Die erlaubte Geschwindigkeit für Berlin von 25 km halte ich unter allen Umständen für viel zu groß. Damals sagte man uns, die Bevölkerung gewöhne sich allmählich daran, es ist auch weiter behauptet worden, die Chauffeure werden schon selbst in richtiger Weise ermessen, wann die Geschwindigkeit herabgemindert werden muß. Wir haben noch nicht gefunden, daß die B völkerung von Hernlin sich an die größere Geschwindigkeit gewöhnt hätte, und dann habe i auch nicht gefunden, daß die Chauffeure eine übermäßige Rücksichtnahme auf das zu Fuß gehende Publikum sich haben anmerken lassen. Es fragt sich, ob es richtig ist, was be⸗ hauptet wurde, daß die Unglücksfälle sich vermindert hätten. Wir stehen da vollständig ohne jede Unterlage. Ich habe seit Jahren von dieser Stelle aus die Regierung gebeten, uns doch endlich einmal Unterlagen zu dieser Frage zu geben. In den früheren Jahren ist Jahr für Jahr in der Budgetkommission uns eine Statistik vorgelegt worden. Ohne eine solche Statistik ist gar nicht zu kontrollieren, wie es steht. Wenn ich aber die frühere Statistik zugrunde lege, so ist die Zahl der Unglücksfälle erschreckend groß, unglaublich groß. Mehr Leute werden im Jahre von den verschiedenen Fahrzeugen überfahren, als bei dem großen Schiffahrtsunglück vor wenigen Tagen umgekommen sind. Man darf nicht so milde über diese Unglück fälle denken, weil am Tage nur zwei, drei oder fünf oder s chs vorkommen. Es sind Schutzleute mit Stoppuhren ausgerüstet worden. Viele Gerichte haben aber die Kontrolle durch diese Stoppuhren nicht als genügenden Beweis angesehen, darum bleibe ich dabei, daß es dringend nötig ist, elektrische Geschwindigkeitsmesser einzuführen. Nun kann man ja selbst Anzeigen bei den Schutzleuten machen, und ich habe das wiederholt getan. Aber man erfährt dann gar nichts mehr von der Geschichte, nicht einmal, ob die Anzeige weiter⸗ gegeben ist. Oder man muß als Zeuge vor Gericht, wenn der Chauffeur sich mit der Polizeistrafe nicht begnügt und gerichtliches Urteil verlangt. Das Publikum wird sich hüten, wegen dieser großen Unan⸗ nehmlichkeiten, Anzeige zu machen. Die unteren Polizeiorgane müßten in ganz anderer Weise angewiesen werden, auf diese Dinge zu achten. Ich habe wiederholt darum gebeten, gegen die offenbaren Ueberschreitungen der Polizeiverordnungen in Berlin einzuschreiten, aber die Organe der Polizei kümmern sich so gut wie gar nicht um die Ausschreitungen der Automobile. Die schädlichen Benzingase durchfluten die ganze Stadt, alle hundert Schritt kann man eine Droschke oder ein Privatfuhrwerk sehen, die unausgesetzt diese gesundheitsschädlichen Benzindämpfe durch die ganze Straße ausströmen lassen Der Schutzmann kümmert sich gar nicht darum. Wenn man, wie ich wiederholt getan habe, ihn fragt: Sehen Sie das nicht? dann bekommt man eine wenig freundliche Antwort. In einer Stadt wie Berlin sollte man nur elektrische Droschken zulassen und die Benzindroschken ganz verbieten, sie sind eine schwere Belästigung der übergroßen Majorität der Bevölkerung. Auch auf die Straßenbahnen follte die Regierung besser achten. Es gibt kaum schlechtere Straßen⸗ bahnen in Deutschland als in Berlin. Sie haben ein geradezu miserables Material, wie man täglich am eigenen Leibe spürt. Der Unterbau der Straßenbahnen ist ebenfalls sehr mangelhaft, das merkt man an den fürchterlichen Stößen. Daß es viel bessere Straßenbahnen gibt mit ganz anderem Material, habe ich in Frankfurt a. M. gesehen; dort sind sie mustergültig. Der Vertreter von Frankfurt wird mir bestätigen, daß die Berliner damit gar nicht zu vergleichen sind. Wer die Erschütterungen des Bodens bis in das oberste Stockwerk der Häuser zu spüren bekommt, weiß, wie diese Zustände zu wünschen übrig lassen. In dem wunder⸗ schönen Tiergarten haben wir nicht eine einzige Stelle mehr, von der man nicht den furchtbaren Spektakel der Straßenbahnen hören kann, von Ruhe und Frieden ist im Tiergarten nicht mehr die Rede. Die Erklärung des Ministers wegen der Anstellung der Beamten begrüßen wir, und ich erkläre namens meiner Freunde ausdrücklich, daß wir absolut keine Bevorzugung des Adels an irgendeiner Stelle, auch in den Verwaltunasstellen nicht, wünschen, sondern daß wir auf dem Stand⸗ punkt stehen, daß die Beamten nach ihrer Eignung angestellt werden. Aber ich möchte die Regierung auch einmal bitten, der Befürchtung entgegenzutreten, daß die Plutokratie an vielen Stellen eine Bevor⸗ zugung erfährt, die wir auch nicht wünschen. In mancherlei Stellen, auch in der Verwaltung werden Anforderungen an den Geld⸗ beutel gestellt, daß, wer nicht ein großes Privatvermögen hat, nicht in diese Stellen kommen kann. Wir erwarten, daß die Regierung darauf achtet, daß diese Beot ngung der besonders ver⸗ mögenden Leute vermieden wird. Der Abg. Liebknecht hat mich einen Prügelpädagogen genannt. Ueber den Geschmack will ich mit ihm nicht streiten. Ich möchte aber feststellen, daß ich der Prügel⸗ strafe niemals anders das Wort geredet habe, als in dem Sinne, daß sie nur gegen die allergemeinsten Roheitsverbrechen Anwendung finden solle, daß ich aber absolut keine andere Anwendung gewünscht habe. Aber wie Abg. Liebknecht hier dieses Wort brauchte, so wird auch draußen im Lande immer mit dem Worte Prügelmajor operiert. (Abg. Hoffmann: Das kannte ich noch gar nicht!) Wenn der Abg. Liebknecht und seine Freunde so empvfindlich gegen das sind, was ihnen gesagt wird, so sollten sie solche Worte nicht in den Mund nehmen. Der Abg. Liebknecht sagt, die Junker säßen noch heute auf ihren Raubritterburgen. Der Abg. Liebknecht hat zweifellos tiefgründige Forschungen in der mittelalterlichen Geschichte angestellt. Und diese Forschungen schließen gewöhnlich mit dem Verrat der Junker bei der Uebergabe der Festungen von 1806 ab. Das ist immer die Quintessenz, aber davon spricht man nicht, daß dieselben Junker diese Scharte von 1806 schon hundertmal ausgewetzt haben. (Ruf bei den Soz.: Wo denn 2) Bestehen die Raubritterburgen nicht heute noch in veränderter Gestalt fort? Ich empfehle Herrn Liebknecht, in den Kreisen, die ihm nicht fernstehen, Forschungen anzustellen, wo die modernen Raubritterburgen derjenigen Leute stehen, die Millionen und aber Millionen aus den Taschen unseres Volkes ziehen. (Abg. Hoffmann: Bund der Landwirte!) Es gibt heute noch Raubzüge gegen den Geldbeutel des Volkes, sie werden aber nicht mehr von den Nachkommen der alten Raubritter unter⸗ nommen (Ruf bei den Soz: Bund der Landwirte! Abg Hoffmann: Liebesgaben!), sondern von ganz anderen. Sie (zu den Soz) brauchen nicht lange danach zu suchen, Sie werden sie schon finden. Herr Lohmann meinte, daß die Schuld auf konservativer Seite wäre, wenn es nicht zur Versöhnung zwischen den Parteien kommen könne. Dem muß ich widersprechen. Er wies auf einen Artikel der „Kreuzzeitung“ gegen den Vizepräsidenten Krause hin. Ich habe den Artikel zufällig nicht gelesen; wenn er da gestanden hat, wird er reichlich wettgemacht durch zahlreiche außerordentlich kräftige und scharfe Artikel der nationalliberalen Blätter, namentlich der „National⸗ liberalen Correspondenz“, gegen uns. Es ist eine Blütenlese der unglaublichsten Angriffe gegen uns von der „Konservativen Kor⸗ respondenz“ zusammengestellt worden, es waren einige zwanzig Blüten, die ganz anders waren, als was die „Kreuzzeitung“ schrieb. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder heraus. Ich bitte Herrn vohmann, seinen Einfluß geltend zu machen, daß diese scharfen Angriffe unterbleiben. Solche Angriffe sind namentlich egen unseren Führer, den Abg. von Heydebrand erschienen. Ich abe kaum erlebt, daß gegen einen Mann eine größere Hetze stattgefunden hätte, als gegen den Abg. von Heydebrand, gerade in der nationalliberalen Presse. Mit dem Wort von dem ungekrönten König, das eine Berliner Zeitung erfunden hat, ist ein arger Sport getrieben worden. In der nationalliberalen Presse haben mehr Verhetzungen gegen seine Person stattgefunden als in unserer Presse gegen Nationalliberale. Wir sind durchaus bereit, in die entgegengestreckte Hand einzuschlagen, das haben wir bei jeder Gelegenheit getan. Sorgen Sie nur dafür, daß aus Ihrer Partei auf das Entgegenkommen eine Erwiderung statt⸗ findet, dann wird sich das Westere finden. Der Abg. Pachnicke ver⸗ langt, daß das Wort der Thronrede endlich eingelöst werde. Es ist eigentümlich, daß bei dieser Gelegenheit die Thronrede an⸗ gezogen wird, denn was die Thronrede verheißen hat, ist schon erfüllt worden. Wenn Sie (links) damit nicht zufrieden sind, kann Ihnen kein Mensch das Recht nehmen, zu wünschen, daß die Vorlage noch einmal eingebracht wird; aber daß das Wort nicht gehalten werde, können Sie nicht sagen. Das war doch sonst nicht
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hat
Ihre Meinung. Legen Sie sonst so großen Wert darauf, daß, was in einer Thronrede stand und einmal vom Parlament abgelehnt ist, immer wieder vorgebracht wird? (Abg. Leinert (Soz): Tun Sie es denn ⁹) Im Jahre 1898 lautete ein Passus der Thronrede: „Der Terrorismus, durch den Arbeitswillige an der Fortsetzung oder Uebernahme von Arbeit gehindert werden, hat einen gemeinschädlichen Umfang an⸗ genommen. Das den Arbeitern gewahrleistete Koalitionsrecht, welches unangetastet bleiben soll, darf nicht dazu mißbraucht werden, das höhere Recht, zu arbeiten und von der Arbeit zu leben, durch Einschüchterung oder Drohung oder Vergewaltigung zu beschränken. Hiergegen die persönliche Freihrit und Selbständigkeit nach⸗ drücklich zu schützen, ist nach meiner und meiner hohen Ver⸗ bündeten Ueberzeugung die unabweisbare Pflicht der Staatsgewalt. Hierzu reichen die bestehenden Strafen nicht aus, sie bedürfen der Erweiterung und Ergänzung. Diesem Gedanken entspricht ein Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses, welchem Sie, wie ich zuversichtlich erwarte, Ihre Zustimmung nicht versagen werden.“ Haben jemals, nachdem dieses Gesetz über Arbeitswilligenschutz vom Reichstag einfach verscharrt worden ist, wie man zu sagen pflegt, die Herren, die jetzt soviel Wert auf die Versprechungen der Thronrede legen, gefordert, daß dieses Gesetz wiederkehren solle? Aber hier, wo das Wahlrecht der Thronrede gar nicht mal so aussehen soll, wie Sie wünschen, schreien Sie Jahr für Jahr, daß die Versprechungen der Thronrede noch nicht erfüllt sind, und dann tun Sie noch so, als ob wir auf der Rechten einen Druck ausüben könnten, damit Sie Ihre Wahlrechtsvorlage bekommen, die ganz anders aussehen soll. (Abg. Leinert: Kanalvorlage!) Die Darstellungen des Abg. Dr. Pachnicke über das Stichwahl⸗ abkommen lassen dieses Abkommen so harmlos, so einfach, so natürlich erscheinen. Vergessen Sie denn ganz, daß Ihre Partei selbst erst schamrot darüber war, daß überhaupt ein solches Stichwahlabkommen bestehen sollte, daß Ihre Presse es war, welche bis zum Stichwahl⸗ tage dieses Abkommen nicht bloß ängstlich verschwiegen, sondern aus⸗ drücklich abgeleugnet hatte? Es sollte nicht bestehen, und dabei bestand es längst. Sie haben dann das Wort gebraucht, wir säßen auf der Anklagebank, weil wir die sozialdemokratischen Wahlen gefördert hätten. Nun, Abg. Pachnicke, auf welcher Anklagebank sitzen Sie denn eigentlich Sie haben ja nicht bloß das Wahlabtommen mit der sozialdemokratischen Partei angenommen, nein, Sie sind es gewesen, welche darum gebettelt haben. Als die bekannte Rosa Luxemburg ihre Enthüllungen in der „Leipziger Volkszeitung“ gemacht hatte, schrieb zunächst das „Berliner Tageblatt“, davon ist kein Wort wahr Da mußte erst der „Vorwärts“ hinzu⸗ fügen, wir sind es nicht gewesen, die das Stichwahlabkommen ge⸗ fordert haben, die Freisinnigen sind zu uns gekommen und haben uns gebeten, mit ihnen ein Stichwahlabkommen zu treffen (Abg. Hoffmann: Das sollten Sie immer tun!). Sie wissen, wie Sie im „Vorwärts“ noch beworfen worden sind. Es war eine liberale Erfindung, die Existenz des schwarzeblauen Blocks, aber der rosa⸗rote Block ist schon recht alt, er hat nur jetzt erst seine feier⸗ liche Einweihung bekommen. (Lachen links.) Darum drehen Sie den Spieß um und reden von einem schwarz⸗blauen Block, stellen sich hier auf diese Tribüne, um sich weiß zu waschen von dem Vorwurf, der auf Ihnen im deutschen Volke sitzen bleiben wird noch lange, lange Zeit. Sie werden diesen Flecken von Ihrem Ehrenschild nicht herauswaschen können, nachdem Rosa Luxemburg so wenig Schweigsamkeit besessen hatte, daß sie es nicht unterlassen konnte, die Details Ihres Wahl⸗ abkommens weiter auszuplaudern. Sie haben in einer ganzen Anzahl von Wahlkreisen zunächst den Sozialdemokraten die direkte Unterstützung zugesagt. Ich glaube, daß Sie das gutheißen (Zuruf von den Soz.: Das ist ja Ihr Schmerz), und dann haben Sie hinterher von den Scozialdemokraten sich ein Geschenk machen lassen und haben die Sozialdemokraten so weit gebracht, daß sie sich verpflichteten, keine Flugblaätter und Stimm⸗ zettel zu verbreiten, damit Ihre Leute gewählt werden sollten. Dann redet ein Mann, wie der Abg. Pachnicke davon, daß wir Konservativen auf den Krücken von anderen Parteien in den Reich tag gehumpelt wären. Sie sind doch überhaupt nur auf sozial⸗ demokratischen Krücken in den Reichstag gezogen. Sie haben damals die Unterstützung der konserpativen Wäblar erfahren, die von den Stichwahlabkommen noch nichts gewußt haben. (Abg Hoffmann: Wir auch!) Daß Sie künftig noch unsere Unterstützung erfahren, glauben Sie doch selbst nicht. (Zuruf von den Soz.: Dann unsere!) Wir schätzen Sie, nachdem wir erfahren haben, wie das Stichwahl⸗ abkommen war, in dieser Beziehung nicht anders ein, als die Sozial⸗ demokraten. Etwas anderes können Sie auch von unseren Wählern absolut nicht verlangen. Wir sitzen nicht auf der Anklagebank, es ist nicht dasselbe, ob ich, wenn ich zwischen zwei Uebeln zu wählen habe, mich der Stimme enthalte, oder den anderen wähle. Das ist eine Dialektik, die wir nicht verstehen können. Sie haben sogar den traurigen Mut gehabt, sich darüber zu beklagen, daß der letzte konservative Wähler nicht an die Urne gebracht worden sei, um in vaterländischem Sinne zu wählen, um Herrn Kgempf dem Sozialdemokraten vorzuziehen. Damals kannte man das Abkommen noch nicht. Herr Fischbeck hat sich noch auf diese Tribüne gestellt bei der ersten Etatsberatung, und als ich den Namen Richter dazwischen rief, mit verächtlicher Handbewegung gesagt: Ach, Abg. Strosser, was wissen Sie über⸗ haupt von Herrn Richter. Herr Pachnicke, es wird Ihnen vielleicht interessant sein, zwei Stunden habe ich mich mit Herrn Richter über diese Frage unterhalten, es war ein damaliger Reichstags⸗ abgeordneter, der auch heute noch lebt, dabei, ich will seinen. Namen nicht nennen, ich bin aber bereit, Ihnen den Namen zu nennen. Herr Richter ist es gewesen, dem Sie heute ein Denkmal setzen, der mir sagte: Ein Pakt mit der Sozial⸗ demokratie wäre der Anfang vom Ende der freisinnigen Volkspartei, das wäre der Nagel zu ihrem Sarge. Das waren wörtlich die Worte, die Herr Eugen Richter mir gegenüber gesagt hat. Wenn Sie mit Ihrer Handbewegung kommen und sagen, was wissen Sie davon, dann sage ich, ich weiß es sehr genau. Ihre Herren hätten keine Ver⸗ anlassung, das zu sagen, am wenigsten Herr Fischbeck, dem ich das gern ins Gesicht gesagt hätte (der Ahg. Fischbeck ist nicht anwesend). Abg. Fischbeck, Sie müßten doch wissen, daß ich über manche Dinge orientiert bin, über die ich lieber nicht spreche, aber Sie sollen sich dann wentgstens nicht auf ein so hohes Roß setzen. Der Abg. Dr. Hahn hätte gern auf die Bemerkung des Abg. Dr. Lohmann erwidert, er ist aber plötzlich abgerufen worden. Ich kann aber in seinem Namen feststellen, daß er niemals gegen den Abg. Heinze gesprochen habe, sondern nur gegen Fuhrmann und Wachhorst de Wente. Der Abg. Pachnicke beruft sich auf Bismarck, auf diesen Mann, dem Ihre Freunde jede Ehrung verweigert haben, den Ihre Freunde im Stiche gelassen haben. Sie tun es, wenn es Ihnen gerade paßt, wenn der große Bismarck in seiner Verärgerung, der er ja auch unter⸗ worfen war wie andere sterbliche Menschen, einmal das Wahlrecht zum Abgeordnetenhause das elendeste aller Wahlsysteme genannt hat. Aber von all den vielen Worten, die er gegen Sie gebraucht hat, wird nichts gesprochen, daß es Zeiten gegeben hat, wo Fürst Bismarck jedesmal seinen Sessel verließ und herausging, wenn ein freisinniger Abgeordneter redete. Wenn jemals ein Wort Bismarcks wabr geworden ist, so haben Sie es ja wahr gemacht durch Ihr Stichwahlabkommen mit der sohzialdemokratischen Partei. Dieses Stichwahlabkommen wird seine Früchte tragen, dieses Kainzeichen wird auf Ihrer Partei sitzen bleiben. Geheimer Oberregierungsrat Dr Tul l vom Ministerium der öffent⸗ lichen Arbeiten: Es ist festgesetzt, daß innerhalb geschlossener Ortschaften die Automobile nicht mit größerer Geschwindigkeit als 15 km fahren dürfen, Ausnahmen davon sollen zulässig sein. Davon hat der Poltzei⸗ präsident von Berlin Gebrauch gemacht und eine Geschwindigkeit von 25 km festgesetzt. Aus der Statistik über das Automobilwesen geht hervor, daß seit dieser Festsetzung die Unfälle nicht zugenommen, sondern abgenommen haben. In der preußischen Monarchie hatten wir 1910 26 500, 1911 31 600, 1912 38 300 Automobile. Bei dieser Vermehrung der Automobile haben die Unfälle abgenommen. 1910 kamen 15,3 %, 1911 13,5 %, 1912 12,9 % Unfälle vor im Ver⸗ hältnis zur Zahl der Automobile. Die Zahl der verletzten Personen ebenfalls abgenommen. 13““
1910 hatten wir 6,6 %, 1911 allerdings
6,8 %, 1912 aber nur 6,2 % verletzte Personen. Im Landespolizei⸗ bezirk Berlin ist die Zahl der Automohile gestiegen von 6400 im Jahre 1911 auf 6700 im Jahre 1912. ie Fohl⸗ der Unfälle ist ge⸗ sunken von 47 auf 46,5 %, die Zahl der verletzten Personen von 19,6 auf 16,3 %, es ist also eine ganz erhebliche Verminderung eingetreten. Was dee Geschwindigkeitsmessungen betrifft, so ist tatsächlich die große Mehrzahl der Automobile bereits mit Geschwindigkeitsmessern ausgerüstet, und es wäre zweifellos wünschenswert, daß alle Automobile damit ausgerüstet werden. Die Vorschrift dazu b steht leider noch nicht, weil man sich der Einsicht nicht hat verschließen können, daß noch kein Geschwindigkeitsmesser besteht, der unbedingt zuverlässig ist.
Darauf wird gegen die Stimmen der Volkspartei und der Sozialdemokraten die allgemeine Besprechung geschlossen.
Persönlich bemerkt
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Der Abg. Dr. Lohmann hat gesagt, ich hätte den Terrorismus bei den Wahlen gewünscht. Ich habe in der damaligen Rede ausdrücklich mich als Gegner des Terrorismus bekannt und gesagt: Wollen Sie mit uns den Terrorismus bekämpfen, so soll es uns recht sein. Wir werden uns in diesem Kampf als treue Bundesgenossen erweisen. Der Abg. Strosser hat gesagt, wir würden wissen, wo Leute sitzen, die Raubzüge auf die Taschen des Volkes machen. Wahrscheinlich, um das Niveau des Hauses zu heben, hat er hinzugefügt, wenn der Abg. Liebknecht nicht wisse, auf wen sich dies beziehe, so solle er sich an mich wenden. Damit hat der Abg. Strosser in verblümtem Ton gesagt, daß ich mit Leuten zu tun habe, die dem Volke das Geld aus der Tasche ziehen. (Abg. Strosser: Daß Sie solche Leute kennen!) Das ist eine ganz gewöhnliche antisemitische Flegelei! (Präsident: Für diese letzte Aeußerung rufe ich Sie zur Ordnung. Großer Lärm bei den Soz., Zuruf von den Soz.: Strosser hat keinen Ordnungsruf be⸗ kommen, der darf beleidigen! Er darf alles machen. Präsident: Ich muß mir verbitten, daß Sie in dieser Weise meine Geschäfts⸗ führung kritisieren und sagen, meine Geschäaftsführung sei parteiisch. — Zuruf von den Soz.: Ist sie auch! — Präsident: Der Abg. Strosser hat nur gesagt, er soll sich an Sie wenden, um die Leute zu finden, die etwas derartiges machen — Großer Lärm bei den Soz. — Präsident: Die Sache ist für mich erledigt; wenn Sie sich beschweren wollen, wenden Sie sich an das Haus mit einer Be⸗ schwerde, ich kann mich nicht darauf einlassen!)
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Der Abg. Pachnicke hat mich mißverstanden, ich habe nur behauptet, und diese Behauptung ist unwiderleglich, daß das von den Scozialdemokraten geforderte Landes⸗ gesetz, wonach in öffentlichen Versammlungen fremde Sprachen allgemein zugelassen werden, in unlösbarem Widerspruch mit dem Reichsvereinsgesetz stebt. Ich habe ferner die Mitteilung des Abg. Pachnicke über die Stichwahlaufforderung an die freikonservpativen Wähler, welche ich mitveranlaßt habe, dahin zu berichtigen, daß diese Aufforderung erst ergangen ist, als ich zuverlässig Kunde von dem Stichwahlabkommen der Freisinnigen mit den Sozialdemokraten erhalten habe, das mir damals so erschien, daß ich es mit einem parlamentarischen Ausdruck nicht charakterisieren kann. Ferner habe ich die Mitteilung des Abg. Pachnicke, daß eine früher von mir getane Aeußerung dahin ging, daß ich den Eintritt von Sozialdemokraten nicht für ungünstig halte, dahin zu berichtigen, daß ich sie nicht getan hätte, wenn ich gewußt hätte, was für eine Sorte von Sozialdemokraten einziehen werden. (Stüͤrmischer Lärm bei den Soz. Anhaltende Rufe: Unerhört! Der Präsident ruft den Abg. Freiherrn von Zedlitz zur Ordnung. Große Heiterkeit bei den Soz. Rufe: Endlich einmall Präsident: Sie machen mir mit Ihrem Geschrei ja die Führung der Geschäfte gänzlich unmöglich, ich bitte Sie, sich auf Ihre Plätze zu verfügen.)
Abg. Dr Bell (Zentr.): Ich behalte mir vor, dem Minister des Innern bei späterer Gelegenheit über seine ungenügenden Ausführungen über die Parität zwischen Evangelischen und Katholiken zu antworten.
Abg. Leinert (Soz.): Nachdem der Abg. Liebknecht gesprochen hatte, haben sämtliche Redner gegen uns polemisiert, dann wundern Sie sich, daß wir Zwischenrufe machen. Nunmehr haben Sie den Schluß der Debatte herbeigeführt. Sie mißbrauchen damit die Macht, die Sie im Parlament haben, aber nicht draußen im Volke, um unserer hier kleinen, aber im Lande großen Partei die Antwort auf Ihre Pegtiffe⸗ Ihre Beschimpfungen und Beleidigungen unmöglich zu machen.
Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Das ist ein starkes Stück, nachdem der Abg. Dr. Liebknecht zwei Stunden lang das ganze Haus provoziert hatte, sich jetzt darüber zu beschweren, daß andere Leute darauf geantwortet haben. (Rufe: Unerhört! — Abg. Hoffmann: So etwas nennt sich unparteiisch.)
Abg. Leinert (Soz.): Uns jetzt das Wort abzuschneiden, kennzeichnet Ihren Mangel an Mut. Das Volk draußen ist auf unserer Seite. Durch das Abschneiden der Debatte haben Sie sich selbst gebrandmarkt.
Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Sie haben kein Recht, eine Kritik an einem Beschlusse des Hauses zu üben, jedenfalls nicht in einer solchen Art. Ich rufe Sie zur Ordnung! Die Herren stellen sich immer her und sagen, daß Sie vom Präͤsidenten nicht geschützt werden. Gewiß ist der Präsident dazu da, die Minorität zu schützen, der Präsident ist aber auch dazu da, eine Majorität gegen einen Terrorismus der Minorität zu schützen.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Diese Debatte ist typisch. An die Spitze der Rednerliste wurde der Freisinnige und der Sozialt demokrat gestellt, dann sind Sie alle über den Sozial⸗ demokraten hergefallen, und zwar speziell über mich, dann
1 7 . „ . „ 8 1 „ . u“ wird uns die Möglichkeit abgeschnitten, zu erwidern. Wenn ich zwei
Stunden geredet habe — (Zurufe: 3 Stunden!) bitte, 2 Stunden, ich berufe mich auf die Autorität des Prässdeenten, der das gesagt hat —, so habe ich nicht im entferntesten so viel geredet, als Sie darauf geantwortet haben. Wenn man uns nicht die Möglichkeit gibt, darauf zu erwidern, so ist das geradezu etwas Unerhörtes und bedeatet geinen ungehörigen Mißbrauch der brutalen Majorität. (Präsident: Sie dürfen nicht in einem solchen Ausdruck von einem Beschluß des Hauses sprechen!) Sie haben sich in ohnmäch⸗ tiger Wut ausgetobt, aber es war nur ein Theaterdonner, ein Schießen mit Platzpatronen, und dann haben Sie den besten Teil der Tapfer⸗ keit gewählt, Sie haben das Hasenpanier ergriffen, aber Sie haben sich blamiert bis auf die Knochen.
Abg. Dr. Lohmann (nl.): Dem Abg. Hirsch kann ich in einer persönlichen Bemerkung nicht antworten, ich behalte mir dies aber vor.
Abg. von Wenden kkons.): Ich habe die Rednerliste als Schriftführer geführt. Herr Dr. Pachnicke hat sich bereit erklärt, au erster Stelle zu sprechen, Herr Dr. Liebknecht wollte nicht zuerst zu Worte kommen.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Mir ist mitgeteilt worden, daß der Abg. von Pappenheim gesagt hat, es sei unmöglich, mich an erster Stelle sprechen zu lassen. Dann haben Sie aber Ihre Absicht durch geführt und den Freisinnigen und den Sozialdemokraten an die Spitze gestellt.
Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Herr Liebknecht, Sie sind gänzlich unbelehrbar, Sie haben doch gehört, daß Herr Dr. Pachnicke bereit war, als erster zu sprechen.
Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Ich kann das nur bestätigen.
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Ich spreche nur davon, daß man mich gleich an zweite Stelle gesetzt hat. So hat man die beiden oppositionellen Parkeien zusammengetan, um uns nachher von den Regierunagsparteien totschlagen zu lassen. Im Laufe der Debatte ist eine solche Menge von Unwahrheiten gegen mich ausgesprochen worden, daß ich eine Stunde persönliche Be⸗ merkungen machen müßte, um alle diese Verdrehungen, Unwahrh iten und Böswilligkeiten anzunageln. Ich versage es mir, diese bös⸗ artigen demagogenhaften Lügen .. . (Präsident: Ich rufe Sie noch einmal zur Ordnung.) Der Abg. Hammer hat aber eine ganz
bösartige Verdrehung vorgebracht, er sagt, ich häͤtte das preußische
1“ 1 8 8
lrchaus ungerechte, eine Preußens unwi Pgierung im Reichstage 2 auch, daß die Regierung anerkannte,
dhem Kreise ausgewiesen, jetz
Ien Polizeistrafen angedroht, len können,
öfassung kommen sollte, lnachungen nicht so genau nimmt.
öülten. Es wird darin gerade besonders hervorgehoben,
ekommen.
tten, welcher Unwille schleswegischen
olk beschimpft. Ich habe nur meiner Empörung der russischen degierung gegenüber Ausdruck gegeben, daß sie das verächtlichste und wzarischste aller Staatswesen ist. (Präsident: Sie dürfen das,
ofür ich Sie gestern zur Ordnung gerufen habe, nicht noch einmal
habe ich nicht beschimpft, ich
jederholen!) Das preußische Volk C genommen gegenüber der preußischen Ver⸗
be es nur in Schutz altung. .
Abg. Hammer (kons.): Ich habe nur das gesagt, was der rg. Lebknecht bestätigt hat, im übrigen ist es mir vollständig gleich⸗ llig, was Sie da drüben sagen.
Es folgt die Besprechung der nordschleswigschen rage: Abg. Nissen (Däne): Die nord
schleswigsche Politik ist eine irdige. 1
Die Erklärung der
die jetzigen Zustände unhaltbare sind. Den „Heimatlosen“ wird Verheiratung untersagt. Ein „Heimatloser“ hat wegen seiner cheiratung schon drei Monate Arrest verbüßt, jetzt tritt er weitere Monate an. Fruüher hat man die „Heimatlosen“ nur aus s weist man sie aus Preußen aus. n anderer Staat ist aber verpflichtet, sie aufzunehmen. Eine snungsgemäße Ausweisung ist gar nicht möglich: die „Heimat⸗ en“ werden nicht über die Grenze transportiert, sondern es werden und wenn sie die Geldstrafe nicht werden sie in Arrest gesetzt. Dieses Vor⸗
teen ist ein Verstoß gegen die internationalen Be⸗
rmungen, mit Dänemark ist in den Verträgen vom 11. No⸗ nber 1873 und
25. August 1883 die Ausweisung geregelt. wäre auf das tiefste zu beklagen, wenn man im Auslande zu der daß Preußen es mit internationalen Es ist mir bis zu dieser nde nicht klar geworden, was man mit diesen Maßnahmen peckt. Man will angeblich die dänische Agitation bekämpfen. res ist kein einzelner Fall bekannt geworden, daß sich ein einziger r Heimatlosen mit Politik beschäftigt. Ja, viele haben sogar deutschen Arbeitgebern die besten Empfehlungen und “ daß es um ruhige und stille Leute handelt, die sich von jeder Politik alten. Dann ist es auch eine viel zu kleine Personenzahl, daß sie politisch gefährlich werden könne. Die Behandlung er Leute hat sowohl in den dänisch⸗ wie in den deutsch⸗
ethenden Kreisen Nordschleswigs große Entrüstung hervorgerufen.
Problem der Heimatlosen kann durch das Heiratsverbot aller⸗
as gelöst werden. Man kann aher niemand hindern, eine illegitime
einzugehen. Die in Betracht Kommenden sind meist deutsche atanen, und ihre illegitimen Kinder sind es ebenfalls. Diese Zu⸗ de sind tief zu bedauern und ganz besonders, da die Betreffenden immer die wilde Ehe vorziehen. In kurzer Zeit sind viele r wilden Ehen entstanden. Die Verantwortung dafür tragen zehörden. Infolge dieser Verfolgungen sind auch Erkrankungen & 8 3 Noj Pos 858
In der Kommission des Reichstags wurde ja fest⸗ lt, daß diese Zustände unerträglich sind. ie Mitglieder der nission haben Gelegenheit gehabt, sich ein sehr gutes Bild von taksächlichen Verhältnissen zu schaffen. Sie haben auch er⸗ durch diese Politik in der ganzen — Bevölkerung hervorgerufen worden ist. Der rung ist eine Petition mit den Namen von 33 000 Männern, tter vielen Deutschen, überreicht worden, die um Abhilfe bitten. diesem dringenden Wunsch haben sich Anhänger aller Parteien mengefunden. Selbst die preußische Regierung hat ja diese räglichkeiten eingesehen. Sie hält jedoch eine baldige Aenderung
für angängig. Sie hat aber guten Willen gezeigt, der hoffent⸗
ald in die Tat umgesetzt wird. Ich verstehe deshalb nicht, daß (unter diesen Umständen noch in letzter Zeit gegen die Heimat⸗ vorgegangen ist. Ich bitte den Minister, dafür zu sorgen, daß
Leute wenigstens vorläufig in Ruhe gelassen werden.
Minister des Innern Dr. von Dallwitz:
Meine Herren! Ich glaube doch etwas weiter ausholen zu müssen, zöhnen den Ursprung der Heimatlosen und die Gründe darzulegen, edie preußische Regierung nötigen, dahin zu wirken, daß eine de Niederlassung einzelner politisch nicht unbedenklicher Elemente
nordschleswigschen Grenzkreisen verhindert werde. Bekanntlich ist durch den Wiener Frieden vom 31. Oktober zugunsten der Bewohner des nördlichen Schleswig stipuliert n, daß ihnen gestattet sein sollte, sich in den nächsten sechs Jahren ie Beibehaltung der dänischen Staatsangehörigkeit auszusprechen ch nach den Staaten des Königs von Dänemark zurückzuziehen. ist der Ursprung der sogenannten Optanten.
Von dieser Erlaubnis wurde zunächst wenig Gebrauch gemacht. ber der französische Krieg in Sicht war, wurde in weit stärkerem evon jungen Schleswigern, die immer noch die Hoffnung hatten, ordschleswig an Dänemark zurückfallen würde, die Erklärung eben, daß sie die dänische Staatsangehörigkeit behalten wollten. gingen demnächst nach Dänemark herüber; nachdem aber der öh⸗französische Krieg nicht ihren Wünschen entsprechend ausge⸗ war, überlegten sie sich, daß es doch ihren Interessen mehr ent⸗ e, ihren Wohnsitz wieder in Schleswig zu nehmen, wo in der
ihre Eltern angesessen waren. Sie kehrten dann zurück, hatten die durch die Option erworbene dänische Staatsangehörigkeit be⸗
un hatte Dänemark damals ein Staatsangehörigkeitsgesetz, das 898 bestand, wonach die Kinder dänischer Untertanen, die slande geboren waren, die dänische Staatsangehörigkeit nicht ben. Dieses Gesetz war unvereinbar mit dem preußischen Staats⸗ beigkeitsgesetz des Inhalts, das die preußische Staatsangehörigkeit urch Abstammung oder durch Naturalisation erworben werden sodaß die Kinder von Ausländern, selbst wenn sie innerhalb sens geboren sind, nicht etwa hierdurch preußische Staats⸗ rige werden. Die Optanten, die nach 1870 zurückgekehrt waren, und deren t hatten nun schließlich eine so hohe Zahl erreicht, daß ein nicht üchtlicher Teil der Bewohnerschaft der vier nördlichsten Kreise wigs aus Optanten und Optantenkindern bestand, über deren Langehörigkeit dauernd Streit und Zweifel herrschte. Das trat bers stoͤrend hervor, wenn es sich darum handelte, ob und wo sie nfüehhtst genügen sollten, ob sie überhaupt wehrpflichtig usw. die preußische Staatsegierung ist diesen Optanten und staatenlosen enkindern in der weitgehendsten Weise entgegengekommen, sie allein in der Zeit von 1888 bis 1898 Optanten naturalisiert hat. Immerhin war noch licht unerheblicher Teil von Optanten und besonders eren Nachkommen vorhanden, von deren Naturalisation ben wurde, weil man mit den bereits Naturalisierten insofern blechte Erfahrungen gemacht hatte, als sie in dem Moment, e die preußische Staatsangehörigkeit erhalten hatten, in dem ge der Sicherheit, daß sie nicht ausgewiesen werden konnten, an⸗ sich der dänischen Progaganda zuzuwenden, und in äußerst lber Weise gegen das Deutschtum und die Deutschen agitierten en einer Abtrennung Nordschleswigs und dessen Wiedervereini⸗
gung mit Dä k. (Hört! hört! rechts.) Trotzdem waren die Mißstände, die die noch übriggebliebenen Optantenkinder und die nicht naturalisierten Optanten hervorriefen, derart, daß die preußische Staatsregierung im Jahre 1907 sich bewogen gesehen hat, mit Däne⸗ mark einen Vertrag zu schließen, worin Dänemark gewisse Zugeständ⸗ nisse machte und Preußen sich verpflichtete, die Optantenkinder, die es wünschten, zu naturalisieren. Es sind im und nach dem Jahre 1907 mehr als 4000 Optantenkinder und mit ihnen etwa 600 Optanten naturalisiert worden. Es hat sich aber gezeigt, daß diese Maßnahme dem deutschnationalen Interesse insofern außerordentlich schädlich gewesen ist, als in einer ganzen Anzahl von Ortschaften, wo beispielsweise die Gemeindevertretungen, Kirchenvorstände, sonstige Vertretungen des öffentlichen Rechts bereits überwiegend deutsch waren, nun durch die Wühlarbeit einiger neu aufgenommener Optantenkinder die deutsch⸗ feindlich gesinnten Elemente die Oberhand gewonnen und die Agitation auf künftige Loslösung Nordschleswigs von Preußen in vollkommen unverfrorener Weise aufgenommen haben.
Nun waren trotz alles Entgegenkommens von preußischer Seite die sog. Staatenlosen übrig geblieben. Das waren nicht Kinder von Optanten, sondern Kinder von eingewanderten Dänen, meist von dänischen Arbeitern, die in der Zeit von 1864 bis 1898 eingewandert waren. Dlese Dänen hatten sich entweder mit Däninnen oder zum großen Teil auch mit Schleswigerinnen verheiratet, die dadurch natür⸗ lich die dänische Staatsangehörigkeit erlangten. Ihre Kinder waren nach dem früheren dänischen Staatsangehörigkeitsgesetz nicht dänische Staatsangehörige, weil sie im Auslande geboren waren. Andererseits waren sie auch nicht preußische Staatsangehörige, weil in Preußen nur die Abstammung für die Staatsangehörigkeit entscheidend ist. Es sind jetzt mithin etwa 2000 Staatenlose, Kinder und Kindeskinder von Dänen, die sich in den vier nordschleswigschen Kreisen aufhalten. Wir können nach den Erfahrungen, die wir mit der Naturalisation der Optanten im Jahre 1907 gemacht haben, nicht ohne weiteres dazu übergehen, diese unserer Auffassung nach nach Dänemark gehörigen Leute zu naturalisieren, weil sonst dieselben Mißstände, die wir mit den Optantenkindern zur Genüge durchgekostet haben, in erhöhtem Maße sich zeigen würden und sich daraus eine außerordentliche Stärkung der durch die zahlreichen Optanten⸗Naturalisationen groß gewordenen deutschfeindlichen Partei in den nordschleswigschen Kreisen ergeben würde. (Sehr richtig! rechts.) Wir befinden uns hierbei in der Notwendigkeit, dem tunlichst entgegenzuwirken, daß diese Staatenlosen in den nationalumstrittenen, von einer überwiegend deutschfeindlichen Bevölkerung bewohnten Kreisen sich dauernd niederlassen. Darum ist auf Grund eines aus der dänischen Zeit stammenden Gesetzes, des sog. Niederlassungspatentes vom Jahre 1841, dahin Vorsorge getroffen, daß Staatenlosen, deren dauernder Niederlassung Bedenken entgegen⸗ stehen, namentlich in den Fällen, wo angenommen werden kann, daß sie nach erfolgter Naturalisation sich der deutschfeindlichen Agitation an⸗ schlteßen würden, die Niederlassungserlaubnis versagt wird, deren Ausländer in Nordschleswig nach dem bestehenden Gesetz bedürfen.
Der Abg. Nissen hat ausgeführt, daß die Niederlassung im Falle der Verheiratung versagt werde. Das ist insofern nicht ganz zu⸗ treffend, als die Verheiratung nicht den Grund der Versagung der Niederlassung bildet. Aber allerdings geht mit der Verheiratung die Niederlassung sehr häufig Hand in Hand, weil die Betreffenden sich dann selbständig machen und einen eigenen Wohnsitz begründen. Wir sind aber weit entfernt davon, die Staatenlosen irgend wie landflüchtig machen zu wollen, sondern verlangen nur, daß sie sich nicht in den national umstrittenen Gebieten niederlassen. Gerade aber in den Fällen der Verheiratung ist die Niederlassung dann genehmigt worden, wenn die Behörden der Ueberzeugung waren, daß irgend welche Nach⸗ teile nationaler Beziehung sich nicht ergeben werden. (Sehr richtig! rechts.) In der verhältnismäßig geringen Anzahl von Fällen, wo die Niederlassung nach erfolgter Verheiratung versagt ist, ist den Betreffenden regelmäßig eröffnet worden, daß es ihnen unbe⸗ nommen sei, in ganz Preußen in allen anderen Teilen der Monarchie und der Provinz Schleswig⸗Holstein sich niederzulassen, nur nicht in den national umstrittenen Kreisen. Sie sind ja, wie das bei uns doch tagtäglich mit einer großen Anzahl von Arbeitern ohne weiteres aus wirtschaftlichen Gründen der Fall ist, nur genötigt, einige Kilo⸗ meter weiter zu wandern und dort in den Dienst zu treten, statt in den national umstrittenen Kreisen zu bleiben; sie werden dann voll⸗ kommen unbehelligt bleiben und unter Umständen, wenn sich weitere Bedenken nicht geltend machen sollten, demnächst in späterer. Zeit der Naturalisation entgegensehen können.
Nun aber werden durch die Agitation der deutschfeindlichen däni⸗ schen Partei die Leute veranlaßt, dieser wohlmeinenden Alternative nicht zu folgen, sondern darauf zu beharren, in den vier in Rede stehenden Kreisen sich niederzulassen, zu erklären, daß es ihnen unmöglich sei, irgendwo anders einen dauernden Wohnsitz zu begründen. In diesen Fällen bleibt nichts anderes übrig, als bei dauerndem Widerstand die gesetzlichen Konsequenzen zu ziehen, d. h. sie wegen Lästigkeit auszuweisen, und wenn sie der Ausweisungs⸗ verfügung nicht Folge leisten, sie mit Geld⸗ oder Haftstrafe dazu zu zwingen. Herr Abg. Nissen hatte nun zunächst erklärt, daß dieses Vorgehen mit internationalen Gebräuchen nicht vereinbar sei. Er befindet sichl im Irrtum. Er geht von der Annahme aus, daß nach den Verträgen wegen Uebernahme von unterstützungsbedürftigen Dänen eine Ausweisung dänischer Untertanen nun im Wege des Transports durch Abschiebung über die Grenze und Uebergabe an die dänischen Behörden erfolgen könne. Die Ausweisung von Ausländern erfolgt in der Regel in Preußen durch Mitteilung einer Verfügung, in der sie aufgefordert werden, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes das Gebiet des preußischen Staates zu rerlassen, widrigenfalls eine Geldstrafe gegen sie verhängt würde und im Falle des Un⸗ vermögens eine an ihre Stelle tretende Haftstrafe Platz greifen würde. Dasselbe Verfahren ist hier diesen Staatenlosen gegen⸗ über angewandt worden, und zwar mit um so größerer Berechtigung, als sie ja gar nicht dänische Untertanen sind, und wir ihnen keines⸗ wegs aufgeben, sich nach Dänemark zu wenden, sondern es ihnen über⸗ lassen, wohin sie sich wenden sollen, wenn sie nicht vorziehen, sich innerhalb Preußens, nur nicht in den vier nordschleswigschen Kteisen, niederzulassen. So liegt auch der Fall des Arbeiters Mads Egholm in Bröns. Dieser Egholm hatte sich nach Bröns, einem kleinen Orte im Kreise Hadersleben mit stark antideutsch durchsetzter Bevölkerung gewandt. Die Niederlassung wurde ihm dort versagt. Er konnte sich überall in Nordschleswig niederlassen, nur nicht in einem der vier Grenzkreise. Nun wurde ihm, da er alles gütliche Zureden unbeachtet gelassen hatte, schließlich die Arsweisungsverfügung zugestellt unter
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8 1“ ö“ Androhung von Haftstrafe. Der Verfügung hat er, glaube ich, einmal auch Folge geleistet, ist aber zurückgekommen und hat sich wieder verbotswidrig in Bröns niedergelassen. Die Ausweisung ist dann wiederholt gegen ihn verfügt und die für den Fall der Nicht⸗ beachtung und für den Unvermögensfall angedrohte Haftstrafe zur Durchführung gelangt. Ich bemerke übrigens, daß mit großer Schonung gerade in diesem Falle vorgegangen ist; denn Egholms Frau sah der Niederkunft entgegen, und es ist ihm monatelang Zeit gelassen worden, ehe zur Vollstreckung der Haftstrafe geschritten wurde.
Er ist übrigens lediglich von der dänischen Partei angestiftet worden, den Verfügungen der Behörden Widerstand zu leisten (Zuruf von den Dänen: Beweise!), die speziell einen Märtyrerfall schaffen wollte und augenscheinlich zu dem Zweck auch zu dem Mittel ge⸗ griffen hat, dem Mads Egholm direkt zu verbieten, den an ihn er⸗ gangenen Verfügungen Folge zu leisten. Tatsache ist, daß Egholm einem Redakteur des „Riget“, der ihn besuchte, erklärt hat, „er dürfe ja der Verfügung nicht Folge leisten, das erlaubten ihm seine Partei⸗ freunde nicht“. (Hört, hört! rechts — Widerspruch bei den Dänen.) Es hat in der Kopenhagener Zeitung „Riget“ gestanden (Widerspruch der Dänen) als eine Erklärung, die Egholm selbst einem Redakteur abgegeben hat.
Herr Egholm ist jederzeit in der Lage, sich der Haft zu entziehen, wenn er sich außerhalb der Grenzkreise südlich davon in Schleswig oder sonstwo in Preußen niederlassen will, irgendwelche Schwierig⸗ keiten werden ihm dann nicht bereitet werden. Das ist ihm mehrfach auch vom Ministerium eröffnet worden, an das er sich gewendet hat. Meine Herren, die anderen Fälle, von denen Herr Abg. Nissen ge⸗ sprochen hat, sind im Ministerium nicht näher bekannt. Sie werden wahrscheinlich genau ebenso liegen. Herr Abg. Nissen hat aber als Beweis dafür, mit welchen ungewöhnlichen Mitteln die preußischen Behörden es versuchten, sich der Staatenlosen zu entledigen und sie in rechtswidriger Weise nach Dänemark abzuschieben, den Fall eines Arbeiters Thomsen angeführt, welchem die preußischen Behörden die Mittel zur Fahrt bis an die nächste dänische Grenzstation zu geben sich bereit erklärt hätten, woraus folge, daß sie eine Umgehung derjenigen Bestimmungen beabsichtigt hätten, nach denen nur nach erfolgter Einverständniserklärüng der dänischen Be⸗ hörden ein Transport von dänischen Staatsangehörigen aus Preußen nach Dänemark erfolgen dürfe. Die Annahme ist unzutreffend. Der Arbeiter Thomsen, der sich in einer ähnlichen Lage befindet wie Egholm, hat sich in der Redaktion des „Heimdall“, eines dänischen Blattes, eine Eingabe an den Regierungspräsidenten ausarbeiten lassen, in der er erklärt, er sei nicht im Besitze der erforderlichen Mittel zur Uebersiedlung nach einem fremden Staate, und die Bitte ausspricht, ihm die erforderlichen Mittel zur Auswanderung zu ge⸗ währen, eventuell ihn auf Kosten der Regierung über die Grenze zu transportieren. Darauf hat der Regierungspräsident unter Abweisung der Beschwerde folgendes erwidert:
Von Ihrer gleichzeitig mitgeteilten Bereitwilligkeit, das preußische Staatsgebiet zu verlassen, sofern Sie die dazu erforderlichen Mittel besäßen, nehme ich Kenntnis. Die Polizeiverwaltung in Apenrade ist bereit, Ihnen und Ihren Angehörigen im Falle der Bedürftigkeit Fahr⸗ karten bis zur nächsten Grenzstation zur Verfügung zu stellen. Sollten Sie alsbald Ihren Wohnsitze nach einem Orte außerhalb der Kreise Hadersleben, Tondern u. s. f. verlegen und alsdann die Aussetzung des gegen Sie eingeleiteten Zwangsverfahrens beantragen, so bin ich bereit, zu erwägen, ob von Ihrer Ausweisung bis auf weiteres abgesehen werden kann.
Also hier wurde auch Thomsen einfach wieder angeboten, sich außer⸗ halb der strittigen Grenzbezirke innerhalb Preußens niederzulassen, und ein Billett bis zur nächsten Grenzstation nur für den Fall zur Verfügung gestellt, daß er infolge Mittellosigkeit verhindert sein sollte, seine Absicht, sich freiwillig nach Dänemark zu begeben, auszu⸗ führen. Irgend ein Zwang, gerade nach Dänemark auszuwandern, ist gegen ihn nicht ausgeübt worden. G
Der Herr Abg. Nissen hat nun behauptet, daß infolge des Vor⸗ gehens der Behörden durchaus moralische und ordentliche Leute ge⸗ nötigt würden, Konkubinate und konkubinatartige Verhältnisse ein⸗ zugehen, da ihnen die Verheiratung unmöglich gemacht würde. Ich habe schon ausgeführt, daß die Versagung der Niederlassungs⸗ erlaubnis im Falle der Verheiratung nur in ganz beschränktem Umfange stattgefunden hat, und kann weiter mittellen, daß kein einziger Fall bekannt geworden ist, in dem ein Staatenloser wegen versagter Niederlassungserlaubnis ein konkubinatartiges Verhältnis eingegangen wäre. Auffallend ist es aber, daß der Gedanke zum ersten Male ventiliert worden ist in der dänischen Zeitung „Flensborg Avis“, in⸗ dem die Leute darauf hingewiesen wurden, daß sie es doch so machen könnten und daß sie dann auf diese Weise die Intentionen der preußi⸗ schen Behörden hinfällig machen würden, ohne daß ihnen irgend etwas passieren könnte. Es ist also von dänischer Seite — oder von anti⸗ deutscher Seite; wenn ich dänisch gesagt habe, so meine ich nur: innerhalb Nordschleswigs wohnhafte dänische oder antideutsche Ele⸗ mente — den Staatenlosen eine direkte Anregung dazu gegeben worden, die aber bisher tatsächlich keine Folge gehabt hat.
Meine Herren, ich kann nur sagen, daß durch die dänische Agi⸗ tation dieser unliebsame Kampf der preußischen Regierung und den⸗ preußischen Behörden geradezu aufgezwungen ist (sehr richtig! rechts), daß sie sich hier in der Notwehr befinden (Zurufe bei den Dänen), und ich muß es entschieden zurückweisen, wenn der Herr Abg. Nissen behauptet hat, daß es sich um ein für einen Staat wie Preußen un⸗ würdiges Verfahren handle. (Bravo! rechts.)
Nach 4 ½ Uhr vertagt das Haus die weitere Beratung des
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Etats des Ministeriums des Innern auf Montag 11 Uhr.
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Nr. 18 des „Zentralblatts für das Deutsche Reich“ herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 26. April, hat folgenden Inhalt: 1) Konsulatwesen: Ermächtigungen zur Vornahme von Zivilstandsbandlungen; Exequaturerteilung. — 2) Allgemeine Ver⸗ waltungssachen: Verbot der ferneren Verbreitung der in Paris er⸗ scheinenden Druckschrift „La Vie en Culotte Rouge“. — 3) Finanz⸗ wesen: Nachweisung von Einnahmen der Reichspost⸗ und Telegraphen⸗ sowie der Reichseisenbahnverwaltung für die Zeit vom 1. April 1911 bis zum Schlusse des Monats März 1912. — 4) Marine und Schiff⸗ fahrt: Erscheinen des fünften Heftes des 19. Bandes der „Entschei⸗ dungen des Oberseeamts und der Seeämter des Deutschen Reichs“. — 5) Versicherungswesen: Beaussichtigung privater Versicherungsunter⸗ nehmungen durch die Landesbehörde. — 6) Polizeiwesen: von Ausländern aus dem Reichsgebiet. L