Auswärtigen Amtes von Kiderlen⸗Waechter und vom Statt⸗ halter von Elsaß⸗Lothringen. Die Bürgerschaft der Heupe und Residenzstadt beging den Geburtstag Seiner Königlichen Hoheit des Prinz⸗Regenten Nachmittags mit einem Festbankett im Alten Rathaus, zu dem sich die Minister von Breunig und von Knilling, Vertreter von Handel, Kunst, Wissenschaft u. a. eingefunden hatten. Der Oberbürgermeister von Borscht feierte den Regenten als einen Mann der Gerechtigkeit und Treue, als einen Charakter voll sonniger Klarheit und Milde und als Freund seines Volkes. In der Residenz and Nachmittags eine größere Hoftafel statt, an der die engere Familie Seiner Königlichen Hoheit des Prinz⸗Regenten teil⸗ nahm. Während der Tafel drachte Seine Königliche Hoheit der Prinz Ludwig den Toast auf seinen erlauchten Vater aus, den dieser mit einem Trinkspruch auf seine Kinder, Kindes⸗ kinder und Urenkel erwiderte. Wie in der Hauptstadt ist auch im ganzen Lande der Geburtstag des Regenten gefeiert
orden. In Reichenhall fand unter zahlreicher Beteiligung und in Anwesenheit Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Franz von Bayern die feierliche Enthüllung eines Denkmals
des Prinz⸗Regenten statt.
Hessen.
In der Zweiten Kammer kam es gestern ormittag zu e Zwischenfall, über den „W. T. B.“, wie folgt, berichtet:
Nach der Rede des Abg. Dr. Fulda (Sozialdemokrat), der den Minister des Innern fortgesetzt aufs schwerste angriff und beleidigte, ohne von dem Vizepräsidenten Korell zur Ordnung gerufen zu werden, verließen sämtliche Regierungsvertreter das Haus. Nach längerer Geschäftsordnungsdebatte wurde auf Antrag des Abg. Osann be⸗ schlossen, eine Pause eintreten zu lassen, in der der Vorstand der Kammer mit der Regierung darüber verhandeln solle, auf welcher Grundlage wieder ein Eö mit der Regierung ermöglicht werden könne. Nach etwa einstündiger Verhandlung des Vorstands der Kammer mit der Regierung und nach Beratungen der Fraktions⸗ vorstände erschienen die Regierungsvertreter wieder im Saale. Der Vizepräsident Korell stellte auf Grund des Stenogramms die wieder⸗ holten Beleidigungen des Abg. Dr. Fulda fest und erteilte ihm zwei Ordnungsrufe. Darauf gab er im Namen des Gesamtvorstandes der Kammer eine Erklärung ab, in der er seinem Bedauern wegen des Zwischenfalles Ausdruck gab. Sodann gaben sämtliche Vorstände der bürgerlichen Fraktionen eine Erklärung ab in der sie ebenfalls den Vorfall aufs tiefste bedauerten. Der Minister des Innern von Hombergk dankte den bürgerlichen Parteien und erklärte, daß es ihm nach dem beleidigenden Verhalten Fuldas unmöglich sei, in Zukunft sich jemals wieder mit ihm in eine Diskussion einzulassen oder ihm Antwort zu erteilen. Damit war der Zwischenfall erledigt.
9 Elsaß⸗Lothringen. Die Zweite Kammer des Landtags hat gestern in zweiter Lesung den Etat des Ministeriums angenommen. Wie „W. T. B.“ meldet, wurde der Posten von 44 000 ℳ für geheime Ausgaben im Interesse der Polizei vom Zentrum, den Sozialdemokraten und den Demokraten gestrichen, während die Liberalen und der lothringische Block sich der Abstimmung enthielten. Das Zentrum erklärte sich durch die Abgeordneten Haus und Wetterlé jedoch bereit, seinen Standpunkt einer Re⸗ vision zu unterziehen, wenn dem Parlament eine Kontrolle zu⸗ gestanden würde. Der Staatssekretär Freiherr Zorn von Bulach und der Unterstaatssekretär Mandel erklärten, das elsaß⸗lothringische Parlament solle nicht schlechter gestellt werden als andere Parlamente. Die Regierung würde Erkundigungen in anderen Staaten über deren Verhalten anstellen. Liberale und Lothringer Block wollen erst ab⸗ warten, welche Stellung die Regierung in dieser Frage einnimmt. Außerdem gab es eine lebhafte Debatte über die französischen Inschriften an Läden, Schaufenstern usw., deren Verbot von den Vertretern aller Parteien auf das energischste bekämpft wurde. Bei der dritten Lesung soll ein entsprechender Antrag gestellt werden. Der Unterstaatssekretär Mandel erklärte, der Regierung sei die Notwendig⸗ keit dieses Verboss selbst sehr unangenehm. Sie könne aber wegen des möglichen Mißbrauchs zu Kundgebungen nicht darauf verzichten.
1 8 E1“ 11“
Oesterreich⸗Ungarn.
Zu Beginn der gestrigen Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses erklärte der Präsident Dr. Sylvester, er werde die in der letzten Sitzung beschlossene Besprechung der Interpellationsbeantwortung des Finanzministers über die Vor⸗ genehmigung der Ausgabe neuer Aktien der Waffen⸗ A.⸗G. vor Eingehen in die Tagesordnung vornehmen assen.
sh Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erhob der Antragsteller Abg. Ritter von Panz gegen die Interpellationsbeantwortung des Ministers Einspruch. Er erklärte, daß die Genehmigung der Ausgabe von Gratisaktien an die Waffenfabrik A.⸗G. sowohl dem Wortlaut als auch dem Geist des Aktienregulativs widerspreche. Wenn er auch überzeugt sei, daß der Finanzminister in der ganzen Angelegenheit optima fide vorgegangen sei, so widerspreche doch das Vorgehen der Regierung der bisherigen strengen Auf⸗ fassung und sei geeignet, die Industrie und die Volkswirtschaft im Auslande in üblen Ruf zu bringen. Der Redner erklärte, daß die Regierung durch ihr Vorgehen das Publikum der Aktien⸗ spekulation zutreibe und die Genehmigung der Ausgabe von Gratis⸗ aktien nichts anderes bedeute, als die Gesellschaft in der Steuerhinter⸗ ziehung zu unterstützen. Der Finanzminister Ritter von Zaleski erklärte, er glaube, daß der Beschluß des Hauses über die Eröffnung der Debatte in dem Sinne aufzufassen sei, daß das aus in dieser Sache Klarheit wolle. Die Regierung habe diese Klarheit gewiß nicht zu scheuen. Er habe bereits den Standpunkt der Regierung ausführlich dargelegt, von dieser Erklärung habe er nichts zurückzuziehen, ihr aber auch nicht viel hinzuzufügen. Der Minister widerlegte den Vorwurf, daß die Regierung die Waffenfabrik A.⸗G. ungebührlich bevorzugt habe und stellte fest, daß die Uebertragung freier Reserven auf das Kapitalkonto, wenn freie Reserven in reichlichem Maße vorhanden seien, an sich zu keinem Bedenken Anlaß gäbe. Er berief sich auf eine Reihe von Präzedenzfällen aus der Praxis und legte dar, daß diese Praxis auch von der Theorie bestätigt werde. Keines der europäischen Handels⸗ gesetze verwehre ein derartiges Vorgehen. Das Ministerium habe das Ersuchen der Gesellschast um die Vorgenehmigung zur Ausgabe der Aktien raschestens erledigt, gerade um Spekulationen soviel als möglichst hintanzuhalten. Er begreife es daher nicht, daß der Interpellant aus dieser Raschheit und Vor⸗ sicht der Regierung einen Vorwurf mache. Er würde vielmehr einen solchen Vorwurf von solchen Personen begreifen — der Interpellant gehöre nicht dazu —, die es bereuten, daß sie sich einen günstigen Moment für einen guten Feng hätten entgehen lassen. (Zwischenrufe des Abg. Ritter von Panz.) Bestimmte Tatsachen, 1abe der Minister fort, über irgendwelche Mißbräuche seien ihm nicht zu Ohren gekommen. Die Regierung habe darauf Bedacht genommen, die Gelegenheit zu Mißbräuchen tunlichst ein⸗ zuschränken. Der Minister stellte fest, daß, falls ein Anlaß ur Besteuerung der neuen Aktien vorliegen sollte, eine Nach⸗ esteuerung erfolgen werde. Das Vorgehen der Regierung sei weder mit einem Nachteil für den Staat noch für die Aktionäre verbunden. Daß gewisse Baissespekulanten nicht auf ihre Rechnung gekommen seien, darum habe sich der Minister nicht zu kümmern.
Darauf sprachen noch mehrere Redner zum Gegenstande, worauf die Teuerungsdebatte fortgesetzt wurde
1“ ““
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. Großbritannien und Irland.
Der Flottenetat für das Rechnungsjahr 1912/13, der gestern abend verö worden ist, schließt insgesamt mit 44 085 400 Pfd. Sterl. ab gegen 44 392 500 im laufenden Rechnungsjahr. Wie „W. T. B.“ meldet, sind in dem Flottenbauprogramm an Schiffsneubauten vorgesehen vier große Panzerschiffe, acht leichte gepanzerte Kreuzer, zwanzig Torpedobootszerstörer und eine An; 8 von Unterseebooten und Hilfsfahrzeugen. Der Mannschaftsbestand wird um 2000 Mann vermehrt werden. In der Erläuterung, die der Erste Lord der Admiralität Churchill dem Flottenetat beigegeben hat,
eißt es:
h 8ig Flottenetat sei unter der Voraussetzung aufgestellt worden, daß die jetzigen Flottenprogramme der anderen Flottenmächte keine Erweiterungen erführen. Im Falle solcher Erweiterungen würde es notwendig sein, sowohl für die zu bewilligenden Mittel als auch für den Mannschaftsbestand einen Nachtragsetat einzubringen.
Die Schiffsneubauten werden 13 971 527 Pfd. Sterl. kosten gegen 15 063 877 im laufenden Rechnungsjahre; davon sind 12 067 727 Pfd. Sterl. für die Fortsetzung der Arbeiten an den bereits im Bau befindlichen Schiffen bestimmt und 1 903 800 Pfd. Sterl. für die Inangriffnahme der Neubauten des neuen Programms. Der Prozentsatz der Neubauten, der in dem neuen Rechnungsjahr begonnen werden soll, ist größer als gewöhnlich; danach wird es möglich sein, den Bau der gesamten neuen Torpedobootszerstörer auf einmal zu be⸗
ginnen. .
— In der gestrigen Sitzung des Unterhauses fragte der Abg. Fell (konservatip), welche Häfen oder welches Gebiet Großbritannien im Austausch für die Walfis chbai oder Sansibar im Zusammenhang mit dem Vorschlag einer Ver⸗ einbarung über den Austausch jener britischen Häfen angeboten worden sei.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Grey erwiderte laut Bericht des „W. T. B.“*, nach seiner Meinung könne der Abg. 8 die Antwort, die er am 22. Februar erteilt hätte, nicht gesehen haben. Er müsse ihn auf jene Antwort verweisen, die, soweit als dieses Haus in Betracht komme, alle Besorgnisse beseitigen sollte.
Hierauf trat das Haus in die Debatte über das Heeres⸗ budget ein. 1
Der Abg. Amery (Unionist) erklärte, daß das Land sich bezüglich der Armee noch genau in derselben Lage befinde wie vor dem Aus⸗ bruch des südafrikanischen Krieges. Der Parlamentsuntersekretär Seely erwiderte, es sei allerdings wahr, daß England im Jahre 1899 die kleine Truppenmacht, die notwendig gepesen sei, um Verstärkungen nach Natal zu senden, nicht habe absenden können, ohne Truppen von Indien, Ceylon und den anderen östlichen Garnisonen wegzunehmen. Aber seither seien große Fortschritte gemacht worden. „Ich habe hier“, erklärte Seely, „eine Mappe für Amery, und ich will eine ähnliche Mappe an alle Parlamentsmitglieder senden unter der Bedingung, daß sie als Geheimnis betrachtet wird, aus der ersehen werden kann, daß, wenn wir morgen Verstärkungen nach Natal senden müssen, wir dies tun können, ohne einen einzigen Mann von irgend einer östlichen Garnison zu entnehmen. Wir könnten in wenigen Tagen, wenn die Transport⸗ schiffe bereit sind, 150 000 Mann, vollständig ausgerüstet mit Waffen, Munition und Vorräten, sowie Verstärkungen für drei Monate absenden. Amery hat unsere militärische Bereitschaft sehr scharf angegriffen, was, wenn man diese Angriffe für be⸗ rechtigt hielte, eine sehr ernste Rückwirkung auf unsere Stellung in der Welt haben würde. Ich bin hier, um zu wiederholen, daß inner⸗ halb weniger Tage nach dem Befehl zur Mobilmachung — die Anzahl Tage ist hier in diesen Dokumenten angegeben — 150 000 Mann ah⸗ gesandt werden können. Dase re—; utet einen außerordentlichen Fort⸗ schritt in unserer . 8 Amery die Zeit des süd⸗ afrikanischen as. mit dür gkgen ggen vergleicht, so heißt das mit dem Hause Scherz treiben.“
Die Effektivstärke der Armee wurde darauf bewilligt.
Frankreich.
In der gestrigen Sitzung der Marinekommission des Senats begründete der Marineminister Delcassé den Gesetz⸗ entwurf, betreffend das Flottenprogramm, und erklärte laut Meldung des „W. T. B.“, der Entwurf müsse bei der gegenwärtigen Lage in Europa allen Bedürfnissen Rechnung tragen; eine besondere Anstrengung könne nur dann notwendig werden, wenn eine der rivalisierenden Marinemächte eine solche mache. Die Kommission nahm sodann das Flottengesetz an.
Rußland.
Die Reichsduma begann gestern mit der Beratung des
Staatsbudgets von 1912. 1
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ betonte der Präsident der Budgetkommission Alexejenko, daß die Budgetkommission durch Abänderungen der Vorlage bei voller Berücksichtigung der Volksbedürfnisse einen Ueberschuß der ordentlichen Ein⸗ nahmen im Betrage von 232 Millionen erzielt habe. Außer⸗ dem würden zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben außer den für die Tilgung der Schatzscheine bestimmten 100 Millionen Ruhel nicht, wie die Vorlage beantrage, 14,7 Millionen des freien Barbestandes, sondern 54 Millionen des Ueberschusses benutzt werden. Das gegenwärtige Budget sei das dritte ohne Fehlbetrag. In einem Zeitraum von fünf Jahren sei es gelungen, über drei Milliarden für die Landesverteidigung und die volle Wiederherstellung, ja Stärkung der Kriegsmacht anzuweisen, den Ausgaben für die Volksbildung die gebührende Stelle einzuräumen, den Anforderungen der Landorganisation und der Landwirtschaft zu genügen, die Bahnen in Sibirien zu entwickeln und die Lage der Beamten aufzubessern. Ferner seien die Summen zur Tilgung der Staatsschuld vergrößert worden. Das Budget von 1912 überste ge das Budget von 1907 um mehr als 500 Millionen, die allein in ordentlichen Ausgaben beständen. Dabei bleibe ein freier Barbestand von über 400 Millionen. Die Staatsschuld werde, wenn die Schuld für die Warschau⸗Wiener Bahn nicht hinzugerechnet wird, am 1. Januar 1913 nur 53 Millionen mehr als am 1. Januar 1908 betragen. Die Summe der eingegangenen ordentlichen Einnahmen habe im Jahre 1911 die vom Jahre 1907 um 460 Millionen über⸗ stiegen, und das sei ohne belastende Steuererhöhung und ohne be⸗ deutende neue Sseuern erzielt worden.
Hierauf ergriff der Ministerpräsident Kokowzow das Wort und führte aus, daß das russische Budget zum ersten Male eine von mehr als drei Milliarden Rubel erreiche. Die ordentlichen usgaben wüchsen durchschnittlich um 80 bis 100 Millionen jährlich. Die Staatskasse werde dadurch jedoch nicht erschöpft und das Gleichgewicht des Budgets in Zukunft nicht gefährdet. Selbst ein Mißwachs sei fast ohne Einfluß auf die Einnahmen. Die fünfjährige Arbeit der Reichsduma habe bewirkt, daß die Einnaͤhmen die Ausgaben um 1013 Millionen überstiegen. Dies habe die Deckung der außerordentlichen Auegaben, die Bildung eines freien Barbestandes und die Tilgung von 205 Millionen Staatsschulden ermöglicht. Die Anleiheoperatsonen hätten dem freien Barbestande nur etwas mehr als 50 Millionen zugeführt. Die ordent, lichen Einnahmen seien in vier Jahren um 20 % gewachsen. Es sei behauptet worden, das Branntweinmenopol bilde die Grundlage des Staatsbudgets, jedoch habe das Monopol nur 7,8 % der Einnahmen gebracht. Die Steuerlast, die für 1912 zehn Rubel 84 gopeken auf den Kopf ausmache, sei seit 1908 nur um 38 Kopeken
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gaben der vier letzten Jahre gestiegen wären, entfielen 121 auf die Landesverteidigung. Die Ausgaben zu Kulturzwecken seien um 167 Millionen gestiegen. Davon entfielen 77 auf die Volksaufkla. rung, 47 auf die Agrarorganisation und die Landwirtschaft. Wenn Anleihen unnötig seien, das Staat budget wachse und die Bedürfnise freigebig befriedigt würden, so finde dies seine Erklärung in der Finanz⸗ lage, dem Finanzsystem und den Verhältnissen Rußlands. Die Ein⸗ nahmen wuͤchsen alljährlich um etwa 40 %. Selbst unverbesserliche Pessimisten könnten einen Erfolg in der Umgestaltung des Witt, schaftslebens nicht in Abrede stellen. Nach 10 Jahren dürfte das nussische Budget vier Milliarden erreichen. Eine Erschütterung des Gleichgewichts sei nicht zu befürchten. Der Import und der Export ergäben ein Saldo von 407 Millionen zugunsten Ruß⸗ lands. Nachdem der Ministerpräsident sodann darauf hingewiesen hatte, daß diese Tatsachen einen günstigen Ausblick in die Zukunft er.
öffnen, erklärte er, daß in den vier letzten Jahren der Goldvorrat um
576 Millionen, der freie Barbestand von 256 Millionen auf 969 Millionen gestiegen sei. Der Goldvorrat im Auslande betrage 413 Millionen. Auch die russischen Fonds hätten sich gebessert. Der Ministerpräsident gab sodann einen Ueberblick über die Tätigkeit der dritten Reichsdumg und schloß, die Duma könne auf den zurückgelegten Weg ruhig zurückschauen und sagen: Feci, quod potui; faci meliora potentes. v“ Türkei.
Wie „W. T. B.“ meldet, hat die Pf chten er⸗ halten, nach denen sich zwei italienische Kriegsschiffe im Archipel befinden sollen. Man glaubt jetzt, daß ein Vorgehen der Italiener gegen eine der Inseln unmittelbar bevorsteht. Die Minister des Krieges, der Marine und des Innern hielten gestern unter dem Vorsitz des Ministers des Aeußern Be⸗ ratungen ab; der Kriegsminister hatte auch eine Besprechung mit dem Großwesir.
Der Aleppo, Beirut und die Gouverneure von Jerusalem und dem Libanon angewiesen, die Italiener, die heute nach Ablauf der bei der Ausweisung gestellten Frist von 15 Tagen sich noch am Ort befinden, mit Gewalt aus dem Lande zu schaffen.
— In einer sehr bewegten Sitzung hat gestern, einer Meldung der „Neuen Freien Presse“ zufolge, die Revo⸗ lutionäre Versammlung in Kaneg die Entsendung von zwei Abgeordneten nach Griechenland, die Aufrechterhaltung der öfsentlichen Ordnung und die Bildung eines Ausschusses zur Wahl einer vorläufigen Regierung beschlossen. Im Auftrage des Präsidenten der Versammlung bewacht Gendarmerie die Ministerien. Die Konsuln traten sofort zu einer Beratung zu⸗ sammen. Die Anhänger von Venizelos erheben gegen die revolutionären Beschlüsse Einspruch. Trotz dieser Ereignise herrscht vollkommene Ordnung.
Norwegen.
In der gestrigen Sitzung des Storthings brachte, wie „W. T. B.“ meldet, der Abgeordnete Vik einen Antrag ein, 6000 Kronen jährlich für ein Amundsen zu übertragendes außerordentliches Professorat an der Universität zu be⸗ willigen. Der Antrag wurde dem Budgetausschuß überwiesen. Der Ministerpräsident Bratlie teilte mit, daß die Regierung beabsichtige, in den nächsten Tagen einen Antrag auf Be⸗ willigung eines Betrages für die Expedition Amundsens ein⸗ zubringen, damit Amundsen in den Stand gesetzt werde, das Ziel zu erreichen, das er sich von Anfang an gesetzt habe, nämlich zum Nordpol vorzudringen.
Amerika.
Das amerikanische Repräsentantenhaus hat in seiner gestrigen Sitzung laut Meldung des „W. T. B.“ be⸗ schlossen, das Justizdepartement aufzufordern, sich darüber zu äußern, ob es zurzeit eine Untersuchung der Verhältnisse des Smelter Trusis durchführe, ob die American Smelting and Refining Company damit in Verbindung stehe und ob gerichtliche Verfolgung gegen sie beabsichtigt sei.
— Nach amtlicher Feststellung sind, obiger Quelle zufolge, in Chile zur Deputiertenkammer 28 Konserrative, 27 liberale Demokraten, 23 Radikale, 21 Liberale, 14 Nationale und 5 Demokraten gewählt worden. 8
Asien.
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Peking ist Tangschaoyi zum Premierminister ernannt worden.
Afrika. Wie „W. T. B.“ aus Casablanca meldet, ist die Kolonne Brulard am 9. d. M. 20 km südlich von Manziz von aufrührerischen Zemmurs angegriffen worden, die den Marsch der Kolonne von 10 Uhr Morgens bis Nachmittags um 5 Uhr durch verschiedene Angriffe aufzuhalten versuchten. Der Feind wandte sich schließlich mit erheblichen Verlusten zur Flucht. Auf französischer Seite wurden zwei Mann getötet und 19 verwundet, unter ihnen drei Offiziere.
— Der „Agence Havas“ wird gemeldet, daß eine spanische Abteilung in das Gebiet der Ahlshirif östlich von Elksar eingezogen sei, und daß dieser Stamm die anderen Stämme der Umgegend zusammenberufen habe, um über ihr Verhalten gegen die Spanier zu beraten.
— Nach Meldungen der „Agenzia Stefani“ aus Tobruk rückten vorgestern früh zwei Bataillone Infanterie und eine Batterie Gebirgsgeschütze aus den italienischen Verschanzungen vor, um eine Kompagnie Pioniere, die mit der Herstellung eine neuen Forts beschäftigt war, zu beschützen. Gegen 10 Uhr be⸗ merkten sie eine Karawane, der sie mit einigen Kanonenschüssen schwere Verluste beibrachten. Gegen Mittag näherten sich größere Massen von Türken und Arabern bis auf
km der Stelle, wo die Italiener neue Befestigungs⸗ anlagen begonnen hatten. Die Italiener eröffneten ein heftiges Geschützfeuer und sogleich entstand ein erbitterter Kampf, in dem die Infanterie mit zwei erfolgreichen Bajonett⸗ angriffen den Angriff des Feindes aufhielt, der den italienischen rechten Flügel einzuschließen versuchte. Der Kampf dauerte e. Nachmittags 4 Uhr. Nach großen Verlusten begann der Fein sich zurückzuziehen, verfolgt von dem Feuer der Italiener. Eine Stunde später war er vollständig verschwunden. Die Italiener hatten 13 Tote, darunter einen Offizier, und 73 Verwundete, darunter 3 Offiziere.
Die gestern mitgeteilten Meldungen des Kommandanten der türkischen Truppen vor Benghasi werden von der „Agenzia Stefani“ als unwahr bezeichnet.
Pearlamentarische Nachrichten.
Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs, tags und der Bericht über die gestrige Sitzung des Herre
auses befinden sich in der Ersten Beila 8 ““ “
Minister des Innern hat die Wilajets Syrien,
Der Reichstag wandte sich in der heutigen (25 Sitzung, welcher der Staatssekretär des Innern 8 Pr e. beiwohnte, nachdem er auf Grund schleuniger Anträge ohne Debatte die Einstellung schwebender Privatklage⸗ bezw. Strafverfahren gegen die Abgg. Nowicki, Baudert und Dr. Struve beschlossen hatte, zur Interpellation des F. betreffend den Streik im rheinisch⸗westfälischen
hgen rnier.
Auf die Frage des Präsidenten erklärte der Staats⸗ sekretär Dr. Delbrück sich bereit, die Interpellation morgen zu beantworten. Damit ist der Gegenstand für heute erledigt.
Hierauf wandte sich das Haus der ersten Beratung des Nachtrags zum Reichshaushaltsetat für 1911 zu, durch den für die erste Einrichtung des Direktoriums der Reichsversiche⸗ rungsanstalt für Angestellte (1 Präsident, 2 Direktoriums⸗ ö“ für den Monat März 1912 3488 ℳ gefordert werden.
Als erster Redner ergriff der Abg. Molkenbu r (Soz.) -H dessen Ausführungen morgen münchan deene werden.
(Schluß des Blattes.)
„ — Das Haus der Abgeordneten nahm in der heutigen (35.) Sitzung, welcher der Justizminister Dr. Bes 18 ber wohnte, zunächst in erster und zweiter Beratung die Gesetz⸗ ntwürfe, betreffend die Aenderung der Amtsgerichts⸗ bezirke Dirschau und Preußisch Stargard, Mewe nd Neuenburg, Dorum und Geestemünde, Deutsch Krone und Jastrow sowie der Landgerichtsbezirke Duisburg und Kleve, ohne Debatte an.
Bei der dann folgenden ersten Beratung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Aenderung der Amtsgerichts⸗ bezirke Barten und Rastenburg, erhebt
Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.) gegen die Vorlage Bedenken im Interesse des Amtsgerichts Rastenburg. Von diesem sollten mehrere Ortschaften mit 784 Seelen fortgenommen und dem Amts⸗ gericht Barten zugeschlagen werden, weil angeblich das Amtsgericht Rastenburg überlastet sei. Es müsse aber eprüft werden, ob die Aenderung nicht besser dadurch vorzunehmen sei daß das nicht voll beschäftigte Amtsgericht Barten ganz aufgehoben und dessen Bezirk dem Amtsgericht Rastenburg zugeschlagen werde. Er, der Redner, beantrage deshalb die Ueberweisung der Vorlage an die Justiz⸗ kommission.
„Ein Regierungskommissar empfiehlt, demgegenüber die un⸗ veränderte Annahme der Vorlage.
Die Abgg. Krause⸗Waldenburg (freikons.) und Böhmer (kons.) erklären für ihre Partei die Zustimmung zur Vorlage.
„Der Antrag Gyßling wird gegen die Stimmen der Freisinnigen, der Polen und eines Teils der Nationalliberalen abgelehnt und die Vorlage auch sofort in zweiter Lesung an⸗ genommen.
Darauf wird die zweite Beratung des Staatshaushalts⸗ etaas für das Rechnungsjahr 1912 bei dem Etat des Herrenhauses fortgesetzt.
Abg. Hoffmann (Soz.): Im vorigen Jahre ist schon darauf hingewiesen worden, wie ungeheuer der Etat des Herrenhauses durch die Kosten des sienographischen Berichts belastet 82 Nun sind ja 5000 ℳ abgestrichen worden, es könnte aber noch viel mehr espart werden, ohne daß die Stenographen darunter zu leiden hätten. Die Fama hat von einem angedrohten Streik der Stenographen des
errenhauses erzählt. Es wäre ja entsetzlich, wenn wir nicht er⸗ ühren, was die Herren drüben reden. Ich glaube, es ginge sehr gut, ür beide Häuser des Landtags ein gemeinsames Stenographenbureau einzurichten. Für die Schreibdamen ist eine Pauschalsumme von 300 ℳ ausgeworsen, und zwar, wie es heißt, durch Vermittlung eines Bureaus. Man sollte der Frage näher treten, ob diese Damen nicht direkt engagiert werden können, ohne daß der Unternehn er den Löwen⸗ anteil einsteckt. Seit der vorigen Session sind uns aus dem Herren⸗ hause Dinge bekannt geworden, die, wenn sie wahr wären, einfach skandalös wären. Wir hoffen in dieser Beziehung auf Abhilfe von dem neuen Herrenhauspräsidenten; der verflossene Herrenhaus⸗ präsident hatte zu viel mit Sozialistentöterei zu tun, als daß er sich viel um die Geschäfte des Herrenhauses hätte bekümmern können. Die beiden Rechnungsräte des Herrenhauses sollen ihre tägliche Dienstzeit von sechs Stunden dazu ausnutzen, die Arbeiten für das Staatshand⸗ buch fertigzustellen und die Arbeiten für den Johanniterorden zu er⸗ ledigen. Der Kalkulator benutzte den größten Teil seiner Dienst⸗ stunden dazu, für die Güterverwaltung des Herrn von Manteuffel schriftliche Arbeiten auf Kosten der Steuerzahler zu leisten. Der Hauesinspektor, der Hauswart, der Buchbinder und 6 Boten werden in jedem Jahre 100 Tage beurlaubt, um auf der Rennbahn des Unionklubs tätig sein zu können. Der Direktor des Herrenhauses hat durch Bearbeitung des Staatshandbuchs mehrere tausend Mark Neben⸗ verdienst. Die Handbücher werden nach allen Gegenden Deutsch⸗ lands verschickt und auf Kosten des Etats ungezählte Zentner Pack⸗ papier geschlagen; dagegen müssen wir protestieren. Der Fahrstuhl des Herrenhauses sollte ursprünglich zur Beförderung der Speisen bis zum 2. Stock nach den Festsälen durchgeführt werden, jetzt ist er bis zum Boden durchgeführt, damit der Hausinspektor für seine Hühner, Tauben und Kaninchen auf dem Dach Futter hinaufschaffen kann. Der Fahrstuhl ist also nicht nur für die Atzung der Herrenhausmitglieder, sondern auch für Karnickel und Tauben errichtet. Von angestellten Hausarbeitern werden eine größere Anzahl Fuhren Erde auf das Dach befördert, wo der Hausinsp ktor einen umfangreichen Gemüsegarten besitzt. Es ist gewiß erfreulich, daß neben der Viehzucht auch dafür gesorgt ist, daß Kohl im Herrenhaus gebaut wird. Es wäre kein un⸗ berechtigtes Verlangen, daß auch wir den Herrenhausgarten benutzten. Auf dem Dache des Herrenhauses ist ein Hühnerstall und Kaninchen⸗ behälter gebaut worden. Das ist vom etatrechtlichen 1 aus unzulässig und vom Sicherheitsstandpunkt aus gefährlich. Selbst wenn wir einmal dem Herrenhause auf das Dach stiegen, müssen wir doch dagegen protestieren, daß das Oberstübchen des Herrenhausetz so be⸗ denklich überlastet wird. Ferner soll der Botenmeister und Hausinspektor, nicht der Direktor, die Anstellung und Entlassung des gesamten Personals besorgen. Das ist auch unzulässig; es wird über ungeheure Willkür sennast Diener, die mehr als 4 Wochen krank sind, werden ent⸗
assen, ohne daß sie einer Krankenkasse angehören; das ist auch einmal wieder ein Beweis Ihrer sozialen Fürsorge. Für eine gründ⸗ liche Reinmachung des Herrenhauses würden wir gern die not⸗ wendigen Mittel bewilligen; wir würden uns sogar persönlich an einer solchen Kulturarbeit beteiligen. Man könnte sogar eine sehr gründliche Ausleerung des Herrenhauses vornehmen. Jedenfalls haben diese kleinen Proben gezeigt, daß das Herrenhaus selbst für Ordnung und Sauberkeit im eigenen Hause zu sorgen und sich nicht um unsere Angelegenheiten zu kümmern hätte. (Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Ich bitte Sie, eine Kritik des Herrenhauses zu unter⸗ lassen.) Wir wollen alles aufbieten, damit jenes Haus drüben, jenes Mausoleum, in dem die Herren beigesetzt werden, gründlich ausgelüftet und von der Grabetluft und dem Leichengeruch jene Kammer galvanisierter Leichen befreit wird. (Präsident: Ich Sie wegen der letzten Aeußerung zur Ordnung.) 8
Der Etat des Herrenhauses wird genehmigt. (Schluß des Blattes.)
Koloniales. Expedition nach dem Bezirk Finschhafen 8. (Deutsch Neuguinea).
Bezirksamtmann Berghausen hat im September und Oktober des verflossenen Jahres mit dem „Komet“ sich nach Finschhafen be⸗ geben und fand dort die ein halbes Jahr vorher eingeführte Organi⸗ sation als noch fest gefügt bestehen. Die Eingeborenen hatten über 16 000 Palmen innerhalb von acht Monaten wirtschaftsgemäß an⸗
epflanzt, und man traf auf Kokospflanzungen in zusammenhängenden lächen bis zu 20 ha.
Das Vorkommen von Gold in dem Heerhancha und seinen Nebenflüssen hat bekanntlich in den letzten Jahren verschiedene Gold⸗ sucher in die Gegend geführt. Sie wurden in ihrer Tätigkeit durch die unsicheren politischen Verhältnisse recht behindert; andererseits ist jedoch festgestellt worden, daß einzelne der dort sitzenden Stämme seit langem von der Kopfjägerei abgelassen haben. An der Sicherung des Landfriedens hat die Neudettelsauer Mission besonderen Anteil. Durch ihre Kenntnis der Eingeborenensprache hat sie mit den einzelnen Stämmen Fühlung gewinnen und auf sie einwirken können.
Die genannte Expedition hatte keinen Zusammenstoß mit den Eingeborenen, obwohl sie einige Farbige als Geiseln mitnahm; sie sollen in Jahresfrist nach Erlernung der Sprache, und nachdem sie die Niederlassungen der Weißen kennen gelernt haben, in ihre Dörfer zurückgesandt werden. Die Ermordung Dammköhlers konnte nicht geahndet werden, da das Mordlager noch mindestens 14 Tagemärsche weiter landeinwärts liegt. 8 In Heft 2 vom Jahrgang 1912 der „Kolonialen Rund⸗ schau“ (Herausgeber: Ernst Vohsen, Schriftleiter: Professor D. Westermann, Verlag von Dietrich Reimer, Berlin) behandelt der einleitende Aufsatz die Zustände im belgischen Congogebiet, wo nach wie vor die Ausübung eines freien Handels infolge der hohen Staats⸗ abgaben fast unmöglich sei. Die Belastung des Handels habe gegen früher nicht abe, sondern zugenommen. Noch heute sei der belgische Staat der Haupthandeltreibende im belgischen Congogebiet. Es wird deshalb die Einberufung einer zweiten Congokonferenz befürwortet, die schon Geheimer Rat Dr. Hans Meyer auf Grund der auf seiner letzten ostafrikanischen Reise gemachten Erfahrungen angeregt hat. Das gleiche Heft enthält ferner eigen Aufsatz von Staatssekretär a. D. Dr. Dernburg über „östliche Wirtschaftsfragen“, in dem die wirtschaftliche und koloniale Tätigkeit Japans und ihre Bedeutung für Handel und Industrie Deutschlands beleuchtet werden. Professor Dr. Martin Hartmann behandelt in einer längeren Studie „die Mission und die Kulturvölker Vorderasiens“.
Statistik und Volkswirtschaft.
Zur Arbeiterbewegung. 1“
Zum Bergarbeiterausstand im Ruhrrevier (vgl. Nr. 64
d. Bl.) wird dem „W. T. B.“ h met. daß das Belegschafts⸗ soll der gestrigen Früh⸗ und Nachmittagsschichten 306 819 Mann betrug, angefahren sind 131 221 Mann, sodaß 57,2 3 % gefehlt haben. Diese Zahlen geben jedoch kein genaues Bild, da die Nacht⸗ schicht nicht berücksichtigt ist. Im ganzen werden etwa 200 000 Berg⸗ leute im Ausstand stehen. — Der Arbeiter⸗Dreibund berief auf Donnerstagvormittag eine große Streikversammlung nach dem Schützenhof in Bochum ein. — Die Lage im Ausstands⸗ gebiet hat sich insofern wesentlich geändert, als es vielfach bei der Einfahrt der vorgestrigen Mittags⸗ und der gestrigen Frühschicht zu Unruhen gekommen ist, wobei die Schutz⸗ mannschaften vperschiedentlich vom Säbel Gebrauch machten. Die Arbeitswilligen werden vielfach verhöhnt, auch tätlich angegriffen, worüber eine ganze Reihe von Meldungen vor⸗ liegt. Während stellenweise infolge dieser Vorgänge die Zahl der Ausständigen vorgestern erheblich wuchs, zeigte sich bei der Frühschicht keine wesentliche Zermehrung der Streikenden gegenüber vorgestern. Auf einzelnen Zechen ist die Frühschicht vollständig angefahren, auf anderen die Zahl der Arbeitenden sogar gestiegen, wobei es sich um Zechen handelt, die abseits vom Unruhegebiet liegen. Angesichts der hä⸗ ufigen Gewalttaten wird in einer größeren Zahl der den Arbeikern nahestehenden Zeitungen militärischer Schutz gefordert. Die echenverwaltungen sind teilweise dazu übergegangen, die Früh⸗ und ittagsschicht zusammenzulegen. — Nach Zeitungsmeldungen sind die Vertreter der nationalen Bergarbeitervereine in Essen zu⸗ sammengetreten, um über die durch den Ausstand geschaffene Lage zu beraten. Es wurde anerkannt, daß die Behörde große Vorkehrungen zum Schutze der Arbeitswilligen getroffen hat, doch wurde betont, daß der Schutz nicht in der richtigen Form aus⸗ geübt werde. Es sei notwendig, daß die Eingänge zu den Zechen von größeren Menschenansammlungen frei⸗ gehalten würden, damit die Arbeitswilligen leichter zu ihren Arbeits⸗ stätten gelangen könnten. Die Versammlung beauftragte sechs Mit⸗ glieder, bei dem Essener Polizeipräsidenten die Wünsche der Berg⸗ arbeitervereine vorzutragen. Es wird mitgeteilt, daß auf der Zeche „Neumühl“, „Deutscher Kaiser“ und „Westende“ gestern bei der g Fece große Massenansammlungen stattfanden. Ein Vertrauensmann des Christlichen Gewerkvereins aus Lierich namens Friege, der auf der Zeche „Neumühl“ beschäftigt ist und zur Arbeit gehen wollte, wurde von der Menge hochgehoben und umhergetragen, wobei man rief: „Hoch der Streikbrecher’. Auf der Zeche „Vondern“ wurden in der Nacht zum Dienstag acht bis zehn Arbeitern, die eingefahren waren, die Kleider und Stiefel zerschnitten. Die christ⸗ lichen Gewerkschaften haben sich unter diesen Umständen an die Behörden um besseren Schutz der Arbeitswilligen gewandt. In der Kolonie Dellwig der „Gute Hoffnungs⸗Hütte“ wurden Arbeitswillige von Frauen der Streikenden mit Steinen beworfen. Auf der Zeche „Brassert“ in Marl wurde ein Arbeitswilliger in der Kantine von Streikenden überfallen und so zugerichtet, daß er dem Krankenhause zugeführt werden mußte. Ein anderer Arbeitswilliger wurdein seiner “ von den Mitbewohnern überfallen und gleichfalls so mißhandelt, daß er in das Krankenhaus gebracht werden mußte. — Zu schweren Ausschreitungen kam es gestern abend in Obermarxloh. Als eine Anzahl Arbeitswilliger von einem shlbe ufoe hot nach den Wohnungen begleitet wurde, entwickelte ein Kampf zwischen Streikenden und Polizei⸗ mannschaften. Auch heute wurde die Polizei mit Steinen beworfen, und aus den Fenstern der Häuser wurden etwa 200 Schüsse auf sie abgegeben. Die Ladenbesitzer sahen sich ge⸗ zwungen, ihre Läden zu verbarrikadieren. Der Mob zertrüm merte die Straßenlaternen. Eine Laterne wurde umgeworfen und das ausströmende Gas angezündet. Erst nach mehreren Zusammen⸗ stößen gelang es der Polizei, die Ruhe wieder herzustellen. Viele Polizeibeamte, unter shnen zwei Kommissare, wurden durch Steinwürfe erheblich verletzt. Unter den Verletzten be⸗ findet sich auch ein zehnjähriger Knabe. Im Laufe des Nach⸗ mittags weilte der Regierungspräsident Dr. Kruse aus Düssel⸗ dorf auf dem Schauplatze der gestrigen Krawalle. — In einer außerordentlichen dringenden Stadtverordnetenver⸗ sammlung in Hamborn wurde beschlo en, zu gestatten, daß für die Dauer des Ausstands die Gewerkschaft „Deurscher Kaiser“ eine Schutzwehr von 52 Mann und die Zeche „Neumühl“ eine solche von 22 Mann einrichtet, die aus Beamten der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser“ gebildet wird. Die Schutzwehren haben Polizeirechte und werden mit Pistolen und Poltzeiknütteln ausge⸗ statt t. Ihre Aufgabe ist es, die Zechenanlagen und Arbeitswillige zu schützen, doch sollen sie nur mit Polizeibeamten auftreten. Im Laufe des Nachmittags wurden wiederum zahlreiche Verhaftungen vor⸗ genommen. Von einer Heranziehung der Düsseldorfer Ulanen ist vorläufig Abstand genommen worden. Die Ham⸗ borner Polizei ist durch ein zweites Gendarmerieaufgebot und durch Polizeibeamte aus den größeren Städten des Rhein⸗
landes verstärkt worden. Heute vormittag war alles ruhig.
— Aus Herne wird gemeldet: Als heute früh ein Schutzmannsaufgebot unter Leitung eines. Kommissars nach beendeter Einfahrt auf Zeche „Shamrock“ nach Zeche „Julia“ marschierte, wurde es auf der Rottbruchstraße von einer Menge Streikender mit Steinen beworfen und beschossen. Die Schutzleute erwiderten das Feuer; ein Streikender wurde durch einen Schuß in den Kopf getötet. — Vor den Zechen, die im Stadtgebiet Dortmund liegen, kam es ebenfalls beim Schicht⸗ wechsel zu Ausschreitungen.
Aus St. Avold wird dem „W. T. B.“ gemeldet: Auf der Grube „Merlenbach der Saar⸗ und Mosel⸗Bergwerks⸗ gesellschaft ist plötzlich der Ausstand ausgebrochen. Gestern mittag sind von den rund 700 Mann der Belegschaft der Grube 50 angefahren. Die Streikenden, die ohne Kündigung die Arbeit nieder⸗ gelegt haben, stellen die gleichen “ wie die Arbeiter des Ruhrbezirks. In den sonstigen Gruben des Bezirks ist alles angefahren.
Der Arbeitgeberverband für das Schneidergewerbe, Ortsgruppe Cöln, beschloß, wie die „Rhein. Westf. Ztg.“ erfährt, die am Sonnabend ausgesperrten unorganisierten Schneider⸗ gehilfen zum Teil wieder in Arbeit zu nehmen. Der Beschluß des Hauptverbands, auch die Gehilfen der Damen⸗ schneidereien auszusperren, wurde dort nicht durchgeführt.
Aus Prag wird dem „W. T. B.“ gemeldet, daß nunmehr auch die deutsch⸗nationalen Bergarbeiter, deren Vertretung im Reichsrate eine Interpellation wegen der Ausstandsgefahr im Nordwestrevier mit dem Verlangen nach einer Lohnerhöhung ein⸗ gebracht hat, eine Versammlung zur Beratung der Streikfrage auf den nächsten Sonntag einberufen hat. Ebenso verfuhren die arbeiter des Nürschauer Kohlenbeckens.
Zum Ausstand der englischen Bergarbeiter (vgl. Nr. 64 d. Bl.) wird dem „W. T. B.“ aus London gemeldet, daß die Be⸗ ratung der Vertreter der Grubenbesitzer und der Bergarbeiter, die gestern unter dem Vorsitz des Premierministers Asgquith im Auswärtigen Amte stattfand, nach dreieinhalbstündiger Dauer auf heute vertagt worden ist. Eine Mitteilung über den Verlauf der Verhandlungen ist nicht erfolgt.
Nach der Beendigung des vierundzwanzigstündigen Ausstands ist gestern, wie „W. T. B.“ erfährt, die Arbeit in den französischen Bergwerken überall wieder aufgenommen worden.
Infolge der Bergarbeiterausstände in Deutschland und Eng⸗ land hat auch, wie dem „W. T. B.“ aus Brüssel berichtet wird, unter den belgischen Grubenarbeitern eine Gärung begonnen, weshalb der Nationalausschuß des Bundes der Berg⸗ leute gestern zusammengetreten ist und beschlossen hat, die Fragen einer Mindestlöhnung, einer Lohnerhöhung um 15 % und der Anerkennung des Bundes den vier Revierversammlungen für Sonntag zur getrennten Beschlußfassung vorzulegen. Eine allgemeine Ver⸗ sammlung soll am 24. März in Brüssel zusammentreten, um end⸗ gültig über die zu treffenden Maßnahmen Beschluß zu fassen.
Unter den Dockarbeitern Gents brach, der „Köln. Ztg.“ zu⸗ folge, am 11. d. M. ein Ausstand aus. Die Feiernden verlangen eine Lohnerhöhung von 1 Fr. für den Tag. 1
istische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)
Wohlfahrtspflege.
Zur Errichtung eines Feuerwehr⸗Erholungsheims erläßt ein Ausschuß einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „A unseren Tagen ist der Beruf des Feuerwehrmannes trotz aller Fort⸗ schritte der gefahrvollsten einer, und die „Ehrentafeln“ füllen sich mit den Namen mutiger Opfer. Aber noch weit größer i die Zahl derer, die bei dem Rettungswerke wenn nicht ihr Leben, s doch ihre Gesundheit einbüßen! Da helfend und lindernd einzugreifen ist eine schöne und edle Pflicht. Gar mancher, der ohne sorgsam Pflege, ohne die Möglichkeit einer Erholung in gesunder Luft dahin⸗ siecht, könnte den Seinen, könnte seinem Berufe erhalten bleiben, wäre eine Stätte vorhanden, die ihm Genesung verschafft. Und wie man seit langem schon für andere Berufe Erholungsstätten geschaffen ha in denen der Kranke, befreit von allen Sorgen, in freier Natu gesundet, so sollte auch den Heim nicht fehlen, ihrem schweren Berufe. Zu diesem Zwecke hat sich eine Anzah Männer und Frauen aus allen Ständen zusammengefunden, um di gesetzlich gebundene Fürsorge durch die Gründung eines Feuerwehr erholungsheims zu ergänzen. Zwei Gönner haben bereits ein in wald reicher Gegend schön gelegenes, zwölf Morgen großes Gelände geschenkt Es gilt nun die Mittel für den Bau und für die Erhaltung des Heim zusammenzubringen. Oft haben unsere Mitbürger bewiesen, daß si gegenüber den wirklichen Bedürfnissen unserer Zeit ein offenes Her und eine offene Hand haben; um so mehr dürfen wir auf ein allgemeines Entgegenkommen rechnen, wo es sich um die Fürsorge für eine der volkstümlichsten und segensreichsten Einrichtungen unseres Vaterlandes handelt. Wir haben somit die gute Zuversicht, daß für unsere braven Feuerwehrleute jeder sein Scherflein mit Freuden geben werde; auch die kleinste Zuwendung ist uns willkommen. Beiträge nimmt das Bankhaus Jacquier u. Securius, Berlin C 2, An der Stechbahn 3/4 (Postscheckkonto Berlin Nr. 2224), entgegen.
(Weitere .
iesjährige Generalversammlung der deutschen Shakespeare⸗Gesellschaft findet am 23. April im großen Armbrustsaale zu Weimar statt. Auf der Tagesordnung stehen die Erstattung des Jahresberichts durch den Präsidenten Professor Dr. Aloys Brandl, ein Festvortrag des Professors Dr. Georg Sarrazin von der Universität Breslau über „Shakespeare und den N.asenee und ein Vortrag des Dr. Paul Wislicenus über die „Darmstädter Totenmaske des Dichters“. Am 23. April wird auf dem Hoftheater der „Hamlet“ mit neuer Ausstattung auf einer stilisierten Bühne gespielt werden.
Die Geographische Gesellschaft in Christiania hat die angekündigte Aufforderung an das norwegische Volk erlassen, Beiträge für Amundsens Nordpolexpedition zu zeichnen.
Das Schiff „Aurora“⸗ der antarktischen Erpedition Mawsons ist, „W. T. B.“ zufolge, in Hobart angekommen, nachdem es die Expedition in der Antarktis gelandet hat. Die Ex⸗ pedition fand keine Spur der Küste von Clarieland; sie hatte den Eindruck, daß das sogenannte Clarieland eine Eisschanze gewesen ist, die seit der Entdeckung durch Dumont d'Urville im Jahre 1838 auf⸗ gebrochen ist. Die „Aurora“ wird im Frühjahr nach der Antarktis zurückkehren.
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln. 3
Oesterreich. Die K. K. Seebehörde in Triest hat unterm 4. d. M. verfgea
daß, nachdem das Auftreten der Pest in Durban (Natal) amtli ö ist, die Herkünfte von dort nach den Bestimmungen des eebehördlichen Rundschreibens vom 12. August 1904 zu behandeln sind. (Vgl. „Reichsanzeiger“ vom 1. Dezember 1904, Nr. 283.)
Türkei. Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat die für die Herkünfte von Mersina und von YPemen angeordnete ärztliche Untersuchung wieder aufgehoben.
Indien. Nach einer Mitteilung der Regierung in Kalkutta vom 17. Fe⸗ bruar d. J. sind in den Häfen von Orissa gegen die von Hongkong und Bushire eeee Schiffe, wegen
der daselbst herrschenden Pest arantänemaßregeln an⸗ geordnet woreen. Z g