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einmal durch die sehr frühe und gute Ernte und zweitens wohl auch durch den Umstand, daß nach den Aeußerungen in der Presse und in Versammlungen immerhin mit der Möglichkeit zu rechnen war, daß an dem Einfuhrscheinsystem gerüttelt werden könnte, und jeder, wie man zu sagen pflegt, sein Schäfchen noch ins Trockene zu bringen suchte! Im übrigen hat gerade der „Vorwärts“ darauf hingewiesen, aß die Ausfuhr ihre natürliche Beschränkung in den Preisen findet, und daß es sich nicht lohnt, mehr auszuführen, wenn der Weltmarkt⸗ preis sinkt und der Preis im Inland steigt. Je mehr Getreide im Osten ausgeführt wird, desto mehr ist Anlaß dort für ein Steigen der Preise; und je mehr mit Getreide das Ausland überschwemmt wird, desto eher werden dort die Preise nachlassen. So vollzieht sich stets ein gewisser Ausgleich, der unter allen Umständen auch dazu beiträgt, daß nicht zu viel Getreide exportiert wird. Ich möchte nur mit einigen Worten noch auf die Behauptung ommen, daß gerade die Ausfuhr an Roggen in diesem Jahre inen mehr als bedenklichen Umfang angenommen hat. Vom 1. August bis 10. Oktober 1911 ist an Roggen und an Roggenmehl mehr ausgeführt worden 1 788 000 dz (hört! hört!), im gleichen Zeitraum 1910 — 1 896 000 und im gleichen Zeitraum 1908 2 145 000. Mir ist es nicht ganz verständlich, wie man gegenüber iesen Zahlen den Beweis führen will, daß gerade dieses Jahr eine ußergewöhnliche und bedenkliche Ausfuhr stattgefunden hat. Nun ommt hinzu, daß dieser Roggenausfuhr eine ganz erhebliche und bedeutend größe Weizeneinfuhr gegenübersteht. An Weizen ist ein⸗ geführt vom 1. August bis 10. Oktober 1911 ein mehr von 3 706 000 dz, also ca. 2 000 000 mehr, wie an Roggen ausgeführt ist. (Hört! hört! rechts.) Von einer Entblößung des deutschen Marktes an Getreide kann unter diesen Umständen doch keinesfalls die Rede sein. Meine Herren, diese Ausfuhr von Roggen und diese Mehr⸗ einfuhr von Weizen hat aber auch noch eine andere Ursache. Im Laufe der Jahre hat sich der Wohlstand gesteigert und die Geschmacksrichtung auch des mittleren und kleineren Mannes erheblich verändert. Wer seinen Dienstboten in früheren Jahren noch Roggenbrot vorsetzen konnte, ist heute genötigt, ihnen Weißbrot und Semmeln zu kaufen. Mit dieser Behauptung steht im Einklang der statistische Nachweis, daß in Deutschland der Verbrauch an Roggen pro Kopf der Bevölkerung vom Jahre 1893 bis zum Jahre 1909 von 158 auf 152 kg zurückgegangen ist, während der Verbrauch an Weizen in demselben Zeitraum von 83 auf 93 kg gestiegen ist. Wir würden also mit einer Beschränkung der Roggenausfuhr und mit einer entsprechenden, damit zusammenhängenden Beschränkung der Weizeneinfuhr auch dem kleineren Manne keinen Gefallen tun; wi ürden in der Ernährung der Bevölkerung eine Aenderung herbei⸗ führen, die dieselbe gar nicht will, wie sie eben durch den ver⸗ mehrten Weizenkonsum und den Rückgang des Roggenkonsums zu erkennen gibt. Auf die Frage der Schädigung der Reichskasse einzugehen, habe ich keine Veranlassung; darüber wird ja der Herr Reichsschatz⸗ sekretär Auskunft geben können. Nun glaube ich auch meiner⸗ seits darauf hinweisen zu dürfen, daß die Mehreinfuhr an Weizen auch nach dieser Richtung jede Befürchtung zurzeit schwinden läßt. Die Tonne Roggen hat einen Zoll von 50 ℳ zu tragen und der Weizen bringt 55 ℳ, also 5 ℳ mehr. So lange einer entsprechenden Roggenausfuhr eine doppelt so große Weizenausfuhr gegenüber steht, kann aus der Roggenausfuhr der Reichskasse überhaupt kein Verlust erwachsen; sie hat im Gegenteil einen Vorteil, da sie 5 ℳ mehr für die Tonne einnimmt.
Auf Grund dieser Ausführungen komme ich zu dem Ergebnis, das auch schon von anderer Seite hervorgehoben worden ist: wenn wir in diesem Augenblick etwas auf dem Gebiete des Einfuhr⸗ scheinsystems änderten, so würden wir dem Osten — und zwar nicht in erster Linie seiner Landwirtschaft, sondern vor allen Dingen seinem Handel, seiner Schiffahrt, seinen Seestädten — einen ganz unermeß⸗ lichen Schaden zufügen, und wir würden dem Westen gar nichts nützen; denn der Druck der Getreidepreise im Osten würde keine Ein⸗ wirkung auf die Preise im Westen haben; dafür sorgt die große Entfernung, dafür sorgen die Eisenbahnfrachten, die ja zwischen Mann⸗ heim und Königsberg nahezu 500 ℳ pro 10 Tonnen, pro Waggon,
betragen.
Ich stehe ja mit dieser meiner Auffassung nicht allein. Gerade n den letzten Tagen haben sich die Handelskammer von Königs⸗
berg (hört! hört! rechts) und verschiedene andere in gleicher Weise
ausgesprochen — jedenfalls Vertretungen, von denen man nicht be⸗ haupten kann, daß sie sich an und für sich im agrarischen Fahrwasser ewegten. (Heiterkeit rechts.)
Das einzige, worüber man gegenwärtig verschiedener Meinung ein kann, ist die Beseitigung der Geltung der Einfuhrscheine für Petroleum und Kaffee und auch die Frage, ob es notwendig ist, die Einfuhrscheine auf sechs Monate Gültigkeit lauten zu lassen oder nur auf zwei. Schon gestern ist darauf hingewiesen worden, daß tatsächlich die Einfuhrscheine selten länger als zwei Monate laufen. Das liegt ja auch in der Natur der Dinge: sie sind unverzinslich, und wer sich einen Einfuhrschein gekauft hat, sucht natürlich, ihn so rasch wie möglich an den Mann zu bringen. Was Petroleum und Kaffee angeht, so wird meines Erachtens eine Be⸗ seitigung der Geltung der Einfuhrscheine für diese beiden Waren auch keine Bedeutung haben, solange wir solche Massen von Weizen einführen. Gegenwärtig kann alles, was wir an Einfuhrscheinen auf der einen Seite erhalten, auf der anderen Seite auch wieder zur Einfuhr von Getreide benutzt werden; die Verwertbarkeit für Petroleum und Kaffee kommt für die Wirkung nicht in Betracht. Aber auch vom Standpunkt meines Ressorts kann ich betonen, daß einer Erörterung dieser Fragen keine Bedenken entgegenstehen und daß es sehr wohl möglich sein wird, nach dieser Richtung hin den hier geäußerten Wünschen ent— gegenzukommen. Ich muß allerdings den Vorbehalt machen, daß eine Garantie für die gewünschte Wirkung nicht übernommen werden kann.
(Zurufe und große Heiterkeit links.)
Meine Herren, ich kann die Frage der Teuerung nicht verlassen, ohne gleichzeitig auch auf die Lage des Fleischmarkts und die Frage der Fleischversorgung einzugehen. Ich möchte die Besprechung dieses Gegenstandes einleiten mit einer Aeußerung, die vor einigen Tagen der bekannte Stadtdirektor Tramm in Hannover, meines Wissens ein tätiges Mitglied der nationalliberalen Partei, gemacht hat. Er hat in der Sitzung der städtischen Kollegien von Hannover
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ernte oder Teuerungspreise sei anscheinend sehr übertrieben. Man habe in der Kommission allgemein den Eindruck gewonnen, daß das Volk in eine gewisse Teuerungs⸗ stimmung hineingeredet worden sei (Sehr richtig! rechts), vielleicht mit Rücksicht auf die bevorstehenden Wahlen. (Sehr richtig! rechts.) Das sei sehr unrecht und stehe im Gegensatze zu den vielen Ver⸗ sicherungen politischer Parteien, es mit dem Volke gutzumeinen. (Bravo! und Heiterkeit rechts.) Ich bin meinerseits durchaus nicht gesonnen, eine Teuerung ganz in Abrede zu stellen, und ich habe, glaube ich, durch die verschiedenen Erlasse, die in den letzten Monaten zum Teil in Gemeinschaft des Herrn Ministers des Innern ergangen sind, ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß es auch der Preußischen Landwirtschaftlichen Verwaltung sehr am Herzen liegt, auf eine Herabminderung der Preise der Lebensmittel hinzuwirken. Wenn in dieser Beziehung eine Verschiedenheit zwischen meiner Auffassung und der Auffassung eines größeren Teiles dieses Hauses entsteht, so ist es eben die verschiedene Ansicht über die Mittel und Wege, die zum Ziele führen und allein zum Ziele führen können. Wenn man die Frage der Fleischpreise erörtern will, so muß man zunächst auf die Fleischversorgung der Bevölkerung ein⸗ gehen. In dieser Beziehung hat, wenn ich recht gehört habe, auch der Herr Abg. Fuhrmann bereits einige Angaben gemacht. Ich möchte deshalb meinerseits nur wiederholen, daß der Gesamtkonsum des Jahres 1910 nur ungefähr um 1 kg hinter dem des Jahres 1909 zurückbleibt und den des Jahres 1906 noch um circa 2 kg übertrifft. Für das Jahr 1911 liegen die Zahlen nur für die gewerblichen Schlachtungen und auch hier nur für das erste Halbjahr vor. Im ersten Halbjahr 1911. sind auf den Kopf der Bevölkerung 19,812 kg konsumiert worden gegenüber 17,968 im ersten Halbjahr 1906, also 2 kg mehr. Nur gegenüber den Jahren 1908 und 1910 ist ein verhältnismäßig sehr geringer Rückgang um 0,4 bezw. um 0,1 kg zu verzeichnen, der voraussichtlich noch im Laufe des Jahres wieder seinen Ausgleich findet und jeden⸗ falls um so weniger bedenklich erscheint, weil auch die Zahlen, die über den Auftrieb an Schlachtvieh in den letzten Monaten festgestellt worden sind, erfreulicherweise eine Besserung erkennen lassen.
Im allgemeinen hat im Jahre 1911, wie es ja auch infolge der Maul⸗ und Klauenseuche nicht anders zu erwarten war, ein Rückgang des Auftriebes bei Rindern, Kälbern und Schafen stattgefunden; dagegen hat der Schweineauftrieb im Vierteljahr Juli bis September 1911 gegen den gleichen Zeitraum im Jahre 1909 und 1910. sich um 29 bezw. 20 % gebessert (hört, hört! rechts), und aus dem Sep⸗ tember 1911 möchte ich nur mitteilen, daß gegen den Monat Sep. tember 1910 der Auftrieb an Rindern sich um 5683 Stück gemindert hat, an Kälbern dagegen um 11 833 zugenommen, an Schafen wieder ein Minus von 14 200, an Schweinen dagegen ein Plus von 82 616. (Hört, hört! rechts und in der Mitte.)
Meine Herren, das sind natürlich nicht die Zahlen aus dem ganzen Deutschen Reiche und ebenfalls nicht aus ganz Preußen, son⸗ dern nur von etwa 40 der größeren Märkte, die ja auch wesentlich für die Preisbildung und für die Ernährung der Bevölkerung maß⸗
dend sind. 8 8 diesen Zahlen stimmen überein Berichte, die ich gerade in den letzten Tagen noch aus Cöln erhalten habe. Mir ist noch gestern ein Bericht übersandt worden, und zwar von einer Viehverwertungs⸗ genossenschaft, wo es heißt: in Schweinen war der größte, den Cöln bisher gehabt hat. Die Preise sanken für beste Tiere auf 62 ₰. Vor⸗ aussichtlich wird alles geräumt. 1 Das ist ein Marktbericht, der doch recht günstig lautet und recht er⸗ freulich gegenüber der Behauptung, daß schon der Hungertod durchs Land ginge und die armen Leute überhaupt kein Stück Fleisch mehr zu essen hätten. 1 1
Die Schweinepreise sind denn auch entsprechend gefallen, während leider bei den Preisen für Rindvieh, Kälber und Schafe auch heute noch zu konstatieren ist, daß sie so hoch sind wie in den Vorjahren und teilweise auch einen höheren Stand als in den Vorjahren erreicht haben. Aber es ist doch, was auch schon von anderer Seite bemerkt worden ist, das Entscheidende, daß ungefähr drei Fünftel des Verbrauchs an Fleisch und gerade der ärmeren Bevölkerung durch die Schweine gedeckt werden. (Sehr richtig! rechts.) Es kommt deswegen bei der Frage der Ernährung gerade der ärmeren Bevölkerung auch vor allem darauf an, daß die nötige Zufuhr an Schweinen vorhanden und ge⸗ sichert ist (sehr richtig! rechts), und das ist — das muß nochmals lobend und anerkennend hervorgehoben werden 88 der deutschen Land⸗ wirtschaft auch in diesem Jahre unter recht schwierigen Verrhältnissen und bei teilweise recht schlechten Preisen gelungen. (Bravo! rechts.)
Neine Herren, die niedrigen Schweinepreise haben in Schweine⸗ fleischpreisen nicht überall den entsprechenden Ausdruck gefunden. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe mich verpflichtet gefühlt, in zwei Erlassen, die an die Oberpräsidenten der Provinzen er⸗ gangen sind, darauf hinzuweisen, in denen ich auf die Spannung zwischen den Marktpreisen, den Großhandelspreisen und den Fleisch⸗ preisen für Schweine aufmerksam gemacht und in denen ich schließlich auch ersucht hahe, mit den städtischen Verwaltungen i Verhand⸗ lungen darüber einzutreten, ob auf die Fleischermeister nicht ent⸗ sprechend eingewirkt und nötigenfalls auch unter Umständen der Verkauf von Schweinefleisch direkt an die arbeitende und arme Be⸗ völkerung in die Hand genommen werden könnte. Ich habe mich mit diesen meinen Aeußerungen in ein Wespennest gesetzt. (Große Heiterkeit.) Ich habe nicht allein eine sehr energische Eingabe des Deutschen Fleischerverbandes erhalten, sondern vor allen Dingen auch mit den Berliner Fleischermeistern es vollständig verschüttet. (Heiterkeit) Sie sind in Toönen über mich hergefallen, in denen sie mir lediglich agrarischen Liebesdienst vorgeworfen haben (Zuruf links: Sehr richtig! große Heiterkeit rechts), und sie haben mich jedenfalls nach ihrer Auffassung vollständig ver⸗ hat das „Berliner Tageblatt’ noch die große Freude gehabt, daß vor einigen Tagen die Preisberichtstelle des Deutschen Landwirt⸗ schaftsrats die Kurve der Preise für Schweine und Schweinefleisch veröffentlicht hat. Es hat daraus, wie es glaubt, den Schluß ziehen können, daß meine Angaben in den Erlassen an die Oberpräsidenten unrichtig wären, und daß im Gegenteil gerade bei den Schweinepreisen und Schweinefleischpreisen ein verhältnis⸗ mäßiger Rückgang der Spannung in den letzten Jahren zu konstatieren
konstatieren, daß dem Berichterstatter der Preisberichtstelle des Deutschen Landwirtschaftsrats im Augendlick entgangen ist, daß die Preisermittlung der Jahre bis einschließlich 1908 eine andere ge⸗ wesen ist wie vom Jahre 1909 an, und daß deswegen die Preise, die von 1909 an ermittelt worden sind, nicht in gleicher Weise in die Kurve eingestellt werden konnten, wie die Preise bis zum Jahre 1909. Aber es wird jedenfalls mich — vielleicht auch die Herren Merger⸗ meister — trösten, daß derselbe Berichterstatter der Preisbericht⸗ stelle des Deutschen Landwirtschaftsrats mir folgende, von ihm ermittelte und auf die Feststellungen der Berliner Markt⸗ hallen sich stützende Skala mitteilt: vom Jahre 1891 bis 1895 be⸗ trug der Schweinepreis im Durchschnitt 103 ℳ für den Doppel⸗ zentner, der Durchschnittspreis für Schweinefleisch in den Berliner Markthallen 135 ℳ, es war also eine Preisspannung von 32 ℳ vor⸗ handen. Im Jahre 1906 bis 1910 ist der Schweinepreis im Durch⸗ schnitt auf 124, der Durchschnittspreis für Schweinefleischpreis in den Berliner Markthallen auf 167 gestiegen; die Spannung hat sich also auf 43 erhöht. (Hört, hört! rechts.) Im Jahre 1911, wo der Schweinepreis auf 108 heruntergegangen ist, hat sich der Durch⸗ schnittspreis des Schweinefleischpreises in den Berliner Markthallen auf 165 gehalten. (Erneute Rufe rechts: Hört, hört!) 1 Die Spannung ist also auf 57 gestiegen. Ich kann für die Richtigkeit der Zahlen in diesem Augenblick nicht eintreten. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß sie von demselben Berichterstatter herrühren, auf den sich gestern das „Berliner Tageblatt wie es glaubt, mit
Recht — beruft. sie sich in
Ganz so unschuldig,
ihren Eingaben darstellen das wird mir auch der Herr Reichstagsabgeordnete Kobelt nicht übelnehmen — (Heiterkeit), sind die Herren Metzgermeister nicht. Vor einigen Tagen wurde mir aus Paderborn eine Nachricht zugeschickt, die einen Beweis dafür liefert, wie es in einzelnen Metzgerinnungen zugeht. In Paderborn hat die Metzgerinnung ihren sämtlichen Mitgliedern vor⸗ geschrieben, nicht unter einem bestimmten Preise zu verkaufen. (Hört! hört! rechts.) Nach den mir vorliegenden Nachrichten ist das bei sehr vielen Metzgerinnungen der Fall, und auch in der Eingabe des Deutschen Fleischerverbandes wird darauf hingewiesen, daß man zu derartigen Maßnahmen gezwungen sei, um der Schleuderkonkurrenz entgegenzutreten. (Hört! hört! rechts.) Auf der andern Seite aber beruft man sich darauf, daß es ganz unmöglich sei, zu hohe zu fordern, dafür sorge schon die Konkurrenz. Diese beiden Be⸗ hauptungen sind meines Erachtens unvereinbar. Wenn ich auf der einen Seite im Wege der Innung bestimmte Preise vorschreibe, so kann ich auf der andern Seite nicht behaupten, daß die Konkurrenz mich nötige, mit meinen Preisen Maß zu halten.
Ich glaube, bei dieser Sachlage hatte ich alle Berechktgung. wenigstens einen Versuch zu machen, auf ein gewisses Maßhalten der Herren Fleischermeister hinzuweisen und vielleicht auch auf die öffentlich⸗rechtliche Verpflichtung hinzuweisen, in dieser Zeit der Notlage gerade das Fleisch des armen Mannes nicht einer besonderen und unnötigen Preissteigerung auszusetzen. (Sehr richtig! rechts.)
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Nun weiß ich, daß mir entgegengehalten wird: das Metzger⸗ gewerbe ist auch teurer geworden, als es bisher war, das Publikum macht große Ansprüche in bezug auf Ausstattung des Ladens, in bezug auf die Bedienung usw. Ich erkenne das alles an, aber ich glaube, daß es trotzdem nicht gerechtfertigt ist, diese Spannung zwischen den Preisen für Schweine und Schweinefleisch sestzuhalten, daß es richtiger wäre, wenn man eine größere Spannung für not⸗ wendig erachtet, sie bei den Fleischsorten eintreten zu lassen, die das bessere Publikum konsumiert, das diese Preise be⸗ zahlen kann. Warum denn gerade beim Schweinefleisch sich erhöolen, während es beim Rindfleisch und Kalbfleisch eben so gut möglich ist?
Ich habe mit meiner Aufforderung an die Fleischer — und damit möchte ich schließen — keineswegs die Absicht gehabt, 8 Fleischermeister an die Wand zu drücken; ich habe auch nicht den Ge⸗ danken verfolgt, daß es möglich sein könnte, durch die Kommunen die ganze Fleischversorgung betreiben zu lassen. Was ich herbeiführm wollte und hoffentlich noch erreichen werde, das ist eine Preisregu⸗ lierung für den Verkauf von Lebensmitteln, die Möglichkeit, daß die Städte schon durch die Drohung, daß sie den Verkauf wichtiger Lebensmittel an die ärmere Bevölkerung in die Hand nehmen wollen, auch dafür sorgen können, daß die Preise nicht unnötig in die Höhe geschraubt werden. (Rufe links: Milch und Butter!) Wenn wir das erreichen, dann haben wir nach meiner festen Ueberzeugung alles
2 „ d getan, um der wirklich vorhandenen Teuerung entgegenzutreten, und wir haben alle Veranlassung, mit Ruhe und auch ohne allzu große Sorge in die Zukunft zu blicken. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Vogt⸗Crailsheim (wirtsch. Vag.): An der bestehenden Teuerung ist unsere jetzige Wirtschaftspolitik nicht schuld. PS. Interessen der Allgemeinheit wird es nicht entsprechen, argentinif 5 Fleisch hereinzulassen, die Oeffnung der Grenzen würde der Teuerung nicht abhelfen, sondern nur dem Handel zugute kommen. Die deutsche Landwirtschaft aber hat ein Interesse daran, gegen die Ein⸗ schleppung von Seuchen geschützt zu sein. Ebenso sind der Meinung, daß auch eine Aufhebung des Mais⸗ und Fu e. gerstenzolls nicht zu gestatten ist, dagegen sind wir dafür, daß Mais⸗ und Gerstenzoll an die Verbraucher zurückge⸗ahlt wird. Wir bitten die Regierung, zu prüfen, ob diese Maßregel durchführbar ist. Käme sie nur den Händlern zugute und nicht den Landwirten, dann wäre sie wertlos. Was die Einfuhrscheine anlangt, so sind wir für deren Beschränkung auf Getreide und auf die Frist. ven drei Monaten. Es ist nicht richtig, daß die Bauern an der Aufrecht⸗ erhaltung der bestehenden Wirtschaftspolitik kein Interesse 189e unter diesem Wirtschaftssystem hat sich auch der Bauernstand gehoben. Jedenfalls wird für die bevorstehenden Wahlen die Frage, ob Frei. handel oder Schutzzoll, keine geeignete Parole sein. ZSII hoffe, 95 es gelingen wird, im Winter und im kommenden Frühjahr die Leben mittelpreise auf das richtige Maß zurückzuführen.
Abg. Hilpert (wildkons.) bleibt auf der Pressetribüne fah unverständlich, spricht sich aber u. a. auch für die Aufrechterhaltung des Einfuhrscheinsystems aus, das auch im Interesse der süddeutschen Landwirtschaft liege, die sonst durch die Aufhebung des Staffeltarifes schwer geschädigt werde. 1 “
Abg. Dr. Heim (Zentr.): Es steht fest, daß wir, soweit Kartoffeln und Gemüse in Betracht kommen, außerordentlie hohe Preise haben. Es herrscht auch gegemü eine gewisfe Höhe der Fleischpreise, wenn auch nicht die Viehpreise in de gleichen Weise gestiegen sind. Wir haben aber auch eine Teuerung von Produkten, die nicht bei uns erzeugt werden, ich Fen nur auf den Kaffee und andere Kolonialartikel, bei welchen⸗ 1 Argumente, die für die Teuerung angeführt werden, nicht zutreffen⸗
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
meine Herren, wie
ausgeführt:
wäre. Ich will Sie nicht lange mit dieser Sache aufhalten, sondern
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Die Milchpreise bestehen mindestens schon 10 Jahre, und wenn die Landwirtschaft so billig geliefert hat, so konnte sie es nur deswegen tun, weil sie nicht gerechnet hat. Wer die Kosten der Milcherzeugung kennt, der wird rundweg zugeben müssen, daß die Milch jahrelang einen Preis gehalten hat, der die Produktionskosten nicht gedeckt hat. Welche Gründe werden nun für die Teuerung geltend gemacht? Wir haben einmal eine natürliche Preissteigerung der Produktion, dazu kommen die steigenden Löhne, von denen 8 die Landwirtschaft nicht verschont ist. Es kommt selbstverständlich noch hinzu die Art der Organisation des Absatzes, ein Kapitel, das meiner Ansicht nach der allergrößten Beachtung würdig ist und eine Reform erheischt, die aber zur Voraussetzung hat, daß die kleinen Kaufleute und Krämer sich darauf besinnen, daß sie, wenn sie sich selbst erhalten wollen, sich organisieren und so zur Gesundung dieser kranken Verhältnisse beitragen müssen. Einer der Redner hat gesagt, daß wir eine sehr gute Futtermittel⸗ ernte gehabt haben, andere haben das Gegenteil behauptet. Der Landwirtschaftsminister will einen sehr schönen Flurstand gesehen haben. Der erste Schnitt des Grases war gut, aber der zweite Schnitt hat versagt. In früheren Jahren hätte ein derartiger Ausfall von Futtermitteln auf die gesamte Viehhaltung bei weitem nicht den Einfluß gehabt. Aber die Viehhaltung ist so intensiv ge⸗ vachsen, daß kleine Schwankungen in der Futterernte eine derartige Wirkung ausüben. (Zuruf des Abg. Fegter (fortschr. Volksp.)) Ich spreche doch nicht von Ihrem Dorf und seiner Umgebung. Ich konstatiere, daß heute ein verhältnismäßig kleiner Ausfa n Produktionsmitteln für die Viehhaltung eine ganz andere Wirkung hat, als es vor Jahren der Fall gewesen ist. (Zuruf des Abg. Fegter.) Wenn man hier darüber debattieren muß mit einem Manne, der sagt, er wäre selbst Land⸗ wirt, dann muß man das bedauern. Sie wollen sich, Herr Kollege Fegter, noch mit mir aussprechen? Herr Kollege, tun Sie das nicht, fürchte mich vor Ihnen. Dann kommt noch die kapitalistische snutzung der bestehenden Not hinzu. Wir haben auch für die blonialwaren außergewöhnliche Preise. Innerhalb sechs Monaten der Kaffee um 100 % gestiegen. Ich glaube, Herr Dr. Oeser, zie müssen den Schuldigen wo anders suchen, als beim schwarz⸗ auen Block. Sowohl die Sozialdemokraten als der Abg. Oeser er⸗ kären einfach, wenn sie die Momente für die Preissteigerung zu⸗ nmenfassen wollen, daß an allem der schwarz⸗blaue Block schuldig it. Ja, beim Bewilligen sind Sie auf der Linken dabei, aber wenn später das Geld dafür zu beschaffen ist, dann überlassen Sie das deren. Nachdem Ihr Kollege Fegter noch mir antworten will, uchen Sie gar nicht solche Zwischenbemerkungen zu machen. Endlich kommt noch die Tatsache hinzu, daß ein gehobener Kultur⸗ zustend auch eine Steigerung der Preise mit sich bringt. Die Steigerung zeigt sich nicht nur bei uns; wir finden sie in der Schweiz, in Oesterreich, in Belgien, in Frankreich, wir finden sie auch jenseits des Ozeans. Auch in Japan sind die Preise ge⸗ stiegen, und es ist ganz interessant, daß der Ackerbauminister in Tokio den Terminbandel in Reis verboten hat. Von meinem Kollegen Spahn ist schon hervorgehoben worden, daß wir bereit dazu sid, den Zoll auf die 7 % Gemüse, das überhaupt verzollt wird, zuh ben. Dex Landwirtschaftsminister und der Reichskanzler haben tdings gesagt, die 7 % spielten keine Rolle. Das müßten wir einmal abwarten. Ich erinnere nur daran, daß seinerzeit, die Eisenbahn Berlin — Potsdam gebaut werden sollte, ein Gut⸗ ten abgegeben wurde, das die Unnötigkeit einer solchen Bahn damit beisen wollte, daß die Kariolpost sehr oft leer fährt. Der Abg. Deser wurde durch einen Zwischenruf darauf hingewiesen, daß die Kartoffeln zollfrei eingehen. Er erwiderte darauf, daß Kartoffeln ar eine Zollfreibeit haben, aber durch die Verzollung der übrigen dukte ebenfalls im Preise gestiegen sind. Ich muß aber kon⸗ tieren, daß wir tatsächlich im Laufe der letzten 25 Jahre keine Steigerung, sondern ein Sinken der Kartoffelpreise zu verzeichnen haben, und zwar dank der intensiven Arbeit der Landwirtschaft, daß ich unbestritten sagen kann, daß die deutsche Land⸗ wirtscaft an der Spitze aller europäischen Staaten marschiert. direkt beeinflußt wird die Teuerung der Konsumartikel durch die serung aller der Mittel, die die Landwirtschaft braucht, und die im zaufe von 10 Jahren eine Preissteigerung von 50 % erfahren haben. Darunter leidet zunächst der Bauer und dann der Konsument. tunter leidet z. B. die Milchwirtschaft. Vor einiger Zeit wurde oberbayerisches Sanatorium, das einen sozialdemokratischen Vor⸗ fand hat, von einer Kommission besichtigt, und da bemerkte iner der Herren, daß man dort früher doch Kühe gehalten habe. rauf wurde gesagt: „Ja, wir haben früher selbst Kühe gehabt, rda kam uns das Liter Milch auf 28 ₰, jetzt beziehen es für 18 ₰ vom Bauern.“ (Ruf bei den Sozial⸗ emokraten: Schlechte Wirtschaft!) Herr Kollege, wie können eie das sagen! Es steht doch unter Leitung Ihrer Parteigenossen. für die Preise des Brotgetreides muß auch der Zolltarif und die Wirtschaftspolitik herhalten; wir haben aber im Laufe der letzten Jahre wiederholt höhere Mehlpreise gehabt als jetzt, z. B. im ommer 1898. Die ganze Situation wird kurz damit abgetan, daß die Hauptursache der Lebensmittelteuerung im Zoll zu finden sei. So heißt es z. B. im „Vorwärts“, wo man eine populäre Dar⸗ sellung geben muß, aber in der sozialistischen Literatur, die nicht von den Massen gelesen wird, z. B- in den „Sozialistischen Monats⸗ besten gibt es Stimmen genug, die diese populäre Ausnutzung der üuation Lügen strafen. Einen großen Einfluß auf die jetzige Lage hat ein Umstand gehabt, füͤr den niemand etwas kann, namlich die Erhöhung der Schiffsraten auf den Flußläufen, da die se wegen des Wassermangels nicht befahren werden konnten. cigens wird jedes preissteigernde Moment heute viel nervöser auf⸗ mommen als früher. Dank dieser Nervosität wirkt das geringste ement preissteigernd. In den Zeiten der Zollfreiheit waren die etreidepreise höher als jetzt, das sagen auch die „Sozialistischen konatshefte“. Das eine ist zu konstatieren, daß, wenn es Perioden iegeben hat, wo die Getreidepreise hoch gewesen sind, dann auch immer weieder Jahre mit rückläufigen Preisen gekommen sind, während bei en industriellen Erzeugnissen, wenn einmal die Preise in die Höhe ge⸗ eangen sind, diese nicht wieder zurückgehen. Darunter leidet natür⸗ nch die Landwirtschaft mit, ein Keil treibt eben den anderen: man ann die Ausgaben nicht machen, ohne daß man dafür das Geld hat. imne Mißernte in Getreide wird a tempo haussiert, eme Mißernte „Zuttermitteln baissiert. So kommt es, daß unser Viehstand nicht ürchgehalten werden kann. Wenn heute die Viehzölle und Fleisch⸗ zne verschwinden, so werden Sie gewiß billigere Wochen, aber eurere Jahre erleben. Eine Stockung in der Fleischversorgung mn jetzt sehr wohl eintreten, sie wird sich wohl nach Neujahr zeigen de gegen den Sommer verschärfen, weil im Frühjahr das Großvieh zur füderbestellung gebraucht wird. Wenn auch unser Viehbestand etwas zu⸗ ommen hat, so müssen wir auch damit rechnen, daß unsere Bevölkerung des Jahr um 700 000 Menschen zunimmt, und daß die Maul⸗ und zwnenseuche eine Verwüstung unter dem Viehbestand angerichtet hat. asemein begrüßenswert wären übrigens zur Kontrolle der Fleisch⸗ Seorgung alljährliche Viehzählungen auf Reichskosten, wobei bei den
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wir müssen jederzeit in der Beurteilung der tatsächlichen Ver⸗ hältnisse auf dem laufenden bleiben, die für die Ernährung des Volkes mithestimmend sind. Bei der Viehhaltung speziell handelt 88 sich nicht um das Interesse des Großgrundbesitzes, denn das Rindvieh wird zu 88, die Schweine werden zu 98 % von den Bauern gehalten; mit der Größe des Besitzes geht die Viehhaltung zurück. Bei den zu ergreifenden Maßnahmen wird zu unterscheiden sein zwischen denen, welche dem Notstand von 1912 abhelfen sollen, und denen, die für die gesamte Viehhaltung dauernd getroffen werden sollen. Was die Fleischversorgung betrifft, so will ich ja nicht dem Metzger alles in die Schuhe schieben, aber die Spannung zwischen den Ein⸗ und Verkaufspreisen geht stetig ununterbrochen seit 20 Jahren in die Höhe, und das ist mit den erhöhten Ansprüchen des Publikums, mit der besseren Lebenshaltung allein nicht zu erklären. Für Baden ist eine Verdreifachung der Spannung bei Schweinefleisch in 13 Jahren seit 1897 konstatiert. Da muß irgend etwas nicht normal gelagert sein. Zwischen ganz nabe beieinander gelegenen Städten wie München, Nuͤrn⸗ berg, Augsburg sind Differenzen von 25, ja 30 ₰ für das
fund. Das muß eine Ursache haben, die jenseits der Berge liegt. In München hat sich diese Spannung um 50, für Nürnberg um 25, für Augsburg um 77 % gesteigert! Da muß nach dem Rechten gesehen werden; dem ganzen Lebens⸗ mittelmarkt ist von Amts wegen eine viel intensivere Aufmerksam⸗ keit zuzuwenden. Natürlich ist es auch für mich kein Trost, daß auch im Ausland die Preise sehr hoch sind. Das Ausland kann uns, von allem übrigen abgesehen, jetzt auch nicht helfen, das Ausland leidet ja selbst not, das aus Oesterreich zulässige Kontingent ist ja bei uns gar nicht voll ausgenutzt worden. Die französischen Ochsen wurden zu uns hereingelassen; nach fünf Wochen schon lasen wir in der „Frankfurter Zeitung“, daß das „Echo de Paris“ sich darüber beschwerte, daß die Wirkung dieser Ausfuhr die Preise auf dem Pariser Markt gesteigert habe, und dabei handelte es sich um ganze 1200 Rinder! Auch von dem amerikanischen Büchsenfleisch wäre kein Heil zu erwarten, denn Amerika hat einen steten Rückgang des Vieh⸗ standes; einem Rückgang von 9 % steht eine gleichzeitige Ver⸗ mehrung der Bevölkerung um 27 % gegenüber. Hätten wir heute noch den Fleischverbrauch wie vor 30 Jahren, wir könnten weit mehr als 95 % des Bedarfs selbst decken. Ich bin nicht der Meinung derer, daß es gesünder sei, wenn weniger Fleisch gegessen wird. Tatsächlich wird heute intensiver als früher gearbeitet, und Fleisch gehört immer noch zu den billigsten Mitteln der Eiweißernährung. Aber der Fleischverbrauch ist rapide gestiegen; noch 1855 betrug er für den Kopf 20 kg, 1905 schon 50, und wir haben Städte, wo er bis 78 kg steigt. Tritt mal ein Rückgang um 1 oder 2 kg ein, dann übertreibt man gleich wieder, und es heißt, die Sterblichkeit nimmt zu, Krankheiten, Hungertyphus treten auf. Das hat man uns auch im bayerischen Landtage gesagt. Wir haben Gegenden, ganze Bezirksämter, wo die gesundesten Leute wohnen, wo die Bevölkerung nur 2 Tage in der Woche Fleisch ißt. Ich wehre mich bloß gegen den Gedanken, daß die Gesundheit des Volkes in der Hauptsache von der Fleischernährung abhänge; diese Behauptung ist falsch. Frankreich hat einen weit geringeren Fleischkonsum für den Kopf als Deutschland. Die Sterblichkeit in Frankreich ist auch auf andere Umstände zurückzuführen; lesen Sie, was zur Zeit des Referendums in der Schweiz über den Absinthgenuß in Frankreich gesagt worden ist. Der Wert des Fleisches für die Ernährung des Volkes wird weit überschätzt. Ich komme nun zu den Vor⸗ schlägen gegen die Teuerung. Es gibt radikale und gemäßigte. Am radikalsten ist die äußerste Linke, sie will die Aufhebung aller Zölle. Der Abg. Oeser macht das im Abbau. Wenn alle Zölle beseitigt werden, so werden wir ganz gewiß das erleben, was ich schon gesagt habe: billige Wochen und teure Jahre. Auch eine Oeffnung der Grenzen würde vollständig versagen; das wäre ein außerordentlich gefährliches Experiment. Niemand wird das Verantwortlichkeitsgefühl dazu haben zu sagen: Nach meiner Meinung ist die Seuchengesetzgebung nicht notwendig. Dieses Gesetz ist nicht irgendeiner Partei zuliebe gemacht worden, sondern unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Wissenschaft. Ein solches Experiment würde die Produktion von 3 bis 4 Milliarden in Frage stellen. Sie koͤnnen die Landwirte nicht auffordern, billiger zu produzieren, denn niemand kann unter den Selbstkosten produzieren. Der Reichskanzler hat nun allerdings allen Vor⸗ schlägen in bezug auf den kommenden Viehmangel und die Fleisch⸗ teuerung das Argument entgegengesetzt: Wenn in das bestehende Zolltarifsystem ein Loch gemacht wird, so stürzt alles zusammen. Meine Vorschläge, die ich im Namen der Mehrheit meiner Partei zu machen habe, bedeuten keine Herausnahme eines Steins aus dem Gebäude des Zolltarifs, sondern nur eine Rücksichtnahme auf die ge⸗ gebenen Verhältnisse, denn diese Maßnahmen sollen nur vorüber⸗ gehende sein. Starrheit soll nicht über die Klugheit siegen. Ich glaube auch nicht, daß der kommende Reichstag in seiner Mehrheit durch unsere Vorschläge beeinflußt wird. Bekommen wir wieder, was ich wünsche, einen zolltariffreundlichen Reichstag, dann werden die Dinge bleiben, wie sie sind, bekommen wie ihn nicht, dann hat unser heutiges Verhalten auf ihn keinen Einfluß. Wir Deutsche sind viel zu doktrinär. Für mich kommt allein die Zweckmäßigkeitsfrage in Betracht: kommt für uns der Zeitpunkt, wo wir wirklich an den Abbau denken müssen? Ist für den Abg. Oeser dieser Zeitpunkt schon gekommen? Eine vorübergehende Maßnahme ist kein Abbau. Der Reichskanzler übersieht, daß seit 1902 sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben. Wir haben heute 7 Millionen Menschen mehr zu ernähren. Für jeden braven und ehrlichen Freund des Zolltarifs ist die Frage die: wird die Fleischversorgung in naher Zukunft Schwierigkeiten erfabren oder nicht? Muß diese Frage bejaht werden, dann ist es Pflicht, an Maßnahmen zu denken. Da wird zunächst zu unterscheiden sein zwischen direkt wirkenden Maßnahmen, wobei die Einfuhr von Fleisch erleichtert oder möglich gemacht wird, und zwischen indirekten, indem die Produktion im Lande verbilligt wird. In erster Beziehung ertönt der Ruf nach argentinischem Fleisch. Darauf, ob das argentinische Fleisch qualitativ gut ist oder nicht, kommt es nicht an. Wenn es Bevölkerungsschichten gibt, die um 60 ₰ sich Fleisch kaufen können, aber keins um 950 ₰, so muß das möglich gemacht werden. Ich kann Ihnen zu Ihrem Troste sagen, daß in dieser Frage bei meinen Freunden Einstimmigkeit besteht. Zurzeit kann mit Rück⸗ sicht auf § 12 des Fleischbeschaugesetzes, wonach das auswärtige Fleisch nur in ganzen oder halben Tierkörpern eingeführt werden darf, argentinisches Fleisch nicht eingeführt werden. Deshalb muß dieser Paragraph geändert werden, aber bald und unter der Voraussetzung, daß unsere beamteten Tierärzte an Ort und Stelle die Schlachtung überwachen. Es muß aber auch die Sicherheit gegeben sein, daß die billigeren Preise auch wirklich der Fleisch konsumierenden Bevölkerung zugute kommen. Die Maßregel darf nicht durch den großen und kleinen Zwischenhandel wirkungslos gemacht werden. Diese Garantie müssen die Kommunen übernehmen. Zu diesem Zweck müßte einigen großen Gemeinden wie Berlin, Hamburg usw. ein Kontingent von argentinischem Fleisch überwiesen werden mit der Verpflichtung, die Preise zu kontrollieren und Verwechslungen mit minderwertigem Fleisch zu verhüten. Allerdings stellt der Bezug argentinischen Fleisches nicht für alle Zeit eine Panacee dar, denn die Preise für dieses Fleisch gehen langsam, aber sicher in die Höhe.
weinen auch die trächtigen Tiere mitgezählt werden müßten; denn vJ“ 8 3
nationalliberalen Partei darin überein, daß keine wirtschaftlichen Maßnahmen getroffen werden dürfen, die zum Schaden unserer Landwirtschaft ausschlagen können. Für eine dauernde Versorgung gibt nur unser Inlandmarkt eine Garantie. Daraus entspringt die Forderung nach einer Ermäßigung resp. Suspendierung event. Rück⸗ vergütung unserer Futtermittelzölle. Glauben Sie nicht, daß ich hier⸗ mit in meiner Parter allein stehe: die große Mehrzahl meiner Freunde steht auf gleichem Standpunkt, und ich freue mich, daß auch die bayerische Regierung, der bayerische Landwirtschaftsrat derselben Ansicht ist. Leider haben die preußischen Landwirtschaftskammern die Sache ab⸗ gelehnt, zum Teil mit der unglücklichen Motivierung, eine solche Maßregel bedeute ein Loch in der Reichskasse. Es handelt sich doch hier um Schutzzölle, nicht um Finanzzölle. (Sehr richtig! links.) Sie sehen den Beifall auf der Rechten. (Große Heiterkeit. — Zurufe: Wo bleibt das Zentrum?) Sie können außer Sorge sein. (Erneute Zurufe.) Gewiß, meine Freunde sind diskret und überlassen Ihnen den Beifall. Vor 20 Jahren betrug die Einfuhr von Futtermitteln aus dem Auslande noch nicht den zehnten Teil der jetzigen. Das ist doch ein Fingerzeig für die veränderte wirtschaftliche Lage. Unsere Kleinbauern können doch nicht Kartoffeln zum Preise von 3 ℳ für Schweine verfüttern. Womit soll denn der Bauer seine Schweine füttern? Mit „Erwägungen“ oder mit dem „Loch im Prinzip“? Unsere Vorschläge bedeuten gar kein Ab⸗ gehen von einem Prinzip, sondern nur eine Konzession aus Zweck⸗ mäßigkeitsgründen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß unter diesen Umständen eine Erleichterung der Einfuhr von Futtergerste zu versuchen wäre. Wir denken an eine Rückvergütung des Zolls an die Verbraucher. Man wendet nun ein, daß sich der Preis nur um einen Pfennig ermäßigen würde. Wenn die Rückvergütung auch gar nicht im Preise zum Ausdruck käme, so würde sie doch eine Wirkung auf die üͤbrigen Futtermittel haben, und das ist von größter Bedeutung. Unsere Maßregel soll nicht für immer gelten, sondern befristet werden bis zur neuen Ernte. Natürlich müssen Kautelen getroffen werden, daß die Rückvergütung des Zolls auch wirklich dem Verbraucher zugute kommt. Für das System der Einfuhrscheme ist auch heute der Abg. Fuhr⸗ mann so warm eingetreten. Telegraphieren Sie das nur sofort nach Ihrem Wahlkreis! Wenn die Futtergerste zollfrei eingeführt würde, dann würde auch sofort die Rückwirkung auf die Einfuhrscheine auf⸗ treten, die Einfuhrscheine würden dann zur Einführung von Roggen zur Verwendung kommen. Mein Kollege Spahn ist auch dafür ein⸗ getreten, daß die Einfuhrscheine nicht für Petroleum dc. verwendet werden. Durch diese Maßnahmen würde der Getreidemarkt allerdings eine kleine Depression erleiden, die aber erträglich ist. Wenn der Land⸗ wirtschaftsminister darauf hingewiesen hat, daß die Frachtermäßigungen nicht den Konsumenten, sondern dem Handel zugute gekommen sind, so berücksichtigt er dabei nicht, daß solche Frachtermäßigungen nie sofort wirken können, während die alten Verträge noch in Kraft sind. Aber nach der Uebergangszeit werden diese ermäßigten Frachten schon ihre Wirkung zeigen, und ich hoffe nur, daß diese Fracht⸗ ermäßigungen dauernd sein mögen. Auch die Kommunen können sehr viel tun. So spielen besonders für die Metzger die hohen Ladenmieten eine große Rolle; wenn billige Verkaufsstellen geschaffen würden, so würden die Kommunen dem Mittelstand auch die Mittel zu seiner Stärkung an die Hand geben können. Das Allerwichtigste
für die dauernde Versorgung der deutschen Bevölkerung ist aber
die richtige Besitzverteilung, Bei uns in Bavyern haben wir die Erscheinung, daß die Latifundien, die vernichtet werden,
sich dadurch wieder neu bilden, daß das Großkapital ein
greift, das besorgt dort das Bauernlegen, räumt mit den Viehställen auf, aber auch mit den Menschen, die dort ihr Brot finden.
Der Abg. Oeser hat an das Wort von den reichen Vätern und den
armen Söhnen erinnert, eine Preissteigerung des ländlichen Bodens
ist aber nur da zu konstatieren, wo Liebhaberwerte gezahlt werden, oder wo die Möglichkeit ist, den Grundbesitz zu zertrümmern. Unsere Forderung zur Herbeiführung gesunder Bodenverhältnisse lautet des⸗
halb: „Weg mit den Fideikommissen!“ Aber Bauernfideikommisse!
Was sagen Sie (nach links) dazu? Also Bauern⸗
fideikommisse bis zu 50 ha, was darüber geht, weg!
Nur dadurch kann die Fleischversorgung durch die inländische Landwirtschaft gewährleistet werden. Mit einer furchtbaren Ge⸗ schwindigkeit breitet sich die Vertrustung des internationalen
Fleischhandels aus. Sie kennen die Dinge so gut wie ich. Eine gesunde Bauernpolitik ist mehr Gewähr fur eine billige Fleisch⸗ und Brotversorgung als jede andere gesetzliche Maßnahme. Jede andere Politik kann zeitweilig wirken, sie schafft billige Wochen, aber teure Jahre. Das übersehen Sie vollständig. Aber Sie auf der Linken gehen mit dem schwarzeblauen Block hausieren, als ob da
Mißgeschick der Teuerung durch ihn hervorgerufen wäre. Das ist alles nur eine Chimäre, wir haben nur eine einzige Hoffnung auf die
produzierende Landwirtschaft. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß
der Neubildung von Bauerngütern die allergrößte Beachtung geschenkt
werde. (Zuruf.) Die Zollpolitik soll im Wege stehen? Das ist
unrichtig. (Zuruf des Abg. Naumann.) Herr Dr. Naumann, so⸗
lange Sie auf Ihrem freihändlerischen Standpunkt, auf diesem alten Doktrinarismus stehen bleiben, kommen wir beide nicht zusammen. Wenn ich davon überzeugt würde, daß die Zollpolitik für unsere
bäuerlichen Verhältnisse verhängnisvoll wäre, so würde ich der erste
sein, der sie aufgäbe. Auf England können Sie nicht verweisen. England hat nur für die Hälfte des Jahres Fleisch und nur fü
97 Tage sein Brot. Der ganze Grund liegt in unserer un⸗ gesunden kapitalistischen Wirtschaft. Nur ein gesunder Mittel⸗ stand kann uns über die Erscheinung hinweghelfen. Das Mittel
zu dieser Politik ist aber der Bauernstand. Auf Dänemark können Sie auch nicht verweisen, auf Dänemark mit seinen vorzüg
lichen Exportgelegenheiten, mit seinen günstigen Bodenverhältnissen.
Wie wollen Sie denn unseren Boden heute zu derartigem Weideland
machen? Vergleichen Sie die Niederschläge in Dänemark und bei uns, dann haben Sie die Lösung. Die Linke will immer beim Vergleich der deutschen und der ausläͤndischen Produktionen schablonisieren. (Zustimmung rechts. Abg. Ledebour: Bald ist der Beifall rechts, bald links!) Das kommt daher,
weil die Wahrheit immmer auf der mittleren Linie liegt.
Dank der Schutzzollpolitik war es in Deutschland möglich, daß sich der Markt so günstig gestaltete, daß unsere Landwirtschaft den hohen Anforderungen gerecht wurde, und dank dieser wird es möglich sein, auch die steigenden Bedürfnisse zu befriedigen. Der Abg. Fischer von der äußersten Linken hat in den „Sozialistischen
Monatsheften“ 1908 selbst zugestehen müssen, daß die Prophezeiungen der Sozialdemokraten über die Schutzzollpolitik nicht eingetroffen sind. Die Ergebnisse der Berufszählung, die Ziffern der Aus⸗ wanderung, die Statistik der Invalidenversicherung, der Prozent⸗ satz der Arbeitslosigkeit, die Sparkasseneinlagen, alles spricht für
uns und gegen die Länder, die dem Freihandelsregime noch untertan sind. Die Herren links haben gestern zum Fenster hinausgesprochen; ihre Parole für die nächsten Wahlen heißt „Freihandel“! Darum wird es sich in der Tat bei den nächsten Wahlen handeln,
daß sich der Kampf um das Wirtschaftssystem dreht, und über diese schwerwiegende Tatsache ist gerade der Abg. Fuhrmann, der Sprecher der Nationalliberalen, mit einem Saltomortale hinweggegangen. Uebersehen Sie doch nicht, daß es ohne Agrar⸗
zölle auch keine Industriezölle gibt. Was einzig not tut,
ist eine gerechte Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, aber leider kommen wir vor lauter Parteipolitik in manchen Lagern überhaupt
Jedenfalls stimmen wir bezüglich der Einfuhr von Fleisch mit der “ “ 88 12 8
nicht dazu.