1912 / 98 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Apr 1912 18:00:01 GMT) scan diff

treten besonders stark hervor, wenn unter dem Zwange der Verh&lt⸗ nisse die Steuerschraube mit einem kräftigen Ruck hat angezogen werden müssen, wie das im Laufe der letzten sechs Jahre zweimal geschehen ist.

Unter solchen Umständen erweist sich die tunlichste Schonung des Steuerzahlers als Staatsnotwendigkeit, und es wird meines Er⸗ achtens auf lange Zeit hinaus insbesondere davon abzusehen sein, Gegenstände mit einer Steuer zu belasten, die dem Mas sen⸗ verbrauch oder t ⸗verkehr dienen. Sollen solche Gegenstände trotzdem für die Gewinnung neuer Einnahmen in Betracht gezogen werden, so muß man versuchen, neue Bahnen dabei zu wandeln. In der letzten Zeit ist mehrfach auf die Monopole hingewiesen worden, und rein theoretisch betrachtet spricht ja manches dafür. Wie vor ungefähr einem Menschenalter einzelne Bundesstaaten sich aus volkswirtschaftlichen Gründen in den Besitz der Eisenbahnen gesetzt und hierin allmählich die wesentliche Quelle ihrer Finanzen gefunden

der Betriebsauflage wohl geeignet erscheint, auf einen gedeihlichen Fortbestand der einzelnen Betriebe hinzuwirken.

Wenn nun einerseits auf der linken Seite des Hauses das Kontingent als eine Vergünstigung bezeichnet wird, deren Bes iti⸗ gung man schon seit langen Jahren fordert, so wird man anderseits auch auf der Rechten einsehen lernen, daß diese Einrichtung nach der Gesetzgebung von 1909 nicht mehr von der gleichen Tragweite ist wie früher, und man wird sich zu einem Opfer um so lieber entschließen, als man dadurch ein Moment des Anstoßes und Aergernisses aus der Welt schaffen, den politischen Frieden fördern kann. Den ver⸗ schiedenen wirtschaftlichen Verhältnissen in Nord und Süd und den Reservatrechten der süddeutschen Staaten läßt sich dabei Rechnung tragen, ohne daß der Kern der Maßnahme gefährdet wird. Im übrigen wird die Branntweinsteuergesetzgebung, wie sie seit einem Vierteljahrhundert inauguriert ist, aufrecht zu erhalten sein. Sie sollte einen notwendigen Schutz für die Landwirtschaft bilden und sie

finden. Es handelt sich hier um dieselbe Organisation, die wir bei den Torpedobooten bereits erprobt haben und die sich dort be⸗ währt hat.

Es hat sich außerdem noch wünschenswert gezeigt, einige Luft⸗ schiffe zu besitzen. Was die Luftschiffe auf See und unter See⸗ verhältnissen leisten werden, das müssen erst die Erprobungen und

Bersuche zeigen. Neben der Beschaffung von Luftschiffen läuft die Beschaffung von Marineflugzeugen und die entsprechende Ausbildung von Offizieren weiter wie bisher.

Meine Herren, ich komme zum Schluß nochmals auf das zurück, was ich im Anfang gesagt habe. Die Marinevorlage ist in erster

Reihe durch militärische, nicht durch politische Gesichtepunkte diktiert, sie bezweckt lediglich die Abhilfe zweier Mißstände, die sich in unserer maritimen Rüstung von Jahr zu Jahr stärker gezeigt haben.

Berlin, Dienstag, den 23. April

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verloren, die sich in ihren Sparsamkeitsbestrebungen nicht in jeder Beziehung auf die Volksvertretung stützen kann.

In diesem Zusammenhange ist noch ein Blick auf die An⸗ leihen zu werfen. Der Etat von 1911 weist an außerordentlichen Ausgaben noch 217 Millionen Mark auf, von denen nur 34 Millionen zu werbenden Zwecken dienen; er ist also, streng genommen, mit 183 Millionen zu stark belastet. Der Ihnen vorliegende Etats⸗ entwurf für 1912 mit Ausgaben im Extraordinarium von 134 Millionen Mark, darunter nur 31 Millionen zu werbenden Zwecken, ist mit

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Anners steht es ja mit den folgenden Jahren. In diesen Jahren erden wir auf ähnliche Resultate nur hoffen können, wenn einerseits die wirtschaftlichen Verhältnisse annähernd dieselben bleiben wie bisher und wenn keine neuen Ausgaben an uns herantreten. Es ist das ein Vorbehalt, der bei der ganzen Rechnung gemacht werden muß und auf den ich später noch zurückkomme. Ist aber die Voraussetzung richtig, dann sind wir in der glück⸗

bestehenden System keinen Mann und keinen Groschen zu bewilligen. Die Miliz kann allerdings nicht von heute auf 1 durchgefübrt werden. Wir verlangen im bestehenden System die Herabsetzung der Dienstzeit auch für die Kavallerie, die ebenso durchführbar ist, wie sie für die Infanterie durchführbar war. Das Vorr t der Einjährig⸗g reiwilligen muß beseitigt werden. Die Intelligenz dieser in ihrer militärischen Fähigkeit hat von Natur aus und infolge ihrer Vorbildung die Fähigkeit der gemeinen Soldaten nicht überragt. Der Imperialismus zur See muß zu immer weiteren Reibungen führen. Der italienisch⸗türkische Krieg ist in dieser Beziehung ein Musterbeispiel.

Die Kosten für die Vorlagen sind, verglichen mit früheren

Marinevorlagen, gering, der militärische Effekt aber, welcher in der . findet, ist ein

größeren Bereitschaft unserer Flotte seinen Ausdruck sehr großer.

Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß der patriotische Sinn dieses hohen Hauses der Marinevorlage der verbündeten Regierungen die Zustimmung nicht versagen wird. (Bravo! rechts.) 8

Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn:

Meine Herren! Die Erörterungen, denen wir uns jetzt zuzu⸗ wenden haben, sind bescheidenerer Art als die vorhergehenden, insofern, als sie sich nicht auf die Existenzfähigkeit des Reichs nach außen, nicht auf die lückenlose Instandhaltung seines ehernen Panzers be⸗ ziehen, aber nicht von minderer Bedeutung, weil sie die Frage be⸗

röühren, ob das Reich und unter welchen Bedingungen es auf die Dauer die schwere Rüstung wird tragen können, die es sich anlegt.

Meine Herren, aus breiten Volksgruppen heraus ist die Mahnung an die Regierung ergangen, sie solle ohne irgendwelche andere

Rlcksicht dafür sorgen, daß die Wehrkraft des Reichs in unerreichter Höhe, Achtung und Zurückhaltung gebietend vor der Welt dastehe. Der atriotische Bürger kann sich auf diesen Standpunkt stellen; der Gesetzgeber kann es nicht; er muß in ein sorgfältiges Abwägen darüber eintreten, ob für die Machtentfaltung des Reichs die finanzielle Grundlage gegeben ist; er muß sich zu diesem Zweck in die Einzelfragen der Etats⸗ und Steuertechnik vertiefen, die sich dem Blick der weiteren Kreise zumeist verschließen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Für uns ist dieses sorgfältige Abwägen, dieses Betrachten des Reverses der Medaille um so notwendiger, als wir uns in früheren JZahren in bezug auf die Finanzen nicht immer als vorsichtige Ge⸗ schäftsleute erwiesen haben. (Sehr richtig!) Es ist in diesem Hause oft genug hervorgehoben worden, wie wir häufig auch in guten Jahren die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit außer acht gelassen haben. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Es wird als redendes Beispiel dafür angeführt und mit Recht angeführt, daß die Passiven des Reichs, die noch im Jahre 1880 nur mit 270 Millionen Mark zu Buche standen, von 10 zu 10 Jahren auf 1300, auf 2400 und all⸗ mählich auf 5000 Millionen Mark, also auf 5 Milliarden ge⸗ stiegen sind.

Seit dem Jahre 1909 ist eine Umkehr in der Finanzpolitik des Reiches eingetreten. Gestützt auf die günstigen Ergebnisse der damaligen großen Finanzaktion, hat man zunächst etwas

unsicher, dann fest und zielbewußt einen Weg betreten, der

8 uns aus der Finanzmisere herauszuführen vermag. Diesen Weg dürfen wir nicht wieder verlassen. (Sehr richtig! links.)

Wir moögen ihn heute schnelleren, morgen langsameren Schrittes weiter verfolgen, aber still stehen auf diesem Wege oder einen Schritt zurücktreten, das dürfen wir nicht mehr. (Sehr richtig!)

Meine Herren, Sie werden mit Fug an dem heutigen Tage, an dem der derzeitige Leiter der Finanzverwaltung zum ersten Male in längeren Ausführungen sich an Sie wendet, an dem er sozusagen seine erste Etatsrede hält, von mir verlangen, daß ich etwas näher auf die künftige Gestaltung der Finanzführung im allgemeinen und auf die Möglichkeit der Gewinnung neuer Mittel insbesondere eingehe. In erster Beziehung ist die Antwort sehr leicht; die Grundsätze, die wir zu befolgen haben, liegen einfach und klar vor uns: die Finanzver⸗ waltung und die gesetzgebenden Körperschaften mit ihr müssen sich als gute Haushalter erweisen. (Sehr richtig! links.) Die Schuldenlast des Reiches darf nicht vergrößert werden. (Lachen bei den S ozialdemokraten.) Müssen neue Anleihen aufgenommen werden und dem wird sich ja kein großes Staatswesen ganz entziehen können, so dürfen sie nur werbenden Zwecken dienen. Aber auch in diesem Falle wird man ver⸗ suchen müssen, sie in denjenigen Grenzen zu halten, daß sie noch im Rahmen der Beträge liegen, die gesetzlich für die Schuldentilgung ausgeworfen sind, dergestalt also, daß die ab⸗ solute Schuldenhöhe nicht zunimmt. Treten neue große An⸗ forderungen an uns heran, so dürfen sie nicht bewilligt werden, ohne daß Deckung vorhanden ist oder geschaffen wird. Müssen wir neue Mittel beschaffen, so ist dabei die äußerste Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Neue Steuern sollen nicht unnütz und nicht auf Vorrat eingeführt werden. (Sehr richtig! rechts, Heiterkeit ÜUnks.) Die Finanzverwaltung hat ein mindestens ebenso großes Interesse an der Erhaltung und Mehrung des Vermögens der einzelnen Staatsbürger, als daran, den eigenen Säckel zu füllen. Die Wohl⸗ habenheit seiner Bürger ist die beste Sparkasse für den Staat in der Stunde des Bedarfs (sehr richtig! im Zentrum), und das Kapital hat in den Händen der Privaten eine werbendere und verkehrsbelebendere Kraft, als wenn es sich in der Kasse des Staats ansammelt. Zudem, wenn man wie ich jahrzehntelaug an einer Fülle von Steuer⸗ projekten mitgearbeitet hat, die zum großen Teil auch dieses hohe Haus passiert haben, wird man schließlich geradezu von einer Art Steuerscheu befallen. (Heiterkeit links.) Man macht die Erfahrung, daß der Gesetzgeber bei allem guten Willen unmöglich

alle Einzelheiten des Verkehrs berücksichtigen, alle Härten vermeiden kann. (Sehr richtig! links.) Man macht die Erfahrung, daß eine Belastung, schon des Besitzes, in höherem Maße die des Verbrauchs und des Verkehrs, Beunruhigung in Handel und Gewerbe trägt, daß bei den von der Steuer zunächst Betroffenen Mißmut erregt wird, ja daß sogar das Vertrauen zur Staatsleitung und die Freude am Reich verkümmert werden kann. Diese üblen Folgen pflegen erst zu schwinden, wenn eine Steuer längere Zeit bestanden hat, wenn der Prozeß der allmählichen Abwälzung, der gleichmäßigen Verteilung auf

haben, so könnte man daran denken, daß das Reich auf andere Zweige von Produktion, Handel und Verkehr seine Hand legt und sich die Einnahmen aus der künftigen Entwicklung sichert. Unter anderem könnte sich dies da empfehlen, wo durch die Zusammenfassung zer⸗

monopolen für

splitterter Einzelkräfte oder durch die Ausschaltung von Prioat⸗ das heimische Gewerbe Vorteil erreicht oder Nachteile beseitigt werden können. Aber, meine Herren, gegenüber der theoretischen Beechtigung der Monopole wird man die Schwierigkeit, der Durchführung nicht außer acht lassen dürfen. Das Schifflein des Monopols zwischen den verschiedenen Klippen der zu hohen oder zu niedrigen Entschädigung der Interessenten, der Ver⸗ teuerung des Betriebes und der durchaus unerwünschten, unverhältnis⸗ mäßig starken Vermehrung des Beamtenkörpers hindurchzuführen, ist eine schwierige und jedenfalls nicht in kurzer Frist zu lösende Auf⸗ gabe. Es kann Ihnen daher zurzeit ein Vorschlag dieser Art nicht unterbreitet werden. Daneben bleiben dann noch die Steuern übrig, die den Besitz treffen, also die Steuern auf Vermögen, Einkommen, Nachlaß. Die beiden ersteren entziehen sich wegen der Verhältnisse der Bundes⸗ staaten dem Zugriff des Reichs, während auf die Erbschaftssteuer das Reich ja bereits zum Teil seine Hand gelegt hat. Ueber die Wehrsteuer, die noch in den letzten Tagen in der Presse uns empfohlen wurde, möchte ich nur kurz bemerken, daß sie als selb⸗ ständige Steuer nicht gut denkbar ist. Wollte man sie nach gleichen Sätzen von allen unausgehobenen Wehrpflichtigen erheben, so würde sie den Gipfel der Ungerechtigkeit bilden. Sie muß sich also immer an eine der drei erwähnten Besitzsteuern anschließen. Es bleibt also die Erbschaftssteuer oder das, was in neuerer Zeit besonders unter der Erbschaftssteuer verstanden wird, die Belastung des Erbes der Abkömmlinge und Ehegatten. Die Erbschaftssteuer spielt im heutigen Parteileben eine eigentümliche Rolle. Sie ist geradezu zu einem Schibboleth der politischen Parteien geworden (sehr richtig! rechts), und man erlebt das eigentümliche Schauspiel, daß große Gruppen des deutschen Volks, desjenigen Volks, das sich vor allen anderen durch Abneigung gegen Steuerzahlen aus⸗ zeichnet, diese neue Steuer ausdrücklich verlangen. (Heiterkeit.) Eine ruhige Erwägung wird uns lehren, daß die Erbschaftssteuer drückend ist, wie andere Steuern auch (sehr richtig! rechts), daß sie, wie für andere große Kulturstaaten, auch für Deutschland eines Tages kommen wird, daß sie aber heute nicht kommen kann. (Große Unruhe und lebhafte Zurufe links.) Ich habe in einem Teil der Presse, aller⸗ dings nur vereinzelt, gelesen, daß der bisherige Staatssekretär des Reichsschatzamts ein warmer Freund der Erbschaftssteuer gewesen sei, sein Nachfolger notwendig auf dem entgegengesetzten Standpunkt stehen müßte. Meine Herren, in einer Frage von so einschneidender, den Nerv der Finanzgebahrung berührender Bedeutung ist ein Personenwechsel ohne Einfluß. Unter drei Staatssekretären habe ich an der Ausdehnung der Erbschaftssteuer gearbeitet. Der erste Ent⸗ wurf dieser Art, der allerdings niemals das Licht der Reichstags⸗ welt erblickt hat, rührte von meiner eigenen Hand her (Heiter⸗ keit). Wie könnte ich ein grundsäßlicher Gegner der Erbschafts⸗ steuer sein? Und die verbündeten Regierungen? Im Jahre 1909 haben sie Ihnen zweimal eine solche Steuer unterbreitet. Zur Vertretung dieser Entwürfe erhoben sich hier auf dieser Tribüne neben dem Schatzsekretär nicht nur der preußische Finanzminister, sondern auch die Minister verschiedener anderer Bundesstaaten, die zu diesem Zwecke nach Berlin geeilt waren und so bewiesen, ein wie großer Wert allseitig auf die Annahme der Vorlage gelegt wurde. Wie könnten die verbündeten Regierungen grundsätzliche Gegner der Erbschaftssteuer sein? (Heiterkeit links) Aber im gegenwärtigen Moment können wir Ihnen einen solchen Steuervorschlag nicht machen, einmal, wie dies bereits heute hervorgehoben worden ist, des⸗ halb, weil wir in letzter Lesung die Steuer vermutlich doch nicht be⸗ willigt bekommen würden. (Sehr richtig! rechts.) Dann aber auch, weil eine so große, das ganze Volk erregende Maßnahme nur getroffen werden darf (Zurufe links), wenn ihr eine große Aufgabe gegenübersteht, die ohne den Ertrag der Steuer nicht verwirklicht werden kann. (Zuruf links.) Augenblicklich brauchen wir aber nur eine mäßige Deckung. Diese aber muß uns bewilligt werden, und sie muß uns tunlichft einmütig bewilligt werden, damit wir nicht wiederum dem spottenden Ausland ein Bild der Zerrissenheit und Zerfahrenheit bieten. (Heiterkeit links.) Bei dieser Beschränktheit neuer Steuermöglichkeiten darf es nicht wundernehmen, wenn die Bundesregierungen auf der Suche nach einer Einnahmequelle auf die Befeitigung des Kontingents der Brennereien, der über Gebühr verrufenen ssogenannten Lieb esgabe, verfielen. Es handelt sich dabei eben weniger um eine Neu⸗ belastung, lals um die Beseitigung einer Leistung Staats, die früher notwendig erscheinen konnte, die aber gegenwärtig nicht mehr die alte Bedeutung hat. Meine Herren, das Kontingent hat in der Entwicklung des Brennerei⸗ gewerbes eine ungemein große Rolle gespielt. Es spielt diese Rolle heute nicht mehr. Ursprünglich dem Gewerbe im hohen Maße förderlich, hat es das Schicksal aller irdischen Einrichtungen geteilt. Es ist, insbesondere für den Zweck des Schutzes der Kleinen gegen⸗ über den Großen, für den es ursprünglich bestimmt war, mehr und mehr unzulänglich geworden. Schon im Jahre 1895 hat man ver⸗ sucht, mit einer gestaffelten Betriebssteuer nachzuhelfen, und im Jahre 1909 hat man dann aus der Monopolvorlage das Brennrecht, den jetzt sogenannten Durchschnittsbrand, übernommen, der, insofern

des

hat ihn noch heute zu bilden. Wir dürfen der Landwirtschaft wohl den Verzicht auf Leistungen des Staats zumuten, wir dürfen sie abet nicht dauernd schädigen. Das wäre am wenigsten am Platze in einem Moment, wo wir nicht zum mindesten auch von der ländlichen Be⸗ völkerung die Gestellung neuen Ersatzes für Heer und Flotte erwarten.

Der Entwurf, wie er Ihnen vorliegt, beschränkt sich daher darauf,

das Kontingent außerhalb der Reservatstaaten zu beseitigen, innerhalb der Reservatstaaten zu reduzieren. Dabei sind die landwirt⸗ schaftlichen Betriebe vor den des geringeren Schutzes bedürftigen ge⸗ werblichen Brennereien berücksichtigt. Die beibehaltene Spanne von

5 und 7,50 entspricht ungefähr der Differenz des durchschnitt⸗ lichen Kontingentswerts in Nord⸗ und Süddeutschland. Um Härten zu vermeiden, hat man auch die kleineren und mittleren Brennereien außerhalb der Reservatstaaten in entsprechendem Umfang schadlos zu halten gesucht.

Da das Kontingent nicht bloß die Erstattung der Steuerdifferenz

von 20 für das Liter Alkohol zur Folge hatte, sondern auch noch in anderen Beziehungen von Einfluß war, mußten natürlich auch noch verschiedene andere Bestimmungen des Branntweinsteuergesetzes geändert werden. Eine sachliche Aenderung des bestehenden Zu⸗ standes wird hierdurch nicht bedingt. Sie finden die betreffenden Vorschriften in den §§ 6 bis 13 des Entwurfs. Der § 15 sucht gewissen Uebelständen abzuhelfen, wie sie im Trinlbranntweingewerbe in neuerer Zeit in ganz besonders trauriger Weise in die Erscheinung getreten sind. Soweit die Vorschrift nur bezweckt, zu verhüten, daß mit Methylalkohol versetzter Branntwein dem menschlichen Genuß zugeführt werde, wird sie Ihrer aller Beifall finden. Im sonstigen handelt es sich dabei um Beiwerk, das mit dem eigentlichen Zwecke des Entwurfs in keinem engen Zusammenhang steht. Es wäre dann nur noch das dankenswerte Verhalten der Bundes⸗ regierungen zu erwähnen, die, um dem Reiche die Einnahme unverkürzt zukommen zu lassen, auf ihren Anteil an den Verwaltungskosten ver⸗ zichtet haben.

Zwei Einwendungen habe ich noch zu begegnen, die in letzter Zeit, und namentlich auch in der liebesgabenfeindlichen Presse hervorgetreten sind. Man hat gesagt, die Aufhebung des Kontingentz würde ja doch nur zur Folge haben, daß der Preis des Branntweins entsprechend erhöht werde, die Last würde also nicht der Brenner, sondern wiederum der Konsument zu tragen haben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Folge davon würde eine Ver⸗ minderung des Konsums sein, und das Reich würde also den Gewinn, der in der Begründung zu der Vorlage errechnet ist, gar nich einmal haben. 1 1 Meine Herren, ich stehe diesen Einwänden etwas kühl gegenüber Daß in einem syndizierten Gewerbe die Preise der Ware jederzett erhöht werden können, ist eine unbestreitbare Tatsache; daß von diese Möglichkeit auch Gebrauch gemacht wird, zumal bei einer Knappheit des Rohmaterials und der fertigen Ware, haben Sie noch in den letzten Wochen zu beobachten Gelegenheit gehabt. Aber diese Mög⸗ lichkeit ist doch auch nur eine beschränkte. Das Syndikat hat ein sehr lebhaftes Interesse an der Erhaltung und Hebung des Absatzes, der wiederum von dem Preis abhängt. Man wird also den Preis immer nur so weit steigern, als die Produktionskosten dies unbedingt er⸗ fordern. (Sehr richtig! rechts.) Das, wie allgemein anerkannt, sehr geschickt geleitete Spiritussyndikat wird sich diesen Erwägungen für die Zukunft sicher nicht verschließen.

Sodann aber, meine Herren: sollte wirklich der Preis sich dauernd erhöhen oder sollte aus irgend einem anderen Grunde es gibt ja deren noch mehrere eine Abnahme des Branntweinkonsums ein treten, meine Herren, auf die Gefahr hin, von Ihnen für einen finanzwirtschaftlichen Ketzer erklärt zu werden, muß ich Ihnen 2 stehen, daß ich in dieser Abnahme des Verbrauchs an Trinkbrannt⸗ wein einen so großen Vorteil für die Volkskraft und die Volksgesund⸗ heit (sehr richtig!), einen so hohen Gewinn an ethischen Werten er⸗ blicken würde (Bravo!), daß alle finanziellen Wirkungen dagegen h den Hintergrund treten müßten. Einstweilen aber, meine Herren, i diese nennen Sie es Sorge oder nennen Sie es Hoffnung 2 8 unbegründet. Die Erfahrungen haben uns gelehrt, daß derPhange weinkonsum, von vereinzelten Rückschlägen abgesehen, allmälich 8 wächst, und das Reich wird dann auch den Gewinn aus der Vorlage

iehen, den wir davon erwarten.

8 wir uns die Gestaltung der Einnahmen und Ausgaben, 6 Balancierung der Etats in der Zeit bis zum Jahr 19 1 vorstellen es ist dies daejenige Jahr, in dem zum letzten Ihch heblichere einmalige Ausgaben für Rüstungszwecke auf Grund der re- Vorlagen zu leisten sind —, ersehen Sie aus der Ihnen hgne. Denkschrift. Sie entnehmen daraus zunächst, daß wir für . 2 1912 auszukommen hoffen, wenn wir die Einnahmen so veransch 98 wie dies nach den Ergebnissen des Jahres 1911, das ja aller Dnc noch nicht ganz abgeschlossen vorliegt, zu erwarten ist. Selb tversu haben wir nicht, wie dies in einzelnen Zeitungen behauptet wur 88 Einnahmen von 1911 einfach auch für 1912 eingestellt. Nein, 2 Herren, einen solchen Elferjahrgang wird die Finandverwaltung g der Weinbau, sobald nicht wieder erleben. Wir haben in lan 1 Erwägung von den Einnahmen in Abzug gebracht, was auf 1 sonderen Umstände des Jahres zurückzuführen war. Wenn nu nel die Zölle und Steuern allein im Jahre 1911 100 Viften 32 erbracht haben, als der Etat für 1912 veranschlagt, so wid A wohl mit gutem Gewissen die kleinere Hälfte dieser Summe h 1912 als Mehreinnahme anrechnen dürfen. 8

gerechter als das Kontingent, nicht bloß den Trinkbranntwein,

die tragfähigen Schultern sich vollzogen hat. Die Folgeerscheinungen

sondern die ganze Produktion umfaßt, und der in Verbindung mit

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

ichen Lage, daß wir nicht nur unseren guten Vorsätzen für die Schuldentilgung getreu bleiben können, sondern daß wir auch den schweren Ausfall zu überwinden vermögen, der uns aus der Er⸗ mäßigung der Zuckersteuer und Grundstückssteuer vom Jahre 1914 ab droht. Wir haben diese Ermäßigung mit in Rechnung gestellt, und es ist das ein Umstand, auf den ich die Herren ganz besonders aufmerksam machen möchte. CEsz wäre das natürlich nicht durchführbar, wenn nicht das Jahr 1911 mit einem ganz erheblichen Ueberschuß abgeschlossen hätte. Er ist in der Denkschrift auf 230 Millionen bemessen, und diese Schätzung erscheint nicht zu hoch. Reservieren wir von diesen 230 Millionen etwa 100 Millionen für diejenigen Zwecke, welche sie in dem bisherigen § 4 des Etatsgesetzentwurfs verzeichnet finden, also für die Zwecke der Schuldentilgung in weitem Sinne des Wortes, so lassen sich mit dem Rest unter Hinzuziehung der Einnahmen aus der Branntweinnovelle nicht nur die Etats der nächsten Jahre balanzieren, sondern wir erhalten von 1914 ab auch noch etliche Summen für die Erhöhung der Schuldentilgungsquote verfügbar. Ich weiß, daß die Verwendung einer solchen unverhofften Mehr⸗ einnahme die ich kurz als Ueberschuß bezeichnet habe zu anderen als Tilgungszwecken vielfach für unwirtschaftlich erklärt wird. (Sehr richtig! links.) Von diesem Gesichtspunkt geht auch ein von sach⸗ kundiger Hand geschriebener Aufsatz aus, der sich im Maiheft der „Deutschen Revue“ findet (Heiterkeit) und der den Herren wahrscheinlich bekannt ist. Es liegt mir nichts ferner, als gegen den Verfasser dieses Aufsatzes zu polemisieren, nicht bloß wegen des Treu⸗ verhältnisses, in dem ich zu ihm bis in die letzte Zeit hinein gestanden habe, sondern auch deshalb, weil ich mich letzten Endes mit ihm eins weiß, weil ich ihm dankbar dafür bin, daß er gerade in dieser Stunde noch so beherzigen werte Worte in die Welt hinausgerufen hat (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten), daß er sich auch nach seinem Scheiden aus dem Reichsschatzamt noch der Interessen dieses Amts und damit auch der Interessen der Allgemeinheit so warm annimmt. Ich glaube, ich kann noch etwas weiteres sagen. Der Standpunkt, der in diesem Aufsatz hervorgehoben ist, findet sicher im großen und ganzen auch die Billigung der verbündeten Regierungen und namentlich auch der Finanzminister der Bundesstaaten, die selbstverständlich ein finanziell gut fundiertes Reich einem finanziell notleidenden Reiche vorziehen. Es besteht nur ein Unterschied, der wirklich nicht sehr erheblicher Natur ist, und der dahin geht, daß die verbündeten Regierungen glauben, von dem Ueberschuß von 1911 einen etwas größeren Teil für andere Zwecke verwenden zu können, als der Verfasser des ge⸗ nannten Artikels meint. Ich glaube, bei näherer Betrachtung werden Sie auch Ihrerseits diesem Standpunkt seine Berechtigung nicht versagen können. Bei einem Ueberschuß von fast einer Viertelmilliarde wird es nicht bloß nach staatsfinanzwirtschaftlichen, sondern auch nach privatrechtlichen, auch nach kaufmännischen Grundsätzen zulässig sein, etwa ½ Milltiarde zur Bestreitung plötzlich hervorgetretener einmaliger, außerordentlicher Ausgaben zu verwenden (sehr richtig! rechts), und unser Leitsatz, die Schulden des Reichs nicht anschwellen zu lassen, sondern sie nach Kräften allmählich sogar zu verringern, wird nicht verletzt, wenn wir in der nächsten Periode auch nur etliche Mil⸗ lionen jährlich für die Schuldentilgung weiter verwenden können. Hiervon abgesehen und grundsätzlich würde es mir, als dem Ver⸗ treter der Finanzverwaltung, nicht wohl anstehen, wenn ich nicht auf die Gesichtspunkte, die mein Herr Amtsvorgänger in der „Deutschen Revue“ hervorgehoben hat, auch meinerseits besonders hinweisen, wenn ich Ihnen nicht auch meinerseits die Kehrseite der Sache vor⸗ führen wollte. Ich kann nicht dringend genug davor warnen, aus meinen Ausführungen etwa den Schluß zu ziehen, als ob unsere .Finanzlage eine glänzende sei und zu weiteren Ausgaben oder zu Ab⸗ strichen an der Deckung ermutige. (Unruhe.) Die Schätzungen für die Zukunft haben selbstverständlich wie alle Prophezeiungen den Fehler, daß man nicht mit voller Sicherheit sagen kann, ob sie zutreffen werden. Sie beruhen eben auf den beiden Voraus⸗ setzungen, die ich vorher schon erwähnte. Man kann ja nicht sagen, daß augenblicklich Anzeichen dafür vorlägen, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung vor einer Aenderung, vor einer Krise stände; aber es liegt doch in der Natur der Sache, daß eine solche Entwicklung auf und ab wogt. Wie verhängnisvolle Folgen aber ein Umschwung in der Konjunktur haben kann, ist noch frisch in aller Gedächtnis aus, dem Jahre 1908, das für uns mit einem Defizit von 120 Millionen Mark abschloß. Trifft eine der Voraussetzungen, die wir gemacht haben, nicht zu, so wird es nicht zu umgehen sein, sich nach neuen Mitteln umzusehen; denn die vorgeschlagene Finanzierung bringt es mit sich, daß der Etat seiner Reserven beraubt ist, dergestalt, daß, wenn eine neue Anforderung auftaucht und für diese nicht durch Ein⸗ sparung an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen werden kann, die Decke zu kurz wird. Die Aufgabe der Finanzverwaltung wird dadurch für die Zukunft recht erschwert; es wird für sie schon nicht leicht sein, die Anforderungen der Ressorts in den Grenzen zu halten, die durch die Finanzlage geboten sind. Es ist ein Erfahrungssatz, daß eine sparsame Wirtschaftsführung in einem längeren Zeitraum die Ver⸗ waltungen nicht etwa dazu führt, sich nun mit den beschränkten Mitteln für die Dauer einzurichten; im Gegenteil glaubt eine jede von ihnen, hieraus ein Anrecht auf erhöhte Forderungen für die Zu⸗ kunft herleiten zu können. Leider haben wir die Beobachtung gemacht, daß auch der Reichstag in neuerer Zeit manchen Forderungen ein williges Ohr zu leihen geneigt ist, die früher eine glatte Zurück⸗

100 Millionen überlastet. Eine wirkliche Sanierung der Finanzen kann man erst dann als eingetreten ansehen, wenn diese Zuvielausgaben aus ordentlichen Mitteln gewonnen werden können. Ueberdies finden Sie im Etat noch immer die nicht gedeckten Vorschüsse für die Heeres⸗ und Marineverwaltung im Betrage von ungefähr 100 Millionen Mark, deren endliche Beseitigung eine dringende materielle und etatsrechtliche Notwendigkeit ist.

Bei der vorgeschlagenen Art der Finanzierung hat sich die Finanz⸗ verwaltung damit abfinden müssen, daß die völlige Heilung des Extra⸗ ordinariums noch für einige Jahre hinausgeschoben wird. Erleichtert ist uns dieser Entschluß dadurch, daß schon von 1913 ab die Höhe der erforderlichen Anleihe den Betrag der zu werbenden Zwecken be⸗ stimmten Ausgaben nicht übersteigen wird, und daß von 1914 ab allmählich die für die gesetzliche Schuldentilgung ausgeworfenen Be⸗ träge auch ihrem eigentlichen Zwecke zugewendet werden können.

Immerhin, meine Herren, ersehen Sie daraus, daß noch recht viel auf dem Gebiete der Gesundung unseres Finanzwesens zu tun ist. (Sehr richtig!)

Und fragen Sie mich nun nochmals, weshalb die Finanzverwaltung sich trotz alledem mit einer so kargen Decke von 30 bis 40 Millionen hat genügen lassen, so möchte ich Ihnen die Gründe zum Schlusse meiner Ausführungen noch einmal kurz und knapp zusammenfassen: Wir lehnen den Vorwurf ab, daß wir die Finanzlage zu rosig oder zu dunkel gefärbt hätten. Wir hoffen, daß wir in der vorgeschlagenen Weise, allerdings auch nur in der vorg⸗schlagenen Weise, die Mittel gewinnen können, um die für den Bestand und die Ehre des Reichs erforderlichen Ausgaben zu bestreiten. Wir wissen, daß wir mit unseren finanziellen Forderungen bis an die äußerste untere Grenze herangegangen sind; wir haben dies aber in vollem Bewußtsein getan, weil wir die Steuerkraft des Voꝛkes schonen wollten, nicht bloß, wie einige von den Herren zu meinen scheinen, in bezug auf die Erbschafts⸗ steuer, sondern ‚n bezug auf die Steuern schlechtweg. Wir halten diese Schonung für notwendig nicht bloß aus volkswirtschaftlichen, sondern auch aus finanziellen und politischen Gründen. Es muß eben auch eine Reserve da sein für die Stunde der Not. Meine Herren, eine Nation, die wie die unsere unausgesetzt auf die Abwehr eines Angriffskrieges gerüstet zu sein hat, die muß ihr Pulver trocken und ihre Einnahmequellen flüssig erhalten. (Bravo! rechts. Vereinzelter Beifall im Zentrum.)

Abg. Haase (Soz.): Als das letzte Friedenspräsenzgesetz ver⸗ abschiedet wurde, hat wohl niemand daran gedacht, daß jetzt schon wieder neue Millitärforderungen gestellt werden würden. Der Reichstag hat ein wichtiges Budgetrecht aufgegeben, aber die Re⸗ gierung behält freie Hand, und das Volk wird nach den heuttgen Ausführungen damit rechnen müssen, daß sehr bald wieder neue Heeresvorlagen kommen werden. Sie sind in der Presse an⸗ gekündigt worden, und dies hat in den Erklärungen der Regierung einen Widerhall gefunden. Die Regierung wirft heute alles über den Haufen, was sie im vorigen Jahre geplant hat. Damals hieß es, es sei allen Forderungen der Verwaltung Genüge gescheben, wenn nur die 11 000 Mann bewilligt würden. Jetzt soll der Bestand des Heeres gefährdet sein, wenn nicht das Heer um weitere 29 000 Mann und die Flotte nicht um ein drittes Geschwader vermehrt wird. Welchem Kriegsminister von Heeringen sollen wir denn glauben! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Keinem!) Die auswärttge Lage soll sich geändert haben. Diese Behauptung hat heute der Reichs⸗ kanzler selbst widerlegt; es gäbe, meinte er, keine unmittelbar vor⸗ liegende Gefahr. Der Kriegsminister allerdings deutete etwas dunkel an, daß doch irgendwo eine große Gefahr bestehe, und versprach Aufklärungen in der Kommission. Jedenfalls sind wir heute nicht klüger geworden, als durch die dürftige Begründung der Vorlagen. In Frankreich hat nur eine Verschiebung in den Millitärcadres statt⸗ gefunden. Die französische Feldartillerie soll uns überlegen sein. Das ist eine Täuschung, denn nicht die Zahl der Batterien ist maßgebend, sondern die der Geschütze; hierin sind wir Frankreich überlegen. Man macht das Volk gruselig mit der „schwarzen Armee“ Frankreichs. Französische Chauvinisten haben sich damit berauscht, daß sie aus den Kolonien viel mehr Truppen herausholen können. Frankreich muß sich längere Zeit gerade mit Rücksicht auf seine Kolonien seiner eigenen Truppen entblößen. Die Be⸗ setzung und Beruhigung Marokkos wird Frankreich noch lange genug zu schaffen machen; eine unmittelbare Gefahr von dort ist undenkbar. Frankreich ist auch an der Grenze seiner Leistungen an⸗ gelangt, denn der Geburtenüberschuß nimmt dort rapid ab. Wir haben in Deutschland ein großes Reservoir für den Fall, daß wir uns wirklich verteidigen muͤssen. Wenn in Frankreich jetzt die ser oder sgher Bramarbas mit dem Säbel rasselt, so glaubt doch kein Mensch, daß das französische Volk Deutschland angreifen will. Frankreich kann nicht einen Angriffskrieg planen, weil es zuviel dabei verliert. Was hat unsere Regierung dazu ge⸗ trieben, mit einer neuen, so weitgehenden Vorlage zu kommen? Weshalb muß das vorjährige Gesetz schneller durchgeführt werden, wie es in der Begrundung heißt? Welche Begründung ist heute diesem inhaltsleeren Worte gegeben worden. Redensarten, nichts als Redensarten. Die Rede des Reichskanzlers glich einer Rede, die unser Oberlehrer beim Sedanfeste zu halten pflegte. So wie diese Vorlage begründet ist, kann jede Vorlage begründet werden. Es könnte mit einer solchen Begründung das Doppelte und Dreifache gefordert werden. Man will eben Weltmacht⸗ politit treiben. Wir sind entschlossen, mit aller Kraft Eroberungs⸗ gelüsten entgegenzutreten, die sich innerhalb unseres Volkes breit machen. Gegen räuberische Ueberfälle unser Land zu schützen, sind wir bereit. Dazu brauchen wir ein demokratisch organisiertes Volks⸗ heer. Eine solche Miltz könnte jederzeit einen Ueberfall auf das eigene Land abwehren. Eine Ausbildung der Jugend dürfte aber nicht unter dem Zeichen des Hurrapatriotismus erfolgen, sie soll nur die Jugend geschmeidig machen. An eine fklavische Nachahmung des Schweizer Systems denken wir nicht, wenn dies auch die Bewunderung der Sachverstaändigen hervorgerufen hat. Jedenfalls ist die Miliz auf dem Marsche. Von ihr wollen freilich diejenigen nichts wissen, die Maschinengewehre nach dem Ruhrrevier geschickt haben.

gar

weisung erfuhren. Die Finanzverwaltung aber ist von vorn herein

Gegenüber diesen Vorgängen kann es nur unsere Parole sein, dem

1b s Die Aufrollung der Dardanellen⸗ frage ruft allerdings Lähmungen hervor, aber die fortgesetzten Rüstungen steigern die Gefahr des Weltbrandes. Unsere Vorlage gibt sicherlich das Signal zu weiteren Rüstungen. Das Ende kann nur sein ein Ende mit Schrecken. Es muß deshalb alles versucht werden, um diesem Wahnwitz Halt zu gebieten. Ein Weltkrieg ist durchaus nicht unvermeidlich. Zum mindesten ist eine Einschränkung der Rüstungen lich. Das Reich ist mächtig genug, daß es nicht als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden kann, daß Deutschland den ersten Schritt in dieser Richtung tut. Das Ansehen wird durch fried⸗ liche Taten deutscher Kultur gehoben, nicht durch fortgesetzte Rüstungen. Der englische Schatzsekretär hat auedrücklich darauf hingewiesen, wie diese Rüstungen für die Völker allmählich unerträglich werden. Es ist ja vielfach so dargestellt worden, als ob wir uns deswegen rüsten müßten, weil von England uns große Gefahren drohen. Nun haben selbst Blätter wie die „Kreuzzeitung“ und die „Germania“ darauf hingewiesen, daß England weder jetzt noch in Zukunft darauf ausgehen kann, gegen uns Krieg zu führen. Wenn die Regierungen, wie der Reichskanzler ausführte, wirklich so friedfertig sind, dann müßte es doch ein leichtes sein, zu einem Einvernehmen zu kommen. Sie sollten es dann ruhig den Parlamenten überlassen, ob sie die Verträge genehmigen. Das deutsche wird das ganz sicher tun. Dann meinte der Kanzler, er sei trotzdem nicht in der Lage, dauernd die Friedensflöte zu blasen, weil ja fanatisierte Minderheiten leicht das Volk in einen Krieg hetzen können. Bei uns sind es nun gerade die Kreise, die dem Kanzler sehr nahestehen. Auf sie müßte er deshalb einen Druck ausüben. Ganz besonders möchte ich sein Augenmerk richten auf die gemeingefährliche Tätigkeit des Flotten⸗ und Wehrvereins. In Breslau ist neulich ein Vortrag gehalten worden, wonach ein Krieg täglich etwa 18 Millionen Mark kosten mürde. Diese Summe ist sicher zu niedrig und wird mindestens 25 Millionen betragen. Dabei ist aber nicht berücksichtigt, was das ganze Zusammenbrechen des wirtschaftlichen Lebens uns für Schaden bringt. Der Reichskanzler sagte, daß von allen Ländern bei uns am wenigsten für Heereszwecke auf den Kopf der Bevölkerung kommt. Aber es kommt nicht darauf an, sondern wieviel auf das Einkommen fällt, und wir stehen da viel schlechter als Engand. Dazu ist unsere Bevölkerung auch sonst noch sehr belastet. Unsere Hreresvorlage trägt bereits den Keim zu einer neuen in sich. In diesen Tagen ist zu einer Nationalspende für die Luftflotte aufgefordert worden. Es ist charakteristisch, daß man auch hier wieder zu diesem Mittel gegriffen hat. Man will eben auch diese Lasten wieder auf andere Schultern abwälzen. Die Herren, die so vor Patriotismus strahlen, die versagen, wenn sie in ihre eigene Tasche greifen sollen. Das beweist ja auch die nicht wieder eingebrachte Erbschaftssteuer. Die Sozialdemokraten verlangen bei dieser Gelegenheit nicht, daß man neue Lasten dem Volke auf⸗ erlegt, sondern daß man mehr Fürsorge für die Mannschaften entwickelt. Die Erhöhung der Löhnung von 22 auf 30 täglich sollte gesetzlich festgelegt werden. Die Regierung hat uns eine derartige Vorlage versprochen. Jetzt vertröstet man uns auf den nächsten Etat. Wer bürgt uns aber bei dem starken Verbrauch unserer Minister dafür, daß Reichskanzler und Schatzsekretär dann noch dasind? Gegen diese Erhöhung wird sogar schon Sturm gelaufen. Sie soll eine Konzession an die Soztaldemokratie sein und auch die Schlagfertigkeit des Heeres herabsetzen. Ueber die Deckungsvorlage macht sich die Regierung nur sehr wenig Sorgen. Für die Sorgfalt der Aufstellung unseres Etats ist charakkerifilsch⸗ daß uns jetzt mitten in der Etatsberatung ein berichtigter Etat vorgelegt wird. Bei dem Lobe des Schatzsekretärs Kühn auf seinen Vorgänger muß man sich wundern, daß er so sang⸗ und klangles in der Tiefe verschwand. Der Wunsch des Reichskanzlers, daß diese Vorlage und der Etat noch derjcefngsten erledigt werden soll, ist eine starke Zumutung. Der Reichstag würde sich etwas vergeben, wenn er sich danach richtet, denn er fühlt sich nicht in einer gottgewollten Abhängigkeit wie der Kanzler. Der Reichstag ist auch keine nachgeordnete Behörde des Reichskanzlers. Es muß dafür Vorsorge getroffen werden, daß, wenn die Ueverschüsse, die auf dem Papier stehen, ausfallen, nicht wieder neue Steuern eingeführt werden. Wir werden bei der Beratung mit tätig sein und dafür eintreten, daß eine Reihe von Stevern abgeschafft werden. Wir werden ver⸗ langen, daß man die Ehrenschuld an die Veteranen abträgt, und dafür sorgen, daß Sie nicht noch neue indirekte Steuern einführen. Im übrigen wird es unser Bestreben sein, soweit wir es können, machtvoll zu demonstrieren gegen alle Kriegstreibereien. Dann wird es dahin kommen, daß an die Stelle einer Politik der Gewalt und Unterdrückung eine solche der freiheitlichen und friedlichen Entwicklung, der Zivilisation und Verbrüderung tritt.

bg. Dr. Spahn (Zentr.): Es ist nicht unsere Schuld, daß das Quinquennatsgesetz schon wieder geandert werden muß. Neue Opfer in sehr erheblicher Höhe werden dem deutschen Volke zuge⸗ mutet, die Mannschaftsstärke von Heer und Flotte soll gesteigert werden. Da wird wirklich eine scharfe Prüfung stattzufinden ha en, ob ein Bedürfnis für diese beiden Vorlagen nachgewiesen werden kann. (Zuruf des Abg. Ledebour: Auch nicht einmal Sie ) Abwarten; (Ruf: Das wußten wir, daß es so kommen würde!) Die Frankreich betreffenden Darlegungen des Vorredners können allerdings nicht durchschlagen. Mir scheint die Militärvorlage tatsächlich nach manchen Richtungen durchaus begründet; wir würden die jährliche Ausgabe von 1800 Millionen für das Heer nutzlos gemacht haben, wenn wir in der Organisation und Schlagfertigkeit Lücken bestehen lassen. Wir halten ja Frieden, wir suchen nicht Händel, aber zur Verteidigung müssen wir so gerüstet sein, daß andere Staaten nicht zu dem Glauben sich hinneigen könnoh, daß ihnen ein Angriffskrieg Erfolg bringen. könnte. Wenn wir sehen, daß die anderen Nationen ihre Organisation vervollständigen, dürfen auch wir das gleiche Opfer nicht scheuen. Ich vermute, der Kriegsminister ist mit seinen mili⸗ tärischen Plänen im vorigen Jahre noch nicht hervorgetreten, weil er nicht übersehen konnte, wie sich die Finanzen gestalten würden. Nachdem er die günstige Entwicklung gesehen hat, ist er auch seiner⸗ seits auf dem Plan erschienen. Unter den Zielen der Militärvorlage ist mir das der Erhöhung der Mannschaftslöhne das Sympathischste. Diese Erhöhung soll freilich erst zum 1. April 1913 in Kraft treten. Wir halten dafür, daß auch diese Maßregel schon am 1. Oktober wie die Vorlagen im übrigen in Kraft treten sollte, und ich nehme an, daß die Budgetkommission uns einen solchen Vorschlag machen wird; an der Finanzfrage kann diese Maßnahme nicht scheitern. Die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke um 29 000 Mann wird zu be⸗ willigen sein, wenn sie zur Sicherung gegen einen Anariffs⸗ krieg notwendig ist. Die Abrüstungsreden der Zentrumsführer Dr. Reichensperger und Freiherr von Schorlemer⸗Alst können uns heute nicht entgegengehalten werden. Die beiden neuen Armeekorps können wir ja nur annehmen oder ablehnen; bei den anderen Forde⸗

rungen der Vorlage sind auch Abänderungen denkbar, so auch in be⸗