— 2— — 22 2 — ———
— - —
—
—
2. —
—
Bestimmung einzufügen, wonach es gleichzeitig mit dem Vieh⸗ fseuchengesetz vom 26. Juni 1909 in Kraft treten soll.
dieser Beschluß wird in dem neuen Vertragsentwurf kraß mißachtet. Eine Reihe ausländischer Staaten hat sich mit vollem Recht gegen einen derartigen Vertragsbruch gewendet. (Vizepräsident Schultz ersucht den Redner, bei der Sache zu bleiben.) Ich muß darauf eingehen, denn der preußtsche Staat bat einen solchen Vertragsbruch begangen. (Vizepräsident Schultz: Ich wollte sie ersuchen, solche scharfen Ausdrücke zu unterlassen) Italien und Oesterreich haben Beschwerde über diesen Vertragsbruch geführt. Italien hat sogar eventuell die Entscheidung des Schiedsgerichts im Haag anrufen zu wollen erklärt. Die Schweiz hat sich ebenfalls beim Auswärtigen Amt über die Ver⸗ letzung des bestehenden Vertrages beschwert. Es ist eine Rechts⸗ widrigkeit, daß die Schweizer Arbeiter sich eine Legitimationskarte lösen sollen. Das ist ein Ausnahmegesetz lediglich gegen die Arbeiter, die 2 oder 5 ℳ bezahlen müssen; tun sie das nicht, so können sie ausgewiesen werden. Gibt es eine stärkere Beleidigung gegen die Arbeiter, als wenn unterschieden wird zwischen Arbeitern und Nichtarbeitern? Das ist ein Verstoß gegen das internationale und auch gegen das Reichsrecht, namentlich ist dies der Fall bezüglich der Ausweisung. Unsere Reichsverfassung sagt ganz klar, daß die Regelung der Freizügigkeit und der Fremdenpolizei aus⸗ schließlich dem Reich zusteht. Zuständig zu einem eventuellen Legitimationskartenzwang ist also nicht Preußen, ein Einzelstaat, sondern das Reich. Kaiser Wilhelm J. und Fürst Bismarck haben 1870/71 die Ausweisung aus Frankreich sehr energisch als eine Ver⸗ letzung des Völkerrechts gekennzeichnet. Nicht nur der Paßzwang ist aufgehoben, auch die Aufenthaltskarten sind aufgehoben. Sie dürfen weder eingeführt, noch, wo sie bestehen, beibehalten werden nach der Ansicht hervorragender Staatsrechtslehrer. Legitimationskarten sind aber Aufenthaltskarten, und damit rechtswidrig, dasselbe gilt auch von den Gebühren. Die Legitimationskarten sind völlig wertlos, und sie werden von einer privaten Gesellschaft, der Feldarbeiterzentrale, ausgestellt. Was würde ein Minister sagen, wenn ihm in der Schweiz gesagt würde: Du villlst hier arbeiten und mußt eine Legitimationskarte lösen, wenn nicht, dann wirst du ausgewiesen! Er würde das für eine Erpressung erklären. Der Einwand, daß die Zentrale so viele Beamte anstellen und daher die Gebühr erheben müsse, ist doch nur eine nicht ernst zu nehmende Ausflucht. Fremdenpolizeiliche Vorschriften darf Preußen überhaupt nicht erlassen, das steht im Widerspruch zu den Verträgen. Man
4 —
sagt, die Ausweisung Fremder geschehe aus Gründen der Ordnung. Das sind Redewendungen, aber keine Gründe. Von einer Störung der inneren Ordnung durch die fremden Arbeiter kann keine Rede sein. Wozu machen wir Niederlassungsverträge, wenn Preußen sich heraus⸗ nimmt, sich einfach darüber hinwegzusetzen. Welche Entrüstung würde entstehen, wenn einem Kommerzienrat oder Professor in der Schweiz begegnete, was einem Schweizer Arbeiter bei uns passiert? Man würde das für eine Schmach und Schande erklären. Einem solchen Vertrag, der implicite die Benutzung von ausländischen Streik⸗ brechern gewährleistet, kann ich nicht zustimmen.
Direktor im Auswärtigen Amt Dr. von Frantzius: Eine Ver⸗ ständigung über die in Betracht kommende Polizeiverordnung mit einem fremden Staate berbeizuführen, wird sehr schwer sein. Der Abg. Stadthagen hat sich sehr eingehend mit den Arbeiter⸗ ausweisungen beschäftigt. Es ist richtig, daß die Schweiz bei uns freundschaftliche Vorstellungen wegen der Arbeiter⸗ legitimationskarten erhoben hat. Auf die von uns gegebene Aufklärung aber hat sich die schweizerische Regierung beruhigt. Wegen der Gebühren befindet sich die von dem Abg. Stadthagen vermißte Bestimmung in dem zmveiten Teile des Vertrages, der die Rechtsverhältnisse regelt. 8 1
Der Antrag Stadthagen auf Kommissionsverweisung wird abgelehnt.
In der zweiten Beratung bei Artikel I setzt der
Abg. Stadthagen (Soz.) seine Darlegungen, daß der neue Vertrag den bestehenden Zustand zu Ungunsten der ausländischen und auch der deutschen Arbeiterschaft, die ins Ausland gehe, verschlechtere, fort. Was nütze ein Vertrag des Reiches, wenn ein Einzelstaat die Be⸗ stimmung eines Niederlassungsvertrages durch eine solche Verordnung, wie den Legitimationszwang durchbreche?
Darauf werden die beiden Verträge im einzelnen unver⸗ ändert angenommen.
Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betref fend die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs. Das Gesetz soll, nachdem das neue Konsulatsgebührengesetz am 1. Januar 1911. in Kraft getreten ist, an die Stelle des Gesetzes vom 25. März 1880, betreffend die Schiffsmeldungen, treten. 1“
Abg. Dr. Heckscher (fortschr. Volksp.): In diesem Gesetze ist eine Neuregelung der Anmeldungen der Schiffe eingeleitet. Im Gegensatz zu dem früheren Gebrauch müssen jetzt die Kapitäne sämtlicher Schiffe, sobald sie einen Hafen anlaufen, unverzüglich ihre Ankunft dem Konsul anmelden. Es läßt sich wesentliches gegen das Gesetz nicht einwenden. Allerdings erlegt das Gesetz dem Kapitän eine nicht gerinee Menge von neuen Schreibereien auf. Der Kapitän und der Schiffsoffizier gehören erfreulicherweise noch zu den Menschen, die sich
in wenig gegen die Schreibseligkeit unseres Zeitalters aufzulehnen pflegen: deshalb glaube ich, daß vielleicht unnötig von dem Kapitän, beispielsweise auch eines Schleppers, jedesmal beim Anlaufen eines Hafens aus irgendeinem Grunde alsbald die schriftliche Meldung erstattet werden muß. Ich sehe von Anträgen ab, aber ich wäre dankbar für eine Erklärung der verbündeten Regierungen dahin, daß man den besonderen Fällen Rechnung tragen und nicht gar zu rigoros gegen die Kapitäne vorgehen wird, z. B. wenn das Schiff nar auf der Reede liegt. 1 “
Direktor um Auswärtigen Amt Dr. von Körner: Es ist keines⸗ wegs die Absicht der Vorlage die bestehenden Verhältnisse zu er⸗ schweren. Der Anregung des Vorredners, eine Erklärung abzugeben, daß das Gefetz milte gehandhabt werden wird, folge ich gern. Die Instruktionen werden in diesem Sinne abgefaßt werden.
Damit schließt die erste Beratung. Das Gesetz wird ohne Debatte darauf auch in zweiter Beratung unverändert an⸗ genommen.
Es folgen die am 23. September 1910 in Brüssel ab⸗ geschlossenen Uebereinkommen a. zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen, b. zur ein⸗ heitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung und Bergung in Seenot. Bergung n off (fortschr. Volksp.) wünscht eine Auskunft von den verbündeten Regierungen, ob es sich bestätige, daß über die Materie, über die auf der Brüsseler Seerechts⸗Konferenz eine Verständigung noch nicht erzielt worden ist, die Verhandlungen wieder außs genommen sind. 8 1 Eijne weitere Debatte entsteht nicht, die beiden Ueberein⸗ kommen werden in erster und zweiter Lesung genehmigt.
Namens der 18. Kommission erstattet der Abg. Stubben⸗ dorf (Rp.) mündlichen Bericht über den Gesetzentwurf, be⸗ treffend die Beseitigung von Tierkadavern. Die Kom⸗ mission empfiehlt die Vorlage zur unveränderten Annahme und
schlägt folgende Resolution vor:
Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, bei den einzelnen Bundesregierungen darauf hinzuwirken, etwa bestehende Addeckerei⸗ privilegien zu beseitigen. 1 —
Außerdem beantragt der Referent, in das Gesetz eine
A —
aweit auseinander, (sehr richtig! in der Mitte) und der
Ueber den Gesetzentwurf, betreffend den Patent⸗ ausführungszwang, hat der Abg. Dr. Junck (nl.) namens der 22. Kommission Bericht erstattet, die Kommission hat die Vorlage nur durch die Bestimmung erweitert, daß die Ueber⸗ tragung des auf einen anderen insofern wirkungslos sein soll, als sie nur den Zweck hat, der Zurücknahme zu ent⸗
gehen. . 2 Abg. Erzberger (Zentr.): Der Referent hat einen so ausführlichen und vorzüglichen Bericht erstattet, daß es nicht angebracht erscheint, über Einzelheiten zu sprechen. Meine Freunde werden für die Vor⸗ lage stimmen, die ein Notgesetz darstellt. Sie gibt mir aber Ge⸗ legenheit zu der Erwähnung, daß man dem deutschen Verfahren der Vorprüfung, das so viel Anfeindung erfahren hat, in weiten Kreisen auch des Auslandes den Vorzug gibt. Es ist festzustellen, daß die deutsche Industrie mit der bisherigen Handhabung einverstanden ist. Man kann nur wünschen, daß das Patentamt in derselben gewissen⸗ haften Weise weiterarbeitet. “ X“
Abg. Freiherr von Gamp (Rp.): Diese Frage steht in einem ge⸗ wissen Zusammenhange mit dem Entwurf, denn wir haben ein Inter⸗ esse daran, die Autorität unseres Patentamts namentlich im inter⸗ nationalen Verkehr aufrecht zu erkalten. Wir müssen dafür sorgen, daß nicht im Auslande der Eindruck erweckt wird, als ob das deutsche Patentamt eine minderwertige Institution ist. Ich möchte Bezug nehmen auf einen Artikel „Der Rückgang des deutschen Patentamts⸗ von Dr. Wirth. Dieser Artikel enthält zwei außerordentlich schwere Anschuldigungen. Die erste geht dahin, daß die Beamten des Patentamts, namentlich wenn sie eine richterliche Tätigkeit ausüben, nicht frei sind in ihrem Urteil, sondern von dem Präsidenten des Patentamts beeinflußt werden. Es ist der schwerste Vorwurf, der einem Beamten gemacht werden kann, daß er rechts⸗ widrig seine Untergebenen zu beeinflussen sucht. Dieser Punkt muß aufgeklärt werden. Die Behörde kann den Vorwurf nicht auf dem Patentamt sitzen lassen. Der zweite schwere Vor⸗ wurf richtet sich gegen die Industrie sowohl wie gegen das Patentamt. Er lautet dahin, daß die Industrie unzufrieden sei mit der Judikatur des Patentamts, es jedoch nicht wage, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu geben, um nicht beim Patentamt ungünstige Entscheidungen berbei⸗ zuführen. Die maßgebenden industriellen Kreise haben diese Angriffe scharf mißbilligt. Die Unparteilichkeit unseres Patentamts muß bei internationalen Verträgen bervorgehoben werden. 1910 wurden 45 000 Patentanmeldungen eingereicht und 12 100 Patente erteilt. Dies spricht dafür, daß die Bedürsnisse des Verkehrs ausreichend be⸗ rücksichtigt werden.
Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück:
Meine Herren! Ihnen allen ist ja bekannt, daß von verschiedenen Selten und aus verschiedenen Gründen eine mehr oder minder durch⸗ greifende Veränderung unserer Patentgesetzgebung verlangt wird; wiederbolt ist auch hier in diesem hohen Hause auf die Notwendigkeit einer Abänderung unseres Patentgesetzes hingewiesen. Darüber, wie diese Abänderung aber vorzunchmen ist, gehen hier wie außer⸗ halb dieses hohen Hauses die Meinungen außerordentlich
Kampf, der sich um die grundsätzlichen Fragen, die bei der Abänderung des Patentsgesetzes in Frage kommen, entsponnen hat, ist mit die Ursache der maßlosen Angriffe, die gegen das Patentamt und gegen einzelne Beamte desselben erhoben werden. Wie diese Fragen sachlich zu lösen sein werden, darüber will ich mich heute nicht aussprechen. Das eine aber glaube ich, auf Grund meiner Kenntnis der Verhältnisse und der Akten, heute feststellen zu müssen: daß unsere Industrie, oder wenigstens die zahlreichen Vertreter der⸗ selben, die wir zur Sache gehört haben, stets die Vortrefflichkeit und Zuverlässigkeit der Arbeiten unseres Patentamts und die Brauchbar⸗ keit des jetzigen Verfahrens betont haben. (Bravo! rechts.) Wenn ich das hiermit feststelle, so fällt die gegenteilige Behauptung der Wirthschen Broschüre, auf die hier eben Bezug genommen wurde, in sich zusammen. (Sehr richtig! rechts.) Im übrigen ist diese Broschüre der Aufmerksamkeit meines Amtes nicht entgangen und wird auf ihren Inhalt genauer geprüft werden.
Wenn über eine abgeklärte Kritik hinaus gegen einzelne Beamte des Patentamts in der Oeffentlichkeit sachlich unbegründete und formell ungehörige Angriffe erhoben werden, so wird selbstverständlich, soweit ein Anlaß dazu vorliegt, das Nötige geschehen, um die Beamten gegen derartige Angriffe zu schützen.
Ich glaube, die Antwort genügt auf die Anregungen, die die beiden Herren Vorredner gegeben haben. (Zustimmung rechts und in der Mitte)
Abg. Dove (fortschr. Volksp.): Diese Frage wäre besser beim Etat des Patentamts besprochen worden. Ich will zu den Angriffen gegen das Patentamt keinerlei Stellung nehmen, aber jeder Preuße hat das Recht, seine Meinung zu sagen, und Dr. Wirth speziell ist ein Mann, der in den mit dem Patentamt in Verbindun stehenden Kreisen bekannt ist und über dessen Aeußerungen, mögen sie auch in der Form maßlos sein, man nicht ohne weiteres hinweggehen kann.
Der Berichterstatter Abg. Dr. Junck beantragt, das Gesetz am 1. Juli 1911 in Kraft treten zu lassen.
Abg. Geck (Soz.): Die Ausführungen der Abg. Erzberger und von Gamp stehen in einem so losen Feeenegtange mit der Materie,
ß auch wir auf andere Dinge eingehen könnten; wir würden dann
h au
hauptfächlich die Frage der Patentanwaltschaft behandeln, haben uns aber strerg auf die vorliegende Frage beschränkt, und zwar in der Meinung, daß die Aenderung des Patentgesetzes ganz bestimmt den künftigen Reichstag beschäftigen wird. Mit dem Gesetz sind wir ein⸗ verstanden. G
Die Vorlage wird darauf in der Kommissionsfassung mit dem Antrage Junck angenommen, und auf Antrag des Be⸗ richterstatters sofort auch, da niemand aus dem Hause widerspricht, in dritter Lesung endgültig.
Den letzten Gegenstand der Tagesordnung bildet der Gesetzentwurf über die Ausgabe kleiner Aktien in den Konsulargerichtsbezirken und in dem Schutz⸗ gebiet Kiautschou. Der Reichstag hat einen fast dg lautenden Entwurf am 6. Mai 1910 in zweiter Lesung ab⸗ gelehnt. Die verbündeten Regierungen haben ihn wieder vorgelegt, nachdem die deutschen Interessenten in Ostasien in zahlreichen Petitionen um nachträgliche Annahme des Gesetz⸗ entwurfs sich an den Reichstag gewendet haben und dessen
getitionskommission beschlossen hat, die Petitionen dem Reichs⸗ kanzler zur Berücksichtigung zu überweisen. 8 1
Auf Antrag des Abg. Dr. Belzer (Zentr.), der sich mit anderen Fraktionen vorher besprochen hat, wird jedoch dieser Gegenstand von der Tagesordnung abgesettzt.
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Schluß 4 Uhr.
Nächste Sitzung Freitag 11 Uhr (Abänderung des Diäten⸗ gesetzes: Abänderung des Zündwarensteuergesetzes; dritte Lesung der Gesetzentwürfe, betreffend die elsaß⸗lothringische Verfassung und die Reichsversicherungsordnung; zweite Beratung des Ein⸗ führungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung). “
. Haus der Abgeordneten. ung vom 24. Mai 1911, Vormittags
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Inter⸗ pellation der Abgg. Aronsohn (fortschr. Volksp.) und Genossen:
„Ist der Königlichen Staatsregierung bekannt, daß dem russischen Studenten Demetrius Dubrowsky das Studium an der hiesigen Universität versagt worden ist? Durch welche Organe und nach welchen Grundsätzen wurden in diesem Falle und werden im allgemeinen die politische Zuverlässigkeit und der Besitz der erforderlichen Subsistenzmittel bei ausländischen, insbesondere russischen Studierenden geprüft?“
Nach der Begründung der Interpellation durch den Abg. Dr. von Liszt (fortschr. Volksp.), über die bereits in der vor⸗ gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, nimmt das Wort der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. von Trott zu Solz:
Meine Herren! Die Frage der Benutzung unserer Universitäten durch Ausländer ist schon wiederholt der Gegenstand von Erörterungen in diesem hohen Hause gewesen. Ich selbst habe bei Beratung des letzten Etats Gelegenheit gehabt, mich zu dieser Frage zu äußern Ich habe damals ausgeführt, daß es einer alten, gern geübten Tradition entspreche, wenn unsere Universitäten den Ausländern in weitem Maße Gastfreundschaft in ihren Hörsälen gewähren, und daß diese Tradition für uns auch insofern einen direkten Vorteil habe, als gerade diejenigen Ausländer, welche an unseren Universitäten studiert haben, uns in ihrer Heimat treue und bewährte Freunde geworden sind und dort Sympathien für Deutschland verbreitet haben. An dieser Tradition, meine Herren, ist bisher stets festgehalten worden, und an dieser Tradition wollen wir auch in Zukunft festhalten.
Aber selbstverständlich, meine Herren, diese weitgehende Gast⸗ freundschaft kann nicht ohne jeden Vorbehalt, ohne jede Einschränkung geübt werden; es ist selbstverständlich, daß sich die Ausländer den⸗ selben Bestimmungen unterwerfen müssen, denen sich unsere Inländer zu unterwerfen haben, wenn sie die Universität besuchen, und es ist insbesondere selbstverständlich, daß die Ausländer dieselben oder wenigstens eine gleichartige Vorbildung nachweisen müssen, die wir von den Inländern fordern, wenn sie zur Immatri⸗ kulation oder als Hörer an unseren Universitäten zuge⸗ lassen werden wollen. (Sehr richtig!) Wir können unmöglich in dieser Beziehung die Inländer strenger behandeln als die Aus⸗ länder. Aber auch dann, meine Herren, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, kommt noch in Betracht, ob etwa die Zahl der Aus⸗ länder an unseren Universitäten eine so große geworden ist, daß dar⸗ unter die Inländer leiden, daß es ihnen erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird, die Hörsäle und Institate, die doch in erster Linie für die Inländer bestimmt sind (Abg. von Kardorff: Sehr richtig!), nach ihrem Uaterrichtsbedürfnis zu benutzen. Im allgemeinen, meine Herren, ist dieser Gesichtspunkt bei uns noch nicht praktisch geworden, wohl aber gegenüber den russischen Studenten, die bekannt⸗ lich in außerordentlich großer Zahl den deutschen Universitäten zu⸗ streben und insbesondere die Berliner Universität aufsuchen. Sie haben vielleicht in den Zeitungen gelesen, daß kürzlich die Königlich bayerische Regierung, um Abhilfe zu schaffen, dazu übergegangen ist, eina numerus clausus einzuführen, eine Zahl festzulegen, über die hinaun russischeStudenten an der Münchener Universität nicht mehr immatrikuliert werden dürfen. Wir sind bisher, meine Herren, nicht so weit ge⸗ gangen; wir haben uns damit begnügt, bei der großen Anzahl der Gesuche von russischen Studenten um Immatrikulation etwas strenger zu verfahren, eine gewisse Auswahl zu treffen, um auf diese Weise die Gesamtzahl der russischen Studenten herabzumindern. Meine Herren, ein solches Verfahren empfiehlt sich gerade russischen Studenten gegenüber auch aus anderen Erwägungen.
Ganz gewiß ist unter den russischen Studenten, die Deutschland zu ihrem Studium aufsuchen, eine große Reihe von wohlgesitteten, strebsamen, intelligenten jungen Leuten, die wir gern bei uns auf⸗ nehmen, die wir gern als Gäste an unseren Universitäten sehen. Aber es ist bekannt, daß unter ihnen sich eine nicht geringe Zahl von Ele⸗ menten befindet, die man nicht so günstig beurteilen kann, bei denen man auch bei noch so weitem Entgegenkommen, bei noch so weiter Auffassung wirklich nicht sagen kann, daß es erwünschte Gäste auf unseren Universitäten sein würden, denen gegenüber wir vielmehr allen Anlaß haben, sie von unseren Universitäten fern zu halten.
Das ist auch durchaus die Ansicht der biesigen Universität, und demgemäß hat sie ihre Einrichtungen getroffen. Den äußeren Anlaß dazu gab ein Vorkommnis im Jahre 1901, dessen sich vielleicht einige der Herren noch erinnern. Damals unterstanden sich russische, namentlich russisch⸗polnische hier immatrikulierte Studenten, in den Hörsälen der Universität bei einer Vorlesung deutsch⸗feindliche De⸗ monstrationen zu veranstalten. (Hört, hört! rechts.) Damals, meine Herren, sind die entsprechenden Maßnahmen dagegen getroffen worden. Und die Universität hat sich ihrerseits unter Zustimmung des Ministeriums entschlossen, bei der ihr nach den Statuten obliegenden Prüfung der Persönlichkeit vor der Immatrikulation bei den russischen Studenten etwas schärfer zuzusehen, etwas strenger zu verfahren. (Sehr richtig! rechts.) —
Meine Herren, es kam hinzu, daß damals zahlreiche Klagen von Kaufleuten und Zimmervermieterinnen eingegangen waren, die sich darüber beschwerten, daß sie russischen Studenten im Vertrauen auf die ihnen bei der hiesigen Universität gewährte Immatrikulation Kredit gewährt, ihre Zimmer vermietet hätten und nun um ihr Geld kämen, weil diese russischen Studenten spurlos ver⸗ schwunden wären. (Hört, hört! rechts.) Es hat sich in der Tat süe geben, daß eine große Zahl von gänzlich mittellosen Studenten hie
anwesend waren.
2 hat denn die Universität, da sie selbst nicht die -v Organe hat, um die notwendigen Erkundigungen einzuziehen, sei † so verfahren, daß sie in jedem Falle, wo es sich um die rneA kalation eines russischen Studenten handelt, sich unter 88Se. 88 der von diesem ihr gegebenen Ausweispapiere an d Pol 18. präsidium mit der Frage wandte, ob etwa dort Beden en e- —. Persönlichkeit des Antragstellers zu entnehmen seien, ußid Ar. Fe Bitte, sich den Nachweis liefern zu lassen, daß der A ragste een Besitz der nötigen Subsistenzmittel sei, um hier in Berlhn sein L
Ohne jede Debatte beschließt das S nach den
als Student zu unterhalten
Dieses Verfahren ist seitdem in Anwendung gekommen, und es ist dabei keineswegs in engherziger, in kleinlicher Weise vorgegangen worden, wie schon daraus hervorgeht, daß im vorigen Winter an der hiesigen Universität 480 russische Studenten immatrikuliert waren (hört, hört! rechts), und in diesem Sommer 429 russische Studenten immatrikuliert sind. Das bedeutet ein Drittel aller ausländischen Studenten, und das sind Zahlen, die so erheblich sind, daß man, wenn sie sich etwa noch weiter erhöhen sollten, vor die Frage gestellt wäre, auf anderem Wege Abhilfe zu schaffen, um einer zu starken Zunahme der russischen Studenten an der Berliner Universität entgegenzutreten. (Sehr richtig! rechts.) Es ist also das Verfahren keineswegs auf einem Geheimerlaß, wie ün der Herr Interpellant vorhin gekennzeichnet hat, basiert, durch den die Universitäten angewiesen worden wären, der Auskunft des Polizei⸗ präsidiums unbedingt zu folgen, welche auf ihre Anfrage erteilt worden ist. Ich kann also diese Frage verneinen.
Was nun, meine Herren, den bedauerlichen Fall anlangt, der den Anlaß zu der Interpellation gegeben hat, so möchte ich mir erlauben, folgendes zu bemerken.
Der russische Student Demetrius Dubrowsky ist Mitte April von Jena aus hier zugezogen. In Jena war er, von Petersburg kommend, vier Wochen anwesend, ist dort aber weder immatrikuliert, noch als Hörer an der Universität zugelassen gewesen; die entgegengesetzten Nachrichten der Zeitungen sind also falsch. Nach seiner Ankunft in Berlin richtete er das Gesuch um Immatrikulation an die Uni⸗ versitätsbehörde. In der üblichen Form wurde auch über ihn und gleichzeitig über drei andere russische Studenten die Anfrage an des Polizeipräsidium gerichtet. Dieses hatte keine Bedenken gegen die drei anderen Studenten zu erheben, die infolgedessen auch immatrikuliert worden sind; gegen den russischen Studenten Dubrowsky machte das Polizeipräsidium dagegen geltend, daß er politisch nicht unbedenklich erscheine und daß er den Nachweis von Subsistenzmitteln nicht habe führen können. Dieser letzte Grund würde schon nach der bestehenden Uebung haben ausreichen müssen, die Immatrikulation zu verweigern, auch wenn Bedenken gegen Dubrowsky vom Polizeipräsidium überhaupt nicht erhoben worden wären. Und so ist denn unterm 28. April die Immatrikulation ab⸗ gelehnt worden.
Keineswegs hat nun Dubrowsky gleich nach dem Empfang dieses Bescheides, wie in den Zeitungen stand, zur Waffe gegriffen; er ist vielmehr zwei Tage später, am 1. Mai, auf der Universitätsbehörde erschienen und hat dort die Frage gestellt, ob es nicht doch möglich sei, ihn zu immatrikulieren. Da wurde ihm der Rat gegeben, sich an eine, genau bezeichnete, Stelle des Polizeipräsidiums zu begeben und dort zu versuchen, die gegen ihn erhobenen Bedenken zu zerstreuen, und den Nachweis zu liefern, daß er im Besitz der nötigen Mittel sei, um sein Leben hier zu unterhalten. Es war ihm also durchaus die Gelegenheit gegeben, das zu tun, was der Herr Interpellant für notwendig hielt, nämlich gegen die gegen ihn erhobenen Bedenken zu remonstrieren und Aufkzärung in der Sache zu geben. Das hat Dubrowsky leider nicht getan. Er ist seitdem an einer amtlichen Stelle überhaupt nicht mehr erschienen und hat dann Hand an sich gelegt.
Es ist nun mit Bestimmtheit gewiß nicht festzustellen, welchen Grund Dubrowsky hatte, zu dieser bedauerlichen Tat zu schreiten. Aber diese Tat kann schlechterdings nicht in Verbindung mit der ver⸗ weigerten Immatrikulation gebracht werden, sie muß vielmehr aller Vahrscheinlichkeit nach darauf zurückgeführt werden, daß Dubrowsky, vie von Freunden von ihm bezeugt worden ist, sich schon seit längerer Zeit in einem hochgradig nervösen Zustand befunden hat, der auch schon in Jena, wie mir von dort mitgeteilt worden ist, sich bemerkbar gemacht hatte. Zudem hat er selbst, wie von einem Schulfreunde und von dem Krankenwärter ausgesagt worden ist, noch auf seinem Krankenlager ausdrücklich ausgesprochen, daß seine Tat nicht mit der abgewiesenen Immatrikulation in Verbindung stände (hört, hört! rechts), er habe so wie so schon den Entschluß gefaßt gehabt, seinem Leben ein Ende zu machen. So bedauerlich also auch diese Tat ist, sie kann in keiner Weise zu einem Vorwurf dienen für die Universitäts⸗ verwaltung, und sie kann auch keinen Anlaß bilden, an den bestehenden Einrichtungen irgend etwas zu ändern. (Bravo rechts — Abg. Hoff⸗ mann: Hört, hört!)
Minister des Innern von Dallwitz:
Wie der Herr Minister der geistlichen Angelegenheiten soeben dargelegt hat, legt die Universitätsbehörde die Pässe oder sonstigen Ausweispapiere der bei ihr zur Immatrikulation angeme ldeten russischen Studenten der Polizeibehörde vor mit dem Ersuchen, ihr etwaige Bedenken, die gegen die Immatrikulation obwalten, mitzuteilen. Die Polizeibehörde ist schon auf Grund der bestehenden Bestimmungen über die gegenseitige Hilfeleistung staatlicher Behörden gehalten, der⸗ artigen Ersuchen zu entsprechen. Bei der Kürze der Frist, innerhalh deren im Interesse der rechtzeitgen Immatrikulation der betreffenden Ausländer die gewünschte Auskunft erteilt sein muß, ist zu schrift⸗ lichen Anfragen und sonstigen zeitraubenden Ermittlungen in solchen Fällen kein Raum gegeben. Die einzigen Informationsquellen, auf die die Polizeibehörde mithin angewiesen ist, sind die von den beteiligten Ausländern etwa selbst beigebrachten Unter⸗ lagen und die allgemeinen polizeilichen Akten, welche daraufhin durchgesehen werden, ob in ihnen Notizen über die betreffen⸗ den Persönlichkeiten sich vorfinden, die infolge von Mitteilungen anderer Behörden oder auf Grund früherer Ermittlungen und Fest⸗ stellungen darin haben Aufnahme finden können. Eine Rückfrage bei
der Heimatsbehörde, beim Heimatsstaat, bei sonstigen ausländischen Behörden oder Beamten findet nicht statt und ist auch mit Rücksicht auf die Eilbedürstigkeit der zu erteilenden Auskunft ausgeschlossen. Die zu erteilende Auskunft beschränkt sich auf etwaige sittliche und politische Bedenken und auf den Nachweis des Vorhandenseins der zum Unterhalt während der Dauer des hiesigen Studiums erforder⸗ lichen Mittel.
In dem vorliegenden Fall ist infolge eines die Immatrikulation von vier russischen Ausländern, betr. Ersuchens der Universitäts⸗ verwaltung die Auskunft erteilt worden, daß gegen die Immatriku⸗ lation der Studenten Josef Ehrlich, Morduch, Zuckermann und der Studentin Dukennikowa Bedenken weder in moralischer, noch in politischer noch in materieller Beziehung vorlägen, daß aber der Student Demetrius Dubrowski in politischer Beziehung nicht zu⸗ verlässig erscheine und den Nachweis der zum Unterhalt während seines Studiums erforderlichen Gelemittel nicht habe
3
erbringen können. Diese Auskunft lautet etwas anders, als der Begründer der Interpellation, Herr Abg. Liszt, sie mitgeteilt hat. Die Polizei hat nicht gesagt, daß er politisch nicht zuverlässig sei, sondern daß er politisch nicht zuverlässig erscheine (Lachen links), und sie hat ferner nicht gesagt, daß er nicht in dem Besitz der erforder⸗ lichen Geldmittel sei, sondern daß er den Nachweis über den Besitz der erforderlichen Geldmittel nicht habe führen können. (Lachen links.)
Dieser Auskunft liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Im dienstlichen Auftrage der Abteilungsdirektive hat am 24. April ein Polizeibeamter mit Dubroweki über die ihm zur Verfügung stehenden Subsistenzmittel verhandelt. Dubrowski ist hierbei nicht in der Lage gewesen, irgend welche Beläge, seien es auch nur Briefe, Postanweisungsabschnitte, Schecks oder sonstige Nachweise über das Vorhandensein ihm zustehender Geldmittel zu erbringen. Als der Beamte sich hierauf entfernen wollte, richtete Dubrowski die Frage an ihn, ob es in Berlin politische Ver⸗ eine russischer Studenten gäbe. Auf die Antwort des Befragten, daß es seines Wissens in Berlin zurzeit nur eine russische Landsmannschaft gäbe, der auch einige Mitglieder der russischen Botschast als Ehren⸗ mitglieder angehörten, äußerte Dubrowski, daß sei kein Verein für russische Studenten, daß sei eine konservative Gesellschaft, die von Politik keine Ahnung habe. Es müßten doch auch in Berlin politische Vereine russischer Studenten vorhanden sein, wie sie an den russischen Hochschulen trotz aller polizeilichen Verfolgungen immer noch be⸗ stünden. (Lachen links.) Die infolge dieses zweifellos auffälligen Verhaltens erteilte Auskunft stellt sich keineswegs als eine endgültige Entscheidung über die für die Immatrikulation des Dubrowski in Frage kommenden Momente dar; vielmehr sind die Fälle sehr häufig, in denen die zunächst geltend gemochten Bedenken gegen die Immatrikulation von den Interessenten demnächst beseitigt werden, und namentlich der Nachweis des Vorhaondenseins genügender Subsistenzmittel durch die Vorlegung von Attesten beigebracht wird des Inhalts, daß die Angehörigen bereit und fähig seien, den Unterhalt während des Aufent⸗ halts in Berlin zu bestreiten. So ist z. B. in den letzten zwei Jahren in mehr als der Hälfte der Fälle, in denen zunächst die Immatri⸗ kulation wegen des Mangels vorhandencr Geldmittel hatte versagt werden müssen, demnächst dieser Nachweis geführt worden und alsdann infolge einer die erste Auskunft ergänzenden Mitteilung der Polizei⸗ behörde die Immatrikulation der betreffenden Studenten anstandslos erfolgt.
In dem vorliegenden Falle hat die Polizeibehörde um so weniger Anstand nebhmen können, neben der materiellen auch auf das politische Bedenken hinzuweisen, als Dubrowski ohnehin wegen des mangelnden Nachweises der Subsistenzmittel zunächst nicht immatrikuliert werden konnte und durch die gleichzeitige Mitteilung aller obwaltenden Bedenken dem Dubrowski die Möglichkeit gegeben war, bei dem eventuellen späteren Nachweis des Vorhandenseins genügender Subsistenzmittel auch die gegen ihn entstandenen politischen Zweifel aufzuklären. Dem⸗ gemäß ist Dubrowski auch von dem Universitätsrichter ausdrücklich auf diesen Weg verwiesen und ihm der Rat erteilt worden, bei der betreffenden Polizeiabteilung sich über seine Subsistenzmittel und über seine politische Zuverlässigkeit auszuweisen. Aus welchen Gründen Dubrowski diesen Rat nicht befolgt hat, entzieht sich meiner Kenntnis⸗ Ich bedaure es um so mehr, als nach den Ausführungen des Herrn Abg. Liszt es ihm ein Leichtes gewesen sein würde, sowohl sich über seine Subsistenzmittel wie über seine politische Zuverlässigkeit auszu⸗ weisen. (Bravo! rechts.)
Auf Antrag des Abg. Fischbeck (fortschr. Volksp.) tritt das Haus in eine Besprechung der Interpellation ein.
Abg. von der Osten (kons.): Die Berechtigung von Kautelen gegen Ausländer dürfte wohl von keiner Seite des Hauses bestritten werden. Die Tatsachen, die der Minister angeführt hat, sprechen genügend dafür, daß unser Staat ein vitales Interesse daran hat, sich von Elementen frei zu halten, die dem Staate gefährlich sein könnten. Gerade unser Staat geht weiter als alle übrigen Staaten; an der Hochschule zu Charlottenburg waren 17,4 % der Studenten Ausländer. Es sind so viele Ausländer vorhanden, daß aus den Kreisen der deutschen Studenten lebhafte Klagen kommen. Der Tat⸗ bestand des vorliegenden Falles zeigt so klar die Gründe, daß jede weitere Besprechung unnötig wird. Der Abg. von Liszt hat selbst zu⸗ gegeben, daß der junge Student an Nervenzerrüttung litt. Die Inter⸗ pellation ist nicht an die richtige Adresse gerichtet. Ich gebe zu, daß der Fall ein größeres allgemeines Interesse hat, aber nicht in dem Sinne, wie es die Interpellanten meinen. Dieser Fall sowie die vielen Schülerselbstmorde zeigen, daß eine sehr schädliche Strömung herrscht, eine Strömung sittlicher, religiöser und politischer Art, die der Jugend die gesunden Grundlagen nimmt. Dazu gehoören auch die politischen Irrlehren. Dadurch ent⸗ stehen für einen Teil der Jugend Konflikte, die ihr den inneren Halt nehmen. In dieser Hinsicht sprechen wir der Regierung die Er⸗ wartung und das Vertrauen aus, daß sie dieser Krankheit unserer Jugend mit allem Nachdruck entgegentreten wird. (Abg. Hoffmann: Ja, Bonner Korpsstudenten!) Dieser Zwischenruf, Herr Hoffmann, zeigt nur, daß Sie die Bonner Studenten nicht kennen und niemals in Bonn gewesen sind. Die erste Regel der Bonner Studenten und vor allem der Bonner Korpsstudenten heißt Selbstzucht. (Abg. Hoff⸗ mann: Zusammen Eisenbahnwagen zerstören!) Diese Ausschreitungen sind bekannt, die Ausschreitungen Ihrer Partei sind aber auch bekannt. Wir erwarten von dem Kultusminister und dem Minister des Innern, daß sie diesen schädlichen Strömungen in unserer Jugend entgegen⸗ treten. Die Regierung darf vor keinen Maßregeln zurückschrecken.
Abg. von Kardorff (freikons.): Ein stichhaltiger Grund für eine Interpellation liegt nicht vor. Von dem Rechte der Interpellation soll man immer nur Gebrauch machen, wenn wirklich wichtige politische Frazen vorliegen. Ist das hier eine Frage, um derentwillen wir hier zwei Stunden zubringen müssen? Wir hätten lieber eine Reihe von Initiativanträgen erledigen können. Der Fall des unglücklichen Studenten ist durch die Ausführungen der beiden Minister vollständig klargestellt. Auf die Verweigerung der Immatrikulation hin hätte er nur zur russischen Botschaft zu gehen brauchen, die ihm sicher geholfen hätte.
Abg. Dr. Köntg (Zentr.): Es ist binreichend klar, daß der Selbstmord des unglücklichen Studenten nicht auf die Verweigerung der Immatrikulation zurückzuführen ist. Der junge Mann litt an Nerven⸗ zerrüttung. Der Selbstmord hat anscheinend denselben Grund wie alle die Schülerselbstmorde, in all den modernen Anschauungen, die keine Selbstzucht mehr kennen. Auch meine politischen Freunde wünschen unter allen Umständen, daß die deutschen Universitäten den Ausländern geöffnet sein sollen; die große Zahl der ausländischen Studenten ist auch ein Beweis dafür, daß in keiner Weise kleinlich verfahren wird und daß den Universitätsbehörden keinerlei Vorwurf zu machen ist. Aber Elemente, die nicht geeignet sind, in unseren Hörsälen zu sitzen, müssen ferngehalten werden. Deshalb wünschen wir auch eine strenge Kontrolle, wie sie auch gehandhabt wird.
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Es scheint, daß nach der amtlichen
geübt wird, zweckmäszig ist. Ich nehme auch Notiz von der Erklärung des Ministers, daß dieses Verfahren von der Universitätsbehörde selbst angeregt worden ist. Das Besteben eines Geheimerlasses ist vom Minister auf das entschiedenste m Abrede gestellt worden. Bestände ein solcher Erlaß, dann müßte er den schärfsten Protest hervorrufen. Das eine ist aber in diesem Fall festgestellt, daß die Auskunft, die der Universitätsbehörde gegeben ist, eine recht oberflächliche gewesen ist. Dem Minister wird ja auch bekannt sein, daß bei den polltischen Ausweisungen die Regierung nicht immer eine glückliche Hand ge⸗ habt hat. Die Ausfübrungen des Abg. von der Osten verstehe ich nicht recht. Wenn der Selbstmord des russischen Studenten auf Nervenzerrüttung zurückzuführen ist, so weiß ich nicht, wie man hier von gewissen subversiven Anschauungen reden kann, die in der Studentenschaft verbreitet seien. Es liegt doch viel näher, anzunehmen, daß eine körperliche Krankheit den Anlaß zu dem traurigen Fall ge⸗ geben hat. Ich weiß nicht, was er darunter versteht, wenn er die Regierung zu energischem Vorgehen auffordert. Will er damit sagen, daß der Studentenschaft mit Gewalt ein anderer Geist eingeflößt werden soll? In der Freiheit liegt der Vorzug unseres Universitäts⸗ wesens, davon wollen wir uns nichts nehmen lassen. Selbstverständ⸗ lich müssen wir von der Jugend Selbstzucht verlangen. Aber darin müssen gerade die feudalen Kreise den Kommilitonen, die aus niederen Abg. Korfanty (Pole): Dem Herrn von Kardorff müßte es doch nur angenehm sein, wenn durch russische Studenten, die in Deutsch⸗ land studiert haben, die Kenntnis der deutschen Sprache im Auslande verbreitet wird. Ich habe selbst mit zussischen Studenten zusammen studiert, sie sind uns nicht immer sympathisch, namentlich die Damen in ihrem äußeren Benehmen, aber zum größten Teil sind es sehr tüchtige und fleißige Leute, die nur für ihre äußere Erscheinung nicht die Mittel übrig haben. Nur engherziger Chauvinismus kann sie zurückweisen. Der Student Dubrowsky hatte die glänzendsten Zeug⸗ nisse von allen seinen Professoren, er hatte sich vollständig der Wissen⸗ schaft hingegeben und hatte für nichts anderes Interesse. Der Vater macht ihm in einem Briefe Vorwürfe, daß er sich ganz in seine Bücher vergrabe und für seine Gesundheit nicht sorge. Der Vater muß doch seinen Sohn gekannt haben. Es ist einfach un⸗ wahr, daß der junge Mann auf seinem Krankenlager gesagt habe, daß seine Tat nicht mit der Verweigerung der Immatrikulation in Ver⸗ bindung stände. Ich sage nicht, daß der Minister die Unwahrheit ge⸗ sagt hat, aber der Minister ist falsch informiert. Wie kommt es denn, daß zu Dubrowsky in das Krankenhaus niemand von seinen russischen Freunden zugelassen worden ist? Dafür müssen doch Gründe vorhanden gewesen sein. Das Polizeipräsidim hatte einen ganz gewöhnlichen Schutzmann zu ihm geschickt, der die Bekundungen einziehen sollte; der Beamte fragte ihn, od er nicht dem russischen Verein beitreten wolle, der unter dem Protektorat des russischen Botschafters stehe. In diesen Verein werden keine Juden aufgenommen, aber wenn es sich um Spenden handelt, nimmt man sie auch von Juden. Kann man da nicht von Schnorrern sprechen? ubrowsky sagte dem Beamten: „Mein Gott, ich habe gar keine it, einem Verein beizutreten.“ Daraufhin machte der Beamt schen Bericht, wonach Dubrowsky als politisch verdächti eine. Wegen der Subsistenzmittel uen Haare wachsen zu lassen, sein Vater ist russischer Staatsrat d Gutsbesitzer in Rußland. Nach meinen Informationen war browsky im Besitz von 400 bis 500 ℳ. Der Minister des Innern lte sich auf einen anderen Kronzeugen als Professor Schiemann rufen, denn dieser war es, der den Vorfall von 1901 veranlaßt „da er in einem Vortrag gesagt hatte, daß eine polftische Ver⸗ schwörung, der auch Kardinal Kopp und andere hohe Persönlich⸗ keiten angehörten, darauf ausgehe, ein polnisch⸗katholisches Reich zwischen Rußland und Preußen zu errichten und schließlich ganz Ruß⸗ land wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückeuführen. Die Polizei fordert einfach alle Leute, die nur einen polnischen oder russischen Namen haben, auf, sich schriftlich zu verpflichten, keinem sozialpolitischen oder nationalökonomischen Verein beizutreten. So ist es auch dem Sohne des echt preußischen Landeshauptmannes der Pro⸗ vinz Posen ergangen, der gerade den Namen von D
Kreisen hervorgehen, ein Beispiel geben. 8
—2
9
—.,— 9
₰ 227
2— 7
217
— .
8 8
b
=SZ — 2 —2 —
.0
2 2 —
2 —
8
ziembowski
trägt. Als er sich weigerte, zu unterschreiben, nahm schließlich die Polizei davon Abstand. Die Wilmersdorfer Polizei hat an⸗ geordnet, daß die russischen Studenten und Studentinnen sich bei der Polizei melden, um ihre Subsistenzmittel nachzuweisen, man behandelt sie also wie die Prostituierten.
Ein Schlußantrag wird von konservativer Seite gestellt. (Lebhafte Rufe bei den Sozialdemokraten: Unerhört! Auf der Rednerliste stehen noch die Abgg. Dr. Liebknecht und Dr. von Liszt. Der Antrag, für den nur die beiden konservativen Parteien stimmen, wird abgelehnt.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Man ist vorhin an mich heran⸗ getreten und wollte von dem Schlußantrag absehen, wenn ich mich verpflichtete, nicht länger als 10 Minuten zu sprechen. Ich habe keine Veranlassung, diskret zu sein, und will das einmal öffentlich feststellen, denn es ist ein Skandal, der festgestellt werden muß. Die Parteien haben, wie ich aus bester Quelle weiß, vereinbart, jetzt möglichst wenig über russische Angelegenheiten zu sagen und die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland überhaupt nicht zꝛu erörtern. Wir haben uns hier wiederholt mit dem Verhalten der Polizei gegen russische Studenten beschäftigt; die Polizei hängt den verdächtigten russischen Studenten gewissermaßen ein Zeichen an, damit sie an keiner Universität zugelassen werden. Einem Russen wurde die Zulassung zur Universität versprochen, wenn er der Polizei Spitzeldienste leiste. Der preußische Minister, den man nicht Polizeiminister nennen darf, hat in solchem Verfahren nichts Unrechtes gesehen. Es ist volkerrechtlicher Grundsatz, daß Ausländer nicht ungünstiger behandelt werden dürfen als Inländer; außerdem haben wir einen Vertrag mit Rußland von 1904, wonach die Angehörigen des andern Staats nicht ungünstiger behandelt werden sollen als die Angehörigen des meisthegünstigten Staats. In diesem Vertrage ist also jener völkerrechtliche Grund⸗ satz ausdrücklich anerkannt worden, aber die Polizei vimmt beliebig Haussuchungen, Verhaftungen, Beschlagnahmen usw. vor, sie ver⸗ anstaltet Razzien und bringt die Leute auf vierzehn Tage unschuldig in Haft. So wurde es 1907 mit der russischen Lesehalle in Berlin gemacht, deren Mitglieder wie die Leute aus den Kaschemmen behondelt wurden. Die Lesehalle wurde aufgelöst und den Russen der Mittelpunkt ge⸗ nommen, dessen sie zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz bedurften. Statt dessen trat der sogenannte Botschafterverein in Aktion. Der Redner geht dann, während nur noch einige wenige Abgeordnete im Saale an⸗ wesend sind, näher auf den Fall Dubrowsky ein. Der junge Mann ist nicht politisch verdächtig gewesen, er hat wiederholt seiner Wirtin gesagt, er wolle keinem Verein beitreten, weil er keine Zeit dazu habe, und er wolle überhaupt keinen Verkehr mit Russen haben. Er ist der Sohn eines russischen Staatsrats am heiligen Synod; der Vater ist also fast ein Kollege des preußischen Kultusministers, der ihm diesen Stoß ins Herz versetzt hat, und er hat am letzter Geburtstage des Zaren von diesem einen der höchsten Orden, Stanislaus⸗Orden I. Klasse, bekommen, vielleicht zum Trost. Es i eigentlich eine Beleidigung des Hauses, wenn der Minister des Innern hier von dem Botschafterverein in einer Weise spricht, die man nur als einen Scherz ansehen kann. (Vizepräsident Dr. Krause Ich bitte Sie, sich in Ihren Ausdrücken zu mäßigen; der Minister hat das Haus nicht beleidigt.) Die innere Wahrscheinlichkeit spricht durchaus gegen die Darstellung der Minister über das Verhalten der Polizei in diesem Falle. Gegen den Verdacht dece politischen Un zuverlässigkeit kann man sich in keiner Weise wehren, da alles in den geheimen Akten der Polizei vergraben ist; die Polizei wird auch niemals ihre einmal gefaßte Meinung korrigieren. Nachdem Dubrowsky von Berlin zurückgewiesen war, waren ihm alle preußischen Universitäten verschlossen. (Widerspruch des Abg. von Kardorff.) Herr von Kardorff, Sie sind ja wie ein nen⸗ geborenes Kind, Sie sind ganz unschuldig in diesen Dingen; ich
Darstellung festgestellt ist, 9 berechtigte Vorwürfe weder gegen die Universitäts⸗ noch gegen die Polizeiverwaltung erhoben werden können.
Ich glaube auch, daß im großen und ganzen das Verfahren, wie es
“
kenne Herrn von Kardorff als einen grundehrlichen Mann, unschuldig wie ein Lämmchen, aber ich kann ihm in diesen Dingen Belebrung erteilen. Damit war Dubrowsky überhaupet seine ganze Laufbahn gestört,