Der dem Ackerer Nikolaus Josef Nelles in Nidrum unterm 31. Januar 1911 ausgestellte Erlaubnisschein zur Aufbewahrung von Sprengstoffen in Mengen bis zu 50 kg wird hiermit für ungültig erklärt.
Malmedy, den 20. Mai 1911.
Der Landrat. Freiherr von Korff.
Preußen. Berlin, 27. Mai.
In der am 26. Mai unter dem Vorsitz des Staats⸗ ministers, Staatssekretärs des Innern Dr. Delbrück ab⸗ Fehaktenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde dem Antrag, betreffend Zollverwaltungskostenetat für Lübeck, die Zustimmung erteilt. Zu den Beschlüssen des Reichstags über verschiedene Petitionen nahm die Versammlung Stellung. Demnächst wurde über eine Reihe von Eingaben, betreffend Erlaß oder Erstattung von Zöllen und Abgaben, Beschluß gefaßt.
Der Bundesrat versammelte sich heute zu einer Plenar⸗ sitzung; vorher hielten die vereinigten Ausschüsse für Zoll⸗ und Steuerwesen und für Justizwesen, die vereinigten Ausschüsse für
oll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr sowie der
GM“ Ausschuß für Zoll⸗ und Steuerwesen Sitzungen. 8
Der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika The Hon. David Jayne Hill ist nach Berlin zurückgekehrt und hat die Leitung der Botschaft wieder übernommen.
Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Cor⸗ moran“ vorgestern in Brisbane angekommen. 8 ⸗ S. „Gneisenau“ ist am 24. Mai in Tsingtau
— —
8 — 2₰2 . — eingetroffen.
S. M. S. „Iltis“ ist gestern in Kiukiang angekommen.
Frankreich. Wie „W. T. B.“ meldet, hat der General Goiran,
8
Kommandeur des VI. Armeekorps, das ihm vom Minister⸗ präsidenten angebotene Portefeuille des Krieges ange⸗
nommen. Rußland.
Der Reichsrat hat, wie „W. T. B.“ meldet, die Vor⸗ lage in der Fassung der Reichsduma angenommen, durch die der Ministerrat ermächtigt wird, für die Einfuhr von Roheisen zeitweilig Zollerleichterungen zu bewilligen.
Die Reichsduma hat gestern, obiger Quelle zufolge, in drei Lesungen die Gesetzesvorlage, betreffend die Abände⸗ rungen der Budgetvorschriften in der Fassung der Kommission angenommen, darunter auch den § 6, durch den die Unantastbarkeit des Zehn⸗Millionen⸗Fonds, der bisher zur freien Verfügung der Krone war, abgeschafft wird. Bei der
Beratung der Vorlage über eine Bewilligung von 14 700 606 Rubel zur Tilgung der Schulden des Marineressorts erklärte der Marineminister, Admiral Grigorowitsch:
Die bisherige Wirtschaftsführung sei unzulässig. Es sei eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, um die Wirtschaft und die Rechnungsführung des Marineministeriums in Ordnung zu bringen. Er wünsche aufrichtig, mit dem verurteilten System zu brechen, und
2
erbitte darum die notwendigen Mittel zur Schuldentilgung.
Die Duma bewilligte die beantragte Summe und vertagte sich darauf bis zum 28. Oktober. “ Belgien. u“ “ Die Regierung, der schon fünf Zwölftel auf den Etat be⸗ willigt worden sind, hat, „W. T. B.“ zufolge, gestern von der kammer drei weitere Zwölftel verlangt. Die Liberalen und die Sozialisten erhoben gegen dieses Gebaren Einspruch, da noch 14 Etatstitel unerledigt seien, und verließen zum Zeichen ihres Mißtrauens gegen die jetzige Regierung den Sitzungssaal. Die Rechte bewilligte hierauf allein den außerordentlichen Kredit. Dann setzte die Kammer die Be⸗ ratung über die Zulassung des Schulgesetzes fort, für die der Ministerpräsident, von der Opposition fortgesetzt und stürmisch unterbrochen, eintrat. Nach Schluß der Rede rief die gesamte Linke: „Nieder mit den Klöstern!’“
Türkei. 1G
Die jungtürkische Partei hat nach einer Meldung des 2 T. B.“ gestern in ihrer Konferenz dem Großwesir mit 96 gegen 11 Stimmen ihr Vertrauen ausgedrückt. Der Beschluß ist, da er mit Zweidrittelmehrheit gefaßt ist, für die ganze Partei bindend.
— Wie die ‚Neue Freie Presse“ aus Uesküb meldet, hat bei Rakovitza ein Zusammenstoß zwischen einem türkischen Bataillon und Malissoren stattgefunden, die mit bedeutenden Verlusten zurückgeworfen wurden. Der Verlust des türkischen Bataillons betrug 30 Tote und 15 Ver⸗ wundete.
Rumänien.
Der König hat an den Ministerpräsidenten ein Schreiben gerichtet, in dem er ihm, „W. T. B.“ zufolge, seine Anerkennung ausspricht über die für den Aufschwung des Donau⸗ und des Seehandels geleisteten Arbeiten, von denen er, der König, sich auf seiner Reise nach Constanza überzeugt habe, und ihm die Petitionen der Veteranen des Unabhängigkeitskrieges übersendet in der Ueberzeugung, daß die Verwaltung diese An⸗ sprüche ohne Aufschub befriedigen werde, um dem Dank des Vaterlandes gegenüber den Kämpfern für die Erringung der Unabhängigkeit Ausdruck zu geben. Schließlich versichert der König den Ministerpräsidenten seines Wohlwollens.
.“ Amerika.
Nach Meldungen des „W. T. B.“ aus Mexiko hat de la Barra, der die Präsidentschaft bis zu den nächsten all⸗ gemeinen Wahlen führen wird, gestern den Eid auf die Ver⸗
geleistet. Madero hat
“ “ “ “ ““
5
ein Manifest erlassen, in dem
2
er die provisorische Präsidentschaft niederlegt, an die Mexikaner
den Appell richtet, de la Barra zu unterstützen, und ihm die Truppen der Aufständischen zur Verfügung stellt.
Der bisherige Präsident Diaz ist heimlich nach Vera⸗ cruz abgereist. v“ 86
Nach einer vom „W. T. B.“ verbreiteten Meldung aus Sukel Arba vom 24. d. M. ist die Kolonne des Obersten Gouraud, die der Kolonne des Generals Moinier in einem Abstand von drei Tagemärschen folgte, nach dem Ueberschreiten des Ued Beht von den Marokkanern angegriffen worden. Die Kolonne Gouraud schlug den Feind mit einem Verlust von 5 Toten und 20 Verwundeten in die Flucht. Der Feind ließ 120 Tote sowie Waffen und Munition auf dem Kampfplatz zurück. Die Kolonne setzte ihren Marsch nach dem Gefecht fort.
Aus Taurirt wird gemeldet, daß eine französische Kolonne am 23. Mai bei Debdu einen schweren Kampf mit Beni Riis zu bestehen hatte, die nach hartnäckigem Kampf mit großen Verlusten zurückgeworfen wurden. Auch die französische Kolonne hat beträchtliche Verluste erlitten.
Koloniales.
Der Kaiserliche Gouverneur Brückner ist im Schutzgebiet Togo eingetroffen und hat nach einer aus Lome in Berlin eingegangenen telegraphischen Meldung vom 24. d. M. die Geschäfte des Gouvernements übernommen. 8 8
as Kolonialwirtschaftliche Komitee begründet die Fortfüh⸗ rung der ostafrikanischen Zentralbahn von Tabora nach Udjidji, die es in einer an Bundesrat und Reichstag gerichteten Eingabe befürwortet hat, wie folgt: Die Entwicklung unseres ost⸗ afrikanischen Schutzgebiets hat in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen, der zum Teil in den allgemeinen, natürlichen Verhältnissen begründet, zum Teil eine Wirkung der verbesserten Ver⸗ kehrseinrichtungen ist. Nach der Denkschrift, betreffend die Weiter⸗ führung der Eisenbahn Daressalam-—Morogoro nach Tabora, vom Jahre 1908 waren die Einnahmen des Schutzgebiets in den Jahren 1902 bis 1907 durchschnittlich um 598 000 ℳ gestiegen. Rechnet man die Jahre 1908 und 1909 hinzu, so erhöht sich der Durchschnitt auf 665 000 ℳ jährlicher Steigerung der Einnahmen. Weite Gebiete unserer Kolonien, und zwar die volkreichsten und auch wirtschaftlich günstigsten, sind bisher in ihrer Wirtschafts⸗ und Steuerkraft teils sehr mangel⸗ haft, teils gar nicht erschlossen. Erst ein weiter ausgebautes Bahnnetz kann hier die Natur⸗ und Menschenkräfte für die Kolonie und die heimische Wirtschaft nutzbar machen. Das gilt in erster Reihe von dem westlichen Teil unserer Kolonie, dem Gebiete der großen Seen. Gegen dieses Gebiet ist die Zentralbahn schneller vorgerückt, als in Aussicht genommen war; sie wird schon im nächsten Jahre Tabora erreichen. Kein Kenner der Verhältnisse zweifelt daran, daß diese Bahn bis an den Tanganjikasee weitergebaut werden muß, weil sie nur dadurch zu einer Rentabilität gelangen und den westlichen Teil der Kolonie unter eine wirksame Herrschaft der Verwaltung bringen und wirtschaftlich fruchtbar machen kann. Die Notwendigkeit des Weiterbaues steht also heute nicht mehr in Frage, wohl aber der Zeitpunkt seines Beginnes. Es muß so rechtzeitig für den Weiter⸗ bau Vorsorge getroffen werden, daß die Bauarbeiten in Tabora keine Unterbrechung erleiden. Es wäre eine nach Lage der Ver⸗ hältnisse nicht zu rechtfertigende Vergeudung von Zeit, Kraft und Geld, wenn die bestehende Bauorganisation nach Erreichung von Tabora aufgelöst werden müßte, um früher oder später aufs neue eingerichtet zu werden. Erfahrungsgemäß ist die erste Zeit eines neuen Unternehmens die teuerste. Die jetzt ein⸗ gearbeiteten und mit den Verhältnissen vertrauten Beamten müßten später durch andere ersetzt werden, die sich ihre Erfahrungen erst teuer erwerben müßten. Nach einer Unterbrechung in Tabora würde der Weiterbau nicht nur teurer sein, sodann auch länger dauern. Aber nicht nur aus Gründen der Ersparnis muß der Weiterbau sofort er⸗ solgen, sondern auch um zu verhindern, daß Handel und Verkehr aus dem westlichen Teil unserer Kolonie nach dem Congogebiete hinüber⸗ geleitet werden. Die Congokolonie ist durch die Ent⸗ deckung der Erzlager und durch die neuerdings eingeführte Handels⸗ und Schürffreiheit in ihrer Bedeutung so gestiegen, daß die Belgier sich eifrig mit dem Ausbau ihrer Eisen⸗ bahn beschäftigen. Kommen sie mit der geplanten Lukugabahn eher an den Tanganjikasee als wir, so würde dies von großem Nach⸗ teil für uns sein. Anderseits gewinnen wir mit der Erreichung des Sees durch die Zentralbahn einen guten Anteil an dem sich immer lebhafter entwickelnden Verkehr des anderen Ufers des Tanganjiikasees. Nach allem würde daher der sofortige und beschleunigte Weiterbau der Zentralbahn notwendig sein, um uns Verluste zu ersparen und diejenigen Vorteile zu bringen, die wir für unsere Kolonie erhoffen dürfen, und die in ihrer Gesamtheit die Kosten für die verhältnis⸗ mäßig kurze noch zu bauende Strecke reichlich decken werden.
Für die Vornahme von Vorarbeiten für eine Fortführung der Nordbahn von Moschi nach dem Viktoriasee sprechen nach der Ansicht des Kolonialwirtschaftlichen Komitees die folgenden Gründe: In wenigen Monaten erreicht der Gleisstrang der Nord⸗ bahn die Station Moschi und damit den Fuß des Kilimandjaro. Es ist dringend erforderlich, eine Untersuchung der für die Verbindungs⸗ strecke von Moschi nach dem Viktoriasee bauwürdigsten Trasse sofort in Angriff zu nehmen, um einerseits mit Hilfe der vorhandenen Kräfte und Einrichtungen der Bauverwaltung die aufzuwendenden Kosten nach Möglichkeit herabzudrücken und um anderseits tunlichst rasch die Unterlagen für die Ermittlung der Baukosten und für die Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen zur Bereitstellung des Baukapitals zu gewinnen. Für die Notwendigkeit der Verlängerung der Bahnlinie nach dem Viktoriasee sprechen wichtige Gründe. Das weit ausgedehnte Hoch⸗ plateau weist günstige Vorbedingungen für die Ansiedlung von Europäern und für die Viehzucht auf. Der am afrikanischen Graben gelegene Natronsee, für dessen Ausbeute auch die deutsche Seifen⸗ und Glas⸗ industrie interessiert werden könnte, würde nach dem Urteil von Sachverständigen gewinnbringend ausgebeutet werden können, falls der Eisenbahntraneport nach Tanga einen Satz von 10 ℳ für die Tonne nicht übersteigt. Zurzeit geht der Handels⸗ verkehr der an den Viktoriasee grenzenden Gebiete über die Uganda⸗ bahn. Der Gewinn an dem Transport vieler tausend Tonnen von Produkten aus unserem Schutzgebiete geht urs verloren. Dabei würde die deutsche Bahn den kürzesten und wirtschaftlich günstigeren Weg darstellen. Der Ha en von Tanga, dessen Einrichtungen nach erfolgtem Ausbau im Jahre 1912 mindestens ebenso leistungsfähig sein werden, wie die des englischen Hafens bei Mombassa, wartet darauf, die Trans⸗ porte zu vermitteln und die volkreichen nördlichen Gebiete der Kolonie durch eine deutsche Baͤhn dem Weltverkehr anzugliedern. —
Die Fortführung beider Eisenbahnlinien, sowohl der Zentralbahn von Tabora nach Udlidjt als auch der Nordbahn von Moschi nach dem Viktoriasee, würde nicht zuletzt auch eine Entwicklung des für unsere heimische Volkswirtschaft so überaus wichtigen Baumwollbaues in großem Maßstabe ermöglichen. Die an der Zentralbahn gelegenen Gebiete sind wegen der im Innern mehr ausgesprochenen Regen⸗ und Trockenperioden klimatisch günstig, fruchtbar und volkreich. Von dort stammende Baumwollproben sind von der deutschen Textilindustrie gut bewertet worden. Am Viktoriasee harren volkreiche, für den Baum⸗ wollbau geeignete Gebiete durch die Nordbahn ihrer Erschließung. Mit Unterstützung des Kaiserlichen Gouvernements und. des Kolonial⸗ wirtschaftlichen Komitees befaßt sich dort bereits die eingeborene Be⸗ völkerung mit dem Anbau von Baumwolle in marktfähiger Qualität.
Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗
tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich i der Ersten und Zweiten Beilage. sich i
— In der heutigen (185.) Sitzung des Reichstags der der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück beiwohnte, teilte der Präsident Graf von Schwerin⸗Löwitz dem Hause mit, daß er in der Voraussetzung, daß die Tages⸗ ordnung — dritte Lesung der Reichsversicherungsordnung und zweite Lesung des Einführungsgesetzes dazu — heute erledigt wird, am Montag zwei Sitzungen zu halten beabsichtigt, um den ganzen vor der Vertagung noch aufzuarbeitenden Beratungs⸗ stoff zur Erledigung zu bringen.
Die dritte Beratung des Entwurfs einer Reichsversiche⸗ rungsordnung wurde fortgesetzt und die gestern abgebrochene Generaldiskussion wieder aufgenommen.
Abg. Fischer⸗Berlin (Soz.): Der Abg. Trimborn hat sich mit heißem Bemühen der Verteidigung der Reichsversicherungsordnung ge⸗ widmet, und wir werden es wahrscheinlich erleben, daß seine Rede gerade so wie die des Grafen Westarp vom Reichswahrheitsverband als Flug⸗ blatt herausgegeben werden wird. Das Erwachen aus diesem Taumel der Begeisterung für das große Reformwerk wird einen fürchterlichen Katzen⸗ jammer beim deutschen Volk mit sich bringen. Von der elenden, jämmer⸗ lichen Witwen⸗ und Waisenrente sprach der Abg. Trimborn zuerst guch mit einiger Zurückhaltung, aber am Schluß war er darüber fast in Ven zückung geraten. Hunderte Millionen von Leistungen hat der Abg. Trimborn uns gestern vorgeführt; ja, werden diese Leistungen genügen! Das ist die große Frage. Und der Abg. Trimborn hat verschwiegen, daß der größere Teil dieser Hunderte von Millionen von den Arbeitern gezahlt wird. Der Reichszuschuß wird ganz ausschließlich von den Arbeitern auf gebracht. Also keine Ahnung von einem Geschenk der besitzenden Klasse an die Arbeiterschaft. Etwas mehr Wahrheit und etwas mehr Recht hätte der Rede des Abg. Trimborn nicht geschadet, nennt sich doch seine Partei die Partei für Wahrheit, Frei⸗ heit und Recht. Auf die Verleumdungen gegen die Sozial⸗ demokratie, auf die Beschuldigung der argen Mißbräuche in den sozialdemokratischen Krankenkassen ist der Abg. Trimborn gestern mit keinem Worte eingegangen. Der Abg. Becker⸗Arnsberg hat seinerseits über die Zustände in der Krankenkasse in Essen, deren dem Zentrum angehöriger Rendant 9000 ℳ festes Gehalt, 2000 ℳ Gratifikation und eine Dienstwohnung von 2000 ℳ, also 13 000 ℳ bezieht, kaum ein Wort leisen Tadels gehabt; dabei hat dieser Rendant das Glück gehabt, von der Regierung zu den Vorberatungen über die Revision der Krankenkassengesetzgebung zugezogen zu werden, dort zu erfahren, was geplant war, und sich dann gegen alle späteren Eventualitäten dadurch gesichert, daß er sich eine Summe von 52 000 ℳ als Schadloshaltung garantieren ließ! Das Vorgehen der Mehrheit in der zweiten Lesung eines so hochwichtigen ee das die Lebensinteressen von Hunderttausenden von Arbeitern berührt, ist geradezu beispiellos gewesen; kein Parlament der Welt hätte sich eine solche Blöße gegeben. Viele wissen noch heute nicht, warum sie bei dieser oder jener Frage mit Ja oder Nein gestimmt haben. Mancher von ihnen hat erklärt, es sei ihm unmöglich, den Bericht der Kommission auch nur durchzulesen, geschweige denn zu studieren. Selbst damals, als die Geschäftsordnung erwürgt wurde, beim Zoll⸗ tarif, hat man es nicht gewagt, die Verhandlungen so übers Knie zu brechen. Wie kann das Zentrum sich als die Partei für Wahrheit, Freiheit und Recht bezeichnen, wenn es den christlichen Arbeitern ein solches Gesetz bietet, das die Arbeiter grausam knechten will? (Große fortgesetzte Unruhe im Zentrum und rechts.) Sie (nach rechts) würde ich nicht rühren, und wenn ich mit Engelszungen redete. Den Nationalliberalen hätten die bevorstehenden Wahlen den Blick schärfen sollen. Aber dieselben Nationalliberalen gieren jetzt schon nach der Gunst des Zentrums. Ich habe Mitleid mit den Nationalliberalen. Von den Majoritäts⸗ parteien erwarten wir ja nichts anderes; sie sind ja alle Vertreter des Kapitals und haben die Reichsversicherungsordnung so gestaltet, daß wir sie bekämpfen müssen. In der ersten Lesung der Kommission haben sie allerdings ganz andere Beschlüsse gefaßt als in der zweiten Lesung der Kommission und in der zweiten Lesung des Plenums, im Widerspruch zu ihren Versprechungen bei den Wahla Die Regierung hat in feierlicher Form in der Thronrede de Versprechen von der Fortführung und dem Ausbau der Sozialrefor gegeben, und die anderen Parteien wollten sich in der fozialen Reform von der Sozialdemokratie nicht überbieten lassen. Aber es war das Zentrum, das seinerzeit alle anderen Parteien in dieser Sache übertrumpfen wollte. Was hat der Abg. Trimbor nicht versprochen in bezug auf die Witwen⸗ und Waisenversorgung: Damit vergleiche man 8 jetziges Verhalten! Wir erleben jeßt gerade das Gegenspiel dessen, was der Staatssekretär Graf Posa⸗ doweky als sein Programm aufgestellt hat. Selbst die Regierungt⸗ vorlage ist in der Kommission noch bedeutend verschlechtert worden,
Allerdings einige wenige Verbesserungen sind ja zustande gekommen; wie sollte es auch eine Regierung über ihr Gewissen bringen, eine Vorlage zu machen, die keine Verbesserungen enthielte! Bei dieser Art der Arbeit trifft natürlich auch die Regierung die Schuld. Kann man überhaupt von einer selbständigen Regierung sprechen? Sie ist ja lediglich der Exekutivausschuß der e Von einer persön⸗ lichen Abhängigkeit des Staatssekretärs vom Zentralverband deutscher Industrieller haben wir natürlich nicht gesprochen, wohl aber von einer sachlichen. Der Staatssekretär Dr. Delbrück sagte, er sei von niemand abhängig und führe die Geschäfte so, wie er es für nötig halte, aber er sei so erzogen, daß er, wenn er dazu aufgefordert werde, mit jedem an demselben Tische sitze. Damit hat er sich die Widerlegung unserer Behauptung sehr leicht gemacht. Ich habe ihm das auch gar nicht zum Vorwurf gemacht. Ich habe gedacht 3. B. an Bueck, der einmal schrieb, es sei seinen Leuten nun doch endlich gelungen, den Freiherrn von Berlepsch kleinzukriegen. Ich dachte an die Behandlung des Ministers Sydow durch die Bergherren, als davon die Rede war, „wir haben unsere Leute in den Ministerien sitzen; wir sind die Herren im Hause“. Die Bergherten haben ja geradezu den Regierungsvertreter über seine im Auftrage der Regierung ergriffenen Maßnahmen aus Anlaß des entsetzlichen Radbod⸗Unglücks zur Rede gestellt, und der Bergrat Weidtmann bat sich demütigen und entschuldigen müssen. Das ist tatsächlich der Herrenstandpunkt; die Regierung ist eben völlig ohnmächtig une nichts als ein Werkzeug in diesen Scharfmacherhänden. Und 82 Zentrum, das früher, als es aus dem Regierungsblock ausgeschalte war, gegen die Scharfmacher eine schroffe Frontstellung einnahn, geht heute wieder mit dem Grafen Westarp, obersten, Hand in Hand.
Schluß des Blattes.) — In der heutigen (85.) Sitzung des Hauses 58s Abgeordneten, welcher der Minister der geistlichen un Unterrichtsangelegenheiten D. von Trott zu Solz beiwohnte wurde zunächst die zweite Beratung des Gesetzentwurts über die Beschulung blinder und taubstumme Kinder fortgesetzt. le §6 trifft Bestimmungen über die Unterbringung der Kinde in Blinden⸗ oder Taubstummenanstalten. u Die Fassung des Herrenhauses enthielt u. a. die ennnng, „Bestehen in dem Bezirk des verpflichteten Kommunalverhanfal konfessionell getrennte Blinden⸗ und Taubstummenanstalten, snisses die Unterbringung des Kindes in einer Anstalt seines Hekenn⸗ dies erfolgen, soweit die vorhandenen Einrichtungen der Ansta ermöglichen.“
gentrumsantrags, damit den allen Fällen eine gute religiöse Erziehung zuteil werden könne.
m Scharfmacher⸗
Die Kommission hat folgende Fassung beschlossen:
Das Kind ist, soweit das in dem Bezirk desselben Kommunal⸗
verbandes möglich ist, in einer Anstalt seines Bekenntnisses unter⸗
zubringen. Wenn es nicht in der Anstalt wohnt, muß es tunlichst in einer Familie seines Bekenntnisses untergebracht werden. Dem Antrage der Eltern und des gesetzlichen Vertreters des Kindes auf anderweite Unterbringung ist Folge zu geben.“
Die Abgg. Bresler (Zentr.) und Genossen beantragen folgende Fassung: 1u“
„Im Falle der Anstaltserziehung ist das Kind, soweit möglich,
in einer Anstalt seines Bekenntnisses unterzubringen. Wenn es
nicht in der Anstalt wohnt, muß es tunlichst in einer Familie oder
Pflegeanstalt seines Bekenntnisses untergebracht werden. Aus⸗
nahmen sind mit Zustimmung der Eltern oder gesetzlichen Ver⸗ treter zulässig.“
Für den Fall der Ablehnung dieses Antrags beantragen dieselben Abgeordneten einen Zusatz zur Kommissionsfassung, wonach das Kind wenigstens in einer Anstalt unterzubringen ist, in der die regelmäßige Erteilung des Religionsunterrichts, sowie der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes seines Be⸗ kenntnisses gesichert ist. .
Abg. Dr. Iderhoff (freikons.): Wir müssen den ersten Antrag Bresler ablehnen; die Fössung der Kommission trägt allen konfessionellen Bedenken Rechnung. Der Antrag geht zu weit, er würde den Pro⸗ vinzialverbänden Kosten auferlegen. Die konfessionelle Erziehung des Kindes ist gesichert, wenn es den Religionsunterricht in seiner Konfession erhält. Daß dies geschehen soll, hat der Kultusminister erklärt. Der Eventualantrag Bresler ist überflüssig, aber wir würden gegen dessen Annahme keine Bedenken haben. 1
Abg. Dr. Schroeder⸗Cassel (nl.) spricht sich gleichfalls für die Kommissionsfassung aus. b
Abg. Schmedding (Zentr.) erklärt zur Geschäftsordnung die Zurückziehung des Eventualantrags Bresler.
Abg. von Pappenheim kkons.): Kein Kind bedarf mehr der Familienpflege, als ein blindes und taubstummes Kind. Ich möchte dringend davor warnen, diese Kinder, wie es der Zentrumsantrag will, in Anstalten unterzubringen. Wir müssen, wenn es irgendwie geht, diese Anstaltspflege vermeiden.
Abg. Bresler (Zentr.): Wir müssen unbedingt verlangen, daß die konfessionelle Erziehung gewahrt wird. Wenn die Eltern einen Trost darin suchen und finden, daß ihre Kinder eine religiöse Erziehung erhalten, so müssen wir ihnen die Möglichkeit auch der
Anstaltsunterbringung gewähren.
Abg. Schmedding Gentr. bittet ebenfalls um Annahme des blinden und taubstummen Kindern in
§6 wird, nachdem der Antrag Bresler gegen die Stimmen
dees Zentrums und der Polen abgelehnt ist, unverändert in der Kommissionsfassung angenommen.
Die §§ 7 bis 10 werden ohne Debatte unverändert an⸗ genommen.
Nach § 11 fallen die Kosten der Ueberführung des Kindes in die Anstalt und seiner reglementsmäßigen ersten Ausstattung dem Ortsarmenverband zur Last. Die übrigen Kosten des Unterhalts, des Unterrichts und der Erziehung tragen die ver⸗ pflichteten Kommunalverbände.
Abg. Hoffmann (Soz.) befürwortet einen Antrag seiner Partei, nach dem die ersteren Kosten vom Staate zu übernehmen sind und die Unterhaltungspflichtigen zu einer Erstattung aller Kosten nicht berangezogen werden können.
Ae Schmedding (Sentr.) spricht sich gegen diesen Antrag aus.
§ 11 und der Rest des Gesetzentwurfs werden unverändert angenommen.
Die Kommission beantragt zwei Resolutionen; in der ersteren wird die Einführung der Schulpflicht auch für die Taubstummblinden gewünscht, sobald sich die Ausbildungs⸗ methode bewährt hat und die Anstaltsunterbringung sich ermöglichen läßt; in der zweiten Resolution wird erklärt:
„Die den Provinzialverbänden gewährte staatliche Dotation entspricht insbesondere auf dem Gebiete der Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptiker, Taubstumme, Blinde und Sieche nicht mehr der gegenwärtigen Größe der Aufgaben. Es wird der Erwartung Ausdruck gegeben, daß eine Neuregelung der Dotationen unter weit⸗ reichender Entlastung der zu den höheren Steuerzuschlägen ge⸗ zwungenen Provinzen baldigst herbeigeführt werde.“
Die beiden Resolutionen werden nach kurzer Debatte unter Streichung des Wortes „höheren“ in der zweiten Resolution
auf Antrag des Abg. Schmedding (Zentr.) angenommen.
Es folgt sofort die dritte Beratung des Gesetzentwurfs;
nach einigen Bemerkungen des Abg. Dr. Schroeder⸗Lassel (nl.) wird die Vorlage in ihren einzelnen Teilen sowie bei der
Gesamtabstimmung im ganzen endgültig angenommen. Die Vorlage muß wegen der Aenderungen im § 6 an das Herren⸗ haus zurückgehen.
(Schluß des Blattes.)
“ 8 8
Die Bevölkerung von Irland beträgt nach dem vorläufigen Ergebnis der in diesem Jahre vorgenommenen Volkszählung, wie „W. T. B.“ aus London berichtet, 4 381 951 Köpfe. Dies bedeutet gn⸗ Abnahme von 76 824 Köpfen oder 1,7 % in den letzten zehn Jahren. 8
Zur Arbeiterbewegung⸗
Die Angestellten der Großen Berliner Straßenbahn hielten gestern abend eine Versammlung ab, um gegen die von der Direktionabgelehnte Gehaltszulage Protest zu erheben. Im ganzen waren, wie das „B. T.“ meldet, mehrere tausend Straßenbahnangestellte Schaffner und Fahrer, erschienen. Die Forderungen der Straßenbahner gehen dahin, daß für die Schaffner ein Anfangslohn von 105 ℳ für den Monat, jährlich wachsend bis zur Höchstgrenze von 150 ℳ gewährt wird. Die Fahrer fordern einen Anfangslohn von 125 ℳ den Monat, steigend bis zu 170 ℳ. Die Kllometergelder sollen gänzlich in Wegfall kommen. Auch von seiten des Ersatzpersonals werden mehrere Wünsche vorgebracht, die in der festen Anstellung nach einem sechsmonatigen Ersatzverhältnis gipfeln. Schließlich wurde eine Resolution einstimmig gefaßt, in der das Bedauern über das Ver⸗ halten der Direktion ausgesprochen und ausgeführt wird, daß es Pflicht des gesamten Personals sei, sich dem Deutschen Transport⸗ arbeiterverband anzuschließen, um dadurch seinen Wünschen mehr Nachdruck zu verleihen. 8 8
Mitt 2090 gegen 65 Stimmen hat, hiesigen Blättern zufolge, gestern nachmittag eine Mitgliederversammlung des Bäcker⸗ verbandes in geheimer Abstimmung den Beschluß gefaßt, heute (Sonnabend) in allen Bäckereien Groß⸗Berlins die Arbeit niederzulegen, wo der Tarifvertrag des Bäckerverbandes nicht an⸗ erkannt wird. Der Streik erstreckt sich auf Berlin und 67 Vororte. (Vgl. Nr. 119 d. Bl.) b
In Wien ist der Ausstand der Stückmeister und Gehilfen der Herrenschneiderbranche, wie die Blätter melden, durch Ausgleich beendet. Heute früh sollte die Arbeit in allen Betrieben wieder aufgenommen werden. (Vgl. Nr. 123 d. Bl.)
(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)
Wohlfahrtspflege.
Das Kuratorium der Invaliden⸗, Witwen⸗ und Waisen⸗ für die Angestellten der Hamburg⸗ Amerika⸗Linie hat die Abrechnung für das Jahr 1910 bekannt⸗ gegeben. Danach belief sich die Zahl der Kassenmitglieder am Anfan des Jahres 1911 auf 2567. Einer Verminderung der Mitaliederzaht im Laufe des Berichtsjahres um 226 steht ein Zugang von 397 neuen Kassenmitgliedern gegenüber. Eingenommen wurden 731 552 ℳ, ausgegeben 216 026 ℳ. Die Einnahme setzte sich aus Beiträgen und Eintrittsgeldern der Kassenmitglieder in Höhe von 353 550 ℳ, einem Zuschuß der Reederei von 166 438 ℳ, Zinsen und Geschenken zusammen. Die Ausgaben wurden durch Pensionszahlungen an 73 Invaliden, 115 Witwen und 61 Kinder im Betrage von 194 235 ℳ, durch Beitragsrückzahlungen von 16 753 ℳ und Verwaltungsausgaben von 5037 ℳ hervorgerufen. Die Zahl der Pensionäre ist im Jahre 1910 um 21 vermehrt worden; 2 Pensionäre schieden dagegen aus, sodaß Ende Dezember 1910 192 Pensionäre verblieben. Das Ver⸗ mögen der Kasse bezifferte sich am 1. Januar 1911 auf 5 693 667 ℳ.
Land⸗ und Forstwirtschaft.
6f über den Stand der Feldfrüchte, Kleeschläge, Wiesen und Weiden in Oesterreich um Mitte Mai 1911.
(Zusammengestellt im K. K. Ackerbauministerium.) Tabellarische Uebersicht.
Klassifikation des Standes der Feldfrüchte,
Kleeschläge, Wiesen und Weiden ¹)
Gerste Hafer
Mais *)
und Landesteile V
Weizen Kartoffeln*) S Klee Wiesen Weiden
Roggen
Niederösterreich Oberösterreich .. Salzburg... Steiermark.. Kärnten Krain Nordtirol und Vorarlberg Südtirol... Küstenland... Dalmatien... Böhmen Mähren Schlesien Westgalizien .. Ostgalizien .... Bukowina ....
“ 23 V 5 o. V V U (Mai 1910) 1,9 2,5 88 2,3 2,2 2,.1 27 2 2,2 2,4
Anmerkung. ¹) Klassifikationsnote 1 = sehr gut, 2 = über⸗
—
—
ben
— —
50 — Seod do
— 8 — do — — 2200oö
bo.
— —
5=OOo
—
Cdodo o eo ednee Söbo Ien
bo — bo bo bdo po bo bo bo
—
do do do 0n do do do do po vo bo +α— — 00 — dOcdoUWe ’ bdo lo vbo bo 2 0
SPpobo
—. 2 —.
.““
C do Ooo Ooo bdo oœto — bo bo
üüäübbnmbodeoereeee. O O0C OoE O0-n OUn=1bo 0
—
bo bo. — Oo, cee OSnoS
—
ᷓUUSSS
—
28
10 ά
Codo o oenennmdoe
—
0
SCSenooodo d Hobo bo bo bo bo bo do do.— doe E Pbo Pcoocac⸗—⸗
dtboʒboUoU⸗US’bo o bdo ¶SCU”doE o 00
do to oo to bo o†
to to to tbo do tbo to do do —
Ae 128 vbobe robo beo bobo bobo—
boos bo bo bo — bo b0— be H
dobo to to bo tbo bo bo to bo bo
—
bo bo
H —
H⸗ —
A de 8& 82—
b0
mittel, 3 = mittel, 4 = untermittel, 5 = sehr schlecht. Die Noten
für die einzelnen Länder beziehungsweise Landesteile sowie für den Gesamtdurchschnitt sind aus den Klassifikationsziffern für die einzelnen Berichtsgebiete, und zwar unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Ernteerträge, berechnet.
8 Ueber den Stand des Mais und der Kartoffeln enthielten — der Jahreszeit entsprechend — nur etwa 20, beziehungsweise etwa 19 % der eingelangten Berichte spezielle Angaben.
Ein Strich bedeutet, daß die betreffende Frucht nur in sehr beschränktem Ausmaße gebaut wird, ein Berichte nicht in genügender Anzahl einlangten.
Witterungsverlauf in der Zeit von Mitte April
bis Mitte Mai.
Die zweite Hälfte April zeigte im Gegensatz zur ersten allgemein heiteres, ruhiges, warmes Wetter. Die Temperaturen überstiegen fast überall die Durchschnittswerte, die Niederschläge waren äußerst gering, Gewitter selten und schwach. Gegen Ende April trat eine allmähliche Trübung ein; die Temperaturen sanken unter die normalen, die Niederschläge waren ergiebig und e ganz Oesterreich. Diese Witterung hielt in den westlichen Gebieten bis Mitte des Monats an, in den östlichen stellte sich eine Woche früher eine Besserung des Wetters ein.
ar nicht oder unkt, daß die
Allgemeine Bemerkungen.
Weizen weist im allgemeinen einen besseren Stand auf als im Vormonate. Spätsaaten stehen allerdings noch ziemlich schütter, und ist in Niederungen — die Karpathenländer ausgenommen — Rostbefall nicht selten anzutreffen.
Roggen hat in der zweiten Hälfte April unter der Trockenheit
mehr gelitten als der Weizen, und mußten dünne Spätsaaten auf an⸗ sehnlichen Flächen eingeackert werden. Die Aehrenbildung ist eine normale, doch dürften die Halme kurz bleiben. Gerste und Hafer, deren Aussaat auch in Gebirgsgegenden fast überall untergebracht ist, entwickeln sich ziemlich gut. Schädi⸗ gungen durch Engerlinge und Drahtwürmer sind insbesondere bei Gerste zu konstatieren.
Mais. Der durch Regenwetter teilweise verzögerte Anbau ist
nunmehr im großen und ganzen beendet. Zeitige Maissaaten sind in den Niederungen fast durchweg gleichmäßig aufgegangen. In den Südländern wird mit dem Behacken begonnen. Kartoffeln. Das Legen der Kartoffeln ist bis auf kleinere Flächen in Gebirgsgegenden größtenteils bereits durchgeführt. Früh⸗ gebaute entwickeln sich regelmäßig und werden hier und da schon be⸗ hackt, während Spätkartoffeln erst gegen die Oberfläche keimen. In den Südländern gedeihen Frühkartoffeln recht gut, sind frisch im Kraut und stehen in wärmeren Lagen zum Teil bereits in Blüte.
Zuckerrüben. Der Anbau ist zumeist beendet. In einigen Tieflagen Mährens haben starke Regengüsse teilweise Verschlem⸗ mungen verursacht, sodaß manche Rübenschläge frisch bestellt werden müssen. Zeitige Saaten, welche sehr schön stehen, werden schon be⸗ hackt, spaͤte hingegen sind wegen Trockenheit ungleichmäßig und besonders in den Karpathenländern schwach aufgegangen. In Rieder⸗ österreich sowie in den Sudetenländern machen sich Drahtwürmer und Engerlinge, in Mähren mitunter auch Rüssel⸗ und Aaskäfer bemerkbar.
Von den Futterrüben, deren Anbau noch vielfach im Zuge ist, gilt das gleiche wie für Zuckerrüben.
Kraut ist zum größten Teil noch zu setzen; manchen Orts haben Erdflöhe bereits Schaden verursacht.
Klee. Rotklee und Luzerne sind zufolge des trocknen Wetters im April, zumal auf leichteren Böden, in der Entwicklung zurück⸗ geblieben und Kleesaaten etwas schütter aufgegangen, zeigen aber in letzter Zeit eine entschiedene Besserung. In den Alpen⸗ und teilweise auch in den Südländern stehen Rotklee und besonders Luzerne sehr schön und lassen einen reichlichen ersten Schnitt erwarten.
Wiesen. Tal⸗ und Niederungswiesen weisen üppigen Gras⸗ wuchs auf, und ist die Hoffnung auf eine gute Heuernte gerechtfertigt. Nicht gepflegte und höher gelegene Wiesen bedürfen indes namentlich in den Karpathenländern noch ausgiebiger warmer Regen.
Weiden. Die Entwicklung der Grasnarbe macht vornehmlich auf Niederungsweiden sehr gute hentschn. Höher gelegene Weiden zeigen ziemlich schwachen Grasbestand, und Alpweiden sind zum Teil noch mit Schnee bedeckt. 8
durchweg ausgeführt ist.
Hopfen. Die Pflanzen sind bisher gesund, entwickeln sich im
allgemeinen kräftig und erreichen ein bis zwei Meter Stangenhöhe.
In den Produktionsgebieten Böhmens ist der Schnitt schon beendet, auch sind bereits Drähte gezogen, Stangen gestellt, und wird jetzt mit dem Anleiten beziehungsweise Anbinden der Ranken begonnen, welche Arbeit im vvö Süd⸗Steiermark (Sanntal) (Wiener Zeitung.)
Saatenstand in Frankreich. b
Der Kaiserliche Konsul in Havre berichtet unterm 18. d. M.: Die Nachrichten über den gegenwärtigen Stand der Halmfrüchte in Frankreich lauten äußerst befriedigend. Die im April in ein⸗ zelnen Gegenden zeitweilig eingetretenen Schneefälle und Fröste haben nicht den befürchteten Schaden verursacht und sind inzwischen milder Witterung gewichen. Die jungen Pflanzen entwickeln sich jetzt schnell, sodaß von Rückständigsein nicht gesprochen werden kann. Unkraut ist verschwindend wenig aufgetreten und Ungeziefer, das der letzten Weizenernte so große Verluste zugefügt hatte, macht sich nur vereinzelt bemerkbar. Durch die plötzlich eingetretene Wärme und trockene Witterung war Anfang Mat die Oberfläche des Bodens ausgetrocknet, und es wurde Regen herbeigesehnt. Dieser ist inzwischen genügend eingetreten, da in fast allen Gegenden Gewitter auftraten. Der im Herbst gesäte Weizen ist besonders kräftig. Die später und im Frühjahr gemachte Weizenaussaat läßt eine einigermaßen sichere Allgemeinbeurteilung noch nicht zu; in einzelnen Gegenden Frankreichs stehen diese Saaten recht gut, in anderen schlechter. Wo letzteres der Fall, soll es lediglich auf die Verwendung von weniger gutem Saatkorn zurückzuführen sein. Der Roggen ist gut aufgegangen, jedoch teilweise von Schnecken zerfressen worden. Auch der Hafer zeigt einen durch Ver⸗ wendung guten und schlechten Saatkorns hervorgerufenen Unter⸗ schied. Der Ertrag des Winterhafers dürfte im mittleren und östlichen Frankreich zu wünschen übrig lassen. Der Winterhafer ist stellenweise durch Gerste ersetzt worden. Die Wiesen haben sich in den letzten Tagen gut entwickelt. Luzerne und Klee werden schon grün geschnitten. Infolge des Regens sind sie allgemein schnell ins Wachsen gekommen.
Vergeht der Mai ohne starke Kälterückfälle, so steht in Frankreich in diesem Jahre eine besonders gute Ernte zu erwarten.
ee s 8
Saatenstand im Staate Missouri am 1. Mai 1911.
Im April war das Wetter günstig für das Pflügen, aber der Zustand des Bodens hat das Anpflanzen in nur unterdurchschnittlichem Umfange gestattet. Da die Wärme im ganzen Monat die normale Durchschnittshöhe nicht erreicht hat, so sind namentlich die Wiesen und Futterweiden rückständig. Die grüne Getreidelaus, Toxoptera- graminum, ist aufgetreten. Alles in allem aber kann gesagt werden, daß die Ernteaussichten zu Beginn des Monats Mai selten besser ge⸗ wesen sind, als 1911.
Mais. 65,3 vom Hundert der Aecker sind gepflügt, aber nur 21,3 (1910: 46,7) v. H. sind eingepflanzt. Die üblen Folgen, die das frühzeitige Pflanzen im vorigen Jahre gezeitigt hatte, scheinen die Bauern vorsichtig gemacht zu haben. Weizen. Die Qualitätszahl, d. i. die Prozente des Normalstandes, wird auf 90,6 gegen 70,5 im Vorjahre angegeben. Nur 1,5 vom Hundert der im Herbst 1910 bestellten Weizenfelder ist der Umpflügung anheimgefallen. Hafer. Die Anbaufläche ist nach den end⸗ gültigen Ermittlungen um 0,8 vom Hundert kleiner, als im Borjahre. Die junge Saat entwickelt sich normal. Klee. Alter dreiblättriger Klee erhält endgültig die Qualitätszahl 85,6, neuer 85,1; alter Timothyklee wird mit der Qualitätszahl 87,9, neuer mit 83,7, neue Luzerne (Alfalfa, medischer Klee) mit 91,2 geschätzt. Die Anbaufläche für Baumwolle wird um 5722, die für Flachs um 7 vom Hundert höher angegeben als im Vorjahre. Dagegen haben die für den Tabakbau bestellten Aecker eine Einbuße von 12 vom Hundert aufzuweisen. Obst. Da jetzt die Gefahr der späten Nachtfröste so gut wie negeschtosfen erscheint, so erwartet man im allgemeinen eine gute Ernte. Im Besonderen ist die Qualitätszahl für Aepfel, 84,8, höher, als seit Jahren. Noch besser, 88,7, stehen die Erdbeeren. Nur die Pfirsiche, deren Qualitäts⸗ zahl sich im April von 63 auf nur 63,2 verbessert hat, versprechen einen recht mäßigen Ertrag; während die Hauptsorte Elberta auf weiten Strecken abgestorben ist, wird über andere Sorten, darunter neue Versuchsarten, günstig berichtet. (Bericht des Kaiserlichen Konsuls in St. Louis, Mo., vom 8. Mai 1911.)
“
Verkehrswesen.
Vom 1. Juli ab beträgt das Gewichtsporto für Pakete bis 5 kg mit oder ohne Wertangabe im Verkehr zwischen Hbutsch⸗ land und Luxemburg in beiden Richtungen für den Nahverkehr (erste Zone) 35 ₰ und für den übrigen Verkehr 50 ₰.
2 8
2 Verdingungen.
(Die näheren Angaben über Verdingungen, die beim „Reichs⸗ und Staats⸗ anzeiger“ ausliegen, können in den Wochentagen in dessen Expedition während der Dienststunden von 9 bis 3 übr eingesehen werden.)
Italien.
Artilleriedirektion des Pyrotechnischen Laboratoriums in Bologna. 10. Juni 1911, Nachmittags 4 Uhr: Vergebung der Lieferung von Messing in dünnem Blech und Stangen im Werte von 48 685 Lire. Sicherheitsleistung 4869 Lire. Näheres in italienischer Sprache beim „Reichsanzeiger“.
10. Feldartillerieregiment in Caserta. 31. Mai 1911, 10 Uhr Vormittags: Vergebung der Lieferung von Zaum⸗ und Sattelzeug in 7 Fs im Werte von 80 091,86 Lire. Sichheerheitsleistung 8190 Lire.
Eine ähnliche Lieferung ist auf denselben Termin seitens des 9. Artillerieregiments in Pavia ausgeschrieben. Näheres in italienischer Sprache beim „Reichsanzeiger“. —
8
Theater und Musik.
Schillertheater 0. (Wallnertheater).
„Revolutionshochzeit“, das Schauspiel in drei Akten des Dänen Sophus Michaëlis, das eine Reihe erfolgreicher Auf⸗ führungen im Hebbeltheater erlebte, ist gestern in das Schillertheater übergesiedelt. Auch, dort vermochte die sich von dem düsteren Hinter⸗ grunde der französischen Revolution abhebende, spannende Handlun die Zuschauer bis zum Schluß zu fesseln. Die adelige Braut, die si von ihrem wenig beldenhaften royalistischen Verlobten lossagt, Öum dem mannhaften Jakobiner Mare⸗Arron anzugehören, wurde von Else Wasa mit Wärme gespielt, den Mare⸗Arron verlieh Herr Paeschke einen versöhnlichen Zug, der das Ungewöhnliche des Liebesabenteuers, das der Jakobiner mit seinem Leben bezahlen muß, einigermaßen wahrscheinlich machte. Den jämmerlichen Roypalisten de Tressailles gab Herr Wiene ebenfalls recht glaubhaft. Gute Leistungen boten ferner Fräulein Kriß (Léontine), die Herren Noack (Montaloup) und Legal (Prosper).
Im Königlichen Opernhause geht morgen, es. „Die Zauberflöte“ zum 25. Male in der Neueinrichtung für die Königliche Oper in Szene. Die Damen Hempel, Böhm van Endert, Dietrich, die Herren Knüpfer, Kirchhoff, Bronsgeest, Bachmann, Henke, als Gast, sind in den Hauptrollen beschäftigt; im Ensemble der drei Damen bezw. der drei Genien außer⸗ dem noch die Damen Plaichinger, Kurt, Goetze, ECaston, Rothauser, von Scheele⸗Müller. Montag wird als 5. Vorstellung⸗
im Sonderabonnement des R. Wagner⸗Zpklus „Tristan und Iso
8