Herrenhaus.
14. Sitzung vom 20. Juni 1911, Mhüchas (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der der Entwurf eines
Gesetzes, betreffend die Feuerbestattung, beraten wird, ist in der gestrigen Ausgabe d. Bl. berichtet worden.
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Minister des Innern von Dallwitz:
Der Herr Vorredner hat seine Bedenken hauptsächlich nach der Richtung hin geltend gemacht, daß die Krematorien keinen Ersatz für die Kirchhöfe bieten könnten, daß der Kultus der Gräber unwiderruf⸗ lich verloren gehen würde, wenn die Feuerbestattung eingeführt sein werde. Zum Schluß hat er ein Bild entrollt, welches allerdings nicht ge ignet war, Stimmung für die Einführung der Feuerbestattung zu machen. (Sehr richtig!) Meine Herren, der Herr Vorredner geht von nicht zutreffenden Voraussetzungen aus, denn dieses Gesetz will
nicht die allgemeine obligatorische Feuerbestattung einführen (Zuruf: Das kommt aber!); es beschränkt sich darauf, die Zulassung der fakul⸗ 8 tativen Feuerbestattung unter besonders eng begrenzten, schwerwiegenden Kautelen vorzusehen. Meine Herren, wenn dieser Entwurf Gesetz wird, so würde auch die Bestimmung im § 3 Ziffer 1 des Entwurfs hier Gesetz werden, wonach die Genehmigung zur Errichtung eines Krematoriums versagt werden muß, wenn nicht dafür gesorgt ist, daß wegen der Feuerbestattung auch die Beerdigung Verstorbener dauernd in bisheriger Weise stattfinden kann. Ich glaube mithin, daß es ein Irrtum ist, wenn Seine Erzellenz der General⸗Feldmarschall Graf von Haeseler der Ansicht war, daß durch die Annahme dieses Gesetz⸗ entwurfs das Bestehen der Friedhöfe in Frage gestellt sei, daß der Kultus der Gräber in Zukunft weniger intensiv sein werde, als es bis jetzt der Fall gewesen sei. (Zuruf: Das ist aber der erste Schritt!) Es hat mich indes gefreut, daß der Herr Vorredner bei seinen Be⸗ denken das eine Bedenken nicht erwähnt hat, welches meines Dafür⸗ haltens in der breiten Oeffentlichkeit am meisten dazu beigetragen hat, unzutreffende Anschauungen uͤber den Zweck und das Ziel dieses Gesetzes hervorzurufen. Wenn ich mir das Echo veraegenwärtige,⸗ velches die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses im Lande und in der Presse hervorgerufen haben, so tritt mir in allererster Reihe die Neigung entgegen, die Frage der Feuerbestattung als eine religiöse und kirchliche Streitfrage zu behandeln, als eine Frage, die fast unlösbar mit dem christlichen Glauben und mit der christlichen Lehre verbunden sei. Obwohl nun gerade in diesem hohen Hause im vorigen Jahre diese Auffassung auch von den Gegnern der Feuerbestattung abgelehnt worden ist, glaube ich doch noch einmal mit aller Bestimmt⸗ heit darauf hinweisen zu müssen, daß kein kirchliches Dogma, keine christliche Lehre, kein Gotteswort und kein Gottesgebot der Feuer⸗ attung entgegensteht, (Zuruf: Das wäre ja noch schöner!) und ferner daß dies allseitig anerkannt worden ist, und zwar von den Organen und Instanzen der christlichen Kirche, wie der Herr Bericht⸗ erstatter bereits hervorgehoben hat, nicht nur auf der Eisenacher Kirchenkonferenz im Jahre 1898 und von der preußischen General⸗ spnode im Jahre 1909, sondern auch von Vertretern der katholischen Kirche. Meine Herren, wenn sich trotzdem eine lebhafte und intensive Gegnerschaft gegen die Feuerbestattung hat heraus⸗ bilden können, so wäre es meines Dafürhbaltens in erster Reihe zurückzuführen auf die Uebertreibungen und Erzesse agitatorischer Art, die manche der Anhänger der Feuerbestattung sich haben zu schulden kommen lassen, sodann aber — und zwar ganz vorwiegend — darauf, daß diese Frage eben keine reine Verstandessache ist, sondern daß hierbei auf beiden Seiten Imponderabilien (Sehr richtig!), daß indi⸗ viduelle Empfindungen und Gefühle auf beiden Seiten ganz erheblich mitsprechen (Zurufe) und drittens, daß, wie ich aus den Ausführungen des Herrn Vorredners entnommen habe, vielfach bei den Gegnern des Entwurfs das Gefühl obwaltet, als ob die auch nur fakultative Zulassung der Feuerbestattung geeignet und bestimmt sein könnte, die altehrwürdige christliche Sitte der Erdbestattung ungebührlich zurückzudrängen und zu gefährden. (Zuruf: Principiis obsta!) Diese Gefahr vermag ich nicht anzuerkennen. (Sehr richtig! links, Widerspruch rechts.) Insbesondere scheint mir eine derartige Befürch⸗ tung nicht vereinbar zu sein mit der von den Gegnern der Feuer⸗ bestattung immer wieder hervorgehobenen tiefen Abneigung weiter Volkskreise gegen die Feuerbestattung und gegen deren nur fakultative Zulassung. meine Herren, wenn Sie — meines Dafürhaltens mit voller Berechtigung — davon ausgehen, daß das deutsche Volk fest und treu zu der ihm lieb gewordenen Sitte der Erdbestattung hält, dann ergibt sich aber meines Dafürhaltens zur Evidenz, daß die Befürchtung, es könnte die Erdbestattung in unerwünschter Weise zurückgedrängt werden, hinfällig und gegenstandslos ist (sehr richtig! — Zuruf: Ganz falsch!) und, meine Herren, das wird in weit größerem Maße auch der Fall sein im Falle der An⸗ nahme dieses Gesetzentwurfs, weil durch die Zulassung der Feuer⸗ bestattung der Agitationsstoff, der jetzt den Feuerbestattungsvereinen und den Anhängern der Feuerbestattung zu Gebote steht, in Zukunft schwinden oder mindestens sehr wesentlich abgeschwächt sein wird. (Sehr richtig! Zuruf: Umgekehrt, sie geht einen Schritt weiter!) Sie werden bei objektiver Prüfung nicht bestreiten können, daß der vorliegende Gesetzentwurf zu derartigen Befürchtungen keinen Anlaß gibt. Denn, meine Herren, nach seinem ganzen Inhalt kann es keinem Zweifel unterliegen, daß er durchweg von der Voraussetzung ausgeht, daß nach wie vor die Erdbestattung die normale und regelmäßige Form der Leichenbeseitigung sein und bleiben soll, daß die Erdbestattung überall eintreten soll und muß, wo nicht in Einzelfällen ausdrücklich etwas anderes von dem Ver⸗ storbenen angeordnet ist. Es kann die Feuerbestattung lediglich in Ausnahmefällen zur Anwendung gelangen, und zwar nur sofern sie durch den Verstorbenen durch letztwillige Verfügung auf Grund wohl⸗ erwogener Entschließung für seine Person angeordnet worden ist. Ist mithin dadurch zugleich die volle gesetzliche Gewähr dafür gegeben, daß die Feuerbestattung unbedingt in allen Fällen ausgeschlossen sein wird, in denen sie den Empfindungen und den Wünschen der Verstorbenen nicht entspricht, so vermag ich allerdings nicht einzusehen, inwiefern von einem unzulässigen Eingriff in die bestehende Sitte, von einer Verletzung berechtigter Empfindungen weiter Volkskreise die Rede sein kann. Denn, meine Herren, von einer Verleugnung des berechtigten Empfindens weiter Volkskreise, von einem Eingriff in die Sitte weiter Volkskreise kann doch in der Tat nicht die Rede sein. Denn die der christlichen Sitte
Denn,
entsprechende Form der Leichenbeseitigung, die Erdbestattung, ist nach wie vor als die regelmäßige, ich möchte sagen, als die natürliche und selbstverständliche Form der Leichenbeseitigung überall aufrecht erhalten, es wird nur die Möglichkeit gegeben, in Einzelfällen, in denen eine besondere Anordnung dahin ergangen ist, eine Ausnahme zu gestatten. Und, meine Herren, etwas anderes ist es doch, in eine bestehende Sitte einzugreifen, und etwas anderes, diese Sitte anderen nicht aufzuzwingen und diesen Zwang auch denen gegenüber nicht aufrecht zu erhalten, die nach ihrer Ueberzeugung und aus sonstigen triftigen Gründen von dem bestehenden Gebrauch für ihre Person abzuweichen sich gedrungen fühlen. Das zu verbieten, durch polizeiliche Verfügungen zu ver⸗ hindern, daß die Angehörigen eines Verstorbenen, den Ge⸗ boten der Pietät entsprechend, seinen letzten Willen respektieren und zur Ausführung bringen, kann nach meinem Dafürhalten nicht Sache des Saates sein. (Sehr richtig!) Der Staat hat in der Tat keinen Anlaß, seinen Angehörigen das Recht zu verkümmern, nach freier Ueberzeugung auch über ihre sterbliche Hülle Bestimmung zu treffen, soweit sich hierdurch für den Staat, für die Allgemeinheit oder einzelne Ueberlebende ein Nachteil nicht ergibt. Darum scheint es mir ebensosehr den Geboten der Billigkeit und der Gerechtigkeit zu entsprechen, anders Denkenden und anders Fühlenden gegenüber auf diesem so tief in das Gefühlsleben einschneidenden Gebiet von einem Zwange abzusehen, der weder im christlichen Glauben noch in der christlichen Lehre begründet ist; wie es andererseits nicht Sache des Staates sein kann, durch polizeiliche Maßnahmen einem Bestattungs⸗ modus entgegenzutreten, der gesetzlich nicht verboten ist und einer immerhin beachtenswerten Minderheit unseres Volkes aus inneren Gründen, aus Gründen der Ueberzeugung und des Gefühls wünschens wert und erstrebenswert erscheint. Derartigen Strömungen entgegenzu⸗ treten, würde nach meinem Dafürhalten nur dann berechtigt sein, wenn die von juristisch⸗kriminalistischen Gesichtspunkten aus gegen die Feuer⸗ bestattung geltend gemachten Bedenken tatsächlich nicht in einer den staatlichen Bedürfnissen übereinstimmenden Weise gelöst und über⸗ wunden werden könnten. Kann dies aber geschehen — und darüber kann nach meiner Ansicht kein Zweifel sein, daß bei den in dem Ge⸗ setzentwurf vorgesehenen Kautelen ein Mißbrauch der Feuerbestattung zum Zwecke der Verschleierung von strafbaren Handlungen ausge⸗ schlossen ist —, dann liegt für den Staat in der Tat kein Anlaß vor, der fakultativen Zulassung der Feuerbestattung fernerhin noch ent⸗ gegenzutreten.
Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen und damit den lang⸗
jährigen Streit endgültig zum Abschluß zu bringen, der meines Da⸗ fürhaltens zur Aufrechterhaltung des Friedens im Lande nie
2 „ 2 2 2 . 1114““ gewesen ist. (Lebhastes Bravo.)
Herr Dr. von Plehwe: Wenn ich für die Vorlage eintrete, so spreche ich nicht im Namen und Auftrag der Fraktion, der ich anzugehören die Ehre habe, aber ich fühle mich verpflichtet, für meine Ueberzeugung trotzdem einzu⸗ treten. Ich bin ein entschiedener Gegner der obligatorischen Feuer⸗ bestattung, die für absehbare Zeit bei uns ausgeschlossen ist. Wie vor tausend Jahren wird auch nach tausend Jahren das Kreuz stehen, auch auf den Urnen gläubiger Christen, die sich verbrennen lassen. Das religiöse Moment scheidet für mich völlig aus; in den Dogmen der Kirche ist die Feuerbestattung nicht verboten worden. Die Synoden haben sich mit der Frage beschäftigt; die Generalsynode hat eben⸗ falls ein tolerari posse ausgesprochen. Ich scheide auch das poli⸗ tische Moment aus. Keine Partei hat das Verbot der Feuerbestattung in ihr Programm aufgenommen; im Abgeordnetenhause haben in jeder Partei sich warme Befürworter des Gesetzes gefunden. Als alter Richter habe ich manchmal Entscheidungen treffen müssen auch da, wo sie meinen persönlichen Empfindungen nicht ganz konform waren: da ich mitzuwirken habe bei der Gesetzgebung, stehe ich auf demselben Standpunkt. Das geschriebene Recht ist kein ewiges, es paßt sich an und wird sich anpassen den Bedürfnissen der Menschen. Darin lieat kein Ruckschritt, sondern höchstens ein Fortschritt. Ge⸗ setz und Rechte sollen sich eben nicht wie eine ewige Krankheit fort⸗ erben. Erfordert es das Bedürfnis, so muß das Gesetz in neue Formen gegossen werden. Wir können uns auch nicht verhehlen, daß eine große, mächtige Bewegung für das Gesetz ist; die Zahl seiner Anhänger mag ja klein sein, aber es sind bedeutende Männer darunter. Das Bedürfnis ist nachgewiesen. Vom rechtlichen Standpunkt sind krimina⸗ listische Bedenken hervorgehoben worden. Da habe ich reiche Er⸗ fahrungen aus meiner persönlichen Lebensarbeit vom jungen Assessor an bis zu den höchsten Stellen der Strafjustiz; ich kann bezeugen, daß die Erhumierung nur bei Vergiftung durch Arsenik zuverlässige Ergebnisse hatte, und sehr erschwerend fiel das Feblen der Leichenschau ins Gewicht. Die letzten Zweifel hat das Sachverständigengutachten beseitigt, welches das Ministerium des Innern der Kommission erstattet hat. Nach dieser Richtung wird die heutige Rechtslage durch das Gesetz gerade verbessert. Die Besorgnis, daß die Gemeinde eventuell zu den Kosten des Krematoriums herangezogen werden kann, wenn dieses seine Kosten nicht deckt, scheint mir unbegründet; ich würde aber dankbar sein, wenn die Regierung hierzu eine ausdrückliche Erklärung abgäbe, um ein in dieser Richtung gestelltes Amendement überflüssig zu machen. Wenn andere meine Sitten achten sollen, die mir Herzenssache sind, so haben sie auch einen Anspruch darauf, daß ich ihre Sitten achte, auch wenn sie nicht die meinen sind; das ist eine Sache ausgleichender Gerechtigkeit. Wenn wir verlangen, daß diejenigen, die sich mit Feuer bestatten lassen wollen, jenseits der Grenze gehen müssen, dann degradieren wir sie gerade so wie die⸗ jenigen, die in alten Zeiten hinter der Kirchhofsmauer begraben wurden. Lehnen wir das Gesetz heute ab, so ebnen wir weit eher den Weg zur obligatorischen Feuerbestattung, die ich verabscheue. Ich bitte Sie, die Vorlage anzunehmen; Sie kommen damit einer billigen und gerechten Forderung nach.
Herr D. Fischer: Als die Thronrede die letzte Landtagssession eröffnete, habe ich mich gefreut, in ihr diese Vorlage nicht erwähnt zu finden. Sie ist doch gkkommen. Ich stehe ihr ablehnend gegenüber. Die heutigen Reden allesamt haben mich nicht eines anderen uberzeugt. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Vorlage eine schwächliche Konzession ist gegenüber gewissen Richtungen. Es ist richtig, es gibt kein Dogma gegen die Feuerbestattung, kein evangelisches und kein katholisches. Aber wenn es auch kein Dogma gibt, so greift sie doch sehr ein in die christlichen Sitten eines christlichen Staates, in die christlichen Sitten unseres deutschen Volkes, und ist geeignet, die Volksseele bis in ihre tiefsten Tiefen zu erregen. Von der starken Strömung im Lande zu Gunsten der Feuerbestattung habe ich nichts gemerkt, wohl aber von einer großen Erregung, die durch unser christliches Volk, auch durch unsere evan⸗ gelische Bevölkerung geht, wenigstens durch ihre gläubigen Teile. Unsere katholische Bevölkerung ist tief ergriffen von dieser Vorlage und knüpft daran große Befürchtungen für die Zukunft. Die ka⸗ tholische Kirche lehnt die Feuerbestattung ab und hat die Bestim⸗ mung getroffen und sehr scharf durchgeführt, daß jeder katholische Christ, der vor seinem Tode bestimmt hat, daß er nach dem Tode mit Feuer bestattet werden will, das kirchliche Begräbnis ver⸗ liert, und auch in milder gelagerten Fällen begleiten die Geistlichen nicht die Leichen an Orte, wo die Feuerbestattung stattfindet. Die Wirkung der Vorlage wird sich bemerkbar machen durch das Anschwellen derjenigen Parteirichtungen, die an den Fundamenten des Staates rütteln. Ich habe den Eindruck, daß man an vielen Stellen sich gar nicht klar ist über den Grad der Gefahr, die die Vorlage erzeugt. Sie wird dahin
wirken, daß die der Kirche feindliche Richtung desto intensiver an der
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Entchristlichung unseres Volkes arbeitet. Die Vorlage ist im anderen
Hause mit einer verschwindenden Mehrbeit angenommen worden: hoffe und wünsche, daß dieses hohe Haus sie nicht annehmen, sondern sie begraben möge. “
Dr. Graf Yorck von Wartenburg: Eine so große Bedeutung wie der Vorredner kann ich dem Gesetzentwurf nicht beilegen. Es handelt sich hier nicht um ein Dogma, sondern um einen Brauch, im höheren Sinne um ein Adiaphoron. Daß es sich hier um einen Ein⸗ bruch in eine christliche Sitte handelt, verneine ich. Die Herren Vorredner haben fast immer von der obligatorischen Feuerbestattung gesprochen, von der hier gar nicht die Rede ist. Ich habe wie Herr von Plehwe die christliche Sitte der Erdbestattung stets hochgehalten; aber liegt darin ein Grund, den überzeugten Anhängern einer anderen Sitte entgegen zu sein? Dogmatisch hat die Kirche niemals gegen die Feuerbestattung Stellung genommen; sie hat das im Gegenteil ab⸗ gelehnt, und ein ausdrückliches neueres Dekret bestimmt, daß der Pfarrer und der Bischof im Einzelfall Ausnahmen zu Gunsten des Verbrennens statuieren können. Für die erwähnten Dekrete von 1886 und 1892 berufe ich mich auf die vorjährigen Mitteilungen des Pro fessors Loening. Nicht die Furcht vor dem Scheintode ist es in erster Linie, sondern der Anssoß, den viele an der würdelosen Be⸗ handlung der Reste ihrer Angehörigen auf den großen kommunalen Friedhöfen nehmen, ist es, der viele gläubige Christen zu Freunden der Feuerbestattung macht. Wird das christliche Gewissen nicht ver⸗ letzt, dann sehe ich nicht ein, weshalb man nicht den berechtigten Gründen Andersdenkender gerecht werden soll. Diese Toleranz müssen wir üben. Die Verbrennung darf ja nur stattfinden, wo ein ausdrücklicher Wunsch vorliegt. In dieser Hinsicht gibt die Vorlage also die nötigen Kautelen. Ich vermag mich also den geäußerten Be⸗ denken für meine Person nicht anzuschließen. 8
In tatsächlicher Berichtigung bestreitet Herr D. Fischer, daß die Angaben des Vorredners über die Dekrete von 1886 nicht zu⸗ treffend seien. .
Graf Droste zu Vischering: Ich betrachte die Vorlage als verhängnisvoll. Am meisten Bedenken flößt mir der Gegen stand ein, daß eine christliche Regierung, die Regierung eines christ⸗ lichen Staates, Hand anlegt an eine altehrwürdige christliche Sitte, an einen Erfolg christlicher Kultur, die die Feuerbestattung beseitigt hat, die erst wieder dur die französische Re⸗ volution eingeführt wurde; daß eine christliche Regierung heidnische Gepflogenheiten, wenn auch nur einstweilen fakultativ, wieder einführen will.. . denn unweigerlich werden wir mit der Zeit auch zu der obligatorischen Feuerbestattung kommen. Es war mir sehr auffallend, daß bei den Verhandlungen im anderen Hause ein Redner die Regierung mit der Behauptung angegriffen hat, sie sei in der letzten Zeit bei allen Gelegenheiten, wo es sich um die Betätigung christlicher Grundsätze in der Gesetzgebung handelte, sehr zurückhaltend, ja fast ablehnend. Zu meiner großen Freude hat der Minister sehr warm und entschieden dagegen Einspruch erhoben. Es wäre mir aber viel lieber gewesen, und ich hätte mich mehr gefreut, wenn er erklärt hätte, er lege kein Gewicht mehr auf das Zustandekommen des Gesetzes. Wenn wir uns die Freunde des Gesetzes ansehen, so gehörte zu der Majorität im Ab⸗ geordnetenhause auch die Sozialdemokratie. Man kann nicht leugnen, daß die Masse der atheistischen Kreise im Inland und Ausland, die das positive Christentum verwerfen, auf seiten der Fevrer⸗ bestattung stehen. Das sollte uns zu bedenken geben, und das Herrenhaus sollte sich in letzter Stunde entschließen, für das Christentum einzutreten und die Vorlage abzulehnen. ie Sozialdemokratie, die an dieser Vorlage eine ganz besondere Freude hat, die Umsturzpartei, ist nicht erfolgreich zu bekämpfen durch starke Ausübung der bestehenden Ge⸗ setze, nicht durch Ausnahmegesetze, und am allerwenigsten dadurch, daß man ihren Anschauungen entgegenkommk und sich ihnen in gewisser Weise akkomodiert, sondern einzig und allein dadurch, daß die Staats⸗ regierung unentwegt fest zu den ewigen Grundsätzen des Christen⸗ tums steht und darauf bestehen bleibt.
Zu einer tatsächlichen Berichtigung erhält das Wort
Herr Loening: Graf von Yorck bezog sich auf meine Ausführungen vom 21. Mai, und Kardinal Fischer hat in eiver tatsächlichen Berichtigung erklärt, daß meine Angaben über die Dekrete der Congregatio sancti officii vom 15. De⸗ zember 1886 und vom 27. Juni 1892 nicht zutreffend seien. Ich habe vor einem Jahre ausgeführt, daß nach dem ersteren Dekret diejenigen, die ihre Verbrennung angeordnet haben, des kirchlichen Begräbnisses unwürdig seien, daß aber der Bischof Ausnahmen zu⸗ lassen könne. Das würde nicht geschehen, wenn nach der Lehre der katholischen Kirche die Feuerbestattung im Widerspruch stände mit dem Worte Gottes. In dem zweiten Dekret sei bestimmt, daß Per⸗ sonen, welche trotz Abmahnung anordnen, daß sie verbrannt werden, die Sterbesakramente nicht erhalten sollen. Aber auch hier sei hinzu⸗ gefügt, daß der Pfarrer die Zuständig keit habe, im Einzelfalle davon abzusehen. Wenn ich vorausgesehen hätte, daß die Angelegenheit heute zur Sprache käme, so würde ich die Dekrete mitgebracht und den lateinischen Wortlaut verlesen haben. Ob seit 1892 Dekrete der Congregatio sancti officii erlassen sind, welche diese früheren Dekrete abändern und Verschärfungen enthalten, kann ich nicht wissen. In den Veröffentlichungen ist nichts darüber enthalten. Damit ist wohl der tatsächlichen Berichtigung des Kardinals Fischer der Boden entzogen.
Herr D. Fischer setzt sich mit leiser Stimme, die nicht bis zu Tribüne dringt, in einer tatsächlichen Berichtigung mit Professor Loening auseinander und reicht ihm zum Schluß unter Beifall und Heiterkeit der beide umringenden Herren die Hand.
Professor Waldeyer: Es ist mir der Auftrag erteilt, im Namen der neuen Fraktion, die die innerste Ueberzeugung hat, daß das Ge⸗ setz zeitgemaß ist und wohltuend wirkt, die Annahme zu empfehlen. Ich habe diese Aufgabe übernommen, trotzdem ich selbst kein An⸗ hänger der Feuerbestattung bin; ich werde mich niemals verbrennen lassen, aber es ist ein Gebot der Billigkeit und Gerechtigkeit gegen eine ganze Reihe unserer Mitbürger, nicht nur solcher, welche, wie wiederholt bebhauptet, auf atheistischem Boden stehen, sondern auch solcher, welche eine tiefreligiöse Ueberzeugung haben, ihnen die Möglichkeit der Feuerbestattung zu gewähren. Das Christentum hat die Erdbestattung offenbar von den Heiden übernommen. Die alten Germanen und Slawen hatten die Feuerbestattung. Diese zu verdrängen, ist erst nach und nach elungen. Noch unter Karl dem Großen wurde die Kuer⸗
estattung vorgenommen. Dann hat die Erdbestattung die Ober⸗ hand gewonnen, und wohl mit Recht, denn sie entspricht einer natürlichen Anschauung. Es sind ungefähr 50 Jahre her, seitdem sich die ersten Anfänge der Bewegung für die Wiedereinführung der Feuerbestattung geltend machen. Merkwürdigerweise in allen Kulturländern, auf der ganzen Erde kann man sagen. Die Gründe lagen hauptsächlich zunächst darin, daß namentlich bei großen Seuchen Gefahren von der Erdbestattung befürchtet wurden, und wie sie früher gehandhabt wurde, konnte eine solche Gefahr nicht in Abrede gestelt werden. Ich habe selbst 1866 in Breslau erlebt, als die Cholera Tausende von Opfern forderte, daß man, weil eine Beerdigung der Leichen nicht möglich war, die Leichen in roh zu⸗ sammengezimmerten Särgen auf dem Kirchhof mitten in der Stad mehrere Tage stehen ließ. Auf meinen scharfen Protest beun Magistrat wurde erst das Uebel abgestellt. Auch sind bei großen Fluren und Ueberschwemmungen die Leichen aus den Gräbern heraus⸗ gespült: da sich aber solche Gefahren doch nicht als so schlimm heraus⸗ stellten, so traten mehr die persönlichen und ethischen Momente 5 den Vordergrund. Die Furcht des Lebendigbegrabenwerdens ist noch weit verbreitet, und gibt es etwas Gräßlicheres und Fürchterlicheres⸗ kann man es jemandem verdenken, daß er wünscht, es möchte ihm dies niemals passieren? Ferner ist der Gedanke, in den Schoß der Erde versenkt zu werden, fur viele abstoßend, und das lodernte Feuer, dem man immer eine reinigende Kraft zuschreibt, sovmpatki 82 Es braucht nur jemand anzuordnen, daß seine Knochenreste in 82 Erde b-stattet werden, daß man seinen Namen anbringt wie auf der
8 zetzigen Gräbern. Wir können Kränze niederlegen und am Allerseelen⸗ jage hinauspilgern, sp wird man nicht den Eindruck haben, daß die Feuerbestattung vom ethischen Standpunkt irgend welchen Bedenken begegnet. Sieht man vine Feuerbestattung und solche Gräber, so hat man nicht das Empfinden, daß sie gegen die christlichen Sitten ver⸗ stoßen. Hat man denn von der Erregung, von der hier gesprochen worden ist, in denjenigen Ländern etwas bemerkt, wo die Leichen⸗ verbrennung wirklich besteht? Das beste Mittel, eine solche Erregung hier zu dämpfen, wäre, daß man die fakultative Feuerbestattung zu⸗ läßt, daß man den Leuten, die den Wunsch hegen, nach ihrer Fasson verbrannt zu werden, diesen Wunsch erfüllt. Wir sollten uns doch in letzter Stunde besinnen, und das vorliegende Gesetz annehmen. Es birgt keinerlei Gefahr in sich, und wenn es heute abgelehnt wird, so kehrt es wieder, bis es angenommen ist Am besten ist es, Be⸗ strebungen, die nichts Unedles an sich haben, entgegenzukommen.
D. Graf von Ziethen⸗Schwerin: Der Gesetzentwurf ist im Abgeerdnetenhause „unter lebhaftem Beifall, großer Heiterkeit und Un⸗ ruhe“ mit 157 gegen 156 Stimmen angenemmen. Eine Stimme war zu wenig gezählt, und zwar eine Ja⸗Stimme. So hatte der Entwurf den Triumph, mit zwei Stimmen Mehrheit angenommen zu sein. Wäre die zu wenig gezählte Stimme eine Nein⸗Stimme gewesen, so war der Entwurf abgelehnt. Ich bedauere, daß nicht auf diese Weise das Herrenhaus von der Notwendigkeit befreit ist, sich mit der Sache zu befassen. Eine Frage ist bis heute übersehen oder nur gestreift, die der sozialen Wirkung auf den preußischen Staat, und die weitere Frage,
ob das Gesetz von so großer Wichtigkeit ist, daß eine Verschlechte⸗
rung der sozialen Verhältnisse jn Kauf genommen werden müßte.
Der Minister des Innern hat sich in der Kommission auf die Be⸗
schlüse, der letzten Generalsynode berufen. Der Beschluß der
Generalsynode ist aber mißverstanden worden. Die Generalsynode
hat ihren früheren Standpunkt gegenüber der Feuerbestattung nicht
verlasten, sondern hat nur den Beschluß einer Prooinzialsynode über eine Petition des Gemeindekirchenrats in Görlitz dem Oberkirchenrat zur Erwägung üherwiesen. In Görlitz bestand ein gewisser Not⸗ stand, weil die Geistlichen nicht wußten, wie sie in bezug auf die
Lilnahme an der Feuerbestattung sich verhalten sollten, die von Christlichgesinnten gewünscht wurde. Der Minister hat ferner hervor⸗ gehoben, die Leichenverbrennung werde fernerhin ein Privilegium der Reichen sein, wenn die Leichen im Auslande verbrannt würden. Dies Privilegium wird auch nach Annahme des Gesetzes weiterbestehen, denn die Leichenverhrennung wird auch später ein größeres Stück Geld kosten. Die Kluft zwischen arm und reich wird später noch er⸗ weitert werden, und das ist ein sozialer Mißstand. Die Unbemittelten werden in der Feuerbestattung eine höhere Stufe erblicken, und die Feuerbestattungsfanatiker werden die fakultative Feuerbestattung dazu benutzen, um für eine oblingatorische Einführung der Feuerbestattung zu aaitieren. Auch die Kluft zwischen Stadt und Land wird durch das Gesetz erweitert werden. Ich kann nicht zugeben, daß die gute deutsche Sitte der Erdbestattung auch nach Annahme des Gesetzez bestehen bleiben wird. Wer hat vor 50 Jahren daran gedacht, daß Vaterlandsliebe und Königstreue erschüttert werden würden? Ein Teil der Schuld liegt an den fortwährenden Zugeständnissen, die man gemacht hat. Ein Bedürfnis zu einem solchen Gesetz liegt für Preußen auch gar nicht vor. Ein Bedürfnis liegt aber dafür vor, daß die polizeilichen Vorschriften über den Transport der Leichen nach aus⸗ wärts verschärft werden.
Herr D. Dryander: Es ist auf die Verhandlung der Generalsynode hingewiesen worden. Man hat gesagt, daß die Generalsynode in ihrem letzten Beschluß zu der Frage der Feuerbestattung eine freundlichere Stellung eingenommen habe. Tatsächlich hat die Generalsynode ihre ablehnende Stellung von 1897 und 1903 aufrechterhalten. Sie hat nur in einem Puntte eine Konzession gemacht. Manche Geistliche waren in Gewissensbedrängnis gekommen dadurch, daß christliche Leute ihre Leicheneinäscherung selber angeordnet hatten. Ich habe selber die Meinung vertreten, daß die Beteiligung der Geistlichen an solchen Feuerbestattungen in irgend einer Form wird geregelt werden müssen. Es fragt sich nun, ob ich für das Gesetz stimmen kann oder nicht. Auch die Generalsynode hat anerkannt, daß kein Dogma zur Ablehnung der Leichenverbrennung verpflichte. Ebenso will ich nicht die Beweggründe bemängeln, die es der Regierung nahegelegt haben, diesen Gesetzentwurf einzubringen, obwohl ich sie nicht für so zwingend halte, wie es in den Motiven geschehen ist. Die Gesamtzahl der Leichen⸗ verbrennungen ist doch nicht so erheblich gestiegen, sie ist relativ gering. Der Minister hat jedenfalls mit seiner in der Kommission gemachten Ausführung sehr recht gehabt, daß die Feuerbestattung den weitesten Kreisen der deutschen Bevölkerung unsympathisch sei die Sitte der Beeidigung ist desto tiefer gewurzelt. Die Vorlage ist, wie ich anerkennen muß, vorsichtig abgefaßt. Wir haben es aber mit einer alten, geheiligten, jahrtausendelang bestehenden christlichen Sitte zu tun. Von Anfang an stand der Gedanke der Erdbestattung in einer gewissen Verbindung mit wert⸗ vollen innerlichen Erwägungen, die in das Gebiet des Glaubens hin⸗ überreichten. Die ganze Frage ist wett entfernt, sich aus Nützlichkeits⸗ gründen lösen zu lassen; sie hängt eben mit Imponderabilien, vor allem mit Gemütswerten, mit der Pietät zusammen, also mit etwas, was ins Religiöse, ins Glaubensgebiet hineinragt. Ist der Herzog gefallen, fällt der Mantel hinterher. Diese Gemütswerte muüssen von uns ganz besonders geprüft werden. Der Kirchhof ist in jeder Gemeinde ein Stück eines Erbauungsorts: die Grabhügel, die Stille des Orts, die monumentale Theologie in den Grabpenkmälern und nicht zum mindesten die stumme Predigt der Grab⸗ inschriften enthalten höchst eindrucksvolle Momente. Das trifft auch auf große Städte, auch auf Berlin zu. Sie brauchen bloß am Totenfeste die Müller⸗ oder Blücherstraße hinabzupilgern, um einen ganz unabsehbaren rührenden Zug von Menschen zu erblicken, die zu den Gräbern ziehen, um sie zu schmücken; dieser Anblick hat mich stets aufs tiefste bewegt. Wir haben keinen Anlaß, mit diesen Gütern so verschwenderisch umzugehen, daß wir ohne weiteres einen Teil opfern können. Mit weiterer Förderung der Feuerbestattung geht ein Teil dieser Pietätssitte verloren. Es kommt hinzu, daß cin gut Teil der Agitation für die Feuer⸗ bestattung von durchaus materialinisch gerichteter Seite ausgeht;
se Auffassung: „das Leben ist ein Possenspiel“, das kann man weg⸗ werfen, wird leicht gefördert werden, wenn man die Feuer⸗
. fördert. Vor dem Gesetz und auf dem Kirchhof sind wir alle gleich, sagt unser Volk: das funkelnde Grabkreuz wird 8 dem kkeinen Mann, der sich vor dem schlichten Holzkreuz seines Angehörigen befindet, keinen großen Neid erregen, denn er sagt sich: beftarben ist er auch. Jetzt ist die Verbrennung ein Privilegiam vr Reichen: es kann aber auch leicht einmal so kommen, daß die Armen sich verbrennen, die Reichen sich begraben lassen, und vann könnten wir die agitatorische Floskel zu hören bekommen, dür arme Leute ist nicht einmal Platz auf dem Kirchhof! Diese Anschauung ist mir von einem Arbeiter vor zwei Jahren entgegen⸗ Aus allen diesen Gründen muß ich für meine Person mich 8 gegenüber ablehnend verhalten; ich glaube, daß ich damit 8Ch sehr großer Kreise der evangelischen Kirche Ausdruck 83er, Jeder wird nach seinem Gewissen stimmen, Gott wird es zum Besten wenden!
Graf Strachwitz: Obwohl ein entschiedener Anhänger der Erdbestattung habe . ich lle Gründ die für die Feuerbestattung a 6EEEEEA“ erbestattung angeführt sind, und die darüber erschienenen Schriften sorgfältig studiert. Ich habe aber gefunden, daß diese ee. 1 vielfach Unrichtigkeiten enthalten; auch wird von Man essscheite des Gedankens wenig oder gar nichts vermh als die Feere bi⸗ Feuerbestattung angeführt, sie fordere weniger Platz mich etinens tattung. Dieser Grund ist nicht durchschlagand. Was Weltanschant, gegen die Feuerbestattung zu sein, ist meine christliche Ich möchte 1ng Auch unser Heiland ist zur Erde bestattet wyrden. vednerg. diesem Sinne nur den Ausführungen des Vor⸗ gegen die Pand . 1 anschließen. Auch kriminalistische Gründe sprechen wied, steh Seuerbestattung. Wie die Abstimmung heute ausfollen
’ t in Gottes Hand, aber über die Annahme des Gesetzes
würde b . 2 8 C 1 4 urden sich nur Juden und Heiden freuen. Ich denke, wir halten
uns an das große Bismarckwort: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt“, wenn man uns mit der Agitation graulich machen will, falls das Gesetz abgelehnt würde.
Herr Dr. Wagner: Ich persönlich würde nicht daran denken, meinen eigenen Leichnam der Feuerbestattung zu widmen. Ich balte die alte schöne, gute, deutsche Sitte der Erdbestattung hoch und hoffe, daß sie erhalten bleibt. Aber ich will meine Anschauungen niemand aufdrängen, und ich schließe mich hier der Auffassung des Grafen Yorck an. Wenn Sie die Vorlage ablehnen, so müssen Sie auch den moralischen Mut haben, weiter zu gehen, und auch verbieten, daß preußische Staatsangehörige überhaupt verbrannt werden, und daß preußische Leichen außer Landes zur Leichenverbrennung trans⸗ portiert werden. Hieran denkt aber wohl niemand. Auch müßte eine Resolution angenommen werden, welche den Bundesrat auffordert, zu verbieten, daß deutsche Leichen außer Landes verbrannt werden. Verbieten wir aber die Leichenverbrennung in Deutschland, und ge⸗ statten wir sie im Auslande, so kleben wir der Leichenverbrennung im Auslande eine levis oder gravis notae macula an. Wir streben doch auf allen Gebieten in Deutschland nach Rechts⸗ gleichheit. Eben deshalb trete ich für die Vorlage ein. Die Furcht, daß mit der Annahme der Vorlage eine große Agitation für eine allgemeine Leichenverbrennung eintreten werde, halte ich für un⸗ begründet; im Gegenteil, die Agitation würde viel stärkér hervor⸗ treten, wenn die Vorlage abgelehnt würde. Gewiß braucht das Herren⸗ haus durch eine Agitation sich nicht beirren zu lassen, aber die Frage ist doch nicht von nur prinzipieller Bedeutung. Mancher gute Christ mag vielleicht die Leichenverbrennung verwerfen, aber eine prinzipielle Opposition besteht auch in diesen Kreisen nicht. Man spricht von der Herrlichkeit der Gräber. Aber die Gräbnispflege ist heute mitunter von geringer Dauer, da nach 30, 20, ja im katholischen München schon nach 7 Jahren das Recht auf das Grab erlischt. Mit religiösen Dingen hat die Feuerbestattung nichts zu tun. Der Gesetzentwurf gibt gegen alle Bedenten sehr weitgehende Kautelen. Ich komme also für mich zu dem Ergebnis, daß ich für das Gesetz stimme. In necessariis unitas, in dubiis libertas! Hüten wir uns, uns gegenseitig zu verunglimpfen, weil wir anders stimmen.
Hierauf wird die Generaldiskussion geschlossen.
Nach dem Schlußwort des Referenten Dr. Rive wird zur Spezialdiskussion geschritten.
§ 1 lautet: 3
„Die Feuerbestattung darf nur in landespolizeilich genehmigten Anlagen erfolgen.“
Graf von Oppersdorff kommt auf die Ausführungen des Pro⸗ fessors Loening in bezug auf die erwähnten Dekrete zurück und weist zur Aufklärung des vorliegenden Mißverständnisses auf eine weitere in der Frage ergangene Verfügung von katholisch⸗kirchlicher Seite hin. Wenn gesagt werde, es handele sich hier um eine fakultative Feuer⸗ bestattung, so müsse darauf hingewiesen werden, daß die Feuer⸗ bestattung in § 1 freigegeben sei, und daß dem ersten Schritt weitere folgen müßten. Der kommunalen Friedhofsnot könne dies Gesetz nicht abhelfen. Politik und Religion hätten sehr wohl mit diesem Gesetz zu tun, wie der Gang der Diskussion gezeigt habe, und wie das offizielle Organ der Feuerbestattung, „Die Flamme“, beweise. Man berufe sich für das Gesetz auf das Prinzip der Toleranz, aber in diesem Falle zu Unrecht. Das Herrenhaus dürfe nicht Privat⸗ personen vertreten, sondern lediglich den Staat und das Gemein⸗ wohl. Jede Toleranz sei an gewisse Grenzen gebunden und habe ihre Schranke in dem Gemeinwohl. Es handelt sich hier um eine Einrichtung, die ein Essentiale der christlichen Ueberlieferung, wenn auch nicht ein Dogma sei. Das Christentum sei jedenfalls ein stiller Mitregent. Dem Prinzip der Toleranz trage der Gesetzentwurf ja selbst nicht durchweg Rechnung. Mit welcher Logik könne man es verbieten, daß jemandes Aschenrest in der Urne seiner Tochter oder in einem Garten beigesetzt werde. Redner fährt fort: Der Stand⸗ punkt des Grafen Yorck, der Standpunkt des absoluten Respektes vor der anderen Meinung wird nicht ganz uneingeschränkt zum Schutze des § 1 angeführt werden können. Wer von dem Stücke „Glaube und Heimat“ impressioniert wurde, hat unter dem Eindruck der symbolischen Bedeutung des altehrwürdigen Erdgrabes gestanden. Es genügt uns nicht der etwas magere Trost, daß kein Dogma verletzt ist, wenn wir den § 1 annehmen. Das christliche Leben erschöpft sich nicht im Dogma Die Erdbestattung ist ein uralter religtöser und Christengebrauch. Die Feuerbestattung gibt weiten Volkskreisen ein Aergernis. Sie ist ein exotisches Gewächs, wiederbelebt durch die französische Re⸗ volution; an ihrer Wiege stand nicht das Prinzip der Schonung des Christlichen. Der preußische Staat hat keine Veranlassung, sich dafür einzusetzen. Die Zahl derer, die für die Kremation eintreten, ist verschwindend klein; wie kann eine so winzige Minderheit verlangen, daß die Kirchen von ihren Rechten und Anschauungen aufgeben, um neuen Platz zu machen? Es sind bisher im ganzen etwa 30 000 Menschen verbrannt worden; jährlich sterben 1 700 000. Die juristisch⸗kriminalistischen Bedenken gegen die Feuerbestattung haben sich tatsächsich gerade in neuester Zeit sehr verstärkt, während der Minister und die Kommissionsmehrheit das EGegenteil behaupten. Wir können diesen ersten Schritt zur weiteren Einschränkung der christlichen Sitte in Preußen nicht mitmachen. Das Erdgrab hat bisber Thron und Altar gestützt; sorgen wir dafür, daß es erhalten
In namentlicher Abstimmung wird hierauf § 1 mit 92 gegen 86 Stimmen angenommen.
§ 2 lautet: -
„Die Genehmigung darf nur Gemeinden und Gemeindever⸗ bänden oder solchen anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen die Sorge für die Beschaffung der öffentlichen Begrähnis⸗ plätze obliegt, erteilt werden, sofern die nach den bestehenden Staats⸗ oder kirchlichen Gesetzen erforderliche Zustimmung der für die Körper schaft zuständigen Aufsichtsbehörde vorliegt.“
Ein Antrag des Grafen Strachwitz, hinter „Genehmigung“ einzufügen: „zu solchen Anlagen“ wird abgelehnt, nachdem ihn der Minister des Innern von Dallwitz und der Referent für überflüssig erklärt haben; § 2 wird unverändert an⸗ genommen.
Nach § 3, der die Fälle aufzählt, in welchen die Geneh⸗ migung zu versagen ist, muß diese Versagung auch erfolgen, wenn der betreffende Antrag in der betreffenden Gemeinde nicht mit Zweidrittelmehrheit beschlossen worden ist.
Graf Strachwitz befürwortet, statt der Zweidrittelmehrheit eine Dreiviertelmehrheit vorzuschreiben.
Minister des Innern von Dallwitz:
Ich bitte, den Antrag abzulehnen. In allen Gemeinde⸗ verfassungsgesetzen ist, wenn eine qualifizierte Majorität erfordert wird, die Majorität von ³, wie sie hier vorgesehen ist, festgesetzt. Auch im Abgeordnetenhause hatte der Antragsteller ursprünglich die jetzt vom Herrn Grafen von Strachwitz beantragte Dreiviertelmajorität verlangt. Er hat aber selbst eingesehen, daß es gegenüber der bis⸗ herigen Gesetzgebung inkongruent wäre, eine so weitgehende Mehrheit zu verlangen, und hat selbst seinen Antrag von auf modifiziert. Ich glaube, daß keln Anlaß vorliegt, dem Antrag des Herrn Grafen von Strachwitz stattzugeben.
Graf Strachwitz zieht hierauf seinen Antrag zurück.
§ 3 gelangt unverändert zur Annahme.
§4 trifft Bestimmungen über die Festsetzung der Gebühren. Die Gebühren sind so zu bemessen, daß sie die Kosten der Einrichtung einschließlich Verzinsung und Tilgung, der Erhaltung und Verwaltung der Anlage dechken.
Ein Antrag des Grafen von Behr⸗Behrenhoff will diesem Satz hinzufügen: 1 8 b
„Die Mindestsätze des Gebührentarifs dürfen nicht niedriger sein als die Mindestsätze für Grabstellen der kommunalen oder kirch⸗ lichen Begräbnisplätze am Orte der Feuerbestattungsanlage, welche der Beerdigung dienen.“
Graf Strachwitz beantragt, in dem Paragraphen die Bestimmung aufzunehmen:
„Die Gemeinde als solche darf zu den Kosten bestattung nicht herangezogen werden.“ 1e
Minister des Innern von Dallwitz: 1
Meine Herren! Eine vollständige Garantie, daß niemals und zu keinen Zeiten eine Gemeinde vorübergehend zu derartigen Zuschüssen herangezogen wird, kann man natürlich nicht übernehmen. (Hört, hört!) Es ist aber im allgemeinen anzunehmen, daß nach der Be⸗ stimmung, die im Schlußsatz des § 4 getroffen ist, diese Fälle vor⸗ aussichtlich nicht oder nur ganz selten vorkommen werden. Eine genügende Garantie erblicke ich in der im § 3 Ziffer 7 festgelegten Zweidrittelmehrheit, durch die meines Dafürhaltens in recht weitgehendem Maße leihtfertigen Besch vorgebeugt wird.
Im übrigen kann ich den Ausführungen Seiner Exzellenz des Herrn von Plehwe und seinen allgemeinen Bekrächtungen, die er bei der Generaldiskussion gemacht hat, nur beipflichten.
Was den Antrag des Herrn Grafen von betrlfft:
„Die Mindestsätze des Gebührentarifs dürfen nicht niedriger sein als die Mindestsätze für Grabstellen der kommunalen oder kirchlichen Begräbnisplätze am Orte der Feuerbestattungsanlage, welche der Beerdigung dienen.“
so entspringt er der Besorgnis, daß unter Umständen die Stadt⸗ gemeinden durch Herabsetzung der Gebühren für die einzelnen Be⸗ stattungsakte einen mittelbaren Druck ausüben könnten auf Arme, um sich verbrennen zu lassen. Meine Herren, ich glaube, daß ein Grund zu dieser Befürchtung nicht obwaltet. Herr Graf von Zieten⸗Schwerin hat ja bereits ausgeführt, daß seines Dafürhaltens die Feuerbestattung nach wie vor ein Privileg der Reichen sein würde. Erfahrungsgemäß sind tatsächlich die Kosten der Feuerbestattung an allen Orten, wo der⸗ artige Anlagen bestehen, höher als die Mindestsätze für die Erdbestattung für die ärmeren Schichten der Bevölke⸗ rung. Dann aber liegt meines afürhaltens eine ganz genügende Garantie nach der Richtung hin, daß Druck und Zwang nicht ausgeübt werden dürfen, in der Tatsache, daß der Verstorbene bei Lebzeiten selbst die Feuerbestattung angeordnet haben muß. Den Armen, vor allem den Ortsarmen, wird es doch nicht darauf ankommen, der Stadtgemeinde Kosten zu ersparen, sondern sie werden eine derartige letztwillige Anordnung nur dann treffen, wenn sie für ihre Person den Wunsch hegen sollten, auf diese Weise bestattet zu werden. Daß dies sehr häufig eintreten wird, kann ich nicht annehmen⸗ sodaß die Befürchtungen, die nach dieser Richtung hin gehegt werden“ meines Dafürhaltens nicht zutreffend und stichhaltig sein werden. Jedenfalls aber möchte ich dringend warnen, den Gesetzentwurf mit überflüssigen Kautelen zu belasten. Ich kann es durchaus verstehen, wenn eine große Anzahl der Herren die Feuerbestattung überhaupt nicht zulassen wollen und dagegen stimmen; aber die Einschiebung von überflüssigen, erschwerenden Bestimmungen wird doch nach außen hin den Eindruck hervorrufen, als ob man zwar im Prinzip die Feuerbestattung zulassen wollte, für die Praxis sie aber un⸗ durchführbar machen will. Es ist meines Dafürhaltens in der Tat im Interesse des Ansehens der Gesetzgebung und des Staates richtiger, wenn man von einem derartigen Vorgehen ab⸗ sieht. Ich möchte wirklich diejenigen Herren, die gegen den Entwurf sind, bitten, das dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie gegen den Entwurf stimmen; diejenigen Herren aber, die für den Entwurf sind, bitte ich, nicht zu Abänderungen die Hand bieten zu wollen, welche zweifellos den Eindruck hervorrufen müssen, als ob sie gestellt wären, um das Gesetz in der Praxis zu vereiteln. (Sehr richtig!)
Graf von der Schulenburg⸗Grünthal: Der Minister sagt, der Antrag Graf Behr wäre überflüssig. Die Feuerbestattung werde ein Privileg der Reichen bleiben. Wir befürchten aber im Gegenteil, daß es dahin kommen wird, daß die Erdbestattung ein Privileg der Reichen sein wird, daß man die Feuerbestattung verbilligen wird. Ich erinnere an das Wort Heines: Die Masse muß es bringen. Die Kirchhöfe werden immer teurer werden, sodaß schließlich nur noch die Reichen sich werden begraben lassen können. Ich erinnere an die Ausführungen des Herrn D. Dryander, an den Brief des Arbeiters aus Dortmund. Ich bitte Sie, den Antrag Graf Behr anzunehmen.
Minister des Innern von Dallwitz:
Meine Herren! Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Ansicht des Herrn Grafen von der Schulenburg, daß keine praktischen Bedenken vorliegen, nicht richtig ist. Derartige Bedenken liegen viel⸗ mehr in weitgehendstem Maße vor. Ich halte den Antrag für praktisch nicht durchführbar. Es handelt sich um zwei verschiedene Kategorien von Körperschaften, die bei der Beerdigung beteiligt sind. Bezüglich der Krematorien werden es in der Regel kommunale Körperschaften, vor allem Stadtgemeinden, sein, bezüglich der Erd⸗ bestattung sind es in den östlichen Provinzen, also in dem über⸗ wiegenden Teil der Monarchie, nur die kirchlichen Körperschaften. Wir können unmöglich verlangen, daß die eine Körperschaft sich aus⸗ schließlich dem Befinden der anderen unterwirft, und daß, sofern eine Körperschaft ihre Sätze erhöht oder vermindert, die andere dies ihrer⸗ seits ebenfalls tut. Wir können diese beiden einander fremd sich gegenüber stehenden und verschiedenen Ressorts angehörigen Körper⸗ schaften nicht zwingen, sich gegenseitig in ihren Beschlüssen zu folgen. (Sehr richtig! links.) Dafür aber, daß tatsächlich die Feuer⸗ bestattungsgebühren unter die Kosten der Erdbestattung nicht herab⸗ gehen werden, bitte ich Sie, doch auch das als Moment ansehen zu wollen, daß zweifellos die kirchlichen Behörden das weitgehendste Interesse daran haben, daß nicht durch eine unverhältnismäßig niedrige Bemessung der Feuerbestattungsgebühren der Erdbestattung Konkurrenz gemacht wird. Ich wiederhole aber, praktisch würden sich der Durchführung der in dem Antrage vorgesehenen Bestimmung. unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen. (Bravo!)
Graf York: Der Antrag Graf Behr stammt von mir selbst, indessen werde ich nach der von dem Minister in der Kommission ge⸗ gebenen Zusage, er sei gern bereit, dahin zu wirken, daß die Kosten der Feuerbestattung nicht unter die der Erdbestattung berabsinken, und um durch den Antrag das Zustandekommen des Gesetzes nicht zu ge-⸗ fährden, gegen den Antrag stimmen. b
Der Antrag Graf Strachwitz wird abgelehnt, der An-⸗ trag Graf Behr desgleichen, nach Probe und Gegenprobe mit
1
ganz schwacher Mehrheit; § 4 wird unverändert angenommen.
der Feuer “
2 —₰ 8 D
lüssen einzelner Gemeinden
Behr⸗Behrenhoff