⸗ macht es sind, wenn ich nicht irre, 8,3 Millionen Mark —, es doch immerhin außerordentlich hart für die beteiligten Industrien sein mußte, wenn hier nicht geholfen werden konnte. Auf der anderen Seite haben wir uns aber auch die Frage vorlegen müssen, ob wir etwa an der Unmöglichkeit, hier eine Verbesserung des status quo zu erzielen, den Vertrag scheitern lassen sollten, und diese Frage haben wir aus einer ganzen Reihe von Gründen geglaubt verneinen zu müssen.

Zunächst, meine Herren, muß man sich die Frage vorlegen, ob denn ein so mäßiger Zoll, wie er eventuell in Betracht gekommen wäre es würde sich in Wirklichkeit um 20 Pfennige für den Dopelzentner gehandelt haben überhaupt geeignet sein würde, der notleidenden Industrie tatsächlich zu helfen. Diese Frage ist von einer Reihe von Sachverständigen aus guten Gründen verneint worden. Man hat meines Erachtens nicht mit Unrecht darauf hingewiesen, daß die Lage der schwedischen Brüche, die Qualität und Größe ihres Vorkommens, die billigen schwedischen Arbeitslöhne schon jetzt den Schweden für den Nordosten und Norden Deutschlands eine Monopol⸗ stellung geschaffen haben, die bei Durchführung einer Syndizierung und bei Verbesserung der Produktionsmethode den Schweden wahrscheinlich die Möglichkeit bieten würde, ihre Absatz⸗ gebiete im Norden Deutschlands im vollen Umfange auf⸗ rechtzuerhalten und sich für die geringeren Preise, die Schweden eventuell genötigt sein würde, in dem Konkurrenz⸗ gebiete unserer eigenen Industrie zu nehmen, durch höhere Preise bei den Abnehmern in unseren nordöstlichen und nördlichen Gebieten schadlos zu halten.

Man hat ferner darauf hingewiesen, daß ohnehin bei einem großen Teil unserer Kommunen das Bestreben besteht, zu einer anderen Befestigung der Straßen überzugehen, und daß man diesen der Pflaster⸗ steinindustrie unerwünschten Prozeß unter Umständen beschleunigen würde, wenn man durch einen Zoll die Preise für diese Materialien noch erhöhen würde. Endlich hat man sich gesagt, daß man doch die sehr beweglichen Petitionen einer großen Anzahl von Kommunen und wegeunterhaltungspflichtigen Verbänden aus dem Nordosten und Norden unseres Vaterlandes nicht völlig außer Betracht lassen könnte. Es ist Ihnen ja allen bekannt, daß unsere nordöstlichen und nördlichen Kreise, Provinzen und Städte ohne das schwedische Material eigentlich nicht mehr in der Lage sind, ihre Straßen sachgemäß und zu einem angemessenen Preise zu unterhalten.

Alle diese Erwägungen, zu denen noch der Umstand tritt, daß an der Aufrechterhaltung des bisherigen Imports auch unsere Schiffahrt ein erhebliches Interesse hat, haben schließlich dahin den Ausschlag gegeben, daß wir uns gesagt haben, wir würden an einer Maßnahme, deren Erfolg zum mindesten zweifelhaft sein würde, an einer Maß⸗ nahme, die unter Umständen andere Interessentenkreise schädigen würde, einen Vertrag wie diesen, der für unsere gesamte Industrie immerhin von einer erheblichen Bedeutung ist, nicht scheitern lassen können.

Wir sind aber bestrebt gewesen, den Schädigungen, die unsere Hartsteininteressenten befürchten, insoweit zu mildern, als wir uns bemüht haben, in anderen Positionen der Hartsteinindustrie eine Besserung des bisherigen Zustandes herbeizuführen, und diese Versuche, meine Herren, sind von Erfolg gekrönt gewesen. Es ist uns insbesondere gelungen, eine Erhöhung des Zolles bei einem nicht unwichtigen schwedischen Einfuhrartikel der Steinindustrie zu erreichen, nämlich bei den Bordsteinen. Hier ist der Zoll von 25 auf 35 pro Doppelzentner gegen den bisherigen Ver⸗ tragszoll erhöht worden. Für die schlicht bearbeiteten anderen Stein⸗ metzarbeiten aus Granit, wie Fensterbänke, nicht profilierte Gesims⸗ steine u. dergl. ist ein Zoll von 60 statt bisher 50 vereinbart worden.

Was die Aufrechterhaltung des status quo für die Tischler⸗ waren anlangt, so haben auch hier ähnliche Erwägungen uns dazu führen müssen, den Vertrag an dieser Frage nicht zum Scheitern kommen zu lassen, wobei wohl zu bemerken ist, daß der jetzige Zu⸗ stand, wie er in den neuen Vertrag übergeht, immerhin eine Besser⸗ stellung dieser Industrie um 33 ½ % bedeutet gegenüber dem Zustand, vor Inkrafttreten des deutschen Zolltarifs vom Jahre 1902.

Es ist im übrigen auch gelungen, auf anderen Gebieten Zoll⸗ herabsetzungen nicht wieder an Schweden zu bewilligen. Das ist geschehen bei Kalziumazetat, bei gereinigtem Holzgeist, bei Hufeisen und bei Drahtseilen. Ebenso ist von Bedeutung die Regelung, welche die Frage der sogenannten Packpapierklausel erfahren hat. Diese Klausel, nämlich die im deutsch⸗österreichischen Handelsvertrag verein⸗ barte Anmerkung zu den Nrn. 654 und 655 des deutschen Tarifs über den Begriff des Packpapiers, die sich auch in dem jetzigen Vertrage mit Schweden findet, ist in dem neuen Vertrage nicht wieder ent⸗ halten. Das bedeutet, daß Schweden diese Klausel nicht mehr aus eigenem Rechte besitzt, sondern nur in dem Umfange, wie sie ihm auf Grund der Meistbegünstigung mit Rücksicht auf den deutsch⸗ österreichischen Handelsvertrag zusteht. Die Folge davon ist also, daß Schweden gegen sich diejenige Interpretation dieser Bestimmung gelten lassen muß, die der deutsch⸗ österreichische Handels⸗ vertrag in diesem Punkte erfährt; diese weicht aber bekanntlich er⸗ heblich ab von der Interpretation, die Schweden seinerseits der ihm in dem bisherigen Handelsvertrage gleichfalls zugebilligten Anmerkung geben wollte. Diese Regelung entspricht dem ausdrücklichen Wunsche einer erheblichen Mehrheit unserer Papierproduzenten. 1“

Alles in allem wird man sagen können, daß es uns gelungen ist, die von uns zu vertretenden Interessen in dem Umfange zu wahren, wie es nach Lage der Verhältnisse möglich war. Ueber das bisherige Maß hinaus sind Schweden Konzessionen nur in unerheb⸗ lichem Umfange für gewisse Spezialitäten gemacht. Es ist herab⸗ gesetzt der Zoll auf die sogenannten Isländer Jacken und auf nasse Holzmasse, Zugeständnisse, die wirtschaftlich unbedenklich sind; ferner sind Vergünstigungen auf dem Gebiete der Großeisenindustrie ein⸗ geräumt worden, nämlich für Knüppel, Rohschienen, Stabeisen, Bandeisen und Draht, die durchgehends auf technischen Erwägungen beruhen und im Hinblick auf den Stand unserer eigenen Produktion wirkschaftlichen Bedenken nicht begegnen, teilweise aber auch, wie beispielsweise bei den Zugeständnissen für Bandeisen und den sogenannten Silberstahl, den mit Nachdruck vertretenen Wünschen unserer eigenen Verarbeiter entsprachen.

Meine Herren, ich will Sie mit weiteren Einzelheiten über den Vertrag hier nicht länger aufhalten. Ich hoffe, daß ich durch das, was ich auszuführen die Ehre hatte, Ihnen ein ungefähres Bild ge⸗ geben habe über die Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, über das, was wir erreicht haben, und über den Wert des Er⸗ reichten. Ich hoffe, daß die Verhandlungen in der Kommission Ihnen die Ueberzeugung geben werden, daß unsererseits geschehen ist, was geschehen konnte, und daß der Vertrag Ihre Zustimmung finden wird. Ich hoffe das um so mehr, als, worauf ich auch jetzt noch einmal hinweisen möchte, bei diesem Vertrage nicht nur der Wirtschaftliche Ausschuß in einem weiteren Umfange in den ver⸗ schiedenen Stadien der Verhandlungen beteiligt gewesen ist als früher und Mitglieder des Wirtschaftlichen Ausschusses in allen Stadien der Verhandlungen in Stockholm wie in Berlin zugezogen gewesen sind, sondern auch den Interessenten und Sachverständigen aus den Kreisen aller beteiligten Industrien die Möglichkeit, ihre Wünsche zu äußern, mündlich und schriftlich, durch Besprechungen an Ort und Stelle in Gegenwart der Mitglieder des Wirtschaftlichen Ausschusses oder unter deren Mitwirkung, in viel weiterem Maße gegeben war, als das früher irgend einmal der Fall gewesen ist. Ich hoffe, Sie werden mindestens die Ueberzeugung gewinnen, daß wir es an Sorgfalt und Mühe bei der Vorbereitung dieses Vertrags nicht haben fehlen lassen.

Abg. Speck (Zentr.): Der zweite Teil des vorigen Kalenderjahres hat unzweifelhaft einen industriellen Aufschwung zu verzeichnen, der sich in die ersten Monate dieses Jahres fortgesetzt hat. Unsere Ausfuhr ist stärker gewachsen als die Einfuhr, und unsere Handels⸗ bilanz hat sich entsprechend verbessert. Auch unser Handel mit Schweden kommt dabei in Betracht. Es ist außerordentlich charakteristisch, wie sich seit dem neuen Handelsvertrag mit Schweden, der jetzt dem Ablauf nahe ist, die Gesamthandelsziffern verschoben haben; bedauerlich aber gerade Schweden gegenüber ist, daß die Ausfuhr nicht in gleichem Maße wie die Einfuhr gewachsen ist. Der Ueberschuß des deutschen Exports über den schwedischen ist nach der deutschen Statistik auf 23 Millionen zurückgegangen. Bekanntlich bestehen indes in der Handelsstatistik zwischen uns und Schweden infolge der verschiedenen Abschreibungen des überseeischen Exports ganz erhebliche Abweichungen. Unser Handelsvertrag mit Schweden war immerhin für unsere Handelsbilanz von Vorteil. Wenn auch der Gesamtverkehr mit Schweden etwas geringfügig er⸗ scheint, so haben wir doch alles Interesse, günstige Handels⸗ beziehungen auch in Zukunft zu Schweden zu besitzen. Der Außenhandel mit Schweden wird auch in den nächsten Jahren sich aufsteigend entwickeln, leider aber wohl mehr zugunsten Schwedens, insbesondere, nachdem wir bei den neuesten Vertrags⸗ verhandlungen Schweden größere Konzessionen gemacht haben. Eine Verschlechterung unserer Handelsbilanz mit Schweden würde ja auch auf unsere Zahlungsbilanz nachteilig zurückwirken. Der Staats⸗ sekretär suchte die Vorteile, die wir bei diesen Verhandlungen er⸗ reicht haben, in möglichst günstigem Lichte erscheinen zu lassen; aber in den weitesten Kreisen wird man die Meinung nicht teilen, daß dieser Handelsvertrag für Deutschland ein Vorteil ist. Deutschland ist dabei mehr der gebende, Schweden mehr der empfangende Teil. Auch in Regierungskreisen scheint man nicht allzu⸗ fehr davon überzeugt zu sein, daß dieser Handelsvertrag eine große Tat ist. Wichtige deutsche Interessen sind preisgegeben worden, so die der Hart⸗ und Pflastersteinindustrie. Gewiß waren die Verhält⸗ nisse für die deutschen Unterhändler ungünstig gelagert, die mit einem Lande zu verhandeln hatten, das soeben einen hoch⸗ schutzzöllnerischen Tarif aufgestellt hatte, dazu kommt, daß wir durch die frühere Gewährung der Meistbegünstigung an die anderen Vertragsstaaten Schweden gegenüber diese wichtigste Waffe nicht mehr zur Verfügung hatten. Schweden seinerseits befand sich aber insoweit in minder günstiger Position, als die Ausfuhr Schwedens nach Deutschland in der schwedischen Statistik eine ganz andere Rolle spielt als die deutsche nach Schweden. Immerhin hat man bei den Verhandlungen den Wünschen des Reichstages in dankenswerter Weise Rechnung getragen, wenn auch Klage darüber geführt wird, daß die Unterhändler wohl schwedische, aber nicht deutsche Pflastersteinbrüche besichtigt haben. Daß die überwiegende Mehrheit des Wirtschaft⸗ lichen Ausschusses den Vertrag für Deutschland als förderlich er⸗ klärt hat, wird wohl nur gelten können, wenn man das Wort „förder⸗ lich“ relativ nimmt. Falsch ist der Standpunkt, daß man Schweden einen selbstverständlichen Anspruch auf die Meistbegünstigung zu⸗ spricht. Gewiß haben wir auch von Schweden die Meistbegünstigung konzediert bekommen, aber der Wert beider ist sehr ungleich, die Konzession Schwedens an Deutschland ist gleich Null, weil Schweden noch keinen anderen Meistbegünstigungsvertrag abgeschlossen hat. Selbst bezüglich Norwegens ist ausgemacht, daß die Vergünstigungen, die dieses Schweden gewährt, dem Deutschen Reiche nicht ge’⸗ währt werden sollen. Ist es überhaupt richtig, die Meistbegünstigungs⸗ klausel auch künftighin in die Verträge mit allen anderen Staaten hineinzuschreiben? Es ist nicht richtig, dies ohne weiteres, ohne Gegenleistung den anderen Kontrabenten zu gewähren; wir müssen auf gleichwertige Gegenkonzessionen drängen. Indem wir Schweden die Holzpflasterzollermäßigung gewähren, erlangt sie auch Oesterreich auf Grund der Meistbegünstigung ohne jede Gegen⸗ leistung. Die große Zollermäßigung Schwedens auf Hopfen ist in Wirklichkeit keine, denn der Zollsatz von 10 Oeren bleibt unverändert. Bei der’ Erzeinfuhr hat die Regierung eine Schwenkung gemacht; die Erzeinfuhr aus Schweden soll mehr die frühere wirtschaftliche Bedeutung haben, entsprechend den Ausführungen, die hier früher der Abg. Vogel gemacht hat. Die Erzeinfuhr ist in den Monaten Januar bis April 1910 gegen 1909 um 10 Millionen Doppelzentner gestiegen, wovon ein großer Teil auf außerschwedische Länder kommt; wir sind also nicht mehr auf Schweden allein angewiesen. Mit dem neuen Vertrag ist alles in allem außerordentlich wenig erreicht worden. So ist es nicht gelungen, eine Ermäßigung der kolossalen Abgaben der Handlungs⸗ reisenden in Schweden zu erreichen. Die vom Staats⸗ fekretär erwähnten, von Schweden zugestandenen Zollerhöhungen haben zum Teil keine praktische Bedeutung, weil Schweden in diesen Artikeln gar nicht nach Deutschland exportiert. Alle wich⸗ tigen Forderungen, die wir an Schweden gerichtet haben, sind an dem schwedischen „Unannehmbar“ gescheitert, so der Preißelbeer⸗ und der Pflastersteinzoll. Nach unserem Standpunkt zur Schutz⸗ zollpolitik, der doch auch der der Regierung sein sollte, kann mar nicht damit einverstanden sein, daß, wie es in der Denkschrift heißt wirtschaftliche Bedenken gegen die Aufrechterhaltung der Zollfreihei⸗ für Preißelbeeren von keiner Seite erhoben worden seien. Ja gelten denn unsere Reichstagsverhandlungen für gar nichts?