arbeitet und geprüft worden ist. Ich glaube, daß aus diesem Grunde die landwirtschaftlichen Interessen auch bei der Neuorganisation genügend gewahrt bleiben werden. Selbstverständlich aber werden die heute hier geäußerten Bedenken ebenso geprüft werden wie die Berichte der Regierungspräsidenten, die über diese Frage eingefordert worden sind.
Die Vereinfachung, die in der in Aussicht genommenen Ein⸗ richtung liegt, kommt nicht allein dem Ministerium der öffent⸗ lichen Arbeiten, sondern andererseits auch wieder dem landwirt⸗ schaftlichen Ministerium zu statten; denn es ist eben ein gewisser Austausch der einzelnen Arbeiten und Projekte gedacht. Projekte und Angelegenheiten, die bisher von den Baubeamten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten bearbeitet worden sind, sollen nunmehr auch den Meliorationsbaubeamten zugewiesen werden, und andererseits sollen, besonders kleinere Projekte aus dem Gebiete des landwirtschaftlichen Ressorts auch von den Baubeamten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten erledigt werden können. Es handelt sich doch in der Mehrzahl um Beamte, die eine ganze Reihe von Jahreg in demselben Bezirke bleiben und die genügende Aus⸗ bildung besitzen, um sich einerseits auch in die Geschäfte der eigent⸗ lichen Bauverwaltung und andererseits in die Geschäfte der Meliorationsbauverwaltung einzuarbeiten. Wenn bezüglich der land⸗ wirtschaftlichen Verwaltung noch Bedenken bestehen sollten, so werden sie meines Erachtens in der Hauptsache durch die feststebende Tatsache ausgeräumt, daß kein Projekt zur Ausführung kommen kann, ohne daß es von dem dem Regierungspräsidenten beigegebenen Baubeamten der landwirtschaftlichen Verwaltung wenigstens geprüft worden ist.
Was nun den Namen angeht, so gebe ich gern zu, daß die Be⸗ zeichnung „Meliorationsbaubeamter“ nicht gerade sehr schön und für alle diejenigen, die zum Stottern neigen, auch im Gebrauch keines⸗ wegs leicht ist. (Heiterkeil.) Aber es geht damit wie bei dem Departementstierarzt: es ist bis jetzt ein besserer Name noch nicht ge⸗ funden worden. Sollte er mir vorgeschlagen werden, so bin ich gern bereit, auf eine Aenderung dieses Titels hinzuwirken.
Herr Abg. Klocke hat dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß der Oberpräsident mehr oder weniger in Meliorations⸗ angelegenheiten ausgeschaltet werden würde! Es darf dabei nicht unerwähnt gelassen werden, daß die Herren Oberpräsidenten — ich habe ja auch zu ihnen gehört — häufig Klage darüber geführt haben, daß eine Ueberweisung der Meliorationsangelegenheiten für sie eigentlich nur auf dem Papier stände. Die Meliorations⸗ baubeamten sind in der Provinz verteilt, und ich habe — das kann ich ehrlich gestehen — meine Meliorationsbaubeamten im Jahre eigentlich nur einmal, und zwar bei der Beratung der Verteilung des Westfonds, gesehen. Im übrigen war ich tatsächlich auch nicht im⸗ stande, auf ihre Arbeiten und ihre Tätigkeit entsprechend einzuwirken⸗ und das um so weniger, weil nach der Instruktion vom Jahre 1817 die Landesmelioration ja eigentlich Sache des Herrn Regierungs⸗ präsidenten ist und die Unterstellung der Meliorationsbaubeamten unter den Oberpräsidenten eine mehr als formelle Bedeutung nicht gehabt hat.
Aber in anderer Weise — und ich glaube, die anderen Ober⸗ präsidenten haben es ebenso gemacht, — konnte ich doch meinen Ein⸗ fluß auf die Meliorationsangelegenheiten geltend machen! Es kommt heute kaum noch eine größere Melioration zustande, bei der nicht die Provinzialverwaltung mitwirkt und auch ihrerseits, wenn der Staat eine Beihilfe gibt, ebenfalls eine Beihilfe leistet. Da ist es Sache des Oberpräsidenten, die entsprechenden Verhandlungen mit der Pro⸗ vinzialverwaltung zu führen und auch seinerseits darauf hinzuwirken, daß die Meliorationsprojekte den Wünschen und Bedürfnissen der Beteiligten entsprechen, event. also auch nach dem Wunsche des Oberpräsidenten abgeändert und umgestaltet werden. Diese Tätigkeit bleibt dem Oberpräsidenten nach wie vor, und sie gibt ihm also auch die Möglichkeit, auch auf diesem wichtigen Gebiete seinen Einfluß entsprechend geltend zu machen. (Beifall.)
Die Denkschrift wird durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt.
Zu den Ausgaben für Unterhaltung von Deichen, Ufern
und von nichtschiffbaren Flüssen bemerkt Abg. Richtarsky (Zentr.): Die im vorigen Jahre von uns eingebrachte Interpellation wegen der Ueberschwemmung des Oppa⸗ flusses konnte von dem Minister wegen fehlender amtlicher Berichte nicht beantwortet werden. Seit mehr als 35 Jahren werden, hier Klagen über die große Ueberschwemmungsgefahr der Oppa geführt; auch im Jahre 1900, bei der Beratung des Hochwasserschutzgesetzes, ist diese Frage eingehend behandelt worden. Die Ueberschwemmungs⸗ efahr ist in den letzten zehn Jahren noch größer geworden; in dieser eit sind vier große Ueberschwemmungen gewesen. Diejenigen von 1903, 1910 und 1911 waren sehr schlimm. Die Anlieger sind in den 8ö Fällen nicht imstande, die kostspieligen Uferbauten, die meistens in keinem Verhältnis zum Wert der Grundstücke stehen, zu übernehmen. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung be⸗ sschränkten sich auf eine unzureichende Flickarbeit, die meist nur bis zum njächsten Hochwasser standhielt. Deshalb ist die Unzufriedenh it der Anlieger, die sich selbst nicht schützen können, begreiflich. Es ist Pflicht der Regierung, helfend e nzugreifen, und ich bitte den Minister dringend um Maßnahmen, die weiteren Ueberschwemmungen
vorbeugen können. Bei den Waldkultur
bemerkt
Abg. von Kries (kons.): Für die Aufforstungen in den öst⸗ lichen Provinzen sollte die Regierung mehr Mittel bereit stellen, wenn auch die bisherigen Erfahrungen mit der Unterstützung der Auf⸗ forstungen nicht überall Füe⸗ gewesen sind. Die Landwirtschafts⸗
Ausgaben zur Förderung der
kammer in der Provinz Posen hat eine Art der Förderung der Auf⸗ forstung begonnen, die auf die Dauer sicheren Erfols verspricht. Die
Kaeammer geht so vor, daß lokale Aufforstungsvereine gegründet werden, deren Mitglieder sich zur Aufforstung verpflichten; die Kammer liefert vorzügliches Pflanzmaterial umsonst. Ein solcher Aufforstungsverein besteht seit mehreren Jahren im Kreise Filehne und hat schon eine
Menge Oedland aufgeforstet. Aber die Mittel der Landwirtschafts⸗ kammer reichen nicht aus, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Die Unterstützung vom Staate ist außerordentlich karg bemessen, es handelt sich jetzt nur um 3000 ℳ. Die Kammer ist schon beim Ministerium vorstellig geworden um Erhöhung der Mittel, aber leider vergebens. Ich bitte die Regierung, den Landwirtschaftskammern mehr Mittel für die Aufforstung zur Verfüghngh zu stellen. Der Kreis Ortelsburg in Ostpreußen hat schon 1 Norgen durch Auf⸗ forstung kultiviert, aber er ist ein armer Kreis und bedarf der staat⸗ lichen Beihilfe bei seinem gemeinnützigen Streben. Bisher hat sich die Regierung auf einen ablehnenden Standpunkt gestellt. Es ist aber nicht einzusehen, warum die Kreisverbände in dieser Hinsicht anders als die städlischen und andere Kommunalverbaͤnde behandelt werden.
(eheimer Oberregierungsrat Hoffmann: Die landwirtschaft⸗ liche Verwalrung steht auf dem Standpunkt, daß die Unterstützung der
wohlwollend prüfen nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. In der Angelegenheit des Kreises Ortelsburg kann ich eine Zusage nicht er⸗ teilen, weil die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind.
Bei den allgemeinen Ausgaben, und zwar beim Dis⸗ positionsfonds zur Unterstützung landwirtschaftlicher Vereine, kommt der
Abg. von Goßler (kons.) auf die ländliche Wohlfahrtspflege zu sprechen: Dafür wird schon jetzt manches getan, wir haben in diesem Etat die ganzen Summen, die für die ländliche Ansiedlung ausgeworsen sind, und ferner sind auch im Kultusetat Mittel zur Förderung von Volksbibliotheken eingesetzt. Das große Gebiet der Wohlfahrtspflege ist damit aber nicht erschöpft. Den ländlichen Ver⸗ einen für Wohlfahrts und Heimatspflege unter dem Vorsitz des Herrn Professors Sohnrey könnten sehr wohl Unterstützungen ge⸗ währt werden. Für die Hauptsache halte ich aber die Ausbildung von Landpflegerinnen, die in der Hauswirtschaft ausgebildet sind, Unterweisungen in der Kinderpflege und Gesundheitspflege geben können, für Volksbibliotheken forgen, Volksunterhaltungsabende veranstalten, und die auch in der Krankenpflege aus⸗ gebildet sein müssen. Dafür sind Pflegerinnen nötig, die mit ganzem Herzen sich ihrer Aufgabe widmen. Dann können sie aber auch ein Segen für die ganze Ortschaft werden. Es ist zu hoffen, daß mit der Zeit viele sich diesem Berufe widmen werden, denn jeden⸗ falls ist er angenehmer als die bloße Krankenpflege. Zurzeit fehlt es aber an genügend vorgebildeten Landpflegerinnen, es fehlt auch an Anstalten, die derartige Landpflegerinnen ausbilden. Die Pflegerinnen werden in einem einjährigen Kursus, einschließlich der Krankenpflege, ausgebildet. Ich möchte den Minister bitten, sich diese Frage ganz besonders angelegen sein zu lassen. Man könnte vielleicht an die Haushaltungsschulen Kurse für Landpflegerinnen an⸗ gliedern.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Der Vorredner hat mit der Behauptung recht daß in dem Etat des Landwirtschaftsministeriums für die von ihm hervorgehobenen Zwecke ein Fonds nicht vorhanden ist. Wir sind jedoch in der Lage gewesen, seit einer Reihe von Jahren aus dem Titel 1 Kapitel 107 des Etats gelegentlich auch Beihilfen für Land⸗ pflegerinnen unter der Voraussetzung zu geben, daß ihnen durch diese Beihilfen eine Förderung in der hauswirtschaftlichen Ausbildung zu⸗ teil werden konnte. Ich erkenne mit dem Herrn Vorredner gern an, daß die weitere Förderung der Ausbildung der Landpflegerinnen und ihre weitere Verbreitung auf dem Lande von großer Bedeutung für das Wohl der ländlichen Bevölkerung ist. Von diesem Gesichts⸗ punkte aus kann auch die landwirtschaftliche Verwaltung sich der Auf⸗ gabe nicht entziehen, auch ihrerseits zur Förderung dieser Einrichtung beizutragen, die als solche allerdings nicht in erster Linie zum Ressort der landwirtschaftlichen Verwaltung gehört. Ich bin deswegen gern bereit, auch in Zukunft die bei der landwirtschaftlichen Verwaltung eingehende Anträge dahin zu prüfen, ob nach den staatsrechtlichen Grundsätzen und nach der Lage des einzelnen Falls eine Unterstützung gewährt werden kann. Ich würde mich selbstredend auch damit ein⸗ verstanden erklären können, wenn es im Laufe der kommenden Jahre gelingen würde, einen besonderen Fonds für die von dem Herrn Vor⸗ redner genannten Zwecke im Etat flüssig zu machen. (Bravo!)
Abg. Dr. Flesch (fortschr. Volksp.): Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist die Förderung des Arbeitsnachweises auf dem Lande. Der Arbeitsnachweis in Frankeurt a. M. hat recht gute Erfolge auf⸗ zuweisen. Die Landwirkschaftskammern müssen auf die Arbeits⸗ nachweise noch mehr als, sher Gewicht legen. Zu dem Titel „Förderung des Obst., Wein⸗ und Garten⸗ baues“ beantragt der Abg. Ecker⸗Winsen (nl.): „die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, diesen Fonds um 100 000 ℳ zu erhöhen, um durch planmäßigen Massenanbau von Obst und systematische Förderung des garten⸗ und feldmäßigen Gemüsebaues in hierfür durch Bodenbeschaffenheit und Lage zu großen. Absatzmärkten besonders geeigneten Gegenden der aus⸗ ländischen Konkurrenz wirksamer als bisher entgegenzutreten.“
Die Abgg. Engelsmann und D. Hackenberg (nl.) beantragen:
„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Summe von 500 000 ℳ als Unterstützung der im vorigen Jahre durch schweres Hagelwetter heimgesuchten Weinbauge biete an der Nahe zur Verfügung zu stellen, um in der Lage zu sein, nicht nur den kleineren, sondern auch den am meisten geschädigten, ausschließlich fu den Weinbau angewiesenen Winzern wirksam aufhelfen zu önnen.“
Abg. von Kloeden (B. d. L.): Ich möchte den Wunsch wieder⸗ holen, daß in den Weingebieten hinsichtlich der Reblausbekämpfung aufklärend gewirkt wird, und Wanderlehrer von den Landwirtschafts⸗ kammern herumgeschickt werden. Die beruhigende Erklätung des Ministers bezüglich der scharfen Handhabung der Einfuhrbestimmungen zum Schutz unserer Weinbaugebiete gegen die Konkurrenz ausländischer minderwertiger Weine beg üße ich. Es sind Bedenken geäußert worden, daß zu wenig Weinkontrolleure vorhanden seien. Es hat befremdet, daß für Berlin, die Provinz Brandenburg und die Provinz Posen nur ein Kon⸗ trolleur vorhanden sei. Ich habe aber ermittelt, daß außer diesem Kontrolleur noch ein Spezialkontrolleur für Berlin und ein Kontrolleur für die Weinbaugebiete der Provinz Brandenburg existiert. Meine Nachforschungen Sben ergeben, daß überall, in allen Weinkellern, eine ordentliche Kontrolle ausgeübt worden ist. Die Frage muß aber doch im Auge behalten werden, ob dauernd so wenig Kontrolleure ibre Aufgabe erfüllen können. Im Geschmack des Publikums hat sich eine erfreuliche Wandlung vollzogen. Das Publikum begünstigt seit einiger Zeit die Naturweine mehr als die gezuckerten. Es muß aber auch die Möglichkeit gegeben werden, daß der Kon⸗ sument leicht entscheiben kann, ob er einen reinen Naturwein oder einen gezuckerten vor sich hat, sodaß jeder nach seinem Geschmack das ihm Bekommende wählen kann. Ich habe mich bemüht, beim Mi⸗ nisterium des Innern dahin zu wirken, daß in den Krankenhäusern statt der fremden Südweine unsere guten heimischen Weine ein⸗
eführt werden. Unfere heimischen Weine sind nach jeder Richtung in der Lage, diese Südweine zum Vorteil der Kranken zu ersetzen. — 8egg. Dietrich⸗Thorn (fortschr. Volkp.) tritt für den Antrag des Abg. Ecker ein: Wenn Vereine und Genossenschaften sich der Aufgabe unterziehen, Obstkulturen in großem Maßstabe anzulegen, so tun sie das nicht allein des Erwerbs wegen, sondern auch, um Erfahrungen zu sammeln und im Interesse der Allgemein⸗ heit zu verwerten. In den Anfangsperioden müssen solche Vereine und Genossenschaften Beihilfen erhalten, damit sie die Kulturen durch⸗ halten können. Das ost⸗ und westpreußische Obst kann mit dem aus⸗ ländischen unzweifelhaft konkurrieren. Wenn die Obstkultur einen großzügigen Charakter erhält und in großem und planmäßigem Stil gepflegt wird, können Millionen, die jetzt ins Ausland gehen, dem In⸗ lande erhalten werden.
Abg. Engelsmann (nl.): In der Frage der Reblaus⸗ bekämpfung stehe ich auf demselben Standpunkt, den der Landwirtschafts⸗ minister in der Budgetkommission ve treten hat Wir müssen sehen, die Reblaus auf unseren einheimischen Stöcken zu bekämpfen. Erst wenn es nicht mehr anders gehen sollte, darf man zum amerikanischen Unterbau übergehen. In diesem guten Weinjahre haben die Wein⸗ bauern wieder Mut bekommen, deshalb möchte ich den Minister
damit sie wieder imstande sind, Neuanlagen zu machen.
Abg. Veltin (Zentr.) bittet die Regierung um energisches Vorgehen in der Bekämpfung der Rebschädlinge, um Maßnahmen gegen die ausländische Konkurrenz und empfiehlt die Annahme des
Antrags Engelsmann. 1z
Abg. Dr. König (Zentr.): Ich stehe dem Antrage Ecker⸗Winsen
sympathisch gegenüber und wünsche gleichfalls den Schutz unseres
Weinbaues gegen die ausländische Konkurrenz. Unsere gartenbau⸗
treibende Bevölkerung wünscht ferner, daß sie nach Art der Land- wirtschaftskammern und Handwerkskammern eine Berufsvertretung erhalte, die aus Interessenten zusammengesetzt ist. Wir
halten die Forderung nach Gartenbaukammern für durch⸗
aus berechtigt. Welche Fortschritte die Gärtnerei gemacht hat,
kann man täglich in den Straßen und an den Blumen⸗
jäden sehen. Der Vorschlag, bei den Landwirtschaftskammern besondere Abteilungen für Gartenbau zu schaffen, hätte allerdings den
Vorteil, daß nicht eine neue Organisation geschaffen wird, aber die Gegengründe überwiegen doch; eine vollständige enß der Gärtneretinteressen wäre dabei nicht möglich. Hoffentlich geht die Regierung bald mit entsprechenden Maßnahmen vor, um dem
Garienbau eine Vertretung zu schaffen. Wenn sie Gartenbaukammern
ablehnen sollte, was ich bedauern würde, müßte sie andere Maß⸗
nahmen ergreifen. —
Abg. Ecker⸗Winsen (nl.): Ich freue mich, daß der Vor⸗
redner meinem Antrage zugestimmt hat. Unser Obstbau weist einen
zu langsamen Fortschritt auf, und es muß unsere Aufgabe
sein, ihn kräftiger zu fördern. Unser Anbau wird nicht so
rationell betrieben wie in anderen Ländern, namentlich in Holland,
wo der Obstbau zu einer Quelle des Wohlstandes geworden ist.
Unser Antrag hat den Sinn, daß ein besonderer Fonds für diesen Zweck errichtet wiꝛd, um einen planmäßigen Massenanhau von Obst
zu ermöglichen. Ich bitte, meinen Antrag der Agrarkommission zu
überweisen.
Abg. Lüders⸗Gronau (freikons.): Meine Freunde stehen dem Antrage Ecker sehr sympathisch gegenüber und sind gleichfalls für eine stärkere Förderung des Obstbaues. Aber auch in dem Gemüsebau müßten wir weitere Fortschritte machen; in meiner Heimat sind die Domänen darin vorbildlich vorgegangen, aber auch die kleineren Be sißer haben schon mit Erfolg sich dem Gemüsebau zugewendet. Der Gartenbau hat seine Beziehungen weit über unsere Grenzen in das Ausland hinein erstreckt; diese Handelsgärtnerei findet in den Land wirtschaftskammern nicht ihre richtige Vertretung, denn diese um fassen nur lokale Gebiete. Der Wunsch der Gartenbauinteressenten wegen Schaffung einer eigenen Vertretung ist um so berechtigter, al diese Interessen bei den Handelsverträgen bisher vernachlässig worden sind.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten D Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Ich möchte gleich auf die Wünsche des letzte Herrn Vorredners eingehen. Die Frage der Errichtung von Garten
schäftigt. Bei aller Anerkennung der diesen Wünschen der Handels⸗ gärtner zugrunde liegenden Gedanken haben die landwirtschaftlichen Vertretungen in Uebereinstimmung mit der landwirtschaftlichen Ver⸗ waltung den Standpunkt eingenommen, daß den berechtigten Wünschen der Gärtner auch auf andere Weise genügend entgegengekommen werden könnte, und zwar dadurch, daß man bei den Landwirtschafts⸗ kammern und innerhalb der Organisation derselben Gartenbau⸗ ausschüsse errichtet.
Meine Herren, es handelt sich ja um eine große Reihe von Be⸗ trieben, wie der Herr Vorredner schon hervorgehoben hat, auch um eine große Anzahl von Arbeitern, die in denselben beschäftigt werden und dabei ihren Lebensunterhalt gewinnen. Es steht andererseits auch gewiß außer Frage, daß bei der dem⸗ nächstigen Beratung über neue Zoll⸗ und Handelsverträge die Interessen der Handelsgärtner keine unbedeutende Rolle spielen werden und gewiß Berücksichtigung verdienen. (Bravo!) Aber dem allen kann, glaube ich, innerhalb der Landwirtschaftskammern, die ja nach Gesetz und Satzung sich auch des Gärtnereibetriebes annehmen müssen, vollständig Rechnung getragen werden! Es kommt nur dar⸗ auf an, daß es auch wirklich geschieht und nach dieser Richtung hin wird die landwirtschaftliche Verwaltung auch den genügenden Druck, wo es etwa noch notwendig sein sollte, ausüben.
Ich halte aber dafür, meine Herren, daß es kaum dazu kommen wird, weil ich aus den bisher gepflogenen Verhandlungen weiß, daß die preußischen Landwirtschaftskammern ohne Ausnahme der Gärtnerci innerhalb ihrer Organisation eine entsprechende Vertretung nicht vor⸗ enthalten wollen. Ich warne davor, für jede einzelne Betriebs⸗ gattung, der an sich schon einer größeren Berufsvereinigung angehört, noch eine besondere Vertretung zu schaffen. (Sehr richtig!) Schaffen wir innerhalb jeder einzelnen Provinz eine Gartenbaukammer, so werden diese sich wieder zu einer Zentralgartenbaukammer in Berlin vereinigen, und wir haben dann, da die Landwirtschaftskammern jeden⸗ falls einen großen Teil der Gärtnerei, soweit sie nicht Handels⸗ gärtneret ist, weiterhin vertreten würden, das erbauliche Schauspiel, daß die Zentralgartenbaukammer in Berlin sich gelegentlich im Gegen⸗ satz zur Zentralstelle der Landwirtschaftskammern oder dem Landes⸗ ökonomiekollegium befindet. Meine Herren, ich meine, das muß schon im Interesse des großen landwirtschaftlichen Berufsstandes, zu dem auch die Gärtner gehören, vermieden werden. (Sehr gut!)
Was sodann den Antrag des Herrn Abg. Ecker angeht, so ist, soviel ich weiß, beantragt worden, ihn noch der Budgetkommission zu überweisen. (Zurufe: Agrarkommission!) Wenn ich mich aber auch in letzterer Beziehung irren sollte, so glaube ich schon jetzt zum Aus⸗ druck bringen zu müssen, daß es nicht möglich sein wird, in dem dies⸗ jährigen Etat für diesen Zweck noch eine Summe von 100 000 ℳ flüssig zu machen. Ich erkenne an sich das Bedürfnis für eine Vermehrung der für Obst⸗ und Gartenbau ausgesetzten Mittel ohne weiteres an; aber ich mache auch hier auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die sich augenblicklich einer Verwendung größerer Beihilfen noch entgegen⸗ stellen. Ich bin lange Jahre, schon als Landrat, in einem Bezirke tätig gewesen, der sich in bezug auf Gartenbau den holländischen Unternehmungen nahezu an die Seite stellen konnte; das war im Kreise Neuß und in der Umgebung von Düsseldorf. Trotzdem da alles geschehen ist, auch an Staatsbeihilfen nicht gespart wurde, waren die Schwierigkeiten des Absatzes gerade in den Zeiten, wo die Preise lohnend waren, besonders groß. Da machte sich immer wieder die Konkurrenz des Auslandes und die Schwierigkeit geltend, für die Produkte zur rechten Zeit auch ein entsprechendes Absatzgebiet zu finden. Aber ich gebe gern die Tatsache zu, daß es höchst bedauerlich ist, daß noch jedes Jahr so große Summen für gärtnerische Erzeugnisse nach dem Auslande wandern, und daß es unbedingt zu erstreben und, wie ich glaube, auch im Laufe der Jahre zu erreichen ist, einen großen Teil dieser Erzeugnisse im eigenen Lande hervorzubringen. Wir haben ja — das können wir
bitten, unserem Antrage gemäß, der sich an unsere vor einigen Tagen
Landwirtschaftskammern berechtigt ist, und sie wird jede Anforderung
88
11““ 1
behandelte Interpellation anschließt, den Winzern an der Nahe
ohne weiteres anerkennen — auf dem Gebiete des Gartenbaues und
Abg. Engelsmann die Absicht hat, jedes Jahr 500 000 ℳ für die von
baukammern hat die landwirtschaftlichen Vertretungen bereits be⸗
dritten Lesung zu tun.
Geestemünde muß schleunigst in Angriff genommen werden, da die Vorflut
sredners gern mit der Erklärung, daß das Projekt der Luneregulierung
mit dem Herrn Finanzminister über die Höhe der Beihilfen schweben.
8 G n rr ¹ ¹ r;, 2 den Fgrctseng nimmt, wie es im Interesse der Nation nötig wäre. u
ornehmlich auch des Obstbaues in den letzten Jahren viel geleistet, wir haben große Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte bestehen in eister Linie darin, daß unsere Obst⸗ und Gartenprodukte marktfähiger geworden sind, daß sich die Produzenten genossenschaftlich zusammen⸗ geschlossen haben, daß sie den Absatz genossenschaftlich organisiert haben. Beim Obstbau ist ein großer Fortschritt auch dadurch erzielt worden daß die Sortenzahl vermindert ist und nur gewisse gangbare Sorten in demselben Bezirke in möglichst großer Menge produziert werden. (Sehr richtig!) Die Herren Handelsgärtner und Baumschulbesitzer haben in früherer Zeit den großen Fehler gemacht, daß sie alle paar Jahre mit einem neuen Baum und einem neuen Namen in die Erscheinung getreten sind (sehr richtig); jede berühmte Persönlichkeit hatte ihre Vertretung unter den Aepfeln und unter den Birnen. (Heiterkeit.) Die Produzenten sind darauf hereingefallen, haben sich diese Bäume angeschafft und hatten nachher eine prachtvolle Auswahl an Sorten von Aepfeln und Birnen. Wenn aber der Händler kam, so erklärte derselbe, daß er die kleinen Quantitäten der verschiedensten Sorten nicht gebrauchen könne. Dagegen eine Waggonladung derselben Sorte sofort über⸗ nehmen werde. Daran ist der Absatz in vielen Fällen gescheitert⸗ Ich freue mich, konstatieren zu können, daß die Landwirte klüger ge⸗ worden sind, und daß aber auch die Handelsgärtner und die Baum⸗ schulbesitzer den Wünschen der Landwirte Rechnung getragen haben; sie haben das Obstsortiment der Landwirtschaftskammern angenommen und ihre Sorten entsprechend eingeschränkt! Auf diesem Wege werden weitere Erfolge erzielt werden.
Meinerseits werde ich gern im nächsten Jahre auf eine Ver⸗ stärkung der für diese Zwecke vorgesehenen Mittel im Etat Bedacht nehmen. (Bravo!)
Noch ein Wort zu dem Antrag des Herrn Abg. Engelsmann, der anscheinend irrtümlicherweise an dieser Stelle vorgebracht worden ist. Er ist gestellt worden zu dem Kapitel 107 Titel 2, wo es sich um dauernde Ausgaben handelt, doch glaube ich kaum, daß der Herr
ihm vertretenen Winzer zu fordern. (Abg. Engelsmann: Nein, nein!) Hier handelt es sich außerdem um eine Notstandsangelegenheit, die, wie ich dem Herrn Abg. Engelsmann sagen muß, zunächst den Minister des Innern angeht. Es müßte also jedenfalls der Antrag selbst in formeller Beziehung eine vollständige Umarbeitung erfahren. Ich werde, da ich der Verhandlung vor einigen Tagen nicht beiwohnen konnte, augenblicklich nichts darüber sagen können, ob der Antrag be⸗ gründet ist oder nicht. Es müßte das der weiteren Beratung in der Budgetkommission vorbehalten bleiben. Um so mehr möchte ich an⸗ heimstellen, diesen Antrag als gesonderten und nicht zum Etat des landwirtschaftlichen Ministeriums einzubringen.
Abg. Kache (kons.): Zur Förderung des Obstbaues würde es dienen, wenn dafür Prämien ausgesetzt werden. Zu beda uern ist, daß
unser Obstbau keinen Zollschutz genießt; das ist auch der Grund weshalb sich unsere Landwirte so wenig dem Obstbau 5
Ein Schlußantrag wird angenommen.
Abg. Heine (nl.) bedauert, durch den Schluß verhind 1 Abg. L h hindert zu feig. Stellung seiner Freunde zur Frage der Gartenbaukammern arzulegen.
Abg. Hoffmann (Soz.) bedauert, daß diese Praxis des Hauses Schluß zu machen, ihn verhindere, die Lage der e prar s des, Hanf in bezug auf den Obstbau zu besprechen; er behalte sich vor, dies bei der
8
Der Antrag Ecker wird der Agrarkommission, der An⸗ trag En gelsm ann wird der Budgetkommission überwiesen. Der Rest der dauernden Ausgaben wird bevilligt. Bei den einmaligen und außerordentlichen A usgaben, und zwar bei dem Fonds zur Förderung der Land⸗ und Forstwirtschaft in den westlichen Provinzen (sog. Westfonds) weist Abg. Tourneau (Zentr.) darauf hin, daß die Regier 1 8 88 1 3 die Regierung sich bereit erklärt habe, zur Beseitigung der Notstände im Eichs eld e 2 ben 89 8 8be 10 Jahren, zu gewähren. er Redner spricht dem Minister im Namen des Eichsfeldes dafü den vsemüsn Dank aus. 8 8 Ahbg. Humann (GZentr.) beklagt sich über eine zu geringe Berücksichtigung des Westens. Gerade für die Kultivierung von Heiden und Oedländereien im oberen Stromgebiete der Ems seien größere Unterstützungen nötig. Beihilfen für die Anlegung von Wasser⸗ leitungen müßten bis zur Höhe von einem Drittel der aufzuwendenden Kosten gewährt werden. Gerade in den Kreisen Düren und Pader⸗ boin hätten viele Dörfer unter der Trockenheit zu leiden. Abg. Klußmann (nl.): Die Regulierung der Lune im Bezirk
völlig ungenügend ist, und vielfache Sommerüberschwemmungen in jedem Jahre vorkommen. In einzelnen Jahren ist sogar ein Gesamt⸗ schaden von 150 000 ℳ festgestellt worden. Das Meliorationsprojekt liegt schon seit fünf Jahren vor, alle Instanzen haben sich schon decce nauegesprochen. Es handelt sich jetzt nur noch um die staatliche e.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer: Meine Herren! Ich entspreche dem Wunsche des Herrn Vor⸗
inzwischen fertiggestellt ist und augenblicklich nur noch Verhandlungen
Sobald diese Verhandlungen den gewünschten Verlauf genommen haben werden — ich nehme an, daß das in kurzer Zeit der Fall sein wird —, so wird sich die weitere Finanzierung des Projektes und eine Ausführung hoffentlich bald ermöglichen lassen. (Bravo!)
’’’ Fonds zur Förderung der Landwirtschaft und Forst⸗ virtschaft in den östlichen Provinzen (sog. Ostfonds) in Höhe on 1 252 000 ℳ wird ohne Besprechung bewilligt.
— e dem Fonds zur Förderung der inneren Kolonisation 1 9 Provinzen Ostpreußen und Brandenburg steht die enkschrift über die Verwendung dieses Fonds im Jahre 1910 zur Beratung.
9 8
cenubg. von der Osten (kons.): Die innere Kolonisation darf nicht dang sste werden, sondern man muß auf die besonderen Verhältnisse scht nehmen. Auch die Frage, in welchem Verhältnis der Groß⸗ chied eingrundbesitz zueinander stehen soll, kann nicht generell ent⸗ st c werden. ie Frage, ob eine innere Kolonisation angebracht Wenn ztet sich nach den tatsächlichen Verhältnissen der Gegend. he 2 5 B. Forstwirtschaft vorhanden ist, ist zweifellos ein größerer 887- satz Großgrundbesitz nötig, als bei anderen Bodenverhältnissen. ¹ tbeuerliche Kolonisation ist in einem erfreulichen Aufschwung griffen, während leider die Arbeiterkolonisation stagniert und nicht
ng von Bauern und Arbeitern ist aber im Interesse bees na e rtschüft dringend zu wünschen, allerdings nur dort, wo seac- es Land und auch genügende Arbeitsgelegenheit vorhanden ist nen feide Arbeitskräfte erfolgreich verwendet werden können. Ich 8 leider konstatieren, daß für die großen Ziele noch nicht überall v G1“
2 richtige Verständnis vorhanden ist, nicht nur auf seiten der See sondern auch auf seiten der Kommunen. Ich begrüße es 5 halb dankbar, daß der Minister einen Appell an vie großen 4 ommunalperwaltungen, die Großgrundbesitz haben, gerichtet hat, Arbeiteransierlungen vorzugeben. Von der Wirkung des Appells ist leider sehr wenig zu bemerken. Wir hoffen aber auch, daß der Landwirtschaftsminister die Domänenverwaltung und auch in einzelnen Fällen die Forstverwaltung veranlassen Prt, den Bestrebungen der inneren Kolonisation ein größeres Peemweehen entgegenzubringen, als es bisher geschehen ist. orin sind nun die Hemmungen zu finden, die einen wirklichen Fort⸗ schritt auf dem Gebiete der Ansiedlung nicht ermöglichen? Soweit meine Erfahrungen reichen, ist doch Land in der Regel vorhanden. Es scheint also an den Bedingungen zu liegen. Das Verfahren, das jetzt zur Rentengutsbildung führt, ist außerordentlich kompliziert, wenn auch die Behörden, namentlich auch die Generalkommission, das größte Entgegenkommen zeigen. Auch die Bestimmung, daß das Wieder⸗ verkaufsrecht eintritt, wenn der Eigentümer des Rentenguts stirbt, die gewiß nicht so böse gemeint ist, hält doch manchen Arbeiter ab, weil in diesen Kreisen ein gewisser Skeptizismus vorhanden ist. Auch die Baubedingungen, die den Rentengutsbesitzern auf⸗ erlegt werden, wirken in gewissem Sinne vexatorisch. Ein weiteres Hindernis ist darin zu erblicken, daß die 3 ½ % Rentenbriefe unter 90 % stehen, sodaß den Rentengutsbesitzer ein Ver⸗ lust von 10 % trifft, zu dessen Deckung allerdings auch die vor⸗ gesehene Staatsbeihilfe von 800 ℳ mitberwandt werden soll. Das größte Hindernis ist aber in der Höhe der Kosten zu suchen. In den seltensten Fällen genügen 5000 ℳ, oft sind 8000 ℳ nötig. Das bedeutet eine Zinsenlast von 200 bis 320 ℳ pro Jahr. Die wenigsten Arbeiter sind geneigt, die meisten sind vielfach auch nicht 18 der Lage, derartige Summen für ihre Wohnung und etwas Gartenland auszugeben. Die erste Forderung wird also die sein, daß billiger Kredit zur Verfügung gestellt wird. Es ist Pflicht des Staates, hier einzutreten und in der inneren Kolonisation die Füh⸗ rung zu übernehmen. Der preußische Staat, der immer in solchen Dingen die Führung gehabt hat, muß hier eingreifen und muß die Führung im alten preußischen Sinne übernehmen. Der Staatsminister von Miquel hat es einmal als die Hauptaufgabe des Staates be⸗ zeichnet, zweckmäßig auf die Bodenverteilung des Staates einzuwirken. Es ist deshalb eine Verbilligung des Kredits zu wünschen, und zwar müßte der Staat einen Kredit mit 2 % Verzinsung zur Verfügung stellen, um die Arbeiteransiedlung zu fördern. Der Staatszuschuß dürfte auch nicht nur bei landwirtschaftlichen, sondern müßte auch bei industriellen Arbeiteransiedlungen gewährt werden. Den Bedenken, die gegen eine derartige Herabsetzung geäußert worden sind, daß die Rentengutsbesitzer den billigen Staatskredit in Anspruch nehmen und dafür ihre Gelder anderweitig anlegen würden, könnte entgegengetreten werden. Es ließen sich schon Mittel und Wege sinden, um die Spekulation auszuschließen. Ich erinnere nur an die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht zu handhaben. Nicht nur in Ostelbien, nein auch in weiten anderen Kreisen des Vaterlandes leiden wir unter der Kalamität einer Stagnation, ja sogar eines Rückganges der ländlichen Bevölkerung. Von 1871 bis 1907 ist die Bevölkerung der Großstädte um 86 %, die der kleinen Städte um 39 % gewachsen, die Bevölkerung des Landes aber um 18,9 % ge⸗ fallen. Diese Zahlen geben zu den ernstesten Bedenken Anlaß, nicht im Interesse einzelner Stände, sondern im Interesse der ganzen Nation. Wenn wir unser Volk nicht mehr durch die landwirtschaft⸗ liche Produktion ernähren können, dann gehen wir denselben traurigen Zuständen entgegen, die schon manche Nation zum Verfall gebracht haben. Ich erinnere nur an Rom; wer die Einzelheiten des Ver⸗ falls des Römischen Reichs kennt, wird mir recht geben. Es waren damals dieselben wirtschaftlichen Ursachen vorhanden, ein Großgrund⸗ besitz, der gegen das Interesse des Staates einen Latifundienbesitz schuf. Wollen wir uns nicht verhehlen, daß ähnliche Ursachen auch heute bestehen. Ich erinnere nur an das Wort des Geschicht⸗ schreibers Mommsen, der der Linken so nahe stand, daß gleiche Ursachen in der Geschichte auch überall gleiche Wirkungen haben. Wenn eine Partei der Entwicklung zur Latifundienbildung entgegen⸗ steht, so ist es die konservative Fraktion, weil sie sich der geschicht⸗ lichen Aufgabe unseres Staates und der Verpflichtung unseres ganzen Volkes wohl bewußt ist. Die Verschiebung des Gleichgewichts zwischen der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion und die daraus folgende Abbängigkeit vom Auslande ist doch eine Entwicklungs⸗ reihe, die uns zu ernsten Bedenken Anlaß geben muß. Ich erinnere nur an die Tatsache, daß die Menschen in den Großstädten stets in der fünften Generation im Durchschnitt aussterben. Wir befinden uns in der zwingenden Notwendigkeit, wir dürfen jetzt nicht warten, sondern müssen eingreifen, um unseren Staat in gesunde Bahnen zu lenken. Die wirtschaftliche Entwicklung hat zweifellos zu einer Konzentattion der Großbetriebe geführt. Die Großbetriebe sind rentabel, die Kleinbetriebe unrentabel. Durch die Elektrizität wird es uns vielleicht gelingen, die Konzentration der Großbetriebe zu verhindern und nach und nach in den kleinen Städten durch die Vermittlung billiger elektrischer Kraft neue Kleinbetriebe zu schaffen. Jetzt Fherrscht in unseren großen Städten vielfach eine außerordent⸗ liche Arbeitslosigkeit; in Berlin sollen täglich etwa 5500 Personen das Asyl, aufsuchen und, dessenungeachtet sind auf dem Lande keine Arbeitskräfte zu finden. Wenn man solche erschreckenden Zahlen hört, dann kommt man zu dem Resultat, daß hier etwas falsch ist, daß hier eingegriffen werden muß. Der Gyßling hat behauptet, daß der Großgrundbesitz den Kleinbesitz aufsauge. Das trifft nach der Statistik nicht zu. Von 1895 bis 1907 ist der Kleingrundbesitz bis 20 ha von 35,57 % auf 39,98 % gewachsen, der mittlere Grundbesitz von 21 bis 100 ha ist von 31,66 % auf 30,94 % gefallen, und der Großgrundbesitz ist von 32,77 % auf 29 % zurückgegangen. Der Abg. Crüger hat neulich schwere Beschuldi⸗ gungen gegen die Landwirte gerichtete, er sagt, die Großgrundbesitzer fühlten sich sehr behaglich in den bevölkerungsarmen Gegenden, und sie wollten einen neuen Stand von Hörigen schaffen. Ferner sagte er, in den Städten werde die Tuberkulose bekämpft, auf dem Lande höre man davon aber wenig. Er scheint also nicht zu wissen, daß in zahlreichen Kreisen sehr kraftig gegen die Tuberkulose vorgegangen wird. In meinem Kreise z. B. sind Pflegestationen geschaffen worden. Die Pflegerinnen werden von den Großgrundbesitzern an⸗ gegegt; eine wesentliche Aufgabe ist die Verhinderung einer Aus⸗ reitung der Lungentuberkulose. Die Pflegerinnen haben von Er⸗ krankungen zunächst dem Gutsherrn Meldung zu erstatten, es werden billige Arzneimittel gegeben, eventuell auch umsonst. Mein Kreis steht nicht vereinzelt da. In zahlreichen anderen ist es ebenso. Wenn der Abg. Crüger also sagt, auf dem Lande höre man nichts von einer Bekämpfung der Tuberkulose, so muß ich das als Be⸗ leidigung des Landes zurückweisen. Der Abg. Crüger schiebt alle Schuld auf die Schutzzollpolitik und meint, der Großgrundbesitz lasse die innere Kolonisation nicht vorwärts kommen. Der Zoll wird mindestens zu einem großen Teil vom Ausland getragen. In der Nähe der großen Städte steigen die Grundstückspreise mindestens ebenso wie auf dem Lande. Die Grundstückspreise richten sich eben nach Angebot und Nachfrage, und außerdem hat der zunehmende Wohlstand unserer Nation, der wachsende Kapitalsreichtum naturgemäß eine vermehrte Nachfrage nach Grund und Boden geschaffen. So erklärt sich die Steigerung! Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß man sich heute nicht scheut, dem Stande der Großgrundbesitzer als solchem alles in die Schuhe zu schieben. Was würden die Herren auf der Linken sagen, wenn die Großgrundbesitzer den Spieß umdrehen und den Stand der Juden heraus⸗ greifen würden? Wir tun das nicht, wir wollen keinen Stand herabsetzen. Derartige Angriffe gegen ganze Stände haben nur eine taktische Be⸗ deutung. Fürst Bismarck sagte 1885 im Reichstag: „Ich halte die Angriffe auf den Großgrundbesitz für ein ganz gewöhnliches sozia⸗ listisches Hetzmanöver. Arm gegen reich, Kleinbesitz gegen Groß⸗ besitz, divide et impera, das ist die Absicht., An einer anderen Stelle sagte Fürst Bismarck im Reichstag: „Aber Gott wird uns den Stand der Ritter und der Bauerngutsbesitzer erhalten, solange er ein gutes Regiment erhalten will. Wenn der Grundbesitz
Wir sind neulich nach der Rede des Abg. Crüger t Worte gekommen, daher war es heute meine Pflicht, dessen An⸗ schuldigungen nicht unwidersprochen zu lassen. Ich habe ihm nach⸗ szuweisen versucht, daß alle am Staate interessierten Parteien ohne Parteivermendung zusammenarbeiten müssen. Dieses Zusammen⸗ arbeiten stößt ja leider auf eine außerordentliche Behinderung. In unserem Volke herrscht eine bedauerliche Untenntnis der einzelnen Stände über einander. Wenn die Freisinnigen auf das Land kommen und sich die Zustände dort ansehen wollten, wie sie wirklich sind, so würden sie anders urteilen. Die Seßhaftmachung unserer Bevölkerung wird das beste Bollwerk, das beste Wehr zur Erhaltung unseres preußischen Staates und des deutschen Vaterlandes sein. Wenn von dem Bankerott unserer Partei gesprochen wird, so haben die Wahlen das eine schlagend bewiesen, daß es der Sozialdemokratie zu ihrem großen Kummer nicht gelungen ist, an unsere ländlichen Arbeiter heranzukommen, und sie haben das offen in ihrer Zeitung ausgesprochen. Sie haben den Mut ihrer Meinung und erkennen das offen an. Das Tatsache, und es wird ihnen nicht gelingen, denn unsere ländlichen Arbeiter stehen uns mit anderen Gesinnungen gegenüber, als die Sozialdemokraten sich aus ihrem Milieu heraus vorstellen können. Es besteht bei uns ein gewisses Vertrauensrverhältnis zwischen den Arbeitern und dem kleinen und dem großen Besitzer. Dieses Ver⸗ trauensverhältnis uns zu erhalten, das wird eine der ersten Aufgaben nationaler Politik sein. Wir halten mit aller Energie am preußischen E“ fest zum Wohle der Gesamtheit, nicht eines einzelnen Abg. Glatzel (nl.): Der Vorredner hat das Wesen der i Kolonisation richtig erkannt, und es ist nunmehr 4 poften, doß die Konservativen dieser Aufgabe keinen Widerstand mehr entgegen⸗ setzen werden. Das in Aussicht gestellte Parzellierungsgesetz wird eine Tat sein, die gerade im Osten wieder neues Vertrauen zur Re⸗ gierung einflößen wird. Bei neuen Ansieolungen muß immer die Frage geprüft werden, ob die neuen Kolonien auch lebensfähig sein werden. Deshalb müssen die Generalkommissionen mitwirken, die am besten die Möglichkeit dieser Prüfung haben. In das Parzellierungs⸗ gesetz muß die Bedingung hineingeschrieben werden, daß in jedem Fall der Parzellierung die kleinen Stellen auf ihre Lebensfähigkeit geprüft v müssen. Zur Beschaffung von Arbeitskräften müssen wir die Arbeiter seßhaft machen, aber der Anreiz, sich auf dem Lande anzusiedeln, wie er für den Städter besteht, besteht für die ländlichen Arbeiter nicht. Der Abg. Dr. Crüger ist mit seinen Angriffen auf mich im Irrtum gewesen, der Bericht der Ostpreußischen Landgesellschaft, auf den er sich bezog, hat selbst anerkannt, daß es mit der Ansiedlung der ländlichen Arbeiter im Osten nicht recht vorwärts geht. Ein großer Optimist bin ich in bezug auf die Ansiedlung industrieller Arbeiter; es fehlt in dieser Beziehung zunächst an einem richtigen Kolonisator. Es wäre in erster Linie Sache der kleinen Kommunen, aber es fehlt bei diesen leider noch das Interesse dafür. Die kleinen Städte, die nicht mit so großen Grundstückspreisen zu rechnen haben wie die goßen Städte, sind noch in der Lage, kleine Stellen von einhalb oder einem Morgen herzugeben. Die Vorortgemeinden der großen Städte könnten sehr wohl die Arheiter age den großen Städten an sich ziehen, da die Verkehrsverhältnisse es heute dem Arbeiter er⸗ lauben, draußen auf dem Lande zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten, Der Staat will jeßt die Beleihungsgrenze auf 50 % erstrecken. wenn gewisse Bürgschaften vorliegen; in diesem Falle besteht kein Hindernis mehr. Auf den kleinen Stellen von einhalb bis zu einem Morgen können die Frau und Kinder des Arbeiters mit dem Gemüsebau sich beschäftigen. Allerdings darf man nicht so hohe An⸗ forderungen stellen an Straßenregulierungskosten usw., man darf da nicht schematisieren, denn es handelt sich doch nur um ländliche Gemeinden. Wenn es gelänge, die Kommunen zur Ansetzung von hfhengern zu bestimmen, dann wäre viel für die soziale Wohlfahrt
hen.
Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.): Der Abg. Crüger hat bereits unsere Stellung zur inneren Kolönffätion dartenect; hat will nur hervorheben, daß man verschiedene Wege gehen kann. Der Unterschied zwischen dem Abg. Glatzel und dem Abg. Crüger lüiect eigentlich nur darin, daß der Abg. Crüger den Bericht der Ostpreußischen Landgesellschaft etwas vgrimistisch der Abg. Glatzel etwas pessimistisch aufgefaßt hat. In dem Bericht wird gesagt, daß in der Arbeiteransiedlung durch kommunale Verbande ein kleiner Fortschritt gemacht sei. Der Bericht empfiehlt nur, den Umfang der Stellen etwas zu vergrößern und auf mindestens 2,5 ha zu bestimmen. Der Bericht empfiehlt ferner die Gründung von Siedlungsgenossenschaften, ist sich aber selbst bewußt, daß die Arbeit nur von Erfolg sein kann, wenn sich die geeigneten Persönlichkeiten der Sache annehmen. Ferner müßten auch die Gartenpachtgenossenschaften gefördert werden. Die Angriffe des Abg. von der Osten lassen uns kalt; wir haben niemals die Stände gegeneinander ausgespielt. Wir legen keine Feindseligkeit gegen die Großgrundbesitzer an den Tag, wir kämpfen nicht gegen sie als Stand, sondern nur gegen die Personen. Wir wenden uns nur gegen die Politik, die zugunsten der Groß⸗ grundbesitzer getrieben wird. Von einem Hetzen gegen die Stände kann gar keine Rede sein. Wir sollen auf das Land kommen, um uns über die Verhaltnisse dort zu orientieren. Das brauchen wir nicht, wir haben schon viele Parteifreunde unter den Bauern. Sie werden doch nicht leugnen können, daß eine große Zahl von Be⸗ sitzern zu unserer Partei gehört. Wir haben doch bei den Wahlen Grundbesitzer aufgestellt und durchgebracht. Der Abg. von der Osten sagt, seine Partei sei von dem Nachteil der großen Latifundien über⸗ zeugt, aber dann vermissen wir die Taten, wenn wir eine Beschränkung der Fideikommisse empfehlen. Die Fideikommisse sind fortgesetzt in der Zunahme begriffen, die Konservativen tun aber nichts gegen diese Ausdehnung der Latifundien Daß die Zölle nicht allein die Ursache der Steigerung der Grundstückspreise sind, das wissen wir. Selbst⸗ verständlich müssen die Preise bei der Nachfrage in der Nähe der großen Städte auch steigen. Aber daß die Güterpreise durch das Steigen der Getreidepreise infolge der Zollpolitik gestiegen sind, läßt sich doch nicht leugnen. Der Abg. von der Osten hat einen hesonders schweren Vorwurf gegen den Abg. Crüger bezüglich der Tuberkulose⸗ bekämpfung auf dem Lande gerichtet; der Abg. Crüger hat sich auf ein Buch des Professors Jacob „Die Tuberkulosebekämpfung und die hygie⸗ nischen Verhältnisse auf dem Lande“ berufen, und ich nehme an, daß seine Worte in den Städten bekämpft man die Tuberkulose, aber auf dem Lande hört man nichts davon“ ein Zitat aus diesem Buche sind. Der Abg. von der Osten hätte also nicht diese Angriffe gegen den Abg Crüger richten dürfen, der übrigens heute nicht hier ist, aber Gelegenheit nehmen wird, dem Abg. von der Osten zu a rten.
8 Präsident Dr. Freiherr von Erffa schlägt nunmehr die Vertagung vor und stellt alsbald eine Abendsitzung in Aussicht, wenn die Etatsberatung weiter so langsam vorwärts gehe. i. Fcluß 4 ¾ Cßr. üchsten Seg Se ete 8 11 Uhr. (Vereidigung von Mitgliedern; stats für Landwirtschaft, Gestüt Forsten und Domänen.) “
Land⸗ und Forstwirtschaft.
1 40. Plenarversammlung 8
des Deutschen Landwirtschaftsrats. In der am 14. Februar abgehaltenen zweiten Sitzung verhandel der Landwirtschaftsrat zunächst über die GenlFi 98 Fe b; 8
verhältnisse unserer Kolonien im Anschluß an ein eingehend Referat von Professor Dr. Rathgen e; Die lebegt Pi⸗
— —
*) S. Nr. 41 des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ vom 14. d. M.,
wirklich zu Grunde gehen wird, so wird das das letzte Ende sein.“
zweite Beilage.
—
.
—-————j—öö—y
7
.