1911 / 272 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Nov 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Der Abg. Günther nennt es einen Fehler des Gesetzes, daß grund⸗ Sih. hn der Abgabenfreiheit gebrochen werde. Wo steht denn die gabenfreiheit geschrieben? Wenn Preußen zum Beispiel die Elbe kanalisiert, so werden Abgaben erhoben. Eine grundsätzliche Abgaben⸗ freiheit besteht nicht. Es handelt sich hier lediglich um eine praktische

Arbeit im Interesse der Angemeinheit.

Königlich baperischer Ministerialrat Dr. Ritter v. Graßmann:

an hat es der baperischen Regierung zum Vorwurf gemacht, daß sie zu dem Schiffahrtsabgabengesetz ihre Zustimmung gegeben habe, ohne daß die vollständige Mainkanalisierung gesichert worden war. Unsere Zustimmung war nach unserer Auf⸗ fassung nicht länger zu verschieben, ohne daß auch bayerische Inter⸗ essen auf das schwerste gefährdet worden wären. Bedingung für unsere Zustimmung war aber die Sicherung eines einheitlichen Tarifs, und zwar in dem Sinne, daß die Autonomie der Einzelstaaten hin⸗ sichtlich der Feststellung des Tarifs ausgeschaltet und an ihre

Stelle die im § 1 vorgesehene Interessengemeinschaft gesetzt wurde.

Cs ist absolut unrichtig, daß die Vorlage eine Stärkung des

Partikularismus bedeute. Gerade in den Stromgebieten wird das

gemeinsame Interesse mit zwingender Gewalt irgendwelchen parti⸗ kularistischen Interessen gegenübergestellt. Es gibt keinen schlagenderen

Deweis für die Schwäche der gegnerischen Argumentation als die Tatsache, daß die Gegner der Vorlage fortwährend auf die Ent

stehung der Vorlage zurückgreifen, bei der agrarische Interessen in

dem Vordergrund gestanden haben sollen. Von schutzzöllnerischen

Zwecken kann nicht im geringsten die Rede sein. Nur die staatliche Geldknappheit hat uns dazu gezwungen, zur Ausführung

dieser großen Bauprojekte auf Abgaben zurückzugreifen. Wir haben

die Vorlage mit der größten Sorgfalt nachgeprüft und können es nicht als richtig anerkennen, daß die Schiffahrtsabgaben den Ruin der

Schiffahrt bedeuten sollen. Auch die Befürchtung ist ungerecht fertigt, daß eine Verteuerung der Frachten derbeigeführt würde. Billige Frachten können nur erzielt werden, wenn die Ströme ver bessert werden. Ueberall, wo jetzt Abgaben erhoben werden, hat man verfolgen können, daß eine Beeinträchtigung der kleinen Schiffahrt durch solche Abgaben nicht eintritt. Durch die Festsetzung der Tarife ist eine Garantie dafür geschaffen, daß die Ahgabensätze nicht 1 erhöht werden können. Eine Erhöhung bis auf das Doppelte kann ja nur eintreten, wenn vom Strombeirat und Verwaltungs⸗ ausschuß die Erhöhung mit je Zweidrittelmehrheit beschlossen worden ist. Diese Voraussetzung ist auch notwendig, wenn der Reichstag einmal dazu kommen sollte, die Sätze um mehr als das Doppelte zu erhöhen. Es ist also immer eine Verständigung zwischen den Strombeiräten und dem Verwaltungsausschuß auf der einen Seite und dem Reichstag auf der anderen Seite nötig. Die Interessenvertretung ist eine ungemein starke Schutzwehr dafür, daß die Abgaben nicht erhöht werden. Es ist richtig, daß wir Bayern in gewissem Maße eine Zurück⸗ stellung unserer Wünsche betätigt haben. Es ist bekannt, daß bei uns in Bavern eine sehr starke Strömung dahin geht, daß die Mainkanalisierung nicht nur bis Aschaffenburg, sondern weiter hinauf geht. Wir haben uns mit schwerem Herzen dazu entschließen müssen, auf die Einstellung dieser weiteren Kanalisierung in das erste Bau⸗ projekt Verzicht zu leisten. Aber wir haben es getan, um das große Werk nicht zu gefährden. Diejenigen Herren, die sich als Gegner dieses Entwurfes bekennen und dagegen stimmen werden, verhindern, nicht nach ihrer Absicht und ihrer Ueberzeugung, aber im Effekt, den Ausbau des deutschen Stromnetzes.

Abg. Stolle (Soz.): Die natürlichen Wasserstraßen sind Nationaleigentum und müssen ebenso abaabenfrei sein wie die Land⸗ straßen, die auch auf Kosten der Allg meinheit unterhalten werden. Entgegen allem, was jetzt über die „nationale“ Bedeutung der Vorlage geredet worden ist, muß daran festgehalten werden, daß die preußische Regierung durch die Agrarier zu ihrem Vorgehen geradezu gezwungen worden ist; wir wissen das ja aus der Erklärung des Ppreußischen Finanzministers Freiherrn von Rheinbaben, ebenso wie des Preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten: ohne Einführung der Schiffahrtsabgaben gibt es keine öffentlichen Mittel für Strom⸗ ausbauten und Flußregulterungen. Der Oeffentlichkeit gegenüber aber wird gesagt: wir in Preußen sind nahezu bankrott, wir haben keinen Pfennig mehr für diese Kulturaufgaben übrig. Dieses Gesetz wird nicht vom Reichstag, sondern vom preußischen Landtag, vom

Junkerparlament gemacht, das dekretiert die A üfhebung der deutschen

Abgabenfreiheit auf den natürlichen Flußläufen. Das siächsische

Wassergesetz legt dem Staate allein die Ausführung der zur Erhaltung

der Schiffbarkeit und des Schiffahrtsbetriebs der Elbe erforderlichen

Arbeiten auf. Der Widerstand Badens, Hessens und Sachsens ist

doch nicht freiwillig, sondern infolge eines von Preußen ausgeübten

Druckes oder Zwanges aufgegeben worden; auf diese „Einstimmig⸗

keit“ des Bundesrats kann man sich also für die Vorlage nicht

berufen. Das jetzige „bundesfreundliche“ Verhältnis zu Bavern und Württemberg hat auch seinen sehr realen Hintergrund; Hreußen brauchte eben noch ein paar Stimmen im Bundesrate, um ja nur die Möͤglichkeit, 14 Stimmen gegen sich zu haben, auszuschließen.

Die Mehrzahl der sächsischen Handelskammern und die Gesamtheit der Kleinschiffer ist mit größter Entschiedenheit gegen die Vorlage. Namentlich die letzteren sehen von der Einführung der Abgaben ihren Untergang voraus, und sie werden doch wohl über die Verhältnisse der Kleinschiffahrt und der Binnenschiffahrt über⸗ haupt besser orientiert sein als der Geheimrat Peters. Wie ist es möglich, daß eine Partei wie das Zentrum, eine Partei, die sich eine „Volkspartei“ nennt, so gleichgültig über die Notlage der Kleinschiffer hinwegschreitet? Auch der Prokurist einer Weltfirma wie der Hamburg⸗Amerika Linie, der gewiß ein Urteil abzugeben be⸗ rechtigt ist, hat konstatiert, daß die Vorlage nicht nur eine schwere Schädigung der Binnenschiffahrt, sondern auch der Seeschiffahrt und des deutschen Exports, also der nationalen Volkswohlfahrt, bedeutet. In der Kommission ist niemand imstande gewesen, diese schlagenden Ausführungen zu widerlegen. Der Bund der Industriellen hat eben⸗ falls beim Reichstag um Ablehnung des Entwurfs petitioniert, des⸗ gleichen stehen die „Vereinigten Arbeitsausschüsse von Rhein, Weser und Elbe“ für die Schiffahrtsabgabenfrage nach wie vor der Vorlage aufs entschiedenste ablehnend gegenüber, wenn sie auch ausgesprochen haben, daß die Kommission die Vorlage verbessert hat: es kann lediglich zu einer Täuschung und Irreleitung der Oeffentlichkeit führen, wenn man daraus, wie es in der Kommission geschah, einen Umschwung zugunsten der Vorlage deduziert. Was nun die außerdeutschen Staaten betrifft, so haben die österreichischen Minister klipy und klar ausgesprochen, daß Oesterreich auf die Abgahenfreiheit auf der Elbe nicht perzichten werde, weil sonst der böhmische Handel und die böhmische Industrie lahmgelegt würden; man werde unentwegt an der Elbschiffahrtsakte festhalten. Der bösterreichische Handelsminister Weiskirchner hat eine Erklärung in demselben Sinne abgegeben. Der Minister von Breitenbach

meinte, man müsse es so machen wie bei den Handelsverträgen, erst.

der Tarif, dann die Verhandlung mit dem Auslande. Hier liegt die Sache aber doch ganz anders. Die Tarife laufen mit einem be⸗ stimmten Termin ab; wir können dem Auslande nicht damit kommen, daß wir sagen: wir haben hier ein Gesetz, und dem müßt ihr zu⸗ stimmen. Diese Zustimmung muß erst durch Kompensationen erkauft werden. Wie kann die Regierung es verantworten, daß wir uns hier 1 417 und Monate hindurch mit einem Gesetz abquälen, und, wenn

die Arbeit fertig ist, sie dann pro nihilo ist? Die Regierung muß boch schon mit den auswärtigen Regierungen Fühlung genommen haben; bat sie das aber, dann heraus mit der Sprache! Man sagt, das Gesetz werde allen Beteiligten zugute kommen, die Ausgaben seien zwar h aber sie würden nachher durch die Vorteile wieder gufgewogen. Nun, die Hamburger Handel kammer hat ein Gutachten erstattet und auch die Hantdelskammer in Dresden ein solches Gut⸗ achten eingebolt. Hat irgendein Wasserbaechniker in der Kommission 7 aat, diese Feststellungen zu entkräften? Ein weiteres Gutachten 3 fe. vog der Handelskammer in Magdehurg vor. Es wird in tiesem Gutachten nachgewiesfen daß eine Vertiefung der Fahrrinne nur bei sehr nierrigem Wasserstande von Nutzen sein würde, und es wird auch auf bie Höhe der Kosten hingewiesen. Kap talisten und Acbeiter, Konservalive und Sozialremoktaten sind in Sachfen einig

gegen die Vorlage. Es soll mit rauher Hand in die Ent⸗ wicklung von Handel und Industrie Sachsens eingegriffen werden. Als Bismarck 1866 in den Verträgen mit Bayern, Baden, Hessen und Sachsen die Abgabenfreiheit auf den deutschen Flüssen garantierte, war das eine nationale Tat, heute sol! es nach dem Minister von Breitenbach ein überlebtes System sein! Eins aber ist richtig: die kon⸗ servative Partei ist gestärkt aus ihrem Kampfe mit der preußischen Regierung hervorgegangen, und sie hat diese gezwungen, ihr Knecht zu sein. (Vizepräsident Schultz rügt den letzten Ausdruck.)

Abg. Graf Praschma (Zentr.): Die Vorlage wird in Grund und Boden schlecht gemacht, als ob der Bund der Ritter und Heiligen das Volk von neuem bedrücken wollte, und der Abg. Gothein hat gestern pathetisch ausgerufen, bei den Reichstagswahlen würde das Volk die Antwort auf diese Bedrückungspolitik geben. Wie sieht denn die Gesellschaft der Ritter und Heiligen, die für dieses Gesetz stimmen, aus? Der Abg. Hausmann und der größte Teil seiner nationalliberalen Freunde wird dafür stimmen, ebenso ein er⸗ heblicher Teil der Fraktionsgenossen des Abg. Gothein, also eine recht hunte Gesellschaft von Rittern und Heiligen. Selbst unter den Freunden des Abg. David sind einige, die vielleicht für das Gesetz stimmen würden, wenn es für das Zustandekommen des Ge setzes darauf ankäme. Wenn also das arme Volk sich bei den Wahlen gegen diese Bedrohung Luft machen wollte, so würde es in arger Ver⸗ legenheit sein, nach welcher Seite es sich Luft machen soll. Der Abg. Gothein sagte, der Bundesrat sei unter dem Druck Preußens schwach geworden, und rief aus: Schwachheit, dein Name ist. Bundesrat. Mich wundert, daß der Aba. Gothein nicht auch seinen Freunden sagt: Euer Name ist Schwachheit. Der Abg Gothein moniert besonders, daß man den sterbenden Reichs⸗ tag noch mit einer so wichtigen Verfassungsänderung befasse, aber b züglich der konstitutionellen Fragen in den jünasten Tagen sind seine Freunde sehr wohl damit einverstanden. In dieser Hinsicht klagen die Freunde der Abgg. Gothein und David immer, daß die Regierung viel zu fest an der Verfassung halte. Der Bundesrat hat es schwer, es diesen Herren recht zu machen. Die Frage, ob hier die Verfassung geändert wird oder nicht, ist ziemlich über⸗ flüssig, wenn alle Bedingungen erfüllt sind, wenn der Bundesrat einstimmig und der Reichstag in seiner Mehrheit sich dafür erklärt hat. Der Abg. David nennt das Gesetz direkt ein Brotverteuerungs⸗ gesetz: er hätte uns doch eine Rechnung aufmachen sollen, um wie viel die Semmeln in Mainz tatsächlich verteuert werden. Es darf aber nicht eine Rechnung nach dem Rezept sein, wie es seine Freunde bei der Wahl unseres jüngsten Mitgliedes diesem souffliert haben. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten: Wo denn?!) In Konstanz. Man muß doch in Gegenrechnung stellen, welche Er⸗ leichterung und Verbilligung des Verkehrs durch die Verbesseérung der Verkehrswege eintritt. Der Aba. David hält es für ungerecht, daß bestimmte Interessenten die Kosten tragen, weil die Verbesserung der Ströme ein Interesse der Allgemeinheit sei. Dann müßten die Kosten doch durch neue Steuern auf die Verbrauchsartikel heraus⸗ gewirtschaftet werden, und dann müßten auch alle Eisenbahnen, alle Meliorationen, alle Chausseen auf die Steuern der Allgemein⸗ heit gelegt werden. Es ist gerade richtig, wenn solche Auf⸗ gaben in erster Linie denjenigen zufallen, die ein Inter⸗ esse daran haben. Dieses Prinzip ist bei den Chausseen z. B. immer bofolgt worden, die nicht aus dem Kreissäckel, sondern durch Präsipualleistungen der Interessenten bezahlt sind. Dieser Meinung sind auch die vernünftigen Interessenten bei den Stromverbesserungen, sie wollen lieber Schiffahrtsabgaben und Strom⸗ verbesserungen, als keines von beiden. Selbst wenn die preußische Regierung den Mut hätte, dem preußischen Landtag Verbesserungen der Oder und der Elbe vorzuschsagen, so wäre es doch fraglich, ob der preußische Landtag ohne Schiffahrtsabgaben seine Genehmi⸗ gung erteilen würde. Für das Kanalgesetz von 1905 ist die Mehr⸗ heit im Landtag dadurch erzielt worden, daß der Paragraph über die Schiffahrtsabgaben hineingeschrieben wurde, und man kann jetzt dem preußischen Landtag nicht zumuten, daß er sich selbst desavouiert. In der Kommission waren verschiedene Anträge gestellt, die die Unterscheidung zwischen den Verbands⸗ und privativen Strömen beseitigen wollten, und es ist jetzt zu Artikel VII wiederum ein solcher Antrag gestellt, wonach die Schiffahrtsabgaben auf den privativen Strömen erst eingeführt werden, sobald sie auch für die Verbandsströme bestehen. Ich habe in der Kommission gegen den Antrag im Interesse des oberschlesischen Industriebezirkes ge⸗ stimmt. Nach den Verhandlungen über die Kanalvorlage balte ich den preußischen Staat für verpflichtet, sobald als möglich die Mittel vom Landtag zu fordern, um die Oderstrecke unterhalb Breslaus vollkommen schiffbar zu machen und daneben auch die Staubecken im Oberlauf auszubauen. Ich hoffe, daß die Regierung mir diese Ansicht bestätigt. Wir sind der Ansicht, daß es sich da um solche Arbeiten im Interesse der Schiffahrt handelt, die bei dem Rhein und der Elbe schon vor langen Jahren gemacht sind, daß also nur frühere Versäumnisse nachgeholt werden, und daß es daher eine Ungerechtigkeit sein würde, wenn diese früber beim Rhein und der Elbe gemachten Arbeiten in die Berechnung der Abgaben nicht einbezogen würden, dies aber mit den erst vorzunehmenden Arbeiten bei der Oder der Fall sein würde, und daß dann ein doppelter Schade für Schlesien einträte. Das ist die materielle Seite. Formell wissen wir aber alle, daß die Regierung nicht eher in der Lage ist, weitere Mittel vom preußischen Landtage für die Arbeiten zu fordern, solange nicht das Schiffahrts⸗ abgabengesetz angenommen ist. Aber wir bauen auf die Erklärung, die seinerzeit der Minister der öffentlichen Arbeiten in Preußen abgegeben hat, daß, wenn die Schiffahrtsabgaben eingeführt werden, sofort dieses Projekt in Angriff genommen wird. Ich hoffe, daß auch diese meine Auffassung von seiten der preußischen Regierung mir hestätigt wird. Darum bin ich aber auch mit den Interessenten der Meinung, daß die Aufnahme der Oder in dieses Gesetz schädlich ist, daß dies eine Sache des preußischen Staates ist. Der Abg. Gothein weiß ja sehr viel, mich wundert es aber nur, daß er wissen will, daß diese Projekte bezüglich der Oder sich tatsächlich in einem derartigen Anfangsstadium befinden, wie er es behauptet hat. Ich möchte an die Vertreter des preußischen Staatsministeriums die Frage richten, ob das richtig ist. Wie ich unterrichtet bin, ist die Frage annähernd spruchreif, und die Vorlage wird in der nächsten Zeit vorgelegt werden können. Nun hat der Abg. Gothein gesagt, was nützt es uns, wenn wir dieses Profekt bekommen, wir wissen ja gar nicht. ob es brauchbar sein wird. Im preußischen Landtage ist ja Gelegenheit, darüber zu reden, auch die Interessenten werden sich äußern, und wenn die Interessenten dagegen sind, dann wird der preußische Landtag schon nicht die erbeblichen Mittel für das Projekt bewilligen. Ich werde dahber für die Vorlage, aber gegen alle weiteren Anträge stimmen, die die Vorlage beschweren wollen. Inwieweit man mit den auswärtigen Staaten ins reine kommt, ist für unsere Gesetz⸗ gebung ganz egal, unsere Position dem Auslande gegenüber wird nur dann verbessert, wenn der Reichstag das vorliegende Gesetz be⸗ willigt.

Preußischer Minister der Breitenbach:

Meine Herren! Es ist die Absicht der preußischen Regierung, nach Verabschiedung des Schiffahrtsabgabengesetzes für den Ausbau der Oder unterhalb Breslau Mittel bei dem preußischen Landtag anzufordern. Ueber den Zeitpunkt, zu welchem dieses ge⸗ schehen wird, kann ich heute keine Mitteilung machen; jedenfalls ist es nicht die Absicht, die Frage auf die lange Bank zu schieben. Wenn der Herr Abg. Gothein meinte, das wären doch nur Illusionen, weil die Projekte in keiner Weise festständen, so hat er eine Behauptung aufgestellt, die er nicht beweisen kann, auch wenn er sich auf die Oderstrombauverwaltung in Breslau beruft. Ich als Chef der Wasserbauverwaltung in Preußen

öffentlichen Arbeiten von

1n] * 88

muß doch wahrlich besser wissen als der Abg. Gothein, wie

die Projekte stehen (sehr richtig! rechts), und ich kann nur sagen, daß sie so weit feststehen, daß wir wissen, daß die Regulierung der Oder unterhalb Breslau einschließlich der Anlage von Staubecken im Oberlauf des Stromes rund 40 Millionen Mark kosten werden. Gerade dieses sehr bedeutsame Projekt, auf das ich nicht näher ein⸗ gehen will, hat mich veranlaßt, bei den Verhandlungen der Kom⸗ missionen darauf entscheidenden Wert zu legen, daß die Bestimmung des Art. VII, wie sie in der ersten Lesung der Kommission gefaßt war dahin gehend, daß nur dann mit der Erhebung der Schiffahrtsabgaben auf den deutschen Strömen vorgegangen werden solle, wenn sie auf sämtlichen Strömen erhoben werden dürften —, hat mich veranlaßt, dagegen anzugehen, weil wir dann absolut gehindert gewesen wären, auf preußischen Strömen oder auch auf der Weser, wo die Beziehungen zum Aus⸗ lande keine Rolle spielen, mit den wesentlichen Verbesserungen, die wir planen, vorzugehen. Um deshalb hat ja auch der Herr Abg. Stolle unter allen Umständen unrecht, wenn er sagt: Warum ist denn der Reichstag mit der Frage befaßt worden? Warum hat denn die Kommission eine große Zahl von Sitzungen abgehalten wenn er sagt: das ist ja alles pro nihilo geschehen. Nein, meine Herren, es ist durchaus nicht pro nihilo geschehen, auch wenn wir noch nicht in der Lage sind, den Termin zu bestimmen, innerhalb dessen wir auf dem Rhein und der Elbe Abgaben erheben können, weil diese Frage von dem Gange der Verhandlungen mit den Auslandsstaaten ab⸗ hängig ist. Aber wir sind durchaus in der Lage, einen ungeheuren Nutzen auf denjenigen Strömen zu schaffen, wo wir nicht durch das Ausland gehindert sind.

Weiter, meine Herren! Herr Graf Praschma hat ja eben aus⸗ geführt: ein Unterhändler, der nicht eine feste Unterlage unter den Füßen hat, ist überhaupt nicht in der Lage, mit Erfolg zu verhandeln.

Das sind die durchschlagenden Gesichtspunkte, auf die in der Kommission hingewiesen worden ist.

Wenn der Herr Abg. Stolle auf eine Redewendung von mir von gestern hinwies ich führte aus, daß der Uebergang von der Ab⸗ gabenfreiheit zur Abgabenpflicht den Uebergang von einem über⸗ lebten Wirtschaftssystem zu einem neuen bedeute —, so opfere ich den Ausdruck ohne weiteres. Es hat damit nichts weiter gesagt werden sollen, als daß im Laufe von drei Jahrzehnten die Verkehrsentwicklung auf unseren Strömen auf allen Verkehrsanstalten eine so außerordentliche, unerwartete, ungemessene gewesen ist, daß die Grundsätze, die vor 30 Jahren für zweckmäßig und nützlich gehalten worden sind, heute nicht mehr Anwendung finden können, daß wir gehalten sind, in unsere Verkehrsanstalten, in die Staatseisenbahnen, aber neuerlich in noch weiterem Maße in die Ströme so erhebliche Kapitalien zu investieren, Kapitalien, an die man vor Jahrzehnten nicht gedacht hat. (Hört! hört! rechts.) Daß wir heute nicht mehr in der Lage sind, mit den Zinsen dieser Kapitalien die Allgemeinheit zu belasten, vielmehr ge⸗ zwungen wurden, daran zu denken, die Zinsen dieser Kapitalien mit zu verteilen auf diejenigen, die in erster Stelle zur Nutzung des Stroms berufen sind das ist doch immer der durchschlagende Ge⸗ sichtspunkt für das Vorgehen der verbündeten Regierungen gewesen, für den Anstoß, den die preußische Regierung gegeben hat. Und eins bleibt nur bestehen da knüpfe ich wieder an die Aeußerung des Herrn Vorredners an —: wir wollen diese Auflage dem Verkehr und den Interessenten nur dann machen, wenn der Verkehr, wenn die Interessenten größere Vorteile haben, als ihnen Lasten auferlegt werden. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Hahn (dkons.): Ich kann die Diskussion nicht fort⸗ setzen, ohne zuvor ein Wort des Dankes an die Abgg. David, Gothein und Stolle gerichtet zu haben für die Art, wie sie die Vorlage be⸗ leuchtet und dem Volke das günstige Urteil darüber erleichtert haben. Sie haben deutlich auf die Wahlen hingewiesen. Der Abg. David sprach von dem Gesetz, das ein neues Glied in der agrarischen Teuerungspolitik sei, es solle mit der junkerlichen Reitpeitsche dem arbeitenden Volke wieder einmal ein Schlag ins Gesicht ver⸗ setzt werden. Zu den 33 ₰ℳ, die jetzt schon in der Fracht von Hamburg hierher stecken, werden, nachdem die verbesserte Fahrrinne geschaffen worden ist, noch ganze 19 hinzukommen. Wir werden dann nicht mehr erleben, daß massenhaft die Schiffer liegen bleiben müssen, daß es noch „versommerte“ Schiffer gibt; die armen Schiffer auf den märkischen Wasserstraßen haben bekanntlich im vorigen Sommer nicht so viel verdient, um ihre Abgaben zu bezahlen. Auf dem Rhein wird ein Betrag von 47 auf die Tonne entfallen, 2 bis 3 per Mille bedeutet das, also doch keine wesentliche Ver⸗ teuerung. Diese Zahlen bitte ich den Abg David auch anzuführen, wenn er im Lande von Brotverteuerunaspolitik durch diese Vorlage redet. Der Abg. David selbst hat auf den Abg. Hausmann hingewiesen und ihn denen zugerechnet, die aus einem Saulus zu einem Paulus ge⸗ worden sind. Ich freue mich, daß der Abg. Hausmann zu einer anderen Auffassung gekommen ist, zu derjenigen, daß für sein Heimat⸗ land Württemberg ein verbesserter Wasserstraßenverkehr nur zu haben ist, wenn die Mittel dafür zu haben sind. Der Abg. Hausmann hat früher von den Schiffahrtsabgaben als von einer Rückkehr zum Pflasterzoll, zum Chausseegeld gesprochen. Gewiß war die Aufbebung des Chausseegeldes ein Fortschritt; aber auch in der Einführung einer Vorwegbelastung von gewissen Fahrzeugen, die die Chausseen ganz besonders in Anspruch nehmen und abnutzen, sieht man heutzutage keineswegs einen Rückschritt. So werden wir uns noch auf vielen Gebieten mit dem Abg. Hausmann zusammenfinden. Einen anderen Saulus, den Abg. Gothein, haben wir leider in seiner Ungläubigkeit verharren sehen. Er ist, soviel ich weiß, geborener Preuße, er hat aber sein Heimatland sehr schlecht behandelt; er hat ihm Egoismus vorgeworfen. Ich bedauere, daß er wieder die Reichsverdrossenbeit ins Feld ge⸗ führt hat; dann könnte jeder, der lokale Wünsche hier vorzutragen hat, dasselbe Argument gebrauchen. Ich glaube auch im Gegenteil, daß diese Vorlage im Reichstage Sympathien gewonnen hat. Der Abg. Gothein sagte, alle Verbesserungen der Flüsse seien notwendig wegen der Vorflut. Ich habe nie gehört, daß ein Zentrumsredner oder ein konserpativer Redner je gesagt hätte, daß diese Verbesserungen lediglich im Schiffahrtsinteresse zu machen wären. Wir haben nur gesagt, daß diese Verbesserungen sowohl im Schiffahrtsinteresse wie im Meliorationsinteresse zu machen wären. Ich könnte Ihnen dafür eine große Zahl von Beispielen anführen. Die Verbesserungsarbeiten haben sogar vielfach zu einer Schädigung der Meliorationen geführt. Der jetzige Ausbau der Rheinrinne war notwendig im Interesse der Montanindustrie. Der Abg. Gothein rechnete nach, was alles aus⸗ gegeben sei für Wasserbauten, und er hat in Gegenrechnung gestellt, was alles ausgegeben sei an Liebesgaben für die Agrarier. Da könnte man auch ausrechnen, welche Vorteile die haute finance von dem hohen Reichsbankdiskont gehabt hat. Die sogenannten Liebesgaben sind doch nur eingeführt, um die süddeutschen Kleinbrenner zu er⸗ halten. (Lebhafter Widerspruch links.) Hören Sie doch mit dem alten Märchen auf! Was die Getreidezölle betrifft, so hat der Abg. Heim einmal nachgewiesen, daß alle Landwirte von 2 ha an in seiner Heimat ein Interesse an diesen Zöllen haben. Ich muß diese Dinge erwähnen, weil mit Rücksicht auf die Wahlen darauf hingewiesen worden ist: seht, das schlucken alles die unersättlichen Agrarier. Abg. Gothein, Sie sind durchschaut! Sind denn die Agrarier es gewesen, die 1899 den Mittellandkanal aus agrarischen Gründen ab⸗ gelehnt haben? Die Sorge um den schlesischen Bergbau usw. war

mitbestimmend. Wir haben geglaub

mWmid. 1; wir haben in Schlesien schon böse Erfahrungen gemacht. Ich erinnere hier an die Versprechungen bei dem Dortmund⸗Ems⸗Kanal. Ich war

ie großen wirtschaftliche schiebungen durch den Kanal nicht verantworten zu können; darum haben Agrarier und Industrielle zusammengestimmt. Die schlesische Industrie sollte gegen die Ruhrindustrie geschützt werden. Heute liegt es im allgemeinen Interesse, die Ueberlegenheit der südwestlichen Industrien nicht noch weiter zu verstärken durch Kanalisierung der Mosel. Auch die Rücksicht auf die Arbeiter und die Geschäftsleute war mitwirkend, daß wir der vorgeschlagenen Moselregulierung nicht zugestimmt haben. Hierin unterscheiden wir uns von dem Abg. Bassermann. Es ist begreiflich, daß er sich für die Mosel⸗ kanalisierung ins Zeug gelegt hat. In seiner Haltung in diesem Fall und der Haltung seiner Freunde in der Ruhrfrage liegt aber eine Unstimmigkeit, und ich hoffe, daß er aus nationalen Gründen seinen Antraß zurückziehen wird.

Abg. von Strombeck (Zentr.) verzichtet aufs Wort.

Abg. Dr. Frank⸗Mannheim (Soz.): Wenn es dem Abg. Hahn mit seiner Beredsamkeit nicht gelungen ist, seine eigenen Freunde zu überzeugen, so muß seine Sache nicht eine gute sein. Warum hat er seine sächsischen Freunde nicht überredet? (Zuruf: Die Sachsen sind zu helle!) Diesen Vorwurf kann ich dem Abg. Hahn nicht machen. Die Väter und Urgroßväter der Abgaben haben sich von diesen versprochen, daß das Einfallstor für aus⸗ ländisches Getreide geschlossen werde, und wenn wirklich nur ganz geringe Auflagen infolge der neuen Abgaben erhoben werden, so ist doch zweifellos, daß auch bei solchen geringen „Abgaben der Verkehrsradius nach der Schweiz hin sehr erheblich verkürzt wird. Sachsen und Baden haben offiziell erklärt, daß die Folge dieser Vor⸗ lage ein Sinken des Vertrauens in die deutsche Reichs⸗ und Rechts⸗ einheit sein würde. Der Abg. Hahn sah sich nach Hilfe auf der Linken um und fand sie glücklich bei dem Abg. Hausmann. Der Abg. Hausmann hat es ehrlich verdient, daß Dr. Hahn sich auf ihn berief. Dieser konnte mit Recht sagen, daß es un⸗ zulässig sei, Interessen einer bestimmten Provinz den Interessen der gesamten Volkswirtschaft voranzustellen; man dürfe die Saar⸗ und Ruhrindustrie nicht einseitig bevorzugen. Dieser Vorwurf trifft mit aller Wucht den Abg. Hausmann und seine Freunde. Einen mildernden Umstand kann der Abg. Dr. Haußmann für sich an⸗ führen. (Abg. Hausmann: Ich bin nicht Doktor!) Dann werden Sie vielleicht Ehrendoktor wegen Ihrer Verdienste um die Schiff⸗ fahrtsabgaben! Die neue Ueberzeugung des Abg. Haußmann ist durch den Druck entstanden, den das preußische Abgeordnetenhaus ausübte. Wir wehren uns entschieden dagegen, daß unser Widerstand als verkehrs⸗ feindlich bezeichnet wird. Wenn man der Rechten die Sorge für den Verkehr überläßt, so heißt das, den Füchsen die Sorge für den Enten⸗ stall anvertrauen. Der Abg. Graf Praschma hat die Politik der Ritter und Heiligen als nicht vorhanden hinstellen wollen. Es ist nicht richtig, daß die Anschauungen des Abg. Schmidt von uns ihm souffliert worden seien. Der Vorgänger des Abg. Schmidt, der Zentrumsabgeordnete Hug, ist ebenfalls ein Gegner der Schiffahrts⸗ abgaben gewesen! Es ist angedeutet worden, daß auch in meiner Fraktion Herren seien, die eventuell für das Gesetz stimmen würden. Ich kenne die Herren nicht. Meine Freunde sind der Meinung, daß dieses Gesetz wirtschaftlich und politisch ein Unglück ist. Auf diesem Wege machen wir nicht mit.

Abg. Dr. Zehnter (Zentr.): Ich wollte Ihnen nur meinen Antrag zur Annahme empfehlen.

Abg. Gothein (fortschr. Volksp.) (mit Heiterkeit und Un⸗ ruhe empfangen): Wenn es Ihnen nicht paßt, dann gebe ich Ihnen anheim, das Lokal zu verlassen. Aber nachdem so viele Angriffe gegen mich gerichtet worden sind, muß ich doch etwas erwidern. Der Abg. Winckler hat davon gesprochen, daß ich persönliche Angriffe auf den Ministerialdirektor Peters gerichtet hätte. Ich habe den Namen Peters überhaupt nur an einer Stelle erwähnt, wo ich eine Aeußerung von ihm voorrgelesen babe. In der Regel wird ein Gesetzentwurf von den Ministern vertreten und nicht von einem Ministerialdirektor. Aber wenn ein Ministerial⸗ direktor unter die Schriftsteller geht, so muß er sich auch gefallen lassen, daß er kritisiert wird. Dieses Recht werde ich mir nicht nehmen lassen, auch wenn der Abg. Winckler Glossen darüber macht. Wenn der Abg. Winckler sagt, Peters stehe turm⸗ hoch über dem Angriff, so sind es doch die Angriffe von Laband und Geheimrat Bach, die ich gegen ihn angeführt hatte. Dem Abg. Grafen Praschma bemerke ich, daß der Unwillen gegen dieses Gesetz sich hauptsächlich gegen die Urgroßväter dieses Gesetzes richtet, die im preußischem Abgeordnetenhause sitzen. Er hat nicht gemerkt, daß meine Bezugnahme auf die Schultzesche Rede über die Ver⸗ fassungsänderung ironisch gemeint war. Graf Praschma hat auch gegen mich als Schlesier polemisiert. Er sagt, daß wir durch unsern

AIntrag eine schwere Schädigung des Ausbaus des Oderstromes herbei⸗ 9 II gung

führen. Wir müssen doch erst abwarten, wie das Proj kt aussehen Ich bin nicht so vertrauensselig wie Graf Praschma; denn

ja nicht so dumm, solche Versprechungen zu glauben; aber es gibt immer Leute, die.. vertrauensselig genug dazu sind. Der Minister hat gesagt, daß er noch keine bestimmte Mitteilung über den Zeit⸗ punkt der Einbringung der Gesetzesvorlage über die Verbesserung der Oder machen könne; in demselben Atemzuge aber sagte er, er müsse besser wissen als ich, wie das Projekt aussehe. Ich habe mich

informieren lassen und habe getan, was in meinen Kräften stand, um mich zu orientieren, und habe gestern hier nach den Auskünften

gesprochen, die mir vom Oderstrombauamt gemacht worden sind. Der Abg. Dr. Hahn hat auf sein preußisches Herz hingewiesen; ich

war schon Preuße, ehe Dr. Hahn nach Preußen kam, ich hänge an

meinem Preußen mit Begeisterung. Aber gerade darum fordere ich, daß Preußen seinen Versprechungen, die es in großer Zeit gemacht hat, nicht untreu wird. Mit seinen Ausführungen über die Liebesgabe wird Dr. Hahn niemand im Lande überzeugen, weder die Freunde, denn es sind Augurn, die sich anlächeln, noch die Gegner. Den hohen Diskont an den Haaren herbeizuziehen bekommt nur er fertig. Der Abg. Hahn hat mit Zahlen operiert, die er sich vom Bundesratstisch kurz vorher geholt hat. Ich möchte ihn bitten, das in Zukunft nicht so offensichtlich zu tun. Abg. Haußmann (fortschr. Volksp.): Der Abg. David hat mich als Goliath behandelt und seine Steine nach mir geworfen, und der Abg. Hahn hat mich als einen Paulus angesehen. Diese Art der Polemik entspricht nur der Verlegenheit. Wenn Sie auf das zurückgehen, was ich vor sechs Jahren gesagt habe, dann haben Sie nicht viel zu sagen. Man hat uns zu Unrecht vorgeworfen, daß wir parti⸗ kularistische Politik treiben. Die Hindernisse einer einheitlichen Be⸗ handlung liegen doch in den Rivaliläten der einzelnen Bundesstaaten. Es gilt abzuwägen, was von den verschiedenen Gesichtspunkten das Entscheidende im gegenwärtigen Augenblick sein muß. 1905 war die schärfste Abwehr gegen die damalige Politik nötig. Gegen die damalige Politik hat Bayern die schärfste Opposition ge⸗ macht. Ich bin in der angenehmen Lage, Ihnen aus dem, was im vorigen Jahre hier gesprochen wurde, nachzuweisen, daß ich niemals auf den törichten Standpunkt getreten bin, die Abgaben an sich für einen Vorteil zu erklären; ich habe sie immer für einen Nach⸗ teil gehalten. Ich sagte damals, ich befände mich in der Zwangs⸗ lage, ein gutes volkswirtschaftliches Ziel durch ein unvolkstümliches Mittel erreichen zu müssen. Das ist auch heute ein richtiger Steandpunkt. Seit einem Jahre ist doch die Hoffnung, daß der Staat für die Binnenschiffahrt größere Mittel verwenden werde, nicht größer, sondern geringer geworden. Daraus folgt, daß wir uns bemühen mußten, den Entwurf zu verbessern. Schon vorher war unsere Opposition gegen ein falsches Prinzip stark genug, die Re⸗ gierung zu einer neuen Grundlage zu veranlassen oder zu zwingen. In der Kommission ist es tatsächlich gelungen, den Entwurf noch weiter zu verbessern. Ich kann mich in dieser Beziehung berufen auf die Gegner der Vorlage, auf die vereinigten Ausschüsse für Rhein, Weser und Elbe, auf verschiedene Handelskammern, die an⸗ erkennen, daß die Kommission in einer Reihe wertvoller Beschlüsse wichtige Bedenken praktischer Art beseitigt hat, wodurch der Ent⸗

stalt erhalten hat. Diese Vor⸗ teile sind nicht zu unterschätzen. Di Kommission hat zweck⸗ mäßig und fleißig gearbeitet, wobei ich dis Verdienste der Gegner nicht herabsetzen will. Auch die konstitutionellen Ver⸗ besserungen des Entwurfs fallen ins Gewicht. Der Reichstag hat den Schlüssel für die Tarife in der Hand behalten. Die Württemberger sind es keineswegs die aus Eigennutz hier Politik machen. Es licgt ein einheitliches Interesse großer Gebiete vor. Die Schwaben leiden, wenn sie an etwas leiden, an einer über⸗ großen Bescheidenheit. Das Reich hat sich bisber noch niemals mit einem wirtschaftlichen württembergischen Interesse zu beschäftigen gehabt.

Damit schließt die Diskussion über die Art. I und IIIa.

Es folgen persönliche Bemerkungen der Abgg. Dr. Hahn (dkons) und Graf Praschma (SZentr.). 1

Der Abg. von Strombeck (Zentr.) hat inzwischen seinen Antrag zurückgezogen. ö

In der Abstimmung wird zunächst der Antrag Oeser⸗ Gothein, der im Artikel I Absatz 1 statt der Worte: „die Herstellungs⸗ und Unterhaltungskosten von Anstalten, die nicht nur zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur Förderung anderer Zwecke und Interessen bestimmt sind“ usw., dahin ändern will, daß die letzten Worte lauten: „sondern auch der Förderung anderer Zwecke und Interessen dienen“ usw. gegen die Stimmen der Sozialdemo⸗ kraten, des größten Teils der fortschrittlichen Volkspartei und

wurf eine verkehrsfreundlichere

eines Teils der Nationalliberalen abgelehnt.

Art. I wird in der Kommissionsfassung gegen dieselben Stimmen angenommen, Art. IIIa abgelehnt.

Darauf wird um 6 ½ Uhr die weitere Beratung auf Freitag, 1 Uhr, vertagt. Außerdem: zweite Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend Abänderung des § 114a der Ge⸗ werbeordnung, zweite Lesung des Hausarbeitsgesetzes. 8

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Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten.

(Aus den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts Nr. 46 ECCEEqqqöa)“

8 Pest. 8

Aegypten. Vom 28. Oktober bis 3. November wurde 1 Er⸗ krankung aus Saff (Prov. Gtzeh) gemeldet.

Britisch Ostindien. In der Woche vom 24. bis 30. Sep⸗ tember erkrankten in Indien 10 533 und starben 7906 Personen an der Pest. Von den Todesfällen kamen 5418 auf die Präsident⸗ schaft Bombay (davon auf die Städte Bombay und Karachi 11 und 1), 601 auf die Zentralprovinzen, 567 auf die Präsident⸗ schaft Madras, 518 auf den Staat Mysore, 271 auf Hyder⸗ abad, 270 auf Zentralindien, 146 auf Bengalen (davon 6 auf die Stadt Kalkutta), 76 auf die Vereinigten Pro⸗ vinzen, 23 auf Burma (davon 15 auf die Stadt Rangun), 8 auf Rajputana mit Ajmer Merwara, 7 auf das Punjab⸗ gebiet und 1 auf Coorg.

Brasilien. Im Krankenhause Sao Sebastiao zu Rio de Janeiro befanden sich am 18. Oktober noch 2 Pestkranke; doch war seit einem tödlich verlaufenen Pestfalle vom 5. Oktober keine neue Erkrankung mehr in der Stadt gemeldet.

Pest und Cholera. Britisch Ostindien. In Kalkutta starben vom 17. Sep⸗ tember bis 7. Oktober 14 Personen an der Pest und 38 an der

Cholera. Cholera.

Oesterreich⸗Ungarn. In Ungarn wurden vom 29. Ok⸗ tober bis 4. November 15 Erkrankungen in 3 Komitaten fest⸗ gestellt, in Kroatien⸗Slavonien vom 22. bis 30. Oktober

in 4 Gemeinden des Komitats Sriem (Syrmien). Im öste rreichischen Staatsgebiete dagegen waren vom 30. Oktober bis 5. November keine neuen Erkrankungen zu verzeichnen.

Italien Vom 22. bis 28. Oktober kamen in 20 Provinzen 196 Erkrankungen und 89 Todesfälle zur Anzeige. Es erkrankten (starben) in den Provinzen: Bergamo 2 (1), Genua 3 (2), Venedig 2 (6), Rovigo 4 (—), Forli 1 (—), Rom 6 (—) davon 2 (—) in der Stadt Rom —, Foggia 7 (7), Bari 11 (2), Avellino 1 (—), Neapel 4 (2), Salerno 1 (—), Catan⸗ iaro 1 (—), Messina 16 (2), Palermo 10 (2) davon 5 (1) zun der Stadt Palermo —, Girgenti 34 (19), Caltanissetta 61 (34), Catania 5 (2) davon 3 (1) in der Stadt Catania —, Syrakus 11 (5); ferner auf der Insel Sardinien in den Provinzen Cagliari 14 (3) und Sassari 2 (2).

Frankreich. In Marseille wurde am 30. Oktober ein neuer Cholerafall festgestellt.

Rußland. Zusolge dem amtlichen Choleraausweise Nr. 15 sind vom 15 bis 21. Oktober 11 Erkrankungen (und 6 Todesfälle) gemeldet, davon in der Stadt Rostow am Don 2 (—), sonst im

ongebiet 4 (3), in den Gouv. Bessarabien 1 (—) und Saratow 3 (3), ferner in der Stadt Noworossysk 1 (—).

Durch nachträgliche Meldung aus dem Gouv. Saratow hat sich die 8 der Erkrankungen (und Todesfälle) der Vorwoche um 4 (1) erhöht.

Rumänien. Nach amtlichen Ausweisen sind in der Zeit vom 23. bis 29. Oktober folgende Neuerkrankungen (und Todesfälle) fest⸗ gestellt worden: in den Bezirken Tulcea 5 (2), Konstantza 3 (3), Jalonitza 2 (—), Braila 6 (2) und Covurlui 4 (2). Am 29. Oktober war ein Bestand von 21 Kranken und 121 Bazillen⸗ trägern vorhanden.

Serbien. Vom 15. bis 28. Oktober sind nach den amtlichen Ausweisen 32 Neuerkrankungen, davon 19 mit tödlichem Verlaufe, vorgekommen.

Bulgarien. Die Stadt Sosopol ist zufolge Mitteilung vom 30. Oktober für cholerafrei erklärt worden.

Zufolge Mitteilung vom 4. November befand sich damals im Lande kein Cholerakranker mehr; alle anläßlich des letzten Cholera⸗ falls angeordneten besonderen Maßnahmen sind aufgehoben worden.

Malta. Bis zum 2. November einschließlich sind 45 Fälle von Magendarmkatarrh, darunter 25 mit tödlichem Verlaufe, festgestellt worden; 9 dieser Fälle haben sich bakteriologisch als Cholera erwiesen. Ler erfolgte in dem Zeltlager der Flüchtlinge aus Tripolis.

Tunesien. Nach amtlichen Ausweisen sind in der Zeit vom 27. September bis 13. Oktober insgesamt 1207 Erkrankungen (und 847 Todesfälle) an der Cholera festgestellt worden, davon 83 (47) in der Stadt Tunis und 6 (3) in Biserta.

Philippinen. Im September sind in der Provinz Union 21 Personen an der Cholera erkrankt und davon 18 gestorben.

Gelbfieber.

Es gelangten zur Anzeige in Manaos vom 24. bis 30. Sep⸗ tember 2 Todesfälle, in Pernambuco vom 1. bis 15. September 1 Todesfall, in 4 Ortschaften von Eeu ador im September 10 Er⸗ krankungen (und 4 Todesfälle), davon in Guayaquil 5 (2), ferner in Honolulu am 21. Oktober 1 —), in Merida vom 1. bis 13. Oktober 5 (2) und in Caracas vom 10. bis 23. September 4 (—).

Pocken. Hongkong. Vom 17. bis 30. September 3 Erkrankungen,

1.““

Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 5. bis 11. November wurde 1 Erkrankungsfall in Bittkow (Landkreis Kattowitz, Reg.⸗ Bez. Oppeln) sestgestellt. Oesterreich. In Galizien vom 29. Oktober bis 4. November 1 Erkrankung. Lugxemburg. Vom 7. bis 21. Oktober 1 Erkrankung in Hob⸗ scheid im Kanton Capellen.

Genickstarre.

Preußen. In der Woche vom 29. Oktober bis 4. November 144“ gemeldet worden in folgenden Regierungs⸗

ezirken sund Kreisens: Arnsberg 2 (Iserlohn Stadt], Oppeln 2 [Kattowitz Stadt), Posen 1 [Meseritzs.

Spinale Kinderlähmung. Preußen. In der Woche vom 29. Oktober bis 4. November sind 3 Erkrankungen (und 2 Todesfälle) gemeldet worden in fol⸗ genden Regierungsbezirken lund Kreisen]: Landesvolizeibezirk Berlin 1 (Berlin”, Reg.⸗Bez. Arnsberg (1) (Gelsenkirchen Land], Schleswig 1 (Eiderstedt!, Wiesbaden 1 (1) ([(Frankfurt

a. M. Stadt]. Verschiedene Krankheiten.

b Pocken: Paris 1, Warschau 2 Todesfälle; Paris 5, St. Peters⸗ burg 2, Warschau (Kranfenhäuser) 11 Erkrankungen; Varizellen: Nürnberg 22, St. Petersburg 26, Wien 77 Frkrankungen; Fleckfieber: Odessa 2, St. Peteréburg 1 Erkrankungen; Rückfallfieber: St. Petersburg 1 Erkrankung; Genickstarre: New York 3 Todesfälle; Nürnberg 1, New York 3 Erkrankungen; Milzbrand: Reg.⸗Bezirke Düsseldorf, Potsdam, Schleswig je 1 Er⸗ krankung; Trichinose: Reg.⸗Bez. Marienwerder 1 Todesfall, 2 Er⸗ krankungen; Influenza: Berlin 4, London 5, Moskau 2, New York, Odessa Paris je 1, St. Petersburg 3 Todesfälle; Nürnberg 23, Kopen⸗ hagen 40, Odessa 45 Erkrankungen; Körnerkrankheit: Reg.⸗Bez. Allenstein 58 Erkrankungen; spinale Kinderlähmung: Stockholm 1 Todesfall. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln (Durchschnitt aller deutschen Berichtsorte 1895/1904: 1,10 %): in Aachen, Gera Erkrankungen wurden gemeldet in den Reg.⸗Bezirken Cassel 59. (Lengenthal, Kreis Hofgeismar), Posen 50 (davon 49 in Bukowiec, Kreis Neutomischel), in Nürnberg 33, Lübeck 50, Hamburg 100, Budapest 183, Kopenhagen 22, New York 76, Odessa 49, Paris 39, St. Peters⸗ burg 105, Wien 139; desgl. an Diphtherie und Krupp (1895/1904: 1,62 %): in Bremen, Erfurt, Schöneberg Erkrankungen wurden angezeigt im Landespolizeibezirk Berlin 385 (Stadt Berlin 262), in Breslau 30, in den Reg.⸗Bezirken Arnsberg 126, Düsseldorf 110, Frankfurt 121, Magdeburg 164, Merseburg 131, Potsdam 198, Schleswig 185, in Hamburg 134, Budapest 37, Christiania 28, Kopenhagen 45, London (Kranken⸗ häuser) 171, New York 179, Paris 45, St. Petersburg 54, Stock⸗ holm 22, Wien 70, desgl. an Keuchhusten in Gleiwitz, Lübeck, Oberhausen Erkrankungen gelangten zur Meldung in Kopenhagen 45, New York 35; desgl. an Typhus (1895/1904: 0,46 %): in Borbeck, Bottrop Erkrankungen gelangten zur Anzeige in den Reg.⸗ Bezirken Arnsberg 32, Düsseldorf 175, Erfurt 33, Merseburg 38, Münster 114, in Budapest 41, New York 90, Odessa 41, Paris 86, St. Petersburg 85, Warschau (Krankenhäuser) 21; ferner wurden Erkrankungen gemeldet an Scharlach im Landespolizeibezirk Berlin 333 (Stadt Berlin 245), in den Reg.⸗Bezirken Arnsberg 284, Breslau 115 (Stadt Breslau 78), Cöln 107, Düsseldorf 280, Potsdam 176, Schleswig 101, in Nürnberg 39, Hamburg 70, Budapest 107, Christiania 24, Edinburg 25, Haag (1. bis 7. November) 34. Kopenhagen 45, London (Krankenhäuser) 269, New York 65, Odessa 36, Paris 70, St. Petersburg 60, Prag 28, Rotterdam (1. bis 7. November) 21, Warschau (Krankenhäuser) 24, Wien 126. 8

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Handel und Gewerbe.

(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und Industrie“.)

Absatz elektrischer Artikel nach Britisch Indien.

Einrichtungen für Kanalisation, Wasserleitung und Gas⸗ oder elektrische Beleuchtung gibt es in Indien nur in den größten Städten und auch dort nur in den neueren Stadtteilen. In Bombay z. B. haben die neuen Etagenwohnungen und Bureaus elektrisches Licht und elektrische Windfächer, zum Teil auch schon elektrische Aufzüge, Wasserleitung und Badeeinrichtungen mit feststehenden emaillierten Wannen und Wasserklosetts. Auf dem Lande, in den kleineren Stationen und in älteren Häusern der größeren Städte ist von alledem nichts zu finden.

Elektrische Lampen sind in der indischen Statistik nicht be⸗ sonders aufgeführt. Nach der deutschen Statistik bewertete sich die Ausfuhr Deutschlands an elektrischen Glühlampen nach Indien in den letzten 3 Jahren auf 54 000, 165 000 und 110 000 ℳ. 1.

Kaum weniger wichtig, als die Beleuchtung, ist in einem indischen „bungalow“ die Sorge für genügenden Luftzug Wo elektrische Kraft vorhanden ist, befinden sich in jedem Zimmer an der Decke rotierende Windfächer. Auch kleine elektrische tragbare Fächer, die durch einen umsponnenen Draht mit der Leitung in Verbindung stehen, sind vielfach im Gebrauch.

Ein großes Absatzgebiet hat sich für elektrische Maschinen und Installationen durch das im Bau begriffene große Stau⸗ werk eröffnet, das von der Firma Tata finanziert wird und dazu be⸗ stimmt ist, die nahezu 3 Millionen Spindeln und über 40 000 Web⸗ stühle der Stadt Bombay mit elektrischer Kraft zu versorgen. Es ist anzunehmen, daß im Laufe der nächsten Jahre ein großer Teil der Bombayer Spinnereien und Webereien zum elektrischen Betriebe über⸗ gehen wird. (Aus einem Bericht des Kaiserlichen Konsulats in

Wagengestellung für Kohle, Koks und Briketts am 16. November 1911:

Oberschlesisches Revier Anzahl der Wagen

11“ Ruhrrevier

27 715 10 190

1 152

Gestellt. Nicht gestellt.

Die diesjährige Verbandsversammlung der Hauptstelle deutscher Arbeitgeberverbände findet am 9. Dezember in Berlin ssatt. Auf der Tagetordnung stehen der Bericht des Geschäfts⸗ führers, Syndikus Dr. Tänzler⸗Berlin, der sich mit den wichtigsten Vorgängen des Jahres innerhalb der Arbeitgeberverhände beschäftigen wird, und ein Bericht des Generalsekretärs Steller Cöln über Streik⸗ postenstehen und Arbeitswilligenschutz.

Ueber eine zweifelhafte ausländische Firma in Kiew (Agent) sind den Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin Mitteilungen zugegangen. Vertrauenswürdigen Interessenten wird im Zentralbureau der Korporation, Neue Friedrichstraße 51 1, an den Werktagen zwischen 9 und 3 Uhr mündlich oder schriftlich nähere Auskunft gegeben.

Nach einer durch „W. T. B.“ übermittelten Meldung der Kaiserlich russischen Finanz⸗ und Handelsagentur ergab der Wochenausweis der Russischen Staatsbank vpedin 14. No⸗ vember d. J. folgende Ziffern (die eingeklammerten Zisfern entsprechen den gleichen Positionen des neuen Bilanzformulars der Staatshank

davon 2 in der Stadt Viktoria, mit 3 Todesfällen.

bezw. den Ziffern der Vorwoche), alles in Millionen Rubel: