als Zubringer oder dergleichen nötig ist, daß sie dem Verbandszwec viel besser dienen kann, wenn sie sein Eigentum, als wenn sie Eigentum einer Gemeinde ist.
F1u““ Antrag Körte, statt „Aufkündigung“ zu setzen „An⸗ kündigung“, wird fast einstimmig angenommen, der zweite An⸗ trag Körte abgelehnt; in dieser Fassung gelangt § 4 II zur Annahme.
8 4 III und § 4 IX setzen hinsichtlich der staatlich schon genehmigten und der noch nicht genehmigten Bahnen eine sogenannte „Universalsukzession“ des Verbandes fest. Hier beantragt Herr Körte, den Eingang von § 4 III zu fassen: „Sobald der Verband es verlangt, gehen mit dem Inkraft⸗ treten“ usw.
Nach einer weiteren Bestimmung des § 4 III hat der Verband Entschädigung zu beanspruchen, falls und soweit bei nach dem 1. Dezember 1910 abgeschlossenen Verträgen der Wert der überommenen Verpflichtungen jenen der erworbenen Rechte übersteigt; hier will Herr Körte die Worte „bei nach dem 1. Dezember 1910 abgeschlossenen Verträgen“ beseitigen. Oerr Dr. Rive: Ich hege gegen diese Bestimmungen dieselben
Rechtsbedenken wie gegen § 4II, verzichte aber auf eine Darlegung im einzelnen. Daß hier eine Universalsukzession vorliegt, muß ich mit der gesamten Minderheit der Kommission bestreiten. Es geht doch hier kein Rechtssubjekt unter, sondern jedes bleibt bestehen; der be⸗ liebte Ausdruck ist nur der Ausdruck der Verlegenheit, in der man sich der unklaren Konstruktion des Gesetzes gegenüber befindet.
Herr Körte tritt für seine Anträge ein. Für ihn stehe fest, daß die 2000 Berliner Rechtsanwälte in Zukunft um lohnendes Brot nicht mehr verlegen sein würden, denn es würde sich aus dem Gesetz ein wahrer Rattenkönig von Prozessen ergeben, bei deren jedem es sic um ein Millionenobjekt und also um fette Gebühren handle. Für einen zweiten Antrag führt er insbesondere den zwischen der Stadt⸗ gemeinde Deutsch Wilmersdorf und der Großen Berliner Straßenbahn sowie der westlichen Vorortbahn geschlossenen Vertrag ins Feld; es würde geradezu eine babylonische Rechsverwirrung eintreten, wenn man die Kommissionsfassung bestehen lasse.
Ein Regierungskommissar: Ich möchte bitten, die Anträge abzulehnen. Der Grundgedanke, der diesem Paragraphen zu Grunde gelegt ist, würde verletzt werden. Es sollen den Privatbahn⸗ unternehmern zukünftig die zum zusammengeschlossenen
an sich dem Verkehrsbedürfnis genügende Bahn für den Verband
nterne 8 im Verband Gemeinden, nicht die einzelnen Gemeinden gegenüberstehen. Schon in der Kommissionsberatung ist hervorgehoben, daß Klarheit bestehen muß, daß es einen Zeitpunkt geben muß, wo feststeht, auf wen sämt⸗ liche Rechte und Pflichten übergehen. Das muß der Augenblick sein, wo der Verband in Kraft tritt. Wird noch weiter hin und her verhandelt, so entsteht eine Rechtsunsicherheit und Rechts⸗ unklarheit, die nicht im Sinne des Gesetzes liegen kann. Der An⸗ nahme des Antrages auf Streichung der Worte „bei den nach dem 1. Dezember 1910 abgeschlossenen Verträgen“ stehen Bedenken nicht entgegen.
„Graf von Behr⸗Behrenhoff: Ich bitte ebenfalls, es, ab⸗ gesehen von dem letzten Punkte, bei der Fassung der Kommission zu belassen. Es muß einmal reiner Tisch gemacht werden. Die Rechte und Pflichten müssen auf den Verband übergehen, damit dieser den Privat⸗ unternehmern allein gegenübersteht.
Herr Bender⸗Breslau schließt sich Herrn Körte an.
Die Anträge Körte zu § 4II werden abgelehnt, nur der Antrag auf Streichung der Worte „bei den nach dem 1. De⸗ zember 11910 abgeschlossenen Verträgen“ und einige redaktionelle Vorschläge finden Annahme.
Nach § 4 VI sind die unter I bis IV vorgesehenen Ent⸗ schädigungen, wenn keine Einigung erzielt wird, durch die Be⸗ schlußbehörde für Groß⸗Berlin festzusetzen. Gegen diesen Be⸗ schluß steht den Beteiligten binnen vier Wochen, von der Zu⸗ stellung ab gerechnet, die Klage im Verwaltungsstreitverfahren bei dem Oberverwaltungsgericht offen. Derr Körte befürwortet einen Antrag, wonach die Ent⸗ schädigungen, wenn keine Einigung erzielt wird, unter sinngemäßer Anwendung der im Enteignungsgesetz von 1874 enthaltenen Grundsätze durch die Beschlußbehörde für Berlin erfolgen sollen; gegen deren Beschluß soll den Beteiligten binnen vier Wochen der ordentliche Rechtsweg offen stehen. Er bedaure, daß während der ganzen Kommissionsverhandlungen kein Vertreter des Justizministeriums zugegen gewesen sei. Die Verhandlungen sprächen dafür, daß es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die preußische Justizverwaltung etwas intensiver mitgearbeitet hätte. Es sei sehr zweifelhaft, ob die Aus⸗ führung gegen die Ungeeignetheit der ordentlichen Gerichte zur Ent⸗ scheidung derartiger mit öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten vermischten Eigentumsfragen nicht den Widerspruch der Vertreter des Justiz⸗ ressorts gefunden haben würden. Wenn auch die Entscheidung etwas verzögert würde, so sollte man sie doch nach Analogie des Kleinbahn⸗ gesetzes den ordentlichen Gerichten übertragen, selbst wenn in ähn⸗ lichen Fällen das Oberverwaltungsgericht mit Entschädigungsfragen befaßt sein möge. Der Antrag solle einen Schutz des Eigentums⸗ rechtes darstellen, das durch die Gesetzgebung der letzten Jahre schon mannigfach schwer angegriffen sei. Er erinnere nur an das Polengesetz. Minister des Innern von Dallwit;:
Ich möchte Sie bitten, dem Antrage des Herrn Oberbürger⸗ meisters Körte nicht stattzugeben. Der Antrag geht dahin, an die Stelle der Auseinandersetzung, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, in den Fällen des § 4 das Enteignurgsverfahren zu setzen. Das Ent⸗ eignungsverfahren würde in diesen Fällen nach meinem Dafürhalten nicht am Platze sein. Das Enteignungsverfahren hat zweierlei Vor⸗ aussetzungen: erstens, daß eine Kollision des Privatrechts mit dem öffent⸗ lichen Rechte vorliegt, und zweitens, daß das Privatrecht aufgeopfert wird. Diese beiden Voraussetzungen treffen hier nicht zu. Die Tätigkeit des Verbandes erfolgt zunächst genau wie die der Einzelgemeinde bei dem Betriebe der Eisenbahn, der Kleinbahn und Straßenbahn einer⸗ seits und bei der Festsetzung von Fluchtlinien. Das sind die beiden einzigen Punkte unter den gleichen, und zwar öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten, bei denen überhaupt von einer Enteignung die Rede sein könnte, denn bei Nr. 3 des § 1 würde sie überhaupt nicht zur Anwendung gelangen können. Die Tätigkeit des Verbandes ist in allen diesen Beziehungen genau die gleiche, die öffentlichrechtlichen Interessen berücksichtigende, wie die der Gemeinde es zurzeit ist; des⸗ halb liegt eine Kollision von öffentlichrechtlichen Interessen mit privatrechtlichen Interessen in der Tat nicht vor. Aber auch eine Aufopferung des Privateigentums liegt nicht vor, denn zur Auf⸗ opferung des Privateigentums gehört zweierlei: einmal das rechtliche Uebergehen, dann aber auch das wirtschaftliche Uebergehen des Eigentums, die vollkommene wirtschaftliche Loslösung von dem bisherigen Eigentümer. Diese Voraussetzung trifft gleichfalls in dem Falle des Verbandes Groß⸗Berlin deshalb nicht zu, weil die Einzelgemeinde ihr Eigentum wirtschaftlich nicht aufgibt, sondern dadurch, daß es in den Besitz des Verbandes Groß⸗Berlin übergeht, das Eigentum lediglich rechtlich aufgibt, wirtschaftlich aber am den Einkünften und den Vorteilen aller
eser Anlagen in derselben Weise wie bisher als Teil des Verbandes Groß⸗Berlin teilnimmt. Es handelt sich hier also nicht um die Auf⸗ opferung des Privateigentums, sondern um die Illation des Privat⸗ eigentums in eine größere Gemeinschaft, der die einzelnen Glieder in Zukunft auch angehören werden. Wenn nach den Grundsätzen der 8 8 “ —8 1““ u“ — Eö““ “ 9 6
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Enteignung in allen solchen Fällen Entschädigung geleistet werden sollte, so würde häufig nicht volle, sondern eine übervolle Entschädi⸗ gung geleistet werden müssen, weil eben nicht würde berücksichtigt werden können, daß die einzelnen Glieder, die bisherigen Eigentümer, auch in Zukunft an der Nutzung weiter teilnehmen, auch dann, wenn das Eigentum auf den Gesamtverband übergegangen ist.
Nun hat der Herr Vorredner das Kleinbahngesetz angezogen und gesagt, daß dort ganz analoge Verhältnisse in der von ihm für den Verband Groß⸗Berlin gewünschten Weise geregelt seien. Ich möchte darauf hinweisen, daß die beiden Voraussetzungen, die hier bei dem Verbande Groß⸗Berlin nicht zutreffen, bei dem Kleinbahngesetz vor⸗ liegen, und daß es darum im Kleinbahngesetz allerdings richtig war, die Grundsätze der Enteignung bei der Verstaatlichung von Klein⸗ bahnen analog anzuwenden und die Entscheidung über die zu ge⸗ währende Entschädigung dem ordentlichen Richter zu übertragen. Denn dort handelt es sich um Privatunternehmungen, die nicht im öffentlichrechtlichen Interesse geleitet werden, sondern im Erwerbs⸗ interesse der Privatunternehmer, denen die Kleinbahnen gehören. Es handelt sich dort auch nicht um eine Illation eines Vermögensobjektes in einen größeren Verband, sondern das Eigentum soll von den Privatunternehmern der Kleinbahn auf den Preußischen Staat über⸗ tragen werden. Mithin liegt dort eine vollständige Aufopferung des Eigentums eines Privatunternehmens an den Staat in wirtschaft⸗ licher und in rechtlicher Beziehung vor. Diese Analogie ist also meines Dafürhaltens nicht geeignet, die Berechtigung des Antrags des Herrn Oberbürgermeisters Körte darzutun.
Man darf den Gesichtspunkt nicht außer acht lassen, daß es sich hier um eine interkommunale Vereinigung handelt, um die Zusammen⸗ legung mehrerer Gemeinden zu einem gemeinsamen größeren Kom⸗ munalverbande, mithin um eine Regelung kommunaler Verhältnisse, wie wir sie in Preußen in vielen Fällen haben, so in den Fällen der Eingemeindung, Ausscheidung von Gemeinden aus größeren Verbänden, Kreisverbänden und dergleichen. In allen diesen Fällen hat der Ge⸗ setzgeber nie daran gedacht, die aus einer Aenderung der kommunalen Grenzen und Verhältnisse resultierenden Aenderungen der privatrecht⸗ lichen Beziehungen der einzelnen Bestandteile nach den Grundsätzen der Enteignung zu regeln, sondern überall ist grundsätzlich der Weg der Auseinandersetzung beschritten worden. Sie sehen das im § 22 des Zuständigkeitsgesetzes, im § 130 der Land⸗ gemeindeordnung, der speziell Zweckverbände, wie hier einer in Frage steht, behandelt, im § 3 der Kreisordnung, im § 4 der Kreisordnung und im § 2 der Städteordnung. Es handelt sich also bei der gegenwärtigen Vorlage keineswegs um die Aufstellung neuer Grundsätze. Es ist aber auch unrichtig, was der Herr Vorredner ausgeführt hat, daß der Gesetzentwurf eine Ab⸗ schwächung oder Verwässerung des Eigentumsbegriffs herbeiführen werde, daß er von einer nicht genügenden Rücksichtnahme auf städtisches Eigentum zeuge, es handelt sich vielmehr lediglich um ein seit vielen Jahrzehnten in der preußischen Gesetzgebung anerkanntes und auf⸗ genommenes Prinzip, welches dahin geht, daß in Fällen kommunaler Veränderungen die Regelung der daraus resultierenden privatrecht⸗ lichen Veränderungen im Wege der Auseinandersetzung und nicht nach den Grundsätzen der Enteignung stattzufinden habe und daß die Ent⸗ scheidung nicht dem ordentlichen Richter, sondern dem Verwaltungs⸗ richter gebühre.
Graf von Behr⸗Behrenhoff: dem Antrage die Zustimmung zu versagen.
Ich möchte ebenfalls bitten,
G Den rechtlichen Gründen möchte ich nur noch praktische Bedenken hinzufügen. Die Ent⸗ scheidung durch die ordentlichen Gerichte würde Jahre dauern; ein schnelles Vorgehen wird nur erreicht, wenn Beschlußbehörde und Oberverwaltaͤngsgericht für zuständig befunden werden. Ich möchte unterstreichen, daß das Oberverwaltungsgericht in einer großen Reihe äͤhnlicher Fälle zu entscheiden und daher eine weitgehende Praxis hat, während die ordentlichen Gerichte erst Erfahrungen sammeln müßten.
Herr Körte: Die Verzögerung bedeutet für die Praxis nichts. Ob die Höhe der Entschädigung definitiv nach fünf oder anderthalb Jahren feststeht, ist für den Verband gleichgültig. Wir müssen uns in der Verwaltung großer Gemeinden oft damit abfinden, daß die endgültige Feststellung erst Jahre später erfolgt. Den vom Minister des Innern vorgetragenen Thbeorien über den Begriff des Privateigentums würde der Justizminister sicherlich nicht zu⸗ stimmen. Der wirtschaftliche Zusammenhang ist niemals maßgebend gewesen. Der Eingriff in das Privateigentum ist hier besonders tief, weil es sich um hohe Summen, unter Umständen um Hunderte von Millionen handelt, und weil nicht gesagt ist, was aus den Lasten, den aufgenommenen Anleihen, wird. Dafür müssen die Gemeinden verpflichtet bleiben, da der Verband seiner ganzen Konstruktion nach sich darum gar nicht kümmern kann. Wir möchten, daß nicht Eee ein Eingriff in das Privateigentum geschieht, wie vor drei Jahren.
Herr Dr. Kirschner: Die Ausführungen des Ministers ent⸗ sprechen nicht ganz der Wirklichkeit. Nehmen wir an, die Stadt Berlin baut eine Untergrundhbahn für 80 Millionen. Jetzt kommt der Verband und sagt, ich will dies Unternehmen für mich erwerben. Da meint der Minister, da geht das Vermögen der Stadt nicht verloren. Ja, das ist doch für Berlin die Abgabe des Unternehmens zu ihrem vollen Wert, und wenn sie entschädigt werden soll, so muß ihr von dem Verbande der volle Wert erstattet werden. Die Ent⸗ schädigung is nur dann gerecht, wenn der volle Wert der entzogenen Objekte zurückgewährt wird. Darauf kommt es an.
Der Antrag Körte wird abgelehnt, § 4 VI bleibt unver⸗ ändert, ebenso § 4 VIII, wonach über Streitigkeiten, welche, abgesehen von dem Falle der Entschädigung, sich aus den in § 4 geregelten Beziehungen zwischen dem Verbande und dem Kreise, Gemeinde oder Gutsbezirke des Verbandsgebiets er⸗ geben, endgültig die Beschlußbehörde für Groß⸗Berlin ent⸗
*
scheiden soll.
Die §§ 5 bis 7 betreffend die Festsetzung der Fluchtlinien.
§ 5 bestimmt:
Der Verband kann für Teile des Verbandsgebiets Fluchtlinien festsetzen, soweit dies für die Schaffung oder Ausgestaltung von Durchgangs⸗ oder Ausfallstraßen, für die Herstellung von Bahnen oder für die Ausgestaltung der Umgebung von Freiflächen erforderlich erscheint. Für letzteren Zweck können auch Bebauungspläne fest⸗ gesetzt werden. Als Durchgangs⸗ und Ausfallstraßen sind diejenigen anzusehen, welche über den Bereich einer Einzelgemeinde hinaus dem allgemeinen Verkehrsinteresse des Verbandes zu dienen bestimmt sind.
Herr Dr. von Bitter beantragt, hinzuzufügen: „Auch über den vorstehend bestimmten Umfang hinaus kann der Verband aus wichtigen Gründen des Verkehrs, der Gesundheits⸗ und der Wohnurgsfürsorge in dem noch nicht bebauten Teile des Verbandsgebiets Fluchtlinien⸗ und Bebauungspläne festsetzen.“
Mitberichterstatter Herr Körte erklärt sich gegen diesen Antrag, weil er die Tätigkeit des Verbandes auf diesem Gebiete in bedenk⸗ licher Weise erweitert und seine Fassung unklar sei.
Herr Dr. Adickes: Die Kommission hat einen Zusatz
Abgeordnetenhauses gestrichen, wonach der Verbandsausschuß
nach dem 1. April 1914 aus sehr wichtigen Gründen des Verkehrs, der Gesundheit und der Wohnungspolitik die Abänderun von Bebauungsplänen verlangen kann, deren Durchführung bis dahig nicht in Angriff genommen ist. Ich hatte beantragt, diese Be⸗ stimmung wieder herzustellen. Wer das Bedürfnis anerkennt, eine wirksame Zentrale für Stadterweiterungsfragen zu schaffen, muß dem Verbandsausschuß auch die nötigen Kompetenzen geben. Ich ziehe indessen meinen Antrag zugunsten des Antrags Bitter zurück. b
Herr Dr. von Bitter: Gerade bei der vorliegenden Frage liegt die unbedingte Notwendigkeit vor, die Zuständigkeit des Ver⸗ bandes zu erweitern. Es muß mit der Zeit ein Wirrwarr in der Bebauung entstehen, dem ein Ende gemacht werden muß. Hätte ich die Ueberzengung, daß unsere bestehende Gesetz⸗ gebung und unsere Behörden in der Lage wären, hier einen Wandel zu schaffen, so würde ich den Antrag nicht gestellt haben. Dem wilden Bauen und dem wilden Festsetzen von Fluchtlinien kann nur durch Gesetz entgegengetreten werden. Die Polizei muß auf diesem Gebiete versagen. Es handelt sich um eine Aufgabe, die die vitalsten Interessen Groß⸗Berlins berührt, und die nicht eine einzelne Gemeinde, sondern nur ein Verband, wie der Zweck⸗ verband, lösen kann. Nur aus besonders wichtigen Gründen kann der Verband eingreifen. Diese Aufgabe einer zukünftigen Novelle zu überweisen, wünsche ich nicht, denn ich wünsche eine solche Novelle überhaupt nicht.
Herr von Buch: Ich kann dem Antrag nicht zustimmen, obwohl er viel milder als die Fassung des Abgeordnetenhauses ist. Die Staatsregierung hat ihrerseits kemen dahingehenden Antrag in die Vorlage aufgenommen. Die betreffenden Bestimmungen sozial⸗ politischer Natur sind erst durch das Abgeordnetenhaus hineingebracht worden. Ich erkenne nun die heutigen sozialpolitischen Bestrebungen in vielen Richtungen als berechtigt an, aber in vielen Punkten wird über die Grenzen des Notwendigen und Rützlichen hin⸗ ausgegangen. Davor müssen wir auch den Verband bewahren, von dem wir nicht wissen, ob er ihnen gewachsen sein wird. Es ist heutzutage der Uebelstand eingerissen, daß die Parlamente die Vorlagen der Regierung erweitern; die Gesetze und die Vorlagen haben heute nur noch eine verschwindende Aehnlich⸗ keit. In solchen Fragen hat die Staatsregierung die Pflicht, eine Vorlage zu machen. Ich bei meinem beschränkten Untertanenverstande bin nicht in der Lage, zu sagen, ob der Zweckverband eine solche Aufgabe haben soll. Etwas anderes wäre es, eine entsprechende Resolution anzunehmen. Der Antrag erschwert dem Verbande allzu⸗ sehr seine Existenz, und deshalb bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Herr von Wedel: Ich bin gewohnt, sonst mit Herrn von Buch Hand in Hand zu gehen, aber in diesem Falle muß ich ihm die Freundschaft aufkündigen. Herr von Buch ist doch sonst nicht so ängstlich gegenüber der Staatsregierung. Es kommt darauf an, ob hier etwas Nützliches geschaffen werden soll. Ufer⸗ lose Aufgaben werden doch dem Verbande nicht zugemutet; der Ver⸗ band soll nicht Wohnungen bauen, sondern Bebauungspläne in dem Sinne feststellen, daß die Wohnungsfürsorge berücksichtigt wird. Der Verband soll auch keine Wohnungspolizei treiben. Die einzelne Gemeinde kann die Aufgaben auf diesem Gebiete nicht erfüllen. Die Bebauungspläne sind bis jetzt in Berlin in weitem Umfange ver nachlässigt worden. Ich bitte Sie, den Antrag Bitter anzunehmen.
Herr Wilms⸗Posen: Ich bitte Sie, den Antrag Bitter abzu⸗ lehnen, weil dessen Tragweite nicht zu übersehen ist.
Herr Becker: Ich kann nur den Ausführungen des Herrn von Wedel beistimmen. Die Stadt Berlin kann einen festen Bebauungsplan nicht aufstellen, weil in der Nähe die Gemeinden Pläne selbständig aufstellen oder nicht, worauf Berlin keinen Einfluß hat. Deshalb ist es dringend notwendig, daß die Zusammenstellung der Bebauungspläne für Groß⸗Berlin in einer Hand liegt, und dazu ist der Zweckverband am besten geeignet. Es ist auch Eile nötig, weil die Verhältnisse von Tag zu Tag schlechter werden. Es ist Gefahr im Verzuge, und deshalb muß die Sache je eher je lieber in Angriff genommen werden. Nehmen Sie den Antrag Bitter an.
Herr Schustehrus: Das Wohnungswesen in Groß⸗Berlin liegt sehr im argen, und es ist höchste Zeit, an die Stelle des Schlechten etwas Besseres zu setzen. Es geht nicht an, daß die fünfstöckigen Häuser immer mehr Licht und Luft nehmen. Es hat bisher an einer Instanz gefehlt, welche Ordnung schaffen könnte. Bisher hat sich mit dieser Frage Groß⸗Berlin sehr wenig beschäftigt. Erst die Ausstellung der Architekten hat uns über diese Mißstände die Augen geöͤffnet. Der Zweckverband ist in der Tat der Ansatz zu einer besseren Entwicklung auf diesem Gebiete. Ich habe Bedenken getragen, dem Antrage Adickes zu § 1 zuzustimmen. Hier handelt es sich aber um eine ganz andere Frage, um das Interesse des ganzen Groß⸗Berlin, und da müssen die einzelnen Gemeinden im Interesse des großen Ganzen die Lasten tragen. Die Stadt Berlin braucht diesen Antrag nicht zu fürchten.
Herr Wilms: Das Uebermaß vielstöckiger Häuser in den Vororten kann durch Polizeiverordnung beschränkt werden. Es geht aber nicht an, in die Rechte der Gemeinden einzugreifen, ohne sie zu hören und ihnen die Einlegung von Rechtsmitteln zu ermöglichen.
Die Diskussion wird geschlossen.
Mitberichterstatter Herr Körte weist darauf hin, daß der Eingriff, der hier beabsichtigt sei, sich nicht nur a f die Frage der Fluchtlinien führung erstrecke, sondern auch auf andere kommunale Aufgaben, wie Kanalisation, Beleuchtung usw., die mit der Bebauung zusammen⸗ hängen. Warum habe die Verwaltung nicht von dem Recht Gebrauch gemacht, durch Polizeiverordnung den Bau von Mietskasernen in der Umgebung von Berlin zu verhindern?
Der Antrag von Bitter wird angenommen und mit diesem Zusatz § 5. § 6 wird mit einem redaktionellen Antrag des Grafen von der Schulenburg⸗Angern angenommen, ebenso § 7.
Im § 8 hatte das Abgeordnetenhaus als ersten Absatz folgende Bestimmung beschlossen: Der Oberpräsident kann mit Zustimmung des Verbandsausschusses Baupolizeiverordnungen für das Verbandsgebiet oder Teile desselben erlassen. Die Zustimmung des Verbandsausschusses kann durch die Beschluß⸗ behörde von Groß⸗Berlin ergänzt werden. Die Herrenhaus⸗ kommission hat diese Bestimmung gestrichen.
Herr Adickes beantragt, diese Fassung wiederherzustellen.
Minister des Innern von Dallwitz: Die Königliche Staatsregierung ist seinerzeit einem dahin gehenden Beschlusse des Abgeordnetenhauses beigetreten. Sie hat
keinen Anlaß, jetzt gegen den Antrag Stellung zu nehmen, und würde
also für den Fall der Annahme des Antrags ihm wiederum stimmen können. Herr Körte spricht sich gegen den Antrag Adickes aus. Der Antrag Adickes wird abgelehnt. — Die §8§ 8 bis 11 werden ohne Debatte unverändert
genommen. 8
Nach § 12 ist der Verband berechtigt, in sinngemäßse An⸗ wendung des Kreis⸗ und Provinzialabgabengesetzes von] 1906 Gebühren und Beiträge zu erheben.
Herr Dr. von Dziembowski beantragt, hintet dem Worte „Anwendung“ einzufügen: „der für die Prcsvinzial⸗ abgaben geltenden Bestimmungen“.
Ministerialdirektor Dr. Freund: Die Staatsregierun gerblickt in dem Antrag eine Verdeutlichung und daher Verbessestung und stimmt dem Antrag zu.
Der Antrag wird einstimmig angenommen.
Zu § 40 beantragt Graf von Behr⸗Behre zufügen: „der Oberpräsident sowie die zu seine
1“
2 m⸗
off ein⸗ ertretung
“
8.
abgeordneten Staatsbeamten sind auf Verlangen bei den Be⸗ ratungen der Verbandsversammlungen zu hören.
Minister des Innern von Dallwitz: Aus den vom Herrn Antragsteller dargelegten Gründen würde die Staatsrevierung in der Lage sein, dem Antrage zuzustimmen.
Der Antrag wird angenommen. Der Rest des Gesetzes wird ohne Debatte angenommen, ebenso die Bestimmung, daß das Gesetz am 1. April 1912 anstatt, wie das Abgeordneten⸗ haus beschlossen, am 1. Oktober 1911 in Kraft tritt. 1
Von Herrn Körte liegt folgende Resolution vor:
„Die aus dem Mangel einer einheitlichen Verwaltungs⸗ organisation für das einheitliche Wirtschaftsgebiet Groß⸗Berlin ent⸗ standenen großen Nachteile können nachhaltig und unter Erhaltung des für das Gedeihen der Gemeinden wie des Staats gleich wichtigen Selbstverwaltungsrechtes auf dem durch den vorliegenden Gesetz⸗ entwurf vorgeschlagenen Wege nicht erreicht werden.
Die Königliche Staatsregierung wird deshalb ersucht, sobald als möglich den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, welcher die Vereinigung aller dem wirtschaftlichen. Einheitsgebiete Groß⸗ Berlin angehörigen Gemeinden zu einer einheitlich zu verwaltenden Stadtgemeinde vorsieht.“
Herr Körte empfiehlt als Mitberichterstatter die Ab⸗ lehnung dieser bereits in der Kommission abgelehnten Re⸗ solution, bittet aber im Anschluß daran als Antragsteller um Annahme. . “
—Die Resolution wird abgelehnt, das Gesetz im ganzen mit großer Mehrheit an genommen. “
Die zu dem Entwurfe eingegangenen P etitionen werden
durch die gefaßten Beschlüsse für erledigt erklärt.
Hierauf erstattet namens der Finanzkommission Dr. Frei
herr Lucius von Ballhausen mündlich Bericht über die Denkschrift für das Jahr 1910 über die Ausführung des Ge⸗ sebes, betreffend die Beförderung deutscher Ansied⸗ lungen in den Provinzen Westpreußen und Posen vom 286. April 1886 und seiner Ergänzungsgesetze. Er beantragt, die Denkschrift in Uebereinstimmung mit dem Abgeordneten⸗ hause durch Kenntnisnahme für erledigt zu erklären.
Ohne Diskussion entspricht das Haus diesem Antrage.
Es folgt die einmalige Schlußberatung des Gesetzentwurfs, betreffend die Losgesellschaften, die Veräußerung v on Inhaberpapieren mit Prämien und den Handel mit Lotterielosen. .“
Berichterstatter Graf von der Schulenburg⸗Grünthal empfiehlt die Annahme in der vom anderen Hause beschlossenen Fassung.
Das Haus beschließt ohne Diskussion nach diesem Antrage; die Vorlage wird en bloc angenommen.
Den mündlichen Bericht der Finanzkommission über die allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt und über die Rechnung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse für 1907 erstattet Herr Dr. Oehler⸗Düsseldorf.
In Uebereinstimmung mit dem anderen Hause werden die Etatsüberschreitungen und die außeretatsmäßigen Ausgaben nachträglich genehmigt und die Regierung entlastet. 85
Ebenso werden auf den Antrag desselben Kommissions⸗ referenten die in der Uebersicht der Staatseinnahmen und Ausgaben für 1909 nachgewiesenen Etatsüber⸗ schreitungen und außeretatsmäßigen Ausgaben unter dem Vorbehalt der Prüfung und der Erinnerungen der Ober⸗ rechnungskammer vorläufig genehmigt.
Für die Rechnung der Kasse der Oberrechnungskammer für 1909 wird die Entlastung erteilt. 1
Die im Verfolg des Gesetzes, betreffend die Reisekosten, Tagegelder und Fuhrkosten der Staatsbeamten, ergangenen Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und Verfügungen werden auf Antrag der Finanzkommission, Referent Herr. Körte, durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt.
Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
Schluß nach 6 Uhr. Nächste Sitzung Dienstag, 12 Uhr Feuerbestattungs rlage; Petitionen). “
W
90. Sitzung vom 19. Juni 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolsfss Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die zweite Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend Abänderung der Ge⸗ meindeordnung für die Rheinprovinz, fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Ausgabe d. Bl. berichtet worden.
Abg. Dr. Gottschalk Solingen (nl.) kennzeichnet die (gestern mit⸗ geteilten) Anträge des Zentrums als industriefeindlich; sie würden eine schreiende Ungerechtigkeit gegen die Industrie bedeuten. Keinem Wähler dürfe mehr angerechnet werden an Staatseinkommensteuer, als er in der betreffenden Gemeinde bezahlt. Der Redner befürwortet die Annahme des nationalliberalen Antrags. Wenn die Industrie zur Gesellschafts⸗ form übergehe, so tue sie es nicht aus Liebhaberei, sondern unter dem Zwange der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Abg. Fleuster (Zentr.): Wir wissen ganz genau, daß mit der Industrie auch die Landwirtschaft blüht. Wir mußten ein Brett vor dem Kopf haben, wenn wir industriefeindliche Antrage stellten. Unsere Anträge richten sich nur gegen die großen Gesellschaften; wie kann man da von einer schreienden Ungerechtigkeit sprechen. Gegen die Industrie an sich sind wir nicht, sondern wir wollen nur, daß auch de Landwirtschaft zur Geltung kommt und auch ihren Platz an der Sonne erhält. 8 — Abg. Dr. Röchling (nl.): Wenn man die Rede des Herrn leuster hört, kann man an seine Industriefreundlichkeit glauben, aber In, der Praxis zieht er nicht die Folgerungen daraus. Die Anträge des Zentrums richten sich gegen die großen Gesellschaften, die In⸗ dustrie geht aber zu der Gesellschaftsform über, weil sie aus national⸗ öͤkonomischen Gründen dazu übergehen muß. Der einzelne ist unter en heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen gar nicht mehr imstande, die Industrie vorwärts zu bringen, es ist dazu ein Zusammenschluß. es Kapitals in Gesellschaften notwendig. Die Regierung hat das anerkannt, indem sie die Industriegesellschaften den Meistbegüterten Peichstellte, und das halten wir für richtig. Das Zentrum hat sich 8 seine Industriefreundlichkeit zu entscheiden, hie Rhodus,
2 Salta.
In der Abstimmung werden sämtliche Abänderungsanträge abgelehnt, da nur die einzelnen antragstellenden Parteien dafür immen, bis auf den Eventualantrag Bell, wonach die Kom⸗ missionsfassung dahin ergänzt wird, daß bei den Berechtigten unter A die in der Gemeinde wohnenden den auswärts wohnenden vorgehen sollen; dieser Antrag gelangt mit den Hümmen des Zentrums und der Konservativen zur Annahme. Mit dieser Aenderung und im übrigen in der Kommissions⸗ fassung wird der ganze § 46 angenommen. Ab Zu. 8 51 der geltenden Gemeindeordnung beantragen die volcg. Sr. Bell (Zentr.) und Genossen den Zusatz, daß Be⸗ juristischtigtes Beamte oder Teilhaber einer und derselben rats sehen Person nicht gleichzeitig Mitglieder des Gemeinde⸗
Haus der Abgeordneten.
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Der Antrag wird ohne Debatte gegen die Stimmen des Zentrums abgelehnt.
§ 55 regelt das Wahlverfahren und bestimmt ins⸗ besondere, daß die Stimmabgabe mündlich zu Protokoll er⸗ folgen soll.
Abg. Dr. Bell (Zentr.) beantragt die geheime Stimm⸗ abgabe mittels verdeckter Stimmzettel, sowie einige Aende⸗ rungen in dem Wahlverfahren.
Die Abgg. Aronsohn (fortschr. Volksp.) und Genossen beantragen die geheime Stimmabgabe mittels verdeckter Stimm⸗ zettel, und zwar nach dem für das Reichstagswahlrecht geltenden Vorschriften.
Abg. Dr. Bell (Zentr.): Die Anträge auf Einführung des geheimen Wahlrechts für die Gemeinden sind nicht neu. Schon im Jahre 1856 beschäftigte sich das Haus mit dem Wahlrecht für die Rheinprovinz, nachdem schon 1853 über das Wahlrecht für die östlichen Provinzen beraten worden war. Wir ecfüllen nur eine Ehrenpflicht gegen unseren Führer Reichensperger, der damals in einer großzügigen Rede die Einführung des geheimen Wahlrechts begründet hat. Er war nicht ein grundsätzlicher Gegner der öffentlichen Wahl, sondern begründete die geheime Wahl vor allem damit, daß der eigentliche Sinn einer öffentlichen Wahl nicht zum Durchbruch kommen könnte; es handle sich nicht um grundsätzliche Fragen, sondern um Personen fragen, bei denen allgemein geheime Stimmabgabe üblich sei. Wir haben doch auch das gehenne Wahlrecht in der Geschäftsordnung unseres Hauses bei der Präsidentenwahl. Es gilt jetzt das Wort Friedrich Wilhelms III. vom Jahre 1815 einzulösen, daß die Rhein⸗ lande in der Freiheit und Unabhängigkeit Deutschland vorangehen sollten. Wir erwarten, daß auch die Nationalliberalen, ent⸗ sprechend ihren früheren Aeußerungen, für das geheime Wahl⸗ recht eintreten werden. Es gilt auch für sie: Hlic Rhodus. hie salta! Wir hoffen, daß die nationalliberale Partei Schulter an Schulter mit uns kämpfen wird. Durch die Statistik ist bewiesen, daß die Beteiligung bei geheimen Wahlen größer ist wie bei öffentlichen Wahlen. Der Grund liegt darin, daß bei der öffentlichen Wahl zahlreiche Personen sich beeinträchtigt fühlen. Die Wahlen sollen aber ein getreues Abbild der Stimmung der Wähler geben. Schon bei der Beratung der Wahlrechtsvorlage für das preußische Abgeordnetenhaus sind zahlreiche Petitionen eingelaufen, die die Be⸗ seitigung der öffentlichen Wahl forderten; besonders Geschäftsleute, Handwerker usw. fühlten sich durch die öffentliche Stimmabgabe beeinträchtigt. Für die Stadt Frankfurt gibt es schon das geheime Wahlrecht, ebenso in der hohenzollernschen Landgemeindeordnung. Wem es ernstlich darum zu tun ist, das geheime Wahlrecht einzuführen, der würde sich nicht nur mit sich selbst in Widerspruch setzen, wenn er hier gegen das geheime Wahlrecht stimmte, sondern er würde damit auch dem Prinzip des geheimen Wahlrechts einen schweren Schlag versetzen.
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Wir werden in erster Linie für den Antrag der Volkspartei, wenn dieser abgelehnt werden sollte, für den Zentrumsantrag stimmen. Ich hätte gewünscht, daß die Partei des Abg. Bell stets so energisch für das geheime Wahlrecht eingetreten wäre. Denn gerade durch die Haltung des Zentrums ist die geheime Stimmabgabe bei der preußischen Wahlrechtsreform zu Fall gebracht worden. Gewiß hat die Regierung eine Ehrenschuld abzutragen, aber sie hat noch manche andere Ehrenschuld abzutragen, und daß sie sie nicht abtragen konnte, ist die Mitschuld derjenigen Partei, die im Hause eine ausschlaggebende Stellung einnimmt, des Zentrums. Die preußische Regierung hat vor allem die Ehrenschuld gegen das ganze preußische Volk einzulösen. Hoffentlich sorgen die Antragsteller jetzt dafür, daß ihre Parteimitglieder auch da sind, wenn es zur Abstimmung kommt, damit die geheime Stimmabgabe angenommen wird.
Abg. Dr. Bell⸗Essen (Zentrum): Unsere Haltung bei der preußischen Wahlrechtsreform war so klar, daß unsere Wähler uns vollkommen verstanden haben. Gerade durch unsere geschickte Taktik ist es erreicht worden, daß eine so große Mehrheit des Hauses sich damals für das geheime Wahlrecht ausgesprochen hat. Dafür, daß unsere Parteimitglieder anwesend sind, sorgen wir schon. Das hat sich doch bei den Abstimmungen am Sonnabend gezeigt, wo das Zentrum sogar die Mehrheit bildete. Weshalb gerade der Abg. Hirsch seine Angriffe gegen das Zeutrum gerichtet hat, kann ich nicht verstehen. Er möge doch einmal vor gllem auf die ihm näher stehenden Herren im Hause einwirken. Da sehe ich noch sehr viele leere Plätze. Ich habe übrigens zu erklären, daß wir die Fassung des freisinnigen Antrags für besser halten und demgemäß nur den Teil unseres Antrages aufrecht erhalten, der die geheime Stimm⸗ abgabe fordert, und dafür die Fassung des freisinnigen Antrages über nehmen. 1
Unterstaatssekretär Holtz: Ob für die Kommunalvertretungen das öffentliche oder geheime Wahlrecht das richtige ist, kann nicht für die Rheinprovinz allein entschieden werden, sondern muß gemeinsam für eine Reihe anderer Landesteile Preußens geregelt werden. Als sich der Landtag der Monarchie zum ersten Male im Jahre 1891 mit einer Verfassungskodifikation für die Landgemeinden beschäftigte, als die Landgemeindeordnung für die östlichen Provinzen geschaffen wurde, ist die Entscheidung für das öffentliche Wahlrecht gefallen. Diese Frage kann nicht so behandelt werden, wie es die Vorredner wollen. Wenn es sich um die gesetzliche Verabschiedung einer so eingreifenden Frage handelt, dann kann es nur auf der Grundlage einer allgemeinen gesetzgeberischen Reform geschehen. Durch die Einführung des ge⸗ heimen Wahlrechts würde die Vorlage einer Belastung ausgesetzt werden, die dem anderen Hause die Annahme schwerlich ermöglichen wird. Wenn die Schäden beseitigt werden sollen, die dringend beseitigt werden müssen, dann kann es nur auf Grund der Vorlage der Regierung geschehen.
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Sollte das Herrenhaus an der ge⸗ heimen Wahl Anstoß nehmen und die Vorlage scheitern lassen, so ist die Regierung gezwungen, im nächsten Jahre eine neue Vorlage ein⸗ zubringen. Gegen das Zentrum habe ich mich nur gewandt, um den Gegensatz zwischen seiner heutigen Haltung und der Stellung fest⸗ zunageln, die es damals bei der preußischen Wahlrechtsvorlage ein⸗ genommen hatte. (Widerspruch im Zentrum.) Daß Ihnen Ihre damalige Haltung jetzt unangenehm ist, glaube ich Ihnen gern. Wenn Ihre Wähler wirklich erfahren hätten, wie Sie sich verhalten haben, dann hätten sie sich in Scharen von Ihnen abgewandt. Ich möchte aber dem Zentrum raten: Beantragen Sie namentliche Abstimmung über die geheime Stimmabgabe. 8
Abg. Dr. Gottschalk⸗Solingen (nl.): Wollen die Herren, daß die Vorlage verabschiedet wird oder nicht? Wir wollten die Ver⸗ handlung über diese Vorlage früher ansetzen, aus den Kreisen des Zentrums hat man aber gesagt, diese paar Paragraphen könnten wir mit Leschtigkeit schaffen. Glauben die Herren, daß, wenn die Vor lage mit dieser wichtigen prinzipiellen Frage belastet wird, die geringste Aussicht vorhanden ist, daß sie vom Herrenhause angenommen wird? Wir haben von vornherein erklärt, daß wir ein dringendes Interesse an der Verabschiedung dieser Vorlage haben. Wenn das Herrenhaus schon in der Frage der beschränkten Oeffentlich⸗ keit der Sitzungen große Schwierigkeiten bereitet, glauben Sie dann, daß das Herrenhaus so nebenher diese große Frage mit erledigen wird. Ich wiederhole: Wir haben ein Interesse an der Verabschiedung. Wir haben im vorigen Jahre bei der Wahlrechts⸗ vorlage gewiß gezeigt, daß wir für eine geheime Wahl sind, auf demselben Standpunkte stehen wir auch in bezug auf die Kommunal wahlen. (Zuruf im Zentrum: Dann stimmen Sie doch dafür!) Nein, nachdem ich Ihnen vorgehalten habe, daß diese Belastung das Gesetz gefährden würde, können wir nicht dafür stimmen. Wer hat denn bei der vorjährigen Vorlage die Verbindung der geheimen Stimmabgabe mit der direkten Wahl verhindert? Das war das Zentrum. Wir wollen diese Vorlage nicht wie einen Spielball behandeln, der bald nach rechts, bald nach links geworfen wird, sondern wir wollen sie verab⸗ schieden. Wenn Sie großes Gewicht auf die geheime Stimmabgabe legen, dann können wir ja eine solche Resolution annehmen. Das Gesetz wollen wir aber nicht gefährden. H
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Abg. Fleuster (Zentr.): Wir sehen keinen Grund, daß die National⸗ liberalen hier nicht mit uns für die geheime Wahl ihre Stimme abgeben. Auch wir wünschen das Zustandekommen des Gesetzes. Die Nationalliberalen können es mit uns zusammen zu stande bringen, aber wir wollen es nicht zu stande bringen, ohne auch bei di.ser Gelegenheit für die geheime Wahl eingetreten zu sein.
Ein Schlußantrag wird abgelehnt.
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Ich will nur nochmals gegenüber den Angriffen des Zentrums erklären, daß wir nach wie vor auf dem Standpunkt des geh imen Wahlrechts auch bei den Kommunalwahlen stehen; wir verzichten aber darauf, den Gesetzentwurf mit dieser Frage zu beschweren, weil wir das Zustandekommen des Gesetzes wünschen, anders als das Zentrum, das dieses Gesetz tot machen will. Wenn es den Herren vom Zentrum ernst ist, so mögen sie einen Initiativantrag für die Einführung des geheimen Wahlrechts bei den Kommunalwahlen generell einbringen; dann würden wir auf ihrer Seite sein, aber den unpraktischen Vorschlag hier machen wir nicht mit.
Abg. Linz (Zentr.) beantragt die namentliche Ab⸗ stimmung über den Zentrumsantrag in der Fassung des Antrags der Volkspartei.
Bei der Abstimmung stimmen die Rechte und die National⸗ liberalen geschlossen gegen den Antrag, die übrigen Parteien geschlossen dafür. Der Antrag wird mit 145 gegen 117 Stimmen abgelehnt. § 55 wird in der Kommissionsfassung angenommen.
Im § 62 hatte die Regierungsvorlage die beschränkte Oeffentlichkeit bei den Sitzungen des Gemeinderats vor⸗ geschlagen; es sollten als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen großfährigen Mitglieder der Ge⸗ meinde zugelassen werden. Das Herrenhaus hat diese Vor⸗ schläge gestrichen, die Kommission des Abgeordnetenhauses hat sie aber wieder eingefügt.
Die Abgg. Aronsohn (fortschr. Volksp.) und Genossen beantragen die völlige Oeffentlichkeit der Gemeinderatssi Bungen und nur die Möglichkeit eines Ausschlusses der Oeffentlichkeit für einzelne Gegenstände durch besonderen, in geheimer Be⸗ ratung zu fassenden Beschluß. 1.“
§ 62 wird ohne Debatte in der Kommissionsfassung an⸗ genommen.
Die Abgg. Dr. Bell (Zentr.) u. Gen. beantragen die Einfügung einer Aenderung des § 103 der geltenden Gemeinde ordnung, wonach die Landbürgermeister auf die Dauer von 12 Jahren angestellt werden. Zu dem Amt sollen an erster Stelle angesehene Personen des Bürgermeisterei⸗ bezirks, insbesondere größere Grundbesitzer, berufen werden. Ein besoldeter Bürgermeister soll nur angestellt werden, wenn ein geeigneter Ehrenbürgermeister nicht zu gewinnen ist. Der Bürgermeister soll von der Bürgermeistereiversamm⸗ lung gewählt werden und der Bestätigung durch den Ober⸗ präsidenten nach Anhörung des Kreisausschusses bedürfen.
Die Abgg. Aronsohn (fortschr. Volksp.) u. Gen. bean tragen in diesem Antrage die Streichung der Worte „ins⸗ besondere größere Grundbesitzer“.
Abg. Hoeveler (Zentr.) begründet den Antrag seiner Partei mit dem Inkeresse der Selbstverwaltung. Wenn sich auch das jetzige System der Ernennung der Bürgermeister bewährt haben solle, so verlange doch das Interesse der Selbstverwaltung, daß die Landgemeinden das Recht der Wahl ihres Bürgermeisters ebenso erhielten wie die Städte. Wenn die Regierung sage, daß die rheinischen Landbürgermeister so viele staatliche Aufgaben wahrzunehmen hätten, daß die Regierung auf ihren Einfluß bei der Bestellung der Bürgermeister nicht ver⸗ zichten könne, so hätten darauf die Landgemeinden zu erwidern, daß auch die Bürgermeister der kleineren Städte dieselben staatlichen Aufgaben zu erfüllen hätten, und doch gewählt würden. Die West⸗ falen würden mit ihrem Amtmannssystem auf die Dauer auch nicht einverstanden sein, sondern Schulter an Schulter mit den Rhein ländern kämpfen.
Unterstaatssekretär Holtz: Ich möchte noch einmal kurz betonen, daß unsere praktischen Erfahrungen mit der Ernennung der Land bürgermeister sehr gut sind. Die Landbürgermeisterei ist in erster Linie ein staatliches Verwaltungsamt. Wir köonnen an die Frage der Wählbarkeit der Bürgermeister nur herangehen, wenn eine grund — sätzliche Reform durchgeführt wird. Eine solche Aufgabe ließe sich aber jetzt nicht lösen.
Abg. Dr. Gottschalk⸗Solingen (nl.) erklärt sich gegen die Wähl⸗ barkeit der Bürgermeister.
Abg. Dr. Wuermeling (Zentr.) befürwortet den Zentrumsantrag und tritt für die Wählbarkeit auch der Amtmänner von Westfalen ein; es dürfe sich nicht nur die Rheinprovinz zu den lichten Höhen der Selbstverwaltung aufschwingen. Der Antrag bezwecke nur, daß die Bevölkerung den ihr zukommenden Anteil an der Verwaltung erhalte. 3
Abg. Fleuster (Zentr.) tritt ebenfalls kurz für den Antrag ein.
Der Antrag Aronsohn wird gegen die Stimmen der An tragsteller abgelehnt. Ueber den Antrag Bell findet auf Antrag des Abg. Hoeveler (Zentr.) namentliche Abstimmung statt.
Nach dem Namensaufruf und der Zählung der Stimmen schlägt der Präsident von Kröcher vor, gleich mit den Ver handlungen fortzufahren und das Ergebnis der Abstimmung später bekannt zu geben. 1 ““
Abg. Lippmann (fortschr. Volksp.) widerspricht zunächst dieser Anregung, da sich leicht die Beschlußunfähigkeit des Hauses ergeben könne, und die folgenden Verhandlungen dann hinfällig wären. 1
Präsident von Kröcher erklärt, daß noch nicht gesagt sei, daß bis dahin eine andere Abstimmung stattfinde, es würde auf jeden Fall Zeit erspart werden können. 8
Abg. Lippmann zieht seinen Widerspruch zurück.
Das Haus fährt darauf in den Beratungen fort.
Abg. Bel! (Zentr.) begründet einen Antrag, der die Arreststrafe für die Gemeindebeamten beseitigen will.
Regierungsrat Dr. Sänger Die Gründe, welche gegen den Antrag sprechen, sind bereits von dem Minister in der Kommission dargelegt und nicht widerlegt worden. Es handelt sich um eine Frage des allgemeinen Disziplinarrechts der Beamten, die weit über die Rhein⸗ provinz in ihrer Bedeutung hinausgeht. .“
Abg. Freiherr von Zedlitz; und Neukirch (frkons.): Es ist richtig, daß der vorliegende Antrag etwas über den Rahmen hinaus⸗ geht. Er deckt sich aber im wesentlichen mit dem Antrage, den meine Freunde in der Kommission gestellt hatten. Die Mehrheit meiner Freunde wird ihm also zustimmen. 1
Abg. Gottschalk⸗Solingen (nl.): Wir stehen grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß die Arreststrafe beseitigt werden soll. Wir haben aber keine Veranlassung, durch eine schrittweise Abschaffung der Arreststrafe dazu beizutragen, daß der Kampf gegen sie erlahmt. Wir müssen auch dafür sorgen, daß kein Beamter dem andern gegenüber ins Hintertreffen gerät.
Präsident von Kröcher gibt nunmehr das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag Bell (Wahl der Landbürgermeister) bekannt. Für den Antrag haben gestimmt 109, dagegen 134 Abgeordnete. Der Antrag ist also abgelehnt.
Abg. Eickhoff (fortschr. Volksv.) erklärt die Zustimmung seiner Freunde zu dem Antrage auf Beseitigung der Arreststrafe.
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.) stimmt ebenfalls dem Antrage zu.
Abg. Gottschalk⸗Solingen (ul.): Ein prinzipieller Gegensatz gegen die Abschaffung der Arreststrafe besteht bei uns natürlich nicht. Wir müssen aber doch gegen den Antrag stimmen.
Abg. Bell (Zentr.): Auch hier gebe ich das don dem Abg. Dr. Röchling vorhin so scharf bektonte „hic Raodus, hie Salta“ zuruück.