“ Der Antrag Aron sohn laute die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, noch in dieser Session nach dem Vorgange anderer deutscher Bundesstaaten einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den a. die Ruhegehälter er vor dem 1. Aprtl 1908 in den Rubestand versetzten Staatsbeamten und Lehrer durch einen prozentualen Zuschlag erhöht werden, und zwar bis zu einer durch den Zuschlag zu er⸗ reichenden Grenze von 3000 ℳ, b. den Witwmen und Waisen der vor dem 1. April 1908 verstorbenen Staatsbeamten und Lebrer ein prozentualer Zuschlag zu den Witwen⸗ und Waisen⸗ geldern gewährt wird. 8 8
ͤaabbvbvbvbö——“]; die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, schon für das Rechnungsjahr 1912 unter entsprechender Bemessung der Fonds —2 Unterstützung der Altpensionäre des Beamten⸗ und Lebrer⸗ andes deren Zweckbestimmung neben der bisher vorgesehenen ürsorge für altpensionierte Beamte und Lehrer sowie deren itwen und Waisen dahin zu erweitern, daß alle altpensionierten BZeamten und Lehrer, deren Gesamteinkommen den als auskömmlich anzusehenden Betrag nicht erreicht, ohne weiteres als unter⸗ esee ehrffi⸗ anzuerkennen und ihnen entsprechende Beihilfen zu gewähren sind.
Abg Witzmann (nl.): Unser Antrag ist nicht nur eine Folge der Lebensmittelteuerung, sondern auch eine Folge der Steigerung der Kosten unserer ganzen Lebenshaltung, auch der Kosten der Wohnungen. Aus diesem Grunde sind schon die Gehälter der Beamten und Lehrer und ebenso ihre Pensionen erhöht worden. Aber ein roßer Teil der Altpensionäre, die nicht an diesen Erhöhungen keilbaben, leiden bittere Not. In der vorigen Session sind von den Konservativen und vom Zentrum Erklärungen abgegeben worden, die der Hoffnung Raum gaben, daß endlich auf gesetzgeberischem Wege für die Alt⸗ pensionäre etwas geschiebt. Aber mein Parteifreund Dr. Friedberg hat schon in der Generaldebatte über den Etat betont, daß Herr von emn sich entgegen den damaligen Ausführungen des Herrn von Arnim einer gesetzlichen Regelung gegenüber ablehnend verbalte. Das Oberverwaltungsgericht steht auf dem Standpunkt, daß der Staat die Aufgabe habe, seinen Beamten einen standesgemäßen Lebensunter⸗ halt zu gewähren. Dasselbe gilt aber auch für die Pensionäre. Wir müssen deshalb auf gesetzgeberischem Wege den Altpensionären zu ihrem Rechte verhelfen. Andere Bundesstaaten, Bavern, Württem⸗ berg, ö. haben die Gepflogenbeit, bei jeder Gehaltsaufbesserung 8 die Bezüge der Altpensionäre aufzubessern. Welche Konsequenzen
ir das Reich und die Kommunen eintreten, haben wir hier gar nicht zu untersuchen. Im übrigen hat auch der Reichstag im Jahre 1911 beschlossen, eine Petition der Altpensionäre des Reiches dem Reichskanzler als Material zu überweisen. Der Rei steg steht also den Wünschen der Altpensionäre durchaus wohlwollend gegenüber. Sind wir denn wirklich so arm, daß wir unseren notleidenden alten Beamten nicht beispringen können? Die Altpensionäre stehen hinter den Neupensionären in der Höhe der Pensionsbezüge weit zurück, sogar bis zum Betrage von 1000 ℳ. Durch die prozentuale Er⸗ höhung der Pensionen und Reliktenbezüge nach unserem Antrage würde der Staat den Bedürfnissen der Altpensionäre und der Hinter⸗ bliebenen derselben gerecht werden. Wir müssen dieses Prinzip fest⸗ stellen, der größte Teil der Altpensionäre lehnt die Form der Unter⸗ stützungen ab. Um Unterstützungen zu bitten, dazu kann die Pensionäre nur die größte Not bestimmen. Außerdem wird bei der Prüfung der Unterstützungsgesuche viel zu sehr in die Familienverhältnisse ein⸗ gedrungen. Der Finanzminister sagt, es seien die schärfsten An⸗ weisungen ergangen, die ein solches Eindringen verhindern sollen, aber ohne eine genaue Prüfung geht es bei solchen Gesuchen doch niemals ab. Mit dem Unterstützungswesen muß überhaupt nach Möglichkeit aufgeräumt werden In einem Falle sind alle Unterstützungsgesuche eines kranken Eisenbahnbeamten um Erstattung von Kosten für Massage usw. von der Eisenbahndirektion in Kattowitz einfach abgelehnt worden. Finanzielle Bedenken dürfen unserem Antrage nicht entgegengestellt werden. Die Altpensionäre rechnen zuversichtlich auf die Annah me unseres Antrages und die Erfüllung ihrer Wünsche.
Abg. Delius (fortschr. Volksp.) begründet den Antrag Aron⸗ sohn: ir hedauern, daß unser gleicher Antrag von 1911 nicht mehr zur Verhandlung gekommen ist, wir erhoffen jetzt die Erfüllung unseres Wunsches. An den Steuerzusch lägen, die für die Erhöhung der Beamtenbesoldungen eingeführt worden sind, sind auch die Alt⸗ pensionäre beteiligt; sie müssen für die B soldungserhöhungen mit beitragen, können aber mit ihrer alten Pension unter den heutigen Verhältnissen nicht mehr auskommen. Dasselbe gilt für die Lehrer. Die Pension der vor 1897 pensionierten Lehrer beträgt nur ein Drittel der neuen Pensionen. Die Altpensionäre haben eine Petition um völlige Gleichstellung mit den Neupensionären eingereicht; diese orderung geht uns allerdings zu hoch, ebenso wie wir nicht der
orderung zustimmen können, daß ganz allgemein mit Erhöhung der
eamtenbesoldungen sich die Pensionen entsprechend erhöhen. Nach den Worten des Finanzministers muß man allerdings annehmen, daß die Unterstützungen ger cht verteilt werden sollen, und daß auch die Altpensionäre sich nicht zu scheuen brauchen, Unterstützungsgesuche ein⸗ zureichen, aber in vielen Fällen sind die Unterstützungsges che einfach abgelehnt worden; sie müßten mit größerem Wohlwollen aufgenommen werden. Aber die Altpensionäre wollen im Prinzip mit Recht von den Unterstü ungen nichts wissen, sondern verlangen eine gesetzliche Regelung. Durch ihren Dienst haben sie auch einen Anspruch an den Staat er⸗ worben. Mindestens müssen Billigkeitsgründe für eine Erhöhung der Pensionen sprechen. Was kleinere deutsche Bundesstaaten gekonnt aben, wird auch das finanziell viel stärkere Preußen können. Der Eisenbahnminister hat eine Verordnung herausgegeben, daß bei Anträgen von Altpensionären die Polizei nur in Anspruch genommen werden soll, wenn es unbedingt notwendig ist. Wir meinen, daß die Bontes dafür überhaupt nicht in Anspruch genommen werden soll. Ich erkenne an, daß auch Altpensionäre, die mehr als 3000 ℳ haben, sich in schlechter Lage befinden können. Aber in Hinsicht auf die Finanzverhältnisse werden wir doch die Beschränkung einführen müssen. Dem Antrage Arendt stehen wir wenig sympathisch gegenüber. Wir bitten, unseren Antrag einer Kommission zu überweisen.
Abg. von Goßler (kons.): Die konservat ve Partei hat immer ein Herz für die Beamten gehabt, und wir sind auch gern bereit, den Wünschen der Altpensionäre entgegenzukommen. Die vor⸗ liegenden Anträge fordern aber unsere Bedenken heraus. Wenn man sich schon einmal auf den Standpunkt stellt, daß man eine neue gesetz⸗ liche Regelung vornimmt, dann muß man sicher sein, daß man die vorhandenen Uebelstände auch beseitigt. Das wird aber nicht der Fall sein. Der Finanzminister hatte seinerzeit recht, als er be⸗ tonte, daß die Zulage vielen zugute kommen würde, die sich in guten Vermögensverhältnissen befinden, dagegen anderen die Zulage ver⸗ 27 würde, die in schlechten Verhältnissen leben. Bei einem Zuschlag von 10 % würde ein Stadtlehrer, der eine hohe Pension bekommt, einen hohen Zuschlag erhalten, dagegen ein Landlehrer mit einer recht niedrigen Pension nur einen geringen Zuschlag. Gegen den Antrag Aronsohn spricht schon die Begrenzung auf 3000 Mark. Wir glauben, daß wir den Wünschen der Altpensionäre besser entgegenkommen, wenn wir der Regierung vorschlagen, daß die tat⸗ sächlichen Verhältnisse der Altpensionäre zugrunde gelegt werden. Auf einen Vorschlag möchte ich mich nicht festlegen, man könnte aber vielleicht festsetzen, daß diejenigen ausgenommen sind, die ein Privat⸗ einkommen von 50 % oder vielleicht 100 % der Pension haben. Man könnte vielleicht auch auf den Standpunkt kommen, daß man die Zuschläge in Einklang setzt mit den Wohnungsgeldzuschüssen, die jetzt die Beamten bekommen. Ich stelle deshalb im Namen der konservativen Partei folgenden Antrag: „Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, noch im Laufe dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Bezüge der vor dem 1. April 1908 in den Ruhestand getretenen Staatsbeamten, Lehrer und Lehrerinnen sowie der Witwen und Waisen von den Staatsbeamten und Lehrern aufbessert, und zwar unter
Abg. Dr. König (Zentr.): Wit sollten dech bei dieser Frage alle Angriffe auf die Wicsege dnelet des Reichs fortlassen und diese Frage nicht parteipolitisch sondern rein objektiv behandeln. Auch das Zentrum hat es nicht an Fürsorge für die Beamten fehlen lassen, mit voller Wärme ist es fuür die unteren und mittleren Be⸗ amten eingetzeten. Die Notlage der Altpe sionäre muß bald und in wirk amster Weise beseitigt werden. Ich boffe, daß die Staatsregie⸗ rung schon jetzt Mittel und Wege ergriffen hat, um die größten Not⸗ stände zu beseitigen. Aber wirtlich beseitigt werden kann die Not⸗ l2ge nur, nenn eine gesetzliche Regelung erfolat, und das wollen der nationalliberale und der fortschrittliche Antrag. Unterstützungen haben immer etwas Mißliches an sich, wenn die Mittel nicht so reichlich bemessen sind, daß alle berücksichtigt werden können. Die Staatsverwaltung steht auf dem Standpunkt, daß sie sich, wenn der Beamte aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden ist, nicht weiter um ihn zu kümmern habe. Prinzipiell mag dieser Stondpunkt viel⸗ leicht richtig sem; es müssen aber Ausnahmen gemacht werden. Und eine solche Pflicht, Ausnahmen zu machen, liegt vor, wenn es sich um eine wirkliche Notlage handelt. Eine prozentuale Festsetzung bat allerdings auch ihre Bedenken. Denn der Unglückliche, der schen schlecht gestellt ist, ist dann auch schlechter gestellt als der andere, der in besseren Verhältnissen lebt. Es würde dann auch vor⸗ kommen können, daß die 1908 Pensionierten schlechter stehen als diejenigen, die vor 1908 pensioniert worden sind. In der Kommission werden wir uns ausfübrlich über die verschiedenen Bedenken unterhalten können und dann boffentlich einen richtigen Weg finden. Sollten wir aber nicht zu einer gesetzlichen Regelung kommen, dann wird die Regierung die Initiative ergreifen, ex officio einen Fragebogen an diese früheren Beamten herumgeben müssen, um festzustellen, wie die Verhältnisse der Beamten liegen, und dann, ohne daß ein Bogen Papier verschrieben wird, einen Zuschuß gewähren müssen. Denn das Wort „Unterstützung“, das bin ich als alter Beamter be⸗ rechtigt auszusprechen, hat für einen Beamten immer etwas Miß⸗ liches. Wir hoffen nichts sehnlicher, als daß die Debatte in der Budgetkommission etwas Erfreuliches für die Beamten, die im Staats⸗ dienst weiß geworden sind, zustande bringen möge.
Abg. Krause⸗Waldenburg (frkons.) Unsere Sympathie für den
Beamtenstand und die Altpensionäre brauche ich nicht erst zu be⸗ gründen, zumal diese Frage keine Parteifrage ist. Das ganze Haus ohne Unterschied der Parteistellung will den Altpensionaren geben, was nötig ist. Wir legen auf drei Gesichtspunkte Wert: daß die Ertüllung dieser Pflicht so schnell wie möglich geschieht, daß es in ausreichendem Maße geschieht und in einer Form, die für die Alt⸗ pensionäre nicht verletzend ist. Um die Pflicht schnell zu erfüllen,
wollen wir den Streit ausschalten, ob es durch die Gesetzgebung oder durch die Gewährung von Beihilfen geschehen soll. Die Regierung hält die gesetzliche Regelung für unmöglich. Wenn wir uns jetzt noch fünf
Jahre mit der Regierung daruber streiten wollen, so würden die Alt⸗
pensionäre noch die ganze Zeit auf Erfüllung ihres Wunsches warten
müssen. Wir streiten uns dann um Prinzipien, und diejenigen, die es angeht, kommen dabei zu kurz. Deshalb scheiden wir den Streit aus. Der
Abg. von Zedlitz hat bereits bei der Etatsberatung erklärt, daß unsere
Partei mit der Ueberschreitung der Fonds für Unterstützung der Beamten
für 1911 einvperstanden sei; namens meiner Freunde erkläre sch, daß
dies sich auch auf die Fonds bezieht, die zur Unterstützung der Alt⸗ vensionare und der Lehrer bestimmt sind. Haben wir keinen gesetz⸗ lichen Weg, so bleiben nur Beihilfen übrig. Unfer Antrag zeigt einen vernünftigen Weg, nach welchen Grundsätzen die Beihilfen gewährt werden sollen. Wir wollen, daß durch die Regierung festgestellt wird, welche Summe für die einzelnen Beamtenkategorien als auskömm⸗ liches Einkommen bei den jetzigen Lebensverhältnissen anzusehen ist. Selbstverständlich darf ein Altpensionär nicht mehr bekommen, als er erhalten würde, wenn er nach dem 1. April 1908 pensioniert worden wäre. Das jetzige Einkommen würde dann bis auf den als aus⸗ kömmliches Einkommen ermittelten Betrag zu erhöhen sein. Wir sind deshalb gegen eine pwzentuale Erhöhung und wünschen viel⸗ mehr, daß das Einkommen des betreffenden Altpensionärs zugrunde gelegt wird, gleichviel aus nelcher Quelle es stammt Dann vermeiden wir den wunden Punkt, daß die Beihilfe etwas Verletzendes hat. Man mag sagen, daß ein! Unte estützung nicht ehrenrührig sei; es gibt doch unzählige Altpensionäre, die lieber darben, als daß sie bitten. Deshalb wollen wir das Erfordernis eines Unterstützunge⸗ gesuches unter allen Umständen ausschalten. Es läßt sich so machen, daß die Regierung sich die Steuerveranlagung mitteilen läßt und dann die Beihilfe danach bis zur Erreichung des uskömmlichen Einkommens feststellt. Für die Lehrer ist noch der
Wunsch berechtigt, das Wohnungsgeld zu berücksichtigen, das früher
nicht nach denselben Grundsätzen wie bei den Beamten angerechnet
wurde. Nach diesen Vorschlägen wird die Sache nicht lange Zeit in
Anspruch nehmen, sondern die Erfüllung der Wünsche in naher Zeit
möglich sein. Besonders wünschenswert ist, daß dann auch an die
Witwen und Waisen derjenigen Beamten gedacht wird, deren
Männer oder Väter schon vor 1908 gestorben sind. Die Hinzer⸗
bliebenen derjenigen Beamten, die vor 1897 gestorben sind, sind
in außerordentlich schlechten Verhältnissen. Di Regierung hat selbst immer den Wunsch geäußert, den Altpensionären in nicht verletzender Form auskömmlich zu helfen, ich muß aber einen Fall vortragen, der einen alten pensionierten Schulrektor betrifft, der keine auskömmliche Pension hat und durch schwere
Krankheit besonders bedürftig geworden ist, sich aber doch nicht
entschließen konnte, um eine Unterstützung zu bitten.
Da bekam er eines Tages ein Schreiben, das ihn geradezu in Ent⸗
rüstung versetzte: „Köonigliche Regierang X, 3. Mai 1911. Durch
Ministerialerlaäß vom 28. Februar 1911 ist uns ein weiterer Unter⸗
stützungsfonds überwiesen, der zur Besserstellung der vor dem
1. April 1907 ausgeschiedenen Lehrer und Lehrerinnen be⸗
stimmt ist. Wir bewilligen Ihnen hieraus eine laufende,
jederzeit widerrufliche Unterstützung von 27 ℳ — buch⸗ stäblich siebenundzwanzig Mark jährlich — unter Wegfall der eventuell bisher bewilligten, vom 1. April ab bis auf weiteres zahlbar in vierteljährlichen Raten. Es wird Ihnen zur Pflicht gemacht, eine Besserung Ihrer Verhältnisse, namentlich eine An⸗ stellung gegen Gehalt, unverzüglich anzuzeigen, worauf die Sache neu geprüft und jedenfalls eine Herabsetzung der Unterstützung in Erwägung gezogen werden wird.“ Ein solches Schreiben entspricht sicherlich nicht den Intentionen des Ministers, und ich bedauere auch den Herrn in der Regierung, der es unterschreiben mußte, und dem dies gewiß schwer genug geworden ist. Der Fall zeigt die dringende
Notwendigkeit, bestimmte Grenzen festzulegen, innerhalb deren Unter⸗
stützungen ohne Antrag und ohne personliches Ermessen der Behörden
gewährt werden müssen. Ich bin dabei nicht der Meinung, daß die persönliche Unterstützungsbeduürftigkeit geprüft werden muß, sondern die
Erhöhung der Pension muß für jeden einzelnen auf Grund seines
Einkommens bewilligt werden. Für eine besondere Bedürftigkeit durch
Krankheit usw bleibt es jedem überlassen, noch eine besondere Unter⸗
stützung zu erbitten, denn dazu sind die Unterstützungsfonds da. Ich
beantrage, die sämtlichen Anträge einer Kommission zu überweisen. Abg. Ströbel (Soz.): Trotz unserer 8 Wählerzahl haben wir nur sechs Abgeordnete hier im Hause, sodaß wir nicht eigene
Anträge stellen können. Wir stimmen deshalb dem freisinnigen An⸗
trag zu, wenngleich wir auch an ihm einiges auszusetzen haben. Die
Lebensverhältnisse haben sich um 28 bis 30 % verteuert; da müssen
unbedingt auch die Pensionen der Altpensionäre aufgebessert werden.
Der Finanzminister hat gesagt, daß die Altpensionäre sich ver⸗
trauensvoll unter Zurückstellung einer falschen Ehre an die Be⸗
hörden wenden sollten. Man braucht sich nur einmal die zahlreichen
Beschwerden über das Verhalten der Behörden anzusehen; woher soll
da das Vertrauen zu den Behörden kommen? Die Beamten wollen
nicht Almosen für sich, für die Witwen und Waisen, sondern sie wollen ihr Recht! Schreibt mir doch ein Beamter: „Unterstützung wollen wir nicht haben, betteln wollen wir nicht, wir sind blamiert, wenn die Behörde den Bettelbrief erhalt.“ Die Gründe des Finanz⸗ ministers sind nicht im geringsten stichhaltig. Das Zentrum schwankt
Berücksichtigung des Privateinkommens der Berechtigten.“
hin und her. Man weiß nicht, ob es füͤr gesetzliche Regelung oder für Unterstützung ist. Die heutige Rede soll anscheinend nur einen Un fün
ö“ v11“ des Zentrums vorbereiten, wenn es seinen blauen Freunden zu Hilf kommen will. Man will den pensionierten Beamten ihre Staats⸗ bürgerrechte ee.. man will 82-2 Korruptionsfonds für die olitische Haltung der Altpensionäre schaffen.
8 Abg. Serreh ser (kons.): Wie gewöhnlich hat sich auch heute der Abg. Ströbel Angriffe konstruiert, die vollständig aus der Luft gegriffen sind. Abg. Ströbel, ich möochte Sie auffordern, meine Rede vom vorigen Jahre zu lesen, worin ich im Namen der übergroßen Mehrheit meiner Partei ausdrücklich erklärt habe, daß wir für die geseßzliche Regelung dieser Frage eintreten wollen. Und dann hat noch im vorigen Jahre unser Fraktionsredner Ihnen wieder gesagt, daß die übergroße Mehrheit der Fraktion auf diesem Standpunkt steht. Aber Sie, Herr Ströbel, suchen sich etwas heraus und kon⸗ struieren sich dann das, was Sie wollen. Die übergroße Mebrheit unserer Fraktion nimmt diesen Standpunkt ein. Auch mir ist von zahlreichen Beamten gesagt worden, daß das Wort „Unterstützung“ ein Wort ist, welches für die Beamten allerdings einen üblen Klang hat. Ich habe auch schon gehört, daß die Art und Weise, wie die betreffenden Be⸗ hörden vorgegangen sind, um die Unterstützungsbedürfrigkeit eines Beamten festzustellen, nicht immer von der Beobachtung desjenigen Taktes zeugt, den man alten Beamten gegenüber erwarten kann. Es ist nicht notig, jetzt noch viele Worte zu machen: der Worte sind genug gewechselt, jetzt laßt uns endlich Taten sehen. Die Regierung wird jetzt wohl gesehen haben, daß alle Parteien dieses Hauses ungefähr auf demselben Standpunkt stehen, und dieser Frage etwas mehr Wohl⸗ wollen entgegenbringen. Es herrscht tatsächlich in diesen Kgeisen eine bittere Not, und außerdem haben sie nicht die Möglichkeit, sich recht zu Gehör zu bringen. Ich hoffe, daß unser Antrag eine geeignete Grundlage für die Kommissionsverhandlungen ist. 1
Abg. Heine (nl.): Es ist erfreulich, daß sich die Mehrheit des Hauses für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen hat. Hoffentlich werden auch bald die Wünsche der Altpensionare erfüllt. Wer in den Kreisen der Altpensionäre verkehrt hat, so wie ich, der weiß, daß vbirklich Bedürftigkeit bei diesen Leuten herrscht. Es ist mir so oft gesagt worden: was ist uns alles 1864, 1866. 1870 und 1871 ver⸗ sprochen worden, wie sollte für uns gesorgt werden. Und was ist ge⸗ schehen? Nichts! Woher soll da die Vaterlandsliebe noch kommen? Wir legen uns nicht engherzig auf unseren Antrag fest; wenn etwas Besseres in der Kommission geschaffen wird, so stimmen wir dem gern zu. Hier müssen wir alle einmütig zusammenstehen. 8
Abg. Ernst (fortschr. Volksp): Auch wir begrüßen es, daß sich die Mehrheit des Hauses auf den Standpunkt der gesetzlichen Regelung gestellt bat. Bei den Unterstützungsgesuchen sind die Behörden bis jetzt in kleinlicher Weise vorgegangen. Die Altpensionäre haben hier ein Recht, zu fordern. Hoffentlich bringen die h 1 verhandlungen eine schnelle Regelung.
Damit schließt die Debatte.
Persönlich bemerkt
Abg. Dr. König (Zentr.), daß er ausdrücklich hervorgehoben habe, daß nach der Ansicht des Zentrums die Frage gesetzlich geregelt werden müsse.
Die Anträge werden sämtlich der Budgetkommission über⸗
wiesen.
Es folgt die Beratung der Anträge der Abgg. Fritsch (nl.) u. Gen. und der Abgg. Aronsohn ffortschr. Volksp.) u. Gen., betreffed Regelung des Beamten rechts.
Der*“” G
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, einen Gesetz⸗ entwurf vorzulegen, durch den gemäß Art. 98 der preußischen Ver⸗ fassungsurkunde vom 31. Januar 1850 die Verhältnisse der nicht zum Richterstande gehörenden Staatsbeamten einheitlich und den veränderten Zeitverhältnissen entsprechend geändert werden.“
Der Antrag Aronsohn lautet: e
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, einen Gesetz⸗ entwurf vorzulegen, der in Ausführung des Art. 98 der preußischen Verfassung eine einheitliche, organische, erschöpfende und den veränderten Zeitverhältnissen entsprechende Neuregelung des gesamten Beamtenrechts herbeiführt und insbesondere das Wahl⸗, Petitions⸗, Vereins⸗ und Versammlungsrecht der Beamten sowie deren Recht auf freie Meinungsäußerung durch Wort und Schrift gewährleistet, und zwar so bald als möglich und jedenfalls so zeitig, daß die Ve rabschiedung des Gesetzentwurfs noch in dieser Legislaturperiode erfolgen kann.“
Abg. Fritsch (nl.), auf der Tribüne schwer verständlich, be⸗ gründet seinen Antrag mit dem Hinweis auf die großen Aenderungen in der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Beamten. Die auf Grund der Verfassung geschaffenen Bestunmungen konnten jetzt nicht mehr maßgebend sein. Besonders das Disziplinargesetz weise ungeheuere Mängel auf. Das Reich habe im Jahre 1873 den Reichsbeamten rechtliche Garantien gegeben, es seien besondere Disziplinarkammern gebildet worden, während die preußischen Disziplinarinstanzen durch⸗ schnittlich von den preußischen Provinzialbehörden gebildet würden. Auch die Anstellungsverhältnisse der Beamten, ihre Urlaubs⸗ und Pensionsverhältnisse müßten den veränderten Verhältnissen entsprechend endlich einer Revision unterzogen werden, nachdem das Haus in wiederholten Resolutionen und Anträgen eine solche Revision, nament⸗ lich eine Aenderung des Disziplinarverfahrens, gewünscht habe.
Zur Begründung des Antrages Aronsohn erhält das Wort Abg. Delius sfortschr. Volksp.): Ich beantrage, beide Anträge einer Kommission zu überweisen. Wir haben ja kein eigentliches Beamtengesetz in Preußen, das Disziplinargesetz von 1852 entspricht nicht mehr dem modernen Zeitgeist. Auch die Beamtenschaft hat an dem modernen Aufwärtsstreben teilgenommen, sie steht heute nicht mehr auf dem Standpunkt, daß alles gut ist, was von den Vorgesetzten und von oben kommt, sondern sie hält den Zeitpunkt für gekommen, selbst mitzuwirken an ihrem eigenen Geschick. Daher muß ein modernes Beamtenrecht geschaffen werden, das die Pflichten, aber auch die Rechte der Beamten gesetzlich festlegt. Bayern, Baden, Württem⸗ berg und selbst das als rückschrittlich verschrieene Sa hsen sind uns hierin weit vorausgeeilt. Erstaunen muß erregen, daß die Behörden sich gegen die Standesorganisation der Beamten zum großen Teil feindlich verhalten. Der Polizeipräsident von Berlin, Herr von Jagow, hat im Januar vorigen Jahres seinen Beamten verboten, dem Bunde der Festbesoldeten als Mitglieder beizutreten. Dabei ist dieser Bund durchaus königstreu. Ebenso hatte der fruͤhere preußische Landwirtschaftsminister von Arnim den Förstern ver⸗ boten, hem neu begründeten deutschen Forstverein beizutreten. In jüngster Zeit hat der Berliner Polizeipräsident seinen Unterbeamten die Teilnahme am Unterbeamtentag untersagt, der sich mit wirt schaftlichen Fragen beschäftigt und auf durchaus königstreuem Boden steht. Die Eisenbahnverwaltung verlangt von den Eisenbahnarbeiter⸗ und Beamtenvereinen, daß diese oder jene Punkte von der Tages ordnung gestrichen werden, und sie maßt sich gewissermaßen ein Ueber wachungsrecht an. Auch werden die Vorsitzenden der Beamtenvereine persönlich für alles das, was in der Beamtenpresse steht, verant⸗ wortlich gemacht. Das geht doch zu weit. Ein kleiner Gernegroß im Osten, der Gefängnisdirektor in Wronke, hat sich sogar heraus⸗ genommen, seinen Unterbeamten das Lesen der „Berliner Morgenpost“ zu verbieten. Da meinen wir, die Vereins⸗ und Versammlungsfreiheit der Beamten muß sichergestellt werde 4 fun ines Beamt muß sichergeste verden durch Schaffung eines Beamtenrechts. Daeselbe gilt vom Petitionsrecht. Eisenbahnbeamte, die man an ihre Vorgesetzten verwies, bekamen im Eisenbahn⸗ ministerium eine Standpauke darüber zu hören, daß sie sich überhaupt herausgenommen hatten, mit derartigen Beschwerden zu kommen. Es müssen Beamtenausschüsse eingeführt werden, nachdem bereits I. dütaaaasschüsf . 891 ihre Wünsche müssen von den mit Recht ine Osg. Ketn 18s Sg Ferner verlangen die Beamten Bavern beft † fenlegung der Personalakten, wie sie in Baden und B eht und die Stadtverwaltung von Breslau noch in der
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gten Zeit beschlossen hat. Ganz und gar unzeitgemäß sind die reststrafen für die Unterbeamten. Diese können es an Diensteifer Pfl chttrene mit den mittleren und höheren Beamten aufnehmen. die Stelle des Sraats ministeriums als letzter Instanz muß ein ziplinarhof treten. Auch das Beschwerderecht muß geandert den; der Vorgesetzte darf nicht Richter und Ankläger in einer son sein. Sehr sympathisch ist mir am bayerischen und am badischen amtengesetz die Festlegung der Besoldung der Beamten. Im sschen Gesetz ist auch das Mindest⸗ und Höchstmaß der Dienstzeit gesetzt. Die politischen Rechte der Beamten müssen klargestellt den. Wir verlangen ein modernes Beamtenrecht, das verhindert, über den Beamten das Damoklesschwert des jetzigen Disziplinar⸗ ahrens schwebt; die Beamten wollen freie Staalsbürger sein.
Abg. von Gescher 889 Wir werden einstimmig den An tag Fritsch annehmen und ebenso einstimmig den Antrag Aronsohn nblehnen. Wir halten dafür, daß die Bestimmungen, die gegenwärtig die Rechtslage der Beamtenschaft regeln, keineswegs so ungeheuer, ungerecht und eines modernen Staates unwürdig sind, wie das von manchen Seiten in der Presse, in Versammlungen und teilweise auch hier im Hause hingestellt wird. Ich möchte wohl wissen, ob die Herren, die diese Rechtslage so schwarz malen, auch die ein⸗ schägigen Gesetze wirklich gelesen haben. Ich bezweifele das sehr, denn sonst könnten Irrtümer, wie sie dem Vorredner unter gelaufen sind, nicht wohl Platz greifen. Der Vorredner meinte, es solle das Ziel der neuen Beamtengesetzgebung sein, das die Beamten an ihrem eigenen Geschick auch selbst mitwirken. Das können die Beamten heute schon gerade so gut, wie sie es in Zukunft können. Ferner soll nach dem Wunsch des Vorredners in sie Personalakten nicht lediglich das Nachteilige über den Beamten bineingeschrieben werden. Würde er sich ein solches Aktenstüch ansehen, so würde er finden, daß ebensowohl das Vorteilhafte wie das. Nachteilige drinnen steht. Den Vorschlag aber, dem jenigen, über den die Akten ethg werden, sie zu zeigen, müßte ich doch für außerordentli bedenklich halten. Da sind doch Eintragungen über die Qualifikation darin, ob er zu diesem oder jenem Geschäfte fähig ist; nun ist es doch nur menschlich, daß ein Beamter leicht seine Fähigkeit überschätzt, wie das jeder Sterb liche mehr oder weniger tut; soll sich nun der Vorgesetzte mit seinem Beamten auseinandersetzen, ob er für diese oder jene Arbeit fähig ist? Da würden doch unhaltbare Zustände ent— stehen. Nach der Meinung des Vorredners können es die unteren und mittleren Beamten an Pflichttreue und Tühtig⸗ keit sehr wohl aufnehmen. Ja, wer hat denn das in aller Welt bezweifelt? Wir sind ja stolz darauf in Preußen, daß die Beamten schaft bis zum letzten Unterbeamten herunter sich durch ihre Pflicht treue auszeichnet. Auch unser EI von 1852 ist nicht gar so verwerflich, denn seine wesentlichsten T estimmungen sind in das Reichsbeamtengesetz von 1873 hineingearbeitet. Indessen will ich anerkennen, daß unsere Beamtengesetzgebung in der Tat zum Teil veraltet sein mag, daß sie Bestimmungen ent⸗ hält, die den heutigen Wrrhältmisfen nicht mehr ent sprechen, und daß ihre Vervpollständigung wünschenswert erscheint. Die große Mehrzahl meiner Freunde hat im vorigen Jahre dem Antrage auf Aufhebung der Arreststrafen für die Beamten zugestimmt; wir halten auch für wünschenswert, daß die Disziplinar⸗ angelegenheiten der Beamten besonderen Disziplinargerichten anvertraut werden, und daß auch die Einführung der Wieder⸗ aunfnahme des Verfahrens gerecht und billig wäre; deshalb stimmen wir dem Antrage Fritsch durchaus zu, soweit er den Rahmen der Neuregelung des Beamtenrechts zieht. Dem Antrag Aronsohr aber, soweit er darüber hinausgeht, können wir nicht beitreten. Schon aus gesetzgebungstechnischen Gründen müssen wir ihn ablehnen. Es ist einfach unmöglich, die ganze weitschichtige Materie des Beamten⸗ rechts, die in einer großen Zahl von einzelnen Gesetzen zerstreut ist, in ein einziges Gesetz hineinzuarbeiten, das noch daꝛn schon in dieser Legislaturveriode verabschiedet werden soll. Aber wir lehnen den Antrag Aronsohn auch deshalb ab, weil wir eine besondere Regelung des Wahl⸗, Petitions⸗, Vereins⸗ und Ver⸗ sammlungsrechts der Beamten für gänzlich überflüssig halten, weil wir der Meinung sind, daß diese Rechte sowie auch das Recht der freien Meinungsäußerung auch den preußischen Beamten voll und ganz gewährleistet sind, selbstverständlich in jenen Grenzen, die der natür⸗ liche Menschenverstand und das Gewissen jedem Beamten mit Rück⸗ sicht darauf diktieren muß, daß er Staatsbeamter ist und seinem Koönig den Treueid abgelegt hat. Wir hoffen, daß mit dem Antrage Fritsch ein Boden gewonnen wird, auf dem es möglich ist, den be⸗ rechtigten Wünschen der Beamtenschaft entgegenzukommen und ein Gesetz zustande zu bringen, das billigen Wünschen entspricht.
Abg. Dr. König (Zentr.): Ueber die Notwendigkeit einer Reform des Disziplinarverfahrens hat schon früher in der Kommission des Hauses Einstimmigkeit bestanden. Die Einführung des Wieder zufnahmeverfahrens ist ganz unerläßlich. Wir stimmen mehr dem Untrage Fritsch zu, obgleich der Antrag der Fortschrittlichen Volks⸗ vartei dasselbe besagt. Aber in diesem Antrage sind verschiedene Forderungen enthalten, die nicht in das Gesetz hineingehören.
Abg. Dr. Rewoldt (freikons.): Eine Neuregelung dieser Fragen st nötig, wir müssen dafür sorgen, daß die Autorität der Be⸗ imtenschaft nach außen aufrecht erhalten wird, aber auch dafür, daß die Autoritkät im Innern gewahrt wird. Neben seiner altbekannten Svarsamkeit hat der preußische Staat vor allem der Pflichttreue einer Beamtenschaft zu verdanken, daß er das hat leisten können, vas er geleistet hat. Es muß Pflicht der Regierung sein, dafür zu ergen, daß vor allem die Nachteile des Disziplinarverfahrens be⸗ seitigt werden. Zu den Verbandstagen der großen Beamtenvereini⸗ zungen wird den Beamten jetzt schon Urlaub gewährt, dieser Urlaub vird aber versagt, wenn es sich um die Teilnahme an Vorstands⸗ sitzungen handelt. Da müßte Wandel geschaffen werden, damit auch Beamte aus der Provinz als Vorstandsmitglieder gewählt werden und den Vorstandssitzungen beiwohnen können. Wenn im Vorstande dieser Vereinigungen auch Beamte aus der Provinz vertreten sind, so wird das zweifellos besser sein, als wenn die Vorstände nur aus Berliner Beamten gebildet werden.
Die Debatte wird geschlossen.
Im Schlußwort gibt
Abg. Dr. Schepp (fortschr. Volksp.) seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß bei einer Verhandlung über eine so wichtige Frage die Regierung nicht vertreten sei, und bemerkt: Es wäre notwendig ge⸗ wesen, daß die Regierung unbedingt die Wünsche des Hauses ent⸗ gegengenommen und endlich einmal das Versprechen eingelöst hätte, das in der preußischen Verfassung ausgesprochen ist. Einen einheitlichen Entwurf über das Beamtenrecht auszuarbeiten, kann gar nicht so schwer sein, andere Bundesstaaten haben das auch schon getan. Wir wären aber schon froh, wenn uns eine Reform des Disziplinar⸗ gesetzes noch in dieser Session vorgelegt wird. Auch, die Frage der Personalakten bedarf einer schleunigen Aenderung. Die Personal⸗ atten müssen öffentlich sein, damit es nicht vorkommen kann, daß in den Akten über einen Beamten z. B. die Bemerkung enthalten ist: Liest das „Berliner Tageblatt“.“ In meinen Personalakten wird sicherlich stehen: „Liest auch den „Vorwärts“.“
Der Antrag Aronsohn wird gegen die Stimmen der Nationalliberalen und der Rechten abgelehnt, der Antrag
Fritsch angenommen.
Schluß 5 ½ Uhr, nächste Sitzung Donnerstag 11 Uhr. Kleine Vorlagen, Gesetzentwurf, betreffend die Reinigung öffentlicher Wege, Anträge aus dem Hause.) 5
Dem Herrenhause ist der Entwurf eines Aus⸗ führungsgesetzes zur Maß⸗ und Gewichtsordnung vom 30. Mai 1908 nebst Begründung und Anlagen zugegangen. Der Gesetzentwurf lautet, wie folgt:
§ 1. Das Gesetz vom 26. November 1869 (Gesetzsamml. S. 1165) wird aufgehoben. § 2.
Die Aufsichtsbehörden (§ 17 der Maß⸗ und Gewichtsordnung) sind Vorgesetzte im Sinne des § 19 Abs. 3 des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten usw., vom 21. Juli 1852 (Gesetzsamml. S. 465). 8
Die mit der höheren Dienstaufsicht betrauten Behörden haben die in § 19 Abs. 5 und in § 23 dieses Gesetzes sowie die in § 6 der Allerhöchsten Verordnung über die Festsetzung und den Ersatz der bei Kassen usw. vorkommenden Defekte vom 24. Januar 1844 (Gesetz⸗ samml. S. 52) bezeichneten Beh
Werden zum Zwecke der Nacheichung öffentliche Eichtage außer⸗ halb der ständigen Amtsstelle von der zuständigen Behörde angeordnet, so haben die Gemeinden b
1) die Zeit, zu der in ihrem Bezirk Eichtage abgehalten werden, ortsüblich bekannt zu machen;
2) geeignete Räumlichkeiten bereitzustellen;
3) auf Ersuchen der Eichungsaufsichtsbehörde die Erhebung der Eichgebühren und anderer Gefälle gegen eine Vergütung von 3 vom Hundert der eingezogenen Beträge zu bewirken und die Beträge an die Eichamtskasse abzuliefern; . 8
4) auf Ersuchen des Eichbeamten das nötige Fuhrwerk für die Beförderung der amtlichen Reiseausrüstung—
a. bis zum folgenden für die Abhaltung eines öffentlichen Eich⸗
tages bestimmten Orte, 8
b. von n zu der nächsten Ladestelle der Eisenbahn oder
Kleinbahn bereitzustellen, und zwar gegen eine Vergütung, welche der gemäß § 9 des Gesetzes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden (Bekanntmachung vom 24. Mai 1898, N“ Seite 360) für die Stellung von Vorspann in dem bektreffenden Lieferungsverbande festgesetzten Vergütung entspricht. . 1
Die Gemeindevorsteher haben auch im übrigen die Eichbeamten bei der Abhaltung der in Abs. 1 bezeichneten öffentlichen Eichtage zu unterstützen.
ü nach den vorstehenden Bestimmungen den Gemeinden ob⸗ liegenden Verpflichtungen sind auch von den Gutsbezirken zu erfüllen.
4.
Die Beamten der Polizei Fhn befugt, die dem eichpflichtigen Verkehre (§§ 6 bis 9 und § 13 der v. und Gewichtsordnung) dienenden Räumlichkeiten während der üblichen Geschäftsstunden zu betreten. “ 8 8
Dem Hause der Abgeordneten ist eine Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Zu⸗ lassung einer Verschuldungsgrenze für land⸗ oder forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke, vom 20. August 1906 zugegangen. 1
Das Gesetz über die Zulassung einer Verschuldungsgrenze für land⸗ oder forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke ist bisher durch die gemäß § 15 des Gesetzes erlassenen Königlichen Verordnungen vom 23. März 1908 und 16. Juni 1909 in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Posen in Kraft gesetzt worden. Als zuständige Kreditanstalten für die Ausführung des Gesetzes sind die landschaft⸗ lichen Kreditanstalten und als Königliche Kommissare für die Fälle der §§ 9 und 11 die Oberpräsidenten nach Maßgabe der bezeichneten Verordnungen bestimmt. b
In der Provinz Ostpreußen und in dem zum Geschäftsbereiche der Ostpreußischen Landschaft gehörigen Teile des westpreußischen Kreises Rosenberg sind von der Landschaft Entschuldungsversuche mit Hilfe der Verschuldungsgrenze unternommen worden. Das Ent⸗ schuldungsverfahren, das durch einen am 23. März 1908 landes⸗ herrlich bestätigten I. Nachtrag zur Ostpreußischen Landschafts⸗ ordnung geregelt ist, erfolgt im wesentlichen nach den nachstehenden Grundsätzen:
1) Auf den zu entschuldenden Gütern muß die Verschuldungs⸗
renze eingetragen sein. . . b 2) Die Entschuldung geschieht durch allmähliche Tilgung der die erste Hälfte des landschaftlichen Schätzungswertes übersteigenden Hypotheken. Zu diesem Zwecke wird der landschaftliche Kredit er⸗ weitert und der Tilgungszwang verschärft.
3) Der Krediterweiterung dienen folgende Maßnahmen: b
a. Erhöhung der Beleihungsgrenze der Pfandbriefdarlehen für die zu entschuldenden Güter 899 zwei Drittel auf fünf Sechstel des landschaftlichen Schätzungswertes; 1
. Erhöhung der zulässigen Höchstgrenze des Schätzungszuschlages bei den sogenannten Restgütern von 15 auf 25 % ;
c. Gewährung von besonderem Entschuldungskredit auf das letzte Sechstel des Schätzungswertes. (Vergl. Nr. 6.)
4) Zur Verstärkung der Tilgung haben die Eigentümer der zu entschuldenden Güter an jährlichen Tilgungsbeiträgen zu entrichten:
a. ½8 % des ganzen Pfandbriefdarlehens innerhalb zwei Drittel des Schätzungswertes;
8 2 % des Pfandbriefdarlehens innerhalb des fünften Sechstels des Schätzungswertes. 8
Sobald das Tilgungsguthaben des Gutseigentümers auf 5 % des Pfandbriefdarlehens angewachsen ist, kann seine Verwendung zur Abstoßung von Nachhypotheken hinter dem Pfandbriefdarlehen ge⸗ stattet werden. 18 3
5) Auf die zu entschuldenden bepfandbrieften Güter können zu Anlagen, die eine dauernde Verbesserung des Gutes sicherstellen, Sonderdarlehen (Meliorationskredit) in folgender Weise gewährt werden: 1 a. Die Höhe des Darlehns richtet sich nach der Höhe und dem Zinsfuße des Pfandbriefdarlehens innerhald zwei Drittel des Schätzungs⸗ wertes und darf höchstens betragen: 1
bei 4 % igen Pfandbriefdarlehen 8 % des Pfandbriefdarlehens,
bei 3 ½ % igen Pfandbriefdarlehen 16 % des Pfandbriefdarlehens,
bei 3 % igen Pfandbriefdarlehen 25 % des EEE Die Jahresleistungen für das Sonderdarlehen (Zinsen, Tilgungs⸗ beiträge, Beiträge zum Reservefonds und zu den Verwaltungskosten) dürfen zusammen mit den Jahresleistungen für das Pfandbriefdarlehen 5 % des letzteren nicht übersteigen (Spannungskredit). “
Die vollständige Tilgung des Darlehns muß innerhalb längstens 30 Jahren erfolgen.
b. Zur Sicherung der Landschaft wird unter anderem neben der Erhöhung der Jahresleistungen für das Pfandbriefdarlehen (innerhalb zwei Drittel des Schätzungswertes) auf 5 % mindestens in Höhe des Sonderdarlehens eine Sicherungshypothek an bereiter Stelle im Grund⸗ buche eingetragen, und zwar noch vor der Eintragung der Ver⸗
huldungsgrenze. 8 2. Se Mittel zur Gewährung der Sonderdarlehen werden durch die Ausgabe von Inhaberschuldverschreihungen beschafft.
6) Anstatt des Meliorationskredits können in entsprechender Weise Sonderdarlehen zur Entschuldung durch Abstoßung von Nach⸗
hypotheken (Entschuldungskredit) oder zur Ablösung eines vor dem Pfandbriefdarlehen eingekragenen Domänenzinses gewährt werden. 7) Der Gesamtbetrag der für die Pfandbriefdarlehen über zwei Drittel des Schätzungswertes und für die Sonderdarlehen (Nr. 5 und 6) auszugebenden Schuldverschreihungen ist vom Generallandtage der Landschaft zunächst auf 10 Millionen Mark bemessen worden. Seine Erhöhung bedarf der ministeriellen Genehmigung. 18
Bis zum 1. Oktober 1911 ist das Entschuldungsverfahren für
8 8
Morgen eingeleitet worden. Im einzelnen umfasse Gütern ne Größe bl 8888 eeine Größe bis zu 5 ha 8 von bis 10 „ 6 20 19 39 „ 11 40 9 50 „ 5 100 „ 14 300 4 400 5 500 6 996 . 3 18 . 00 3 1“ 8 8 3 “
Hiernach gehört die überwiegende Mehrzahl der zu entschuldenden Güter dem kleineren und mittleren Grundbesitz an, da 65 Güter eine Größe von 100 ha nicht überschreiten. 8 1 Der landschaftliche Schätzungswert der 89 Güter beträgt zu⸗ sammen 8 116 118 ℳ. Von dem auf ihnen ruhenden Landschafts⸗ kredit entfallen 5 410 150 ℳ auf die ersten zwei Drittel und 1 274 500 ℳ auf das fünfte Sechstel des Schätzungswertes. An Sonderdarlehen sind im ganzen 651 000 ℳ bewilligt worden, und zwar 629 750 ℳ als Entschuldungskredit und 21 250 ℳ als Meliorationzkredit. Die Ostpreußische Landschaft betreibt die Entschuldungsversuche ohne finanzielle staatliche Unterstützung. u In den Provinzen Westpreußen und Posen wird die Ent⸗ schuldung mittels der Verschuldungsgrenze von der Ansiedlungs⸗ kommission in Verbindung mit der Besitzbefestigung unternommen. Die Ansiedlungskommission bedient sich dazu der Vermittlung der Deutschen Bauernbank in Danzig und der Deutschen Mittelstands⸗ kasse in Posen. Bei dieser auf den Grundbesitz in deutscher Hand beschränkten Entschuldung wird den Eigentümern der größeren Güter (mit mindestens 225 ℳ Grund⸗ und Gebäudesteuer) für den Fall der Eintragung der Verschuldungsgrenze von dem Teilbetrage der jährlichen Rente, der zur Ansammlung eines Risiko⸗ fonds der Mittelstandskasse und der Bauernbank dient, ein kleinerer Betrag erlassen. Dieser 7G gegenwärtig auf 5½ο % des Rentenkapitals bemessen. Bis zum 1. Oktober 1911 sind in der Provinz West⸗ preußen 16 Güter mit einer Gesamtfläche von 7 934,23,10 ha und in der Provinz Posen 14 Güter mit einer Gesamtfläche von 10 der Verschuldungsgrenze unterstellt worden. Von diesen Gütern umfassen: in Westpreußen eine Größe von 200 bis 300 ha “ 300 400 „
400 500
500 600
800 900
900 „ 1 000
„ xxeeee
3 in Posen
eine Größe bis 8 ha 1 von 200 bis 3 2 300 „ 400 2u
„ 90 2
650909 6 2 Sber IW 11.
lungskommission zu Rentenrecht vergebene größere Restgüter ein⸗ getragen worden, und zwar bis zum 1. Oktober 1911 in Westpreußen auf 4 Güter (2 von 200 bis 300 ha, 2 von 300 bis 400 ha), in Posen auf 5 Güter (3 von 200 bis 300 ha, 1 von 300 bis 400 ha, 1 von 500 bis 600 ha). 3 Eine Mitwirkung der auf Grund des § 15 des Gesetzes durch Königliche Verordnung bestellten Kommissare kommt für die Ent⸗ scheidung von Anträgen der Grundstückseigentümer auf Genehmigung der Ueberschreitung und der Löschung der Verschuldungsgrenze gemäß §§ 9 und 11 des Gesetzes in Frage. Entscheidungen dieser Art sind bis zum 1. Oktober 1911 im ganzen in 7 Fällen erlassen worden. Auf drei Anträge ist die Genehmigung zur Löschung erteilt. Einer von diesen betraf die Löschung der Ver⸗ schuldungsgrenze für ein veräußertes Trennstück, das im Verhältnis zu dem Hauptgut geringen Umfang und Wert hatte. In den beiden anderen Fällen ist die Löschung wegen einer besonders ge⸗ arteten Notlage der Gutseigentümer genehmigt worden. Die übrigen Anträge mußten zurückgewiesen werden, weil für die gewünschte Zu⸗ lassung neuer Kreditbelastungen des Guts kein genügender Anlaß vorlag. Zur weiteren Förderung der Entschuldung des länd⸗ lichen Grundbesitzes mittels der Verschuldungsgrenze sind in den Staatshaushalt von 1910 als außerordentliche Ausgabe 50 000 ℳ eingestellt worden. Dieser Betrag soll namentlich zur Gewährung von Beihilfen für die in den Provinzen Brandenburg und Sachsen in Aussicht genommenen Entschuldungsversuche dienen. Die staat⸗ liche Unterstuützung ist in der Weise geplant, daß der Staat den entschuldenden Anstalten Beihilfen zu den von ihnen für das Entschuldungsverfahren zu bildenden besonderen Sicherheitsfonds gewährt. Die Beihilfen werden als zinslose, nach Ablauf von 30 Jahren rückzahlbare Darlehen bewilligt werden. Die wegen der Inangriffnahme des Entschuldungsverfahrens mit dem Kur⸗ und Neu⸗ märkischen Ritterschaftlichen Kreditinstitut, dem Neuen Branden⸗ burgischen Kreditinstitut und der Landschaft der Provinz Sachsen ein⸗ geleiteten Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. 1 1 Die Versuche, auch in anderen Provinzen geeignete Anstalten für die Einleitung von Entschuldungsmaßnahmen auf der Grundlage der Verschuldungsgrenze zu gewinnen, sind bisher erfolglos gewesen und namentlich an der Schwierigkeit der Beschaffung des erforderlichen Entschuldungskredits gescheitert. Es ist jedoch die demnächstige Ein⸗ führung des Gesetzes in allen Teilen der Monarchie in Aussicht genommen, um wenigstens überall den Eigentümern nicht überschuldeter Güter die Benutzung der Verschuldungsgrenze als vor⸗ beugende Maßregel für sich und ihre Nachkommen zu ermöglichen. Da bis jetzt erst in drei Provinzen und zum Teil vor verhältnis⸗ mäßig kurzer Zeit Entschuldungsversuche mit Hilfe der Verschuldungs⸗ grenze unternommen worden sind, läßt sich über die des Gesetzes noch kein bestimmtes Urteil aussprechen. N. wie vor darf angenommen werden, daß die Verschuldungsgrenze an sich ein geeignetes Mittel zur Verhinderung einer Zunahme der Ver⸗ schuldung ist und daß sie in den Fällen, in denen, sich die Guts⸗ eigentümer einem Entschuldungsverfahren unterziehen wallen, nützlich wirken kann. Die bisherigen Erfahrungen lassen es andererseits weifelhaft erscheimnen, ob die für eine Entschuldung in Frage kommenden utseigentümer in beträchtlicherem Umfange zur Uebernahme der Verschuldungsgrenze geneigt sein werden. Dies liegt an den mit der Eintragung der Verschuldungsgrenze verbundenen und zum Teil schon in der Gesetzesbegründung angedeuteten Nachteilen, die namentlich in einer Erschwerung des Verkaufes des Gutes und in einer Herab⸗ minderung des Verkaufspreises sowie in der Beschränkung der hypo⸗ thekarischen Sicherung der Erbabfindungen hesteben. 8 Um bei der Bekämpfung der zunehmenden A“ des länd⸗ lichen Grundhesitzes umfassendere praktische Erfolge zu erzielen, als sie von der Eintragung der Verschuldungsgrenze zu erwarten sind, wird es notwendig sein, gleichzeitig andere und allgemeiner wirkende Maß⸗ nahmen zu treffen. In dieser Richtung schweben bereits Erwägungen, die im wesentlichen auf eine Verbesserung der ES rundkredit⸗ verhältnisse durch eine größere Ausbreitung und nachbaltigere Gestaltung des Tilgungskredits abzielen, ahne die Möglichkeit der Be⸗ friedigung des Kreditbedürfnisses zu beschränken.
89 Güter von einer Gesamtgröße von 11 540,87 ha oder rd. 46 200
Ferner ist die Verschuldungsgrenze auf verschiedene von der Ansied⸗
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