1912 / 53 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 28 Feb 1912 18:00:01 GMT) scan diff

theoretischer Wissenscha

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üben.

der Handwerker und Arbeiter gesichert? werkerforderungen in die Brüche gehen, mu

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kommt die Reichswertzuwachssteuer,

8 dem Kurs der Staatspapiere.

Baukontro

Redner über bestimmte Abänderungen werden wir in der Budget⸗

kommission näher treten, und Sie können überzeugt sein, meine Herren, daß die Kolonialverwaltung überall, wo es irgendwie möglich ist, ihnen gern Rechnung tragen wird. (Bravo.)

Die Vorlage geht an die Budgetkommission.

Schluß 6 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Beginn der zweiten Lesung des Etats für 1912: Reichsamt des Innern.)

A.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 4. Sitzung vom 27. Februar 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die Beratung des Etats der Handels⸗ und Gewerbeverwaltung, und zwar zunächst die bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben, „Gehalt des Mi⸗ nisters“, übliche allgemeine Besprechung fort.

Abg. Felisch (kons.): Der Abg. Ströbel behauptet und be⸗ hauptet und klagt an, ohne seine ungeheuerlichen Behauptungen be⸗ weisen zu können. Das sog. Bauschutzgeset vom 7. Januar 1907 soll unter Umständen einem ö“ Bauunternehmer das Handwerk legen können. Auch schon nach dem § 35 G. O. kann einem Unternehmer untersagt werden, weiter zu arbeiten, wenn er Mangel an theoretischen und praktischen Kenntnissen hat, oder wenn seine Verhältnisse derartig zerrüttet sind, daß man daraus schließen kann, daß er die Pflichten als Bauleiter nicht genügend erfüllen kann. Dieses Gesetz ist in Deutschland außerordentlich verschieden gehand⸗ habt worden. Es hätte von vornherein besser und genauer gehand⸗ habt werden sollen. Im Jahre 1909 stellte der Verband des deut⸗ schen Baugewerbes fest, daß bis damals in Berlin noch in keinem einzigen Falle von diesem Gesetz Gebrauch gemacht worden sei, während in Hamburg damals bereits einige Fälle von Versagungen der Bau⸗ erlaubnis vorgekommen waren. In Berlin ist es allerdings in⸗ zwischen auch anders geworden, es sind Bestrafungen erfolgt, und Verfahren wegen ö der Bauerlaubnis sind im Gange. Aber immerhin wird das Gesetz vom 7. Januar 1907 noch zu ängstlich gehandhabt; die nachgeordneten Behörden müßten angewiesen werden, es strenger anzuwenden. Ein sehr großer Teil der Baugewerbe⸗ treibenden steht nicht auf der Höhe, um das verantwortliche Bau⸗ gewerbe selbständig auszuführen. Es fehlt ihnen an praktischer und

b 2 die nur durch eine Prüfung nachgewiesen werden kann; es fehlt ihnen häufig auch an den notwendigen morali⸗ schen Eigenschaften und auch an dem allernotwendigsten Gelde. Da ist es klar, daß auch unsere Lehrlingsausbildung nicht auf der Höhe stehen kann. Wir haben ja eine sehr große Anzahl von tüchtigen Aufsichtsbeamten, sodaß kein Bauunternehmer sicher ist, daß er nicht vielleicht in einer Woche zweimal kontrolliert wird. Selbstverständ⸗ lich müssen diese Aufsichtsbeamten eine theoretische Ausbildung und allgemeine Bildung haben, um die Aufsicht selbständig ausüben zu können. Ich halte es deshalb einfach für unmöglich, Arbeiter als

einzuführen, denn es ist ihnen gar nicht möglich, sich ein Urteil über die Bauten zu bilden. Die Arbeiter würden sich doch nur in sozialdemokratischem Sinne betätigen, und auch aus diesem Grunde wünsche ich, daß sie nicht als Baukontrolleure zu⸗ gelassen werden. Auf das bloße Reglementieren kann man sich über⸗

haupt nicht verlassen, denn sonst müßte man neben jeden Bau⸗ pfeiler auch noch einen Schutzmann stellen.

Aber das Gesetz von 1907 kann schließlich doch noch eine nachhaltigere Wirkung aus⸗ Warum ist der zweite Teil des Gesetzes nicht für diejenigen Teile eingeführt, wo es nötig ist? Sind etwa alle Bauforderungen Da, wo zu viele Hand⸗ das Gesetz eingeführt werden. Eine Petition des Innungsverbandes deutscher Bau⸗ gewerksmeister spricht sich auch in diesem Sinne aus. Man kann fast in allen Fällen, wo Subhastationen von Neubauten stattfinden, annehmen, daß Handwerkerforderungen verloren gegangen sind. Sollte sich ergeben, daß nach Anwenndung des Gesetzes die Verhältnisse sich in den betreffenden Teilen geändert haben, dann kann der Minister das Gesetz ja wieder aufheben. Warum macht man denn aber nicht wenigstens einen Versuch? Dem Grundbesitz werden immer neue Lasten auferlegt, sodaß die Steuerlast geradezu unerträglich wird, es der Umsatzstempel und alles mögliche. Jetzt wird wieder ein Wohnungsgesetz geplant. Auch das wirft schon seine Schwierigkeiten voraus, denn es hält schwer, billige Hypothekengelder zu bekommen. Ich will dabei allerdings betonen, ich durchaus nicht ein grundsätzlicher Gegner eines Wohnungs⸗ oretes bin. Die Hypothekenfrage steht wieder in enger Beziehung Es wäre tatsächlich eine gute ufgabe für unsere Staatsregierung, den Kurs der Staatspapiere

Die Bestimmungen über das Submissions⸗

n die Höhe zu bringen. der de Es werden immer noch An⸗

wesen werden nicht genügend beachtet.

schläge gemacht, in denen Hauptleistungen und Nebenleistungen so

usammengeworfen werden, daß kein Unternehmer daraufhin den Um⸗ ang der Leistungen übersehen und bieten kann. Ich bitte deshalb,

Ausführungsbestimmungen zu erlassen, nach denen sich die staatlichen Baubehörden zu richten haben, und ferner auch angemessene Fristen

ei den Submissionen zu bewilligen. Ein Gesetz zum Schutze der

Arbeitswilligen halte ich im Interesse der deutschen Arbeit und auch

der Arbeiter für dringend notwendig. Die Gewerkschaften fordern

immer höhere Löhne und immer kürzere Arbeitszeit, und es wird

aber übera

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noch sehr viel

in ““ Terrorismus auf diesem Gebiete getrieben; es gibt doch eine wirtschaftliche Grenze, an die auch der Arbeit⸗

geber gebunden ist. Der Stundenlohn für die Maurer und Zimmerer beträgt in Berlin 80 ₰, in Hamburg 85, in Frankfurt a. M. 63, in Cöln 71, in S 69 ₰, und bei der Akkordarbeit kommen ere Löhne heraus. Gegen die Akkordarbeit sträuben

ich aber die Arbeiter, damit nicht zu viel geleistet und der Preis

erabgedrückt wird. Der Lohn der Maurer und Zimmerer ist jetzt

in Deutschland höher, als in jedem anderen Gewerbe. Die All⸗ emeinheit hat ein Interesse daran, daß die Löhne nicht zu hoch

steigen; wenn auch das Baugewerbe diese Löhne noch zahlen könnte, so kann doch die Industrie, die annähernd denselben Lohn bezahlen muß, nicht folgen. Die Sozialdemokraten sprechen immer von dem Elend der Arbeiter und der Ausbeutung durch die Arbeitgeber, aber das sind alles nur Schlagworte. Wenn die Löhne in den großen

Städten immer weiter und weiter steigen, und die Arbeitszeit immer mehr und mehr abnimmt, dann muß sich das Land immer mehr

die Arbeiter die wirtschaftlich Schwachen seien.

entvölkern, da alles nach der Stadt gezogen wird, wo die hohen Löhne ezahlt werden. Bei unserer ausgezeichneten sozialpolitischen Arbeiter⸗ fürsorgegesetzgebung kann man heute nicht mehr davon sprechen, daß

Die sozialdemo⸗ kratischen Gewerkschaften sollen nach einem Artikel in der „Täg⸗ lichen Rundschau“ 66 Millionen Mark angesammelt haben; in dem⸗ selben Artikel wird auch berechnet, daß die Arbeitslöhne von 1895 is 1906 um 38 %Dh gestiegen sind, d. h. um 13 % mehr, als die Warenpreise gestiegen sind, sodaß die Arbeiter ständig ihren Ver⸗ brauch haben vermehren können. Dem Mittelstand dagegen sind Jahr für Jahr neue Lasten aufgehürdet worden. Der Rückgang er selbständigen Existenzen im Mittelstande beweist die Ver⸗ lendung des ittelstandes. Der Arbeiter arbeitet nirgends länger ls zehn Stunden, in den großen Städten noch viel weniger, und immerfort ertönt von neuem der Schlagruf: verkürzt die Arbeits zeit! Die Sozialdemokratie verlangt sogar, daß jede Verkürzung er Arbeitszeit durch höheren Lohn wieder ausgeglichen wird. Man sollte doch meinen, wer weniger arbeiten will, müsse auch weniger

Wir

verdienen. Jedenfalls ist eine weitere Herabsetzung der Arbeitszeit im Baugewerbe nicht mehr möglich. Die Versicherungsgesetzgebung hat eine lückenlose Fürsorge für die Arbeiter geschaffen, aber für die Arbeitgeber, die zum größten Teil dem Mittelstand angehören, hat die Gesetzgebung nur mehr Lasten geschaffen. Der Minister wird auf manche dieser Fragen nicht gleich antworten können, man kann auch diese großen wirtschaftlichen Fragen nicht ohne weiteres aus dem Handgelenk lösen, aber ich bitte ihn namens meiner Freunde, alle diese Fragen zu erwägen, soweit es ihm nur möglich ist.

Abg. Dr. Schifferer (nl.): In diesem Etat erscheint zum ersten Male das Eichwesen, das nach der neuen Maß⸗ und Gewichts⸗ ordnung von 1908 auf den Staat übernommen wird. Bei dem Spezialtitel dafür werde ich weiter darüber Erfreulicher⸗ weise ist wieder ein größerer Betrag, nämlich 324 600 ℳ, 82 die ge⸗ werblichen Fortbildungsschulen in den Etat eingestellt worden. Wir wollen auch das Fortbildungsschulwesen fördern. Es ist schon früher auf die Mitwirkung der gewerblichen Fach⸗ und Fortbildungsschulen bei der Jugendpflege hingewiesen, und ich möchte auch meinerseits die Anregung des Berichterstatters in der Kommission befürworten, daß ein Teil des Fonds, der dem Kultusminister für die Jugendpflege zur Verfügung steht, an das Handelsministerium abgezweigt wird. Warum sollen diese Mittel, die vom Handelsministerium verwendet werden, erst den Umweg über das Kultusministerium gehen? Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als ob ein gewisser Ressortpartikularismus obwaltet; wir glauben allerdings nicht, daß er hier vorliegt, und möchten ihn auch ausgeschaltet wissen. In bezug auf die berechtigte Fürsorge für den Mircelstand, namentlich den kleinen Handelsstand und Handwerkerstand, unterstreiche ich manche der hier empfohlenen Maßnahmen. ie Warenhäuser nehmen eine Entwicklung, die dem Mittelstand u gefährlich werden muß. Die Regierung muß Mittel und Wege suchen, um dieser Ge⸗ fahr vorzubeugen, und meine Freunde werden gern in eine Prüfung der Vorschläge eintreten, die nach dieser Richtung gemacht werden können. Auffällig ist, daß viele Leute aus den Kreisen, die sich über die Konkurrenz der Warenhäuser beschweren, gerade in den Waren⸗ häusern kaufen. Hier muß auf dem Wege der Selbsthilfe und der Staatshilfe geholfen werden. Die Stärke des Warenhauses liegt in dem Barverkehr; dem Kleinhandel und dem Handwerk wird diese Barzahlung aber durch die Kreditnot außerordentlich erschwert, und wenn sie Kredit bekommen, z. B. von der Preu enkasse dann wird ein verhältnismäßig hoher Zinsfuß verlangt. Wird übrigens nicht wieder durch den Gesetzentwurf⸗ über die Anlegung von Sparkassen⸗ beständen in Staatspapieren eine Verteuerung des Kredits des Mittelstandes herbeigeführt? Auch das Publikum muß darauf hin⸗ gewiesen werden, daß es dem Handwerker möglichst schnell bar be⸗ zahlt und nicht lange Kredite fordert. Jede einzelne auf dem Privateigentum aufgebaute Existenz ist die sicherste Grundlage für unser Wirtschaftsleben. Darum müssen wir dafür sorgen, daß mög⸗ lichst viele Existenzen aus dem Arbeiterstand in den Mittelstand auf⸗ shge Gerade in der Landwirtschaft nimmt nicht der Großbetrieb, ondern der Kleinbetrieb zu; ich wundere mich, wie der sozlaldemo⸗ kratische Redner beim Landwirtschaftsetat das Gegenteil behaupten konnte. Im ganzen sind von 1882 bis 1907 die mittleren gewerb⸗ lichen Betriebe von 113 000 auf 270 000 gestiegen, die Kleinbetriebe von 1 005 000 auf 1 082 000. Dann ist ferner zu berücksichtigen, daß ein ganzer Teil von Aktien sich auch in den Händen des Mittelstandes befindet. Zugegeben werden muß natürlich, daß in manchen Zweigen, wo die technischen Bedingungen vorhanden sind, eine Konzentration stattgefunden hat. Wenn der Konzentration entgegengewirkt ist, so ist das der Kartellierungspolitik zu danken; die gegen die Kartellierung gerichteten Angriffe sind ungerechtfertigt. Gewiß kommen Auswüchse vor, die verurteilt werden vacsgeig aber im großen und ganzen hat die Kartellierungspolitik einen gesunden Kern. Die Kartelle sind in der Lage, in wirtschaftlich schwachen Zeiten eine Verschleuderung der Waren und ein Sinken der Warenpreise zu verhindern. Die Kartelle sind ein Damm gegen eine wirtschaftliche Entwicklung, die in anderen Ländern, z. B. in England, nicht segensreich gewirkt hat, gegen die Vertrustung. Auch die Abschwächung und Verminderung der Krise ist der Kartellpolitik zu danken. Landwirtschaft und Industrie müssen Hand in Hand arbeiten; wir müssen uns deshalb von jeder Einseitigkeit fernhalten. Ein Schlagwort ist das Wort vom Schutze der nationalen Arbeit, unter dem man vor allem den landwirtschaft⸗ lichen Schutz versteht. Ich verstehe auch alle die Maßnahmen dar⸗ unter, welche wir im Interesse unseres inneren Wirtschaftslebens nötig haben. Auch der deutsche Arbeiter hat seinen Anteil an dem wirt⸗ schaftlichen Aufschwung Deutschlands. (Zuruf des Abg. Hirsch, Soz.). Herr Hirsch, wenn Sie das vor Ihnen liegende „Korre⸗ spondenzblatt der Gewerkschaften Deutschlands“ aufmerksam lesen würden, dann würden Sie mir recht geben. Wir wünschen den Schutz der Arbeitswilligen. Es müssen die bestehenden Gesetze mit aller Energie durchgeführt werden, vor allem muß für eine ö Rechtsprechung gesorgt werden. Die freien Gewerkschaften be⸗ schränken sich nicht auf die Besserung der Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder, sondern sie begeben sich auf das politische Gebiet, sie verfolgen sozialistische Forderungen. In dem sozialpolitischen Ragout, das der Abg. Ströbel gegeben hat, hat er nicht im geringsten die Interessen der Arbeiter wahrgenommen. Hat er denn keine Ahnung davon, daß die Interessen der Arbeiter nicht losgelöst werden können von den übrigen wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes? Der werbenden Kraft des Kapitals ist es doch zu danken, daß so viele Arbeiter Arbeitsgelegenheit bekommen haben. Auf der anderen Seite weiß aber auch der deutsche Unternehmer, was er dem deutschen Arbeiter verdankt, er freut sich seiner treuen Mitarbeit, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, Deutschland eine derartige Stellung auf dem Weltmarkte zu erobern. Wenn man das Wohl. des Arbeiters wirklich im Auge hat, muß man dafür sorgen, daß eine natürliche Weiterentwicklung stattfindet. Durch die Ausführungen des Abg. Ströbel werden wir uns nicht irre machen lassen in der Fürsorge für den deutschen Arbeiter. Allerdings wollen wir keine einseitige Klassenpolitik, sondern einen gerechten Interessenausgleich für alle Stände.

Abg. Rahardt (freikons.): Wir tun der Sozialdemokratie wirklich nicht unrecht, wenn wir nicht an ihre lichkeit glauben. Wir kennen keine rücksichtsloseren Arbeitgeber als gerade die Sozialdemokraten. Man sehe sich nur die sozialdemokrati⸗ schen Druckereien an! Ich habe Beweise dafür, daß der „Vorwärts“ chlechter als andere Druckereien Heebr Der Minister wies gegen⸗

Einführung des zweiten Teils des Bauschutzgesetzes darauf hin, daß sich auch Hausbesitzer⸗ vereine dafür ausgesprochen haben. Das ist doch nur ein Beweis dafür, wie schwer auch diese Kreise unter dem Bau⸗ schwindel leiden. Das Gesetz ist im Reichstag einmütig ange⸗ nommen; aber hier sträubt man sich jetzt mit einemmal gegen die Einführung, wo es doch so notwendig ist. Mein Material hat die Regierung bemängelt, sie selbst hat aber kein anderes Material zur Verfügung. In den Kreisen des Handwerks müssen allmählich Zweifel auftauchen, ob es der Regierung Ernst mit ihren mittelstandsfreund⸗ lichen Worten ist. Ich erinnere nur an die Worte des Abg. Gröber, daß wir in Handwerkerfragen nicht vom Fleck kommen; wir hören immer nur wohlwollende Worte, die sich nicht in Taten umsetzen. Die 82 der Unzufriedenen wollen wir doch nicht noch vergrößern. aben wirklich Unzufriedene genug.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Meine Herren! Ich muß sehr entschieden dagegen Widerspruch erheben, daß an dem Ernst der Regierung, den Mittelstand weiter zu fördern, insbesondere das Handwerk zu heben, Zweifel erhoben werden. Die Gründe, die der Herr Abg. Rahardt geltend gemacht hat, be⸗ rechtigen in keiner Weise dazu. Bei der Beantwortung der Fragen, die der Herr Abg. Schroeder gestern zur Sprache gebracht hat, habe ich darauf hingewiesen, wie schwierige Zweifel wegen der Art der Er⸗ ledigung bestehen, und die Schwierigkeit der Frage hat auch der Herr Abg. Schroeder selber anerkannt

über meiner Forderung der

Wenn nun aber der Herr Abg. Rahardt den Ernst der Regier, in der Behandlung der Handwerkerfragen darum in Zweifel ziehen dürfen glaubt, weil wir wegen der Einführung des zweiten Teils Bausicherungsgesetzes nicht ganz so rasch vorgehen, wie es wünscht, so muß ich doch sagen, er überschätzt die deutung dieses Gesetzes sehr. Das Gesetz hat für einen wissen Kreis von Interessenten und für gewisse örtliche Beii Bedeutung; seine Anwendung würde noch immer nur begrenzt, La und auch da nur auf Zeit sein.

Meine Herren, die Unterstellung, als wolle ich die Einführ des Gesetzes sozusagen vereiteln, weise ich weit zurück. Der Vorn träfe übrigens nicht nur mich, sondern er träfe alle deutschen Bundesstaate vertretenen Regierungen. Ich verlange nur, und dar halte ich mich auf dem Boden des Gesetzes, einwandfreies Maten und fordere nicht, wie es nach den Worten des Herrn Abg. Raha scheinen könnte, daß das Material mir gebracht wird, sondern ich! bemüht, mir das Material selber zu verschaffen. Die Annahme, hätte ich zu verstehen gegeben, das Material könne nicht besch werden, teile ich in keiner Weise. Die Ermittlungen, die ich Hilfe des statistischen Landesamts mit möglichster Beschleunigung h nehmen lassen will, müssen in irgend einer Form die Frage beantwort wie weit der Bauschwindel ausgedehnt ist, in welchen Bezirken er sich h findet. Es kommt dabei nicht darauf an, ob hier und da in vereinzelten Fäll Handwerker geschädigt werden. Das ist in hohem Maße bedauerkz kann aber nicht zur Einführung des Gesetzes genügen; denn bei Einführung des Gesetzes hat man vorausgesetzt, daß der Bauschwin in weiterem Maße, sozusagen endemisch sei. Daher der Ausdet Verseuchung mit Bauschwindel! Diese Ermittlungen werde ich fo setzen, und ich werde dann nach meinem pflichtmäßigen Ermessen die Frage herantreten, ob in dem einen oder anderen Bezirk der zw Teil des Gesetzes einzuführen ist. Aber durch die Drohung mit h Ungnade des Herrn Abg. Rahardt werde ich mich aus meiner mütsruhe nicht herausbringen lassen. (Lebhafter Beifall.) Abg. Karow (Hosp. d. Kons.): Das Kleingewerbe ist tatsächl in höherem Maße als das Großgewerbe durch den de tassäh der Sozialdemokratie bedrückt. Es wird gerade durch Boykott kleinen Gewerbetreibenden ein derartiger Terrorismus ausgeübt,d sich die kleinen Geschäftsleute bedingungslos der Sozialdemokn ügen. Da ist es dringend nötig, daß ein Schutz geschaffen wit Im vorigen Jahre war bei uns in Danzig ein Streik, da wur ganz unglaublich gegen die Arbeitswilligen vorgegangen, sie wurd bedrängt, wurden geschlagen. Die Brotfabrikaktiengesellschaft G. mania, der ich selbst vorstehe, hatte alle Bedingungen der streikend Gesellen erfüllt. Aber da verlangte man von mir, daß ich Kontrakt der Streikleitung unterschreiben sollte. Das war die? zige Bedingung, die ich ablehnen mußte. Infolgedessen wurde d Boykott über mich verhängt. Die Bäckerei, in der nur jidise Großkapital steckt, die nur sozialdemokratische Arbeiter beschäfte wird in allen Zeitungen empfohlen; „kauft von der und der Fabr aber nicht von der Germania!“, heißt es da, trotzdem wir unj Arbeiter besser bezahlen, sie besser gestellt sind als in den ande Fabriken, nur weil wir uns nicht bedingungslos der sozialden kratischen Streikleitung unterworfen haben. Der Abg. Ströbel unrecht, gerade der Mittelstand hat ein warmes Gefübl für Arbeiter, mehr vielleicht, als die Sozialdemokratie. Wir wollen a die Arbeiter in den Mittelstand emporheben und sie damit d Sozialdemokratie entziehen. Darum sieht die Sozialdemokratie dem Mittelstand ihren größten Feind. Der Mittelstand will n der Sozialdemokratie nichts wissen. (Zuruf von den Sozialden kraten: Reichstagswahlen!) Diese Mitläufer der Sozialdemokn sind nur unzufriedene Handwerker gewesen. (Zuruf von den Soß demokraten: Also es gibt doch unzufriedene Handwerker!) Die Ha

werker beklagen lebhaft, daß der § 100 nicht aufgehoben wird, 1

welchem die Zwangsinnungen Mindestpreise festsetzen können: Erfüllung dieser Forderung ist dringend nötig. Die Submissionesor nung ist dankbar anzuerkennen. Wenn der Erlaß ausgeführt wür würden auch die Handwerker damit zufrieden sein; aber leider k folgen die nachgeordneten Behörden diesen Erlaß nicht. Man m. schließlich zu der Ansicht kommen, daß die Herren Minister nicht me die nachgeordneten Behörden in der Hand haben. In der Dur führung der Bäckereiverordnung kommen noch immer Härten vor, einem Fall in der Mittenwalder Straße ist ein Bäckermeister gar ni mehr in der Lage, eine zweite Hypothek zu beschaffen, um die Bäcken räume in der verlangten Weise umbauen zu können; wenn aber?d Bäckerei aus dem Hause verschwinden muß, ist das Haus um 300 Mark weniger wert. Nach ärztlichem Gutachten sind die Räun⸗ nicht gesundheitsschädlich. Diesem Manne sollte also Dispens! teilt werden. Bei uns in Westpreußen ist ein bedeutender Rückge in dem Grundbesitz der Handwerker vorhanden. Die landwirtsch lichen Grundstücke werden bis zu vier Fünfteln ihres Wertes liehen, bei dem gewerblichen Grundbesitz ist das nicht der Fall. könnte keine bessere Polenpolitik getrieben werden, als wenn n. den kleinen Gewerbe⸗ und Handwerkerstand durch Beschaffung bil gen Kredits in den kleinen Städten festhält. Hier kann der Sie⸗. ebenso segensreich wirken wie durch die Schaffung von Ansiedlung gütern. Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Was zunächst den letzten Punkt betrifft, so stehen mir leider meinem Etat für den Zweck der Förderung des städtischen Hypothet kredits keine Mittel zur Verfügung.

Was die Angelegenheit des Bäckermeisters hier in der Mite walderstraße betrifft, so ist schon eine nochmalige Prüfung der Frah eingeleitet worden, und sie soll mit möglichstem Wohlwollen erlen werden. (Bravol rechts.)

Die übrigen Einzelfragen werde ich an der Hand des Sten gramms prüfen, soweit die Mitteilungen hinreichend vollständig wamg um auf die Sache selbst zurückgehen zu können. Heute kann ich ne darauf antworten. I

Bezüglich des Submissionsverfahrens kann ich nur wiederbel was ich neulich sagte. Die Klagen betreffen die Ausführung geltenden Vorschriften. Die Ausführung vollzieht sich fast durchr in andern Ressorts als dem meinigen. Gerade in dem Ressort Handel und Gewerbe kommt das am allerwenigsten vor, weil da a

wenigsten Bauausführungen sind. Die Bemerkung, es scheine, als

die Minister ihre nachgeordneten Behörden nicht mehr in der de. haben, würde im vorliegenden Falle den Herrn Kriegsminister und 8 Herrn Eisenbahnminister treffen. Ich habe nicht den Eindruch ob jener Vorwurf bei den genannten beiden Ressorts etwa zutrah Ich glaube, wenn begründete Beschwerden vorhanden sind muß natürlich auch den andern Teil hören —, dann werden Herren Ressortchefs, die dafür zuständig sind, prüfen, ob den erlasee Bestimmungen entsprochen worden ist, und gegebenenfalls einschrt ich bereit, eine sol ng vermitteln.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Abg. Borchardt (Soz.): Ich konstatiere ier bis Redner fortgesetzt die Sozialdemokratie Ih ber I funf jetzt, wo ich darauf antworten will, Schluß gemacht wird Das mag 88 ee 88 üblich sein, aber anständig 8 es nicht. 8 eie Beanugg r. Krause: Wegen dieser Beleidigung rufe ich

Abg. Dr. Ehlers (fortschr. Volksp.): Durch de ß bin i verhindert, mich mit den Aeußerungen des 2. F. Eechle hb 8 Bauschwindler zu beschäftigen. Er hat dabei auch die Banken an⸗ geführt. (Vizepräsident Dr. Krause: Sie treten in eine sachliche Besprechung ein, das ist nicht gestattet!) Herr Rahardt mag vom Handwerk etwas verstehen, aber er versteht nichts vom Bankgeschäft.

Der Titel des Ministergehalts wird bewilligt.

Bei de en 8 8 G dem Kapitel „Handels⸗ und Gewerbeverwaltung

Abg. Hausmann (nl.): Unsere Kaliproduktion hat ei großen Umfang angenommen, und deshalb ist es nicht 88 daß die Abwässer aus den Salzbergwerken ohne weiteres in die öffentlichen Flüsse geleitet werden. Man muß der Frage näher⸗ treten, ob im Wege des Verdampfungsverfahrens eine Abhilfe möglich ist. Ich frage den Minister, ob Maßnahmen in Aussicht süderxnn dem großen Uebelstand der Ableitung der Fabrikabwässer 0 ) 8

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

8 Meine Herren! Die Frage der Ableitung der Kaliendlaugen be⸗ schäftigt das mir unterstellte Ministerium seit einiger Zeit sehr leb⸗ haft. Hier handelt es sich in der Tat um einen sehr erheblichen Schaden, der durch die Verhärtung der Flüsse infolge der übermäßigen Einleitung dieser Endlaugen sowohl die Landwirtschaft, als auch die Industrie und die Trinkwasserversorgung der Städte trifft. Es hat sich bereits in der Provinz Sachsen eine sehr lebhafte Bewegung gegen den Fortbestand des bisherigen Zustandes geltend gemacht, und ich kann nur erklären, daß ich diesen Bestrebungen meine volle Sympathie entgegenbringe. Allerdings ist die Frage, wie dem für die Zukunft abzuhelfen sei, nicht mit zwei Worten zu beantworten. Ich weiß, daß die private Kaliindustrie, die ja ein Hauptinteresse an der Erlangung möglichst weitgehender Möglichkeiten für die Ableitung der Endlaugen hat, sich mit der Idee trägt, einen Kanal zu bauen, der die Ableitung nicht bloß bis an die Küste der Nordsee, sondern noch eine Reihe von Kilometern ins Meer hinein bewerkstelligen soll. Nach überschläglicher Schätzung soll die Sache 100 bis 125 Millionen Mark kosten. So opferwillig die Industrie auch sonst sein mag, so weifle ich doch, ob man genügend viel Leute nnter diesen einen Hut bringen wird. Außerdem hat natürlich eine so weite Ableitung auch technisch gewisse Bedenken.

Die andere Möglichkeit ist das Verdampfen der Endlaugen. Bis

jetzt wird im allgemeinen von den Interessenten behauptet, das sei entweder praktisch nicht möglich oder unwirtschaftlich. Nach den In⸗ formationen, die ich mir verschafft habe, wird es voraussichtlich mög⸗ lich sein, ein geeignetes und wirtschaftlich erträgliches Verfahren zu finden, sobald nur die Notwendigkeit dazu vorliegt. Die Notwendig⸗ keit wird sich aber bald ergeben; denn es ist ganz unmöglich, den vielen neuen Chlorkaliumfabriken, die Endlaugekonzessionen haben wollen, diese Konzessionen zu geben, ohne weitgehende neue Miß⸗ stände in dem von mir vorhin näher angedeuteten Sinne hervor⸗ zurufen. Also diese Konzessionsgesuche werden wahrscheinlich schon in der Bezirksinstanz auf erheblichen Widerstand stoßen.

Nun ist dabei noch eins zu erwägen. Die Frage wird praktisch nicht von Preußen allein gelöst werden können; denn wir bekommen die Flüsse, an deren Oberlauf andere Staaten liegen, die ebenfalls Kalibergbau treiben, zum Teil schon in einem so verhärteten Zustand, daß das, was in anderen Staaten geschieht, schon genügt, um in Preußen Schäden hervorzurufen, auch wenn wir selber nicht durch neue Konzessionen zur Verhärtung beitragen. Außerdem muß man aber auch anerkennen, daß es, wenn Preußen bereit ist, bei sich keine neuen Endlaugekonzessionen an jenen Flüssen zu geben, dies dann aber die Folge haben sollte, daß die Nachbarstaaten in ähnlicher Weise vorgehen. Diese Frage kann nicht von Preußen allein gelöst werden. Wenn es nicht gelingt, im Wege der Verständigung die Nachbarstaaten zu veranlassen, auch ihrerseits die Endlaugenkonzessionen einzuschränken, wie es Preußen zu tun vor hat, so wird eben der Weg der Reichs⸗ gesetzgebung beschritten werden müssen.

Abg. Borchardt (Soz.): Die Cesvetheinspiteihn müßte auf die Innehaltung der Sonntagsruhe achten, denn die kaufmännischen Angestellten sind in so abhängiger Stellung, daß sie nicht wagen dürfen, eine Anzeige zu erstatten. Wenn es richtig ist, daß, wer die Religion verliert, leicht zum Verbrecher werden kann, so bin ich besorgt um das Seelenheil des Abg. Hammer, der die Sonntags⸗ arbeit nicht eingeschränkt haben will; denn die Sonntagsruhe ist doch eine religiöse Vorschrift. Die Bauunfälle 9 mit dem Bauschwindel zusammen; wenn man ihnen zu Leibe gehen will, wie es Aufgabe der Gewerbeinspektion ist, so muß man den Ursachen nachgehen. Die Terrainspekulanten sind die eigentlichen Bau⸗ schwindler. Man will die Arbeiter nicht als Baukontrolleure, weil man die Sozialdemokraten nicht will. Wir sind es also nicht, die die Politik in diese Frage hineinziehen. Unsere Gegner wollen die rein technischen Maßnahmen der Baukontrolle aus politischen Gründen nicht wirksam durchführen. Jeden einzelnen Schritt zur Ver⸗ besserung ihrer Lage müssen sich die Arbeiter erst gegen die Unter⸗ nehmer erkämpfen; das illustriert das angebliche „gemeinschaftliche Interesse der Arbeitgeber und Arbeiter“. Dasselbe gilt für die andlungsgehilfen. Dieselben Gründe gegen die Sonntagsruhe, die heute der Abg. Hammer vorbringt, haben wir schon vor zwanzig Jahren gehört. Damals hatte man allerdings noch keine Er⸗ fahrungen damit gemacht, aber nach den heutigen Erfahrungen haben diese Gründe nur noch agitatorische Bedeutung. Der Polizeipräsident wollte am Weihnachtsheiligabend die Läden um 3 Uhr, wenigstens um 4 Uhr schließen lassen, aber der Herr Minister hielt es für angebracht, die Verkaufszeit bis 6 Uhr auszudehnen. Glauben Sie, daß, wenn um 3 Uhr geschlcsen worden wäre, jemand seine Weih⸗ nachtseinkäufe nicht gemacht hätte? Nein, die Arbeiter, die in den Außenbezirken der Stadt und in den Vororten wohnen, hätten an senem Sonntag, dem Heiligabend, bis 3 Uhr nicht Zeit gehabt, nach der Leipziger Straße zu den Warenhäusern zu fahren, sondern 66 ten ihre Einkäufe bei den klei Ge betreibenden in ihrer

weite Beilage chen Reichsanzeiger und Königlich Preu

Berlin, Mittwoch, den 28. Fehruar

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Nähe gemacht. Man will den Mittelstand erhalten, aber anderer⸗ seits klagt man über die Ueberfüllung des Mittelstandes, er will nicht jeden Unselbständigen in den Mittelstand aufsteigen lassen, und die Herren da drüben brauchen auch abhängige Existenzen, um sich ihre politische GSeee,e. zu erhalten. 1

„Abg. Dr. Ehlers (cortschr. Volksp.): Die Fabrikinspektoren ge⸗ nügen im allgemeinen den großen Ansprüchen, die an sie gestellt werden. Daß sie es nicht überall können, liegt an den Bestimmungen die nicht immer den praktischen Bedürfnissen entsprechen. In den Gewerben, bei denen Sonnabends oder sonst zu bestimmten Zeiten die Ueberarbeit notwendig ist, muß die Erlaubnis erteilt werden. Bis jetzt sind zu große Schwierigkeiten gemacht worden; ein Mißbrauch ist ausgeschlossen, da die Zahl der Tage, an denen Ueberarbeit geleistet werden darf, beschränkt ist. Die Holizeibehorde in Berlin hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß diejenigen Nahrungsmittelgeschäfte, die auch nur einen einzigen anderen Gegenstand neben den Nah⸗ rungs⸗ oder Genußmitteln führen, nicht unter die Ausnahmegeschäfte fallen, die eine erweiterte Geschäftszeit haben. Das entspricht nicht dem Volksempfinden. . 1

Abg. Lieneweg (kons.): Bisher war es üblich ß di

Gewerbetreibenden schon vor der Revision ihre Gerilic,d,doe ie meistern übergaben, um sich bei der Hauptrevision nicht der Blamage auszusetzen, daß die Gewichte nicht stimmen, zu leicht oder zu schwer geworden sind. Darin wird durch die Verstaatlichung des Eichwesens manche Schwierigkeit entstehen. Der Verkehr mit dem Eichmeister wird sicher nicht angenehmer werden. Ich möchte den Minister bitten, dafür zu sorgen, daß nach Möglichkeit alle Härten vermieden und die ausführenden Beamten dahin instruiert werden, dem Publikum in jeder Weise entgegenzukommen.

Abg. Dr. Wendlandt (nl.): Ich möchte den Minister bitten, dafür zu sorgen, daß das Eichamt in Stargard erhalten wird; der Handelsminister ist der einzige Minister, auf den Handel und Gewerbe ihr Auge richten, als den Vater ihrer aller, auf daß er ihnen helfen soll. Bei der Uebernahme der Beamten in den Staats⸗ dienst werden ja nicht alle Härten vermieden werden können. In einer Petition aus den Kreisen der Eichbeamten heißt es, daß unter ihnen die tiefste Mutlosigkeit herrsche. Ich möchte den Minister darum bitten, gemäß dieser Petition die Bureaubeamten und Eich⸗ meister in die Klasse von 2100 bis 4500 zu versetzen. Sollte das nicht möglich sein, dann kann vielleicht ein Uebergangsstadium geschaffen werden, damit die Beamten wenigstens ihr altes Gehalt 111“

Abg. Boehmer (kons.): Ich möchte den Minister dringend bitten, gemäß der Petition der Stadt Stargard das Eichaml in zu erhalten. Das Eichamt in Pyritz hört auf zu bestehen, sodaß dieses Eichamt sehr gut auf Stargard übernommen werden könnte. Der Verlust des Eichamts würde für Stargard einen großen Verlust bedeuten, da diese Stadt auf den Verkehr mit den Nachbarkreisen sehr angewiesen ist. Die Stadt ist auch bereit, das Gebäude zur Be⸗ nutzung zu überweisen und die sämtlichen Utensilie entgeltlich zu übergeben, auch für ein neues Lokal zu sorgen.

Das Kapitel wird bewilligt.

Die dem Etat angefügte Denkschrift über die Neu⸗ einrichtung des Eichwesens wird durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt. Ueber die Petition um Versetzung der Bureau⸗ beamten und Eichmeister bei den Eichämtern in die Klasse der Besoldungsordnung von 2100 bis 4500 geht das Haus zur Tagesordnung über. Eine Petition um Erhaltung des Eich⸗ amtes in Stargard wird der Staatsregierung zur Erwägung überwiesen.

Um 4 Uhr wird die weitere Beratung des Handels⸗ und Gewerbeetats 88 Mittwoch 11 Uhr vertagt (außerdem Ver⸗ waltung der direkten Steuern).

Wohlfahrtspflege. Jugendpflege in Preußen im Etatsjahre 1911.

Der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten hat dem Hause der Abgeordneten eine Denkschrift über Jugendpflege in Preußen im Etatsjahr 1911 unterbreitet, in der nach einem Gesamt⸗ überblick über die Entwicklung der Jugendpflegebestrebungen im Berichtsjahre der Erlaß des Ministers der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten vom 18. Januar 1911, betreffend Jugendpflege, und die dem Erlaß beigefügten „Grundsätze und Rat⸗ schläge für Jugendpflege“, Auszüge aus Vorträgen der zuständigen Regierungsdezernenten über Organisation und Stand der Jugend⸗ pflege in einzelnen Regierungsbezirken, eine Uebersicht über die Ergeb⸗ nisse der staatlichen Veranstaltungen zur Ausbildung und Fortbildung von Turnlehrern sowie von Jugendpflegern in Preußen während des Etatsjahres 1911, ein Erlaß des Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten vom 1. April 1911, betreffend Beihilfen für Veranstaltungen Dritter zwecks Förderung der Pflege der schul⸗ entlassenen männlichen Jugend, ein Erlaß desselben Ministers vom 8. Juni 1910, betreffend Anträge von Vereinen aller Art auf Zu⸗ wendung von Staatsmitteln zur Beschaffung von Turn⸗ und Spiel⸗ geräten, von Spielplätzen usw. im Dienst der Jugendfürsorge durch gesunde Leibesübungen, Erlasse vom 1. Mai 1911, 88 Juli 1911 und 1. April 1911, betreffend Beihilfen, die Darbietung gesunden Lesestoffes und die Ausbildung von für die Jugendpflege geeigneten Personen, enthalten sind.

Dank der langjährigen treuen Arbeit nationalgesinnter Einzel⸗ personen und freier Vereinigungen, wie der zahlreichen kirchlichen Ver⸗ eine, der Turn⸗, Spiel⸗ und Sportvereine u. a., dank den Bestrebungen großer Zentralvereinigungen für Volks⸗ und Jugend⸗ wohlfahrt, sowie der in den letzten 8 einsetzenden Anregung und Unterstützung durch verschiedene Ministerien war schon ein nicht unbeträchtlicher Teil der schulentlassenen männlichen Jugend Preußens von einer auf vaterländischem Boden stehenden Jugendpflege erfaßt, als die Königliche Staatsregierung mit Beginn des Jahres 1911 die planmäßige Fördernng des bedeutsamen Werkes in einheitlicher und umfassender Weise in Angriff nahm. Die Gründe, die die Staats⸗ regierung veranlaßt haben, die begonnene Arbeit unter Aufwendung erheblicher Mittel von einheitlichen Gesichtspunkten aus umfassend zu het das Ziel, daß sie bei ihrem Vorgehen verfolgt, und die für die 2 ehandlung der ganzen Angelegenheit maßgebenden Grund⸗ sätze sind eingehend dargelegt in dem Erlaß des Kultusministers an die Regierungspräsidenten vom 18. Januar 1911 und den dem Erlaß beigefügten „Grundsätzen und Ratschlägen für Jugendpflege“. Aufgabe der Jugendpflege ist hiernach die Mitarbeit an der Heranbildung einer frohen, körperlich leistungsfähigen, sittlich tüchtigen, von Gemeinsinn und Gottesfurcht, Heimat⸗ und Vaterlandsliebe erfüllten Jugend. Sie will die Erziehungstätigkeit der Eltern, der Schule und Kirche, der Dienst⸗ und Lehrherren unterstützen, ergänzen und weiterführen.

Diese Fassung des Ziels sowie die im Erlaß und seiner Anlage enthaltenen Grundsätze, Vorschläge und Fingerzeige zur Erreichung des Ziels sind auch in sachverständigen Kreisen mit Zustimmung und Anerkennung aufgenommen worden. Der Ruf zur Sammlung der bisher nebeneinander oder gar gegeneinander arbeitenden Jugendvereine hat in vielen Stadt⸗ und Landgemeinden lebhaften Widerhall geeunden

trug wesentlich der Umstand bei, daß die Bemühungen um die chulentlassene männliche Jugend im vergangenen Jahre bc Tagungen von Körperschaften verschiedener Art, in der Tagespresse, in Fachzeit⸗ schriften und Broschüren viel häufiger als früher zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden sind. Durch das Zusammenwirken von staatlichen und Gemeindebehörden, von Geistlichen und kirchlichen Be⸗ hörden, von vaterländisch gesinnten Vereinen aller Art und von Privat⸗ personen der verschiedensten Stände sind in den einzelnen Regierungs⸗ bezirken zahlreiche Jugendpflegeorganisationen in Form von Kreis⸗ und Ortsausschüssen entstanden. Diese Ausschüsse haben in der kurzen Zeit ihres Bestehens zumeist schon eine erfreuliche Tätigkeit begonnen. Beispiele hierfür geben die in der Denkschrift sich findenden Auszüge aus Vorträgen, die bei Gelegenheit von Jugendpflegekonferenzen von den zuständigen Regierungsdezernenten über Organisation und Stand der Jugendpflege gehalten worden sind. Sie betreffen die Bezirke Königsberg i. Pr., Berlin, Frankfurt a. O., Köslin, Breslau, Han⸗ nover, Hildesheim, Merseburg, Arnsberg, Düsseldorf und Aachen, also Teile des Ostens, der Mitte und des Westens der Monarchie. Vor allen Dingen sind die neuen Jugendpflegeausschüsse zu⸗ sammen mit den Organen der staatlichen Behörden bestrebt gewesen, weitere Kreise mit den in dem obengenannten Ministerialerlaß vom 18. Januar 1911 ausgesprochenen Grundsätzen und Ratschlägen be⸗ kannt zu machen, etwaiges Mißtrauen gegen die vorgeschlagenen Maß⸗ nahmen zu beseitigen, in der Bevölkerung Verständnis und Teilnahme für das Werk der Jugendpflege zu mehren und eine aus idealen Be⸗ mescründen hervorgehende, umfassendere praktische Betätigung auf diesem Gebiete einzuleiten. Unterstützt wurde diese Aufklärungsarbeit in einer Reihe von Regierungsbezirken durch besondere, für den ganzen Bezirk oder einzelne Teile desselben nebenamtlich bestellte Pfleger. Auf Ersuchen von Landräten, Gemeindebehörden, Vereinen oder aus eigenem Antriebe sind sie als Berater und Helfer in die Städte und Dörfer gegangen, haben dort das Interesse für eine Leib und Seele der Jugend erfassende Pflege zu wecken und zu stärken, auch durch Be⸗ sprechungen mit einflußreichen Persönlichkeiten oder durch Vorträge die Gründung von Arbeitsausschüssen und neuen Vereinen herbei⸗ zuführen gesucht.

Um die Erfahrungen, die hierbei in den einzelnen Bezirken ge⸗ sammelt worden sind, für die ganze Monarchie nutzbar zu machen und dem einzelnen neue Anregungen für seine fernere Tätigkeit zu geben, wurde für die Bezirksjugendpfleger und solche Personen, die dafür in Aussicht genommen waren, eine zweitägige Konferenz in der Landesturnanstalt abgehalten. Da gerade bei der Jugendpflege der Erfolg in erster Linie von den sich ihr widmenden Persönlichkeiten abhängt, wurde überhaupt eine umfassende Fürsorge darauf verwendet, Personen zu gewinnen, auszubilden und für die große vater⸗ ändische Aufgabe zu erwärmen und zu begeistern. Zu diesem Zwecke wurden auch weiterhin mannigfache Kurse teils an der Landesturn⸗ anstalt, teils in zahlreichen Orten aller Regierungsbezirke abgehalten. Im ganzen sind im Etatsjahr 1911 über 16 000 Personen für Jugendpflege oder für einzelne Zweige derselben fortgebildet, sodaß zusammen mit den in den letzten Jahren schon ausgebildeten Pflegern mehr als 60 000 geschulte Personen für die schulentlassene Jugend zur Verfügung stehen. Besonders erwähnt sei ein in Verbindung mit den in Berlin stattfindenden staatlichen Handfertigkeite kursen abge⸗ haltener Lehrgang für Jugendpfleger im Modellieren, Schnitzen, in der Anfertigung von Papparbeiten usw., ferner ein Kursus an der Landesturnanstalt für Vorturner und Turnwarte der zur „Deutschen Turnerschaft“ gehörigen Vereine, sowie ebenfalls an der Landesturn⸗ anstalt ein Kursus für Schulaufsichts⸗ und Verwaltungsbeamte, an dem sich Landräle, Bürgermeister, Regierungsräte, Schulräte, Kreis⸗ und Ortsschulinspektoren mit großem Interesse beteiligten. Ferner ist dafür Sorge getragen worden, daß auch die angehenden Seminar⸗ lehrer in den für ihre Fortbildung bestimmten wissenschaftlichen Kursen, ebenso die angehenden Lehrer in den Seminaren sowie die Turnlehrer mit der Jugendpflege bekannt gemacht werden.

Die Werbearbeit der Jugendpflegeausschüsse um Gewinnun gesigneter Kräfte ist in der letzten Zeit von dem durch den General⸗ eldmarschall Freiherrn von der Goltz ins Leben gerufenen Bund „Jungdeutschland“ wirksam unterstützt worden. Durch ihn sollen namentlich auch geeignete Kräfte im aktiven Heere und im Beurlaubten⸗ stande noch mehr, als bisher schon geschehen, insbesondere der Pflege körperlicher Uebungen unter der Jugend dienstbar gemacht werden.

So ist es gekommen, daß sich Männer aus den verschiedensten Berufsständen, darunter auch aus solchen, die sich bisher von dieser Arbeit fern gehalten haben, den bisherigen Arbeitern auf diesem Ge⸗ biete der Jugendwohlfahrt zugesellt haben. Im Verein mit diesen und meist Hand in Hand mit den Jugendpflegeausschüssen haben sie eine mühsame, opferbereite, äußerst dankenswerte Kleinarbeit zum Wohl der Jugend in die Wege geleitet. Die einen sind bei mannigfachen Veranstaltun en, welche die religiöse Anregung, die körperliche und sittliche rästeang die Belehrung oder Unterhaltung der Jugend bezweckten, ehilflich gewesen; andere haben bei der Auswahl von Schriften für die Jugendbüchereien mitgewirkt, andere die Beschaffung von Spielplätzen, Badegelegenheiten, Turnhallen und Jugendheimen in Anregung gebracht, andere Wanderungen, Spielnachmittage und Spielfeste veranstaltet oder veranstalten helfen usw.

„Erfreulich ist weiterhin die Tatsache, daß die Zahl der Stiftungen ür die Jugendpflege sich zu mehren beginnt. In .

eise haben auch kirchliche Behörden, ferner Kreise und eine Reihe von Städten, Gemeinden und anderen Körperschaften, z. B. Handels⸗ und Handwerkskammern, die Förderung der Angelegenheit in die Hand genommen. Man hat sich die Beschaffung von Spielplätzen angelegen sein lassen, hat den Vereinen Turnhallen, Badeanstalten und Schulräume zugänglich gemacht, den Teilnehmern an Kursen zur Ausbildung von Jugendpflegern Beihilfen gewährt oder, wie z. B. Charlottenburg und Magdeburg, solche Kurse selbst eingerichtet und fast ausschließlich mit eigenen Mitteln durchgeführt. In zunehmender Zahl sind oder werden ständige Beiträge für die Jugendpflege in Stadt⸗ und Kreisetats aufgenommen. Sehr großer Wert wird von allen Sachverständigen mit Recht auf die Errichtung von Jugend⸗ heimen, Jugendlesehallen und Turnhallen gelegt, da diese Räume die Jugendpflege vom Gasthaus und von der Witterung unabhängig machen und eine große Anziehungskraft auf die Jugendlichen ausüben. Auch in dieser Beziehung sind im vergangenen Jahre Fortschritte zu verzeichnen. Es wird beabsichtigt, diese Sftadesse⸗ in Zukunft nach Moͤglichkeit auch durch Zuwendung staatlicher Mittel in erhöhtem Maße zu unterstützen.

Die segensreichen Wirkungen der vom Staat geförderten Maß⸗ nahmen können bei der Eigenart der Aufgabe naturgemäß erst nach Fahren geduldiger, unermüdlicher Arbeit voll in Erscheinung treten. Aber auch schon jetzt hat das vereinte Vorgehen von staatlichen, kommunalen und kirchlichen Behörden, von Vereinen aller Art und von Privatpersonen einen merklichen Fortgang in der Entwicklung der Jugendpflegearbeit zur Folge gehabt. Viele von den vorhandenen vaterländischen Jugendvereinigungen der verschiedenen Richtungen haben durch die ihnen gewährte Unterstützung sich weiter ausbauen, ihre Mittel zur erziehlichen Beeinflussung der Jugend verbessern und vermehren, ihren Wirkungskreis erweitern können. Wo ein Bedürfnis dazu vorlag, sind auch neue Vereine entstanden, die einen Teil der bisber noch nicht versorgten Jünglinge heranzuziehen suchten. Auf diese Weise ist in der kurzen Zeit vom 1. April bis 1. Dezember 1911, also in acht Monaten, auch bezüglich der Zahl der von der Jugend⸗ pflege erfaßten jungen Männer ein Fortschritt erreicht. In