1912 / 1 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 02 Jan 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Nummer 73 des Reichsgesetzblatts enthält unter Nr. 3999 die Bekanntmachung, henesffat das Verfahren vor dem Kaiserlichen Aufsichtsamte für rivatversicherung im Falle des § 1321 Abs. 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung, vom 20. Dezember 1911, und unter Nr. 4000 die Bekanntmachung, betreffend die Kündigungs⸗ bestimmungen des Handels⸗ und Schiffahrtsvertrages und des

gehörigen Zollabkommens zwischen dem Deutschen Reiche und

apan vom 24. Juni 1911, vom 27. Dezember 1911. Berlin W., den 30. Dezember 1911. Kaiserliches 11“ 8 rüer. 8

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: den bisher als Hilfsarbeiter im Ministerium für Land⸗ wirtschaft, Domänen und Forsten b Landstallmeister und Dirigenten des Hauptgestüts Trakehnen Burchard von Oettingen zum Oberlandstallmeister in diesem Ministerium, den bisher als Hilfsarbeiter im Ministerium für Land⸗ wirtschaft, Domänen und Forsten beschäftigten Regierungs⸗ und Baurat Thoholte aus Potsdam zum Geheimen Baurat und nortragenden Rat in diesem Ministerium sowie die Regierungsräte Kallien in Breslau und Ueber⸗ schaer in Cassel zu Oberregierungsräten zu ernennen, dem Landgerichtsrat a. D. Koester in Bonn den Charakter als Geheimer Justizrat zu verleihen, dem Geheimen Registrator beim Evangelischen Ober⸗ kirchenrat, Rechnungsrat Julius Scheithauer in Tempelhof die nachgesuchte Entlassung aus seinem Amte mit Pension und zunter Verleihung des Charakters als Geheimer Rechnungsrat zu erteilen, dem Landgerichtssekretäur Schönrade bei dem Land⸗ gericht I Berlin und dem Polizeisekretär Gustav Herrmann in Berlin, dem Letztgenannten anläßlich seines Scheidens aus dem Dienste, den Charakter als Rechnungsrat und dem Geheimen Kanzleisekretär bei der Oberrechnungskammer Kemnitz aus Anlaß seines Uebertritts in den Ruhestand den Charakter als Kanzleirat zu verleihen sowie 1 der Wahl des Oberlehrers Dr. Heinrich Egbring an dem städtischen Gymnasium nebst Realgymnasium in Münster i. W. zum Direktor des in der Entwicklung begriffenen Realgymnasiums naebst Realschule in Altenessen die Allerhöchste Bestätigung zu erteilen und lhe der von der Stadtverordntenversammlung und den unbesoldeten Mitgliedern des Magistrats in Hanau getroffenen Wahl den Fabrikanten Karl Glaser daselbst als Ersten unbe⸗ soldeten Beigeordneten der Stadt Hanau für die gesetzliche Amtsdauer von sechs Jahren zu bestätigen.

Ministerium für Handel und Gewerbe.

Versetzt worden sind:

. zum 1. Januar 1912 der Gewerbeassessor Schmidt in enei nach Lingen zur Verwaltung der dortigen Gewerbe⸗ inspektion,

8 zum 15. Januar 1912 der Gewerbeinspektor Dr. Brandes in Gleiwitz nach Oppeln unter Verleihung der etatmäßigen Sctelle eines gewerbetechnischen Hilfsarbeiters bei der dortigen

Regierung, .

8 zum 1. Februar 1912 der Gewerbeassessor Dr. Syrup in Dhüsseldorf⸗Stadt nach Gleiwitz zur Verwaltung der dortigen Gewerbeinspektion,

8 zum 1. März 1912 der Gewerbeassessor Wehlmann in Osnabrück nach Berlin zur Verwaltung der Gewerbeinspektion Berlin S.,

zum 1. April 1912 die Gewerbeassessoren Dr.⸗Ing. Hesse in Frankfurt a. M.⸗Land nach Osnabrück, Dr. Schwantke in

Dortmund nach Halle a. S., Dr. Tittler in Halle a. S. nach Ratibor, Dr.⸗Ing. Siemonsen in Görlitz nach Frankfurt a. M.⸗Land, Bollmeyer von Berlin 8. nach Schweidnitz, Schirmer von Breslau⸗Land nach Potsdam, Emmel von Oppeln nach Dortmund, Winter⸗

hager von Schweidnitz nach Merseburg, Gebhardt von

eisse nach Cassel, Ahrens von Hagen nach Berlin N.,

Blaudszun von Merseburg nach Breslau⸗Land, Marczi⸗ nowski in Ratibor nach Hagen i. W., Uthemann von

Berlin N. nach Neisse, Salm von Potsdam nach Kiel, Utsch von Kiel nach Görlitz, Goeldner von Cassel nach Vohwinkel

und Grimm von Berlin O. nach Oppeln.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. 16“

Der Gestütssekretär Wilhelm Rohde aus Pr. Stargard st zum Geheimen expedierenden Sekretär und Kalkulator im Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten ernannt worden.

Die Oberförsterstellen Lautenburg im Regierungs⸗ bezirk Marienwerder und Seelzerthurm im Regierungs⸗ bezirk Hildesheim sind zum 1. April 1912 zu besetzen. Be⸗ werbungen müssen bis zum 1. Februar 1912 eingehen.

16

Ministerium des Innern. 1“

Der Stadtassistenzarzt Dr. Rühs aus Barmen ist zum Kreisarzt ernannt und mit der Verwaltung des Kreisarztbezirks Kreis Goldap beauftragt worden.

Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten be dem Medizinaluntersuchungsamt in Gumbinnen ist zu

esetzen.

Die Diphterieheilsera mit den Kontrollnummern

1112 bis 1142, geschrieben: „Eintausendeinhundertzwölf bis Eintausendeinhundert⸗ zweiundvierzig“, aus den Höchster Farbwerken,

223 bis 229, geschrieben: „Zweihundertdreiundzwanzig bis Zweihundertneun⸗ undzwanzig“ aus der Merckschen Fabrik in Darmstadt,

8 164 bis 172, eschrieben: „Einhundertvierundsechzig bis Einhundertzweiund⸗ siebzig“ aus dem Ruete⸗Enoch in Hamburg, 230, geschrieben: „Zweihundertunddreißig“ aus der Fabrik vormals E. Schering in Berlin sind vom 1. Januar 1912 ab wegen Ablaufs der staatlichen Gewährdauer zur Einziehung

8

Dem Oberregierungsrat Kallien in Breslau ist die

Stelle des Oberregierungsrats für das Stempel⸗ und Erbschafts⸗ steuerwesen bei der Oberzolldirektion in Altona a. E. und

dem Oberregierungsrat Ueberschaer in Cassel die Stelle des Oberregierungsrats für die allgemeine Verwaltung der Zölle und indirekten Steuern bei der Oberzolldirektion in Cassel verliehen worden.

Das Katasteramt Frankfu II im Regierungs⸗ bezirk Wiesbaden ist zu besetzen.

Oberrechnungskammer.

„. Der bisherige Regierungskanzlist Gantzer aus Potsdam ist zum Geheimen Kanzleisekretär bei der Königlichen Ober⸗ rechnungskammer ernannt worden.

8

Bekanntmachung. Aus der Dr. Hermann Günther⸗Stiftung hat durch

Beschluß des Lehrerkollegiums der Königlichen akademischen Hochschule

für die bildenden Künste mit Zustimmung des Kuratoriums der ge⸗ nannten Stiftung der Studierende der Hochschule, Maler b Willy Schomann aus Parchim ein Stipendium von 1398 für das Jahr 1912 verliehen erhalten. Charlottenburg, den 1. Januar 1912. 8 Der Vorsitzende des Kuratoriums der Dr. Hermann Günther⸗Stiftung. 8 A. von Werner, Direktor der Königlichen akademischen Hochschule für die bildenden Künste.

Bekanntimehhung. Den Markscheidern Walter Schmidt zu Zabrze O. S.

und Paul Wabner zu Altwasser ist von heute ab die Bel

g

ugnis zur selbständigen Verrichtung von Markscheiderarbeiten füg den Umfang des preußischen Staates erteilt worden. Breslau, den 27. Dezember 1911. Königliches Oberbergamt. Schmeißer.

In der Fünften Beilage zur heutigen Nummer des „Rei und Staatsanzeigers“ ist eine Genehmigungsurkunde, betreffend eine Anleihe der Stadt Magdeburg, ver⸗ öffentlicht.

Aichtamtliches. Deutsches Reich

Preußen. Berlin, 2. Januar.

Seine Majestät der Kaiser und König nahmen heute vormittag im hiesigen Königlichen Schlosse den Vortrag des Chefs des Militärkabinetts, Generals der Infanterie Frei⸗ herrn von Lyncker entgegen. 8

hre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin, Allerhöchstwelche gestern morgen zur Neujahrsfeier vom Neuen Palais bei Potsdam im hiesigen Königlichen Schlosse einge⸗ troffen waren, nahmen, „W. T. B.“ zufolge, bald nach der Ankunft in der Schwarzen Adlerkammer die Glückwünsche des Königlichen Hauses und im Kapitelsaal die der Hofstaaten entgegen. Vorher hatte Seine Majestät der Kaiser und König den kommandierenden General des XVIII. Armeekorps, General der Infanterie von Eichhorn und den Generalkapitän der Schloß⸗ und Leibgarde, General der Kavallerie von Scholl empfangen. Um 10 Uhr fand in der Schloßkapelle Gottesdienststatt, an dem außer den Majestäten, den Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen

Hauses und den hier eingetroffenen Fürstlichkeiten die Mit⸗

glieder des hohen Adels, der Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg, die Bevollmächtigten zum Bundesrat, die General⸗ feldmarschälle und 1“ die Generalität und Ad⸗ miralität, die Ritter des Schwarzen Adlerordens, die Kom⸗ mandeure der Leibregimenter, die aktiven und inaktiven Staats⸗ minister, die Staatssekretäre, die Präsidien des Landtags und die Räte der obersten Klassen teilnahmen. Nach dem Gottes⸗ dienst begaben Sich die Majestäten in feierlichem Zuge nach dem Weißen Saal zur Entgegennahme der Gratu⸗ lationsdefiliercour. Danach empfing Seine Maäjestät der Kaiser und König die Glückwünsche der Botschafter, des Staats⸗ ministeriums und der kommandierenden Generale und Admirale, mit denen sich die Generalfeldmarschälle und Generalinspekteure, der Kriegsminister, der Chef des Generalstabes, der Staats⸗ sekretär des Reichsmarineamts und der Chef des Admiral⸗ stabes u. a. vereinigt hatten. Um 12 ¾ Uhr begab Sich Seine Majestät, begleitet von Ihren Königlichen Hoheiten den Prinzen Eitel⸗Friedrich, August Wilhelm, Oskar und Joachim und den Herren des Hauptquartiers, zu Fuß nach dem Zeughaus zur Paroleausgabe und kehrte darauf nach dem Königlichen Schloß zurück, wo Frühstückstafel stattfand. Später fuhr Seine Majestät der Kaiser bei den Botschaftern vor und wohnte Abends mit Ihrer Majestät der Kaiserin, den Prinzen und Prinzessinnen der Festvorstellung im Königlichen Opernhause bei.

Der Geheime Postrat und vortragende Rat im Reichs⸗ postamt Braun ist am 30. Dezember 1911 um 10 Uhr Vormittags, 2 Tage vor Vollendung seines 55. Lebensjahres, am Herzschlag verstorben. Der Heimgegangene trat 1877 in den höheren Dienst der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung, wurde 1902 zum Post⸗ rat und 1909 zum Geheimen Postrat und vortragenden Rat er⸗ nannt. In dem Entschlafenen verliert die Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung einen Beamten von hervorragender Be⸗ gabung, vorbildlicher Hingebung an seinen Beruf und ausge⸗ zeichneten Fachkenntnissen. Sein Hinscheiden wird von seinen Vorgesetzten und Mitarbeitern um so schmerzlicher empfunden, als Braun ein Mann von herzgewinnendem Wesen und lauterster Gesinnung war. Sein Andenken wird dauernd in Ehren gehalten werden. 1

Unterm 28. Dezember 1911 hat der Justizminister eine allgemeine Verfügung, betreffend die Bekäm fung des Handels mit unzüchtigen Schriften, 2 e. und Darstellungen, erlassen, die, wie folgt, lautet:

Auf Grund des internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen vom 4. Mai 1910 (Reichs⸗ gesetzbl. S. 209) ist als deutsche Zentralstelle zur Erfüllung der in Artikel 1 und 3 des Abkommens bezeichneten Aufgaben das Polizeipräsidium in Berlin bestellt worden, bei dem eine Zentralnachrichtenstelle unter der Bezeichnung „Zentralpolizei⸗ stelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder und Schriften“ in Wirksamkeit getreten ist (Bekanntmachung des Reichs⸗ 1911 Zentralblatt für das Deutsche

dei 8 —).

„Die Staatsanwaltschaften haben der Zentralpolizeistelle eine Ab⸗ schrift der den Registerbehörden nach den bestehenden Vorschriften zu übersendenden Strafnachrichten mitzuteilen, wenn die Verurteilung wegen eines Vergehens gegen § 184 Str.⸗G.⸗B ergangen ist, dessen Tat⸗ bestandsmerkmale einen internationalen Charakter haben (Artikel I Ziffer I des Abkommens vom 4. Mai 1910). Hierunter sind im Sinne des Abkommens nicht nur solche Vergehen gegen § 184 Str.⸗G.⸗B. zu verstehen, deren eigentliche Tatbestandsmerkmale auf verschiedene Länder entfallen, sondern auch solche, deren Tatbestand zwar ganz im Inland erfüllt ist, die aber doch etwa im Hinblick auf die Persönlichkeit des Täters oder auf begleitende Umstände der Tat eine internationale Bedeutung haben. Ob hiernach Veranlassung vorliegt, der Zentralpolizeistelle eine Abschrift der Strafnachricht zwecks Mitteilung an die Vertragsstaaten zu übersenden, haben die Staatsanwaltschaften in jedem einzelnen Falle zu prüfen; auch haben sie, sofern der inter⸗ nationale Charakter der Straftat sich nicht schon aus dem Inhalte der Strafnachricht z. B. aus dem Umstande, daß der Verurteilte im Auslande wohnhaft ist ergibt, zu erwägen, inwieweit der für die Zentralpolizeistelle bestimmten Abschrift ein er⸗ läuternder Zusatz zu geben sein wird. Die bestehenden Vorschriften über die Mitteilung von Strafnachrichten an ausländische Regierungen, wenn der Verurteilte ein Ausländer ist (vgl. Müller, Just.⸗Verwaltung, 6. Auflage S. 1268 ff.), werden hierdurch nicht berührt.

Die Zentralpolizeistelle vermittelt auch die Uebersendung von Denkschriften an ausländische Behörden zwecks Herbeiführung der Bestrafung im Auslande lebender Händler wegen Verbreitung von unzüchtigen Schriften usw. Ziffer 11 5 der Rundverfügung an die Oberstaatsanwälte vom 22. Oktober 1910, I. 5262, wird dahin ab⸗ eügdert. daß die Staatsanwaltschaft beim Landgericht 1 in Berlin olche Denkschriften unmittelbar an die Zentralpolizeibehörde zur weiteren Veranlassung zu senden hat. Eine sachliche Nachprüfung der Denkschriften durch die Zentralpolizeibehörde findet nicht statt.

8 Dieser Verfügung des Justizministers ist der nachstehende Organisationsplan der Zentralpolizeistelle zur 9 .. unzüchtiger Bilder und Schriften bei⸗ gefügt:

I. Zur wirksamen Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild wird beim Königlichen Polizeipräsidium in Berlin eine Zentral⸗ polizeistelle errichtet.

Sie führt die amtliche Bezeichnung: „Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder und Schriften in Berlin“. Ihre Telegrammadresse ist: „Polunbi“.

II. Ihre Zuständigkeit umfaßt die Wahrnehmung:

„a. der orts⸗ und landespolizeilichen Befugnisse des Polizei⸗ präsidenten in Berlin auf dem Gebiete der Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild,

zc, h. der über das Gebiet der orts⸗ und landespoltzeilichen Befug⸗ nisse hinausgehenden preußisch⸗ und reichspolizeilichen Aufgaben na näherer Vorschrift dieses Planes,

c. der Geschäfte der in Artikel I des internationalen Abkommens vom 4. Mai 1910 über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen vorgesehenen Behörde.

III. Die Zentralstelle beobachtet:

8

a. die Herstellung, den Vertrieb, das Feilbieten und Vorrätig⸗“ halten unzüchtiger, dem Gesetz über die Presse unterliegender Erzeug⸗”9

8

nisse einschließlich der kinematographischen Films im Gebiete des Deutschen Reichs,

b. den Handel mit unzüchtigen figürlichen Darstellungen i Gebiete des Deutschen Reichs,

c. die Ein⸗ und Ausfuhr der zu I und II genannten Gegenstände über die Zollgrenze. 1

Diese Beobachtung erfolgt durch regelmäßige Durchsicht und

Lektüre verdächtiger Schriften, Ankauf geeigneter verdächtiger Zeit⸗ schriften und Witzblätter, Prüfung der im Anzeigenteile dieser Blätter erscheinenden Ankündigungen sowie der Kataloge und Prospekte solcher Verleger und Händler, die sich mit dem Vertrieb unzüchtiger Bilder und Schriften befassen, ferner durch Inanspruchnahme der am gegen die öffentliche Unsittlichkeit beteiligten Behörden des Reichs. IvV. Die Zentralstelle sammelt die bei der Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild gemachten Erfahrungen. 5

V. Auf Grund ihrer Tätigkeit zu III und IV führt die Zentral⸗ stelle Verzeichnisse und Sammlungen unzüchtiger Bilder, Schriften,

Darstellungen und Verzeichnisse der am Vertriebe beteiligten Personen.

Die am Kampfe gegen die öffentliche Unsittlichkeit beteiligten

Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft beim Landgericht I in Berlin überweisen der Zentralstelle geeignete Gegenstände, soweit sie

im eigenen Dienstgebrauch entbehrlich sind, insbesondere die zur Ver⸗

nichtung bestimmten unzüchtigen Presseerzeugnisse einschließlich der

kinematographischen Films.

VI. Die Zentralstelle sammelt die auf die Bekämpfung unsittlicher Schriften und Bilder sich beziehenden gerichtlichen Erkenntnisse, soweit

sie grundsätzlicher Natur sind.

Desgleichen sammelt sie die einschlägige ausländische Gesetzgebung

gemäß Artikel I Ziffer 3 des Abkommens vom 4. Mai 1910. . 18 VII. Aus dem zu III bis VI gewonnenen Material erteilt die

Zentralstelle allen öffentlichen Behörden des Reichs Rat und Auskunsft.

Die Auskunftserteilung an ausländische Behörden erfolgt nach Artikel 1 Nr. 2 des Abkommens vom 4. Mai 1910.

Die Auskunftserteilung an nichtamtliche Stellen bleibt der Ent⸗ scheidung der Zentralstelle von Fall zu Fall vorbehalten.

VIII. Die Zentralstelle leitet die ihr nach Artikel 3 des Ab⸗ kommens vom 4. Mai 1910 zugehenden Strafnachrichten an die in Artikel I a. a. O. angegebene ausländische Behörde weiter.

IX. Die Zentralstelle ist befugt, direkt an alle bei der Be⸗ kämpfung des Schmutzes in Wort und Bild beteiligten Behörden des Reichs Ersuchen und Anträge zu richten. Dies gilt insbesondere 8 den Anträgen auf Einleitung einer Durchsuchung und Beschlag⸗ nahme. X. Die Zentralstelle und die Staatsanwaltschaft beim Land⸗ gericht I in Berlin werden in enge Fühlung zueinander treten. Die nähere Ausgestaltung dieser Beziehungen bleibt der Vereinbarung beider Behörden überlassen.

XI. Meinungsverschiedenheiten, die sich aus der Handhabung der vorstehenden Bestimmungen ergeben, wird die Zentralstelle dem preußi⸗ schen Minister des Innern vortragen, der seinerseits mit dem zustaͤndigen preußischen Ressortchef, der beteiligten Landesregierung oder dem Reichskanzler ins Benehmen tritt, je nachdem eine preußische, eine andere bundetstaatliche oder eine Reichsbehörde beteiligt ist.

XII. Der Zentralstelle bleibt es überlassen, im Rahmen ihrer Befugnisse und der ihr zur Verfügung stehenden Mittel in den geeignet erscheinenden Fällen die gewerblichen Berufsorganisationen des Buch⸗ und Kunsthandels, die gemeinnützigen Sittlichkeits⸗ und Volkswohlfahrtseinrichtungen sowie Privatpersonen in ihren der Be⸗ kämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit gewidmeten Bestrebungen zu unterst itzen und sich ihrer Mitwirkung und ihres Rates zu bedienen. Das Entsprechende gilt für den Verkehr mit der Presse; dieser können

Nachweise über die Tätigkeit der Zentrale von Zeit zu Zeit mitgeteilt

werden, soweit dies ohne Gefährdung der Zwecke der Strafverfolgung ““ 11“

1“

Nachdem der bisherige Kaiserliche Geschäftsträger in Kristiania, Erbgraf von Schlitz genannt von Görtz, am 29. v. M. verstorben ist, werden bis zur Ankunft des neu⸗ ernannten Gesandten, Graf Oberndorff, die Geschäfte der Ge⸗ sandtschaft in Kristiania von dem dortigen Kaiserlichen General⸗ konsul, Legationsrat Freiherrn von Speßhardt geführt.

Bayern.

m gestrigen Neujahrstage wohnte Seine König⸗ liche Hoheit der Prinz⸗Regent, dessen Befinden sich nach Meldungen des „W. T. B.“ wesentlich gebessert hat, der Messe in der alten Hofkapelle bei und empfing später die General⸗ und Flügeladjutanten zur Gratulation. In Ver⸗ tretung Seiner Königlichen Hoheit des Regenten nahmen Ihre Königlichen der Prinz und die Prinzessin Ludwiß am Nachmittage die Glückwünsche des diplomatischen Korps entgegen. Im An⸗ schluß daran fand zu Ehren der in München anwesenden diplomatischen Vertreter Hoftafel statt, bei der Seine König⸗ liche Hoheit der Prinz Ludwig im Auftrage seines Vaters auf die Oberhäupter derjenigen Staaten einen Trinkspruch aus⸗ brachte, die bei der Tafel vertreten waren. Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz⸗Regenten sind auch in diesem Jahre von Ihren Majestäten dem Kaiser Wilhelm und der Kaiserin Auguste Victoria, dem Kaiser von Oester⸗ reich, sämtlichen Bundesfürsten und anderen Souveränen sowie vom Papst herzliche Neujahrsglückwünsche zugegangen.

Oesterreich⸗Ungarn

Der Kaiser Franz Joseph, dessen Befinden laut Meldung des „W. T. B.“ ausnehmend gut ist, empfing gestern vormittag zunächst den Thronfolger allein und sodann die Erzherzöge Peter Ferdinand, Leopold Salvator, Friedrich und Rainer zur Entgegennahme ihrer Glück⸗ wünsche zum Jahreswechsel.

Die Mitglieder der ungarischen Regierungs⸗ partei begaben sich gestern in corpore zum Ministerpräsi⸗ denten Grafen von Khuen⸗Hédervary, um diesem und seinen Kollegen ihre Neujahrswünsche zu übermitteln. Der Ministerpräsident fücne⸗ obiger Quelle zufolge, in Erwiderung auf die Ansprache des Redners der Partei, des ehemaligen Justizministers Plosz, aus:

Die nächste Aufgabe der Regierung sei, die Arbeitsfähigkeit des zu sichern, und zwar mit gesetzlichen Mitteln, aber mit olchen, durch die dieses Ziel erreicht werden könne. Der Minister⸗ präsident dankte für die bisherige ÜUnterstützung der Partei und erbat diese auch für die W“ die Haltung der Partei gegenüber der Obstruktion habe allgemeine Sympathie und Billigung in allen Schichten der Nation gefunden. Die vollständige Solidarität zwischen der Regierung und der sie unterstützenden Partei bilde die Garantie für die Verwirklichung des liberalen Programms der Regierung.

Die Rede wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

Frankreich.

Der Präsident Fallières empfing gestern nachmittag das diplomatische Korps, dessen Doyen, der britische Botschafter Bertie, die Glückwünsche zum Jahreswechsel aussprach. Der Präsident wie der Botschafter drückten, wie „W. T. B.“ meldet, den Wunsch aus, daß das internationale Schiedsgericht sich weiter entwickeln und in allen internationalen Streitfällen eine friedliche Lösung herbeiführen möge. Bei den weiteren Empfängen im Elysée wies der Vizepräsident des Staatsrats in einer Rede auf die patriotischen Anstrengungen hin, die die Regierung im Dienste des Vaterlandes ge⸗ macht habe, um dem lofasghgeig Frankreichs einen neuen Zuwachs und neuen Glanz zu verleihen. Der Präsident der Handerskammer von Paris erklärte, die Welt der Arbeit habe die patriotischen Beklemmungen der Regierung geteilt und sei glücklich über die Lösung, die die Würde des Vaterlandes in keiner Weise berühre und zur Vermehrung des Einflusses Frankreichs in der Welt beitrage, indem sie dem nationalen neue Absatzgebiete auf dem alten Boden Afrikas eröffne.

Zu Beginn der Sitzung der Senatskommission zur Prüfung des deutsch⸗französischen Abkommens am Sonnabend verlas der Ministerpräsident Caillaux den angekündigten Brief Cruppis, der obiger Quelle zufolge nach⸗ stehenden Wortlaut hat:

In meinen mit unserm Botschafter in Berlin im Juni gepflogenen Unterhaltungen habe ich nie eine Frage berührt, die nicht im Ministerrat geprüft worden wäre, und keine meiner Unterhaltungen mit Jules Camvon hat sich in irgend einem Augenblick auch nur an⸗ deutungsweise auf die Möglichkeit von territorialen Kompensationen oder eines Austausches am Conoo oder anderswo bezogen, in der Art, wie die Kompensation, für die wir seither die Verantwortung auf uns genommen haben. Die Instruktionen, die ich dem 1— gegeben habe, die Jules Cambon in seinen Briefen ausdrücklich bestätigt hat und die in den amtlichen Telegrammen wiedergegeben sind, hatten aus⸗ schließlich auf die Ausdehnung unserer militärischen Operationen in Marokko Bezug. Die Anschauungen und Absichten, denen ich Aus⸗ druck gegeben habe und auf die unser Botschafter angespielt hat, be⸗ zogen sich ausschließlich, wie mir Jules Cambon soeben bestätigt hat, auf die laufenden wirtschaftlichen und handelspolitischen Fragen, d. h. auf die Eisenbahnen in Marokko und auf Zollschwierigkeiten, deren Regelung meine Verbalnote vom 29. Mat zum Ziele batte. Ich habe mein Bedauern ausgedrückt, daß die Besprechungen, zu denen diese Fragen Anlaß gegeben hatten, unterbrochen worden sind, und habe unserem otschafter empfohlen, zu versuchen, die deutschen Absichten zu erforschen. Was die sogenannten „Ideen“

anbetrifft, die vielleicht auf eigene Verantwortung hin in der Kissinger

Unterredung formuliert worden sind, so werden sie durch den folgenden Satz gekennzeichnet, der den eigentlichen Schluß seines am 22. Junt, d. h. am Tage vor dem Sturz des Ministeriums Monis, von Cambon geschriebenen Briefes bildet, der am folgenden Tage in meine Hände gelangt ist. „Diese Ideen sind neu; ich werde sie meiner Regierung unterbreiten, da ich nach Paris gehe“.

Der ehemalige Ministerpräsident Méline richtete an die Regierung eine Anfrage bezüglich der zukünftigen Orga⸗ nisation Marokkos und führte etwa folgendes ans:

Es sei unerläßlich, die Regierung über die wirtschaftliche und

milltärische Organisierung des marokkanischen Protektorats zu befragen.

Zunächst müsse geprüft werden, in welcher Weise ein Protektorat ein⸗ gerichtet werden könne, mit dem internationale Fragen verknüpft seien. Die Einnahmen eines Protektoratlandes beruhen auf Zöllen und nneren Steuern. In Marokko würden die Zölle für das Budget

nichts ergeben, und für die Steuerleistung kaͤmen nur eineinhalb

Millionen Marokkaner in Betracht. Noch wichtiger sei die Frage der militärischen Organisierung. Gegenwärtig stehen in

arokko 54 000 Mann. Man müsse wissen, welcher Art die etwa von der Regierung geplante Expedition sein werde, und ob die Wiederbesetzung Marokkos nicht die nationale Verteidigung schädige. General Billot habe seinerzeit als Kriegsminister festgestellt, daß eine bloße Säuberungsexpedition nach Algerien, bei welcher es sich nicht um Eroberungen, sondern lediglich um den Schutz dieses Landes handle, 25 000 Mann und 60 Millionen Franes erfordere.

Ribot erinnerte daran, daß er die Regierung um Auf⸗ schluß ersucht habe über die Möglichkeit, das Abkommen mit Deutschland und den Protektoratsvertrag mit dem Machsen gleich⸗ eitig zur Abstimmung zu bringen. Die Kommission beauftragte

oincaré, der Regierung alle von Méline und Ribot angeregten Fragen vorzulegen und alle Schriftstücke und Aufschlüsse über die Vergangenheit, soweit sie nützlich scheinen sollten, zu fordern. Zu Beginn der Sitzung hatte der Ministerpräsident Caillaux die Regierung entschuldigt, daß sie nicht in der Lage sei, ihre Mitteilungen vor der Kommission in dieser Sitzung fort⸗ zusetzen, da sowohl er wie seine Kollegen an der Debatte über das Finanzgesetz in der Kammer teilnehmen müßten. Am 9. Ja⸗ nuar sollen die Sitzungen der Kommission wieder aufgenommen werden.

Die Deputiertenkammer hat am Sonnabend den Etat von 1912 im ganzen mit 425 gegen 79 Stimmen an⸗ genommen und ferner mit 401 gegen 77 Stimmen die Be⸗ willigung eines provisorischen Budgetzwölftels be⸗ schlossen.

Der Senat hat am Sonnabend ein provisorisches Budgetzwölftel angenommen. Dann wurde die Tagung des Parlaments geschlossen.

Rußland.

Der Kaiser und die Kaiserliche Familie sind vor⸗ gestern abend in Zarskoje⸗Sselo eingetroffen.

Der Reichsrat hat am 30. vorigen Monats die Gesetzesvorlage, betreffend Verstaatlichung der Warschau⸗ Wiener Bahn, in der Fassung der Duma einstimmig an⸗ genommen und den Weeich nach einer sofortigen Anpassung des Gleises an das Normalgleis ausgesprochen.

Nach dem Berscht des „W. T. B.“ über den Verlauf der Sitzung hob der Ministerpräsident Kokowzow die Vorteilhaftigkeit des An⸗ kaufs gerade im gegenwärtigen Augenblick hervor, wo der Barbestand des Staatsschatzes eine Rekordziffer von 528 Millionen Rubel erreicht habe und nach Abzug der für die Hilfsaktion im Notstandsrayon be⸗ stimmten Summen immerhin ein Barbestand von 350 Millionen Rubel übrig bleibe. In Erwiderung auf die Bemerkung des Mitglieds des Reichsrats Schebeko, daß die Auslandsaktionäre durch die Verstaatlichung der Warschau⸗Wiener Eisenbahn Verluste erleiden könnten, erklärte der Ministerpräsident, die Berechnung sei auf Grund der Einnahmen gemacht, die die Bahn vor dem Bau der Kalisch⸗Bahn hatte. Im Auslande sei wegen dieser Angelegenheit zu viel Lärm geschlagen worden; in Deutschland habe sich sogar ein Schutzkomitee der Aktionäre gegen den russischen Fiskus gebildet. Dieses Komitee führe einen Feampf gegen den russischen Finanzminister und scheue sogar vor Drohungen nicht zurück. Der Ministerpräsident erklärte bestimmt, durch solche Drohungen werde man sich nicht beeinflussen lassen. Die russische Regierung sei stets ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen. Die Aktionäre der Bahn würden das erhalten, worauf sie unantastbares Anrecht be⸗ säßen. Wenn die Regierung sich in der Berechnung geirrt haben sollte, was er jedoch bestreite, so sollten die Aktionäre diesen Fehler nachweisen. Die Regierung werde dann unverzüglich bei den gesetz⸗ geberischen Körperschaften vorstellig werden, die dann weitere An⸗ weisungen erteilen würden, um die Aktionäre zu befriedigen.

Italien. Der König und die Königin empfingen gestern die Ritter des Annunciatenordens, die Minister und Abordnungen aller staatlichen Körperschaften, um deren Glückwünsche zum neuen Jahre entgegenzunehmen. Die Präsidenten des Senats und der Kammer erinnerten, wie „W. T. B.“ meldet, in ihren Ansprachen an die Fünfzigjahrfeier Italiens und an die aus diesem Anlaß dargebrachten Sympathiekundgebungen aller fremden Nationen; sie erwähnten ferner den Krieg in Tripolis, betonten die Wichtigkeit der Einmütigkeit in den Gefühlen des Landes und wünschten den siegreichen italienischen Waffen end⸗ gültigen Triumph. Der König dankte und zog die Mitglieder der einzelnen Abordnungen ins Gespräch.

Aus Anlaß des Jahreswechsels sind, der „Agenzia Stefani“ zufolge, zwischen dem Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg und den Ministern des Aeußern Grafen von Aehren⸗ thal und Marquis di San Giuliano herzliche Glück⸗ wunschtelegramme ausgetauscht worden, in denen der deutsche Reichskanzler und Graf Aehrenthal den wärmsten Wünschen für den König von Italien und der Marquis di San Giuliano ebensolchen Wünschen für den Kaiser Wilhelm und den Kaiser Franz Joseph Ausdruck geben.

Spanien.

Der französische Botschafter Geoffray hatte, wie „W. T. B.“ meldet, am Sonnabend voriger Woche eine neue Unterredung mit dem Minister des Aeußern Garcia Prieto, der auch der englische Botschafter beiwohnte. Geoffray überreichte dem Minister die Antwort der französi⸗ schen Regierung auf den spanischen Gegenvorschlag. Prieto erklärte, er würde dem Ministerrat darüber Bericht erstatten.

Ein neuer spanischer Zolltarif ist vorgestern ver⸗ öffentlicht worden und tritt am 1. d. M. in Kraft. Soweit er Zollerhöhungen enthält, sinden diese keine Anwendung auf Waren, die bis 31. Dezember einschließlich zum Versand gelangen.

Der Ministerrat hat als Termin sür den Wieder⸗ zusammentritt des Parlaments den 18. Januar fest⸗

gesetzt. 8 8

Der König Albert ist, wie „W. T. B.“ meldet, an

Grippe leicht erkrankt. Infolgedessen ist der Empfang am 1. Januar abgesagt worden. .

Deutschland und Belgien haben den Verkehr mit Spirituosen über die deutsch⸗belgische Grenze, obiger Quelle zufolge, durch ein Abkommen neu geregelt, durch das die Ge⸗ währung von Steuerfreiheit 88 ausgeführten Branntwein usw. von der Vorlage bestimmter Nachweise abhängig gemacht wird. Das Abkommen ist am 1. Januar d. J. an Stelle des bisher geltenden Abkommens vom 1. August 1902 in Kraft getreten.

Türkei.

Für die Sitzung der Deputiertenkammeram Sonnabend hatte die Polizei besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen. Von früh an hielten die Parteien Beratungen ab. Da die Mit⸗ glieder der Entente libérale sich auf den Standpunkt der

Unabhängigen gestellt hatten bezüglich einer Abänderung der Verfassung in dem Sinne, daß dem Sultan das Recht gewährt wird, die Kammer in Kriegszeiten zu vertagen, mußten sich die Unabhängigen gemäß einer vorher abgegebenen Erklärung auf die Seite der Opposition stellen. Die Partei der Jungtürken konnte dem Standpunkt der Unabhängigen nicht zustimmen. Da die Albanesen, die sonst zur jungtürkischen Partei gehören, und auch die Griechen zur Opposition über⸗ traten, die zu obstruieren und sich von der Sitzung üea beschloß, war es unmöglich, die zur Eröffnung der Sitzung notwendige Anzahl von Abgeordneten herbeizuschaffen.

Der Großwesir Said⸗Pascha hielt an die anwesenden Ab ordneten eine Ansprache, in der er laut Meldung des „W. T. 1 auf die Schwierigkeiten hinwies, die sich der Arbeit der Regierung entgegengestellt hätten, insbesondere weil es an wichtigen Gesetzen fehle. Die Regierung habe Reformen in Albanien und Anatolie geplant, aber Artikel 35 habe sie daran gehindert. Der Redner be gründete die von der Regierung vorgeschlagenen Aenderungen de und verwies dabei auf die Verfassungen anderer Länder. Di Regierung habe die Rechte der Krone, die durch den bisherigen Ar tikel 35 stark beschränkt worden seien, erweitern wollen. Dieser Arti sei von einigen Botschaftern als schlecht bezeichnet worden. De Großwesir tadelte die Haltung der Opposition, die eine Preßkampagn hervorgerufen und dadurch die Gemüter erregt habe; er schildert die Gefahr, die sich aus den Zwistigkeiten der Parteien ergeben würde, und wies dabei auf das Beispiel Polens hin. Ueberall sage man die türkische Verfassung habe Schiffbruch gelitten und die Türkei se für eine Konstitution ungeeignet. Der Großwesir mahnte zur Ruhe und Eintracht. Die Opposition verlange sechs Portefeuilles und wünsche den Ausschluß der Minister des Kabinetts Hakki, obwohl si nicht verurteilt seien. Er weise diese Bedingungen zurück. Wenn er seine Entlassung gebe, werde er das Großwesirat nicht von der Gnade der Parteien annehmen, da der Sultan allein das Recht habe Minister zu ernennen. Das Kabinett werde über die Lage beraten Der Kriegsminister erhob Einspruch gegen die Be hauptung, das Kabinett wolle einen Schlag gegen die Verfassun führen. Das Heer sei der einzige Hüter der Verfassung. Wenn di Kammer die vorgeschlagene Abänderung annehme, werde das zum Hei des Landes sein, andernfalls werde das Land in Unruhen geraten.

Während einer Pause beschloß das Kabinett, 15 demissionieren. Bei Wiederaufnahme der Sitzung stellt der Präsident von neuem fest daß die erforderliche Zahl von Abgeordneten nicht vorhanden war.

Der Großwesir wiederholte, daß das Kabinett mit der Ab⸗ änderung des Artikels 35 die Verfassung stärken und nicht schwächen wolle. Die aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzte Türke könne ohne Verfassung nicht mehr leben, aber man müsse dem Sultan seine legitimen Rechte geben. Der Großwesir erklärte schließlich, er betrachte die Entfernung der Opposition aus dem Saal als eine Ab⸗ lehnung der Abänderung des Artikels 35 und als einen Konflikt zwischen Kammer und Regierung. Daher habe das Kabinett be⸗ schlossen, zurückzutreten. .

Darauf vertagte sich die Kammer auf Montag.

Der Sultan hat vorgestern einige Mitglieder der Entente libérale empfangen und mit ihnen über eine Ver⸗ ständigung beraten. Der Sprecher Gumuldjina Ismail erklärte, obiger Quelle zufolge, daß die Haltung der Opposition gegen die Abänderung des Artikels 35 keinen Widerstand gegen eine Verstärkung der Rechte der Krone bedeute, sondern ein einfaches Mißtrauensvotum gegen Said Pascha darstelle. Gumuldjina Ismail bat ferner, Said Pascha nicht wieder zum Großwesir zu ernennen. Der Sultan erwiderte, das Recht, den Großwesir zu ernennen, stehe der Krone zu. Später empfing der Sultan den Kammerpräsidenten, wobei er erklärte, daß die Krone, solange die Kammer im Dienste des Vater⸗ landes arbeite, ihre Rechte nicht mißbrauchen werde. Dem Befehle des Sultans gemäß haben die Unabhängigen die Ver⸗ mittlung zwischen der jungtürkischen Partei und der Opposition wieder aufgenommen.

Norwegen Die Delegierten Norwegens, Schwedens und Rußlands werden, einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge, am 15. d. M. in Christiania zusammentreten, um die Verhandlungen

Spitzbergenfrage fortzusetzen. Amerika.

Die Ruhe in Ecuador ist laut Meldung des „W. T. B.“ vom 31. v. Monats augenblicklich wieder hergestellt. Es befinden sich aber noch zwei Generale im Aufstande gegen die konstitutionelle Regierung.

Der brasilianische Senat hat am Sonnabend den bereits von der Kammer gebilligten Gesetzentwurf zum Schutz des geistigen Eigentaums angenommen, durch den Literatur⸗ werke ausländischer Verfasser denselben Schutz und dieselben Rechte erhalten, wie diejenigen der brasilianischen Schriftsteller.

Afien.

Nach Meldungen der „St. Petersburger Telegraphen⸗ agentur“ hat das russische Generalkonsulat in Täbris eine Bekanntmachung erlassen, in der die Bevölkerung aufgefordert wird, die Basare zu öffnen und ihre friedliche Beschäftigung wieder aufzunehmen. Die Basarordnung werde von den russischen Truppen aufrechterhalten werden. Der Telegraphen⸗ verkehr zwischen Täbris und Dschulfa ist wiederhergestellt. Gestern sind das sechste und das achte Schützenregiment sowie zwei Batterien der Grenadierbrigade unter dem neuernannten Kommandeur der russischen Truppen Generalmajor Woropanow in Täbris angekommen. 1

Der englische Kreuzer „Fox“ hat in Abuschehr 169 Mann eines indischen Infanterieregiments gelandet. Die Verluste auf englischer Seite bei dem Angriff auf den britischen Konsul unweit Kazerun belaufen sich fünf Tote und zehn Verletzte. Die Eingeborenen waren mit den neuesten Magazin⸗ gewehren bewaffnet. 8

Der König und die Königin von England sind, „W. T. B.“ zufolge, am Sonnabend in Kalkutta eingetroffen und von der Bevölkerung herzlich begrüßt worden.

Die Friedenskonferenz in Schanghai hat, wie das „Reutersche Bureau“ meldet, am Sonnabend beschlossen, daß jede Prvvinz 1 drei Vertreter zu dem Nationalkonvent wählen soll. Auch die Mongolei und Tibet sollen darch je drei Abgeordnete vertreten sein. Die der Ab⸗ geordneten wird zum Teil im Namen der Mandschus und zum Teil im Namen der provisorischen republikanischen Regierung erfolgen.

Wie die Regierung in Peking bekannt gibt, haben 4000 Revolutionäre vorgestern abend Hankau angegriffen. Nach Meldungen aus Uliasulai haben die dortigen Mon⸗ golen die Autonomie erklärt und den chinesischen Militär⸗

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gouverneur aufgefordert, abzureisen. Als er sich weigerte, dies zu

tun, ersuchten die Mongolen den russischen Konsul um seine Vermittlung