1912 / 37 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Feb 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Finanzsystem müsse in Einklang stehen mit den Finanzen des Vereinigten Königreichs. Irland solle eine Summe bewilligt werden, die groß genug sei, um ihm die Möglichkeit zur Selbst⸗ verwaltung zu geben. Die Interessen der Minderheit wie auch der Mehrheit seien in dem vertreten. Es seien Bürg⸗ schaften vorgesehen, daß die Krone einem ungerechten Gesetze ihre Zustimmung versagen könne. Die Freiheit des Glaubens sei dadurch sichergestellt. Das Militärwesen werde unter der Kontrolle des Reichs stehen. Die Vertretung Irlands im Reichsparlament werde beschränkt

werden.

Churchill forderte am Schluß seiner Rede alle Parteien auf, den Entwurf einer gerechten Prüfung zu unterziehen. erklärte Redmond, daß er jedem Worte Churchills zu⸗ limme.

Frankreich.

In der gestrigen Sitzung des Senats wurde die Beratung über den deutsch⸗französischen Vertrag fort⸗

gesetzt. . Nach dem Bericht des „W. T. B.“ führte der Senator Baudin in Fortsetzung seiner vorgestrigen Rede aus, daß der Vertrag von 1911 Frankreich von Verpflichtungen befreie, die aus⸗ zuführen unmöglich gewesen seien. Die Genauigkeit in den Einzel⸗ heiten, die durch die deutschen Diplomaten herbeigeführt worden sei, könne Frankreich in der Frage der Vergebung von Staatsaufträgen gegenüber Angriffen Deckung gewähren. In den nicht genauer 3 festgelegten Punkten, zum Beispiel in der Frage des Postmonopols, werde die französische Auffassung sicher bei den Schiedsrichtern durchdringen. Es werde notwendig sein, Schiedsrichter zu ernennen. Mit der französischen Auffassung über den Zolltarif stehe es ebenso. Verhandlungen mit den Mächten seien notwendig, doch werde Frankreich dabei sicher erfolgreich sein. Er erkenne den Wert der abgeschlossenen Kongokonzessionen an, die einen großen Aufschwung nehmen würden. Trotzdem müsse man das Abkommen annehmen, da der Mißerfolg des Vertrages von 1909 dem französischen Vor⸗ gehen in Marokko jede rechtliche Grundlage nehme. Der Redner schlohß mit den Worten: „Der Vertrag von 1911 ist eine Not⸗ wendigkeit, wir werden ihn annehmen, obwohl wir die Bedeutung er Opfer, die wir bringen, wohl erkennen. Aber im Interesse des Landes werden wir uns an den Wortlaut halten, mit dem der Ver⸗ rag unsere Rechte und Pflichten in Marokko umschreibt, gestützt auf unsere militärische Macht, die zu verteidigen und zu entwickeln wir icht ablassen werden.“ Der Senator Goirand sagte, daß alle egenwärtigen Schwierigkeiten der Preis für die Entente cordiale seien, gab dann eine Uebersicht über die Ereignisse in Marokko und warf dem früheren Minister Monis vor, die Ermächtigung zur Entsendung von vier weiteren Bataillonen nach Marokko ge⸗ zu haben. Monis erklärte dies für unwahr und sagte, daß unter seinem Ministerium allerdings die vier Bataillone abgesandt worden seien, er aber keinen Ausländer bei der Erfüllung dieser Pflicht Frankreichs um Erlaubnis gefragt habe. Der Senator Goirand stellte fest, es sei in dem Bericht Baudins gesagt worden, daß Cruppi Deutschland davon in Kenntnis gesetzt und daß dieses keinen Einwand erhoben habe. Monis erklärte, daß die Kommission seine Haltung einmüti ge⸗ billigt habe. Goirand erwiderte, daß es auch andere Ministerien als das seinige gegeben habe, und erklärte sodann, daß der Vertrag von 1911 keine größeren Lasten auferlege als der von 1904; aber die Verwirklichung des Protektorats werde zwischen Frankreich und Deutsch⸗ land Streitigkeiten herbeiführen. Der Redner erkannte die Wichtig⸗ keit der im Kongo gebrachten Opfer an, erklärte aber, dennoch für den Vertrag stimmen zu wollen, da dieser einer unerträglichen Lage ein Ende begziten werde. Frankreich dürfe sich nicht allein von Revanche⸗ hlen beherrschen lassen. Darauf nahm der frühere Minister des Aeußern Pichon das Wort und stellte den Erfolg des Vertrages vom Jahre 1909 fest, der das politische Desinteressement Deutschlands und das Vorherrschen der französischen Interessen in Marokko be⸗ stätigt hätte. England, Rußland und Italien hätten diesem Vertrage zugestimmt. Der Vertrag sei das Ergebnis des hartnäckigen Wider⸗ standes Frankreichs gegen übertriebene Forderungen gewesen, aber er habe auch den Wunsch bezeichnet, einem Antagonismus ein Ende zu bereiten, der beinahe schwere Verwicklungen nach sich gezogen hätte. Pichon behauptete, daß der Vertrag vom Jahre 1909 durchaus wirksam wäre für das, was Frankreich zu tun hätte. Der Beweis dafür sei die Tatsache, daß Frankreich Udschda und Casablanca unter Zustimmung aller Mächte besetzt habe, Deutschland eingeschlossen, das Frankreich sogar dazu beglückwünscht hätte. Das Abkommen von 1909 sei nicht vollkommen gewesen, aber es habe Frankreich nichts gekostet. Man habe seines Erachtens Unrecht getan, die Erstlingsfrucht zu teuer zu bezahlen, man hätte die Frucht um⸗ sonst haben können, wenn man sie hätte reif werden lassen. Die deutschen Forderungen seien mehrfach unannehmbar gewesen, es habe genügt, ihnen Widerstand zu leisten. Diese Politik hätte die Billi⸗ gung des gesamten Ministeriums gehabt. (Zwischenruf Poincarés: Sie hat auch die Billigung des Parlaments gehabt!) Es sei richtig, daß die Deutschen immer größere Forderungen gestellt hätten. Sei das aber ein Grund gewesen, Deutschland territoriale Kompen⸗ sationen anzubieten? Er werde dem Abkommen nicht zustimmen. Pichon besprach sodann den Marsch auf Fes und die maßvollen Weisungen, die dem General Moinier erteilt worden seien. (Zwischen⸗ ruf Clémen ceaus: Diese Instruktionen sind allen Mächten mitgeteilt worden!) Frankreich sei sicher vor dem Einspruch aller Mächte ge⸗ wesen, aber Deutschland wäre offenbar ermutigt worden durch die offiziösen Besprechungen. Dann sprach Redner von der Unterhaltung in Kissingen und sagte, es sei unbestreitbar, daß seit dem Monat Mai vom Kongo die Rede gewesen sei. Es habe sich um die Abtretung des ganzen Kongo gehandelt. Es sei schwer, genau zu sagen, woher der erste Gedanke der Abtretung des Kongo gekommen sei, aber er glaube, daß er von 1905 datiere und aus Deutschkand stamme. Darauf erinnerte der Redner an die Affäre von Agadir und die Verhandlungen, die folgten, Verhand⸗ lungen, in die einzutreten Frankreich höchst Unrecht getan hätte. Der deutsche Reichskanzler wollte sich ganz allein mit Frankreich verständigen, habe man gesagt; aber man habe der öffentlichen Meinung in Frank⸗ reich die Bedingungen dieser Verständigung verheimlicht, da sie sich sonst aufgelehnt haben würde. Die Regierung habe Unrecht getan, in die materielle und moralische Stärke der Nation nicht genug Ver⸗ trauen gesetzt zu haben. Pichon meinte, daß Frankreich die Verhand⸗ lungen unter der ständigen Drohung einer Landung nicht hätte an⸗ nehmen sollen, auch nicht Verhandlungen mit Deutschland allein. Frankreich hätte sich auf England und Spanien stützen können, ohne von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, zu sprechen, und von Italien, mit dem Abkommen beständen. „Warum haben wir“, so fuhr er fort, „auf diese, Stützen verzichtet? Hatte man sich in bezug auf den Kongo zu weit perpflichtet? Hofften wir, den Folgen unserer Verträge mit Spanien⸗ zu fatehen. Welch' ein Irrtum! Wir sind von der Unterstützung Eng⸗ lands unterrichtet. Deutschland hatte sich hierin geirrt; die Rede Lloyd Georges hat es aufgeklärt!“ Hierauf erhob Pichon gegen die übertriebene Geheimhaltung der Verhandlungen Einspruch und fuhr fort, es scheine, daß der Gedanke der deutschen Unterhändler gewesen sei, sich die Forderung weiterer Konzessionen vorzubehalten. Der Ver⸗ trag von 1911 sei ein sehr gefährlicher Handel. Er, Pichon, sei nicht strenger als Poincaré vor der Kommission. (Poincaré: Aber ich schloß damit, dem Vertrage zuzustimmen.) Frankreich be⸗ finde sich in Marokko in derselben Lage wie England in Aegypten. „Was haben wir Deutschland für diesen Vertrag angeboten? fuhr Pichon fort. „Wir haben die Einheit unsenes Aequatorialreiches unterbrochen. Es bleibt uns zwar noch die Verbindung zur See, veemegescht. daß der Besitz der Inseln sichergestellt ist; aber schon erheben sich Schwierigkeiten bei diesem Punkt. Wir haben Spanis Guinea eingeschl

en d hab 2 8 Congo geändert. und haben unser Vorkaufsrecht * Belgis⸗

illaux hat andere Verän

deutet. Wie sollte sich da Belgien nicht beunruhigt fühlen? Sind wir selbst sicher, unsere v zu bewahren? Einige deutsche Zeitungen erklären schon, daß es weise von uns wäre, darauf zu ver⸗ zichten. Endlich müssen wir uns mit dem Sultan verständigen, um dem mit Pypotheken belasteten Marokko wieder Wert zu geben. Deutschland verheimlicht nicht seine Absicht, eine 5 Stellung, selbst vom Verwaltungsstandpunkt aus, zu be⸗ wahren. Frankreich darf also nicht glauben, daß es ein gutes Geschäft gemacht habe. Der Ministerpräsident hat übrigens die stärkste Kritik daran geübt.“ (Poincaré: Und ich habe meine Meinung nicht geändert! Clémenceau: Wir wissen es wohl!) Pichon gab sodann seiner Befürchtung Ausdruck, daß die Regierung sich in ihren Berechnungen darüber, was Frankreich das Protektorat an Geld und Menschen kosten werde, zu optimistisch gezeigt habe. Jeden⸗ falls müsse das Land genau erfahren, woran es sich zu halten habe, und das sei das Abkommen, durch welches Marokko, wie behauptet werde, an Frankreich gefallen sei. Die Hypothek Deutschlands bleibe aber besteben. Er wünsche lebhaft, daß die Bande der Freund⸗ schaft zwischen Frankreich und Italien immer fester geknüpft werden, aber er müsse doch bemerken, daß sich Italien Deutschland gegenüber nicht so herausfordernd benehme wie gegenüber Frankreich. Es sei zu wünschen, daß der marokkanische Himmel „Frankreichs durch keine Wolke getrübt werde, wenigstens durch keine Wolke, die drohender sei als die, welche jüngst die französisch⸗italienische Freundschaft ver⸗ dunkelt habe. Das deutsch⸗französische Abkommen sei so verschiedenen Auslegungen unterworfen gewesen, daß es von dem Willen eines der Signatare abhänge, Frieden oder Streit aus ihm zu ziehen. Einig⸗ keit werde nur herrschen, wenn das in dem systematischen Willen beider Mächte liege. Die in der marokkanischen Politik eingetretene Veränderung habe eine ernsthafte Beeinträchtigung der Beziehungen zur Folge gehabt, die zwischen den Großmächten bestanden hätten. Es seien neue Verhandlungen mit Deutschland notwendig. Er sei entschiedener Anhänger des Friedens. Um ihn aufrechtzu⸗ erhalten, müsse Frankreich alles tun, was sich mit seinen Rechten und Interessen vereinigen lasse. Niemand könne Frank⸗ reich in dieser Hinsicht mehr Vertrauen einflößen als Poincaröz. Aber seine Aufgabe sei infolge der Probleme, die unter mißlichen Bedingungen gestellt worden seien, schwierig. Frankreich sei übermäßigen Lasten gegenübergestellt. Pichon erklärte sodann, er fürchte, daß die Macht Frankreichs beeinträchtigt werde, wenn seine Streitkräfte in Afrika zersplittert würden. Er wünsche, daß er sich hierin irre. Ueber seine Unterstützung gegenüber der Regierung werde er nicht feilschen. Die Regierung werde sicherlich nicht eine Aenderung in der allgemeinen Richtlinie der französischen Politik fordern, Frankreich seine alten Freundschaften und Bündnisse erhalten und sie noch fester knüpfen. In diesem Geiste verfahre sie gegenwärtig Spanien gegenüber. 8 schloß: „Die gegenwärtige Lehre muß uns zum Nutzen gereichen. Ein Bündnis, das zwanzig Jahre besteht, ist ein Element der Kraft und der Macht, das wir sorgfältig bewahren müssen, denn es bildet ein Unterpfand der Sicherheit für Frankreich und der Ruhe für Europa. Ich habe auch Vertrauen zu den freund⸗ schaftlichen Beziehungen, die Frankreich mit England verbinden, doch ist Frankreich nicht vor allen Stürmen sicher. Unsere militärische Macht braucht eine Unterstützung durch eine Diplomatie, die sich nicht nach jedem Winde dreht. Wir brauchen einen festen Punkt, auf den sich unsere Freundschaft gründen kann. Unsere Entente mit England wird also weiter bestehen und sich weiter entwickeln müssen als die sicherste Bürgschaft für das europäische Gleichgewicht. Wenn sich im Ver⸗ lauf der jüngsten Unterhandlungen eine entgegengesetzte Meinung bei einigen Leuten zeigte, so soll die Welt wissen, daß wir alle sie nicht teilen. Die gegenwärtige Regierung würde sich niemals der⸗ artigen Vorurteilen hingeben.“ Wenn er auch nicht der Regierung, so schloß Pichon, für die Annahme des Vertrages seine Stimme geben könne, so prech er ihr doch wenigstens sein volles Vertrauen aus zu den Gefühlen, die sie beseelen.

Hierauf wurde die Sitzung auf heute vertagt.

Jn der Deputiertenkammer begann gestern die Beratung des Gesetzes, durch das der Arbeitstag auf zehn Stunden beschränkt werden soll.

Wie „W. T. B.“ meldet, bekämpfte der Abg. Jules Roche den Entwurf im Namen der Interessen der Industrie. Der Abg. Lauche verteidigte ihn im Namen der Arbeiter, die durch Tuberkulose und Alkoholismus, die Folgen des langen Arbeitstages, stark mit⸗ genommen würden.

Niederlande.

In der Ersten Kammer hatte vorgestern bei der Be⸗ ratung des Justizetats der Senator Vanderfeltz an den Justizminister die Anfrage gerichtet, ob er versichern könne, daß das Motu proprio die vollständige Freiheit der katholischen Justizbeamten für den Fall einer Anklage gegen die Priester nicht antaste. In der gestrigen Sitzung erklärte der Justiz⸗ ministe Dr. Regout in Beantwortung der Anfrage laut Meldu g des „W. T. B.“: b Das Motu proprio habe keine Bedeutung für Holland, weil hier ein privilegium fori für die katholischen Priester nicht bestehe. Es seien hereits mehrmals in Holland Priester von kartholischen Staats⸗ anwälken und Richtern angeklagt und verurteilt worden. Als Unter⸗ stützung für seine Auffassung führte der Minister die Erklärung des Vatikans an, daß das Motu proprio auf Deutschland und Belgien keine Anwendung finde, weil auch in diesen Ländern kein privilegium fori für die katholischen Priester bestehe.

Der Senator Reekers schloß sich Ministers an, worauf Vanderfeltz erklärte, Mitteilungen vollk

der Erklärung des 1 er sei durch diese zufriedengestellt.

In Beantwortung der Schritte der Pforte bezüglich der Kretafrage haben die Schutzmächte nach einer Meldung des Wiener K. K. Telegraphen⸗Korrespondenzbureaus erklärt, daß sie keine Verletzung des status quo auf Kreta dulden werden.

Serbien.

Der General Gruic hat laut Meldung des „W. T. B.* das Mandat zur Kabinettsbildung wegen der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen niedergelegt. Der König hat darauf Milovanovic mit der Bildung eines altradikalen Kabinetts betraut. 1“ 1 8 Norwegen. Der ZJustizminister Scheel, der Handelsminister Braenne, der Minister des Aeußern Irfens⸗ der Minister für Ver⸗ teidigung Bull und der Kultusminister Ovigstad haben „Aftenposten“ zufolge ihre Demission eingereicht

8

42““ Ein heute vormittag ausgegebenes Bulletin über das Befinden des Königs besagt laut Meldung des „W. T. B.*.

Der König verbrachte eine gute Nacht. Das Allgemeinbefinden

nahme begriffen. ungenentzündung sind weiter in der Ab

Amerika.

8 Nach einer vom „W. T. B.“ verbreiteten Mitteilung des Staatssekretärs des Auswärtigen der Dominikanischen Republik ist für den ermordeten Präsidenten General Ramon

Cäceres Eladio Victoria zum konstitutionellen räsidenten der Republik gewählt voeben 9 1

Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ aus Pekin machen die Republikaner trotz der optimistischen Berichte der Regierung zu fast allen von Nuanschikai gemachten Vor⸗ schlägen Aenderungen und ersuchen Manschikai nach Nanking zu kommen, um ein endgültiges Abkommen zu schließen Augenscheinlich beginnen die Republikaner Verdacht zu schöpfen, daß Nuanschikai Bedingungen für einen bequemen Weg zur Rückkehr zur monarchischen Regierungsform schaffen werde sobald eine Anleihe aufgenommen, die Ordnung wieder her⸗ gestellt und die republikanische Armee aufgelöst ist.

In der Nähe von Liaujang hat, wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ aus Mukden meldet, ein Zus ammenstoß zwischen der Vorhut der Revolutionäre und Regierungstruppen stattgefunden. Die Regierungstruppen zogen sich zurück und ließen zwei tote Offiziere und 16 verwundete Soldaten auf dem Platze. Die Revolutionäre nahmen einen Offizier und 18 Soldaten der Regierungstruppen gefangen. Vorgestern haben die Revolutionäre die Stadt Wafangtien einge⸗ nommen und gestern mit zwölf Geschützen die Beschießung von Stadt und Festung Kaiping eröffnet. In der Stadt brach ein Feuer aus.

Afrika.

Wie die „Agenzia Stefani“ unter dem 7. d. M. aus Tobruk meldet, eröffnete der Feind um 1 Uhr Morgens gegen das Fort ein ungefähr halbstündiges Feuer, das die italienische Besatzung nicht erwiderte. Gegen 8 Uhr früh wurde abermals ein Feuer gegen die italienischen Vorposten eröffnet. Diese er⸗ widerten es, auch einige Kanonenschüsse fielen auf italienischer Seite. Der Feind wurde bald zurückgeschlagen. Drei Araber blieben, durch Gewehrschüsse getötet, auf dem Platze; die Zahl der von der Artillerie Getroffenen ist b italienischer Seite wurde ein Unteroffizier leicht verwundet.

Koloniales

Die deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1910/11.

1

Das Reichskolonialamt gibt alljährlich Berichte über die deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee heraus, die das grundlegende Material zur Kenntnis und richtigen Beurteilung der Verhältnisse und Begebenheiten in unseren Schutzgebieten wie ihrer gesamten Ent⸗ wicklung bieten. Jetzt sind die Berichte für das Jahr vom April 1910 bis April 1911 erschienen (XVI und 520 Seiten; Verlag von E. S. Mittler u. Sohn, Berlin; geh. 10 ℳ). Aeußerlich zu einem handlichen Band gestaltet und inhaltlich nach einheitlichen, prak⸗ tischen Grundsätzen zusammengefaßt, zeichnet sich auch der neue Jahr⸗ gang wieder durch Kürze und Uebersichtlichkeit der Darstellung des außerordentlich vielseitigen Stoffes aus. Der Inhalt besteht aus zwei Teilen, deren erster, der Berichtsteil, über unser Kolonialwesen im allgemeinen (Ve waltung, wirtschaftliche Lage und Wirtschafts⸗ politik, öffentliche Arbeiten, Verkehrsanlagen und Bauwesen, Finanzen) wie über die Schutzgebiete selbst im einzelnen (Ostafrika, Kamerun, Togo, Deutsch Südwestafrika, Deutsch Neuguinea und Samoa) be⸗ richtet. Zahlenmäßig werden die kolonialen Zustände und Fortschritte des Jahres 1910/11 im zweiten, statistischen Teile des Handbuchs nachgewiesen : Bevölkerung, Rechtspflege, Missionen und Schulen, Geld⸗, Kredit⸗ und Bankwesen, Arbeitsmarkt, Produktion, Handel, Verkehr, Konsum, Finanzstatistik.

Im Berichtsjahr ist die Entwicklung der Schutzgebiete im all⸗ gemeinen günstig gewesen. Die klimatischen Verhältnisse waren freilich nicht überall gut, namentlich nicht in Südwestasrika, aber doch in den meisten Gegenden normal. Die Gesundheitsverhältnisse ließen in manchen Schutzgebieten zu wünschen übrig. Insbesondere in Togo ist die Entwicklung zu besseren Gesundheitsverhältnissen noch recht un⸗ gleichmäßig und mit Rückschlägen verbunden. Dagegen scheint sich in Kamerun sowohl unter den Eingeborenen wie unter den Weißen die Sterblichkeitsziffer zu verringern, bei den Eingeborenen hauptsächlich durch die Impfung gegen Pockenkrankheit und durch die übrigens noch lange nicht zu Ende geführte Bekämpfung der Schlafkrank⸗ heit und der Lepra. Gegen die Pocken und die Schlafkrankheit wurde auch in Ostafrika mit Erfolg angekämpft und überdies noch die Aus⸗ breitung der Pest durch energisches Eingreifen verhindert.

Das Verhältnis zu den Eingeborenen war in den afrikanischen Kolonien gut und friedlich, nur in Kamerun mußte gegen die auf⸗ rührerischen Stämme der Makkas und Baias vorgegangen werden. Doch blieben auch diese Unruhen auf ibren Herd beschränkt. Durch Kontrolle der Aus⸗ und Einwanderung von Eingeborenen soll künftig die Einwirkung aufrührerischer Elemente noch mehr als bisher unter⸗ drückt werden. Ist es doch auch, wie gerade das Berichts⸗ jahr zeigt, in Südwestafrika schon in der Hauptsache ge⸗ lungen, die Eingeborenen durch Kontrolle und Erziehung zur Arbeit einerseits, durch Erweckung von Vertrauen auf den Schutz und die Fürsorge der Regierung anderseits mehr und mebhr in eine friedlich gesinnte und an regelmäßige Arbeit sich gewöhnende Bevölkerung umzuwandeln. Auch in der Eüdsee war im allgemeinen eine Verschlechterung des Verhältnisses zu den Eingeborenen nicht zu verzeichnen. Es gilt dies ebensowohl für Samoa wie für Kaiser⸗ Wilhelmsland und den Bismarckarchipel, wie sich am besten aus der anstandslosen Erhebung der zum Teil erhöhten Steuern ergab. In Neuguinea fehlte es freilich nicht an den auch früher schon mit einer gewissen Regelmäßigkeit notwendig gewesenen kleineren Straf⸗ expeditionen. Im Inselgebiet dagegen kam es in Ponape zu einem schweren Bruch des Landfriedens durch einen Eingeborenenstamm, der den Bezirksamtmann und mehrere Beamte ermordete. Die mit Hilse der Kaiserlichen Marine erfolgte Niederwerfung der Aufständischen kostete nicht unbeträchtliche Opfer, leider auch an Menschenleben. Die aufständischen Eingeborenen wurden zum Teil schwer bestraft und im übrigen von Ponape entfernt und in Palau angesiedelt.

„Ueber die weiße Bevölkerung in den Schutzgebieten wird im statistischen Teil mit einer Ausführlichkeit berichtet, die manchmal in einem Mißverhältnis zur Größe der Bevölkerung zu stehen scheint. Es wird aber davon ausgegangen, daß die Erschließung unserer Kolonien doch vielfach sich noch im Anfangsstadium befindet und die im engen Zusammenhang damit stehende Besiedlung durch Weiße von Anfang an unter vielen kolonialpolitischen Gesichtspunkten das größte Interesse beansprucht. Es ist nicht nur die absolute Zahl und ihre Zunahme, sondern auch die Zusammensetzung nach Nationalität, Beruf, Geschlecht usw. und die Entwicklung dieser Verhältnisse auf das sorsfältighi zu beachten und zu verfolgen. Unter Berücksichti⸗ gung solcher Gesichtspunkte ist besonders die Zunahme der weißen

evölkerung in Ostafrika im Berichtsjahr als sehr erfreulich zu be⸗ zeichnen. In Kamerun beruht die Zunahme der weißen Bevölkerung auf einer Vermehrung nicht nur der Beamten und Eisenbahntechniker, sondern namentlich auch der Kaufleute. In Samoa hat sich erfreu⸗ licherweise die weiße Bevölkerung vermehrt, während die Zahl der Mischlinge ziemlich gleich geblieben ist. Dagegen scheinen in Togo die Mischlinge sich zusehends zu vermehren, und. in Neuguinea ist die Zunahme der weißen Bevölkerung auch auf die Vermehrung der zu dieser gerechneten Japaner zurückzuführen. Die bedeutendste Zunahme hat aber Südwestafrika aufzuweisen, wobei freilich ebenso wie in Ost⸗ afrika und Kamerun der Bahnbau eine Rolle mitspielt.

Bezüglich der farbigen Bevölkerung scheint im allgemeinen die Tenden! einer, wenn 5. langsamen, Zunahme in den afrikanischen Schutzgebieten vorzuhalten. Dabei treten neuerdings infolge der Bahnbauten vielfach recht bemerkenswerte örtliche Verschiebungen und Binnenwanderun en auf, die sich auch weiterhin noch geltend machen dürften, bis die Einwirkungen der Eisenbahnbauten zu einer gewissen

unbekannt. Au

Stabilität gelangt sein werden. Die Zunahme der Eingeborenen in Südwestafrika bei den neuesten Zählungen ist zum guten Teil auf die Zuwanderungen von Ovambos und auf genauere Feststellungen bei einzelnen Stämmen zurückzuführen.

Die allgemeine Verwaltungstätigkeit und ⸗organisation bewegte sich in der Hauptsache in den 1öS. der vorausgegangenen Jahre. Wie in diesen, so war auch im Berichtsjahr die richterliche und Polizeitätigkeit in Südwestafrika, namentlich infolge des Diamanten⸗ abbaues, erheblich gesteigert. Die Gemeinden Südwestafrikas be⸗ gannen mit der Lösung der ihnen zugewiesenen Aufgaben, zum Teil auch die Bezirksverbände. Die für Bearbeitung der Angelegenheiten der Eingeborenen, insbesondere der Arbeiter beim Bahnbau, neu ge⸗ schaffenen Beamtenstellen haben sich bewährt, ebenso in Ostafrika die Einrichtung der Adjunkten, durch die eine größere Stabilität in der Besetzung und Tätigkeit der Bezirksämter ermöglicht wurde. Die Vermessungs⸗, Grundbuch⸗ und Kartographiearbeiten sind namentlich in Südwestafrika, Ostafrika, Togo und Samoa erheblich fortgeschritten, während in Neuguinea die deutsch⸗holländische Grenzexpedition er⸗ kennen faeh⸗ wieviel dort noch bezüglich der Erforschung des Landes

tun ist.

8 Ueber die Entwicklung des Schulwesens, sowohl der Regierungs⸗ wie der Missionsschulen, und des Missionswesens liegen fast nur günstige Berichte vor, so namentlich aus allen Südseegebieten und Togo. In Kamerun wurde die staatliche Unterstützung des Unterrichts⸗ wesens der Missionen neu geregelt. Aus Südwestafrika wird über die Tätigkeit der Missionen und über die Entwicklung des Schulwesens nur günstiges berichtet. In Ostafrika, wo die christliche Mission gegen⸗ über dem Islam einen besonders schweren Stand hat, ist die Zahl der Missionare so groß geworden, daß sie in der Berufestatistik unmittelbar hinter den Pflanzern und Farmern stehen. Die Missions⸗ schulen weisen über 50 000 Schüler auf, und die von den einzelnen Missionsgesellschaften angegebenen Ziffern über Bekehrung zeigen zum Teil außerordentlich große Zunahme.

Die wirtschaftliche Entwicklung läßt im Berichtsjahr abermals die rasch aufsteigende Linie erkennen, die für unsere Schutzgebiete seit einer Reihe von Jahren in friedlichen Zeiten charakteristisch ist. In einzelnen Gebieten der afrikanischen Schutzgebiete, namentlich in Ost⸗ afrika, machte die Weiterführung der Eisenbahnen bereits ihre er⸗ schließende Wirkung deutlich geltend, während der Neubau von Eisen⸗ bahnstrecken vielfach eine Handel und Produktion stark steigernde Wirkung ausübte. Dazu kam die außerordentlich günstige Konjunktur auf dem Weltmarkt für fast alle kolonialen Produkte, die im Laufe des Jahres 1911 allerdings bereits erheblich schlechter geworden ist. In Südwestafrika hat freilich die Farmwirtschaft auch im Berichts⸗ jahr noch keine erhöhte Bedeutung für den Ausfuhrhandel und damit für den Weltmarkt erlangt, aber ihre Verhältnisse haben sich doch befestigt, wozu die verbesserten Absatzverhältnisse im Innern mit⸗ beitrugen, die auch auf die hohen Löhne und Verdienste in der Berg⸗ bautätigkeit zurückzuführen sind.

Eine der wichtigsten Fragen für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung unserer Schutzgebiete, und zwar sowohl der afrikanischen wie der Südseebesitzungen, ist die eines günstigen und dauernd aus⸗ reichenden Arbeitsmarktes. Man wird die Lösung dieses Problems, ohne die der wirtschaftlichen Entwicklung leicht eine Stagnation, wenn nicht sogar ein Rückgang drohen würde, nicht ohne Sorge betrachten können, namentlich im Hinblick auf die neueste Gestaltung der Verhält⸗ nisse in der Südsee und in Südwestafrika. In der Südsee sind die Be⸗ dingungen für die ausreichende Beschaffung chinesischer Arbeiter neuer⸗ dings zusehends schwieriger geworden, und in Südwestafrika bestand in den Jahren 1910 und 1911 zeitweise ein förmlicher Arbeitermangel für Farmwirtschaft und Bergbau, der sich in hohen Arbeitslöhnen und starkem Zuzug teurer ausländischer Arbeiter äußerte. Wenn auch nach Vollendung der derzeitigen Bahnbauten eine Besserung dieser Verhältnisse zu erwarten ist, so verbleibt doch die dauernde Beschaffung ausreichender und tüchtiger Arbeitskräfte eine wichtige Frage für das Schutz⸗ gebiet. In Ostafrika ist trotz der Eisenbahnbauten ein allgemeiner Arbeiter⸗ mangel nicht zu verzeichnen gewesen, da in den verschiedenen Ein⸗ geborenenstämmen sehr beträchtliche Reserven von Arbeitskräften zur Verfügung stehen, die in steigendem Maße für regelmäßige Arbeit gewonnen werden. Bei Mißgriffen in der Anwerbung und Behand⸗ lung der Arbeiter, dann auch in Gegenden mit allzu dichter Plantagenwirtschaft und während der Zeit der Feldbestellung für den eigenen Nahrungsbedarf der Eingeborenen ist freilich auch in Ost⸗ afrika zeit⸗ und stellenweise Arbeitermangel fühlbar gewesen.

Für die allgemeine wirtschaftliche Lage der Schutzgebiete sind ferner von größter Bedeutung die Investierung ausreichenden Kapitals für die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Gebiete, die Organi⸗ sation des Kredits und die Erhaltung eines wohl geordneten Geld⸗ wesens. Das deutsche Kapital interessierte sich unstreitig in den letzten Jahren mehr für unsere Kolonien als früher und das ausländische, namentlich das englische, wenigstens in einzelnen Fällen, wie bei der Finanzierung der Diamantenunternehmungen und des Kautschuk⸗ Booms für Pflanzungen in Ostafrika. Allerdings ist im Berichtsjahr und im Jahre 1911 ein gewisser Rückschlag in dieser Investierungs⸗ bewegung eingetreten, hauptsächlich deshalb, weil im Lauf der letzten Jahre zu viele schlecht fundierte Kolonialunternehmungen finanziert worden sind. Nicht nur von den sehr zahlreichen Diamantgesell⸗ schaften, sondern auch von den vielen Pflanzungsunternehmungen der letzten Jahre ist eine große Anzahl wieder in Liquidation getreten, zum Teil unter beträchtlicher Schädigung der dafür gewonnenen Interessenten. Um solche Rückschläge in der an sich gesunden Entwicklung zur reich⸗ licheren Kapitalinvestierung in den Schutzgebieten künftig zu ver⸗ hindern, ist die Kolonialverwaltung im Benehmen mit den Schutz⸗ gebietsverwaltungen neuerdings der Frage nähergetreten, wie durch Prüfung des Gründungsvorgangs oder auf andere Weise wenigstens den ärgsten Mißständen im kolonialen Gründungswesen entgegen⸗ gearbeitet werden könnte. Diese Frage ist auch der im Berichtsjahr ge⸗ gründeten, aus kaufmännischen und industriellen Sachverständigen zu⸗ sammengesetzten „Ständigen wirtschaftlichen Kommission der Kolonial⸗ verwaltung“ unterbreitet worden, die sich bei ihrer ersten Tagung zu⸗ nächst mit der Frage der Kreditorganisation in den Schutzgebieten be⸗ faßte. Bei diesen Verhandlungen wurde insbesondere die Frage eingehend erörtert, in welcher Weise dem in Deutsch Süd⸗ westafrika hervorgetretenen Kreditbedürfnis genügt werden könne. (Das ausführliche Protokoll über die Verhandlungen der Ständigen wirtschaftlichen Kommission ist im „Deutschen Kolonialblatt“ vom 1. Februar 1912 abgedruckt.) Die bestehenden Kreditinstitute haben im Berichtsjahr durchweg gute Geschäfte gemacht. Das Genossen⸗ schaftswesen hat sich in Südwestafrika weiter enzwickelt und sich dabei auch von einigen minderwertigen Elementen befreit. Nach der Ein⸗ führung der Verordnung des Reichskanzlers vom 1. Februar 1905 im Schutzgebiet Samoa hat nunmehr das Geldwesen in denjenigen Schutzgebieten, in denen die Reichsmarkwährung besteht, eine völlig gleiche Regelung erfahren. Gesetzliches Zahlungsmittel sind in diesen Schutzgebieten jetzt die sämtlichen Münzen der Reichsmarkwährung, während daneben je nach den Verhältnissen bestimmten fremden Geldmünzen der Umlauf zu einem besonders festgesetzten Kurse gestattet ist. Die günstige Aufnahme der Rupiennoten und die Nachfrage nach größeren Werten derselben im ostafrikanischen Schutz⸗ gebiet hat die Deutschostafrikanische Bank veranlaßt, der Schaffung einer 500 Rupiennote näherzutreten, deren Einführung demnächst 2 erwarten ist. In Deutsch Ostafrika ist die „Handelsbank für Ost⸗ afrika“ mit dem Sitz in Tanga Anfang Dezember 1911 eröffnet worden. In Deutsch Südwestafrika ist ein Immobiliarkreditinstitut für städtischen Grundbesitz in Bildung begriffen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags und der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

1

11“ ö11“ 8 28

Das Haus der Abgeordneten trat in der heutigen (10.) Sitzung, welcher der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Kiderlen⸗Waechter beiwohnte, in die zweite Beratung des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1912 ein.

Der Präsident hat zur zweckmäßigen Erledigung der Etatsberatungen einen Kontingentierungsplan aufstellen lassen, mit dem sich sämtliche Fraktionen einverstanden erklärt haben. Der Präsident wird für den Fall, daß die für die einzelnen Etats vorgesehene Arbeitszeit überschritten werden sollte, Abend⸗ sitzungen vorschlagen.

Von den Spezialetats werden zunächst die Rente des Kronfideikommißfonds und der Zuschuß zur Rente des Kronfideikommißfonds ohne Debatte bewilligt.

Beim Etat der Münzverwaltung wendet sich

Abg. von Conrad (freikons.) gegen die Form des Fünfmark⸗ stücks. Dasselbe sei viel zu schwer und nach Einführung des Drei⸗ markstücks nicht mehr erforderlich. Ebenso tadelt er den neuen Hundertmarkschein, der ihn, als er ihn zuerst in die Hand bekommen, geradezu erschreckt habe.

Geheimer Oberfinanzrat Sachs: Das Münzwesen ist Reichs⸗ sache. Das Reich hat darüber Bestimmung zu treffen, was für Münzen innerhalb des Rahmens des Reichsmünzgesetzes ausgeprägt werden. Die preußische Verwaltung ist lediglich ausführendes Organ. Einen direkten Einfluß auf die Art der Münzen und namentlich auf die Form der Reichsbanknoten hat die preußische Münz⸗ verwaltung nicht.

Abg. Dr. Becker (Zentr.) hält eine handlichere Form des Fünf⸗ undzwanzigpfennigstücks für erforderlich und das Fünfmarkstück für unpraklisch und viel zu groß. Die Jubiläumsmünzen und dergl. ließen in künstlerischer Beziehung viel zu wünschen übrig. Der neue Hundertmarkschein sei für den Verkehr sehr wenig praktisch, sowohl für das Puhlikum wie für die Banken; er lasse sich schwer verpacken. Der Finanzminister solle seinen Einfluß im Reiche geltend machen, um Abhilfe zu schaffen. 1

Abg. Dr. Arendt (freikons.): Formell ist allerdings die preußische Münzverwaltung nur Beauftragte der Reichsverwaltung, aber nach alter Gepflogenheit können wir doch Wünsche über das Münzwesen zur Sprache bringen, damit sie im Bundesrat geltend gemacht werden. Das Fünfmarkstück ist tatsächlich eine ungeeignete Münze, und nach⸗ dem wir die Ausprägung der Dreimarkstücke nach schweren Kämpfen im Reichstage durchgesetzt haben, braucht das Fünfmarkstück nicht mehr ausgeprägt zu werden. Mit dem Fünfundzwanzigpfennigstück hat man eine gute Idee schlecht ausgeführt. Es ist eine wünschenswerte Münze, aber seine Form macht es unbeliebt, es muß eine geeignetere gefunden werden. Der neue Hundertmarkschein ist unpraktisch und geschmacklos ausgeführt. Wenn man einen hohen Preis auf die ungeeignetste Form der Ausführung gesetzt hätte, der Preis wäre wohlverdient gewesen. Sehen Sie sich die geschmackvollen und praktischen kleinen Papierscheine in Oesterreich an! Auch unsere Zehn⸗ markscheine, für deren Ausführung anderthalb Jahr erforderlich gewesen, sind das Häßlichste und Unpraktischste, was man denken kann. Unser leider verstorbener Kollege Kirsch⸗Düsseldorf, der sich so große Verdienste um die Kritik und Gestaltung unseres Münzwesens erworben, hat bei dieser Gelegenheit immer in derselben Richtung eingegriffen, wie ich. Die Ausprägung von Gedenkmünzen ist außerordentlich nützlich für die Hebung des Münzgewerbes überhaupt. Die Gedenkmünzen sind eine Art freiwilli er Steuer, bei jeder Mark, die ausgeprägt wird, werden 60 für das Reich verdient; man reißt sich um diese Gedenkmünzen, und es ist die einzige Steuer, die dem Steuerträger sogar Freude macht. Diese Gedenkmünzen werden aber in sehr knapper Zahl aus⸗ geprägt, und sie müssen dann immer vom Zwischenhandel mit Aufgeld gekauft werden. Man sollte die Ausprägung in solchem Umfange vor⸗ nehmen, daß sie wirklich in den Verkehr gelangen. Außerdem benutze man auch mehr die Gelegenheiten, um Gedenkmünzen zu prägen. Den Geburtstag Friedrichs des Großen hat man vorüber⸗ gehen lassen, ohne eine Gedenkmünze zu prägen, und doch wäre es in ganz Preußen mit Freude begrüßt worden, wenn das „FRIDERICVS BORVSSORVM REX“ wieder auf einer Münze stände. Beim

25 jährigen Jubiläum des Kaisers sollte man an eine Gedenkmünze

denken. In meinem Mansfelder Wahlkreis wünscht die Be⸗ völkerung sehr lebhaft, daß der alte Mansfelder Segenstaler wieder ausgeprägt werde. Außer den Reichsfinanzen könnten diese Prägungen auch unserem heimischen Silberbergbau zugute, der zu erheblichem Teil fiskalisch ist, sodaß auch unsere Staatsfinanzen einen seringen Nutzen hätten. Ich möchte aber fragen, wie die Beziehungen bei dem Erwerb des Silbers zwischen der Münze und den Hütten⸗ werken sind, ob da etwa auf bureaukratischem Wege erst das Silber verkauft und dann wieder von der Münze angekauft wird, oder ob unter Ersparung von Transporten direkte Beziehungen zwischen Hütten und Münze bestehen.

Abg. von Kessel (kons.): Der Regierungskommissar hat allerdings

recht, wenn er sagt, daß die preußische Münzverwaltung keinen maß⸗

ebenden Einfluß auf die Sache hat; aber wenn das Abgeordneten⸗ Haus in seiner großen Mehrheit seine Unzufriedenheit mit unseren Münzen ausspricht, so wird das auch auf die Reichsinstanzen nicht ganz ohne Einfluß bleiben. Daß die Ausführung des Fünfundzwanzig⸗ pfennigstückes wenig glücklich ist, darüber sind wir alle einig. Sodann bin ich in der glücklichen Lage, hier einen neuen Hundertmarkschein vorzeigen zu können, den mir ein Fraktionsgenosse geliehen hat. Auch dieser Schein ist höchst unpraktisch, und die neue Form sollte mög⸗ lichst bald abgeschafft werden. .““

Geheimer Oberfinanzrat Sachs: Selbstverständlich werden alle Anregungen, die aus dem Hause gegeben werden, der Reichsverwaltung zur Kenntnis gebracht, und bereits im Vorjahre sind die Ver⸗ handlungen in diesem Hause dem Reichsschatzamt mitgeteilt worden. Ich kann darüber eine Auskunft nicht geben, wie das Reich sein Silber bezieht. Auch die Wünsche wegen der Form des Hundert⸗ markscheins werden wir zur Kenntnis der Reichsverwaltung bringen. Ebenso nehmen wir den Wunsch nach Ausprägung von Gedenk⸗ münzen zur Kenntnis, aber erfahrungsgemäß verschwinden diese Münzen sehr bald wieder aus dem Verkehr, und einer zu großen Ausprägung stehen Bedenken hinsichtlich einer Ueberlastung der technischen Einrichtungen entgegen.

Abg. Freiherr von Wolff⸗Metternich (Zentr.) und Abg. Dr. Friedberg (nl.) unterstützen die Forderung einer künstlerischeren Ge⸗ staltung der Hundertmarkscheine und Denkmünzen.

Der Etat der Münzverwaltung wird bewilligt.

Ohne Debatte werden dann die Etats des Staatsmini⸗ steriums, der Staatsarchive, der Generalordenskom⸗ mission, des Geheimen Zivilkabinetts, des Diszi⸗ plinarhofs, des Gerichtshofs zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte, des Deutschen Reichs⸗ und Preußischen Staatsanzeigers und ebenso die Ausgabe für Zwecke der Landesvermessung bewilligt

(Schluß des Blattes.)

Das Mitglied des Herrenhauses Generalfeldmarschall

von Hahnke ist am 8. d. M. in Berlin gestorben.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Porzellanarbeiter in der Teltower Porzellan⸗ fabrik waren, wie die „Voss. Ztg.“ berichtet, vor einiger Zeit in den

88

8

8 18 111“ 1 88 9 usstand getreten, sie konnten aber ihre Forderungen nicht durchsetzen, weil die bestellten Arbeiten von anderen Fabriken in verschiedenen Provinzstädten ausgeführt wurden. Hierauf wurde auf Anordnung des Ausschusses der organisierten Arbeiter die Arbeit in sechs weiteren Fabriken der Provinz niedergelegt. Das Syndikat der ver⸗ einigten 8vZZ Deutschlands hat jetzt beschlossen, am 24. Februar d. J. sämtliche abriken zu s chließen, wovon denn auch die nicht organisierten Arbeiter betroffen werden würden. In Groß Berlin kommen 4000 Personen in Betracht, b5 ün in den Porzellanfabriken in Teltow und in Hennigsdorf bei

egel.

Die Bewegung unter den Schleppern im Westfeld der „Königin Luisegrube“ bei Zabrze (val. Nr. 36 d. Bl.) ist beendet. Die Auffahrt erfolgte heute vollzählig, nachdem von seiten der Direktion durch Anschlag bekannt gemacht war, daß alle diejenigen, die innerhalb von drei Tagen die Arbelt nicht aufnehmen, entlassen seien. Die Zugeständnisse bezüglich einer zehnprozentigen Lohn⸗ erhöhung, die die Ausständigen gefordert hatten, sind nicht erfolgt.

In Mainz, wo die Konfektionszuschneider ausständig sind, haben sich, der „Köln. Ztg.“ zufolge, nun auch 200 Schneider dem Streik angeschlossen und die Arbeit eingestellt.

Zehntausend ausgesperrte Arbeiter der Maschinen⸗ fabriken veranstalteten, wie „W. T. B.“ meldet, gestern einen Kundge ö durch die Hauptstraßen Prags, der ruhig verlief. Die Handels lungen eingeleitet.

Aus London wird dem „W. T. B.“ telegraphiert, daß die Konferenz der Kohlengrubenbesitzer und der Bergleute (vgl. Nr. 36 d. Bl.) gestern wieder zusammengetreten ist, sich aber, ohne eine Veröffentlichung über die Sitzung zu machen, vertagt hat. Es ist kein Anzeichen dafür vorhanden, daß die Konferenz überhaupt wieder zusammentreten wird. Man hegt starken Zweifel, ob der Ausstand jetzt noch abgewendet werden kann.

In Paris, wo die Kraftwagenfahrer (vgl. Nr. 31 d. Bl.) ausständig sind, schleuderte, wie „W. T. B.“ meldet, gestern ein 15 jähriger Radfahrer auf dem Boulevard Sewastopol gegen ein von zwei Arbeitswilligen geführten Taxameter eine Flasche mit Schwefelsäure. Ein Fahrer und die beiden Insassen wurden von dem Inhalt bespritzt, unter ihnen eine Frau, die schwere Brand⸗ wunden im Gesicht davontrug. Der Täter entkam.

Im Gebiet von Mons ist es, wie „W. T. B.“ berichtet, auch gestern an verschiedenen Orten zu Zusammenstößen zwischen streikenden Bergarbeitern und der verstärkten Gendarmerie gekommen, weil die Streikenden Lebensmitteltransporte anhielten und zum Teil plünderten. Die Regierung sah sich genötigt, gestern nach⸗ mittag weitere militärische Verstärkungen nach dem Streik⸗ gebiet abzusenden. Wenn die Abstimmung, die heute veranstaltet wird und an der nur Bergarbeiter, die das einundzwanzigste Lebens⸗ jahr vollendet haben, teilnehmen duͤrfen, nicht die Wiederaufnahme der Arbeit bestimmen sollte, so sind bei Fortsetzung des Streiks ernst⸗ liche Unruhen im Streikgebiet zu befürchten, da die Not außerordentlich groß ist. (Vgl. Nr. 36 d. Bl.)

kammer hat Friedensverhand⸗

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten Beilage.

Kunst und Wisseuschaf

e philosophisch⸗historische Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften hielt am 1. Februar unter dem Vorsitz ihres Sekretars Herrn Diels eine Sitzung, in der Herr Sachau über die christliche Gesetzgebung für die Persis, vertreten durch die Erzbischöfe Jesubocht und Simeon, las Im besonderen wurden ihre Ansichten über Recht und Rechtspflege, ihre Be mühungen um die Einrichtung der Ehe der persischen Christen nach christlichen Grundsätzen, ihr Kampf gegen die Magierehe und Levirats⸗ ehe sowie ihre Bemühungen um die Sicherstellung der Witwe im Erbrecht erörtert. Herr von Wilamowitz⸗Moellen dorf legte eine Abhandlung „Mimnermos und Properz“ vor. Es wird in ihr untersucht, wie man sich das Gedichtbuch Nanno des Mimnermos zu denken hat. Da nach diesem Properz das sein Cynthia genannt hat, wird wahrscheinlich, daß er sich in der Dar⸗ stellung der eigenen Liebe an die klassische Elegie der Griechen angeschlossen hat. Herr Kuno Meyer legte eine Abhandlung des verstorbenen Mit⸗ gliedes Zimmer vor: Auf welchem Wege kamen die Goidelen vom Kontinent nach Irland. Der Verfasser bekämpft im ein⸗ zelnen die hauptsächlich von Rhys vertretene Ansicht, daß die Goidelen zunächst Britannien erobert haben und von den nachrückenden Britten nach Irland hinübergetrieben worden sind. Herr Harnack über⸗ reichte das 1. Heft der neu begründeten „Mitteilungen aus der König⸗ lichen Bibliothek“, enthaltend Briefe Friedrichs des Großen an Thieriot, hrsg. von E. Jacobs. Berlin 1912.

In der an demselben Tage unter dem Vorsitz ihres Sekretars Herrn Auwers abgehaltenen Sitzung der physikalisch⸗mathe⸗ matischen Klasse las Herr Rubner über die Beteiligung endocellularer Fermente am Energieverbrauch der Zelle. Der Vortragende zeigte an Versuchen, die an Hefezellen angestellt worden sind, daß diese nur Wärme entwickeln, wenn sie in Zuckerlösung sich befinden, und daß dabei nicht mehr Wärme gebildet wird, als auf Grund von thermo⸗ chemischer Berechnung der Alkoholgärungsgleichung erwartet werden kann. Ein Teil des vergorenen Zuckers muß also dem Stoffwechsel der Hefe dienen. Es kann nicht einfach, wie bisher angenommen wurde, die ganze Gärung auf Fermentwirkung beruhen. Dies wurde dann durch weitere Versuche näher dargelegt und ferner durch be⸗ sondere Untersuchung der Fermentwirkung gezeigt, daß die überwiegende Menge der von der Hefe erzeugten Wärme auf vitale Prozesse zurück⸗ zuführen ist. Herr Nernst legte eine Arbeit „Thermodynamik und spezifische Wärme“ vor. Der vom Verfasser aufgestellte Wärmesatz wird in ihr aus der experimentellen Tatsache abgeleitet, wonach die spezifischen Wärmen fester Körper bei tiefen Tempera⸗ turen verschwinden. Zugleich wird auf diesem Wege eine etwas all⸗ gemeinere Fassung jenes Wärmesatzes gewonnen. Herr Nernst legte ferner eine Arbeit des Dr. A. Eucken vor: Die Mole⸗ kularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. In ihr wird der Nachweis geführt, daß im Sinne der Vorhersagung der Quantentheorie das Wasserstoffmolekül bei sehr tiefen Tempera⸗ turen seine Rotationsenergie verliert und daß der gasförmige Wasser⸗ stoff bereits bei 50 ° (abs.) die Molekularwärme eines einatomigen Gases annimmt. In quantitativer Hinsicht ist der Abfall der spezi⸗ fischen Wärme allerdings viel rascher, als die bisherige Theorie er⸗ warten ließ

Theater und Musir.

Kleines Theater.

„Und das Licht scheinet in der Finsternis“, ein nach gelassenes Drama in vier Akten (fünf Bildern) von Leo Tolstoi, wurde gestern im Kleinen Theater zum ersten Male aufgeführt und mit der Achtung aufgenommen, die dem Dichter, vor allem aber dem großen Menschen Tolstoi gebührt. Wenn au be der Mensch, der mutige Bekenner der von ihm erkannten Wahrheit aus diesen Szenen zu uns spricht, auch seine dichterische Gabe, jenes ihm anvertraute Pfand, das er in späteren Jahren gering achtete, offenbart sich in der Gestalrungskraft, die ihn dazu trieb, sein eigenes Leben hier nachzuzeichnen. In der Hauptgestalt der Szenenfolge, Nikolai Iwanowitsch Sarynzew, ibt er ein Spiegel⸗ bild seiner selbst von dem Augenblick an, als sich der Umschwung in seinem Wesen vollzog, als er Reichtum und Besitz wie einen Raub an denen ju empfinden begann, dur deren Hände Arbeit sie erworben wurden. Klar und scha hebt sich diese Gestalt von ihrer Umgebung ab, und mit größter Ob⸗

8

.eg, zeigt Tolstoi die Wort⸗ und Seelenkämpfe, die er mit seinen idersachern auszufechten hatte. Alles, was die herrschende Welt⸗