1912 / 51 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 26 Feb 1912 18:00:01 GMT) scan diff

fängnisverwaltungen habe dem auch entsprochen; aber durchweg zu⸗ friedenstellend sei die Situation immer noch nicht. Seien die im vorigen Jahre angeregten provinziellen Beiräte für die Gefängnis⸗ verwaltungen zur Entscheidung über die Art der Beschäftigung r

gebildet? 8 Geheimer Oberjustizrat Plaschke: Nachdem im vorigen Jahre

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eine Petition wegen der Beschäftigung der Gefangenen und der Konkurrenz

der Gefängnisarbeit der Staatsregierung zur Berücksichtigung überwiesen war, hat unmittelbar darauf die Oberstaatsanwaltschaft an die Buch⸗ binderinnungen die Aufforderung gerichtet, die Fälle namhaft zu machen, in welchen eine unzulässige Konkurrenz stattgefunden habe. Eine Antwort ist darauf zunächst nicht eingegangen; dagegen erschien in der „Zeitschrift für das deutsche Buchbindergewerbe“ am 12. Sep⸗ tember ein Artikel, worin die Mitglieder der Innungen aufgefordert

wurden, alle Fälle anzugeben, in denen ihnen ein Gewinn durch Ge⸗

fängnisarbeit entgangen sei.

ga Geschehe dies nicht, so würde der Ver⸗ bandsvorsitzende sein Versprechen, noch viele Fälle anführen zu können, nicht einlösen können und sich unsterblich blamieren. Auf wiederholtes Ersuchen der Oberstaatsanwaltschaft hat dann die. Buchbinderinnung sich bereit gefunden, das Material zu übergeben dieses unterliegt der Beurteilung der Staatsanwaltschaft. Ein ab⸗ H A Urteil ist noch nicht erfolgt. Der von dem Vorredner erwähnte Beirat ist noch nicht zusammengetreten. Wir hoffen aber, daß die Sache möglichst gefördert wird.

Bei dem Kapitel „Bare Auslagen in Zivil⸗ und Straf⸗

sachen“ bemerkt

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Wie sehr sich die Justiz sträubt, die Kosten der Verteidigung im Falle einer Freisprechung auf die Staatskasse zu übernehmen, beweist der Fall des Herrn Leuß von der „Welt am Montag.“ Dieser hatte sich als Verteidiger einen Rechtsanwalt genommen. Als sich nun die Unbegründetheit der Anklage herausstellte und darauf beantragt wurde, die Kosten der

Verteidigung auf die Staatskasse zu übernehmen, erklärte der Gerichts⸗

hbof: Der Fall lag so sonnenklar, daß der Angeklagte, als er die An⸗

klage erhielt, sich darüber sofort klar sein mußte, daß kein Gericht ihn auf Grund einer solcher Anklage verurteilen würde; deshalb hätte er sich keinen Verteidiger zu nehmen brauchen. Das ist kein vereinzelter Fall. Jeder Angeklagte muß sich doch denken, daß die Anklage aus irgendwelchen Gründen erfolgt, daß etwas dahintersteckt, und es wäre ein nobile officium in solchen Fällen, die Kosten der Verteidigung aus der Staatskasse zu zahlen. Bei der Regelung des gerichtlichen Anzeigewesens sollte lediglich das Interesse des Publikums im Auge behalten werden. Politische Gesichtspunkte sollten dabei ausscheiden. Es sollten deshalb ohne Ansehen der Pabten alle Zeitungen, auch die sozialdemokratischen, zu amtlichen Publikationen benutzt werden. Noch ein Wort über den Fall Hermann. Bekanntlich ist wegen Mordes oder Totschlages dieses unglücklichen Arbeiters ein Straf⸗ verfahren eingeleitet worden, das aber bis zu diesem Moment noch einen Erfolg gezeigt hat. Dies liegt daran, daß die Justizverwaltung noch nicht alle die Hebel in Bewegung gesetzt hat, die in Bewegung hätten gesetzt werden müssen. Es hätte eine Belobnung für die Auf⸗ indung des Täters ausgesetzt werden müssen. Man denkt da unwill⸗ ürlich an den Fall Biewald in Breslau, wo der Täter auch noch nicht aufgefunden ist. Es handelt sich doch hier um ein Verbrechen schwerster Art und um einen Fall, der die allergrößte politische Bedeutung hat.

Da sollte ohne Ansehen der Person auch gegen Beamte vorgegangen

verurteilt worden.

verden, wenn sie bei Ausübung ihres Amtes ein schweres Verbrechen begangen haben. Im Publikum eia h man sich zu, man wolle oben den Täter gar nicht finden, darum setze man keine Belohnung aus. Ich bin weit entfernt, dies den Behörden zu unterstellen, aber sie nüssen doch alles tun, was nötig ist, um der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Es ist noch nicht Matthät am Letzten. Ein Redakteur n Leipzig ist infolge einer Kritik dieses Falles wegen Beleidigung Es müßte alles geschehen, was im Interesse der Allgemeinheit und der Sicherheit der e. Bürgerschaft not⸗ wendig ist. Wenn nichts geschieht oder die Ermittlungen erfolglos leiben, so muß das korrumpierend und demoralisierend auf unsere Beamten wirken. Sie werden sich ins Fäustchen lachen, werden es n der nötigen Sorgfalt und Vorsicht fehlen lassen und leichter zu

Erzessen geneigt sein.

Geheimer Oberjustizrat Dr. Frenken: Der Fall Hermann ist isher noch nicht aufgeklärt, und wenn der Vorredner von Mord und

Totschlag spricht, ehe etwaige Schuldige dazu gehört sind, so trägt er dafür

ie Verantwortung. Daß aber die Staatsanwaltschaft es unterlassen

hätte, alles zu tun, was zur Aufklärung des Falles irgendwie hätte

dienen können, das ist direkt unwahr. Die Staatsanwaltschaft ist,

sobald sie von dem Vorfall Kenntnis erhielt, in die eingehendsten

Ermittlungen eingetreten, sie hat Hunderte von Zeugen vernehmen

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gestellt, noch mehrere Antrag der Staatsanwaltschaft ist abgelehnt worden, die Beschwerde

assen, eine Reihe von Zeugen eidlich und gerichtlich, sie hat den Antrag hundert Zeugen eidlich zu vernehmen. Dieser

er Staatsanwaltschaft gegen diese Ablehnung ist zurückgewiesen Da war es für die Staatsanwaltschaft aus, sie konnte weiter

Wie sie aber um die Aufklärung bemüht gewesen ist, 5,2 das Urteil, das der Vorredner erwähnt. Es war

amals sogar behauptet worden, die Staatsanwaltschaft hätte ge⸗

flissentlich die Mörder nicht gefunden; diese Behauptung ist von dem Gericht eingehend geprüft, nicht von einem preußischen Gericht, und

as Gericht hat diese Behauptung als geradezu frivol bezeichnet.

Wenn der Vorredner uns den Weg zur Aufklärung des Falles und zur Auffindung des Schuldigen angeben kann, so wird die Staats⸗ anwaltschaft diesen Weg alsbald betreten.

Es ist freilich eine Be⸗

lohnung von der Staatsanwaltschaft nicht vesg-lest aehen wohl aber

on anderer Seite und mit völlig negativem Erfolg. Der Vorredner spricht ber schon von Mord und Totschlag, ehe etwas ans Licht gekommen ist.

Wenn ferner die Justizverwaltung darauf einwirken wollte, daß die

Kosten der Verteidigung, erwachsen sind, auf die Staatskasse übernommen werden, das ein ungesetzlicher Eingriff sein, der gerade von dem

o würde

die einem freigesprochenen vae wlch⸗ orredner

auf das charnft zurückgewiesen werden würde. Die Justizverwaltung

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unzweifelhaft zur Justizverwaltung. den Gerichtsurteilen über die Kosten.

wird si Dasselbe gilt im wesentlichen von den

wohl hüten, derartige unzulässige Maßnahmen zu treffen. Anzeigen. Das Gericht selbst at darüber zu befinden, welche Blätter es für Inserate benutzen will. Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Das Anzeigewesen gehört Anders steht es nakäͤrlich mit

Aber ich habe in dieser

Beziehung auch nur den Gerichten einen Vorwurf gemacht. Die Aus⸗ führungen des Regierungsvertreters über den Fall Hermann passen

sichtlich etwas unterlassen habe. Da für mi

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zar nicht auf meine Bemerkung.

höhere Autorität als die pr Staatsanwaltschaft alles getan Aussetzung

Wenn das Gericht in Leipzig den Angriff der „Leipziger Volkszeitung“ als frivol bezeichnet hat, so hat ich dieser Angriff gar nicht mit dem meinigen gedeckt, ich habe die Be⸗ bauptung mir nicht zu eigen gemacht, daß die Staatsanwaltschaft ab⸗ daß es ein sächsisches Gericht war, beweist nicht mehr, denn die sächsischen Gerichte haben für uns keine ischen. Es fragt sich nur, ob die at, was sie hätte tun können, und die

einer Belohnung ist es gerade, was ich vermißt habe.

Die Erwiderung des Kommissars ist also ein glattes Eingeständnis, daß ich eigentlich recht habe. Im übrigen spricht auch die Staatsanwaltschaft

oft von Mördern und Totschlägern, z. B. im F.

all Trenkler, ehe die

Sache aufgeklärt ist, und das Moabiter Gerichtsurteil hat erklärt, daß der

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ist man von dem Gedanken ausgegangen, daß ein gewisses bleiben muß, um die indirekten Nachteile wieder auszugleichen.

Tod des Hermann durch eine unzulässige Amtsüberschreitung erfolgt ist.

Bei den sonstigen dauernden Ausgaben führt

Abg. Wodarz (Zentr.) aus: Bei der Regelung der Reisekosten lus übrig Von diesem Gedanken aus ist auch die einfache Erstattung der Auslagen abgelehnt worden. Gegen das System der Pauschalierung an sich ist

schließlich nichts zu sagen; denn es hat seinen Grund in den Verkehrs⸗

verhältnissen der Großstädte. Aber der neue Erlaß des Justizministers

schießt über das Ziel hinaus. Die Sparsamkeit hat ihre Grenzen,

wo berechtigte Ansprüche der Beamten entgegenstehen.

Geheimer Oberjustizrat Fritze: Die Verfügung, auf die der Vor⸗ redner Bezug genommen hat, ist nicht nur im Ressort des Justizministeis, sondern in allen anderen Ressorts erlassen. Die Justizverwaltung wird gerade am wenigsten Ursache haben, über die jetzt bestehende Pauschalierung hinauszugehen. Das Reisekostengesetz wird in liberalster Weise gehandhabt.

Es folgt die Besprechung des Extraordinariums. Abg. Meyer⸗Tilsit (kons.): Die Errichtung eines Amtsgerichts in Seckenberg, Kreis Niederung, ist dringend nötig. Die dortige Gegend verdient die größte Berücksichtigung. Der Landgerichts⸗ präsident, der Oberlandesgerichtspräsident und auch der Justizminister haben sich diesem Wunsch gegenüber wohlwollend ausgesprochen; es sst nicht gelungen, den Widerspruch des Finanzministers zu rechen.

Geheimer Oberjustizrat Geißler: Die Frage ist eingehend ge⸗ prüft, aber vor 1 ½ Jahren vertagt worden, weil die Bedingungen noch nicht vorhanden waren, die erfüllt werden mußten. Wir werden aber auf den Plan zurückkommen.

Zum Ankauf eines Bauplatzes für den Neubau eines Ges Feisis gebäudes für die Zivilabteilung des Land⸗ und Amtsgerichts in Königsberg in Preußen sind 835 750 ausgeworfen.

Berichterstatter Abg. von dem Hagen erwähnt eine Petition, welche einen anderen Bauplatz als den von der Ver⸗ waltung in Aussicht genommenen, nämlich denjenigen des letzigen Kürassierkasernements, und den Erwerb desselben vorschlägt.

Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.): Die Bedürfnisfrage ist ohne weiteres zu bejahen. Auch gegen die bezüglich des Platzes getroffene Auswahl sind an sich erhebliche Bedenken nicht geltend zu machen; doch ist vom Interesse der Stadtgemeinde aus zu betonen, daß der Fiskus ihr Interesse durch die Wahl eines anderen Platzes auf dem Festungs⸗ elände hätte wahrnehmen können. Königsberg muß für die Ent⸗ ügung im ganzen etwa 60 Millionen hergeben, Königsberg erhebt 225 %, Kommunalsteuern und mußte bis vor wenigen Jahren noch an der Abtragung der Napoleonischen Kriegsschuld arbeiten. Aus diesen materiellen Gründen schon konnte die Stadt Berücksichtigung ver⸗ langen, aber auch ästhetische Erwägungen kommen in Betracht, wie sie die Petition mit Recht hervorhebt. Mit schwerem Herzen stimme ich indessen doch dem Regierungsvorschlag zu, weil ich sonst eine Ver⸗ zögerung der ganzen Angelegenheit befürchten muß, die man vom Standpunkt der Justizverwaltung nicht verantworten könnte. Es ist zunächst nur der Neubau für die Zivilabteilung in Aussicht genommen; Staatsanwaltschaft und Strafabteilung sollen im jetzigen Justizgebäude untergebracht werden. Eine provisorische oder gar dauernde Trennung beider wäre aber durchaus nicht am Platze; die Folge könnte leicht sein, daß sich in nicht erwünschter Weise Spezialisten auf dem Gebiete der Verteidigung in Strafsachen ausbilden. Die Justiz⸗ verwaltung sollte also bestrebt sein, diese Trennung zu vermeiden. Auch auf eine Dienstwohnung für den Oberlandesgerichtspräsidenten wird Bedacht zu nehmen sein; nur in Königsberg und Stettin mangelt es noch an einer solchen. Ebenso werden hoffentlich genügende Räume für die Anwaltschaft bereit gestellt werden.

Geheimer Oberjustizrat Fritsch: Die Bauplatzfrage ist aufs sorg⸗ fältigste geprüft worden. Es wäre uns eine besondere Freude gewesen, einen der von der Stadt angebotenen 8 zu wählen, aber sie haben der Konkurrenz des unsrigen nicht standgehalten, der die vorteilhaftere Lage, günstigere Verbindungen und besseren Baugrund hat. Für die Fundierung jedes der drei städtischerseits vorgeschlagenen Plätze würden mindestens 100 000 mehr aufzuwenden gewesen sein. Das Kürassierkasernement steht übrigens noch, und es ist vorerst nur geplant, es zu verlegen, die beiden anderen Plätze liegen ganz abseits vom Verkehr. Auch wir hoffen, daß das Provisorium nicht lange dauern wird; die Errichtung eines Neubaues auch für die Strafabteilung wird in Erwägung gezogen werden, sobald das jetzige Gebäude engeee se. verwertet werden kann. Auch die Beschaffung enügender Räume für die Anwaltschaft glaube ich in Aussicht stellen zu können. Auch auf die Dienstwohnung für den Oberlandes⸗ III wird bei geeigneter Gelegenheit zurückgekommen werden.

Der Referent beantragt, nach den Erklärungen des Kommissars über die Petition zur Tagesordnung überzugehen.

Das Haus beschließt demgemäß und bewilligt die Position nach dem Etatsentwurf.

Die erste Rate von 300 000 für den auf 1 130 000 veranschlagten Erweiterungsbau des Geschäftsgebäudes für das Landgericht III in Berlin wird ohne Diskussion be⸗ willigt.

Bei den einmaligen Ausgaben im Bereich des Oberlandes⸗ gerichtsbezirks Stettin bittet

Abg. von Böhn (tons) die Justizverwaltung um den Bau von Dienstwohnungen für die Amtsrichter in Bütow. Im deutsch⸗ nationalen Fnbres seien solche Dienstwohnungen dort von Be⸗ deutung, um die Amtsrichter länger an die Stadt zu fesseln. Das Deutschtum gehe in jener Gegend zurück, das Polentum dringe vor.

Ein Regierungskommissar erwidert, daß der Verwaltung eine Beschwerde aus Bütow nicht zugegangen sei, daß sie aber den gegebenen Anregungen nachgehen werde.

Im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle sind u. a. 60 400 zum Ankaus des Bauplatzes für die Erweiterung der Geschäfts⸗ räume des Landgerichts in Göttingen und für die Beschaffung anderweitiger Geschäftsräume für das Amtsgericht daselbst ausgeworfen.

Abg. Heine (nl.) ist erfreut, daß diesem dringenden Bedürfnis in Göttingen abgeholfen werden soll, meint aber, daß die Wahl des Bauplatzes hauptsächlich der preu ischen Sparsamkeit zu verdanken sei und keineswegs als ideal 92 gelten könne. Mit dem Bau selbst sollte tunlichst schon im nächsten Jahre begonnen und dabei das einheimische Gewerbe tunlichst berücksichtigt werden.

Geheimer Oberjustizrat Fritsch: Bei der Wahl des Bau⸗ platzes sind die Wünsche der Stadt ausschlaggebend gewesen. Der Bauentwurf ist in Bearbeitung; aber in den nächsten Etat bereits eine Baurate einzusetzen, wird nicht angehen. .

Abg. Brust (Zentr.) will auf die Errichtung eines Landgerichts in Recklinghausen eingehen, wird aber vom Vizepräsidenten Dr. 8* darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hier nur um Bauten andle.

Abg. Meyenschein (kons.) wünscht eine Amtsrichterwohnung in Schlüchtern, Bez. Cassel.

eheimer Oberjustizzat Fritsch: Die Regierung ist bereit, der 8ꝙ ag. zu treten, erwartet aber, daß auch die Stadt etwas azu tut. 1

Abg. Dr. König (Zentr.) befürwortet wie im vorigen Jahre dringend den Bau eines neuen Landgerichtsgebäudes in Crefeld. Die baulichen Zustände in dem dortigen Amts⸗ und in dem Landgerichtsgebäude machten es dringend notwendig, daß die Regierung ihr gegebenes Ver⸗ Menen erfülle. Hoffentlich werde im nächsten Etat die erste Baurate erscheinen.

Geheimer Oberjustizrat Fritsch: Die Notwendigkeit dieses Baues wird von der Justizverwaltung anerkannt. Ob es aber ge⸗ Uingen wird, schon in den nächsten Etat die erste Baurate einzustellen, kann ich heute nicht versprechen. Wir werden die Angelegenheit nach Möglichkeit fördern.

Der Rest des Justizetats wird ohne Debatte erledigt.

Es folgt die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Bewilligung weiterer Staats⸗ mittel zum Ausbau der neuen staatlichen Doppel⸗ schachtanlagen in Westfalen sowie von Mitteln zur Beteiligung des Staats an den Aktiengesellschaften

Rhein⸗ und Seeschiffahrtsgesellschaft in Coöln und Mannheimer Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft in Mannheim. Die Vorlage erfordert insgesamt einen Betrag von 19,4 Millionen Mark.

Die Budgetkommission beantragt die unveränderte An⸗ nahme. 1

Berichterstatter Abg. Hirsch⸗Essen: Im Jahre 1908 wurden 55 Millionen Mark für die Herstellung von drei Doppelschacht⸗ anlagen Westerholt, Zweckel und Scholven im Oberbergamts⸗ bezirk Dortmund bewilligt. Dieser Betrag hat nicht ausgereicht, weil inzwischen die Löhne und Materialpreise in die Höhe gegangen sind, und weil die Anlagen größer ausgeführt sind, als ursprünglich in Aussicht genommen war. Ursprünglich waren diese Doppelschacht⸗ anlagen alle für etwa 750 000 t Förderung veranschlagt, sind aber im Interesse der Wirtschaftlichkeit für eine größere Förderung, nämlich von 1 Million Tonnen ausgebaut worden. In der Begründung der Vorlage wird ferner darauf hingewiesen, daß die Einnahmen geringer sind, als man bei dem Gesetz von 1908 annahm, weil man päter auf die abbauwürdige Kohle stieß, als man gehofft hatte. Bei der ersten Beratung und in der Budgetkommission ist von mehreren Seiten dringend gewünscht worden, daß dem Hause immer sofort Klar⸗ heit über die Kosten gegeben werde. Ein Teil der jetzigen Anforderung hätte auch schon 1908 vorhergesehen werden können, z. B. mußte man wissen,

daß auch neue Eisenbahnanlagen und Hafenanlagen nötig sein würden.

Man wird die Behauptung der Begründung anerkennen müssen, daß die Löhne seit 1906, die der Vorlage von 1908 zugrunde gelegt waren, im wesentlichen gestiegen sind. In bezug auf die Rentabilität der gesamten Anlagen wurde in der Kommission darauf hin⸗ gewiesen, daß das investierte Kapital doch recht groß sei und daß, wenn man auf eine Verzinsung von 4 % rechnet, ein Gewinn von 3,2 Millionen Mark nötig sei. Der Oberberghauptmann erklärte in der Kommission, daß es sehr schwer sei, bei den wechselnden Verhältnissen im Bergbau bestimmte Zahlen über die Rentabilität zu geben. Annähernd könne man folgende Rechnung aufftellen. Wenn man die Kosten einer Schachtanlage auf 30 Millionen Mark annähme, so würde eine solche Anlage 1 bis 1,2 Million Tonnen fördern können. Bei einer Ree . von 4 % würde man anderseits einen Ueberschuß von 1,2 Million Mark nötig haben, oder pro Tonne Förderung 1 bis 1,20 ℳ. Die Annahme eines verteil⸗ baren Reingewinns von 1,20 pro Tonne sei 82b geschätzt, auf die Dauer würden sich vielleicht erheblich höhere Beträge ergeben. Die Kommission habe sich für die Bewilligung der neuen Kosten entschieden. Der zweite Teil der Vorlage war in der Begründung recht kurz behandelt. In der Budgetkommission und in der Unter⸗ kommission sind uns aber nähere Erklärungen gegeben worden. Es ist anerkannt worden, daß, nachdem der Staat einmal in Westfalen Bergbau betreibe, es auch wirtschaftlich erscheine, daß er sich bezüglich der Verfrachtung der von ihm produzierten Mengen sicherstellt. Von einer Seite ist in der Unter⸗ kommission der Einwand gemacht worden, die Beurteilung der Frage hänge davon ab, ob der Fiskus dem Kohlensyndikat beitrete. Demgegenüber ist von anderer Seite darauf hingewiesen worden, daß die Vorlage ganz unabhängig von dieser Frage fei Der Staat denkt gar nicht daran, sich dem Syndikat auf Gnade und Ungnade zu unter⸗ werfen. Das am schwersten wiegende Bedenken, welches in der Unter⸗ kommission geltend gemacht worden ist, war das, daß der Staat durch leine Beteiligung auf ein ganz neues, ihm bisher völlig fernliegendes Gebiet übergreift. Es ist nicht als ausgeschlossen erachtet worden, daß der Staat später, mit oder ohne seinen Willen, seine Tätigkeit auch auf dem Gebiete der Schiffahrt weiter ausdehnt und dadurch einen weiteren Verkehrszweig an sich reißen werde. Daß dies nicht in der Absicht der Regierung liegt, darüber hat die Er⸗ klärung des Ministers keinen Zweifel gelassen. Der Minister hat gegenüber den verschiedenen Einwendungen in der Unterkommission ausdrücklich betont, daß es sich bei der geplanten Beteiligung tatsäch⸗ lich nur um ein Anhängsel des staatlichen Bergwerksbetriebs handelt. Jeder Privatbetrieb wuͤrde in einer ähnlichen Lage ebenso vorgehen. Ich kann Ihnen nach den Verhandlungen in der Kommission nur empfehlen, die Vorlage anzunehmen.

Abg. Dr. von Brüning (kons.): Nach den Erklärungen des Ministers in der Kommission und den Grundlagen, die uns dort ge⸗ geben worden sind, kann ich nur unsere Zustimmung zu der Vorlage erklären. Die Befürchtung, daß eine Monopolisierung der Rhein⸗ schiffahrt eintreten könnte, ist dadurch beseitigt.

Abg. Brust (Zentr.): Es ist uns nachgewiesen worden, daß 1908 die Löhne von 1906 zugrunde gelegt waren; inzwischen sind aber die Löhne nicht unerheblich gestiegen, ebenso die Materialpreise, die Holzpreise sind um 14 % gestiegen. Die Vergrößerung der Anlage erfordert natürlich höhere Kosten. Ob ver hibvene nicht schon 1908 in Aussicht standen und der Berechnung hätten zugrunde gelegt werden sollen, ist eine andere Frage. Jedenfalls ist der erste Teil der Vorlage unbedenklich. Was den zweiten Teil betrifft, so scheinen auch meine Bedenken aus der ersten Lesung durch die inzwischen gemachten Mitteilungen in der Kommission zerstreut zu sein. Die geplante des Staates an den dortigen Schiffahrtsunternehmungen soll nach der Erklärung des Ministers nur ein Anhängsel des fiskalischen Bergwerksbetriebes sein, an eine Verstaatlichung der rheinischen Schiffahrt sei gar nicht gedacht, auf die Interessen der F ierschiffer solle gebührende Rücksicht ge⸗ nommen werden. ie meisten meiner politischen Freunde werden also der Vorlage zustimmen.

Abg. Vorster (freikons.): Es ist durch Gutachten festgestellt worden, daß der Wert der Schiffe als angemessen zu betrachten ist, und deshalb haben wir dem zweiten Teil der Vorlage zustimmen müssen. Wir werden die Vorlage annehmen, sie bildet eine Art Waffe, die der Fiskus in der haben muß, wenn er sich dem Kohlensyndikat anschließen will.

Abg. Dr. Ehlers (fortschr. Volksp.): Es handelt sich hier nicht um eine weltbewegende, sondern um eine ziemlich harmlose Sache. Irgend⸗ eine Gefahr nach der praktischen Seite ist nicht ersichtlich. Gefähr⸗ lich ist eventuell die Vorlage nach der prinzipiellen Seite, weil der Staat im Begriff ist, sich einer privaten Vereinigung anzuschließen. Aber auch hier ist nach den bündigen Erklärungen der Regierung nichts zu fürchten. Der Staat muß sich ohnehin mit der Zeit eine eigene Wirtschaft anschaffen, neben der Steuererhebung selbst Er⸗ werbsgeschäfte betreiben. Das darf er aber lediglich vom kauf⸗ männischen Standpunkt tun, damit dient er auch volkswirtschaftlichen Interessen. Wir werden also der Vorlage unsere Zustimmung geben.

Abg. Macco (nl.): 1908 ging die Regierung davon aus, daß man vielleicht mit weniger Mitteln auskommen wuüͤrde. Diese An⸗ nahme ist nicht eingetroffen. Die Regierung wird gut tun, künftig bei ihren Aufstellungen etwas vorsichtiger zu sein. Mit der Be⸗ teiligung an den Schiffahrtsgesellschaften übernimmt die Regierung eine sehr komplizierte und snee Aufgabe. Es wird hier ein bedenkliches Präzedens geschaffen. habe die Ueberzeugung, daß durch die Beteiligung des Staates künftig nicht eine Ver⸗ einfachung, sondern eine Erschwerung der Schiffahrt eintreten wird. Dem ersten Schritte werden weitere folgen. Solange der jetzige Minister im Amt ist, können wir uns ja⸗ auf seine Ver, 15S. verlassen, aber wie lange leben denn die Minister bei 299

ir haben für die Zukunft gar keine Garantie. Ich erinnere ar die Versicherungen, die uns bei der Verstaatlichung der Fifen bahnen gegeben wurden. Haben wir es doch erlebt, da Miguel, als er einmal daran erinnert wurde, daß die Minister früher 8 anderes versichert hätten, erwiderte: Warum seid ihr denn so dum gewesen? Ich kann die Hoffnung nicht teilen, daß sich aus 8 Unternehmen ohne weiteres Millionen werden herauswirtscha lassen. Daß die Interessen der Partikulierschiffer in dieser Vor 2 nicht berücksichtigt sind, müssen wir auf das lebhafteste 888 Diejenigen meiner Freunde, die der Vorlage zustimmen, tun es 111116““ .“

minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow: ach hatte eigentlich nach dem Laufe der Debatte heute hier nicht dn wollen, aber eine Bemerkung des Herrn Vorredners nötigt eneiner kurzen Erwiderung: Das ist der Ausdruck, er bedauere, die Partikulierschiffer keine Rücksicht genommen sei. Wenn Rüdsicht auf sie genommen wäre, würde ich das Bedauern o kann ich nur bedauern, daß der Herr Abg. Macco nicht rt hat, daß ich sowohl bei der ersten Beratung im Plenum wie „Beratung in der Kommission hervorgehoben habe, daß gerade wählte Weg der Staatsregierung die Möglichkeit gibt, den ckrlierschiffern in erhöhtem Maße Beschäftigung zu sichern. hört! Sehr richtig!) In dem Vertrag ist vorgesehen, daß ie Partikulierschiffer mit ihrem Kahnraum herangezogen en; das entspricht ganz der Stellung, die der Staat in bezug die Partikulierschiffer sonst eingenommen hat. Der Staat hat bemüht, den Partikulierschiffern zur Gründung eines Frachten⸗

7 behilflich zu sein; es sind Mittel vom Handelsminister

8 *

zur Verfügung gestellt worden, um die damit verbundenen Kosten der Begründung zu tragen. Leider hat das keinen vollen Erfolg ge⸗ habt, weil inzwischen die Hochkonjunktur für die Schiffahrt einsetzte, und nun die Partikulierschiffer, denen es auf einmal besser ging, das Interesse an der Zukunft vernachlässigten, sodaß sich leider bis jetzt nur 120 Partikulierschiffer zu dem Kontor zusammengefunden haben. (Hört! hört!) Im übrigen ist es ausgeschlossen, daß man ein solches Unternehmen ausschließlich mit Partikulierschiffern machen könnte. Die Partikulierschiffer haben den Kahnraum, aber nicht die Schlepp⸗ kraft. Es handelt sich um die Beteiligung des Staates an einem Unternehmen wie ich in der Kommission ausgeführt habe mit einer Schleppkraft für 2 000 000 t und einen Kahnraum von 1 000 000 t. So ist es gerade recht dazu geeignet, wie es bisher auch schon getan hat, zur Ergänzung den Kahnraum der Partikulierschiffer heranzuziehen.

Abg. Hoffmann (Soz.): die 9 Schätze der Erde

Wir stehen auf dem Standpunkt,

daß dem ganzen Volke gehören,

und verlangen deshalb, daß der Bergbau verstaatlicht wird. Wir wissen ja, daß wir mit diesem Gedanken hier nicht durch⸗ dringen. Die Zeit wird über die letzten Rudimente der Herrschaft derer hinweggehen, die nur auf Grund eines veralteten Wahl⸗ systems hier sitzen. Leider hat die Regierung mit diefer Vorlage nur halbe Arbeit getan. Die Bedenken, die der Abg- Macco gegen die Verstaatlichung der Schiffahrt erhoben hat, sind auch gegen die Verstaatlichung der Eisenbahnen gemacht ven. Gewiß kann man sich auf die Versicherungen der Minister nicht verlassen; mancher steht des Morgens auf 1“ nicht, er nicht mehr Minister ist. Aber die Minister müssen der Entwicklung folgen, diese kann nun einmal nicht aufgehglten werden. Es handelt sich allerdings hier nur um halbe Arbeit und nicht einmal das, aber was kann man von diesem Hause mehr verlangen?

Die Vorlage wird darauf unverändert angenommen.)

Schluß 4 ¾ Uhr. Nächste Sitzung Montag 11 Uhr. Fe Lesung der Vorlage, betreffend den Ausbau der fis⸗ alischen Schachtanlagen; Etat der Handels⸗ und Gewerbe verwaltung.)

Berrichte von deutschen Fruchtmärkten.

Qualität

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mittel gut Verkaufte

Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner

Menge

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