1912 / 108 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 May 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Gemeinde in eine andere aufgehen lassen soll. Ich habe nicht den Vindruck, als ob in dem schönen Wuppertal die Heimatliebe irgend wie geringer ist als anderswo, und die berufenen Organe haben die Verantwortung auf sich genommen. Wenn das Haus die Vorlage ablehnt, dann geht die Verantwortung auf dieses hohe Haus über, die Verantwortung dafür, daß die Stadt Elberfeld, die doch auch nach ihrer Vergangenheit und ihren Leistungen ein Edelstein in der Krone Preußens ist, in ihrer Entwicklung gehemmt wird.

Abg. Fleuster (Zentr.): Man kann doch nicht die geordneten Vertretungen der beteiligten Korporationen einfach ignorieren und die entscheidende Instanz allein in das Abgeordnetenhaus verlegen. Mit dem Zweckverbandsgesetz kann hier absolut nicht operiert werden; man kann hier nicht die Gemeinden zwangsweise für einen bestimmten Zweck zusammenschließen. Vohwinkel hat es nicht fertig gebracht, eine höhere Knabenschule oder eine höhere Mädchenschule vollständig auszubauen. Die Erfüllung dieser und anderer Kulturaufgaben wird erst möglich sein, wenn die Eingemeindung vollzogen ist. Der Industrie ist eine weitere Ausdehnung erst nach der Eingemeindung möglich. Die schwankenden Steuerlasten in Vohwinkel hindern die Industrie, sich jetzt in dem zur Verfügung stehenden Gelände nieder⸗ zulassen. Die Eingemeindung ist dringend im Interesse beider Ge⸗ meinden gelegen.

Abg. Gantert (fortschr. Volksp.) tritt gleichfalls für die Ein⸗ gemeindung ein, ist aber im einzelnen nicht zu verstehen, da sich wegen der bevorstehenden Abstimmung der Saal mit Abgeordneten füllt. (Der Vizepräsident Dr. Krause versucht wiederholt vergeblich, Ruhe herzustellen.)

Ein Schlußantrag wird gegen die Stimmen der Linken angenommen.

Persönlich bemerkt 1

Abg. Ecker⸗Winsen (nl.): Wie die Rede des Abg. von Brandenstein aufgenommen worden ist, zeigt eine Bemerkung, die der Abg. Hoffmann zu seinen Freunden gemacht hat: Wollen wir nicht einen Platz für den Abg. von Brandenstein frei halten?

Die Abstimmung bleibt bei Probe und Gegenprobe zweifelhaft. Die Auszählung ergibt die Ablehnung der Vor⸗ lage mit 151 gegen 121 Stimmen. Gegen die Vorlage stimmen die Konservativen, einige Freikonservative und ein Teil des Zentrums.

Die dazu vorliegenden erklärt.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Bewilligung weiterer Staats⸗ mittel (14 Millionen Mark) zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen Betrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten, in Verbindung mit der Besprechung der Denkschrift über die Ausführung der vorangegangenen gleichartigen Gesetze.

Abg. Dr. König (Zentr.): Wir stehen der Vorlage sehr sym⸗ pathisch gegenüber, würden aber doch eine Kommissionsberatung für angezeigt halten, zumal da jetzt die Denkschrift vorliegt und eine Reihe von Fragen zu besprechen sein wird. So wäre zu erörtern, ob nicht die Gewährung von Einzeldarlehen mehr gefördert werden könnte; die Denkschrift gibt darüber nicht genügend Aufschluß. In solchen Fällen müßten natürlich die Bedingungen herabgesetzt werden. Dann muß näher Auskunft darüber gegeben werden, ob nicht zu große Wohnungen vorhanden sind. Erwünscht wäre auch eine Aufstellung darüber, wie sich die Mietspreise zu den ortsüblichen Mietspreisen stellen. Wenn Bauplätze beliehen werden, so muß eine Sicherheit dafür gegeben sein, daß die Spekulation ausgeschlossen wird.

Abg. Freiherr von Maltzahn k(kons.): Die geforderten 14 Millionen stellen meine Freunde gern zur Verfügung. Es wäre sehr wünschenswert, wenn eine eingehende Beratung in einer Kom⸗ mission stattfinden würde. Ich fürchte aber, daß dies nicht möglich sein würde, weil die Kommissionen, insbesondere die Budget⸗ kommission, sehr überlastet sind. Meine politischen Freunde stehen daher auf dem Standpunkt, daß es wünschenswert ist, diesen Gesetz⸗ entwurf ohne Kommissionsberatung in erster und zweiter Lesung gleich zu verabschieden. Dieses Werk, für das bis jetzt 144 Millionen ausgegeben worden sind, hat eine eminente Bedeutung für unsere Volkswohlfahrt. Es kommt aber darauf an, daß die festgelegten Grundsätze auch genau innegehalten werden. Aus der Denkschrift geht ja hervor, daß keine großen Wohnungen gebaut worden sind. Mir liegen aber gleichwohl verschiedene Beschwerden vor. Wenn tatsächlich Wohnungen mit einem Mietspreis von 850 bis 900 gebaut werden, so sind die Mittel nicht zweckmäßig verwandt. Es ist auch darüber geklagt worden, daß kleinere Wohnungen zu großen zu⸗ sammengelegt werden. Das würde eine Umgehung bedeuten. Die Regierung muß eine ausgiebige Kontrolle darüber ausüben, daß das Geld auch in richtiger Weise verwandt wird. Im großen und ganzen sind meine Freunde mit der Art und Weise der Verwendung der Gelder einverstanden. Ich habe hierbei noch dem Wunsche Aus⸗ druck zu geben, daß die Schwierigkeiten, die zwischen den ver⸗ schiedenen Ressorts entstanden sind, unter allen Umständen beseitigt werden mögen. . 1

Abg. Delius (fortschr. Volksp.): Wir begrüßen es mit großer Freude, daß auch in diesem Jahre wieder diese Vorlage gemacht ist; die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse wird immer unsere Zu⸗ stimmung finden, denn sie steht im engsten Zusammenhange mit der Volksgefundheit. Seit 10 Jahren sind mit diesen Mitteln des Staates 15 750 Wohnungen gebaut worden. Davon scheint uns der Prozentsatz der Wohnungen, die für die mittleren Beamten gebaut sind, doch etwas zu hoch, denn in erster Linie sollten diese Mittel für Arbeiter und Unterbeamte bestimmt sein. Die Wohnungen sind billig und solid. Nach Möglichkeit soll man daran festhalten, Ein⸗ oder Zweifamilienhäuser zu bauen, gerade in der Eisenbahnverwaltung, für die die Beschaffung des Terrains nicht unerschwinglich ist. Zu gering erscheint uns der Umfang einer Wohnung mit 28,5 qm Nutz⸗ fläche; man sollte wenigstens 45 qm vorsehen. Wir wünschen, daß auch Badegelegenheit geschaffen wird. Die Mietspreise müssen für die einzelnen Orte einheitlich festgesetzt werden. Es sind uns Klagen zugekommen, namentlich aus Posen, daß Wohnungen, die für die Unterbeamten bestimmt waren, von mittleren Beamten gemietet worden sind, sodaß die Unterbeamten keine Wohnungen bekommen konnten. Das muß verhindert werden. Es darf auch nicht vorkommen, daß zwei Wohnungen für mittlere Beamte zu einer Wohnung für einen höheren Beamten zusammengelegt werden. Das widerspricht dem Zweck dieser Gesetze. Bei der Unterstützung von Baugenossenschaften müssen besonders diejenigen bedacht werden, die von Staatsbeamten und Staatsarbeitern gebildet sind. Die staatlichen Bauten sind in der Regel nicht gerade ästhetisch schön, aber erfreulich ist, daß die Eisen⸗ bahnverwaltung in manchen Fällen die Bahnwärterhäuser der land⸗ schaftlichen Umgebung im Stile angepaßt hat. In dem Bestreben, auch Gartenland zu geben, muß fortgefahren werden, die Regierung müßte auch ihrerseits die Gartenstadtbewegung unterstützen. Auch für die Erwerbung kleiner Anwesen müssen Mittel bereitgestellt werden. Natürlich soll der Staat nicht da Wohnungen bauen, wo genügend gute und billige Wohnungen von Privaten zur Verfügung gestestt werden, sondern nur da, wo die Wohnungen teuer und knapp sind. Die staatlichen Arbeiter und Unterbeamten erkennen den Segen dieser Gesetze durchaus an, und es ist nicht richtig, wie die Sozialdemokraten im vorigen Jahre sagten, daß auch hier wieder die Beamten und Staatsarbeiter auf Wohltätigkeiten angewiesen seien. Der Staat hat vielmehr hier ein Stück Wohnungspolitik getrieben, das für industrielle Unternehmungen vorbildlich sein kann. 8

Abg. Dr. Röchling (nl.): Auch meine Freunde begrüßen diese Gesetzgebung mit Freude, und ich verweise auf das, was mein Freund Schroeder⸗Cassel früher bierüber gesagt hat. Wir wünschen die Erledigung der Vorlage ohne Kommissionsberatung; bis dat, qui cito dat! 8 . 8 1u

Petitionen werden für erledigt

Abg. Dr. König (GZentr.) erklärt, seinen Antrag auf Kommissionsberatung zurückziehen zu wollen unter der daß im nächsten Jahre eine eingehende Kommissionsberatung über diesen Gegenstand stattfinden werde.

Geheimer Regierungsrat Dr. Saenger: Im Ministerium des Innern werden auch Einzeldarlehen, soweit wie möglich, gegeben; wir können allerdings nicht darauf verzichten, daß eine Ueberwachung dieser Einzeldarlehen durch eine Baugenossenschaft oder eine Gemeinde stattfindet. Die Regierung beabsichtigt ferner durchaus nicht, den Bau von größeren Wohnungen zu fördern. Die Denkschrift setzt eingehend auseinander, daß die Baugenossenschaften, die vom Staate unterstützt werden, auch größere Wohnungen haben, wir halten aber streng daran fest, daß diese größeren Wohnungen von vorn⸗ herein ausgeschieden werden, und daß die Leistungen, die der Staat der Genossenschaft bewilligt, entsprechend gekürzt werden. Bei der Beleihung müssen wir natürlich im Interesse einer ziel⸗ bewußten gesunden Wohnungspolitik Vorsicht üben, zu Spekulations⸗ zwecken wird die Regierung niemals Hilfe leisten. Bei der Fest⸗ setzung der Mietspreise muß die Regierung sich in erster Linie von gesunder Wirtschaftlichkeit leiten lassen. Die Mietspreise der Ge⸗ nossenschaften bleiben im allgemeinen etwas hinter den übrigen Mietspreisen zurück. Aber gewöhnlich liegen die Wohnungen der Genossenschaften auch weit draußen. Verhandlungen über die Beleihung von Restgütern sind in der Schwebe. Die Vergebung der Bauten erfolgt in der Regel an Handwerker, und es ist eine große Ausnahme, wenn, wie in Königsberg, ein großer Unternehmer herangezogen wird. Die Gartenstadtbewegung, wird von der Regierung sehr gern unterstützt, und es wird namentlich in Berlin und Königsberg geschehen, sobald dieses Gesetz angenommen ist. Auch dem Erbbaurecht wird fortgesetzt von der Re⸗ gierung Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn Wohnungen zusammengelegt sind, um eine Wohnung für einen höheren Beamten zu schaffen, so wird das von der Regierung nicht gebilligt. Der Fall in Posen, daß Unterbeamtenwohnungen, die für sie errichtet waren, weg⸗ genommen und mittleren Beamten gegeben sind, ist darauf zurück⸗ zuführen, daß in Posen ein ganz ungewöhnlicher Wohnungsmangel herrscht und mittlere Beamte vorübergehend keine Wohnung finden konnten. Das Mißverhältnis in der Verteilung der Wohnungen auf die mittleren und unteren Beamten im Ministerium des Innern kommt daher, daß gerade in diesem Ressort im Gegensatz zur Berg⸗ verwaltung und Eisenbahnverwaltung die Arbeiter fast ganz aus⸗ scheiden und die mittleren Beamten einen verhältnismäßig großen Prozentsatz ausmachen. Aus der Denkschrift werden Sie sich überzeugen, daß durchaus die Interessen der Arbeiter und Unter⸗ beamten bei der Verteilung der Wohnungen berücksichtigt werden. Besonders dankbar bin ich dafür, daß durch die Zurückziehung des Antrages auf Kommissionsberatung das Gesetz schleunig zustande kommen wird.

Damit schließt die erste Lesung, die Vorlage wird sofort ohne Debatte in zweiter Beratung angenommen.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Umlegung von Grundstücken in der Residenzstadt Wiesbaden.

Unterstaatssekretar Dr. Freiherr von Coels von der Brügghen: Es handelt sich hier darum, die lex Adickes, die bisher auf Cöln und Posen ausgedehnt war, auch auf Wiesbaden anzuwenden. Während aber hauptsächlich in jenen Städten Bezirke mit geschlossener Bauweise in Betracht kamen, handelt es sich hier bei Wiesbaden um Außenbezirke, in welchen eine offene Bau⸗ weise stattfindet. Hier ist eine sehr starke Zersplitterung des Grundbesitzes vorhanden. Wieshaden legt auf die Entwicklung der Bauweise in diesem Bezirk ganz besonderen Wert, weil er zur Aus⸗ dereeneh 8 Badestadt und Residenzstadt Wiesbaden unbedingt er⸗ orderlich ist.

Abg. von Pappenheim (kons.): Die lex Adickes, die hier auf Wtesbaden ausgedehnt werden soll, hat seinerzeit ernste Bedenken im Kreise meiner Freunde hervorgerufen. Wir haben nicht verkannt, daß es die Absicht des Gesetzes ist, in großzügiger Weise Ver⸗ besserungen gegenüber den bestehenden Verhältnissen herbeizuführen. Aber die scharfen Eingriffe, die dabei in das Eigentumsrecht und wohlerworbene Rechte erfolgen mußten, haben es uns doch bedenklich erscheinen lassen, dem damals beantragten Modus zuzustimmen, daß dieses Gesetz durch Königliche Verordnung be⸗ liebig auf andere Städte ausgedehnt werden kann. Es ist in⸗ zwischen auf Cöln und Posen ausgedehnt worden. Aber hier lagen ganz andere Verhältnisse als in Wiesbaden vor, denn es handelte sich um das Bedürfnis nach Sanierung der inneren Stadt und Schaffung von geschlossenen Baublöcken. Das hat uns dazu geführt, das Gesetz anzunehmen. Die Er⸗ fahrungen, die man in Frankfurt damit gemacht hat, sind nun sehr verschiedenartig, zum Teil ausgezeichnete, sie haben aber zum Teil zu einer sehr schweren Belastung der Stadtbilanz geführt und ihren Zweck nicht erreicht, sodaß zum Teil Frankfurt wie eine beschossene Stadt nach einer Belagerung aussieht. In Wiesbaden handelt es sich nun nicht um die innere Stadt, sondern um das um die Stadt herumliegende Baugelände für eine wohlhabende Bevölkerung. Ich bin deshalb dafür, die Vorlage der Gemeindekommission zur Vor⸗ prüfung zu überweisen, ich glaube und hoffe, daß es der Gemeinde⸗ kommission gelingen wird, die Bedenken aus dem Wege zu räumen.

Abg. Bartling (nl.): Als genauer Kenner der örtlichen Ver⸗ hältnisse kann ich nur dringend um Zustimmung zu dem Entwurf bitten. Der Stadt muß unbedingt die Möglichkeit geschaffen werden, sich weiter auszudehnen. Der Magistrat und die Stadtverordneten⸗ versammlung sind sich darüber einig, daß nur dann bessere Verhältnisse eintreten, wenn die zwangsweise Zusammenlegung ermöglicht wird. Ich möchte den Abg. von Pappenheim bitten, seinen Antrag auf Kommissionsberatung zurückzuziehen. 8 89

Abg. von Pappenheim (konf.): Nach diesem Wunsche ziehe ich meinen Antrag auf Kommissionsberatung zurück.

Damit ist die erste Beratung erledigt. Der Gesetz⸗ entwurf wird in zweiter Lesung ohne Debatte angenommen.

Es folgt die Beratung des Gesetzentwurfs über die Polizei verwaltung im Regierungs bezirk Oppeln, wonach die örtliche Polizeiverwaltung in Zabrze⸗ Zaborze nach dem Vorbild der Polizeiverwaltungen in den Re⸗ gierungsbezirken Düsseldorf, Arnsberg und Münster auf den Staat übertragen wird.

Abg. Göbel (Zentr.): Die Polizeikosten für Zaborze sind in ungeheuerer Weise angewachsen. Durch die Verstaatlichung der Polizei werden die Polizeikosten bedeutend geringer werden, und es werden Mittel für andere dringende Kulturaufgaben frei. Meine Freunde hoffen und wünschen, daß die staatlichen Polizeiorgane es nicht an dem erforderlichen Takte werden fehlen lassen. Ich hoffe, daß staatliche Polizeiorgane, falls ein Einschreiten erforderlich wird, nicht mit allzu großer Schneidigkeit, sondern mit Ruhe und Besonnenheit vorgehen werden, und daß die staatliche Po⸗ lizei nicht ihre Hauptaufgabe darin sehen wird, der poli⸗ tischen Gesinnung der Bevölkerung in Oberschlesien nachzuspüren. Sonst werden die Vorteile zum großen Teil wieder illusorisch gemacht und die nationalen Wirrungen, unter denen wir zu leiden haben, noch mehr zunehmen. Es wird auch weiter notwendig sein, besonders an der österreichischen und russischen Grenze, weitere Königliche Polizei⸗ verwaltungen einzurichten. Der Gesetzentwurf geht über die Entwürfe für Düsseldorf, Arnsberg und Münster hinaus, indem der staatlichen Polizei auch die Gesundheitspolizei, einschließlich der Veterinärpolizei, übertragen wird. Das entspricht dem Wunsche der beteiligten Ge⸗ meinden. Wir haben aber den Wunsch, daß der kommunalen Po izei die Genehmigung der auf Grund § 38 der G⸗O. genehmigungs⸗ pflichtigen Gewerbe verbleiben möge. Zu wünschen ist dringend, daß die kommunalen Organe in die Königliche Polizeiverwaltung über⸗ nommen werden; die Beamten würden sich zurückgesetzt fühlen, da sie in jeder Weise ihre Pflicht getan haben. Es würde zur Beruhigung

. der betreffenden Kreise beitragen, wenn die Staatsregierung eine der⸗ artige Erklärung abgeben würde.

Ein Regierungskommissar erklärt: Ich kann die Zu⸗ sicherung geben, daß in der Uebernahme der bisherigen kommunalen Beamten das größte Entgegenkommen geübt werden wird.

Abg. Reimer (kons.): Im Namen meiner politischen Freunde kann ich erklären, daß wir der Vorlage ohne Kommissionsberatung zustimmen werden.

Damit schließt die erste Lesung. Der Entwurf wird in zweiter Lesung ohne Debatte angenommen.

Das Ausführungsgesetz zur Maß⸗ und Gewichtsordnung vom 30. Mai 1908 wird in zweiter Beratung ohne Debatte angenommen.

Die dazu vorliegende Petition des Deutschen Apotheker⸗ vereins, daß die Maße und Gewichte in Apotheken von der Nacheichung ausgenommen werden sollen, beantragt die Kom⸗ mission, für erledigt zu erklären.

Abg. Gyßling (fortschr. Volksp.): Diese Petition wird damit begründet, daß die Apotheken nach der „Anweisung für die amtliche Besichtigung der Apotheken“ innerhalb von drei. Jahren mindestens einer amtlichen, vorher geheim zu haltenden Besichtigung in unregel⸗ mäßigen Zwischenfristen durch Bevollmächtigte der Regierungs⸗ präsidenten unterzogen werden. Damit ist schon dLie nötige Vorsorge für die Ueberwachung der Maße und Gewichte gegeben. Der Re⸗ gierungsvertreter hat in der Kommission erklärt, daß bei der Ueber⸗ wachung der Maße und Gewichte in den Apotheken voraussichtlich Aenderungen nicht eintreten würden. Dieses Wort „voraussichtlich“ hat aber Besorgnisse erweckt. 8

Ein Regierungskommissar erwidert, daß diese vor⸗ sichtige Ausdrucksweise nur gewählt worden sei, weil unübersehbare Verhältnisse einnal eine Aenderung nötig machen könnten. Er könne aber erklären, daß mit einem großen Grad von Wahrscheinlich⸗ keit der § 4 auf die Apotheken keine Anwendung finden werde.

Die Petition wird nach dem Kommissionsbeschluß für er⸗ ledigt erklärt.

Schluß 4 ¼ Uhr.

Nächste Sitzung Sonnabend 11 Uhr. (Dritte Etatsberatung.)

Parlamentarische Nachrichten.

Der Entwurf eines Gesetzes über Stärkung des Deutschtums ineinigenpreußischen Landesteilen (Besitzfestigungsgesetz)

ist nebst Begründung dem Hause der Abgeordneten zu⸗ gegangen. Der Gesetzentwurf lautet, wie folgt: § 1.

Der Staatsregierung werden 100 Millionen Mark mit der Be⸗ stimmung zur Verfügung gestellt, zur Festigung und Stärkung des deutschen ländlichen Besitzstandes in den national gefährdeten Teilen Ferteinod änen Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Schleswig⸗

olstein

1) ländliche Grundstücke, und zwar bäuerliche und größere Güter, zu erwerben und als Rentengüter im ganzen oder unter be⸗ sonderen Umständen auch stückweise gegen vollständige Schad⸗ loshaltung des Staats an deutsche Landwirte und Arbeiter zu veräußern,

2) den Staat mit Stammeinlagen bei gemeinnützigen Gesell⸗ schaften zu beteiligen, denen die Vermittlung bei der Bildung der Rentengüter, und die Sicherung der Schadloshaltung des Staats (Nr. 1) übertragen wird.

Welche Teile der in dem Abs. 1 genannten Provinzen als national gefährdet anzusehen sind, wird durch Königliche Verordnung bestimmt. 1 1

Für größere Güter (Nr. 1) dürfen im ganzen nicht mehr als 25 Millionen, zu Stammeinlagen (Nr. 2) im ganzen nicht mehr als 5 Millionen Mark verwendet werden.

Vor der Veräußerung der Grundstücke 1 Abs. 1 Nr. 1) ist

ihre Belastung zu ordnen; außer der vom Erwerber zu übernehmenden festen Geldrente für den Staat 1 Abs. 1 Nr. 1), die nur mit Zustimmung beider Teile ablösbar sein soll, dürfen die Grundstücke bei der Veräußerung in der Regel mit keinen anderen Schulden als einem Landschafts⸗ oder anderem Abtragdarlehn und einer Abtragrente des Staats belastet werden oder I sein.

Die Erhaltung der Rentengüter in deutschem Eigentum und Besitz, ihr Fortbestand als selbständige Anwesen und die Wahrung ihrer Betriebsfähigkeit sind durch ein Wiederkaufsrecht nach Artikel 29. des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 20. Sep⸗ tember 1899 (Gesetzsamml. S. 177) zu sichern. Der Eigentümer kann von den ihm auferlegten Beschränkungen und Verpflichtungen nicht nach den §§ 3, 4 des Gesetzes über Rentengüter vom 27. Juni 1890 (Gesetzsamml. S. 209) durch richterliche Entscheidung befreit werden. 88 8

8 8 Die Geltung des Gesetzes, betreffend das Anerbenrecht bei Renten⸗ und Ansiedlungsgütern, vom 8. Juni 1896 (Gesetzsamml. S. 124 wird auf die nach diesem Gesetze gegründeten Rentengüter ausgedehnt Der Finanzminister wird ermächtigt, zur Bereitstellung der nach § 1 erforderlichen Summe Staatsschuldverschreibungen auszugeben An Stelle der Staatsschuldverschreibungen können vorübergehen Schatzanweisungen ausgegeben werden. Der Fälligkeitstermin ist in den Schatzanweisungen anzugeben. „Derr Finanzminister wird ermächtigt, die Mittel zur Einlösung dieser Schatzanweisungen durch Ausgabe von neuen Schatzanweisungen und von Schuldverschreibungen in dem erforderlichen Nennbetrage zu. Die Schatzanweisungen können wiederholt ausgegeben werden. 8 Schatzanweisungen oder Schuldverschreibungen, die zur Einlösung von fällig werdenden Schatzanweisungen bestimmt sind, hat die Hauptverwaltung der Staatsschulden auf Anordnung des Finanz⸗ ministers 14 Tage vor dem Fälligkeitstermine zur Verfügung zu halten. Die Verzinsung der neuen Schuldpapiere darf nicht vor dem Zeltpunkte beginnen, mit dem die Verzinsung der ein⸗ zulösenden Schatzanweisungen aufhört. Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Kursen die Schatzanweisungen und die Schuldverschreibungen ausgegeben werden sollen, bestimmt der Finanzminister. Im übrige kommen wegen der Verwaltung und Tilgung der Anleih die Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Konsolidatio Preußischer Staatsanleihen, vom 19. Dezember 1869 (Gesetzsamml. S. 1197), des Gesetzes, betreffend die Tilgung von Staatsschulden, vom 8. März 1897 (Gesetzsamml. S. 43) und des Gesetzes, betreffend die Bildung eines Ausgleichfonds für die Eisenbahnverwaltung, vom 3. Mai 1903 (Gesepzsamml. S. 155) zur Anwendung. Die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei der Ausführung dieses Gesetzes sind von Gerichts ehühren und Stempelsteuer frei. 8

Die Ausführung dieses Gesetzes, namentlich die Verwaltung der nach § 1 zur Verfügung gestellten Geldmittel und die Ausübung des Wiederkaufsrechts 3) ordnen, unbeschadet der Bestimmung im § 5, der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, der Finanz⸗ minister und der Minister des Innern. Bei den Anordnungen zur Aus führung des § 4 wirkt der Justizminister mit.

In der diesem Gesetzentwurf beigegebenen Begründung wird ausgeführt: .

Seit einer Reihe von Jahren dringt das Polentum von seinem bauptsitz in Westpreußen und Posen aus mehr und mehr in die Haneebiete der Nachbarprovinzen Ostpreußen, Pommern und Schlesien ein und sucht dort festen Fuß zu fassen. Zugleich sondert sc in Oberschlesien der polnisch sprechende Bevölkerungsteil infolge ir von Posen her hineingetragenen polnischen Volkstumbestrebungen he wachsendem Umfange politisch und wirtschaftlich ab. in vzin ähnliches Bestreben zeigt sich in Nordschleswig bei dem bänisch gesinnten Teile der Bevölkerung. Er trachtet, sich auszu⸗ breiten, die übrige, dieselbe plart⸗dänische Mundart sprechende ein⸗ beimische Bevölkerung zu sich herüberzuziehen und die Deutschen zu verdrängen, und er ist, nachdem er sich von ihnen poölitisch, kulturell nen gesellschaftlich geschieden hat, die See allmählich auch auf umn wirtschaftlichen Gebiete durchzuführen bemüht. den Eine Erscheinung von ernster Bedeutung, worin die Bestrebungen bier wie dort zum Ausdrucke kommen, ist die stetig weiter um sich reifende Besetzung deutschen ländlichen Grundbesitzes durch dem saulschen Staatsleben widerstrebende Bevölkerungsteile in diesen vor⸗ viegend landwirtschaftlichen Gebieten.

In dem ostpreußischen Regierungsbezirk Allenstein betrug in den zahren 1906 bis 1911 nach einer amtlichen Befitzwechselaufnahme der Fesamtverlust der deutschen an die polnische Hand 167 Besitzungen und 14 587 ha, der reine Verlust 146 Besitzungen und 8796 ha; be⸗ sonders stark war der Verlustnin den Jahren 1910 und 1911 und in ven an die polnischen Teile Westpreußens unmittelbar grenzenden sreisen Neidenburg und Osterode. *In dem pommerschen Regierungsbezirke Köslin besteht vor allem ir die 3 Kreise Bütow, Lauenburg und Stolp⸗Land von Westpreußen ber die Gefahr, daß Grundbesitz an Polen gelange. Von 1906 bis Joll verlor die deutsche Hand dort im ganzen 63 Besitzungen und an fläche 23699 ha und büßte rein 47 Besitzungen und 1789 ha ein. Luch in diesen Gebietsteilen ist der Verlust in den Jahren 1910 und joll beträchtlich gewachsen.

In der Provinz Schlesien sind namentlich die der Provinz Posen lenachbarten Teile Mitfel⸗ und Niederschlesiens dem Eindringen des Polentums stark ausgesetzt. Nach amtlicher Zählung gingen in zen Jahren 1906 bis 1911 in dem Regierungsbezirk Breslau 907 deutsche Besitzungen mit 11 594 ha und im Regierungsbezirk gienitz 154 deutsche Besitzungen mit 3263 ha an die polnische Hand verleren; der Reinverlust betrug im Regierungsbezirk Breslau 274 Befttzungen und 9634 ha und im Regierungsbezirke Liegnitz 145 Be⸗ stzungen und 2744 ha. Die größten Verluste hatten im Breslauer Feirk die Kreise Groß Wartenberg, Militsch, Trebnitz, Wohlau und Fuhrau und im Liegnitzer Bezirke die Kreise Glogau, Freystadt und Grünberg. Im Regierungsbezirk Oppeln betrug von 1906 bis 1911 der Gesamtverlust 1764 ha, der Reinverlust 892 ha. Die grovinz Schlesien als ein Ganzes hatte in den 6 Jahren imnen reinen Verlust von 13 270 ha in deutschem ländlichem Grundbesitz an die polnische Sene⸗ davon fallen die Haupt⸗ vosten von 4014 und 3488 ha, zusammen über 56 v. H., in die beiden lzten Jahre 1910 und 1911. 8

In den nordschleswigschen Kreisen Hadersleben, Apenrade, Ton⸗ dern und Sonderburg, auf die sich die dänische Bewegung erstreckt, vird die Grundbesitzverschiebung zwischen den Deutsch⸗ und den Dänisch⸗ geiunten erst seit Anfang 1910 einigermaßen zuverlässig aufgezeichnet. Das Ergebnis in den beiden Jahren 1910 und 1911 ist ein reiner

Lerlust auf der deutschen Seite von 10 Besitzungen und 322 ha bei

einem Rohverluste von 201 Besitzungen und 3259 ha; der große

V Unterschted zwischen dem Roh⸗ und dem Reinverluste zeigt die Heftig⸗

kit des Wettbewerbs der beiden Nationalitäten um den Grundbesitz und die Bedeutung an, die der Herrschaft über den Grund und Boden in dem nationalen Machtkampfe beigelegt wird.

Mit dem Grundbesitz ist die Volkszahl der fremden Nationa⸗ litäten in den gefährdeten Gebieten stark gewachsen. Nach den vom Statistischen Landesamte festgestellten Volkszählungsergebnissen betrug in den früher rein deutschen pommerschen Kreisen

Bütow, Lauenburg u. Stolp⸗Land die Zgahl der Polen 1900: 3575 2152 251 und 1910:

8 4309 2807 808 se ist also in den 10 Jahren b umm. 30,4 und 222 v. H In den am meisten bedrohten Kreisen Schlesiens stellte sich das rhältnis der Zahl der Polen 1900 und 1910, wie folgt: Militsch Trebnitz Wohlau Guhrau 1900: 689 595 281 695 1910: 1534 1329 1303 2018 1900/1910: + 122,6 + 123,4 + 363,7 + 190,4 v. H. Glogau Freystadt Grünberg 1900: 1287 8[1 309 oI“ 19001910: + 81,6 + 280 X 139,1 v. H. luch diese Kreise waren vor nicht langer Zeit ganz deutsch. In Ostpreußen, den übrigen gefährdeten Teilen Schlesiens und in Nordschleswig ist die Muttersprache kein entscheidendes Merkmal der Nationalität. 1 Das Deutschtum ist für den preußischen Staat wesentlich. Der Aacturm, der in Sprache, Gewohnheiten und Kultur abweichenden Volkzteile dawider hemmt die Entwicklung eines einheitlich deutschen Loltstums und bringt das Staatswesen in Gefahr. Er stellt die Staatsregierung vor die Aufgabe, Anstalten zur Erhaltung, Festigung üat Stärkung des Deutschtums in den gefährdeten Landesteilen zu „Verschiedene Ursachen wirken dort zusammen, die Verschiebung der Grundbesitzverhältnisse zum Nachteile des deutschen Besitzstandes servorzubringen und zu foördern. Auf der deutschen Seite haupt⸗ üchlich: der in der Höhe der Grundstückspreise und in der Ungewiß⸗ beit ihrer Beständigkeit für die deutschen Besitzer liegende Reiz, si treg Grundbesitzes zu entäußern, um daraus rechtzeitig für si uhen zu zieben, die im allgemeinen hohe Verschuldung des Grundbesitzse, Unzulänglichkeit der Krediteinrichtungen und infolge⸗ slisen ein unsicherer und teurer Kredit besonders insoweit, als er die Mündelsicherheit überschreitet, sowie der Mangel einer geordneten, in deuischem Sinn arbeitenden Grundstücksvermittlung. Dazu auf fremdnationalen Seite: ausreichende Kreditpersorgung, gute Geratung und Unterstützung beim Grundstückskauf durch ein hahes Netz von Kredit⸗ und Grundstücksverkehrsanstalten und be⸗ sonders die Geneigtheit der Käufer, die Grundstücke unter Umständen tträchtlich zu überzahlen. Sie beruht nicht nur auf den nationalen Hestrebungen, sondern bei den Polen auch auf deren starkem Hange um Grundbesitz und ihrem mit der schnell wachsenden Volkszahl zu⸗ ehmenden Ausbreitungsbedürfnis und bei den dänischgesinnten Nord⸗ leswigern auf den für sie bestehenden Schwierigkeiten, sich anderswo Unter gleichen Verhältnissen seßhaft zu machen, da der Süden deutsch nd in Dänemark die Verwertung der Haupterzeugnisse der Landwirt⸗ ift weniger günstig ist. 8 do Es erscheint folgerichtig, mit den Maßnahmen zur Stärkung des utschtums bei diesen Ursachen einzusetzen und vor allem die wirt⸗ saftliche Lage der deutschen ländlichen Seseebenen durch gesunden, 18 und billigen Kredit zu bessern. Dazu soll nach dem Ge⸗ shentwurfe die in den Provinzen Westpreußen und Posen hntoöbte Besitzfesti8ung dienen. Sie besteht darln, daß die undstücke in Rentengüter umgebildet, die jederzeit kündbaren eist zu verzinsenden Grundstücksschulden bei Privaten

1 Hoch

efetigt und die Grundstücke dafür grundsätzlich nur mit unkünd⸗ 8 Abtragschulden, und zwar soweit als möglich mit einem 88 ehn der Landschaft oder einer gemeinwirtschaftlichen Kreditanstalt d darüber hinaus mit einer Abtragrente des Staats belostet werden.

wirtschaftlichen

Vorteile, die in den volkswirtschaftlich ge⸗ underen Formen

er 8 der Verschuldung und dem billigeren Zinsfuße on staatlichen Rente geboten werden, sind so groß, daß dafür bn den Grundstücksbesitzern die Unterwerfung unter die Be⸗

schränkung verlangt werden kann, ihren Besitz nicht an jemanden zu veräußern, der dem deutscheu Staatsleben widerstrebt. Dies muß die Voraussetzung der Besitzfestigung bilden.

„Neben dieser auf die wirtschaftliche Stärkung und nationale Sicherung des deutschen Grundbesitzes gerichteten Maßnahme kommt es darauf an, eine gut und sicher eingreifende Kaufvermittlung für den deutschen Grundstücksmarkt . e

u 8

Die Besitzfestigung soll nach dem Gesetzentwurf auf die „national⸗ gefährdeten Teile“ Ostpreußens, Pommerns, Schlesiens und Schleswig⸗ Holsteins beschränkt werden (Abs. 1). Die Einschränkung ist not⸗ wendig, weil die Hergabe von Staatsmitteln zur privatwirtschaftlichen Förderung einzelner Staatsangehöriger nur in der Gefahr für das deutsche Wesen des Staats, die aus der zunehmenden Entziehung deutschen Grundbesitzes durch fremdnationale Erwerbererwächst, ihre Recht⸗ fertigung findet. Daher müssen auch die Gebiete, wo die Befitzfestigung mit Staatsgeld zugelassen werden soll, engabgeteilt werden: nurdie Kreise und Kreisteile (Amts⸗ und Gemeindebezirke usw.), für die die Gefahr, daß deutscher Grundbesitz an die fremdnationale Hand verloren gehe, tatfächlich nachgewiesen ist, können hineingezogen werden. Die genaue Bestimmung der Gebietsteile gehört nicht zur Gesetzgebung, sondern ist der Vollziehung zu überlassen. Das hat außerdem den Vorteil, daß Fehlgriffe kurzweg ohne die Weitläufigkeit einer Gesetzesänderung abgestellt werden können. Das Erfordernis Königlicher Verordnung (Abs. 2) bietet die Gewähr, daß dabei der Absicht des Gesetzes genügt und sein Ziel nicht außer acht gelassen werde.

Nach dem geltenden Recht ist Rentengut ein Grundstück, das gegen Uebernahme einer festen Geldrente zum Eigentum üͤbertragen ist. Der Staat muß daher das Eigentum an den zu Rentengütern umzubildenden ländlichen Grundstücken vorerst selbst erwerben. Die Grundstücke sind in der Regel im ganzen sofort wieder zu veräußern. Nur unter besonderen Umständen soll die Veräußerung in Stücken zulässig sein (Abs. 1. Nr. 1). Sie walten ob, wenn ein größeres Gut unter Verwendung vorhandener Gehöfte in mehrere selbständige Güter zerlegt werden kann, oder wenn die Abtrennung von Teilen einer Besitzung zur Vergrößerung anderer zu festigender Besitzungen oder auch zur Errschtung selbständiger Arbeiterstellen unter Verwendung von Arbeiterhäusern möglich oder geboten ist. Der Erwerb von Grundstücken aus den bereit⸗ zustellenden Staatsgeldern zur Aufteilung in neu einzurichtende Stellen ist nicht beabsichtigt. Gewöhnlich soll der Voreigentümer das Rentengut übernehmen; über die Fälle hinaus, wo das Grund⸗ stück stückweise veräußert wird, kann aber in Verbindung mit der Besitzfestigung ein Besitzwechsel geregelt werden, sodaß das Eigentum danach nicht an den Voreigentümer, sondern an dessen Käufer und zu übertragen wäre.

Die durch die Besitfefigung entstehenden Rentengüter dürfen nur an deutsche Landwirte und Arbeiter veräußert werden (Abs. 1 Nr. 1 a. E.). Der Ausdruck „deutsch“ ist ebenso wie schon in dem Gesetze, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und in dem Gesetze über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Pro⸗ vinzen Westpreußen und Posen, vom 20. März 1908 nicht im staatsrechtlichen Sinne, wonach er die Reichsangehörigkeit be⸗ deutet, zu verstehen, sondern soll die Zugehörigkeit zum Deutschtum in nationalem Sinne bezeichnen. Die Unterscheidung der „deutschen⸗ in dieser Bedeutung von den fremdnationalen Reichsangehörigen ist nach der gesamten Stellung des Einzelnen und seiner Familie zum deutschen Staatsleben zu treffen. Die nähere Bestimmung der Unter⸗ Ihweng reehr. muß den Ausführungsvorschriften 7) vorbehalten

eiben.

Die vorgeschriebene „vollständige Schadloshaltung“ des Staats (Abs. 1 Nr. 1) trifft nicht das Verhältnis der Rente zu dem Werte des Grundstücks, sondern deren Verhältnis zu dem Geldaufwande, der für den Staat mit der Bildung der Rentenguͤter verbunden ist. Soweit als diese Schadloshaltung nicht durch unmittelbaren Ersatz der aufgewendeten Geldsumme, sondern in der Form der Zinszahlung geleistet wird, soll nicht der wechselnde Zinsfuß, der sich jeweilig für die einzelnen aufgenommenen Anleihen 5) ergibt, sondern ein nach den Erfahrungen längerer Zeiträume zu bestimmender Zinssatz (bis auf weiteres 3 ¾ v. H.) zugrunde gelegt werden.

Es ist geplant, die Besitzfestigung auf der Selbsthilfe, der sie im Grunde zufaäͤllt, zu gestalten und das landwirtschaftliche Genossen⸗ schaftswesen zur Mitwirkung heranzuziehen. Daher soll die geschäft⸗ liche Abwicklung der Besitzfestigung gemeinnützigen nach dem Gesetze vom 20. April 1892/20. Mai 1898 (Reichsgesetzbl. S. 846) er⸗ richteten Gesellschaften übertragen werden, die für die Sicherheit der Staatsrente unter Beteiligung der Orts⸗Spar⸗ und Darlehnskassen ein⸗ zustehen haben (Abs. 1 Nr. 2). Zur Bestreitung ihrer Verwaltungs⸗ kosten können die Gesellschaften für die Besitzfestigung eine Vermittler⸗ gebühr von den Besitzern erheben. Der Staat soll nur Geldgeber für den Gegenwert der zu übernehmenden Staatsrenten sein. Diese Regelung hat sich in Westpreußen und Posen bewährt. Sie ist für die Festigung des bäuerlichen Besitzes auch dadurch geboten, daß der Staatsverwaltung die mit den wirtschaftlichen Sonderverhältnissen der verschiedenen Gebietsteile und der einzelnen Grundstücksbesitzer genügend vertrauten Ortsorgane fehlen, die befähigt wären, mit eigener geschäftlicher Verantwortlichkeit die Grundstückstaxen auf⸗ zunehmen und dauernd über die Sicherheit der Renten zu wachen. Die Regelung empfiehlt sich außerdem allgemein, weil sie vor anderen die strenge Wahrung rein wirtschaftlicher Grundsätze bei der mit der Festigung verbundenen Beleihung der Grundstücke gewährleistet. Wo sich keine geeignete Spar⸗ und Darlehnskasse und auch kein Ersatz für den Ausfall ihrer Bürgschaft in anderer der Landessitte entsprechenden Weise findet, soll die ver⸗ mittelnde Gesellschaft allein die Haftung für die Renten übernehmen. Dies wird bei den größeren Gütern der Regelfall sein. Zur Er⸗ leichterung des Risikos für die Gesellschaft und die bürgenden Kassen soll in die Rente ein Sicherheitsbeitrag oder ein Bürgschaftsentgelt eingeschlossen werden.

Spoweit als in den beteiligten Provinzen schon gemeinnützige Ge⸗ sellschaften bestehen, die sich nach ihrem Gesellschaftszweck und ihrer Vermögensgrundlage für das Besitzfestigungsgeschäft eignen, wie die gemeinnützigen Landgesellschaften, soll die Heshe tigung nach Möglich⸗ keit ihnen übertragen werden. Sonst ist dafür eine Gesellschaft eigens zu errichten. In jedem Falle muß der Staat Gesellschafter sein, und zwar mit Stammeinlagen, die ihm einen maßgebenden Einfluß auf die Geschäftsführung sichern.

Indem so bei der Besitzfestigung die sie vermittelnden Gesell⸗ schaften mit den ländlichen Ortsgenossenschaften verkoppelt werden, wird zugleich die Grundlage für eine geordnete Kauf⸗ und Verkaufs⸗ vermittlung auf dem deutschen Grundstücksmarkte gewonnen.

Die Summe der 8. Staatsmittel kann nur frei gegriffen werden, weil die der Besitzfestigung zu unter⸗ werfenden Gebiete und daher Zahl, Fläche und Wert der in Betracht kommenden Grundstücke nicht feststehen, und nicht vorausgesehen werden kann, wie sich die Maßnahme bei den beteiligten Besitzern einführen und in welchem Umfange sie durchführbar sein wird. In Westpreußen und Posen hat der Staat für die Festigung von 121 098 ha Bauernland 54 234 947 im Durchschnitte 448 für 1 ha, und für die Festigung von 55 721 ha Gutsland 18 291 967 ℳ, für 1 ha 328 ℳ, aufgewendet. Diese Durch⸗ schnittbeträge können als Anhalt dienen. Vorläufig bestimmt der Gesetz⸗ entwurf hiernach für die Durchführung der Besitzfestigung 100 Millionen Mark, davon 5 Millionen als Höchstbetraa für Stammeinlagen, 25 Millionen Mark als Höchstbetrag für die Festigung größerer Güter und den Rest, mindestens 70 Millionen Mark, für die Festigung bäuerlicher Grundstücke. Es könnten damit also ungefähr 76 000 ha Gutsland und 155 000 ha Bauernland gefestigt werden, was vielleicht genügen wird, den deutschen Besitz wenigstens in den am meisten gefährdeten Gebietsteilen zu sichern. Das Verhältnis der für die beiden Besitzklassen bestimmten Summen beruht auf folgender Anteils⸗ berechnung: Die Fläche der landwirtschaftlichen Großbetriebe (100 ha und mehr) beträgt in den beteiligten Regierungsbezirken zusammen⸗ genommen 30 v. H. der Fläͤche der dortigen landwirtschaft⸗

lichen Betriebe überhaupt, und die Fläche der deutschen Großbetriebe in Westpreußen und Posen stellt sich insgesamt auf 42,5 p. H. der Fläche aller deutschen landwirtschaftlichen Betriebe in den beiden Pro⸗ vinzen; da 1910 und 1911 die größeren Güter an der vom Staate für die Besitzfestigung in Westpreußen und Posen aufgewendeten Geldsumme mit 38,5 v. H. beteiligt sind, so müßte der Anteil der größeren Güter an der im Gesetzentwurf für die reine Besitzfestigung

. 3 1 bestimmten Summe von 95 Millionen Mark 42,5 30 = 27 v. H. betragen. Tatsächlich ist er auf 26,3 v. H. festgesetzt. 1““

Die Uebernahme einer festen Geldrente gehört zum Wesen des Rentenguts. Nach dem Sprachgebrauche der preußischen Gesetzgebung ist unter „fester Geldrente“ eine Geldrente von festem Betrage zu verstehen. Ueber den Betrag selbst enthält die preußische Renten⸗ gutsgesetzgebung keine Vorschrift. Insbesondere bietet sie keinen Anhalt dafür, daß der Betrag in einem bestimmten Ver⸗ hältnisse zu dem Werte des Grundstücks stehen müsse. Auch folgt aus dem Wesen der Rente als Gegenleistung nicht, daß sie die einzige Gegenleistung zu sein oder auch nur nur tatsächlich und nach der Ab⸗ sicht der Vertragschließenden den wesentlichsten Teil der Gegenleistung auszumachen habe. Es ist also ganz der Festsetzung im Vertrag über⸗ lassen, den Betrag der Rente nach den Umständen des einzelnen Falls zu bestimmen. Sofern die Beteiligten nur ernstlich die Gründung eines Rentenguts wollen, genügt es, daß überhaupt eine feste Geld⸗ rente als Gegenleistung vereinbart wird.

„Die Vorschriften über die sonstige Belastung der nach § 1 zu gründenden Rentengüter finden in dem zu § 1 Gesagten ihre Be⸗ gründung. Eine Ausnahme von der im § 2 aufgestellten Regel kann gemacht werden, wenn ein Grundstück mit Forderungen belastet ist, durch deren Beseitigung sich die Jahresleistungen aus dem Grundstück erhöhen würden, wie künftig wegfallende Altenteile oder Ausgedinge gering zu verzinsende oder unverzinsliche Verwandtengelder. 8

Zu § 3.

Die Anordnung fußt auf den Vorschriften der §§ 3 und 4 des Gesetzes über Rentengüter vom 27. Juni 1890 und des Artikels 29 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 20. Sep⸗ tember 1899. Es ist eine Forderung des Staatswohls und der Hauptzweck des Gesetzentwurfs, die danach zu gründenden Renten⸗ güter auf die Dauer als selbständige und betriebfähige An⸗ wesen in deutschem Eigentum und Besitze zu erhalten. Deshalb war auch die nach den §§ 3 und 4 des Rentengütergesetzes mögliche Be⸗ freiung von den hierzu vorgeschriebenen Beschrankungen und Ver⸗ pflichtungen auszuschließen und dies um so mehr, weil sich sonst ein Widerstreit mit dem Wiederkaufsrechte, mit dem die Rentengüter zu belasten sind, ergeben würde. Das Wiederkaufsrecht ist in dem wecbiften nach Artikel 29 A. G. B. G. B. zulässigen Umfange zu estellen.

Wie der Begriff „deutsch“ zu verstehen ist, ergibt das zu § 1 Gesagte. ““ .

Zu § 4. .

Mit der Besitzfestigung wird nach der Form der neuen Ver⸗ schuldung, eine allmähliche Entschuldung der Rentengüter erstrebt. Damit nicht dieses Ziel im Falle der gesetzlichen Erbfolge beeinträchtigt werde, sollen die nach § 1 zu gründenden Rentengüter unter die Wirkung des Anerbengutsgesetzes gestellt werden. Aus demselben Grunde ist es erwünscht, daß die gefestigten Güter und Grundstücke der Verschuldungsgrenze nach dem Gesetze vom 20. August 1906 (Gesetzsamml. S. 389) unterworfen werden.

Der § 5.

enthält die Bestimmungen über die Bereitstellung der im § 1 be⸗ stimmten Summe. u 6

Da die Besitzfestigung in den im § 1 bezeichneten Landesteilen aus Gründen des Staatswohls eingeführt werden soll, ist es gerecht⸗ fertigt, sie durch Befreiung von Gerichtsgebühren und Stempel⸗ steuer zu erleichtern.

Der § 7.

enthält Vorschriften über die Zuständigkeit für die Ausführung.

Ferner haben Mitglieder der konservativen, der freikonservativen, der nationalliberalen Partei und der fortschrittlichen Volkspartei im Hause der Ab⸗ geordneten den folgenden Antrag eingebracht:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, zur Verstärkung des Grund⸗ kapitals der Deutschen Pfandbriefanstalt in Posen auf 6 000 000 den Betrag von 5 000 2 h 75 % Zinsen zur Verfügung zu stellen. 8 8 8

Land⸗ und Forstwirtschaft.

Saatenstand und Getreidehandel in Rußland.

Der Kaiserliche Generalkonsul in Odessa berichtet unterm 25. v. M.: Während des Monats April war im Konsulatsbezirke recht kühle Witterung mit starken Winden vorherrschend; ferner fiel wiederholt reichlicher Regen. Die Berichte über den Stand der Wintersaaten lauten aus den meisten Gouvernements Südrußlands recht günstig. Der Regen ist nicht nur den Wintersaaten, sondern auch den aufgehenden sehr zustatten gekommen. Die kühle Witterung hält noch immer an. Es wäre erwünscht, daß bald warmes Wetter eintrete, damit die Entwicklung des Getreides nicht zurückgehalten wird.

Die Sperrung der Dardanellen lähmt die Getreideausfuhr aus dem Schwarzen und Asowschen Meere. Trotz sehr starker Ver⸗ schiffung von argentinischem Weizen konnten die Weizenpreise in der Steigerung bedeutende Fortschritte machen. Die Aufwärtsbewegung wurde unterstützt dadurch, daß die Bestände Europas gelichtet sind, namentlich aber durch lebhafte Klagen über die neue wachsende Ernte in Amerika.

Für Roggen zeigte Deutschland größere Kauflust. Infolge⸗ dessen konnte auch dieser Artikel, wenn auch langsam, an der allgemeinen Preissteigerung teilnehmen. Die Preise für Gerste sind nach vor⸗ üͤbergehender Abschwächung wieder ganz bedeutend gestiegen, jedoch sind die Verschiffungen aus Rußland recht klein, weil infolge der hohen Preise die Hauptmasse der Ernte schon im Herbste verladen ist. Die zweite Hand ließ sich infolge der hohen Preislage wieder ver⸗ leiten, Gerste in Blanko zu verkaufen und muß jetzt zu jedem Preise decken. Verkäufer, die sich nicht eingedeckt hatten, und bald nach Westeuropa liefern müssen, sind geiwungen für Gerste, die bereits die Dardanellen passiert hat, ganz ungewöhnlich hohe Preise zu zahlen. Für alte Gerste wird man auch bei Lieferung Mai und Juni hohe Preise zahlen müssen, weil die Bestände fast gänzlich erschöpft sind.

ür Lieferung Juli zeigt sich eher Angebot, weil man in diesem Jahre mit der Aussaat früh fertig geworden ist und daher auch auf eine frühere Ernte rechnet. Selbstverständlich wird dabei die Witterung noch eine große Rolle spielen. Zurzeit erwarten alle Dampfer mit Ungeduld die Wiedereröffnung der Dardanellen. Wenn diese nicht in Kürze erfolgt, so wird es wegen Erfüllung der Aprilverträge viele Streitigkeiten geben. Hafer bleibt lebhaft gefragt, aber die Zufuhren sind ganz unbedeutend. Dagegen haben die Matszufuhren nach Abschluß der Frühjahrsbestellung langsam wieder begonnen. Die Ware ist von be⸗ friedigender Beschaffenheit. Es herrschte gute Nachfrage; aber die Schließung der Dardanellen hindert das Geschäft. Leinsaat ist von hiesigen Mühlen nur schwach gefragt. Im Auslande sind die hohen Pieisforderungen der hiesigen Verkäufer nicht durchzusetzen. 1