retation den Artikel 54 der Reichsverfassung aus der Welt schaffen, der Ministerialdirektor Peters mußte sich dann von den amhaftesten Vertretern des deutschen Staatsrechts sagen lassen, aß das ein vom Standpunkt der wissenschaftlichen Ebrlichkeit be⸗ önklicher und aussichtsloser Versuch sei. Auch der Reichskanzler Fürst Bülow erklärte, daß Schiffahrtsabgaben nur möglich seien, wenn die Bestimmung der Reichsverfassung entfernt würde, aber lles das hat die preußische Regierung nicht abgehalten, mit der Interpretationskunst aus der Schlinge herauskommen zu wollen. Dann kam aber eine Entscheidung, die die preußische Regierung auf die Knie zwang; diese Entscheidung wurde gegeben durch ein Gutachten des Reichsjustizamts, das der Kanzler auf Ersuchen einiger Bundesstaaten anforderte. Der Inhalt dieses Gutachtens ist nicht offiziell bekannt gemacht, aber im „Dresdner Journal“ ist es seinem Hauptinhalt nach mitgeteilt worden: danach steht das preußische Kanalgesetz, unter das die preußischen Minister ihren Namen gesetzt haben, mit der Reichsverfassung, Art. 54, in Widerspruch. Dieses Blatt ist kein sozialdemokratisches, sondern ein der sächsischen Regierung nicht fernstehendes Organ. In der Kommission hat die Vertretung der preußischen Regierung das Verlangen, das Gut⸗ achten mitzuteilen, mit den Zeichen äußersten Schreckens zurückgewiesen. Nun hat man sich endlich dazu bequemt, den Weg der Verfassungsänderung zu gehen. Es war keine leichte Arbeit für Preußen, die anderen Bundesregierungen zu gewinnen, aber was bringt die preußische Regierung nicht im agrarischen Interesse fertig! Sie gebrauchte Zuckerbrot und Peitsche; sie gewann Bayern, indem sie die Mainkanalisation als Gegengabe darbrachte, Württem⸗ berg, indem man dem Lande einen großen Zuschuß zu der geplanten Neckarkanalisation in Aussicht stellte; dieser Speck roch so gut, daß die württembergische Regierung und auch ein Teil der württem⸗ bergischen Reichstagsvertreter in die Falle gingen. Weniger Glück hatte man mit Baden, Hessen und Sachsen, diese blieben aufrecht, auch egenüber der Drohung Preußens, nichts mehr aufzuwenden für die Instand⸗ altung und Verbesserung der unteren Stromläufe, wenn nicht die Zu⸗ stimmung zur Einführung von Abgaben erfolgte. Diese Androhung der Sistierung der Bauten, wie sie der Minister von Rheinbaben aussprach, erklärte er für ein erlaubtes und gebotenes Mittel; das war die bundes⸗ freundliche Methode, den Widerstand der opponierenden Oberlieger zu brechen. Da war es nachher ein billiger Triumph, die Vorlage als im Bundesrat einstimmig angenommen zu erklären. Selten hat eine Vorlage so heftige Kämpfe im Bundesrat, so verzweifelte Gegenwehr gefunden. Baden und Sachsen ergriffen sogar die Flucht in die Oeffentlichkeit, nachdem ihnen kein anderes Mittel mehr übriggeblieben war; gemeinsam veröffentlichten sie gegen diese „nationale“ Unter⸗ nehmung ein Memorandum, worin sie nochmals ihre schweren Bedenken gegen die Beseitigung der Abgabenfreiheit zusammen⸗ faßten. Es wäre noch heute zu wünschen, wenn die Ver⸗ treter dieser Regierung von ihrem Recht Gebrauch machten, bier im Reichstag ihren ablehnenden Standpunkt der Mehr⸗ heit des Bundesrats gegenüber zu vertreten; die Frage hat ja eine viel weiter tragende Bedeutung, als selbst das Weingesetz für Württemberg hatte. Die Methode Preußens, den Widerstand kleiner Regierungen niederzuzwingen, ist seinerzeit sogar von dem Grafen Posadowsky im „März“ kritisiert worden. Diese Methode erklärt sich aber sehr leicht aus der geographischen Lage der oppo⸗ nierenden Oberliegerstaaten, die ihre Produkte nur auf den natürlichen Wasserstraßen zur See befördern können; jede Erschwerung des Ver⸗ kehrs schädigt die Konkurrenzfähigkeit von Handel und Induftrie der Oberlieger, die auf die billige Wasserfracht angewiesen sind.
Dieser Segen der Abgabenfreiheit für die binnenländische Industrie.
wird auch in dem erwähnten Memorandum ausführlich dargelegt. Der Widerstand der bezüglichen Interessenten gegen die Vorlage ist denn auch bis heute aufrecht erhalten geblieben; insbesondere haben die „Vereinigten Arbeitsausschüsse für Rhein, Weser und Elbe“ ihre Proteste erneuert und die Ablehnung des Entwurfs empfohlen. Damit stimmt überein die Resolution des Bundes der Industriellen und eine Eingabe des Schlesischen Verbandes für Fluß⸗ und Kanal⸗ schiffahrt. Schlesien würde unter der Beseitigung der Abgaben⸗ freiheit besonders leiden. Die große und gegensätzliche Bedeutung dieser Vorlage für verschiedene Gebietsteile erklärt es, daß alle Paxteien außer der meinigen gegenüber dieser Vorlage geteilt ind. Die Konservativen aus Sachsen werden nicht für die Vorlage stimmen, vom Zentrum haben wir gehört daß die Gegner der Vor⸗ lage zu Freunden geworden sind. Wir werden nicht verfehlen, das den Anwohnern des Rheins bekannt zu geben, denn früher hielt man das für unmöglich; es erschien ein wütendes Flugblatt gegen die Behauptung, daß die Zentrumsfraktion für die Einführung von Schiffahrtsabgaben sei, nur vereinzelte Abgeordnete seien dafür ein⸗ getreten. Auch bei den Nationalliberalen kläfft ein Widerspruch, zwei Seelen wohnen in ihrer Brust. Von den Frreisinnigen ist auch mancher Paulus zum Saulus geworden, oder umgekehrt, je nachdem man sich zu der Vorlage stellt. Der Abg. Haußmann ist in der Kommission einer der ersten Treiber gewesen, daß das Gesetz möglichst bald zustande komme. Früher hat er hier gesagt, Württemberg habe das größte Interesse daran, daß auf dem Main keine Abgaben ein⸗ geführt würden, weil dadurch die Konkurrenz erschwert werde; die württembergische Regierung würde gegen diesen Versuch der Abgabenerhebung stimmen. Weiter sagte er, der ganze Ver⸗ such sei hervorgegangen aus einem agrarischen Gelüste und aus fiskalischer Begehrlichkeit. Die Abgaben auf den natürlichen Wasser⸗ straßen seien nichts weiter als das Pflaster⸗ und Chausseegeld einer überwundenen Epoche. Dabei bleibt diese ganze Vorlage eine lex imperfecta, solange Oesterreich und Holland nicht zus immen. Die Regierung will nun diesen Staaten mit diesem Gesetz die Pistole auf die Brust setzen. Das ist ein Vorgehen der deutschen Diplomatie, das mit dem Ansehen und der Ehre Deutschlands nicht vereinbar ist. Man hätte erst vorher mit den beiden Staaten sich ins Einvernehmen setzen müssen. Wenn man aber später mit den Staaten verhandeln wird, dann wird es wieder Kompensationen und Kompensatiönchen geben. Entspricht auch das der Wurde Deutschlands? Die Verteuerung auf der Elbe und dem Rhein muß den Aklionsradius der Schiffe auf diesen Strömen einschränken. Anderen Staaten wird dadurch die Konkurrenz mit uns erleichtert, man wird die Rohprodukte vom Süden statt wie bisher vom Norden über Hamburg und Rotterdam einführen. Man sagt, woher soll man denn die Mittel zu den Meliorationswerken hernehmen? Diese Ausgaben sind auch schon unter der Abgabenfreiheit aufgebracht worden. Die Strom⸗ verbesserungen sind außerdem nicht nur im Interesse der Schiffahrt, sondern auch der Landwirtschaft notwendig gewesen. Die preußische Regierung droht damit, daß sie keine weiteren Verbesserungswerke durchführen wolle. Diese Drohung kann uns nicht schrecken. Wir wollen einmal sehen, wie lange sie den Mut haben wird, gegenüber der Entrüstung des Volkes diese Haltung einzunehmen. Man wird vielleicht vorrechnen, wie geringfügig die in Aussicht genommenen Abgaben sind; darüber kann man nur lachen; die betreffenden Abgaben summieren sich. Was wird die Folge sein? Es wird zunächst ein Versuch der Ab⸗ wälzung stattfinden. Siegen werden dabei wohl die großen Reedereien, die durch ihre Monopolstellung die Möglichkeit der Abwälzung am ehesten haben. Die Hauptlasten werden die kleinen Schiffer tragen müssen, und auch die Arbeiter werden darunter leiden müssen, weil ihre Löhne unter Berufung auf die Schiffahrtsabgaben gedrückt werden. Die wirtschaftlich Schwachen werden also die Lasten tragen müssen, die Konsumenten im weitesten Sinne des Wortes. Aber das soll ja auch der Sinn der Vorlage sein! Die Lebenshaltung wird weiter verteuert. Das Brot ist ja noch nicht teuer genug! Aber die Vorlage kommt zur rechten Zeit. Versetzen Sie dem Volk nur noch einen weiteren Schlag mit der bürgerlichen Reitpeitsche ins Gesicht, die Folgen werden nicht ausbleiben.
Preußischer Minister der Breitenbach:
Meine Herren! Trotz der lebhaften Bestrebungen der verbündeten Regierungen, das Gesetz vor seiner Einbringung im Reichstage so zu gest lten, daß es
öffentlichen Arbeiten von
inen wirtschaftlichen Fortschritt bedeutet, trotz des
hbeißen Ringens in der Kommission und der ausgiebigen Aufklärungen, die dort gegeben worden sind, und ungeachtet der starken Entlastung, die der Gesetzentwurf, wie er heute dem hohen Hause vorliegt, gegen⸗ über demjenigen bedeutet, was die Regierung brachte, ist die Opposition nicht zu bewegen gewesen, ihre Stellung zur Sache zu verändern. Die Verhandlungen in der Kommission, die allerdings ein hohes Maß von Opfermut von seiten aller derjenigen erforderten, die an ihnen be⸗ teiligt waren, leuchteten hinein in ein Labyrinth von Zweifel und Mißtrauen. Aber die Hoffnung der Vertreter der verbündeten Re⸗ gierungen, daß diejenigen, welche mit Zweifeln und nicht mit grund⸗ sätzlicher Abneigung in die Kommission hineingingen, belehrt und auf⸗ geklärt werden würden, hat sich nach unseren Feststellungen erfüllt. Der Herr Abg. David hat heute den Standpunkt der grundsätz⸗ lichen Opposition vertreten. Er hat ja bereits bei der ersten Lesung bekannt gegeben, daß seine Partei die einzige sei, die einmütig dem Schiffahrtsabgabengesetz Widerstand entgegensetzen werde. Er hat heute einen großen Teil derjenigen Argumente wieder vorgebracht, die uns vor Jahr und Tag vor Augen geführt worden sind, und in seinen Ausführungen nahm wiederum einen großen Raum ein die Darstellung der Entstehungsgeschichte des Gesetzentwurfs. Er führte es durchaus mit Recht zurück auf das preußische wasserwirtschaftliche Gesetz vom Jahre 1905; er befindet sich aber nach meiner Auffassung und der Auffassung vieler, die die ganze Frage sachlich beurteilen wollen, in dem grundlegenden Irrtum, daß der preußischen Regierung die Be⸗ stimmung, daß auf natürlichen Wasserstraßen Schiffahrtsabgaben er⸗ hoben werden sollen, unvermutet und wider ihren Willen aufgezwungen sei. Ich habe mir bereits erlaubt, im vorigen Jahre auszuführen, daß in Preußen zu keiner Zeit, auch nach Einführung der Reichsver⸗ fassung, der Gedanke verschwunden ist, daß die bedeutenden Auf⸗ wendungen des Staates für die Ströme durch Gebühren ausgeglichen werden müßten. Wer sich die Mühe gibt, die Parlamentsberichte
vor und nach der Begründung des Reichs durchzulesen, wird
immer finden, daß diesbezügliche Anträge gestellt worden sind. Wenn nun gelegentlich der Beratung eines Gesetzes, das einen Kapital⸗ aufwand von rund 400 Millionen Mark vom Lande forderte, die ganz überwiegend der Schiffahrt zugute kommen, eine Nachprüfung dahin stattfand, ob das bisher angewendete Wirtschaftssystem, soweit es sich um den Ausbau der Ströme handelt, auch weiterhin an⸗ gewendet werden darf, so war es doch meines Erachtens ein gutes Recht der Parteien, ein gutes Recht der Regierung, diese große bedeutsame Frage gelegentlich dieses Gesetzes, das so erhebliche Mittel in Gang setzte, zu prüfen und zur Entscheidung zu bringen. Und dies, meine Herren, ist durch die Bestimmungen des preußischen Ge⸗ setzes geschehen, und es ist eine einseitige Auffassung, die der Herr Abgeordnete wiederum bekannt gibt, daß nur agrarische Gelüste und fiskalische Begehrlichkeit zu dieser naturgemäßen und gerechten Be⸗ stimmung geführt haben.
Es ist viellelcht angezeigt, an dieser Stelle nochmals darauf hinzuweisen, wie ungerecht die heutige Regelung in Preußen wie im Reich bezüglich der Erhebung von Abgaben auf den natür⸗ lichen Wasserläufen und auf den künstlichen Wasserstraßen ist. Dort, wo wir eine Wasserstraße kanalisieren, mag es eine natürliche Wasser⸗ straße sein, oder mögen Sie einen künstlichen Kanal graben, sind Sie in der Lage, Abgaben in Höhe der Selbstkosten zu erheben; wenn Sie aber einen natürlichen Wasserlauf regulieren, unter Umständen fast dieselben Kosten hineinstecken wie in einen kanalisierten Flußlauf, dann ist man nicht in der Lage, Abgaben zu erheben.
Ich behaupte also, daß trotz der Bestimmung der Reichs⸗ verfassung, die ja das Gebührenprinzip auch nicht aufgegeben hat, die Frage der Gebührenerhebung in Preußen zu keiner Zeit verloren ge⸗ gangen ist, und daß es berechtigt war, sie gelegentlich dieser bedeut⸗ samen Vorlage zur Entscheidung zu bringen. Wenn der Herr Abgeordnete das, was damals beschlossen und in Gang gesetzt wurde, einen Kanaltorso nennt, dann wird er sich wohl über den wirtschaftlichen und den räumlichen Umfang dessen, was damals beschlossen wurde, nicht genügend informiert haben. Also zu jener Zeit hat man sich schlüssig gemacht, ein überlebtes Wirtschaftssystem aufzugeben und im Interesse der Fortentwicklung unserer Wasser⸗ wirtschaft ein anderes an die Stelle zu setzen. Ich gebe ohne weiteres zu, daß zu jener Zeit vielleicht im Ueberschwange der Empfindungen sich extreme Hoffnungen an die Einführung von Schiffahrtsabgaben, die ja immer nur Gebühren sein konnten, also immer nur die Deckung der Selbstkosten bezwecken konnten, geknüpft haben, daß vielleicht mancher geglaubt hat, es handle sich um eine Verstärkung des Schutz⸗ zolls. Die jahrelangen Erörterungen über diese große wichtige Materie haben jedoch wohl viele, vielleicht alle davon überzeugt — mir schwebt dabei ein Ausspruch des Herrn Grafen von Kanitz vor —, daß die Möglichkeit, den Schutzzoll durch Schiffahrtsabgaben zu verstärken, überhaupt nicht mehr besteht. Und, meine Herren, wenn man berücksichtigt, daß eine Tonne Getreide von Rotterdam nach Mannheim mit 57 ₰ pro Tonne belastet werden wird durch die Schiffahrtsabgabe, die geplant wird, wer wollte dann leugnen, daß es sich um ein Minimum handelt, daß die Brotverteuerung, die sich daran knüpfen soll, doch weiter nichts ist, als ein Schlagwort (sehr richtig! rechts und in der Mitte) gegenüber der Tatsache, daß vom vorigen Jahre bis zum heutigen Tage die Rheinfracht zwischen Rotterdam und Mannheim um nicht weniger als 3,05 ℳ für die Tonne gestiegen ist. (Hört! hört! in der Mitte.)
Der Herr Abgeordnete hat gemeint, die preußische Regierung habe, um ihren Zweck durchzusetzen, die Abgaben auf den deutschen Strömen einzuführen, eine leere Drohung ausgestoßen, als sie es autoritativ und an der zuständigen Stelle bekannt gab, daß erhebliche Mittel für die Verbesserung und den Ausbau der Ströme nur noch gewährt werden können, wenn die Mäglichkeit bestände, ein Entgelt in der Form von Gebühren zu erheben. Meine Herren, das ist doch keine Drohung; es ist die Feststellung einer Tatsache, die sich daraus ergibt, daß die preußische Regierung nach der Stellung ihres Landtags damit zu rechnen hatte, es würden ihr für umfassendere Strombauten Kapitalien nicht mehr bewilligt werden, wenn sie nicht in der Lage wäre, ein Entgelt dafür zu erheben.
Wenn der Herr Abgeordnete meint, die preußische Regierung hätte damit bekunden wollen, daß sie bestehende internationale Verträge nicht halte, so ist das ein Irrtum oder eine tatsächlich falsche Behauptung. Verträge über den Ausbau unserer Ströme mit gewissen Tiesenzielen bestehen nur bezüglich der Elbe, und dieser Vertrag ist längst erfüllt. Das Tiefenziel ist lange erreicht. Bezüglich des Rheins bestehen keinerlei Verträge über die her⸗ zustellenee Fahrtiefe. Aber die preußische Regierung hat sich
den Ausbau des Rheins seit Jahrzehnten in umfassendem Maße angelegen sein lassen. Die Unterhaltungspflicht des Staates bezüglich der Ströme, die Erhaltung des Zustandes im Interesse der Schiffahrt, wie sie jetzt vorliegt, ist niemals zweifelhaft gewesen. Diese hat die preußische Regierung zu keiner Zeit ablehnen wollen.
Meine Herren, mein Herr Vorredner hat einen schwarzen, un⸗ durchsichtigen Schleier über die außerordentlichen Vorteile gezogen, die das Schiffahrtabgabengesetz in der vorliegenden Gestalt unserer gesamten Wirtschaft bringen soll. Es scheint mir doch am Platze zu sein, zu resumieren, wie sich der Zustand im Deutschen Reich nach der Durchführung des Gesetzes stellen wird. Zunächst: welchen Zwecken dienen denn die Abgaben? Doch nur dem Zwecke der Verbesserung der Schiffahrtsstraßen in den Strom⸗ gebieten, und nur insoweit sollen Abgaben erhoben werden, als bestimmte Verbesserungen auf Grund bestimmter Projekte durchgeführt werden. Die Abgaben, meine Herren, sollen, wie bereits hervor⸗ gehoben, nur nach dem Gebührentarif erhoben werden. Es dürfen also nur Selbstkosten in Rechnung gestellt werden. Die Berechnungen, die wir für die Einführung der Abgaben der Kommission im Detail unterbreitet haben, beruhen ausschließlich auf dem Gebührenprinzip.
Meine Herren, der Zweckverbandsgedanke, der in Artikel II des Gesetzes ausgesprochen ist, sichert den wirtschaftlich Schwächeren im Reiche den Ausbau ihrer Stromstrecken, ein Ausbau, der ohne solidarisches Vorgehen voraussichtlich überhaupt nicht möglich sein wird. Der Zweckverbandsgedanke sichert gleichzeitig die gleichmäßige Erhebung von Abgaben innerhalb eines Stromgebietes unter Weg⸗ wischung der Grenzen der verschiedenen Bundesstaaten. sichert ferner die Mitwirkung der Interessenten auf dem Gebiete der Gemeinschaftsströme. Die Interessenten haben nicht nur eine be⸗ ratende, sondern sie haben in sehr wichtigen Fragen eine entscheidende Stimme.
Das Gesetz sichert auch dem Reichstag eine entscheidende Mit⸗ wirkung bei der Festsetzung der Abgaben. Schon in seiner heutigen Fassung limitiert dieses Gesetz ja die Abgaben für einzelne Tarifklassen in ihrer Höhe und sichert dem Reichstag weiter eine entscheidende Mitwirkung dann, wenn diese Abgaben verdoppelt werden sollen. Das Gesetz ist tatsächlich durch die Streichung des § 3, der die Stromkassen mit den Unter⸗ haltungskosten für die alten Werke belasten wollte, ein reines Meliorationsgesetz geworden. Es wird in seiner Durchführung für einen großen Teil Deutschlands nur wirtschaftliche Vorteile
bringen, und weil dieses der Fall sein wird, darum glauben die ver⸗
bündeten Regierungen, die Annahme des Gesetzes, wie es aus der Kommission hervorgegangen ist, empfehlen zu können. (Bravo! )
Abg. Hausmann (nl.): Den aus den Verträgen mit anderen Staaten hervorgehenden Rechten wird durch dieses Gesetz nicht vor⸗ gegriffen; die Sorge, daß etwa durch dieses Gesetz Streit mit den anderen Staaten entstehen könnte, ist beseitigt. Die Aenderung des § 54 beseitigt auch die Bedenken der Verfassungsverletzung. Ich selbst und der größte Teil meiner Freunde können unter den Bedingungen, die die Kommission eingefügt hat, dem Gesetz unsere Zustimmung geben, vorausgesetzt, daß es nicht noch durch Bestimmungen helastet wird, die wir nicht annehmen können. Wenn die Kreise, die die Abgaben tragen sollen, es vorziehen, daß die Uferstaaten oder das Reich die Kosten tragen, so ist das zu verstehen, es ist aber auch die Auffassung weiter Kreise zu verstehen, daß es gerecht und billig ist, wenn diejenigen, die an erster Stelle den Nutzen haben, auch mit zu den Kosten heran⸗ gezogen werden. Daß zwischen den Bundesstaaten verschiedene Mei⸗ nungen über die Zweckmäßigkeit der Schiffahrtsabgaben bestehen, ist doch nicht zu verwundern. Es handelt sich hier nicht um ein Zoll⸗ gesetz, nicht darum, agrarische Interessen zu vertreten, sondern es handelt sich lediglich um ein Verkehrsgesetz. Die Frachtschiffahrt ist von Jahr zu Jahr unlohnender geworden; nur einige Betriebe, die größere Schiffsgefäße führen, haben, wenn auch keinen großen, so doch noch einigermaßen beachtenswerten Erfolg gehabt. Es wird die Aufgabe unserer Schiffahrtsinteressenten sein, sich mit der Einrichtung rößerer Schiffsgefäße zu befassen und dafür zu sorgen, daß die
asserrinne so weit vertieft wird, daß auch große Schiffe fahren können. Von den Uferstaaten ist zu verlangen, daß die Fahrrinne vertieft wird, und daß an Stellen, wo bisher keine Schiffahrt möglich war, der Flußlauf so gestaltet wird, daß sie möglich wird. In den 80er Jahren habe ich bereits im preußischen Abgeordneten⸗ hause beantragt, die Weser zu vertiefen. Die Parlamente der Einzel⸗ staaten würden nicht staatliche Gelder aufwenden wollen; wenn die preußische Regierung Neigung hätte, die Kosten aufzubringen, so würde sie die Zustimmung des preußischen Landtags nicht finden. Unbestreit⸗ bar ist die Tatsache, daß wir keine Verbesserung der Schiffahrt be⸗ kommen werden, wenn wir nicht zu den Kosten beitragen. Die Mehr⸗ zahl der Interessenten an der Weser und auch der Interessenten im Kohlenrevier in Rheinland und Westfalen haben Berechnungen dahin gemacht, daß sie die Abgaben in Kauf nehmen wollen, weil sie Vorteil davon haben. In Württemberg und Bayern kann eine Ausgestaltung der Schiffahrt auf dem Neckar und dem Main nicht erreicht werden, wenn nicht Abgaben eingeführt und größere Zweckverbände gebildet werden. Allerdings haben sich die Interessenten an der Elbe und dem Rhein andere Rechen⸗ exempel aufgemacht, aber Jahr für Jahr sind auch diese Interessenten an die Regierungen der Uferstaaten mit der Anregung herangetreten, die Ströme weiter auszubauen; sie haben dies also für wünschens⸗ wert gehalten. Die Kommission hat die Vorlage wesentlich ver⸗ bessert und die Gestaltung der Verbände, die Aufbringung der Ab⸗ gaben, den Beginn der Verpflichtungen usw. in vorsichtigster Weise geregelt. Es ist auch für den Weiterbau der Flußläufe genügender Anreiz gegeben. Für die Mosel, Saar und Lahn ist freie Bahn für die Weiterentwicklung und den Anschluß an die großen Verbände ge⸗ geben worden. Für den Ausbau des Leipziger Anschlusses an die Elbe ist in einer Weise gesorgt worden, wie es die Interessenten selbst nicht erwartet haben. Von den gestellten Anträgen ist zu be⸗ sorgen, daß die Regierung wie in der Kommission wiederum erklären wird, daß sie das Gesetz so belasten, daß es zu Fall kommen kann. Es muß eine Erklärung der Regierung über die Anträge erfolgen, ehe wir darauf eingehen können.
Abg. Gothein sfortschr. Volksp.): Der Abg. Schultz hat in der letzten Freitagssitzung ausgeführt, daß Für Bismarck uns wiederholt ernst davor gewarnt habe, an der Verfassung zu rütteln, die Fortnahme eines einzelnen Steins aus dem Gebäude könne vieles andere ins Wanken bringen. Da wird es angebracht sein, die Frage aufzuwerfen, ob man einem „sterbenden, schon hippokratische Züge aufweisenden“ Reichstag noch eine solche Verfassungsänderung, wie sie hier in einem ihrer wichtigsten Punkte beabsichtigt wird, vorzunehmen zumuten darf. Die Lenfa pun ist in diesem Punkte das Ergebnis jahrhundertelangen Ringens; welche Kämpfe und Anstrengungen hat es gekostet, die Abgabenfreiheit auf den deut⸗ schen Strömen zu erreichen! Jeder, der hier zur Mitentscheidung berufen ist, sollte erst einmal die Geschichte der rheinischen Schiffahrts⸗ abgabenfreiheit studieren; auch nach Beseitigung der außerdeutschen Widerstände hatte man noch den kleinlichen Widerstand Hannovers und Meegenbuhg zu überwinden. Und jeßt will man so leicht über einen solchen Eckstein der Reichsverfassung hinwegschreiten? Auf das Referat des Professors Wach hat auch die erste sächsische Kammer sich einstimmig gegen die Vorlage erklärt; heute hören wir, daß auch die sächsischen Mitglieder der deutschkonservativen Partei auf demselben Standpunkt 88 Von Baden und Sachsen gilt heute
Das Gesetz
leider das coactus voluit. Sie haben schließlich der Gewalt nach⸗
eben müssen, nachdem sie sich mit Händen und Füßen gesträubt atten; ihre Flucht in die Oeffentlichkeit ist ein Beweis dafür, in
welcher Art auch heute noch Preußen „moralische Eroberungen“ macht.
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Bayern hat seine unbedingte Gegnerschaft aufgeben müssen, weil Preußen einfach die Fortführung der Mainkanalisation auf
preußischem Boden selbst auf bayerische Kosten verweigerte! Der
Umschwung begann, als der Eisenbahnminister Thielen den Bonner
ein Einzelstaat
8
Früsag⸗ Schumacher mit der Untersuchung des Prinzips des Art. 54 eauftragte und ihm dazu das ganze preußische Archiv zur Ver⸗ fügung stellte; Schumacher kam zu der Ueberzeugung, daß es auf Grund dieser Verfassungsbestimmung ganz unmöglich sei, auf den natürlichen Wasserstraßen irgendwelche Abgaben zu erheben, daß solche Abgaben nicht einführen könne. Der
nationalliberale Abgeordnete Sattler hat im Dezember 1903 im
Reichstage seine große Freude über die bezügliche Erklärung des teichskanzlers zu erkennen gegeben; aber schon im Februar 1904 ließ
die preußische Regierung durch den Minister Budde eine Erklärung
— abgeben, die dazu im krassesten Widerspruch stand!
gua non für die Minister von Breitenbach von dem „guten Recht“ des Landtags und
Was war da⸗ zwischengetreten? Die Erklärung der Konservativen und des Zentrums, daß die Beseitigung der Abgabenfreiheit für sie die conditio sine für die Bewilligung des Kanals sei. Heute spricht der
der Regierung. Es ist ja auch das „gute Recht“ der Regierung, sich in
die gottgewollte Abhängigkeit von Heiligen und Rittern zu begeben. Kein Geringerer als der konservative Abg. Graf Limburg⸗Stirum hat
die Schwenkung konstatiert, nachdem die Kanalvorlage eingebracht war.
Ausfall von 900 000 ℳ erlitt.
ist wirklich das
Wir sehen heute am Bundesratstische weder den Reichskanzler noch
inen Staatssekretär, sondern den preußischen Minister der öffentlichen Arbeiten und Dr. Peters, obwohl es sich um eine Verfassungsänderung handelt. Warum dieser Einbruch in die Verfassung? Damals erklärte er Abg. v. Zedlitz im Abgeordnetenhause, die Einführung der Schiff⸗ fahrtsabgaben sei geeignet, der Kanalvorlage den freihändlerischen Gift⸗ zahn auszubrechen. Es ist ein Irrtum, daß die Ströme nicht der Landwirtschaft dienen. Die Oder befördert gerade vorwiegend Produkte, die der Landwirtschaft zugute kommen. Aehnlich liegt es für die Elbe, die ein Ausfallstor Deutschlands für Zucker ist. Solange die Elbe von den Landwirten benutzt wurde, war den Konservativen die Ab⸗ gabenfreiheit sehr recht. Man lese die „Schlesische Zeitung“ nach. ach den Freiheitskriegen hob das notleidende Preußen die Abgaben uf den natürlichen Wasserstraßen auf, obwohl es dadurch einen Der Minister Budde setzte sich über den Art. 54 mit der Bemerkung hinweg, über die Frage der Einführung der Schiffahrtsabgaben gebe es so viele Meinungen wie Leute, die darüber schrieben, und er erwartete, daß die Rechtsgelehrten einen Ausweg finden, um die Verfassung anders zu interpretieren. Das lich stärkste Stück, das mir vorgekommen ist. Der Professor Laband hat allerdings gesagt, man könne alles
“ ehaupten, wenn man nur den moralischen Mut dazu habe. Es
ar dem Geheimrat Max Peters vorbehalten, sich über die Gutachten der Rechtsgelehrten hinwegzusetzen. Es handelte sich da um Taschen⸗ spielerkünste: erst war es ein Taschentuch, dann ist es ein Kaninchen. Der Abg. Osel vom Zentrum hat damals sich in solchen Interpretationskünsten versucht. Wir haben tatsächlich den Zustand gehabt, daß das kleine Bremen wegen der Unterweser⸗ korrektion eines Gesetzes bedurfte, während das große Preußen auf natürlichen Wasserstraßen Abgaben erhob, ohne eine gesetz⸗ liche Genehmigung einzuholen. Darauf berief sich denn auch der damalige Eisenbahnminister, und er bezeichnete die preußische Regierung als Hort der Verfassung. Das war der reine Hohn. Mein moralisches Inneres bäumt sich dagegen auf, wie gegen die Reichsverfassung verfahren worden ist. Man beklagt sich darüber, daß Deutschland im Auslande nicht das genügende Vertrauen hat. Kann es Vertrauen erwecken, wenn in dieser Weise von Ministern derartige Erklärungen abgegeben werden? Das mußte einen Sturm im Auslande, einen lebhaften Zweifel an der Zuverlässigkeit der preußischen Regierung hervorrufen. Wie unhaltbar der Stand⸗ punkt des Ministers war, zeigt die Tatsache, daß das Gesamt⸗ ministerium schließlich doch die Verfassungsänderung für notwendig hielt. Daß das Gutachten des Reichsjustizamts nicht ver⸗ öffentlicht worden ist, spricht Bände. Es ist merkwürdig, daß es nur zur Information des Reichskanzlers erstattet wurde. Diese Vorlage besiegelt den Sieg der Heiligen und der Ritter, den sie in der preußischen Kanalvorlage erfochten haben. Durch die Vorlage wird auch zugegeben, daß sich die preußische Regierung bisher eines Verfassungsbruchs schuldig gemacht hat. Der Abg. von Erffa hat das im preußischen Landwirtschaftsrat ausdrücklich zugegeben. Er setzte hinzu: Warum sollen wir denn bedenklicher sein, als das anze preußische Staatsministerium? Der Abg. von Pappenheim 18 daß es ohne Zweifel sei, daß so große Aufwendungen für einen Erwerbsstand gemacht würden, ohne daß eine Gegenleistung da wäre. Lesen Sie die Reden sämtlicher Redner, die für die Schiffahrts⸗ abgaben eintreten, so werden Sie nicht finden, daß es erwähnt wird, daß die Stromregulierungen auch anderen Volksteilen zugute kommen. Nirgends ist die Rede von der Notwendigkeit der Re⸗ gulierung, zum Beispiel der Vorflut wegen, also im Landeskultur⸗ interesse. Und das ist der wirkliche Grund für die Abgabenfreiheit! Aber in der ganzen Begründung finden wir nur 4 oder 5 Zeilen über diese grundlegende Frage. Auch sagt man, Preußen könne die Abgaben nicht mehr tragen. Aber was wendet Preußen für den
hein auf? 1 029 000 ℳ! Und diese Summe verzinst sich hundert⸗ mal. Der gesamte Wasserbau in Preußen hat 575 Millionen ge⸗ kostet. Was ist demgegenüber allein an Liebesgaben den Brennereien gegeben worden! Wo bleibt da die Verzinsung dieser Aufwendungen, die der Abg. von Pappenheim im preußischen Abgeordnetenhause für unbedingt notwendig gehalten hat? Warum tragen die Interessenten, also die Anlieger, nicht auch die Kosten für die Stromregulierungen im Interesse der Vorflut? Das müßte nach diesem Grundsatz, den die Konservativen verkündigen, doch auch gefordert werden. Die Zahlenangaben, die die Notwendigkeit der Schiffahrtsabgaben beweisen sollen, beruhen auf einem unerhörten Rechenkunststück. Die Be⸗ gründung der Vorlage nimmt an, daß die Binnenschiffahrts⸗ tatistik etwas absolut Zuverlässiges sei. Meine politischen Freunde sind an sich gar keine Gegner des Gedankens, für Ver⸗ besserungen im Interesse der Schiffahrt Aufwendungen zu machen. Wir meinen einmütig, daß dies auch auf natürlichen Strömen ge⸗ schehen soll, wo ein tatsächliches Bedürfnis für solche Verbesserungen ist, und der Allgemeinheit nicht die Ausgaben zugemutet werden können. Aber in jedem einzelnen Fall könnte man nach dem Vorgang von 1886 an den Reichstag gehen und von ihm verlangen, daß die Ab⸗ gaben erhoben werden dürfen. Etwas anderes ist es aber, wenn man einfach den ganzen Schutz, den die Verfassung den natürlichen Wasser⸗ straßen gegeben hat, überhaupt beseitigt. Es handelt sich jetzt darum, diesen Schutz einseitig den sogenannten privativen Strömen wegzu⸗ nehmen, d. h. denjenigen, die im Alleinbesitz eines Staates sind. Ein Leil meiner Freunde fürchtet, daß ohne dieses Gesetz die Unterhaltung und der weitere Ausbau der Wasserstraßen aufgehalten werden wird, und stimmt deshalb dem Gesetz, wenn auch nicht gerade gern, zu. Aber wir anderen befürchten das nicht und meinen, daß es der Regierung immer noch bleiben würde, den Weg von 1886 in jedem einzelnen Falle zu beschreiten. Die Bauausführungen an der Elbe unterhalb der Havel sind schon im Vorflutinteresse unbedingt nötig, und ich möchte sehen, ob das preußische Abgeordnetenhaus den Mut haben würde, auf die Dauer diese Bauausführung zu verweigern. Wir haben dort schwere Deichbrüche und Ueberschwemmungen gehabt, und die Regierung kann sich auf die Dauer dieser Hochwasserregulierung nicht entziehen. Nun erklärt allerdings ein bedeutender Fachmann die technische Lösung dieser Regulierungsaufgabe nicht für zweckmäßig und glaubt, daß eine gefährliche Absenkung des Wasserspiegels eintreten wird, die nicht nur Gebäude, sondern auch die Landwirtschaft gefährden würde, weil die Befruchtung leiden würde. Im preußischen Abgeordneten⸗ hause und im Reichstag hat man aber immer Wert darauf gelegt, Gelder nur zu bewilligen, wenn ein baureifes Projekt vorliegt. Für die privativen Flüsse, namentlich die Oder, gibt es noch kein baureifes Prcjert für das man die Abgaben erheben kann. Für
die Oder liegen allerdings interessante Vorarbeiten vor, aber ein baureifes Projekt noch nicht. Erst im Dezember erwartet man die Peilungen für die Probestrecke, die auf der Oder gemacht werden soll, und die Peilungen sind die Voraussetzungen dafür, ob auf der Probestrecke etwas erreicht wird. Wenn die Peilungen erst im Dezember erwartet werden, so dauert es noch eine geraume Zeit, bis ein baureifes Projekt vorliegen kann. Ich habe nichts dagegen, wenn dies vorliegt, daß man dann an die Interessenten mit der Frage herantritt, ob sie dafür Schiffahrtsabgaben haben wollen, und daß man dann an den Reichstag herantritt, damit er dem Projekt zustimmt. Aber wenn man vorher schon die Möglich⸗ keit geben soll, Abgaben zu erheben für ein Projekt, von dem wir nicht wissen, ob die Interessenten damit einverstanden sind, so ist das eine Zumutung, die über die Hutschnur geht. Wir haben ja Erfahrungen bei der Oder, wo jetzt die Stauwerke, die man auf einmütigen Wunsch der Interessenten gemacht hat, gänzlich überflüssig sind. Woher nehmen aber die süddeutschen Interessenten die Gewißheit, daß die ihnen versprochenen Bauausführungen auch ausgeführt werden? Es besteht vorläufig bloß der Rahmen für eine Leinwand, auf die später einmal etwas gemalt werden wird; es ist hier ein Bild im Kientopp, das auf eine weiße Fläche geworfen wird. Nach der Vor⸗ lage dürfen nur zu einem verhältnismaßigen Anteil durch Schiffahrts⸗ abgaben aufgebracht werden die Herstellungs⸗ und Unterhaltungs⸗ kosten für Anstalten, die nicht nur zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur Förderung anderer Zwecke und Interessen bestimmt sind. Darüber, ob sie dazu „bestimmt sind“, ent⸗ scheidet die Verwaltung. Das wollen wir nicht haben, und wir be⸗ antragen deshalb, diese Worte zu ändern und dafür zu sagen: „die der Erleichterung usw. dienen“. Die Vorlage traäͤgt die Signatur: Bundesrat, dein Name ist Schwachheit! Und sie ist ein kaudinisches Joch, aufgerichtet von den Blauen und Schwarzen, die ihre Macht benutzen, solange sie noch an der Macht sind. Sie wird nicht den Reichsgedanken stärken, sondern Reichsmüdigkeit und Reichsverdrossen⸗ heit erzeugen. Der Reichstag würde sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er das Gesetz verwürfe. Daß die Racht der Blauen und Schwarzen nicht zum Besten des Reiches dient, werden die bevor⸗ stehenden Reichstagswahlen zeigen.
Abg. Freiherr von Gamp (Rp): Es handelt sich im Grunde genommen hier gar nicht um eine Verfassungsänderung. Nach dem Abg. Gothein soll die Vorlage nur auf dem Papier stehen, gar keine praktische Bedeutung haben. Der Abg. Gothein ist eben immer von Mißtrauen gegen die Regierung beseelt; er ist immer ein prinzipieller Gegner von Vorlagen, und deshalb kann ich auch sein Mißtrauen nicht gerade sehr hoch einschätzen, um so weniger, als sein Antrag eigentlich doch, soweit er berechtigt ist, gegenstandslos ist, und soweit er eine Aende⸗ rung der Vorlage bezweckt, eine unbedingte Verschlechterung involviert. Nach seinem Antrage müßte auf das peinlichste geprüft werden, was von den Ausgaben Schiffahrtszwecken tatsächlich dient. Er würde z. B. sagen, die und die Anlage ist nur dazu da, zu dienen, oder die und die Ausgabe kommt nicht voll der Schiffahrt zugute; so kann man doch nicht prozedieren. Bei seiner Neigung, die Vorschläge der Regierung kritisch zu beleuchten und zu beurteilen, wird er selbstverständlich dazu kommen, zu sagen: diese Aus⸗ gaben dienen nicht der Schiffahrt. Daß die Regierung unter das kaudinische Joch des schwarz⸗blauen Blocks gekrochen sein soll, ist eine Ansicht, die in der Kommission keine Freunde ge⸗ funden hat. Wir sind ja an solche Behauptungen gewöhnt und haben sie auch bei der Fleischnotinterpellation gehört. Was die Vor⸗ lage selbst betrifft, so wird meine Fraktion in ihrer Mehrzahl dafür eintreten. Einer Erweiterung der Vorlage müssen wir einen ent⸗ schiedenen Widerstand entgegensetzen. Völlig unannehmbar ist z. B. für uns die Moselkanalisierung; sie würde eine völlige Verschiebung der Absatzgebiete zwischen Rheinland⸗Westfalen und Elsaß⸗Lothringen herbeiführen. Einen wecen Vorteil von der Moselkanalisation würden nur diejenigen nteressenten haben, die unmittelbar an der Mosel liegen. Wir haben seinerzeit die Frage geprüft und sind zu diesem Ergebnis gekommen. Sollten jedoch Wünsche hervortreten, die Eisenbahnfrachten für lothringische Erze günstiger zu gestalten, so würden wir dagegen prinzipiell nichts einzuwenden haben. Man würde auch einen falschen Weg einschlagen, wenn man die Er⸗ weiterungen, die von anderen Landesteilen gewünscht werden, be⸗ rücksichtigte. Die Kommission hat eine gründliche und tüchtige Arbeit geliefert. Die Opposition ist in einer Weise zu Worte gekommen wie selten; das zeigt auch der Bericht. Ich muß mich aber dagegen erklären, daß der Strombeirat für den Rhein vergrößert wird. Er kann doch nicht etwa 200 Mann umfassen, was der Fall sein würde, wenn man die Anträge annähme. Man sollte es bei der Zahl der Vorlage belassen.
Abg. Hanisch (wirtsch. Vgg.): Mit meinem engeren Freunde aus Sachsen, dem Abg. Gäbel, stehe ich auf dem Standpunkt, daß die Einführung dieser Abgaben sich als außerordentlich schädlich er⸗ weisen muß. Wir teilen durchaus die Auffassung des „Vereinigten Arbeitsausschusses für Rhein, Weser und Elbe“ und sehen namentlich unsere heimische Schiffahrt als schwer bedroht an. Wir verkennen aber nicht, daß die Kommission sich bemüht hat, die Vorlage an⸗ nehmbar zu gestalten und tunlichst Erleichterung zu schaffen. Diese Verbesserungen sind aber für den Abg. Gäbel und mich nicht aus⸗ reichend; wir werden genötigt sein, unser Votum gegen die Vorlage abzugeben.
Württembergischer Staatsminister des Innern Dr. von Pischek: Wie schon in der Kommission, so ist auch heute ausgesprochen worden, daß die Zustimmung der süddeutschen Staaten zu dem Entwurf durch die Gewährung von Sondervorteilen erreicht worden wäre. Es liegt in dieser Redewendung ein Vorwurf oder wenigstens der Bei⸗ geschmack eines Vorwurfs, daß wir unsere bessere Ueberzeugung E. wissermaßen wegen materieller Vorteile preisgegeben hätten. Ein solcher Vorwurf ist durchaus unbegründet. Denn nachdem durch die Formulierung des jetzigen Art. I des Entwurfs und durch die Zu⸗ stimmung des Bundesrats zu diesem Art. I der Art. 54 der Reichs⸗ verfassung ausgeschaltet war, waren für die Stellungnahme Württem⸗ bergs zu dem Entwurf wirtschaftliche und Verkehrsinteressen, nicht ausschließlich, aber natürlich in erster Linie, maßgebend. Daß wir von diesem Standpunkt aus der Erhebung von Schiffahrtsabgaben auf dem Rhein nur dann zustimmen konnten, wenn uns die Vorlage anderweitige überwiegende wirtschaftliche Vorteile verschafft, das versteht sich von selbst. In der Vertiefung der Wasserstraße des Rheins, wodurch sie größeren und stärker beladenen Schiffen zugänglich gemacht wird, liegt für Württemberg ein solcher Ausgleich insolange nicht, als wir genötigt sind, den Rhein hinauf nach Württemberg kommende Waren in Mannheim umzuladen. Insolange das der Fall ist, ist eine etwas größere oder kleinere Tiefe des Rheins für uns ziemlich gleich⸗ gültig, insolange wird der Hauptverkehr stets die Eisenbahnen bevorzugen. Was aber unsere Industrie, die unter besonders schwierigen Konkurrenzbedingungen arbeitet, als eine Lebensfrage bezeichnet, was für unsere auf Viehzucht angewiesene Landwirtschaft im Interesse des Bezuges von Futtermitteln einstimmig verlangt wird, ist eine leistungs⸗ fähige Wasserstraße, wie sie uns nur durch die Neckarkanalisierung ver⸗ schafft werden kann. Das erhalten wir durch die in dem Entwurf zum Vorschlag gebrachte Errichtung einer das ganze Stromgebiet des Rheins umfassenden genossenschaftlichen Gemeinschaft, innerhalb welcher der Ausbau der Wasserstraßen nach Maßgabe des Gesamt⸗ interesses bei gemeinschaftlicher Kostendeckung und Erhebung von Abgaben gewährleistet wird. Wir erblicken in diesem Wege im Gegen⸗ satz zum Abg. Dr. David nicht bloß einen Weg, dem auch die Förde⸗ rung der auf die gemeinsame Wohlfahrtspflege gerichteten Gedanken der Reichsverfassung entspricht, sondern auch einen Weg, der den wirtschaftlichen Interessen sowohl der in dem Verbande vereinigten Gesamtheit, als auch speziell den württembergischen Interessen ent⸗ spricht. Daß durch die Erhebung von Schiffahrtsabgaben die Ge⸗ treidepreise gesteigert werden sollten, glauben wir nicht, denn die Teuerung wird für den ganzen Süden Deutschlands durch die Be⸗ nutzung der Wasserstraßen eher vafhecen, weil eine billigere Fracht in Ansatz kommt als bei der Beförderung durch die Eisenbahn. Ich bin dazu auf Grund der Berechnungen gekommen, die wir in einer unserem Landtage übergebenen Denkschrift niedergelegt haben.
Also das Getreide wird eher verbilligt als verteuert. Ich glaube, daß die Sozialdemokraten in der kommenden Wahlbewegung mit dieser Behauptung nicht viele ernsthafte Fische fangen werden. Ich würde meine Pflicht versäumen, wenn ich nicht besonders für das bundesfreundliche Entgegenkommen Preußens danken würde, das wir von Anfang an erfahren haben. Gerade die Neckarkanali⸗ sierung, die für uns eine Lebensfrage ist, die wir aber nicht allein ausführen können, bietet einen klaren Beleg dafür, daß der dem Entwurfe zugrunde liegende Gedanke des Zusammenarbeitens der gesamten Interessen zu gemeinschaftlicher Förderung der Schiffahrt gesund ist. Ich bin der Ue erzeugung, daß wir durch die Annahme des Entwurfs ein wirksames Mittel für die Förderung unseres nationalen Wirt⸗ schaftslebens schaffen werden.
Abg. von Strombeck (Zentr.): In dem Art. I fehltmeine Definition darüber, was natürliche und was künstliche Wasserstküßen sind. Darum empfiehlt es sich, gemäß meinem Antrage, die Definition von Art. IIIa gleich in Art. I einzufügen. Nun sind allerdings gegen die Definition des Art. IIIa Bedenken erhoben worden, und es ist möglich, daß er abgelehnt wird; aber vorläufig ist er noch vor⸗ handen, und ich möchte doch bitten, meinen Antrag anzunehmen, der auch mit Rücksicht auf die Tarif⸗ und Gebührenfragen von Be⸗ deutung ist.
Direktor im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Wirk⸗ licher Geheimer Oberregierungsrat Peters: Der Abg. Gothein hat in seiner zweistündigen Rede die ganze Ver⸗ gangenheit einer Revision unterzogen, er ist ein ganzes Jahr⸗ hundert zurückgegangen und hat alles ausgegraben, was gegen die Verwaltung spricht. Den verbündeten Regierungen liegt nicht am Streit, sondern an der Verständigung. Es hat also keinen praktischen Zwech, auf diese vergangenen Dinge einzugehen. Wir haben das . etwas Praktisches und Nützliches zu schaffen. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, den der Bundesrat einstimmig angenommen, hat. Damit fallen die meisten Einwände fort. Der Abg. Gothein hat sich auch auf die Historie der Rheinzölle eingelassen. Dagegen muß man aber darauf hinweisen, daß 1850 Holland zuerst seinerseits die Rheinzölle abgeschafft hat. Den Bemerkungen des Abg. Gothein über die Reichsverfassung möchte ich einen Ausspruch eines seiner Fraktionsfreunde, des Abg. Dr. Müller⸗Meiningen, gegenüber⸗ stellen, der die Reichsverfassung einmal als ein 9 otgesetz, als ein überhastetes Gesetz charakterisiert hat. Wie kann der Abg⸗ Gothein der vrfußsischen Regierung einen Verfassungsbruch vorwerfen? Die von ihm kritisierte Statistik über die Rentabilität der Wasserstraßen wird schon seit dem Jahre 1901 aufgestellt, und 1903 hat der Abg. Gothein im preußischen Abgeordnetenhause selbst mit großer Bestimmtheit ausgesprochen, daß diese Berechnung durchaus richtig ist. Der Antrag Gothein ist inkonsequent, er läßt im ersten Satz desselben Absatzes die Worte „bestimmt sind“ stehen, während er im zweiten diese beiden Worte durch „dienen“ ersetzen will. Der Antra Strombeck würde einen Sinn nur haben für den bisherigen Art. 5 der Reichsverfassung, aber im Rahmen der vorgesehenen Aenderungen
“ 1“ 88
ist er überflüssig.
1 Persönlich bemerkt der 6
bg. Gothein (fortschr. Volksp.): Der Ministerialdirektor Peters hat mir vorgeworfen, ich sei hundert Jahre zurückgegangen und hätte aus dieser Zeit alles ausgegraben, was gegen die Ver waltung spräche. Das ist nicht richtig; das Material der Regierung geht auf hundert Jahre zurück, und daran habe ich angeknüpft. Ich habe auch gar nicht bestritten, daß die Holländer die Rheinzölle schon 1850 aufgehoben haben. Ich habe ausgeführt, daß sie in mißbräuchlicher Auslegung der Worte jusqu'à la mer am Ausgange des Rheins einen Zoll erhoben haben.
Schluß nach 6 Uhr. Nächste Sitzung Donnersta g 1 Uhr. (Fortsetzung der Beratung.)
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.
Das Keaiserliche Gesundheitsamt meldet den Ausbruch der Maul⸗ und Klauenseuche vom Schlachthof in Lübeck am 14. und vom Viehhof in Mannheim am 15. November 1911.
Die Generalinspektion für äußeres Gesundheitswesen in Madrid at unter dem 5. d. M. im Hinblick auf die in Marokko auf⸗ getretene Pest folgende weitere Verfügungen erlassen:
örtlichen Gesundheitsinspektionen an Hafen⸗ plätzen, die keine Sanitätsstation besitzen, dürfen keine Schiffe, Passagiere und Waren zulassen, die aus Marokko kommen.
Schiffe sind selbst dann nicht zuzulassen, wenn sie einen „reinen Gesundheitspaß vorzeigen können; sie sind vielmehr auch dann na einer Sanitätsstation zu weisen.
Passagiere dürfen nur gelandet werden, wenn sie ein persönliches Gesundheitsattest vorweisen, Waren ebenfalls nur, wenn die freie Zu⸗ lassung der Sendung durch ein Gesundheitsattest verfügt ist. Solche Atteste sind von einer Sanitätsstation an einem Hafenplatz oder an der b. auszustellen.
(Vergl. „Reichsanzeiger“ vom 13. d. M., Nr. 268.)
Portugal.
Durch eine im „Diario do Governo“ Nr. 262 veröffentlicht Verfügung der Generaldirektion des Gesundheitsamts vom 8. d. M. wird der Hafen von Tanger für seit dem 15. Oktober d. J. von Pest verseucht erklärt. v W
Verdingungen.
(Die näheren Angaben über Verdingungen, die beim „Reichs⸗ und S aats⸗ anzeiger“ ausliegen, können in den Wochentagen in Fessen Expedition während der Dienststunden von 9 bis 3 Uhr eingesehen werden.)
Niederlande.
20. November 1911. Landbouw-vereeniging Ons Belang in Grootelindt, Provinz Südholland: Lieferung von Kunstdünger Die Bedingungen der Lieferung sind gegen Einsendung von zwei Briefmarken zu je 5 Cent bei dem Kassenführer erhältlich.
Belgien.
Bis 20. Dezember 1911. Ministêère des colonies in Brüssel Rue Broderode 10: Eingeschriebene Angebote für den Bau von 30 Wohnhäusern und Anbauten in Elisabethville (Katanga⸗Congo). Bedingungen vom Kolonialministerium.
Bulgarien.
Kreisfinanzverwaltung in Sofia. 12. Dezember 1911: Lieferung von 10 vierachsigen Personenwagen I/II. Klasse, 50 dreiachsigen Per⸗ sonenwagen III. Klasse und 15 zweiachsigen Gepäckwagen, darunter einen nach besonderer Zeichnung, nebst den Reserveteilen für b1 Wagen, für die Generaldirektion der bulgarischen Staatsbahnen. An der Lieferung können sich nur Waggonfabriken beteiligen. Anschlag 1 400 000 Frs. Lieferungsfrist spatestens 30. Juni 1912. Lastenhefte, . und sämtliche Unterlagen sind zum Preise von 40 Frs.
ei der Generaldirektion der bulgarischen Staatsbahnen in Sofia, 6. September⸗Straße, Zimmer Nr. 7, erhältlich
Die Aerzte der