1911 / 122 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

—n

Börsenplätzen

für die Woche vom 15. bis 20. Mai 1911

nebft ent

100o kg in Mark.

sprechenden Angaben für die Vorwoche.

anderes bemerkt.)

8

Ro gen, Wegben, Hafer,

Roggen,

Weizen, P

Hafer, badisch,

Gerste -

Roggen, Weizen,

Hafer, ungarischer ... erste, slovakische... Mais, ungarischer ...

Roggen, Wengen,

Hefr⸗ erste, Futter⸗ 1“A1X“X“X“

Roggen, Wetgen

Roggen Weizen

Hafer, englischer, weißer.

Gerste,

Mais

Weizen, Lieferungsware - e“ Mais EW11

Weizen

Weizen y

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner roduktenbörse = 504 Pfund engl. gerechnet; den Um 98 an 196 Merktorten des Königreichs ermittelten Durchschnitts⸗ (Gazette averages) ist 1 Imperial 312, Gerste = 400 Pfund enal. t; 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen

reise für einheimisches Getreide uarter Weizen = 480, Hafer =

angese englis

Weizen

B

lichen Durchsch

und Liverpool die Kurse auf Lo ir Ch. Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die burg, für Paris, Antwerpen und Preise in Buenos Aires unter B

8

Berlin.

guter, gesunder, mindestens 712 g das 1 755 g das 1 450 g das 1

Mannheim. Pfälzer, russischer, mittel..... älzer, russischer, amerik., rumän., mittel er, russischer, mittel. badische, russische

fälzer, mittel. utter⸗,

Wien. Pester Boden.

VEö6

Budapest. Mittelware.

Odessa.

71 bis 72 kg das hl.. Ulka 75 bis 76 kg das hl.

Riga.

71 bis 72 kg das hl.. 78 bis 79 kg das hl

lieferbare Ware des laufenden Monats bbEbkbbebe11I1X“

Donau⸗, mittel..

II““

roter Winter⸗ Nr. 2

Kalkutta Nr. 2 ..

Amsterdam.

6“” ““ Ode 8 amerikanischer Winter⸗ amerikanischer, bunt. NNvöxö

London.

engl. t. - (Mark Lane).

englisches Getreide, Mittelpreis aus 196 Marktorten (Gazette averages) 8

8 Liverpool.

b6““ mffisches⸗ BZEE11““

ee““; Kurrachee, weiß ... ebbeee“;

8 Schwarze Futter⸗ Kurrachee.

amerikan., bunt .. .

La Plata, gelber ..

Chiecago. I1111““

September

Neu York. roter Winter⸗ Nr. 2 . E b Lieferungsware LE“ September 2 T

Buenos Aires.

Woche

179,38

181,88 180,00 140,63

166,89 228,20 172,00

119,21

156,93 213,56 170,73 142,63 110,01

1097,62 143,86

114,65 146,27

156,85 232,04

154,29 151,07 161,54 157,92 156,14 157,51

¹)

157,74 154,10 152,70 138,55

158,59 157,88 163,76 144,09 132,34 127,64 113,71]

1170

147,14 137,04

„Durchschnittsware... Angaben liegen nicht vor. v“ Bemerkungen.

7

= 2400, Mais = 2000 kg.

ei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger“ ermittelten wöchent⸗ nittswechselkurse an der Berliner Börse zugrunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London f London, für Chicago und Neu Vork die Kurse auf St. Peters⸗ Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. ücksichtigung der Gold

Berlin, den 24. Mai 1911. 2

8* 8 Kaiserliches Statistisches Amt.

van der Borght.

für die aus den Um⸗

15./20. gegen Mai Vor⸗ 1911 woche

168,65 170,17 208,23 208,00 165,55 167,76

224,00 223,25

142,83

156,00

145,21

= 2100,

prämie.

Da⸗

180,00

181,25 180,00 140,00

166,87 229,03 173,69

121,75

155,81 213,62 172,15 142,61 108,98

110,14 144,30

117,51 147,59

153,2

223,92

156,73 151,09 161,16 160,19

136,77 135,71 88,14

151,82 149,43 147,67 145,77 100,16

Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung der Entwürfe eines Gesetzes über die Lothringens und eines Gesetzes über die Wahlen zur zweiten Kammer des Landtags für Elsaß⸗Lothringen.

Ueberzeugung beruhen, aufgeben würden. Vermehrt ist Ihr Wider⸗

Deutscher Reichstag. 182. Sitzung vom 23. Mai 1911, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Verfassung Elsaß⸗

Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen

Nummer d. Bl. berichtet worden.

Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Die Angriffe von der rechten Seite dieses Hauses kommen mir nicht unerwartet. Sie, meine Herren, haben von vorneherein die Vorlage abgelehnt, und ich habe mich niemals dem Glauben hingegeben, daß Sie die Bedenken, die auf grundsätzlicher

stand durch die Bundesratsstimmen. (Rufe: Sitzen! Glocke des Präsidenten.)

Er ist nicht erst dadurch hervorgerufen, er bestand schon vorher, aber er wurde verstärkt. Meinesteils, meine Herren, erachte ich es für einen Vorteil, wenn Elsaß⸗Lothringen am Bundesrat heteiligt wird. Wer wie ich in der fortschreitenden Verselbständigung der Reichslande nicht nur eine notwendige Konsequenz der von Bismarck inaugurierten Politik, sondern zugleich ein Mittel erblickt, um das Land weiter zu entwickeln und damit mehr und mehr mit dem Reiche zu verschmelzen, dem sind die Bundesratsstimmen eine Verbesserung. (Abg. Freiherr von Gamp: Sehr richtig!) Ich bin auf die Regierungsäußerungen über die Inkongruenzen festgenagelt worden, welche darin liegen, wenn man einem Glied des Reichs, das nicht Bundesstaat ist, Bundesratsstimmen gewährt. Ich gebe diese Inkongruenz zu, aber ich frage Sie, was weegt schwerer, diese Inkongruenz oder die für die Reichslande eröffnete Möglichkeit, ihre Landesinteressen gleich den übrigen Bundesstaaten im Bundesrat zu vertreten. Diese selbständigen Landesinteressen bestehen schon heute; ihre Existenz ist ganz unabhängig von irgend einer Verfassungsreform. Daß diese Interessen gegen⸗ wärtig nicht so wie die der übrigen Bundesstaaten im Bundesrat mitsprechen können, das wird in den Reichslanden als eine Zurücksetzung empfunden. (Sehr richtig! links.) Wenn wir diese Empfindung beseitigen, dann winden wir denjenigen, welche gegen die Verschmelzung der Reichslande mit dem Reiche sind, eine gewichtige Waffe aus der Hand. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, mit der Klausel, die an die Bundesratsstimmen angeknüpft ist, finde auch ich mich als Preuße wahrlich nicht leichthin ab. (Hört, hört! rechts.) Erleichtert wird mir der Entschluß nicht bloß durch die geringe Anzahl von Fällen, in denen zahlenmäßig der preußische Einfluß im Bundesrat leiden könnte, sondern auch durch den historischen Beruf, den Preußen in Deutschland erfüllt hat und weiter erfüllen wird. Meine Herren, wäre Preußen zu der Zeit, wo wir das Reich gegründet und eingerichtet haben, nicht von dem gleichen Geiste erfüllt gewesen, dann wären wir niemals zu dem innerlich geeinigten und darum festgefügten Deutschen Reich gelangt. (Sehr gut! links.) Damals haben alle Bundesstaaten im Interesse der großen Sache Opfer gebracht; und die Opfer, die Preußen gebracht hat, sind, wie ich das schon einmal ausgesprochen habe, wahrlich nicht die kleinsten gewesen. Aber, meine Herren, Preußen wird sich seine Stellung im Reiche nur dann bewahren, wenn es von dem gleichen, weitherzigen und selbstbewußten Geiste beseelt bleibt. Hätte ich an den Bundes⸗ ratsstimmen die Vorlage scheitern lassen und darum handelte es sich —, dann hätte ich kleinlich gehandelt, dann wäre ich von der deutsch⸗nationalen Tradition preußischer Politik abgewichen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)

Man hat mit Bezug hierauf und mit Bezug auf andere Punkte den Vorwurf erhoben, im Verlaufe der Verhandlungen seien die ver⸗ bündeten Regierungen zu weit von ihrem ursprünglichen Ent⸗ wurfe abgewichen, sie hätten zu große Kornzessionen gemacht. Meine Herren, glauben Sie nicht, daß wir daran Freude haben, Konzessionen zu machen (Heiterkeit links); unsere Ab⸗ neigung dagegen ist genau so groß wie die Ihrige! Aber noch niemals hat eine Partei über Konzessionen geklagt, noch nie hat sie die Regierung der Wankelmütigkeit geziehen, wenn die Konzessionen ihr selber gemacht wurden (Sehr richtig! links); das haben Sie auf der Linken noch nicht getan, und Sie, meine Herren auf der Rechten, auch noch nicht! (Heiterkeit.) Man perhorresziert nur dieienigen Konzessionen, welche einem selbst unangenehm sind! (Sehr gut! links.) Deshalb muß die Regierung sich in jedem einzelnen Falle fragen: ist der Gewinn den Einsatz wert? Nun, meine Herren, trotz aller Angriffe, die gegen mich gerichtet werden und die, weil sie von ernster nationaler Sorge diktiert werden, von mir nicht leicht genommen werden —, trotz dieser Angriffe halte ich an meiner Ansicht fest, daß die Fortbildung der reichsländischen Verfassung eine Notwendigkeit ist. (Sehr richtig! bei der Reichspartei.)

Man hat mir gesagt: „Gut; annektieren können wir nicht mehr. Bis zu den achtziger Jahren haben wir den Reichslanden schrittweise größere Selbständigkeit eingeräumt, wir werden diesen Weg nicht ver⸗

assen können, aber jetzt einen Schritt weiter zu machen, und noch dazu einen so großen Schritt, dazu ist die Zeit noch nicht gekommen; Elsaß⸗Lothringen ist“ das Wort ist üblich geworden „noch nicht reif dazu.“ Reif, meine Kerren, wofür? Daß die reichsländische Regierung im Bundekrat mitstimmt? Man wird diese durch die Vermittlung des Statthalters ausgeübte Befugnis nicht unter dem Gesichtspunkt der politischen Reife des Landes anfechten können. Oder glaubt man etwa, daß die Bundesratsstimmen die Verbindung der Reichslande mit dem Reich lockern werden? Im Gegenteil, festigen werden sie diese Verbindung! (Sehr richtig! links und in der Mitte.) Nicht reif, meine Herren, dafür, daß ein in den Reichslanden einzurichtendes Oberhaus in der Landesgesetzzebung die Funktionen übernimmt, die gegen⸗ wärtig der Bundesrat ausübt? So hoch die Schaffung dieses neuen reichsländischen Gesetzgebungsorgans als Bestandteil

üüm

größerer Autonomie der Reichslande eingeschätzt werden muß: wenn

I und links.) Das ist das Moment gewesen, durch welches den Reichs⸗

Sie von einem gefährlichen, von einem riskanten Schritt sprechen wollen, so ist das nicht dieser Schritt, dann ist es das Gesetz von 1877 gewesen, das den Landesausschuß für die Landesgesetzgebung an die Stelle des Reichstages setzte (Sehr richtig! links und bei den Nationalliberalen); denn damit ist der Schwerpunkt der Landesgesetz⸗

gebung in das Land seltst celegt worden. (Sehr wahr! in der Mitte

landen ein staatliches Eigenleben gewährt worden ist. Und in noch höherem Grade gilt das vom Verfassungsgesetz von 1879, das ein selbständiges reichsländisches Ministerium, das einen Staatsrat schuf, das den Landesausschuß und seine Befugnisse neu regelte. Ja, meine Herren, damals hätte man vielleicht fragen können: ist Elsaß⸗Lothringen denn reif dazu, diese Einrichtungen staatlichen und verfassungsmäßigen Eigenlebens zu bekommen? Aber heute? Meine Herren, die Gegner der Vorlage verschieben die Situation Es wird der Anschein erweckt, als ob Elsaß⸗Lothringen gegenwärtig noch kein selbständiges Staats⸗ und Verfassungsleben besäße, alz wären wir es, die wir mit dieser Vorlage ein solches Leben neu schüfen, und als ob wir damit Land und Reich in Gefahr stürzten. (Sehr richtig! links.) Nein, meine Herren, so liegt die Sache nicht! Dieses selbständige Leben in den Reichslanden erxistiert bereits seit dem Ende der siebziger Jahre. Es ist unvollkommen, es hat Mänge an sich, die beseitigt werden müssen, die man meiner Ueberzeugung nach längst hätte beseitigen müssen (sehr richtig! und hört, hört! linss. aber es ist kein neues Haus, das wir aufrichten, sondern wir ver⸗ suchen nur, ein vorhandenes Haus wohnlicher einzurichten. (Sehr richtig! links.)

Und so muß meiner Ansicht nach auch die Uebertragung landes⸗ gesetzlicher Befugnisse auf ein reichsländisches Organ beurteilt werden. Diese Uebertragung ist lediglich eine natürliche und notwendige Folge jenes Gesetzes von 1877, das für die Landesgesetzgebung dem Reichs⸗

tage den Landesausschuß substituierte.

Und endlich, meine Herren, das Wahlrecht zur Zweiten Kammer!

Es ist sehr heikel, darüber zu urteilen, ob ein Volk für

dieses oder jenes Wahlrecht reif sei. (Heiterkeit.) Wenn

hier in diesem Saale jeder ganz frei von der Leber spräche,

ich glaube, dann würden wir, auch abgesehen von Elsaß⸗

Lothringen, ganz eigenartige Dinge zu hören bekommen. (Sehr

richtig! Heiterkeit links und in der Mitte.) Ich habe bereits bei

der ersten Lesung gesagt: ein fremdes Wahlrecht können wir nach den

Reichslanden nicht importieren. Nun bin ich weit davon entfernt,

alle Abänderungen, welche Ihre Kommission an dem Wahlrecht vor⸗

genommen hat, für Verbesserungen anzusehen. (Heiterkeit.) Ich

bedauere es nur, meine Herren von der konservativen Partei, daß

Sie von vornherein in der Kommission passiv beiseite gestanden

häben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen und links.) Hätten

Sie es nicht getan, dann wäre es möglich gewesen, manchen Vor⸗

schriften eine andere Fassung zu geben oder zu erhalten. (Hört, hört!

und Sehr richtig! links bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, ich bitte Sie, vergegenwärtigen Sie sich noch

einmal den Verlauf der ganzen Angelegenheit. Seit 10 Jahren wird

der Reichskanzler in diesem hohen Hause alljährlich gefragt, wie es

mit der Weiterbildung der reichsländischen Bevölkerung stehe; seit

Jahren wird diese Weiterbildung von der reichsländischen Regierung,

und zwar nicht nur in ihrer gegenwärtigen personellen Zusammen⸗

setzung, befürwortet.

Als ich vor einem Jahre den Entschluß ankündete, ein ent⸗ sprechendes Gesetz vorzulegen, da ist diese Absicht von dem über⸗ wiegenden Teile dieses hohen Hauses mit Genugtuung begrüßt worden.

(Sehr richtig! in der Mitte und links.) Reichsländer, und zwar Reichsländer, die über jeden Verdacht deutschfeindlicher Gesinnung weit erhaben sind, haben mir immer wieder gesagt: der Druck, der auf der politischen Entfaltung des Landes lastet, ist das Gefühl, daß wir als Deutsche zweiter Klasse behandelt werden. (Sehr richtg! links.) Meine Herren, diesen Druck wollen wir mit der Vorlage be⸗ 1 seitigen, und damit schädigen wir nicht das Reich, sondern wir fördern das Reich. (Lebhafte Zustimmung links und im Zentrum.)

Gewiß, jede Maßnahme, die sich mit Elsaß⸗Lothringen be⸗ schäftigt, schließt eine große Verantwortung in sich. (Sehr richtig! rechts.) Aber, meine Herren, sagen Sie mir: welche Verantwortung ist die größere, untätig mit den Händen im Schoß dem Fortvegetieren von Zuständen zuzusehen, die kein Mensch für glücklich, für be⸗ friedigend, für förderlich ansehen kann, oder aber die Verantwortung, zu versuchen, die bestehenden Mängel zu beseitigen? (Sehr richtig! links.) Ich will die Verantwortung für die Untätigkeit nicht tragen. (Bravo! links.) Und, meine Herren, damit wende ich mich zu den Parteien, die sich entschlossen haben, die verbündeten Regierungen bei ihrem Vorgehen zu unterstützen. (Bewegung rechts.)

Es ist uns bei dieser Gelegenheit draußen in der Presse, es ist mir und es ist der Vorlage der Vorwurf gemacht worden, daß ja selbst die Sozialdemokraten anscheinend die Absicht hätten, die Vorlage zu unterstützen. Eine rechtsstehende Zeitung hat vor einigen Tagen von der Morgengabe gesprochen, die die Sozialdemokratie dem Deutschen Kaiser mit diesem Gesetz darbringe. Das ist ein Schlag⸗ wort, das ziehen soll; aber es ist unwahr. (Sehr richtig! links.) So wenig, wie ich Ihnen, meine Herren von der konserrvativen Partei, es verargen kann, daß Sie Ueberzeugungen, daß Sie preußisches Empfinden nicht aufgeben wollen, das Ihnen verbietet, für die Vorlage zu stimmen, so wenig kann ich den Herren Sozialdemokraten verwehren, für die Vorlage einzu⸗ treten, falls sie die Absicht dazu haben. (Große Heiterkeit.) Ich kann doch um deswillen nicht etwa das Gesetz zurückziehen? Das würde doch gerade der Auffassung von unabhängiger Haltung der Regierung widersprechen, die gerade von der rechten Seite dieses hohen Hauses mit Recht von der Regierung gefordert wird. (Sehr richtig! links.)

8 Aber, meine Herren, ich schließe daraus noch ein weiteres. Der Weg, den die Kommissionsverhandlungen gegangen sind, ist so voll Dornen gewesen, wie es selten der Fall gewesen ist. (Sehr richtig! bei der Reichspartei.) Eine Ueberzeugung wird sich dabei Ihnen allen aufgedrängt haben: das, worum wir hier kämpfen, steht zu hoch, als daß Fraktions⸗ oder Parteiinteressen dabei den Ausschlag geben könnten. (Sehr richtig! links. Zuruf rechts.) Wir alle, meine Herren, haben ein gleichmäßiges Interesse daran, daß sich Elsaß⸗Lothringen politisch und wirtschaftlich tüchtig entfaltet. Das ist das sicherste Mittel für seine Verschmelzung mit dem Reiche. (Bravo! links.) Das Land ist uns vor 40 Jahren geworden durch das Vertrauen unserer Väter auf die eigene Kraft. Nur mit diesem Vertrauen werden wir auch jetzt vorwärts kommen. (Lebhafter Beifall bei der Reichspartei, im Zentrum, bei den Nationalliberalen und links.)

Art. 2 hat die Ueberschrift: folgende Verfassung:

Elsaß⸗Lothringen erhält

§ 1: Die Staatsgewalt in Elsaß⸗Lothringen übt der Kaiser aus.

82: An der Svritze der Landesregierung steht ein Statthalter der vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers ernannt und abberufen wird. . 8 h8 8 3 Der Statthalter hat insbesondere die Befugnisse und Ob⸗ liegenheiten, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes von 1879 durch Gesetze und Verordnungen dem Reichskanzler in reichsländischen Angelegenheiten überwiesen waren. Er ist berechtigt, zu polizeilichen Zwecken die in Elsaß⸗Lothringen stehenden Truppen in Anspruch zu nehmen. Der Statthalter ernennt und instruiert die Bevollmächtigten zum Bundesrat. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Statthalters, der dadurch

die Verantwortlichkeit übernimmt.

Der Statthalter residiert in Straßburg.

Abg. Böhle (Soz.): Der Enpwurf hat durch die Einfügung des Artikel 1 durch die Kommission einen Zusatz erhalten, der emnen Fortschritt bedeutet. Durch die Einfügung der 3 Bundesrats⸗ timmen wird Elsaß⸗Lothringen wirtschaftlich unterstützt und ge⸗ fördert; nachdem es bisher dadurch, daß es im Bundesrat nicht vertreten war und seine wirtschaftlichen Interessen dort nicht ver⸗ teidigen konnte, schwer benachteiligt war. Die Fortschritte, die Art. 1 bringt, sind freilich in Art. 2 bereits nicht mehr vorhanden, und selbst da gehen die gemachten geringen Zugeständnisse namentlich den Herren von der Rechten noch zu weit, sie machen auch jetzt die energischsten Anstrengungen dagegen anzukämpfen. Dabei hätten gerade die Herren aus Sachsen alle Ursache, speziell Art. 1 freundlich anzusehen, nicht aber sich zum Vorspann der preußischen Partikularisten zu machen, dieser preußischen ostelbischen Gesellschaft geht ja jedes Verständnis dafür ab, daß Elsaß⸗Lothringen ein Recht darauf hat, sich selbständig zu machen; ich verliere darüber weiter kein Wort. Die Verhandlungen werfen ein grelles Schlaglicht auf die politischen Zu⸗ stände in Deutschland; die preußischen Junker sind mit allen Mitteln bestrebt, jeden Fortschritt, und sei er noch so klein, zu verhindern. Wir beantragten unsererseits, daß Elsaß⸗Lothringen en selbständiger Bundesstaat mit drei Stimmen im Bundesrat, ee ohne jede Einschränkung gewährt werden sollen, wird. Die Staatsgewalt sollte durch einen Regierungsausschuß ausgeübt werden, den die Landesvertretung aus ihrer Mitte wählte. Mit diesem Antrag entsprechen wir dem Willen der großen Mehrzahl der reichsländischen Bevölkerung. Diese Anträge haben sämtliche bürger⸗ lichen Parteien abgelehnt, obwohl man anerkannte, daß sie die richtige Konsequenz der heutigen Situation zögen. Wir sehen von der Wiedereinbringung ab, aber nur, weil wir die Nutzlosigkeit eines solchen Vorgehens einsehen, da das Plenum doch nicht anders als die Kommissionsmehrheit entscheiden würde. Immerhin sind die Kommissionsvorschläge ein Anfang zum Besseren. Wenn der Regierungs⸗ karren aus dem Sumpf herausgezogen werden soll, muß die große Mehrheit des Volkes zur Mitarbeit herangezogen werden, das ist unsere Ueberzeugung.

Abg. Dr. Schädler (Zentr.): Der Kollege Wagner hat sich darüber gewundert, daß man seitens der Reichsleitung so rasch auf den Wunsch der drei Bundesratsstimmen eingegangen ist, und hat kritische Be⸗ merkungen über die schnelle Belehrungsfähigkeit der Regierung daran Ffces Ich sehe darin gerade den Beweis, daß die verbündeten

Kegierungen für entscheidende, durchschlagende Gründe sehr zugänglich sind, und könnte darin vielleicht gegen früher einen Fortschritt er⸗ kennen, vorausgesetzt, daß diese Erkenntnis vorhält. Gerade, was die Konservativen beseitigen wollen, ist für uns das Erfreuliche, wir be⸗ rüßen es als Vorzug, daß Elsaß⸗Lothringen tatsächlich auf dem Wege zum vollen Bundesstaat ist durch diese drei Stimmen und durch deren Instruktion seitens des Statthalters. Wir stimmen dem Reichskanzler zu, wenn er in den Bundesratsstimmen eine Verbesserung sieht. Wir wundern uns auch nicht, daß er es nicht tragisch nimmt, wenn ihm eine gewisse Inkongruenz vorgeworfen wird, denn es stehen viel höhere Interessen in Frage. Elsaß⸗Loth⸗ ringen hat darin bisher tatsächlich eine Zurücksetzung gesehen. Für die Verschmelzung Elsaß⸗Lothringens mit Deutschland ist es von größtem Wert, daß es selbständig seine Interessen vertreten kann. Der Reichskanzler bezog sich auf Bemerkungen, daß Preußen einen gewissen Rückzug angetreten habe, er sprach davon, daß auch der Bundesrat und Preußen nicht sehr gern Konzessionen machen. Das haben wir allerdings verschiedentlich erfahren, aber er hat damit nicht Unrecht, daß auch die Parteien nicht gern Kon⸗ zessionen machen, wohl aber gern Konzessionen entgegennehmen. Wir wären gar nicht abgeneigt, auch bei diesem Gesetz noch manche Konzessionen von der Regierung entgegen zu nehmen. Der Reichskanzler wies auf die Opfer Preußens hin, als Elsaß⸗ Lothringen Deutschland angegliedert wurde, aber Opfer sind auch von den anderen Bundesstaaten gebracht worden. Man soll nicht immer allein von den Opfern sprechen, die von dem ersten der Bundesstaaten gebracht sind. Ich betrachte die Sache unter dem Gesichtspunkt, daß die süddeutschen Staaten gegen das Uebergewicht Preußens gesichert sind, und daß Preußens Stellung im Bundesrat dadurch in keiner Weise alteriert wird, denn sie beruht auf seiner Bedeutung im Deutschen Reiche über⸗ haupt. Dann ist zugleich gesichert worden, daß die Instruktion dieser drei Bundesratsstimmen unbeeinflußt von Preußen, ausschließlich nach den Interessen von Elsaß⸗Lothringen erfolgen kann. Elsaß⸗Lothringen befindet sich auf dem Wege zur Autonomie, es ist noch nicht in vollem Umfang selbständiger Bundesstaat. Durch die Bestimmung der Vorlage, daß ihm die Bundesratsstimmen nur so lange gewährt werden, als die Verfassung selber dauert, wird auf der einen Seite das Provisorium anerkannt und anderseits zum Ausdruck gebracht, daß der Weg zur Autonomie nicht verlegt ist. Auch wir hoffen, daß die Vorlage den Anfang zum besseren bildet. Wenn die Sozialdemokraten trotz mancher Bedenken der Vorlage zustimmen, so sehe ich darin einen neuen Beweis, daß es zeitgemäß war, diese Frage in Angriff zu nehmen. Wir dürfen auch ganz zufrieden damit sein, daß die Sozialdemokraten positiv mitarbeiten wollen; ich denke, das wird auch ein Anfang zum bessern sein.

Abg. Bassermann (nl.): Der Weg der Kommission war in der Tat ein dornenvoller, alle Kommissionsmitglieder sind davon erfüllt, wie viel Schwierigkeiten sich in der Kommission aufgetürmt haben. Wenn trotzdem ein positives Resultat vorliegt, so zeigt das, wie sehr über den Parteistandpunkt hinaus diejenigen Parteien, die bei dem positiven Resultat mitgewirkt haben, die Freikonservativen, Zentrum, Liberalen bis zu den Sozialdemokraten, von der Notwendigkeit der Verfassungsreform und eines neuen Wahlgesetzes für Elsaß⸗Lothringen überzeugt waren. Aus dieser Ueberzeugung entstand der starke Wille der Kommission, über alle Unglücksfälle zu einem positiven Resultat zu kommen. Meine Freunde stimmen den Beschlüssen der Kommission in allen Teilen zu; es geschieht nicht leichthin, wir sind uns der großen Verantwortung in vollem Umfang bewußt, um so mehr, als auch abmahnende Stimmen aus dem nationalliberalen Lager laut ge⸗ worden sind, die uns rieten, die Erledigung der Frage zu vertagen. Nicht leichthin war es auch, als wir im März 1910 unsererseits durch den Mund des Abg. Hieber die Inangriffnahme dieser Verfassungs⸗ reform verlangten. Diesem Verlangen gingen lange Beratungen mit unseren Freunden in Elsaß⸗Lothringen und genauere Er⸗ wägungen der dortigen Verhältnisse vorauf, eine wohl überlegte Aktion. 11 die wir damals erhoben, sind im großen ganzen heute Beschlüsse der Kommission geworden. Wir haben die Bedenken gegen eine Neuregelung genau prüfen müssen, handelt es sich doch um ein enplan. mit allen Eigentümlichkeiten der nationalen Vermischung; vielfach sind noch französische Bestrebungen vorhanden, erklärlich durch den Zusammenhang mit Frankreich aus alter Zeit und durch die verwandtschaftlichen Familienbeziehungen; wir mußten ebenso mit der nationalistischen Bewegung, diesem Krebsschaden, der sich an den Namen Weiterlé knüpft, wie auch mit den republikanischen Bestrebungen, die sich an den Namen Blumenthal knüpfen, rechnen. Wir sind der Ansicht geworden, daß es das Schlimmste wäre, diese Frage zu vertagen und fortzuwursteln auf die Gefahr hin, daß die Verhältnisse sich in dieser Richtung noch weiter entwickelten. Wenn man die jetzige Vorlage nicht beliebte

7

mit der Fortbildung der Verfassung und einem freiheitlichen Wahlrecht, dann mußte man sich nach der anderen radikalen Lösung, die vielfach befürwortet wurde, umsehen, der Aufteilung oder Annektierung. Wir wissen, daß das kein gangbarer Weg mehr ist; das Gefühl, nur Deutsche II. Klasse zu sein, ist der springende Bunkt, aus dem die Mißstimmung in der Bevölkerung sich breit macht. Solche Gärungsprozesse machen sich überall geltend, und die Staatskunst muß mit Reformen der Mißstimmung vorbeugen. Das gilt besonders für ein Grenzland. Die Frage, ob die nationalen Schutzwehren als Ausgleich vorhanden sind, können wir mit gutem Gewissen bejahen. Wir sind nicht willens, die Kaiserliche Gewalt in Elsaß⸗Lothringen schmälern zu lassen. Der Kaiser ist Träger der Staatsgewalt, er er⸗ nennt und entläßt den Statthalter nach seinem Ermessen, er ernennt und entläßt die Minister. Wenn er landesherrliche Befugnisse über⸗ tragen kann, so ist die Kautele getroffen, daß diese Uebertragung vom Reichskanzler gegenzuzeichnen ist. Weitere Kautelen sind geschaffen worden in der Zusammensetzung der Ersten Kammer. Was die drei Bundesratsstimmen betrifft, so handelt es sich hier um ein Entgegen kommen gegen einen langjährigen Wunsch Elsaß⸗Lothringens. Daß die 3 Stimmen nicht ohne Klausel eingeräumt worden sind, bedauern auch wir. Wir hätten es gern gesehen, wenn diese Stimmen auch dann abgegeben werden könnten, wenn dadurch eine Mehrung des preußischen Einflusses erzielt würde. Dies war aber nicht zu er⸗ reichen. Zu nationalen Bedenken gibt aber die Regelung keinen Anlaß. Der Schwerpunkt wird vor allem in den großen wirt⸗ schaftlichen Fragen liegen. Sonach können und müssen wir uns mit dieser Konstruktion abfinden. Wir schaffen mit diesem Gesetz eine Volkskammer, einen Landtag, gewählt auf Grund eines liberalen Wahl⸗ rechts. Wenn man dies als zuweitgehend bezeichnet hat, so können wir uns auf langjährige Erfahrungen des Herrn von Köller berufen, der den Vorzügen der elsaß⸗lothringischen Bevölkerung volle Ge⸗ rechtigkeit hat widerfahren lassen. Wir akzeptieren die Vorlage mit der Bitte, daß die Wünsche der elsaß⸗lothringischen Beamten auf Gleichstellung mit den Reichsbeamten berücksichtigt werden. Mit diesem Gesetz setzen wir Elsaß⸗Lothringen in den Sattel: Möge es reiten lernen! Hoffentlich wird die Reform versöhnend wirken und die jetzige Mißstimmung ausräumen. Möge in die Hand, die wir bieten, von der anderen Seite eingeschlagen werden.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (förtschr. Volksp.): Ich gebe dem Reichskanzler Recht, daß man diese Vorlage nicht vom kleinlichen Parteistandpunkt betrachten soll. Jede Partei muß Opfer bringen, jede Partei hat schwere Bedenken gehabt. Die Verständigung ist aber zustande gekommen unter der Wucht der Ueberzeugungen, daß es so wie bisher in Elsaß⸗Lothringen mit der Notabeln⸗Mißwirtschaft nicht weitergehen könne; dieser muß so schnell wie möglich ein Ende gemacht werden. Es besteht eine unklare Souvperänität, ein ungesunder Partikularismus in Elsaß⸗Lothringen. Es handelt sich um eine große politische, wahrhaft nationale Frage, die weit über Deutschlands Grenzen ihre Bedeutung hat. Welche hämische Freude würde es im Auslande hervorrufen, wenn es nicht gelänge, dem Reichslande wenigstens ein Hauptstück der Autonomie zu verleihen! Daß es nicht möglich ist, Elsaß⸗Lothringen die Vollautonomie zu geben, dafür sorgen schon solche Reden, wie die des Staatssekretärs Ernst Matthias von Köller im Herrenhause. Das Gros der Be⸗ völkerung will, daß das Gesetz, das das Erreichbare darstellt, zu⸗ gunsten der Autonomie in Elsaß⸗Lothringen durchgeführt wird. Vom streng staatsrechtlichen Standpunkt stellt der Entwurf vielleicht keine vollkommene Lösung dar; auch ich bedauere die vielleicht zu große Aengstlichkeit der süddeutschen Staaten gegenüber der unein⸗ geschränkten Verleihung der Bundesratsstimmen. Die Hauptsache ist aber, daß Elsaß⸗Lothringen seine Vertretung im Bundesrat hat. Wir wollen aus dem abstrakten Reichsland einen konkreten Bundesstaat machen. Die Bundesratsvertreter nach der Regierungsvorlage wären einfach Zuhörer gewesen, weiter nichts als ein dekoratives Beiwerk. Das wäre eine unbillige Rolle gewesen. Durch den Be⸗ schluß der Kommission sind aus abstrakten Bundesratsvertretern jetzt konkrete Vertreter geworden. Es war ein Akt der Staatsklugheit, daß die Regierung diese wichtigen Konsequenzen aus ihrer eigenen Haltung auch gezogen hat. Nie hat auf staatsrechtlichem Gebiet die maßlose Uebertreibung in der Presse solche Orgien gefeiert, wie gerade in dieser Frage. Die Herren auf der rechten Seite haben in kleinem preußischen Partikularismus, in einer Furcht vor dem allgemeinen gleichen Wahlrecht sich dazu drängen lassen, die Bundesgenossen der Nationalisten in Elsaß⸗Lothringen zu sein. Man hat in der Kommission von einer Diskreditierung, von einer Entmannung, einem Ausnahme⸗ gesetz gegen Preußen, von einem Damaskus für Preußen gesprochen. Einer der Herren von der konservativen Partei hat gesagt, die Regie⸗ rung sei aus dem Zusammenhang mit dem preußischen Volke geraten. Wir schätzen das preußische Volk höher ein. Es achtet den süd⸗ deutschen Einschlag und bringt gern das Opfer dar, das Preußen auf⸗ erlegt ist. Diese großzügige Haltung Preußens hat einen aus⸗ gezeichneten Eindruck auf alle außerpreußischen Bundesstaaten gemacht. Sie dürfen überzeugt sein, daß das Ansehen Preußens unter dieser Bewilligung nicht sinkt, sondern daß Preußen dann tatsächlich den Weg der moralischen Eroberung in Deutschland eingeschlagen hat. Die Stellung Preußens hängt nicht von den lumpigen 17 Stimmen im Bundesrate ab, sondern beruht auf seiner historischen Aufgabe, in seiner Bevölkerungszahl, in seinem Heere, seinen Finanzverhält⸗ nissen, seinen Eisenbahnen. Auf der anderen Seite hat aber auch der Bundesrat erhebliche Konzessionen an Preußen, vertreten durch die Kaiserliche Spitze, gemacht Die Stellung des Kaisers ist nicht mehr dieselbe wie bisher. Die staatsrechtliche Vollmacht des Kaisers, die bisher durch den Bundesrat nur eine unvollkommene war, ist nunmehr eine vollkommene geworden. Der Bundesrat hat dem Kaiser den Platz geräumt. Der Kaiser ist jetzt Landesherr im Namen des Reichs. Er ise um einen Ausdruck Treitschkes zu gebrauchen, der Torwächter des Deutschen Reichs geworden. Es hat also tat⸗ sächlich eine Verschiebung der Rechte stattgefunden, die für alle Teile erträglich durch die Verleihung der Bundesratsstimmen an Elsaß⸗ Lothringen geworden ist. Wir hoffen und wünschen, daß der Wunsch des Grafen Wedel im Herrenhause nicht in Erfüllung gehen möge, daß über die Asche dieser Vorlage die Konservativen dem Reichs⸗ kanzler die Freundes⸗ und Bruderhand reichen können; wir hoffen vielmehr, daß die Vorlage mit großer Mehrheit angenommen wird, damit das Ansehen Elsaß⸗Lothringens gestärkt und auch seine Zu⸗ gehörigkeit zum Reiche gefestigt werden möge.

Abg. von Dirksen (Rp.): Auch meine politischen Freunde haben im Laufe der Kommissionsverhandlungen sehr viel Hoffnungen und Wünsche begraben müssen. Während der größte Teil meiner politischen Freunde in der ersten Lesung der Kommission schwere Be⸗ denken gegen den Entwurf hatten, kann ich heute erklären, daß wir uns in der Hauptsache auf den Boden der Vorlage stellen. Die Stellung meiner Partei bei dieser Frage war verhältnismäßig nicht so schwierig wie die der anderen Parteien. Wir haben auf Elsaß Lothringen keine wahltaktischen Rücksichten zu nehmen. Man konnte uns keine Versprechungen entgegenhalten, und so waren wir in unserer Entschließung verhältnismäßig frei. Wir haben von dieser Freiheit Gebrauch gemacht, indem wir in der Kommission ent⸗ sprechende Anträge stellten. Manches haben wir fallen lassen müssen. Ein solches Zurückweichen ist auch der Regierung nicht erspart geblieben. Das ist in zwei Punkten sehr zu bedauern, in bezug auf die Alterspluralstimmen und in bezug auf die Ausgestaltung der Bundesratsstimmen. In dem Zurückweichen hinsichtlich der Alters pluralstimmen liegt eine Verbeugung vor der Sozialdemokratie, und in der Gestaltung der Bundesratsstimmen eine gewisse Reverenz vor den süddeutschen Aspirationen, die wir lieber vermieden gesehen hätten. Ueber den Wert der Alterspluralstimmen liegen erhebliche Erfahrungen nicht vor. Nachdem sie aber einmal von der Vorlage übernommen waren, hätten wir gewünscht, daß sie beibehalten. worden wären als Korrektur gegen ein doch immerhin demokratisch gestaltetes Wahlrecht. Mit der Einräumung der 3 Stimmen an⸗ Elsaß⸗Lothringen waren wir an sich nicht nur einverstanden, sondern haben sie selber gageregt, aber wir unterschieden uns dadurch von den anderen Parteien, daß wir beantragten, daß die bundesrätlichen Stimmen auf Fragen rein wirtschaftlicher Natur

beschränkt blieben, die das Interesse Elsaß⸗Lothringens berühren. Ich weiß nicht, ob Preußen die letzte Konsequenz gezogen und diese Frage im Bundesrat zur Ahstimmung gebracht hat. Es wäre von hohem Wert, zu erfahren, ob versucht worden ist, die Bundesrats⸗ stimmen pure’ und ohne jede Einschränkung in das Gesetz hineinzu⸗ bringen, oder ob es gescheitert ist an dem Widerspruch der Re⸗ gierungen und welcher Regierungen. Der Staatssekretär hat in der Kommission unserem Antrage entgegengehalten, daß es große Schwierig⸗ keiten habe, eine Grenze zu ziehen zwischen wirtschaftlichen und politischen Fragen. Wir haben uns damals mit diesen Erklärungen von so autoritativer Stelle begnügt; leider, muß ich jetzt sagen. Wir müssen aber anerkennen, daß die jetzige Gestaltung für Preußen keine wirkliche Einbuße an materiellem Einfluß herbeiführen wird. Eine Majorisierung kommt im Bundesrat kaum vor. Preußen ist allerdings einmal im Bundesrat überstimmt worden, nämlich bei der Errichtung des Reichsgerichts in Leipzig, aber Bismarck hatte auf Umwegen zu erkennen gegeben, daß er sich diese Majorisierung gefallen ließe. Jedenfalls hat das Zurückweichen in bezug auf die Bundesratsstimmen einen Sturm der Entrüstung in den national gesinnten Blättern und Parteien hervorgerufen. Ich bedaure lebhaft, daß man nicht den von mir bezeichneten Weg gewählt hat, und ich bin in dieser Auffassung bestärkt worden durch das Urteil eines Staatsmannes, der lange Zeit mit an der Spitze der Regierung gestanden und die Verhandlungen des Bundesrats geführt hat. Graf Posadowski hat in einem sehr bemerkenswerten Artikel im „Tag“ auf die großen Vorteile der Einräumung der Bundesratsstimmen in wirtschaftlichen Fragen hingewiesen. Ich bedaure, daß wir an dieser Formulierung nicht stärker festgehalten, daß wir uns durch die Erklärung der Regierung haben überrennen lassen. Wäre dies nicht geschehen, dann hätten wir uns der Mitwirkung der konservativen Partei und der Wirtschaftlichen Vereinigung und auch einiger meiner speziellen Freunde zu erfreuen gehabt. Wenn wir uns entschlossen haben, auf den Boden der Vorlage zu treten, so geschieht dies in der Ueberzeugung, daß wir Preußen damit nicht schädigen, wohl aber Elsaß⸗Lothringen und dem Deutschen Reiche einen erheblichen Nutzen gewähren. Sollte dieses Verfassungswerk scheitern, so würden, fürchte ich, die Folgen unabsehbar sein. Die Gegner haben uns gewarnt, einen Sprung ins Dunkle zu tun. Jede Verfassungsänderung, jede Verleihung eines Wahlrechts in einem Lande ist ein Sprung ins Dunkle. Die Frage, ob dieser Sprung im jetzigen Moment getan werden muß, haben wir bejaht. Hinter dem Sprung lag der Spott und die Schadenfreude des Auslandes über das E.e Scheitern der Verhandlungen in der Kommission. Es bedurfte nicht eines großen Studiums der englischen und fran⸗ zösischen Zeitungen, es bedurfte nur des Studiums des Verhaltens der nationalistischen Herren in Elsaß⸗Lothringen, um zu sehen, daß Wasser auf ihre Mühle gegeben wurde, wenn die Vorlage scheiteree. Und schließlich kam noch ein anderer Faktor hinzu: die Schließung des Landesausschusses, eines beklagenswerten Parlaments, das sich mit der Zeit als völlig unfähig erwiesen hatte, die Geschäfte seines Landes zu führen. Dieser Landesausschuß wird überhaupt nicht wiederkehren, er ist gewissermaßen verschwunden, und es trat eine tabula rasa, ein vacuum ein, das wieder ausgefüllt werden muß. Es erscholl ein Ruf um Erlösung der Reichslande nach Berlin: Helft uns aus unserer verzweifelten Lage, gebt uns neue Männer und befreit uns von diesen unfähigen Drahtziehern und Politikastern. Vor diese Tatsache gestellt, mußten wir uns entschließen, nun einen Schritt weiter zu gehen. Oder verlangen etwa die Gegner der Vor⸗ lage, daß wir die Verfassung in Elsaß⸗Lothringen hätten rückwärts revidieren, daß wir den Diktaturparagraphen wieder einführen oder Elsaß⸗Lothringen an Preußen oder an einen anderen Bundesstaat angliedern sollten? Für diesen Gedanken, so sympathisch er auch meinen Freunden gewesen wäre, wäre weder im Reichstag noch im Bundesrat eine Majorität zu finden gewesen, oder sollten wir etwa Elsaß⸗Lothringen die Aufgabe übertragen, einen Verfassungs⸗ entwurf auszuarbeiten? Hätte das wohl einen praktischen Erfol gehabt? Diese Frage stellen, heißt, sie entschieden verneinen Wir wollen ja gar nicht behaupten, daß wir in allen Punkten das Richtige gefunden haben. Gewiß, das demokratische Wahlrecht, das die Vorlage enthält, ist nicht allen von uns⸗ sympathisch. Aber glauben Sie wirklich, meine Herren von der Rechten, daß es möglich gewesen wäre, in Elsaß⸗Lothringen das preußische oder ein ähnliches Wahlrecht einzuführen? Das hätte sicher die dortigen Zustände nicht verbessert. Man mußte berücksichtigen, daß das jetzt vorgeschlagene Wahlrecht schon für die elsässischen Gemeindewahlen gilt und in den umliegenden Staaten eingeführt ist Eine gewisse Kautele ist ja geschaffen durch die Aufenthaltsklausel wenn sie auch nur eine halbe Maßregel darstellt. Wir haben erreicht die endgültige Beseitigung eines Provisoriums, das seit 40 Jahren besteht, eines Provisoriums, das förmlich schrie nach einer endgültigen Regelung, zu dessen Lösung die verbündeten Regierungen den Zeitpunkt früher nicht für gekommen ansahen. Elsaß⸗Lothringen kann sich jedenfalls nicht beklagen: Wir haben ihm soviel gegeben, daß ihm zu geben kaum noch etwas übrig bleibt. Dem Kaiser geben wir eine stabile Stellung als Landesherrn, wir geben ihm einen Statthalter, der von ihm ernannt und entlassen werden kann, wir umgeben das Oberhaus mit Garantien gegen eine demokratische Regierung, das Budgetrecht wird geregelt, und die Verfassung enthält Sicherungsbestimmungen für Religion und Sprache. Das sind alles Gestaltungen, die es auch ängstlichen Ge⸗ mütern möglich machen sollten, für diese Vorlage einzutreten. Wenn wir deshalb mit schwerem Herzen uns entschlossen haben, auf den Boden der Vorlage zu treten, so haben wir oder ich wenigstens uns mitbestimmen lassen durch die Worte des Abg. Haußmann, daß es auf ein Verfassungswerk ankomme, das nicht geschaffen werde mit wenigen Stimmen Majorität, sondern auf einer breiten Grund⸗ lage, so daß die Reichslande die Empfindung haben: der Reichstag hat uns mit erdrückender Majorität dieses große Geschenk aus vollem Herzen gemacht. Aber einen Wunsch haben wir, wenn wir uns zu diesem großen Opfer bereit finden, daß die Regierung in Elsaß⸗ Lothringen dafür sorgen möge, daß die altdeutschen Beamten vor so schweren Schmähungen in Zukunft bewahrt bleiben möchten, wie sie im letzten Landesausschuß ausgesetzt waren, und daß die Gehälter für die mittleren Beamten nach vieljähriger Vertröstung in befriedigender Weise geregelt werden. Wir können ja diese Wünsche nicht in das Verfassungswerk hineinredigieren, wir möchten sie aber unterstreichen, damit die Regierung diese berufenen Kulturträger sobald wie moöglich berücksichtigt. Ein anderer Wunsch, den ich namens meiner politischen Freude aus sprechen müßte, ist der, daß wir nie wieder eine so schwache Regierung in Straßburg sehen möchten, wie wir sie leider mit unter gesehen haben. Der jetzige Statthalter ist ein Mann von so anerkanntem Deutschtum und so vaterländischer Gesinnung, daß ich ihn dabei natürlich nicht meine. Ich unterlasse es auch, Namen zu nennen. Ich möchte aber in diesem feierlichen Moment die Er wartung aussprechen, daß in Straßburg deutsch bis auf die Knochen und ohne Schwankungen regiert werden möge. Das dürfen wir von dem jetzigen Reichskanzler und seinem Nachfolger erwarten, daß sie sich niemals mitschuldig machen. Wenn wir auch einen Teil der Ver⸗ antwortung bei diesem Gesetzgebungswerk übernehmen, so liegt doch die Hauptverantwortung bei den verbündeten Regierungen und bei dem jetzt amtierenden Reichskanzler. Bei allen Mängeln dieser Vorlage ist sie doch das Beste, was erreicht werden konnte. Die Tätigkeit der Reichstagsabgeordneten., Ruhe und Frieden dem Reichs⸗ lande zu geben, genügt aber nicht. Das Land selbst muß helfen, und ich schließe mit einer Mahnnng an die Vertreter dieses schznen Landes, einmal alle fraktionellen und konfessionellen Streitigkeiten zu begraben und die Mahnung des alteg Kaisers Wilhelm zu beherzigen, die er in poetischer Form an das Reichsland gerichtet hat. Mo

das Reichsland dem Deutschen Reiche seinen Dank abstatten durch eine Haltung, die es bisher nicht eingenommen hat.

Graf Mielzvnski (Pole): Die Herren aus Elsaß⸗Lothringen haben immer im Reichstage zu uns gestanden, sie haben und in manchen schweren Stunden ihren Beistand geliehen; wir haben den

Vorzug, ihnen nachfühlen zu können, was sie jetzt bei der Erörterung

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