1911 / 122 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

dieser Vorlage empfinden. Der Kanzler hat in der ersten Lesung für die Entwicklung Elsaß⸗Lothringens ein Programm entwickelt, das diesem Lande gegenüber mit dem Prinzip der Nivellierung, der Germanisierung, coũte qui coüũte, bricht. Diejenigen, die der Vorlage die größten Schwierigkeiten in den Weg legen, sind auch die⸗ jenigen, die die Reichslande durchaus germanisieren wollen. Ist es denn möglich und nötig, die guten urdeutschen Alemannen zu germani⸗ sieren? Man antwortet „ja“, denn sonst würde in den Reichslanden die Neigung zu Frankreich überwiegen. Eine solche Gefahr besteht einfach nicht. Die Regierung würde dem allgemeinen Frieden am besten dienen, wenn sie den Bestrebungen dieser Scharfmacher energisch ent⸗ egenträte. Irgend ein scharfes Wort eines Studenten, irgend eine unüberlegte Zeitungsnotiz wird jetzt sofort in diesem scharfmacherischen Sinne ausgebeutet; damit wird die Unruhe, der Unfrieden in Permanenz erklärt. Abg. Graef⸗Weimar (wirtsch. Vgg.): Mit den 5 Lesungen der Vorlage hat die Kommission wirklich einen parlamentarischen Rekord geschaffen, und sie säßen vielleicht noch, wenn der Regierung nicht schließlich der rettende Engel in der Person des sozialdemokratischen Abg. Dr. Frank⸗Mannheim erschienen wäre. Der Umstand, daß die Sozialdemokratie freudig der Vorlage zustimmt, macht uns zu Gegnern der letzteren. Der Abg. von Dirksen sprach von einer schwachen Regierung in den Reichslanden. Ich habe namens meiner Freunde zu erklären, daß. wir auch das Verhalten der Reichsleitung gegenüber den Kom⸗ missionsbeschlüssen aufs tiesste beklagen. Sie hat den Sozial⸗ demokraten nachgegeben, sie hat in der Frage der Wahlkreiseinteilungen ihren Standpunkt verlassen, in beiden Punkten ist es uns einfach unverständlich, wie es kommen konnte, daß die Regierung den Mut zu einem Unannehmbar nicht fand. Es scheint uns, daß die Re⸗ gierung nicht etwas schaffen will, was wirklich befriedigt, sondern daß sie, koste es, was es wolle, einen Erfolg davon tragen will. In den drei Bundesratsstimmen, die unter den bekannten Bedingungen zu⸗ gestanden werden sollen, sehen auch wir, die wir keine Junker sind, ein direktes Ausnahmegesetz gegen Preußen.

Abg. Preiß (Els., b. k. F.): Meine näheren Freunde werden gegen den 3. Absatz des Artikels I stimmen, da wir ihn als ein Aus⸗ nahmegesetz gegen Preußen ansehen. Wir tun das als Gegner aller Ausnahmegesetze.

Nach einem Antrage Hauß und Genossen (Zentr.) soll der Statthalter auch die Befugnisse und Obliegenheiten haben, die durch Kaiserliche Verordnung vom 23. November 1907 dem Statthalter in elsaß⸗lothringischen Landesangelegenheiten überwiesen waren; er soll das Recht haben, die Beamten zu ernennen und zu entlassen; alle Anordnungen und Verfügungen des Statthalters bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, der dadurch die Verantwortung übernimmt.

Abg. Hauß (Elsässer, Z.): Wir sind ja den verbündeten Regie⸗ rungen von Herzen dankbar, ß Bundesratsstimmen

daß sie uns zedieren, nur müssen wir die Gewähr haben, daß diese drei Stimmen auch wirklich im Interesse Elsaß⸗Lothringens instruiert werden. Um mir ein Urteil darüber zu bilden, ob Bundesratsstimmen wirklich einen Wert haben bei der jetzigen Form der Verfassung, habe ich mir zwei Spezialisten verschrieben. Staatssekretär Delbrück sagte bei der ersten Lesung, sie hätten so lange keinen Wert, als der Statt⸗ halter in seiner jetzigen abhängigen Stellung vom König von Preußen verbleibt. Der zweite Spezialist ist Graf Posadowsky, der erklärte, daß Bundesratsstimmen bei einem abhängigen Statthalter lediglich eine Atrappe ohne Inhalt seien. Und als dritter Spezialist kommt noch Professor Hans Delbrück hinzu, der diese Bundesratsstimmen als ein wertloses Geschenk hingestellt hat. Wenn drei Autoritäten so denken, müssen wir danach streben, daß dieses Geschenk zu einem brauchbaren Hausgerät wird. Das wollen wir mit unserem Antrag erreichen, indem wir den Statthalter selbständiger machen. Er soll nunmehr Instruktor der Bundesratsstimmen werden. Die jetzige Be⸗ stimmung der Vorlage wird für den Statthalter nachteilig wirken. Das Parlament wird sich bei wichtigen Angelegenheiten informieren, wie der Statthalter die Stimmen im Bundesrat instruiert hat. Hat er sie im Sinne Preußens instruiert, dann sind schwere Konflikte zwischen dem Statthalter und dem Landtag unausbleiblich, und diese Konflikte richten sich am letzten Ende gegen den Kaiser, weil der Statthalter nicht selbständig ist, sondern nur einen höheren Willen ausführt. (Ruf bei den Sozialdemokraten: „Das haben Sie selbst beantragt.“*) Ich bitte Sie, die Geschichte nicht zu fälschen. (Stürmische Oho⸗ Rufe bei den Sozialdemokraten und Rufe: „Die Anträge sind hier!“) Niemals habe ich das beantragt. (Fortgesetzte Unruhe links.) Die jetzige Stellung des Statthalters bei der Instruktion der Bundes⸗ ratsstimmen ist auch verhängnisvoll, weil er seine Ratgeber, die ihm dabei behilflich sein sollen, nicht selbst wählen kann, sondern diese von Berlin ernannt werden. Wir beantragen deshalb, daß der Statt halter die Beamten selbst ernennt. Wenn heute Regierung und Volk in Elsaß⸗Lothringen sich so oft nicht verstehen, wie namentlich in den letzten Monaten, so kommt das daher, weil unsere Beamten von einer Stelle ernannt werden, die mit dem Lande nur in loser Be⸗ ziehung ist. Die Beamten glauben nicht dem Landtage, sondern der Stelle verantwortlich zu sein, die sie ernennt. Unsere Minister können mit kalter Schulter die Dinge ansehen, denn sie haben nicht auf den Widerstand des Landtags zu achten, sondern auf die Stimme in Berlin. Geben Sie deshalb dem Statthalter eine größere Selb⸗ ständigkeit. Möglich, daß die Regierung „Unannehmbar“ sagt; hat das aber noch einen Wert? Wir haben oft gesehen, wie das „Unannehmbar“ der Regierung unter den Tisch gefallen ist.

Abg. von Oldenburg (dkons.): Wir hatten gerade den Abg. Wagner gebeten, für uns zu sprechen, weil er Sachse ist. Aber in unseren preußischen Kreisen würde man es nicht verstehen, wenn in dieser für das preußische und deutsche Vaterland sehr ernsten Stunde nicht auch ein Preuße spräche. Dafür wird zuerst der Reichskanzler Verständnis haben, denn er hat am 10. Februar 1910 im preußischen Abgeordnetenhause gesagt: „Auch Sie von der konservativen Partei wollen und müssen Ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber der Regierung bewahren; je selbständiger Sie sind, um so besser wird es nicht nur für die Regierung und den Staat, sondern auch für Sie selbst sein. Aber dieselbe Unabhängigkeit werde ich auch der Regierung Ihnen gegenüber wahren.“ Nun, der Reichskanzler hat seine Unabhängigkeit uns gegen⸗ über gewahrt (Ruf links: „Endlich einmal!“*), indem er diese Vorlage ohne uns durchführen will. Möge er nun gestatten, daß ich unsere An⸗ schauungen als Preuße offen ausspreche. Der Reichskanzler nennt es be⸗ dauerlich, daß wir die Mitarbeit hier versagt hätten, ja, selbst wenn wir den Zeitpunkt für diese Gesetzgebung für gekommen gehalten hätten, so hatte doch die Art, wie die Bundesratsstimmen wirken sollen, uns jede Mitarbeit unmöglich gemacht, denn das ist für uns ein Ehren⸗ punkt, und ich danke allen den Herren, auch in den anderen Fraktionen, die diese Empfindung mit uns teilen und dem bei der namentlichen Abstimmung Ausdruck geben wollen. Ich möchte die Herren aber bitten, ihre Gegnerschaft gegen den Absatz 3 nicht rein platonisch sein zu lassen, sondern auch einem Gesetz die Zustimmung zu versagen, das diesen Absatz enthält. Entweder besagt dieser Absatz nichts, dann ist es ein sehr bitterer Beigeschmack für Preußen, wenn es in seinem Bewußtsein, daß es seine nationale Pflicht in den 40 Jahren des Reiches erfüllt hat, erlebt, daß ein so erhebliches Mißtrauen gegen seine Führung obwalten muß, daß eine solche Einschränkung der Bundesrats⸗ stimmen notwendig erscheint. Oder der Absatz bedeutet etwas. Dann bedauere ich, daß der Reichskanzler und meine Partei in dieser Frage voll⸗ kommen außer Fühlung gekommen sind; denn wir erblicken in dieser Sache einen Schlag gegen die Ehre und das Ansehen Preußens. (Große Unruhe links.) Der Reichskanzler sagt, Fürst Bismarck „als die süuddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund eintraten, keine Aenderung der preußischen Stimmen beansprucht. Aber Fürst Bis⸗ marck hat auch nicht die braunschweigischen Stimmen deklassiert, als ein preußischer Prinz die Regierung dieses Landes übemahm. Aber es ist doch etwas anderes, wenn Fürst Bismarck, der drei greße Kriege für die Ehre und die Interessen des Vaterlandes geführt hat, von vornherein, um das Vertrauen der süddeutschen Staaten zu gewinnen, bis an die Grenze des Möglichen ging, oder wenn nach 8 ““ 8

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40 Jahren irgend einer seiner Nachfolger das tut auf dem Wege der Ausnahmegesetzzebung gegen Preußen, denn als solches wird dieses Geseß wirken. Der Reichskanzler exemplifiziert auf die preußische Geschichte. Gewiß, die preußische Geschichte ist so gertastet worden, daß Preußen die Einigung der deutschen Stämme erbeiführen konnte, und der Reichskanzler hat recht, daß bei dieser Einigung alle Opfer gebracht haben, unsere Fürsten voran, die Fürsten aller deutschen Stämme, auch der König von Preußen. Im Privat⸗ leben gilt der Satz: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“. Aber in dem Leben großer Staaten ist die Betätigung dieses Satzes nicht angebracht; das ist nicht der Fall gewesen vom kaudinischen Joch bis zu Olmütz, deshalb glauben wir, daß die Stellung Preußens, wie sie im Bundesrat ist, das äußerste Maß des⸗ jenigen darstellt, was vom preußischen Standpunkt aus konzediert werden konnte, und daß der Fürst Bismarck dieses Maß getroffen hat. Nun wende ich mich an die Vertreter der außerpreußischen Staaten hier im Hause. Wenn es so einfach ist, eine Aenderung der be⸗ stehenden Verhältnisse herbeizuführen, dann wird ein Präzedenzfall geschaffen, der sehr unangenehme Folgen auch für die anderen Staaten haben könnte. Es hat mir ein hochgestellter Beamter gesagt: volenti non fit injuria. Wenn die historische Tatsache erst einmal feststeht, dann wird nicht mehr gefragt, ob jemand will oder nicht, dann heißt es: nolens volens. Ich warne Sie da vor dieser Möglichkeit, hervorgerufen durch die jetzige Aenderung unserer deutschen Ver⸗ fassung. Dann aber ist es auch sehr schwer ich bitte die Herren, mir das nicht übel zu nehmen für uns Konservative, die wir nur schweren Herzens gegen die Regierung gehen, die wir cs doch im wesentlichen als unsere Aufgabe betrachten, die Regierung zu unterstützen, die Grenze zu ziehen, bis zu welcher wir gehen können in der Rnesot Als wir hier im Reichstage die kleine Finanzreform hatten, habe ich gegen meine Ueberzeugung gestimmt auf die Reden des Freiherrn von Rheinbaben und des Fürsten von Bülow, weil ich die Ueberzeugung habe, daß direkte Steuern für das Reich nicht möglich sind. Ich habe trotzdem damals für die Einführung der Erbschaftssteuer gestimmt in dem damals beschränkten Maß. Nach 2 Jahren hat aber der Freiherr von Rheinbaben für das Gegenteil eine ebenso glänzende Rede gehalten, und der Fürst Bülow hat gesagt, als wir auf diesem Standpunkt stehen blieben, daß wir dann ein frivoles Spiel trieben mit den Interessen unseres Vater⸗ landes. Als wir in Preußen die kleine Wahlreform machten, da ist es mir unendlich schwer geworden, diesen ersten Schritt zu gehen. Wir haben dadurch den Sozialdemokraten jetzt im preußischen Abgeordnetenhause Plätze eingerͤumt. Ich habe es getan unter dem vollen Druck der Erklärung des damaligen preußischen Ministers des Innern, unseres jetzigen Reichskanzlers, daß damit allem Notwendigen für absehbare Zeit Genüge geschehen Bm Verlauf von zwei Jahren ist unter der Mit⸗ wirkung des Reichskanzlers dann ein neues Wahlrecht für Preußen inauguriert worden, sogar niedergelegt in der Form einer Thronrede. (Zuruf links: Fürchterlich!) Vor einigen Monaten hat der allverehrte Staatssekretär des Innern eine Erklärung abgegeben, es wäre ein Nonsens, wenn ein amovibeler Beamter ich habe dies Wort auch in mein Wörterbuch eingefügt die Stimmen gegen Preußen abgeben sollte, und jetzt wird verlangt, ich soll nicht nur dafür stimmen, ich soll sogar dafür stimmen, daß diese Stimmen nur Geltung haben dürfen, wenn sie gegen Preußen abgegeben werden. Noch ein anderer Fall. In der Rede unseres hochverehrten Reichskanzlers (Stürmisches Ge⸗ lächter linke) jawohl, meine Herren, das erkläre ich Ihnen ganz offen, daß ich eine hohe Verehrung für den Reichskanzler habe. (Erneutes Lachen links, Beifall rechts.) Der hochverehrte Herr Reichskanzler hat im preußischen Abgeordnetenhause in bezug auf die preußische Wahlrechtsfrage darauf hingewiesen, welche große Bedenken das allgemeine Wahlrecht hervorrufen muß. Er hat von den gott⸗ gewollten Abhängigkeiten gesprochen, und jetzt wird von mir verlangt, dem allgemeinen Wahlrecht zuzustimmen. Wer noch vor 8 Tagen wie ein Winkelried die Speere auf sich gerichtet und die Regierung im Kampf gegen die Sozialdemokratie unter⸗ stützt hätte, der würde das heute gar nicht mehr verantworten können, weil diese Vorlage nicht zustande kommen kann ohne Hilfe von den Sozialdemokraten. Nun hat der Reichs⸗ kanzler sehr richtig gesagt, er kann sie nicht hindern, dafür zu stimmen, ebenso wenig, wie er uns daran hindern kann, dagegen zu stimmen. Selbstverständlich können wir sie auch nicht daran hindern, daß sie einmal mit uns stimmen. Aber eins muß ich sagen: Wir können nicht über das Maß der Macht des deutschen Kaisers in Elsaß⸗Lothringen oder in dem Punkte der preußischen Stimmen im Bundesrat mit den Sozialdemokraten verhandeln. Das werden wir nicht tun, solange die Kaiserliche Standarte auf dem Schloß in Berlin weht; das verbietet uns der Respekt vor der Stellung unseres Kaiserlichen Herrn, das verbietet uns unser Gewissen, und das verbietet uns die Geschichte des Vaterlandes und unserer Partei. Im übrigen möchte ich Sie bitten, für die Streichung dieses Absatzes zu stimmen. Nachdem die Debatte über Art. I und II miteinander verbunden ist, halte ich es für notwendig, unsere Abstimmung hierzu zu motivieren. Wir werden für den § 1 des Art. II stimmen, denn dessen Inbalt entspricht voll⸗ kommen unserer Auffassung, und wir stimmen gegen das Gesetz, weil der Inhalt des § 1 durch den übrigen Inhalt des Gesetzes ab⸗ geschwächt wird.

Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat am Schluß seiner Aus⸗ führungen von den Kaiserlichen Rechten in Elsaß⸗Lothringen gesprochen, über die er nicht mit den Herren Sozialdemokraten verhandeln könne. Sie, meine Herren von der konservativen Partei, werden den verbündeten Regierungen nicht zum Vorwurf machen können, daß wir nicht die Kaiserlichen Rechte in der von uns eingebrachten Vorlage hochgehalten haben und bis zum Schlusse hochhalten werden. (Bravo!)

Meine Herren, der Herr Vorredner hat dann weiter der Auf⸗ fassung seiner Partei über die Bundesratsstimmen einen scharfen Ausdruck gegeben. Er hat dabei den Ausdruck gebraucht, die Klausel, die den Bundesratsstimmen angefügt sei, sei ein Schlag gegen die Ehre Preußens, er hat vom kaudinischen Joch, er hat von Olmütz gesprochen. Ich habe im preußischen Abgeordnetenhause und ich habe das heute hier andeutend wiederholt das Opfer anerkannt, das Preußen in der Gewährung dieser Klausel zu den Bundesratsstimmen dieser Vorlage und dem Deutschen Reiche gebracht hat. Ich habe ausdrücklich aus⸗ gesprochen, daß ich ein volles Verständnis und mehr als ein volles Verständnis, denn ich selber bin Preuße dafür habe, daß Sie an dieser Klausel Anstoß nehmen. Aber ich habe über die Bedeutung der Klausel, ich habe über die Bedeutung der Macht Preußens im Bundesrate, ich habe über die Tatsache, daß der Einfluß Preußens im Bundesrate nicht von Zahlen abhängt, sondern von der Haltung, die Preußen bei der Führung der deutschen Geschäfte ein⸗ nimmt, über das alles habe ich mich bereits aus⸗ gesprochen. Ich will deshalb nur noch das eine betonen: wenn ich nicht bereit gewesen wäre, dieses Opfer zu bringen, dann hätten wir die Vorlage begraben. (Sehr richtig!) Meine Herren, Sie wollen auf einem Standpunkt stehen bleiben, der seit dem Jahre 1879 unverändert besteht. Ich halte es für not⸗ wendig, einen Schritt vorwärts zu machen. Die Zukunft wird lehren, ob die, die stillstehen bleiben wollen, oder die, die vorwärts⸗ gehen, recht haben⸗ (Lebhaftes Bravo in der Mitte und links.) Und, meine Herren, ich wüßte nicht, wie ein entschlossenes Vorwärtsgehen sich mit den preußischen Traditionen, die ich ebenso hoch bewerte wie

nur einer in diesem Saale, irgendwie in Widerspruch setzen kann.

(Lebhaftes Bravo in der Mitte, bei den Nationalliberalen und links.)

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Staatsminister Dr. Delbrück: . 8

Meine Herren! Von mehreren der Herren Redner, die soeben gesprochen haben, ist den verbündeten Regierungen der Vorwurf einer unzulässigen Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen des Reichstags bei der Beratung dieser Vorlage gemacht worden. Ist dieser Vorwurf tatsächlich begründet? Ist er begründet im Vergleich zu dem Maße von Zugeständnissen, das Sie uns toto die bei anderen Gesetzen als etwas Selbstverständliches zumuten? Sie werden, wenn Sie sich die Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt unbefangen ansehen, mir zugeben müssen, daß es den verbündeten Regierungen gelungen ist, das Rückgrat ihrer Vorlage durch alle Fährlichkeiten hindurch un⸗ verändert aufrechtzuerhalten. Wenn Sie von dem Artikel 1, über den wir soeben gesprochen haben ich werde nachher noch besonders darauf zurückkommen —, absehen, so werden Sie finden, daß die Vorlage der verbündeten Regierungen unverändert ist in bezug uf die Stellung des Kaisers, daß sie unverändert ist in bem auf die Stellung des Statthalters; Sie werden finden, daß de Vorlage nur unwesentlich verändert, in ihren Grundzügen aber aufrecht, erhalten ist in bezug auf das Budgetrecht der elsässischen Regierung, auf das wir den größten Wert gelegt haben; Sie werden finden, daß die Vorlage grundsätzlich unverändert ist in bezug auf die Zusammensetzung der Ersten Kammer und insbesondere auf die Kaiserliche Mitwirkung bei der Zusammensetzung der Ersten Kammer, und Sie werden, wenn Sie die Vorlage genauer studieren, finden und das ist sehr wesentlich —, daß für den Fall der Verabschiedung dieser Vorlage die Kalserliche Macht in bezug auf Elsaß⸗Lothringen nicht verringert, sondern gestärkt werden wird. Die Ausführungen, die der Herr Abg. Müller⸗Meiningen vorhin in dieser Beziehung gemacht hat, dürften im wesentlichen zutreffen. Wenn Sie das Wahlgesetz ansehen, so finden Sie dort eine anderweite Einteilung der Wahlkreise. Hier handelt es sich um eine reine Zweckmäßigkeitsfrage, die die verbündeten Regierungen bereit sind anderweit zu regeln im Einverständnis mit sämtlichen in der Kommission vertretenen Parteien. Sie werden auch finden, daß, wenn auch, wie ich zugebe, die aus dem elsässischen Gemeindewahlrecht übernommenen Beschränkungen des allgemeinen Wahlrechts abgeschwächt sind, so doch der wesentliche Punkt, die Seßhaftigkeitsklausel, aufrechterhalten und diese als solche ver⸗ schärft ist, insofern als, wenn auch unter Abkürzung der Zeitdauer, an die Stelle des Wohnsitzes im Wahlkreise der Wohnsitz in der Gemeinde getreten ist.

Im übrigen, meine Herren, ist aus der Vorlage das von den verbündeten Regierungen vorgesehene Pluralwahlrecht verschwunden⸗ Ich kann eine endgültige Erklärung der verbündeten Reegierungen zu diesem Beschluß der Kommission beute nicht abgeben. Ihre Ent⸗ scheidung wird von der endgültigen Gestaltung der Vorlage abhängen. (Hört! hört! links.) Aber das kann ich für meine Person sagen, daß ich es nicht für richtig halten würde, an diesem Punkte eine den ver⸗

bündeten Regierungen sonst genehme Vorlage scheitern zu lassen. Ich

möchte hierbei darauf hinweisen, daß sämtliche Parteien, die an dem Zustandekommen der Vorlage beteiligt gewesen und selbst in Elsaß⸗ Lothringen vertreten sind, auch diejenigen, denen eventuell nach unserer Auffassung das Pluralwahlrecht zugute gekommen sein würde, ausdrücklich auf das Pluralwahlrecht verzichtet, bezw. das Pluralwahlrecht ausdrücklich verworfen haben. (Sehr richtig! links.) Im übrigen besteht kein Zweifel, daß, wenn das Pluralwahlrecht eine gelinde Verschiebung des Stimmrechts zugunsten der ansässigen ländlichen Bevölkerung ausübt, diese Verschiebung sehr gering ist und unter den besonderen elsässischen Verhältnissen auch den anderen Parteien zugute kommen kann, und es ist ausdrücklich zu be⸗ merken, daß die elsässische Regierung und speziell der Statthalter, die doch in erster Linie zu ermessen haben, welches Wahlrecht sie für ihr Land als notwendig, nützlich und möglich ansehen, der Auffassung gewesen sind, daß an der Forderung der Pluralstimmen das Gesetz nicht zu scheitern brauche, wenn alle beteiligten Parteien ihrerseits der Auffassung seien, daß das Pluralwahlrecht einen besonderen Wert nicht habe. Ich bemerke dazu, daß in der Kommission auch ein Ver⸗ treter der äußersten Rechten dieses hohen Hauses dem Paragrapben zugestimmt hat, der das Pluralwahlrecht beseitigt. (Hört! hört! linke.)

In allen übrigen Punkten ist die Vorlage unverändert.

Es bleibt lediglich der Artikel 1 mit den Bundesrats⸗ stimmen. Nun, meine Herren, ist es richtig, daß ich bei der ersten Lesung in diesem hohen Hause der Auffassung Ausdruck gegeben habe, daß die verbündeten Regierungen nicht wohl in der Lage seien, die Verleihung von Bundesratsstimmen an Elsaß⸗Lothringen zu be⸗ fürworten, einmal weil sie die Minderforderung der wirtschaftlichen Stimmen nicht für durchführbar hielten ich werde auf diese Frage nachher noch einmal zurückkommen —, und zweitens aus einer Reihe von staatsrechtlichen Erwägungen heraus, die sich im wesentlichen auf Ausführungen bewegten, die auch der Fürst Bismarck seinerzeit hier in diesem hohen Hause gemacht hat. Aber, meine Herren der Herr Reichskanzler hat bei anderer Gelegenheit schon darauf hingewiesen —, die verbündeten Regierungen haben sich trotzdem der Erwägung nicht verschließen können, daß es eine Verbesserung der Vorlage bedeuten würde, wenn man in der Lage wäre, ein Stimmrecht für Elsaß⸗ Lothringen einzuführen, und wenn wir diese Betrachtungen ngestellt haben, meine Herren, so sind wir auch damit keinem anderen gefolgt wie dem Fürsten Bismarck. Der Fürst Bismarck hat in der Reichs⸗ tagssitzung vom 27. März 1879 hierüber folgendes gesagt

Ich lege hauptsächlich aus zwei Gründen Wert auf die Be⸗ teiligung der Bevölkerung am Bundesrat: einmal ist es, wie mir die Herren aus den Reichslanden versichert haben, im ganzen Lande als eine, wie sie sich französisch ausdrücken, question de dignité empfunden, also als eins der Imponderabilien in der Politik, die oft viel mächtiger wirken als die Fragen des materiellen und direkten Interesses und die man nicht mißachten soll in ihrer Be⸗ deutung. Ich glaube aber nicht, daß bloß die Form beteiligt ist, ich halte es im Gegenteil nach der jetzigen Zu⸗ sammensetzung des Bundesrats für einen Mangel, daß die Ver⸗ tretung des Reichslandes in bezug auf die allgemeine Reichsgesetz⸗ gebung, ganz unabhängig von der Landesgesetzgebung von Elsaß⸗ Lothringen, lediglich durch die zentralen Reichsbehörden stattfindet, die doch das eigentliche Landesinteresse bis in seine lokale Ver⸗ zweigungen hinein nicht mit der Kenntnis vertreten können, wie es

in den übrigen Bundesländern durch deren Landesministerien, die im

Lande wohnen, der Fall ist. (Schluß in der Zweiten Beilage.)

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beraubt.

Neichsanzeiger und Königlich Preußis

Fürst Bismarck hat sich damals mit einem konsultativen Votum begnügt. Aber, meine Herren, wir dürfen nicht vergessen, daß sich nicht nur die Verhältnisse seit dem Jahre 1879 verschoben haben, sondern daß auch durch die Ihnen jetzt vorliegende Verfassung sich die staatsrechtlichen Beziehungen verschoben haben. Die veränderte und verstärkte Stellung des Kaisers hat die Konsequenz gehabt, daß man sich die Frage vorlegen mußte und vorlegen durfte, ob hier nicht eine andere Lösung gefunden werden könnte.

Wir haben bis zur Einbringung der Vorlage eine solche Lösung nicht gefunden. Nachdem aber in Ihrer Kommission die Gewährung von

Bundesratsstimmen mit 23 gegen 4 Stimmen gefordert wurde, haben

sich die verbündeten Regierungen noch einmal die Frage vorlegen müssen, ob denn in der Tat unter diesen Umständen nicht, wenn ich

ich so ausdrücken darf, jetzt reiner Tisch gemacht werden könnte, und den übrigen Vergünstigungen, die man der elsaß⸗lothringischen Bevölkerung zuwenden wollte, auch das Geschenk der Bundesrats⸗

stimmen, wenigstens in beschränktem Maße, beigefügt werden könnte.

Aus diesen Erwägungen heraus ist die Regelung entsprungen, die im Laufe der heutigen Debatte und auch vorher in der Presse herb getadelt worden ist, viel zu herb nach meiner Ansicht, selbst wenn man all den Erwägungen Rechnung trägt, die von seiten der Rechten heute aus⸗ geführt wurden, und die der Herr Reichskanzler als begreiflich an⸗ erkannt hat.

Meine Herren, zunächst ist darauf aufmerksam zu machen: der

Fall, daß die Bestimmung, wonach die elsaß⸗lothringischen Stimmen

nicht gezählt werden sollen, wenn durch sie die Stimme der Präsidial⸗ macht ausschlaggebend würde kann nur sehr selten eintreten. Sie kann, wenn sämtliche Bundesratsstimmen abgegeben werden, nur ein einziges Mal praktisch werden, und zwar nur, wenn die Stimmen wie 31 zu 30 stehen. In allen anderen Fällen wirken die elsaß⸗ lothringischen Stimmen mit und haben das ist das Wichtigste innerhalb der Ausschüsse die volle Wirkung für und gegen Preußen. Wenn man nun aber sagt, es sei trotz alledem eine unerträgliche Zumutung für Preußen, den Fall zuzulassen, daß unter bestimmten Voraussetzungen die elsaß⸗lothringischen Stimmen gegen Preußen gezählt, für Preußen aber nicht gezählt werden, ja, meine Herren, sehen Sie sich doch, bitte, einmal die Verfassung an, und Sie werden finden, daß es da eine ganze Reihe von ähnlichen Anomalien gibt! (Sehr richtig! links.) Sie finden zunächst, daß eine Verfassungs⸗ änderung nicht eintreten darf, wenn 14 Stimmen dagegen abgegeben werden. Wie sind denn diese 14 Stimmen historisch entstanden? Es sind die Stimmen der drei Königreiche, das heißt also, wenn die drei Königreiche einer Verfassungsänderung widersprechen, werden die Stimmen aller übrigen Bundesstaaten einschließlich der preußischen nicht gezählt. (Sehr richtig!) Meine Herren, Sie finden ferner in der Verfassung die Bestimmung, daß eine Aenderung der Heeres⸗ verfassung, eine Aenderung der Marine, eine Aenderung der Gesetz⸗ gebung über die in Art. 35 genannten Abgaben nicht eintreten darf, wenn die Stimmen der Präsidialmacht dagegen sind. In allen diesen Fällen ist also die übrige Gruppe der Staaten ihres Stimmrechts (Sehr richtig! links.)

Sie finden also, daß keineswegs die Verfassung aufgebaut ist auf dem Grundsatze des nackten Majoritätsprinzips, sondern daß die Schöpfer dieser Verfassung das Stimmrecht der einzelnen Bundes⸗ staaten den Bedürfnissen entsprechend in einer sehr komplizierten Weise ausbalanziert haben.

Und wenn Sie diese Bestimmungen berücksichtigen, so finden Sie auch noch, daß tatsächlich bei der Konzession, die wir gemacht haben, ja eigentlich für die elsaß⸗lothringischen Stimmen nichts weiter übrig bleibt, als die wirtschaftlichen Fragen, für die man in erster Linie das Stimmrecht verlangt hat.

Wenn Sie das alles berücksichtigen, meine Herren, so werden Sie mir zugeben, daß erstens mit der Konzession, die hier gemacht ist, ein Wunsch erfüllt ist, der nicht bloß von den Elsässern, nicht bloß von der Linken und aus der Mitte dieses hohen Hauses, sondern auch von den Bänken der Rechten erhoben ist. Wenn den Wünschen der Herren Freikonservativen, die Bundesratsstimmen in der Form der wirtschaftlichen Stimmen zu gewähren, nicht entsprochen ist, so ist das lediglich deshalb nicht geschehen, weil wir der Meinung gewesen sind, daß die von dem Herrn Grafen Posadowsky befürwortete Lösung doch in der Praxis zu Unzuträglichkeiten führen könnte. Das sind Zweck⸗

näßigkeitsfragen, meine Herren. Wir haben geglaubt, daß unsere Lösung die bessere ist. Aber zu behaupten, daß Preußen irgendwie geschädigt würde in seinem Ansehen und in dem Gegwicht seiner Stimmen im Bundesrat, das ist nach meiner Ansicht nicht aufrecht zu erhalten, und es ist namentlich dann nicht aufrecht zu erhalten, wenn man und darum möͤchte ich Herrn von Oldenburg besonders bitten einmal die vielen Ausnahmen ähnlicher Art für und gegen Preußen berücksichtigt, die unsere Verfassung bereits enthält. Wir haben hier keinen neuen Weg beschritten.

Also, meine Herren, ich wiederhole: wir die verantwortlichen Männer, die hier vor Ihnen stehen, und die verbündeten Regierungen sind der Auffassung gewesen, daß die Begabung Elsaß⸗Lothringens mit einer Verfassung eine politische Notwendigkeit ist, der zur Ver⸗ wirklichung verholfen werden muß. Wir sind der Meinung gewesen, daß die Opfer, die wir zu diesem Zwecke gebracht haben wenn ich das Wort Opfer hier im beschränkten Sinne gebrauchen darf —, gebracht werden konnten, ohne daß Preußen, ohne daß irgend ein anderer in seiner Macht und in seiner Würde beeinträchtigt würde. Wir sind vielmehr der Auffassung gewesen, daß, wenn überhaupt hier von Opfern die Rede sein kann, dieses Opfer sind, denen der Erfolg⸗ nicht ausbleiben kann, well sie gebracht werden im Interesse der nationalen Entwicklung und Wohlfahrt unseres Vaterlandes. (Lebhafter Beifall linkg.)

Abg. Dove (fortschr. Volksp.): Die Zeit dränat zur Entscheidung, und ich möchte dem Abg. von Oldenburg nur sagen: Wir fühlen uns zuerst als Vertreter des deutschen Volket, aber wir fürchten damit nicht in

Zweite Beilage

Berlin, Mittwoch, den 24. Mai

Staatsanzeiger. ““

Widerspruch mit unserem Preußentum zu geraten. Die Ausführungen des Staatssekretärs haben bewiesen, daß es unrichtig ist, als ob der Bundesrat ein Organ sei, in dem sich Preußen in perennierendem Kriegszustand mit den üͤbrigen Bundesstaaten befände. Preußen ist es oft genug gelungen, seine Vorlagen gegen die Mehrheit der anderen Bundesstaaten durchzusetzen, wie in der Schiffahrtsfrage. Haben wir das allgemeine Wahlrecht gegeben oder Bismarck? Sie (rechts) gehen nicht die Wege Bismarcks, sondern Gerlachs. Wir halten die Vorlage für notwendig im Interesse des deutschen Volkes und damit auch Preußens, und darum bitten wir Sie, die Vorlage mit möglichst großer Mehrheit anzunehmen.

Abg. Dr. Frank⸗Mannheim (Soz.): Ich habe den Eindruck, als wenn der Abg. von Oldenburg die Stimmen der Sozialdemokraten so be⸗ handeln möchte wie die Stimmen Elsaß⸗Lothringens im Bundesrat, sie sollen nur zählen, wenn sie gegen die Regierung abgegeben werden. Der Abg. von Oldenburg hat gegen das deutsche Interesse das preußische vertreten wollen. Ich halte mich für berechtigt und verpflichtet, das preußische Volk dagegen in Schutz zu nehmen, daß es durch den Abg. von Oldenburg seine Inter⸗ essen vertreten findet. Was der Abg. von Oldenburg vertritt, sind lediglich ostelbische Interessen; er geht ja charakteristischerweise hier mit den Polen und den nationalistischen Elsässern zusammen. Nicht die Bahn Bismarcks wandelt der Abg. von Oldenburg, sondern die Bahn Gerlachs; noch im Anfang der 60 er Jahre wandten sich die Konservativen gegen den sogenannten Nationalitäten⸗ schwindel, d. h. das Streben, Deutschland wirtschaftlich und politisch zu einigen; ein Nachfahr dieser Herren ist der Mann, der heute als preußischer Konservativer uns diese Rede gehalten hat. Das Ergebnis eines Kampfes von Volksgenossen soll man nicht mit Ergebnissen eines Krieges vergleichen, man soll nicht vom kaudinischen Joch sprechen, wenn eine Mehrheit von ihrem Recht Gebrauch macht. Ich habe meinen⸗ Ohren nicht getraut, als ich hörte, daß zu den gottgewollten Abhängigkeiten auch das Pluralwahlrecht gehören soll; denn der Abg. von Oldenburg selbst war es, der in der Kommission für das allgemeine Wahlrecht gestimmt hat. Hat er bloß einen schlechten Witz machen wollen? Hat er nicht zum Zwecke der Erheiterung, sondern ernsthaft für die Beseitigung der Pluralwahlstimmen in der Kommission gestimmt, so entspricht es nicht dem Ernst unserer Erörterung, wenn er jetzt daraus der Regierung einen Vorwurf macht, daß sie jenen Vorschlag machte. Der Abg. Hauß hat sich mit ncastsstiscem Eifer gegen die Ausübung der Staatsgewalt durch den Kaiser in Elsaß⸗Lothringen gewandt; die Gruppe aber, in deren Namen der Abg. Hauß sprach, hat noch vor wenigen Jahren einen Antrag eingebracht, der dem Kaiser die Ausübung dieser Staatsgewalt zusprach. Es ist der Antrag vom 5. Dezember 1905; unterschrieben sind auch die Herren Wetterlé, Ricklin und Preiß, derselbe Preiß, der heute vor einem Ausnahmegesetz gegen Preußen warnt, das er damals selbst beantragt hat! 1907 wiederholte sich dasselbe Schauspiel. Sollen wir, soll das elsässische Volk ihnen da glauben, daß sie ernstliche Bedenken gegen die Uebertragung der Landesgewalt an den Kaiser haben? Wir müssen uns verwahren gegen die Behauptung, daß hier direkte Ausnahmegesetze beschlossen werden sollen. Heute stimmen wir für den Artikel I.

Damit schließt die Beratung. Es folgen Bemerkungen.

Abg. von Oldenburg (kons.): Der Abg. Frank hat erwähnt, daß ich in der Kommission für das allgemeine Wahlrecht gestimmt habe. Die Tatsache ist richtig, ich habe dafür gestimmt, und zwar aus folgenden Gründen: da ich Gegner des Gesetzes bin, habe ich für diesen Paragraphen gestimmt, nachdem die Regierung erklärt hatte, daß ihr dann das Gesetz unannehmbar sein würde. 1

Abg. Dr. Frank (Soz.): Der Abg. von Oldenburg hat also meine Behauptung bestätigt und in wertvoller Weise ergänzt.

Abg. Hauß (Els.): Ich habe mich nicht dagegen gewandt, daß der Kaiser die Landesgewalt ausübt, sondern ich habe dafür gesprochen, daß dem Statthalter ein größeres Maß von Selbständigkeit gegeben wird.

Nach nochmaligem persönlichen Meinungsaustausch zwischen den Abgg. Dr. Frank und Hauß wird zur Abstimmung ge⸗ schritten. Der letzte Absatz des Art. 1 wird mit großer Mehr⸗ i angenommen; dagegen stimmen nur die Deutsch⸗ onservativen und eine Minderheit der Reichspartei. Ueber den dritten Absatz (Bundesratsstimmen) wird namentlich abgestimmt.

Der Passus wird mit 200 gegen 112 Stimmen an⸗ genommen; 2 Mitglieder enthalten sich der Abstimmung, Art. 1 im ganzen wird in der Kommissionsfassung ebenfalls an⸗ genommen. b 8 1

§ 1 des Art. II wird ebenfalls in der Kommissionsfassun angenommen, ebenso § 2, nachdem für den Antrag Hauß sich nur eine verschwindende Minorität erhoben hat.

§ 5 bestimmt in der Kommissionsfassung, daß Landes⸗ gesetze für Elsaß⸗Lothringen vom Kaiser mit Zustimmung des aus 2 Kammern bestehenden Landtages zu erlassen sind. Der Landeshaushaltsetat wird alljährlich durch Gesetz festgestellt. Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur erhoben werden, soweit sie in den Haushaltsetat auf⸗ genommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind. Nach Ablauf eines Etatsjahres bleibt die Landesregierung bis zum Inkrafttreten des neuen Etatsgesetzes ermächtigt, Schatzanweisungen auszugeben, soweit die Einnahmen aus den auf besonderen Gesetzen beruhenden Steuern und Abgaben nicht ausreichen, um die rechtlich begründeten Verpflichtungen der Landeskasse zu erfüllen, Bauten fortzusetzen und die gesetzlich bestehenden Einrichtungen zu erhalten und fortzuführen.

Abg. Hauß (Els.) hefürwortet einen Antrag, folgende Bestimmung aufzunehmen: „Steuern und Abgaben dürfen, wenn sich die Fest⸗ stellung des Haushalts verzögert, auf die Dauer von 4 Monaten nach Maßgabe des letzten Hausbaltsetats fortgeführt werden.“

Abg. Holtschke (dkons.): Der bisherige Zustand war der, daß Gesetze für Elsaß⸗Lothringen gemacht werden mußten im Wege der Reichsgesetzgebung oder im Wege der Fnegeseßrebung. Nach dem neuen Entwurf ist der Weg der Reichsgesetzgebung beseitigt, und darin erblicken wir ein⸗ Verminderung der Kaiserlichen Gewalt. Das ist einer der Gründe, die uns die Zustimmung zu diesem Paragraphen unmöglich machen. 8 8

Abg. Ledebour (Soz.): Diese Regelung widerspricht dem Grund⸗

persönliche

gedanken des konstitutionellen Rechts und auch der Reichsverfassung. In konstitutionellen Staaten muß eine Regierung abtreten und einer anderen Platz machen, wenn sie sich mit dem Parlament nicht einigt.

In der Reichsverfassung besteht diesar Grundsatz in der Tbeorie wenigstens auch, wenn er auch noch nicht praktisch gewerden ist. Wir wollen keinen Schein⸗Konstitutionalismus, weder im Neich, noch in den Einzelstaaten, und stimmen deshalb gegen diese Bestimmungen, auch gegen den Antrag Hauß.

Abg. Winckler (dions.) beantragt wegen der grundsätzlichen Be⸗ denken, die der Abg. Holtschke ausgesprochen hat, die namentliche Abstimmung über den § b.

Nach Ablehnung des Antrags Hauß wird §5 mnament⸗ licher Abstimmung mit 232 gegen 90 Stimmen bei 5 Stimm⸗ enthaltungen in der Kommissionsfassung angenommen. 1

E

§ 6 trifft Bestimmungen über die Zusammensetzung der Ersten Kammer. Die Kommissionsvorschläge wollen unter anderem auch je zwei vom Landwirtschaftsrat aus den im Hauptberuf in der Landwirtschaft tätigen Personen der Bezirke Oberelsaß und Unterelsaß und Lothringen gewählte Vertreter in die Erste Kammer entsenden, von denen je einer aus jedem Bezirk bäuerlicher Kleinbesitzer sein muß.

Abg. Rickl in (Els., b. k. F.) beantragt, dafür zu setzen: Je 2. von den 3 Bezirkstagen des Landes aus Mitte gewählte Mit⸗ glieder, die beide einen reinen Landkanton vertreten.

Abg. Hauß (Els., Zentr.) beantragt, daß die Zahl der vom Kaiser auf Vorschlag des Bundesrats zu ernennenden Mitglieder nicht 12 übersteigen darf, während nach der Vorlage und der Kom⸗ biestöt hho die Anzahl der vom Kaiser zu ernennenden Mitglieder die Anzahl der übrigen Mitglieder nicht übersteigen darf. Derselbe Abgeordnete beantragt, statt der Bestimmung „Wählbar sind nur Reichsangehörige“ zu sagen: Wählbar sind nur elsaß⸗ lothringische Staatsangehörige, und ferner die Altersgrenze für die Wählbarkeit auf 25 Jahre statt 30 Jahre festzusetzen, und endlich die Mitgliedschaft der ernannten Mitglieder lebenslänglich zu machen, während die Vorlage und die Kommissionsfassung nur eine Dauer von fünf Jahren vorsehen.

Abg. Ricklin (Els.) führt zur Begründung seines Antrages aus, daß die Bezirkstage die richtigen Instanzen seien, die die Wahl vornehmen könnten.

Abg. Winckler (dkons.): Ich habe nur eine Einwendung gegen die Bestimmung des § 6 zu erheben, daß auch ein Vertreter der israelitischen Konsistorien in die Erste Kammer gewählt werden soll. Unser Bedenken hat keineswegs antisemitischen Charakter, denn wir haben gerade auf religiösem Gebiet für unsere jüdischen Mitglieder volles Verständnis, unser Bedenken ist vielmehr rein staatsrechtlicher Natur. Denn es wird im deutschen Staatsrecht zum ersten Male ein neues Moment eingeführt. Derartige Privilegien sind bisher nur den großen anerkannten und geschichtlich privilegierten Kirchen, der evangelischen und der katholischen Kirche, vorbehalten. Aber ein vollständiges Noveom wäre das Privileg für das israelitische Be⸗ kenntnis. Dann könnten auch die verschiedenen kleinen Bekenntnisse denselben Anspruch erheben. Wir legen Verwahrung gegen den ersten Schritt auf diesem Wege ein und beantragen deshalb gesonderte Abstimmung über diesen Punkt des § 6.

Abg. Fehrenbach (Zentr.): Eine Erste Kammer gibt es bisher in Elsaß⸗Lothringen nicht; das kann uns aber nicht bestimmen, dieser Regelung zu widersprechen. Der Antrag Hauß will, daß auch die vom Kaiser zu ernennenden Mitglieder Elsaß⸗Lothringens Staats⸗ angehörige sein sollen. Wir haben das Gleiche in der Kommission verlangt, sind aber in der Minderheit geblieben und haben nicht weiter darauf bestanden. Für die lebenslängliche Mitgliedschaft der ernannten Mitglieder können wir uns nicht begeistern. Ich hoffe, daß die Regierung wirklich unabhängige, nicht gouvernementale Leute ernennen wird. Wir tun gut, wirklich bäuerliche Elemente in die Erste Kammer als Gegengewicht gegen die 4 städtischen Vertreter zu entsenden. Wir stimmen für die Kommissionsfassung in der Hoff⸗ nung, daß demnächst auch für Elsaß⸗Lothringen eine einheitliche Land⸗ wirtschaftskammer geschaffen wird.

Abg. Hauß (Els.): Wir bitten Sie vor allem, die vom Kaiser zu ernennenden Mitglieder auf 12 zu beschränken. Wir sind nicht gegen das Ernennungsrecht, aber wir protestieren gegen die Motivierung, daß die Ernennung der der Mitglieder geschehen müsse, weil man der politischen Gesinnung der elsaß⸗lothringischen Mitglieder doch nicht recht trauen könne. Die lebenslängliche Ernennung der Mitglieder wünschen wir, weil sich nach den Erfahrungen anderer Parlamente nur auf diesem Wege selbständige Charaktere heraus⸗ bilden können. Ich bitte Sie, unserem Antrage zuzustimmen.

Sämtliche Amendements werden abgelehnt. Für den An⸗ trag auf Beschränkung der ernannten Mitglieder auf 12 stimmen auch die Sozialdemokraten, die Polen und vereinzelte

Zentrumsmitglieder. 1 K“

§ 6 wird unverändert nach der Kommissionsfassung an⸗ genommen, ebenso §§ 7 —24.

§ 24a ist von der Kommission neu eingefügt und lautet:

„Das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869 vird in Elsaß⸗Lothringen eingeführt.“

§ 24, ebenfalls Zusatz der Kommission, lautet:

„Die amtliche Geschäftssprache der Behörden und öffentlichen Körperschaften sowie die Unterrichtssprache in den Schulen des Landes ist die deutsche. 8

In Landesteilen mit überwiegend französisch sprechender Be⸗ völkerung können auch fernerhin Ausnahmen zugunsten der französischen Geschäftssprache nach Maßgabe des bezüglichen Gesetzes von 1872 zugelassen werden. Desgleichen kann der attk den Gebrauch des Französischen als Unterrichtssprache entspreche

der bisherigen Uebung auf Grund des § 4 des Gesetzes, das Unterrichtswesen, vom 12. Februar 1873 auch fernerhin zul Von den Deutschkonservativen ist beantragt:

1) dem § 24 a hinzuzufügen „Bei der Einrichtung der öffent⸗ lichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse zugrunde zu legen.“ 1

2) Dem zweiten Absatz des § 24 b folgende „In Bezirken, für die festgestellt wird, daß die d von einer größeren Anzabl der Schulkinder ni⸗ standen wird, kann der Statthalter französische Sprache als Unterrichts betreffenden Bezirks zulassen.“

Abg. Dr. Will⸗Straßburg (Elsäser, 24b zu streichen und dafür zu setzen:

„In den Gemeinden, in 3 . erkannten Religionsbekenntnisse vordander ad, sind besondere Elementarschulen für die Kinder, welche einem dieser Bekenntnise angehören, einzurichten. Den religiösen Unterricht in den Volks⸗ schulen sowie in den sonstigen öͤffntlichen und pridaten Unter⸗ richtsanstalten leiten die detreffenden Religionsgesellschaften. Die Bestimmung der Katechismen und Religionsdücher kommt der de⸗

treffenden kirchlichen Behörde zu.“ *

Abg. Dr. Schädler (Zentr); Es desteht eine gewiß und sie ist bei einer nicht geringen Zahl meiner Freunde se bezüglich dieses Paragrapden. s sind gewißse Crinnerungen an k gangene Zeiten, desonders der Derren, die sich mn die Wer J⸗ zurüͤcherinnern, die einen Teil meiner Freunde sedr desorgt und des⸗ bald auch sebe vorsichtig machen. Es dandelt sich nan daram, wär die Worte „entsprechend der disderigen Uodung“ zu versteden Fnd. Ist der Stattdalter derrichtet, entsprochend der disderigen Rodung das Französische zazulassen?

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Irnern, Staatsminister Dr. Deldrück;

Meine Herren! Ich mödte verweg, was die Frae der koöon⸗ fessionellen Schule derrift, feststellen, das Furzort in Clzaß⸗ Lothüngen die konfessonelle Scdale geldenden Notees dn und d Ansnadmen von der Rogel nach dem geltenden Nokt nur dann zulese sind, wenn die Anzabl der Kinder enderer Kombessonen sd Ddoermm d.