ddie vor 63 Jahren unter Bru
sekretärs hinweg Nachforschungen angestellt hat und dann seine aus⸗ indschafteten Dinge na eerlin berichtete, wurde in ostentativer eise durch die Verleihung des Erzellenztitels ausgezeichnet. Außer⸗ dem sind Aeußerungen des Kaisers bekannt geworden, in denen die Rede davon ist, daß die elsaß⸗lothringische Verfassung in Scherben geschlagen und das Land Preußen einverleibt würde. Wir begrüßen
es als ein schwerwiegendes Geständnis, daß von kompetenter Stelle in Laases angedroht wird, als die schwerste
aus die Einverleibun 1 Strafe, die ein Volk wegen seiner Widerspenstigkeit treffen kann, als eine Strafe, die gewissermaßen dem Huchthaus gleicht, und die auch insofern mit der Zuchthausstrafe in Einklang steht, als durch die Verhängung dieser Strafe, d. h. durs, die Einverleibung Preußens, der Verlust der bürgerlichen E renrechte erfolgt. (Stürmische Pfuirufe dechtt⸗ Graf Westarp, Sie dürfen froh sein, def Sie nicht im preußischen Landta sißen und Sozialdemokrat sind. it solchen Drohungen, mit der Versetzung sozusagen in die zweite Klasse des Soldatenstandes, in die Versetzung der untersten Klasse der deutschen Reichszugehörigkeit. .. (Stürmische Rufe rechts: Unerhört! und Pfui! — stürmischer Lärm — Präsident Dr. Kaempf: Weitere derartige Ausführungen würden dahin führen müssen, daß ich Sie zur Ordnung rufe. — Unter fort⸗ esetztem Lärm der Reichskanzler von Bethmann Hollweg den Eaal, auf seinen ink folgen ihm die Staatssekretäre und die Bundesratsbevollmächtigten. — Rufe von den Sozialdemokraten: „Endlich allein!!’ — Unter andauerndem Lärm fährt der Redner fort): Ich werde fortfahren, wenn sich die Herren etwas beruhigt haben. (Ein Teil der Deutschkonservativen verlassen ebenfalls den Saal. — Präsident Dr. Kaempf: Ich behalte mir vor, den Redner wegen seiner Aeußerungen zur Ordnung zu rufen, wenn mir der Wortlaut des Stenogramms vorliegt.) Der Kaiser hat aus eigener Machtvollkommenheit eine Maßregelung angekündigt, ohne zu fragen, ob die berufenen Stellen, d. h. der Bundesrat und der Reichstag, mit einer solchen Ausübung der gestellten Drohung einverstanden sind. Zur Beruhigung der durch die unverantwortliche Aeußerung erregten Bevölkerung in EF kann i hier erklären, daß der eine Faktor der Gesetzgebung, nämli der Reichstag, das, was angedroht ist, nicht mitmachen wird. Ob jene Aeußerung bei den Vertretern der süddeutschen Bundes⸗ taaten große Begeisterung hervorgerufen hat, weiß ich nicht. Es wäre aber interessant, wenn einer der Herren vom Bundesrat, die sich dem Exodus angeschlossen haben, sagen würde, was sie sich dabei gedacht haben. Ich bedauere auch, daß auch der Mann, dessen Blatt an der Stirne die Worte „Treue für Kaiser und Reich“ trägt, mit hinausgegangen ist. Die „Deutsche Tages⸗Zeitung“ fand die Worte des Kaisers ganz ungeheuerlich, sie schrieb: „Das sind Aeuße⸗ rungen, die sich der Gewährsmann des deutschfeindlichen Blattes aus den Fingern gesogen hat.“ Seine Entrüstung ist sehr deplaciert ge⸗ wesen. Ganz Elsaß⸗Lothringen ist aufgeschreckt worden, und das bat die unerwünschte Erscheinung mit ch gezogen, daß auch der Nationalismus in Frankreich aufgepeitscht worden ist. Es handelt sich um eines jener umgekehrten Meisterstücke der Diplomatie, durch die nirgends genützt wird, aber auf hundert Stellen geschadet wird. Die Politik ist doch ein schwierigeres Handwerk, als mancher glaubt. Im November 1908, als wir uns auch bedauerlicherweise mit der des Kaisers beschäftigen mußten, sagte der Abgeordnete von Heydebrand und der Lase: „Man muß es ganz offen aussprechen, daß es sich hier um eine Summe von Sorgen, von Bedenken, und man kann wohl auch sagen, von Unmut handelt, der sich seit Jahren angesammelt hat, angesammelt hat auch in Kreisen, an deren Treue zu Kaiser und Reich bisher niemand gezweifelt hat.“ Der jetzige Kollege des Reichskanzlers, Freiherr von Hertling, hat damals gesagt, daß der Träger der höchsten Macht es sich gefallen lassen muß, der Kritik der Volksvertreter ausgesetzt zu werden, wenn er durch seine Handlung dazu Anlaß gegeben hat. Auch der nationalliberale Führer Bassermann sprach davon, daß in solchen Vorgängen von gewisser Seite willkommener Agitations⸗ stoff gegen die Monarchie gefunden werde, und auf den Geheimen Legationsrat Raschdau berief sich damals der Abg. Bassermann, der ja inzwischen zum Petroleur von Mannheim avanciert ist. (Prä⸗ sident Dr. Kaempf rügt diesen Ausdruck.) Ich habe diesen scherzhaften Ausdruck einem konservativen Blatte entnommen. Der räsident hätte mich gewiß nicht unterbrochen, wenn er den usdruck gekannt hätte. In der „Post“ vom 8. Mai war etwa wörtlich zu lesen, was der Kaiser 8 Tage später in Straßburg gesagt hat. Es bleibt nur übrig die Aufhebung der Verfassun und die Einverleibung der Reichslande in den Macht⸗ und chuß ereich des Deutschen Reiches. Am 8. Mat ist dieser Artikel; am 11. Mai hält Herr von Zedlitz eine Rede, in der er dem Reichskanzler alle möglichen Schmeicheleien sagt, auch, daß er sein Parteigenosse sei, also Prerbe genosse der Herren von der „Post“. Mit diesen unheilvollen Zuständen wollen wir ein Ende machen durch Stärkung des Parlaments und durch Eroberung des Reichstagswahlrechts für Preußen. Wir wollen nicht, daß Preußen noch länger das deutsche Sibirien bleibe. (Große Un⸗ ruhe rechts; Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner zur Ordnung.) Ich werde mich gegen diese unberechtigten Ordnungsrufe beschweren. Nicht in Elsaß⸗Lothringen zurück, sondern in Preußen vorwärts! Das muß die Losung sein. Das Eindringen der Polizei in den preußischen Parlamentssaal am 9. Mai ist die äußere Kennzeichnung eines ganz unhaltbaren Zustandes. (Präsident Dr. Kaempf ersucht den Redner, preußische Angelegenheiten nicht in die Debatte zu ziehen.) Ich muß doch meine Verwunderung aussprechen über eine solche Geschäftsführung. Stets ist es zulässig gewesen, diese Dinge hier zu erörtern, und jetzt soll es plötzlich nicht mehr zu⸗ lässig sein, weil ich unangenehme Dinge vorbringen muß? Wir wollen doch den Reichstag nicht zum preußischen Abgeordneten⸗ haus erniedrigen! Wirkliche Volksvertreter hat man aus dem Dreiklassenparlament mit Polizisten herausgebracht! Das ist das Preußen, wie es leibt und lebt. Die „Handlungsweise des dortigen Präsidenten war die Handlungsweise einer „Autorität“, die jeden Boden unter den Füßen verloren hat. Das Eindringen der Polizei in das preußische Abgeordnetenhaus hat gewirkt wie ein Signalschuß. Wie ist dieses Eindringen mit den §§ 105 und 106 des Strafgesetzbuchs in Uebereinstimmung zu bringen? Wie kann man sich einbilden, durch eine Geschäftsordnungsbestimmung reichsgesetzliche Be⸗ stimmungen außer Kraft zu setzen? Auf Grund welches Gesetzes sind denn jene Leute, die da Parlament spielen, in dem Hause? Ueberhaupt nicht auf Grund eines Beleßes sondern auf Grund einer Verordnung, eines Königlichen Wortes erlassen worden ist. In 19 deutschen bundesstaatlichen Landtagen sitzen 180 Sozialdemo⸗ kraten; haben Sie von solchen Szenen außerhalb Preußens schongehört? Was war das Vergehen des Abg. Borchardt? Der Abg. Schifferer hatte dt auffordern lassen, sich seine Rede anzuhören. Die Akustik des preußischen Abgeordnetenhauses ist au erordentlich schlecht. Wenn da Zwischenrufe mehr von links als von rechts erfolgen, erklärt sich das wahrscheinlich daraus, daß auf der Linken mehr e und Verstand vorhanden ist als auf der Rechten. Die Krone ist der Angelegenheit dadurch aufgesetzt worden, daß nun auch noch der widerrechtlich hinausgebrachte Borchardt einen Prozeß wegen Hausfriedensbruchs und wegen Widerstandes gegen die Staats⸗ gewalt angehängt bekommt. Den reaktionären Parteien möchte ich zurufen: treiben Sie die Dinge nicht auf die Spitze; lernt, ihr seid gewarnt! Sperren Sie sich nicht gegen die notwendige Entwicklung, geben Sie dem Volke endlich die Rechte, die ihm zustehen, die Rechte, die es stürmisch verlangt! Sie pflegen immer mit Stolz zu sagen, daß der Appell an die Furcht m deutschen Herzen keine Stätte findet. Dabei ist doch die Politik er Partei der Rechten weiter nichts als eine Spekulation auf die eenschliche Schwäche. Wir haben kein Vertrauen zu dem Reichs⸗ anzler und zu dem System, das er vertritt. Wir werden nicht auf⸗ 11 im schärfsten Kampfe zu seiner Politik zu stehen. Der Reichs⸗ anzler bekannte sich in seiner Einleitungsrede zu den Wehrvorlagen als ein Fanatiker der größten Zahl, aber nicht da, wo es das Volk aubelangt, sondern nur da, wo es sich um Soldaten handelt. Die Zukunft wird lehren, wer richtig gerechnet hat, Sie oder wir. (Präsident Dr. Kaempf: ⸗Aus dem Stenog amm Ihrer Rede ge
als ob Sie haben sagen wollen, daß die Einverleibung der reußen mit einem Verlust der Ehrenrechte gleich⸗ bedeutend sei. [Zurufe bei den Sozialdemokraten: Das Wahlrecht ist gemeint, das Wahlrecht ist auch ein Ehrenrecht.] Wenn das der Sinn Ihrer Aeußerung gewesen ist, rufe 8 Sie zur Ordnung.) bg. Dr. Spahn (Zentr.): Auf die Vorgänge im preußischen Abgeordnetenhause will ich hier nicht eingehen. Allerdings muß ich dem Abg. Scheidemann darin recht geben, daß auch wir in Preußen für eine freiheitliche Entwicklung eintreten werden. Etwas anders liegt es mit dem Vorgange in Elsaß⸗Lothringen. Der Reichstag hat die Verfassung gemacht und ist auch allein nur in der Lage, sie zu ändern. Veshalb habe ich es bedauert, daß der Kanzler uns den Wortlauf der Kaiserlichen Rede nicht mitgeteilt hat. Aber ich nehme an, dnß er gar nicht in der Lage ist, dies tun zu können. ch würde es gußerdem bedauern, wenn diese Aeußerun wirklich gefallen wäre, daß er diese Verfassung zertrümmern will. Er hat ja selbst zu dieser ben⸗ seine Unterschrift gegeben. Was die inneren Vorgänge in Elsaß⸗Lothringen betrifft, so werden wir uns hier schwerlich darüber einigen. Wir stehen nunmehr bereits vor den Vorbereitungen zu den neuen Handelsverträgen. Unser Handel hat sich sehr entwickelt, und die internationalen Beziehungen aller Länder untereinander sind derartig geworden, daß man sie dauernd im Auge behalten muß. Ich möchte deshalb den Reichskanzler bitten, vielleicht dabei daran zu denken, ob es nicht möglich ist, internationale Abkommen zustande zu bringen. Ich will nun auf den § 1 des Jesuitengesetzes zurückkommen. Wir hatten ja die Absicht, einen neuen Antrag auf feine Aufhebung einzubringen. Aber bei dem Verhalten des Bundesrats sind wir doch dazu gekommen, einen derartigen Antrag jetzt 1 einzubringen. Wir wissen ja, da bei der Zusammensetzung des Hauses ein solcher Antrag hier eine große Mehr⸗ heit finden würde, aber der Bundesrat würde ihm doch nicht beitreten. bg. Dr. Graf von Schwerin⸗Löwitz (dkons.): Auf die Benelasfaggen des Abg. Scheidemann über die angeblichen Aeußerungen Seiner Majestät des Kaisers werde ich hier im Hause nicht eingehen, solange nicht der dethentisch Wortlaut dieser Aeußerungen vorliegt. Was die Sache selbst angeht, d. h. die innere Entwicklung Elsaß⸗ Lothringens, so kann ich namens meiner Freunde erklären, daß uns diese innere Entwicklung Elsaß⸗Lothringens nur bestärkt in der Ueberzeugung, daß die im vergangenen Jahre an⸗ genommene Verfassung für Elsaß⸗Lothringen ein Fehler war, und daß wir im Rechte waren, als wir diese Verfassung ablehnten. Ob und wie dieser Fehler in Zukunft wieder gutzumachen sein wird, muß der Zukunft vorbehalten bleiben. Ebensowenig gehe ich auf die Ausführungen ein, die der Abg. Scheidemann über die Handhabung der Geschäftsordnung im preußischen Abgeordnetenhause Ferlach hat, denn auch diese Ausführungen scheinen mir nicht in den eichstag zu gehören. Ich habe mich zum Worte gemeldet, um über unsere ganze wirtschaftliche Entwicklung seit Emnflihrung des Zoll⸗ tarifs und seit dem Abschluß von Handelsverträgen auf Grund dieses Zolltarifs zu sprechen. Die Prophezeiung des Abg. Gothein, daß es ganz ausgeschlossen sein würde, jemals auf Grund des Zoll⸗ tarifes Handelsverträge zustande zu bringen, hat sich als falsch erwiesen. Die Entwicklung seit Annahme des Zolltarifs muß als geradezu glänzend bezeichnet werden. Der Wert unserer Ausfuhr betrug im Jahre 1905 rund 6 Milliarden, im Jahre 1911 dagegen 8,25 Milliarden. Der Wert unseres gesamten Außenhandels betrug im Jahre 1905 13 ½ Milliarden, im Jahre 1911 18 ½ Milliarden. Seit Hnfabdeng des Zolltarifs hat sich die Landwirtschaft gehoben und ebenso die ganze Lebenshaltung des Volkes. Wenn die Lebens⸗ mittelpreise gestiegen sind, so ist dies eine untrennbare Begleit⸗ erscheinung des steigenden Wohlstandes. Wer billige Lebensmittel⸗ preise verlangt, verlangt zugleich ein Zurückgehen der Landwirtschaft und des allgemeinen Wohlstandes. Die Landwirtschaft hat gar kein Interesse an besonders hohen Lebensmittelpreisen, wir verlangen ledig⸗ lich Stetigkeit der Preise. Höhere Preise als 160 für Roggen und 200 für Weizen wollen auch die Landwirte nicht. Das Ziel der Land⸗ wirtschaft ist, den ganzen inländischen Bedarf durch die heimische weredegion zu decken, und wenn sie dieses Ziel erreicht hat, at sie auch kein Interesse mehr an den Schutzzöllen. Tun wir alle, was wir können, um die Landwirtschaft Flund zu erhalten, wir tun damit das Beste für unser olk zur Erhaltung seiner Gesundheit und seiner Wehrkraft. Daß ein Bauernlegen zu konstatieren ist, muß entschieden bestritten werden. Gerade eine Vermehrung des Kleingrundbesitzes ist auf Kosten des Großgrundbesitzes eingetreten. In Bayern hat seit 1882 der Kleingrundbesitz auf Kosten des Großgrundbesitzes in den letzten 30 Jahren um 450 000 ha zugenommen. Das ist doch eine sehr er⸗ freuliche Erscheinung und beweist, 6 unsere Wirtschaftspolitik sich glänzend bewährt hat. Die Lati zundienbildung ist eine Teil⸗ erscheinung von einer herabgehenden landwirtschaftlichen Entwicklung, höhere Getreidezölle führen dagegen eine Vermehrung der bäuerlichen Wirtschaften herbei, denn nur dann ist ein intensiver Ackerbau wirklich lohnend, wenn sich Bäauern davon ernähren können. (Wider⸗ spruch links.) Das ist doch klar, Herr Gothein, das beweist uns doch England. (Widerspruch des Abg. Gothein. — Zuruf des Abg. von Schulze⸗Gaevernitz: Und Dänemark ) Gerade in Dänemark haben wir eine hohe Bodenrente. Deutschland ist imstande, mehr als 95 % der Futtermittel selbst zu decken. Von den 5 %, die ein⸗ geführt werden, geht auch dazu noch der größte Teil zollfrei ein. Wir müssen dahin kommen, daß wir unser Volk selbst ernähren, daß wir alles, was getanst wird, selbst erzeugen können, dadurch schaffen wir auch vermehrte Arbeitsgelegenheit. Diesen großen nationalen Gesichtspunkt soll man doch nicht vergessen. (In einer der Türen, die zu der bis jetzt ganz leer gebliebenen Bundesratsestrade führen, erscheint der Bundesratsbevollmächtigte Dr. Klügmann, 1. sich erstaunt um und verläßt unter schallender Heiterkeit der Linken sofort wieder den Saal.) Auf unser Vertragsverhältnis zu Amerika will ich nicht eingehen. Es genügt, wenn ich feesststelle, daß unsere Vertragspolitik Amerika gegenüber vollkommen autonom bleiben muß. Ich hoffe, daß auf Grund dieser allgemeinen Andeutungen es gelingen wird, ein grundsätzliches Ein⸗ verständnis über unsere zukünftige Wirtschaftspolitik zu erreichen. Wir müssen jetzt schon solche Maßnahmen treffen, daß „wir, sowie die neuen Handelsverträge in Kraft treten, unsere altbewährte Wirt⸗ schaftspolitik fortführen können. Es handelt sich dabei ja um ganz schwerwiegende Interessen unseres Volkes. Wir müssen uns auch unsere Kundschaft im Innern erhalten; deshalb haben wir ein großes Interesse an einer starken Industrie im eigenen Lande. Unsere Wirt⸗ schaftspolitik ist auf dem richtigen Wege. Es bedarf nur eines ent⸗ schlossenen Willens, um 88 festzuhalten. Unser Botschafterposten in
hervor, — Reichslande in
London hat eine neue Besetzung gefunden. Wir freuen uns alle, daß
dieser Posten von einem so hervorragenden Diplomaten besetzt worden ist. Und wir hegen alle den Wunsch, daß die lange Erfahrung dieses Herrn dazu beitragen möge, die Beziehungen zwischen den beiden großen germanischen Völkern so freundschaftlich wie möglich zu gestalten. Ich möchte aber davor warnen, an diesen Wechsel zu weitgehende Hoffnungen zu knüpfen. Unsere auswärtige Politik wird ja nicht von den Botschaftern gemacht, sondern bei uns von der Zentralstelle aus, durch den Reichskanzler. In der Politik gibt es allgemeine Richt⸗ linien, von denen man nicht abweichen kann, zudem muß auf die Büdnisse Rücksicht genommen werden, die die Völker untereinander haben und die ja alle einen rein defensiven Charakter bewahren wollen. (Präsident Kaempf unterbricht den Redner und macht ihn darauf aufmerksam, daß die auswärtige Politik hier nicht zur Sprache gebracht werden darf.) Ich glaubte solche Neusgeaxußgen machen zu können, weil sie mit dem vorher Gesagten in einem ge⸗ wissen Zusammenhang stehen. Ich behalte mir vor, auf die Ausführungen des Reichskanzlers, die er bei den Wehrvorlagen gemacht hat, zurück⸗ zukommen.
Präsident Kaempf: Ich habe mir vorher schon einmal die Rede des Abg. Scheidemann angesehen und habe mir das Steno⸗ gramm kommen lassen. Nun finde ich aber darin noch folgendes: Der Abgeordnete hat gesagt: „Wir meinen aber noch, daß man mit solchen Drohungen, wie mit der Versetzung in die zweite Klasse des
oldatenstandes oder mit der Versetzung in die unterste Stufe eines
Staatsbürgers“ in Preußen doch etwas vorsichtiger sein soll. Durch diese Aeußerung wird Preußen auf das schwerste verletzt, und ich rufe den Abg. Scheidemann deshalb nachträglich noch zur Ordnung. “ der folgenden Rede des nationalliberalen Abg. van Calker etreten die Bundesratsmitglieder um 3 ½ Uhr wieder den Saal, von den Sozialdemokraten mit Gelächter und ironischen Zurufen wie „Arbeitswillige“ begrüßt.)
Abg. Dr. van Calker (nl.): Als ich mich heute nachmittag zum Wort gemeldet habe, da war meine Absicht, sowohl als All⸗ deutscher, wie auch als Neuelsasser heute zu spre ven, und zwar von Angelegenheiten über das Elsaß, die ganz Deutschland interessieren. Ich muß gestehen, durch die Worte des ersten Redners habe ich ganz vergessen, daß ich Elsasser bin, und es kam in mir auf die Erinnerung an die Jugendzeit, in der ich einst als kleiner Knabe das erste Lied gelernt habe „Ich bin ein v8 (Allgemeines unaufhörliches Bravo! rechts und ironisches Lachen bei den Sozialdemokraten.) Ich bin sehr traurig darüber, daß Sie dazu lachen. Ich bin ein Deutscher aus vollent senen (Zuruf bei den Sozialdemokraten: „Aber kein Preuße!) Ich üühle mich auch als Preuße. Das kann ich fest versichern. Als. solcher fühle ich mich gerade in diesem Hause. Mögen wir zu einem Bundesstaate gehören, zu welchem wir wollen, wir haben immer das Gefühl gehabt, daß wir die Verpflichtungen haber uns bewußt zu sein, was Freußen für das Reich getan hat. Ich bi nicht der Ansicht, daß man hier etwa wie auf einem ö1“ in nationaler Begeisterung schwärmen soll, aber bei der Rede des. Abg. Scheidemann haben wir das Gefühl gehabt, daß dagege protestiert werden muß. (Allgeweines lebhaftes Bravo! rechts und be den Nationalliberalen. — Ironische Futufe bei den Sozialdemokraten. Lassen Sie mich einmal ganz Professor sein. demokraten.) Ich bin ein deutscher Volksvertreter, auch wenn ich di Ehre Preußens von dieser Tribüne verteidige. Obgleich in Englan auch Strafbestimmungen über die Majestätsbeleidigungen bestehen wird doch drüben wegen Majestätsbeleidigung nicht verurteilt, wei nicht angeklagt wird, und es wird nicht angeklagt, weil ein Englände seinen König als Vertreter des Staates nicht beleidigt, weil das dort nicht als gentlemanlike gilt. (Zuruf bei den Sozialdemo⸗ kraten.) Das ist die Auffassung, wie sie mir von einem 8 englischen Anwalt mitgeteilt worden ist. (Abg. Ledebour Sie haben ja keine Ahnung! Vizepräsident Dove ersucht, die immerwährenden Zwischenrufe zu unterlassen. Nochmaliger Zwischenruf des Abg. Ledebour. Stuürmische Rufe rechts: Ruhe!) Die nationalliberale Partei will auch in der Frage der Wahlreform den Weg der Entwicklung gehen. Wir sind auch gegen jede Ausbeutung des Gesetzes über das Vereins⸗ und Versamm⸗ lungsrecht, das zeigt Ihnen ja die von uns eingebrachte Resolution. Sie werden unsere Partei immer auf dem Wege einer gerechten Kritik sehen, aber einer Kritik, die ausgeht von einer heißen Liebe zum Vaterlande! (Ruf bei den Sozialdemokraten: Na, weine man nicht!) Die 1 über Elsaß⸗Lothringen gehen ja außerordentlich auseinander. Als Neuelsässer wie ich hat man starke Aussicht, auf der einen oder der anderen Seite Mißfallen zu erregen, wenn man sich darüber äußert. Ich freue mich, daß wir in Elsaß⸗Lothringen die Verfassung haben, weil dadurch und durch das Wahlrecht die Möglichkeit für eine fortschrittliche Entwicklung gegeben ist. Daß hier Rückschläge eintreten würden, hat jeder erwartet; aber daß die Vorgänge, die wir jest beklagen, anders verlaufen sein würden unter der Herrschaft des Reichs, muß ich bestreiten. Gerade in meiner Fraktion waren die Meinungen geteilt, ob man auf den Boden der Verfassungsvorschläge treten sollte; trotz mancher Bedenken haben wir es getan. (Der Reichskanzler erscheint wieder am Bundes⸗ ratstische; lautes Ah! bei den Sozialdemokraten; Ruf rechts: Politische Kinder!) Damals tauchte auch die Auffassung auf, ob es nicht richtiger wäre, die Reichslande in Preußen einzuverleiben oder 86 auf die süddeutschen Bundesstaaten zu verteilen. Ich bin der
uffassung, daß eine solche Gestaltung zu unserer Zeit nicht richtig und nicht gerecht sein würde, sondern daß Bismarck uns den richtigen Weg gewiesen hat. Auf diesem Wege sind wir durch den Erlaß der Verfassung vorwärts geschritten. Auch viele der früher Zwelfelhaften und Bedenklichen würden die Ver⸗ fassung heute nicht gern wieder ziehen lassen. Was in Elsaß in den letzten Wochen geschehen ist, muß man beklagen und bedauern. Als ich nach Elsaß⸗Lothringen kam, kam ich hinein als ein remder, der von pielen Leuten dort hörte: Sie werden sehen, es is schwer, hier warm zu werden. Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Ich gebe zu, ich bin in dieses Land gekommen von vornherein mit dem Willen, ein neuer Elsässer zu werden, mit dem festen Willen, zu arbeiten für das Land, für sein Wohl und für seine Interessen. Die⸗ jenigen, die sich kritisch über die Verhältnisse in Elsaß⸗Lothringen äußern, machen vielleicht manchmal den Fehler, daß sie nicht mit warmem Herzen an diese Fragen herantreten. Die Art und Weise, wie im Landtag manche Fragen behandelt worden sind, hat außerhalb des Landes und im Lande selbst zweifellos viel böses Blut ge⸗ macht. Auch die Resolution, die der Landtag in der Gravenstadener Sache gefaßt hat, bedauere ich außerordentlich. Ich will gar nicht untersuchen, ob nicht auch vielleicht von seiten der Regierung manches nicht ganz richtig gemacht worden ist, ob nicht etwas ge⸗ schickter hätte verfahren werden können. Ich bin der Meinung, ganz offen gestanden, aber eine Volksvertretung muß außerordentlich auf ihre Artorität halten, muß sich ihrer Verantwortung in hobem 1 bewußt sein, auch dann, wenn sie in Opposition steht. Ein 5 ament muß auch an die Wirkungen denken, die ein Beschluß haben ann. Jeder, der französische Zeitungen liest, weiß, was ich meine. In der französischen Presse herrscht die Auffassung, daß in Elsaß⸗ Lothringen ein Volk in Fesseln schmachtet, das darauf wartet, baldmöglichst wieder in die Arme der Mutter Frankreich zu eilen. Vor kurzer Zeit hat mir einmal ein guter Elsasser gesagt: Herr Professor, Sie wissen ja so gut wie ich, daß es nur noch ein paar Narren sind, die heute noch französisch werden wollen. Auch ich bin der festen Ueberzeugung, daß derjenigen, die in fran⸗ zösischen Besitz zurückkehren wollen, ganz außerordentlich wenige sind. Es kommt darauf an, daß man das in Frankreich weiß. Auch von unserer Seite werden ja manche Fehler gemacht, Fehler, die ver⸗ mieden werden können und müssen. Bei meinem Aufenthalt im Kreise Landau⸗Neustadt in diesem Frühjahr habe ich die Empfindung eines französischen Einschlags in mancher Beziehung in höherem Maße ge⸗ habt, aber auch diese Kreise fühlen sich vollkommen als Bayern, von ganzem Herzen als Deutsche. (Zuruf von links: Preußen wollen sie doch nicht sein!) Fürst Bülow hat einmal zu mir gesagt: „Die Jacke, die unseren Männern in Ostelbien ganz gut paßt, ist Euch im Elsaß und in Süddeutschland manchmal etwas zu knapp.“” 8sh bin überzeugt von dem besten Willen unserer Organe, dafür zu sorgen, daß unser Land von Herzen ein deutsches Land wird, aber die Methode, in der das gemacht wird, ist manchmal nicht ganz richtig. Kleinigkeiten wirken manchmal viel stärker, als sie wirken sollen. So kam einmal, als ich von einer Reise von Paris zurückkam, an der deutschen Grenze ein deutscher Gendarm auf mich zu und sagte: „Wie heißen Sie? — Wer sind Sie?“ Nachdem ich ihm meinen Namen Pesagt hatte, meinte er: „Ich halte Sie für einen französischen
ffizier“. Ich erwiderte ihm, daß ich ein deutscher Offizier sei. Da sah er mich groß an und sagte: „Ich sehe, daß Sie einen deutschen Offizier markieren wollen“. Darauf wurde ich sehr deutlich mit Aus⸗ drücken, die jedem preußischen oder bayerischen Exerzierplatz zur . gereicht haben würden, bis er dann endlich zu mir sagte: „Zu
efehl, Herr Hauptmann“. Den Gebrauch der französischen Sprache sollte man nur verbieten, wenn sie in absolut oppositioneller Weise gebraucht wird, sonst sollte man wirklich Toleranz üben. Ich bin gestern an einem Laden vorbeigeraten, da stand: Aux cor settes gracieuses. Das darf man im Elsaß nicht sagen, aber ma darf wohl ein graziöses Korsett haben. Aber gerade diese kleine Momente werden immer als große behandelt. Man muß alles tun um die Tradition zu lassen. Ich achte das Wort Souvenir, weil ich selber so innig alles fühle, was ich als Kind erlebt habe. Ich habe auch allemannisches Blut in meinen Adern. Der Elsässer stichelt gern ein wenig; das tut er heute, das hat er zur französischen Zeit ebenso
(Zuruf von den Sozial⸗
gemacht. Wir müssen diese Verhältnisse richtig und gerecht betrachten. Damit komme ich zu dem Grundgedanken zurück: baeeiter. draußen außerhalb unserer Grenzen keine alsche Meinung er⸗ regen über die Stimmung unseres Landes. So sehr ich tolerant bin gegenüber dem Souvenir, so bin ich doch der Meinung, daß wir scharfe Stellung nehmen müssen gegen jede Maßnahme in Elsaß⸗Lothringen, die auf eine Annäherung an hinzielt. Wenn eine solche Aeußerung geschieht, so ist unsere Regierung in vollem Recht, und es ist ihre Pflicht, sich gegen solche Aeußerungen zu wenden. (Zuruf von den Sozialdemokraten: In Scherben zer⸗ schlagen!) Ich bin der Meinung, daß es nicht gut ist, Aeußerungen des Kaisers, namentlich wenn sie unverbürgt sind, hier zu erwähnen. Aber es ist geschehen, und ich scheue nicht, sie zu besprechen. Sind Aeußerungen dieser Art geschehen, so ist das natürlich bedauerlich, weil die Wirkung nach außen viel schlimmer ist, als die Aeußerung ihrem Inhalte na vielleicht gewesen ist. Aber wir wollen uns doch sagen: auch der Kaiser hat das Recht, unmutig zu sein, unmutig zu sein über eine Ent⸗ wicklung, die all dem entgegensteht, was wir alle miteinander erhofft haben, als wir die Verfassung für Elsaß⸗Lothringen beschlossen. Denn die Resolution hat nach außen ganz anders gewirkt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Das Parlament hat das Recht, eine Resolution zu fassen, aber auch in der Ausübung von Rechten muß man sich seiner Pflichten bewußt sein. Die ganze Frage läßt sich in die Worte zusammenfassen: Souvenir — ja, espérance — nein, nein — niemals! Ueber allem steht unser deutsches Heer und unsere deutsche Flotte, wir dürfen nicht nach außen Meinungen erwecken, die falsch wären und die gerade in Frankrei Stimmungen erzeugen und erzeugen müssen, die falsch sind. Wir müssen alle miteinander arbeiten in dem Bewußtsein, daß Elsaß⸗Lothringen seiner früheren Entwicklung nach ein deutsches Land ist. Wir arbeiten ja nicht nur für den heutigen Tag, für morgen und übermorgen, sondern wir müssen alle miteinander arbeiten in heißer Liebe für unser Vaterland, für uns alle und unsere Kinder.
Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Auf die Vorgänge, die mich und die Mitglieder des Bundesrats veranlaßt haben, eine Zeitlang den Saal zu ver⸗ lassen, gehe ich selbstverständlich nicht ein, nachdem von dem Präsidium ein Ordnungsruf wegen der Aeußerungen gefallen ist, die der erste Herr Vorredner gebraucht hatte. Meine Herren, ein Mann, der von seinem Lande so spricht, wie es geschehen ist, verurteilt sich selbst. (Lebhafter Beifall rechts. — Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ihre Zwischenrufe, meine Herren, machen mich nicht irre in meinen Gefühlen als Preuße und als guter Deutscher, der weiß, was Deutschland Preußen verdankt. (Lebhafter Beifall rechts. — Unruhe bei den Sozialdemokraten.) 8
Ich will, wie ich das bereits in meiner Antwort auf die Anfrage des Herrn Abg. Colshorn gesagt habe, über die elsaß⸗lothringischen Angelegenheiten sprechen. Vorweg muß ich mit einigen Worten auf die Grafenstadener Angelegenheit eingehen, da die Resolution, die zu ihr gefaßt worden ist, wie der Herr Abg. van Calker eben ausgeführt hat, eine gewisse Bedeutung erlangt hat.
Der Sachverhalt in der Grafenstadener Angelegenheit ist kurz folgender. Grafenstaden gehört der norddeutschen Lokomotivvereini⸗ gung an und hat deshalb Anteil an den Bestellungen für die Reichs⸗ eisenbahnen und für die preußischen Staatsbahnen. Der Wert der Bestellungen hat in dem letzten Jahrzehnt durchschnittlich 4 Millionen Mark pro Jahr betragen. Im Januar d. J. wurde die preußische Eisenbahnverwaltung durch Zeitungsartikel und durch ein mit Namens⸗ unterschrift versehenes Schreiben darauf aufmerksam, daß von der Leitung des Grafenstadener Werkes behauptet werde, sie wirke in direkt deutschfeindlichem Sinne. Danach hat die Eisenbahnverwaltung im Benehmen mit der Landesverwaltung eine Untersuchung angestellt, veren Ergebnis der Unterstaatssekretär Mandel in der elsaß⸗ lothringischen Kammer mitgeteilt hat. Ich will aus den Mit⸗ keilungen kurz folgendes anführen:
Die elsaß⸗lothringische Regierung erklärte, es sei für sie notorisch, daß der leitende Direktor des Werkes die Seele aller deutschfeind⸗ lichen Bestrebungen sei, die sich in und um Grafenstaden bemerklich machten. Alle persönlichen Beziehungen zwischen der Fabrikleitung und den Behörden hätten aufgehört, und daran trage jener Direktor die Schuld. Er benutze jede Gelegenheit, um sich über deutsche Ver⸗ hältnisse in abfälliger und gehässiger Weise zu äußern. Er habe die geselligen Vereinigungen des Personals in französisches Fahrwasser gelekt und bekämpfe auch in der Gemeinde alles, was deutsch ist. (Hört, hört! rechts. — Lachen bei den Scozial⸗ demokraten.) Auf Grund dieses Ergebnisses stellte die Eisenbahnverwaltung dem Werke die Einstellung weiterer Aufträge in Aussicht, falls nicht binnen bestimmter Frist dieser Direktor von seinem Posten entfernt würde (Bravo! rechts. — Unruhe bei den Sozialdemokraten), und falls nicht bis zu seiner Entfernung Gewähr dafür geboten werde, daß er seine Tätigkeit in deutschfeindlichem Sinne in der Fabrik und in der Gemeinde einstelle. (Lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten. — Glocke des Präsidenten.) Meine Herren, das ist der Hergang. Es ist mir völlig unerfindlich, wie man daraus Vorwürfe gegen die Eisenbahnverwaltungen herleiten kann. (Sehr richtig! rechts.) Für die Verwaltung der Reichseisen⸗ bahnen und der preußischen Staatsbahnen ist es ein Ding der Un⸗ möglichkeit, geschäftliche Beziehungen zu einem Werk aufrechtzuerhalten und ihm jährlich Millionenbestellungen zuzuwenden, dessen Leitung die Verachtung deutschen Wesens zur Schau trägt und in die Tat um⸗ setzt. (Sehr richtig! rechts. — Lebhafte Zurufe von den Sozial⸗ demokraten.) — Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß es sich nicht um eine anonyme Denunziation, sondern um eine Mitteilung mit Namens⸗ unterschrift handelt. (Lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten. — Glocke des Präsidenten.)
Ich würde den Herren dankbar sein — die Herren kommen ja 885 zu Wort —, wenn sie meine Ausführungen nicht stören ollten.
Die deutschen Eisenbahnverwaltungen würden pflichtwidrig ge⸗ sandelt haben, wenn sie diese Vorgänge ignoriert hätten. (Sehr ichtig! rechts.) Es ist nicht Gesinnungsschnüffelei gewesen — dieser usctna ist in der elsässischen Kammer gebraucht worden —, sondern Unnn die Verwaltung durch Vermittlung der Landesregierung jene nüersuchung einleitete, so war das ein Gebot staatlicher und itcgele Notwendigkeit. (Sehr richtig! rechts.) Kein Privatmann nterhält geschäftliche Beziehungen ohne zwingende Notwendigkeit, 1 n der andere Teil sich fortgesetzt darin ergeht, wichtige Inter⸗ en seines Auftraggebers zu schädigen. (Sehr richtig! rechts.) üe “ meine Herren, sollte es der Staat tun, wenn 8 Interessen angegriffen werden? Davon kann gar 5 ede sein. Der Staat ist dazu berufen, in allererster Linie
onalen Interessen zu schützen. (Sehr richtig! rechts.)
Dann ist auch der Vorwurf gemacht worden, die Eisenbahn⸗ verwaltung wäre von der rheinisch⸗westfälischen Großindustrie als Vorsvpann benutzt worden, um die Konkurrenz von Grafenstaden aus⸗ zuschließen. Man hat das daraus geschlossen, daß zufällig auch die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“ auf die Treibereien in Grafenstaden aufmerksam gemacht hat. Dieser Vorwurf ist absolut widersinnig. Ich habe bereits mitgeteilt, in welchem Umfange nicht nur die Reichs⸗ eisenbahnen, sondern auch die preußischen Eisenbahnen Grafenstaden mit Aufträgen bedenken. Preußen besitzt Fabriken genug, um den Bedarf an Maschinen bei sich selbst zu decken; es würde nicht auf die reichsländische Fabrik zu rekurrieren brauchen. Preußen sieht es aber als seine Aufgabe an, die reichsländische Industrie soviel als möglich zu fördern, und ich setze mich dafür ein, daß das andauernd geschehen wird. (Bravo! im Zentrum.) Also, meine Herren, das Konkurrenzmotiv, das angeblich für das Vorgehen der Eisenbahnverwaltungen mitbestimmend gewesen sein soll, lebt nur in der Phantasie derjenigen Personen, welche die An⸗ gelegenheit politisch gegen Preußen ausbeuten wollen. (Sehr richtig! rechts.) Gegenwärtig hat Grafenstaden noch für die beiden Ver⸗ waltungen Maschinen im Werte von je etwas über einer Million, zusammen für zweieinhalb Millionen, zu bauen. Die Bestellungen sind für die erste Hälfte 1912 vergeben. Für die zweite Hälfte 1912 werden Bestellungen zum ungefähr gleichen Werte zurückgehalten für Gravenstaden, in der Hoffnung, daß noch eine Verständigung gelingt. Diese Verständigung ist bisher nicht zustande gekommen, weil das Werk sich weigert, den Direktor zu entlassen. Es ist selbstverständ⸗ lich, daß die Eisenbahnverwaltungen auf ihrer Forderung bestehen. (Sehr richtig!) Wenn die Arbeiter der Fabrik Not leiden sollten, was ich nicht hoffe, weil das Werk die Forderung nicht erfüllt, dann wird es das Werk sein, welches die ausschließliche und alleinige Ver⸗ antwortung dafür trägt. (Sehr richtig!) Denn, meine Herren, nichts Unbilliges wird von dem Werke verlangt, sondern nur das Selbstverständliche, daß ein geschäftliches Unternehmen, das Aufträge von deutschen Staatsverwaltungen haben will, nicht das im Staate revpräsentierte Deutschtum bekämpfen darf. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Wenn man den Eisenbahnverwaltungen einen Vorwurf machen wollte, so könnte es vielleicht nur der sein, daß sie zu vorsichtig vorgegangen seien. (Sehr richtig! rechts.) In manchem anderen Staate wäre die Ant⸗ wort auf ein Verhalten der Werksleitung, wie es hier vorliegt, die gewesen, daß einfach die Bestellungen aufhörten (sehr richtig! bei den Nationalliberalen), ohne daß man in Verhandlungen eintrat. Dann war die Angelegenheit erledigt, und es war kein Stoff zur Agitation gegeben. Hier ist man in Verhandlungen eingetreten. Zu wessen Gunsten? Zugunsten von Grafenstaden und der in Grafenstaden beschäftigten Arbeiter! Und aus diesen Verhandlungen hat man begierig Kapital zu schlagen versucht. In welcher Weise — dafür eine kurze Bemerkung! Die Verhandlungen galten auf beiden Seiten als vertraulich. Sie sollten vertraulich geführt werden im industriellen Interesse der Fabrik und im Interesse der Arbeiter, um Agitation und Beunruhigung zu vermeiden. Die Vertraulich⸗ keit ist auf seiten der Regierung auf das strengste ge⸗ wahrt worden, und auch dann noch, als vor einiger Zeit im preußischen Abgeordnetenhause die Sache zur Sprache kam, hat sich die Regierung auf eine ganz kurze Be⸗ merkung beschränkt. Der Herr Abg., Blumenthal war es, der in der Lage war, in der elsässischen Kammer zum ersten Male die Sache vor die Oeffentlichkeit zu bringen und in nationalistischem Interesse zu verwerten.
Damit komme ich auf die allgemein politische Bedeutung dieses Falles. Die elsässische Kammer hat, wie bekannt, für Grafenstaden und gegen die Regierung Partei genommen. Daraus und aus manchen anderen Vorkommnissen haben die Gegner der vorjährigen Verfassungsgesetzgebung den Schluß gezogen, daß diese Gesetzgebung verfehlt oder doch verfrüht gewesen sei.
Meine Herren, daß sich die neue Verfassung leicht und ohne Reibungen einleben würde, habe ich nicht erwartet. (Sehr richtig! bei der Fortschrittlichen Volkspartei.) Ich möchte da auf Einzel⸗ heiten nicht eingehen, nachdem das hohe Haus die vortreffliche Rede des Herrn Abg. van Calker gehört hat. (Heiterkeit bei den Sozial⸗ demokraten.)
Herr van Calker hat in ausgezeichneter Weise das schwierige Milieu Elsaß⸗Lothringens gezeichnet. In seiner ganzen Ver⸗ gangenheit hat sich das Reichsland keiner Selbständigkeit zu erfreuen gehabt, wie die ist, die ihm jetzt gegeben ist. Die gesamte kulturelle, wirtschaftliche und politische Entwicklung, die Umwälzungen der letzten beiden Jahrhunderte aber hatten in Elsaß⸗Lothringen keinen einheitlichen Boden vorbereitet, der einem solchen selbständigen staatlichen Leben günstig wäre, weil bald der französische, bald der deutsche Einfluß überwog. Die Schwierigkeiten, die sich aus allen diesen Gründen, die ich heute nur andeute — wir haben ja vor einem Jahre sehr ausführlich darüber gesprochen —, die Schwierig⸗ keiten, die sich aus allen diesen Gründen für das Einleben der neuen Verfassungszustände ergaben, sind zuerst drastisch hervorgetreten bei den ersten Wahlen zur elsaß⸗lothringischen Kammer im vorigen Herbst. Damals mußten sich eigentliche politische Parteien im Lande erst bilden, sie mußten ihr gegenseitiges Verhältnis feststellen. Charakteristisch für die verworrenen Zustände, die damals entstanden, waren auch die Gewissenskonflikte, in die ein Teil der deutschen Wählerschaft geriet, als sie vor die Frage gestellt wurde, ob sie mit Hilfe der Sozialdemokratie den Nationalismus überwinden (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten) oder ihm durch Stimmenthaltung zum Siege verhelfen sollten. Und alle diese Zustände — wie hätte es anders sein können — haben ihre Rückwirkung auch auf die Tätigkeit der Kammer ausgeübt.
Ob diese Vorgänge eine andauernde politische Bedeutung haben, ob aus ihnen der Schluß gezogen werden darf, daß die Verfassung unzweckmäßig gewesen sei, meine Herren, das kann heute nicht entschieden werden. Aber unzweifelhaft — und das hat auch der letzte Herr Vorredner zugegeben — haben diese Vorgänge das nationale Empfinden weiter deutscher Kreise tief verletzt (sehr richtig!) und einen verständlichen Unwillen hervorgerufen.
Nun, meine Herren, dieser Unwille ist es, dem Seine Majestät der Kaiser in seinem Gespräch mit dem Oberbürger⸗ meister von Straßburg Ausdruck gegeben hat. Wegen dieses Gespräches sind in der Oeffentlichkeit heftige Angriffe gegen den Kaiser gerichtet worden. Ich lege gegen diese Angriffe Verwahrung ein. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Wie war denn die Sache,
meine Herren? In einem Kreise geladener Gäste hat der Kaiser dem Unmute Worte geliehen, der in diesen Wochen viele deutsche Herzen erfüllt hat. Diese Worte sind durch eine bedauerliche, nicht auf⸗ geklärte Indiskretion (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten), an der, wie ich indessen ausdrücklich hervorheben möchte, der Herr nicht beteiligt war, an den die Worte gerichtet gewesen sind, in die Oeffentlichkeit geraten, und zwar, was peinlich ist und was, wie ich annehme, auch von vielen Elsaß⸗Lothringern als peinlich empfunden werden wird (sehr richtig!), nicht in einer deutschen Zeitung, sondern im Pariser „Matin“. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, trotz dieser Veröffentlichung ist keine Situation geschaffen, für die ich nicht die Ver⸗ antwortung trüge. (Bravo! rechts.) Solange ich an dieser Stelle stehe, trete ich vor den Kaiser (Bravo! rechts und im Zentrum); nicht, meine Herren, aus höfischen Rücksichten, wie sie mir draußen in der Presse angehängt worden sind — die kenne ich nicht —, sondern aus staatlicher Pflicht. (Bravo! rechts und in der Mitte.) Und wenn ich dieser staatlichen Pflicht nicht gerecht werden kann, dann werden Sie mich nicht mehr an diesem Platze sehen. (Bravo! rechts und Zuruf bei den Sozialdemokraten.)
Meine Herren, mit der Berufung auf Bundesrat und Reichstag werden offene Türen eingerannt. Es hat dem Kaiser völlig fern ge⸗ legen, den Rechten von Bundesrat und Reichstag irgendwie zu nahe zu treten. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Wen will man es denn glauben machen, meine Herren, daß der Kaiser, wenn er von einer Beseitigung der Verfassung gesprochen
, nicht an einen Akt der Reichsgesetzgebung gedacht hat (Sehr richtig! rechts und Zurufe bei den Sozialdemokraten), der doch nur als ultima ratio in Betracht kommen könnte?
Meine Herren, der Kaiser hat auch nicht davon gesprochen, daß jetzt an eine Revision der Verfassungszustände in Elsaß⸗Lothringen herangetreten werden solle. Das hat er nicht getan. Aber verwunder⸗ lich ist es, daß elsaß⸗lothringische Politiker die Zeit für gekommen erachten, um die Verfassungsgesetzgebung vom Reich auf das Land zu übertragen. Meine Herren, daran ist nicht zu denken. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Elsaß⸗Lothringen ist Reichsland. Bundesrat und Reichstag sind es gewesen, die dem Land seine Verfassung gegeben haben, und nur Bundesrat und Reichstag werden darüber zu befinden haben, ob einmal die Zeit kommen sollte, wo die Verfassungszustände geändert werden müssen, und wie sie geändert werden müssen. Darum sind alle Konjekturen über die Richtung, in der sich Aenderungen bewegen könnten, völlig gegen⸗ standslos. Bundesrat und Reichstag werden, wenn ihnen solche Beschlüsse aufgenötigt werden sollten, sich nur von den Lebens⸗ interessen des Reiches leiten lassen. (Sehr richtig! bei den National⸗ liberalen.) Bei Elsaß⸗Lothringen steht es, ob diese Lebensinteressen die Erhaltung und Konsolidierung der dem Lande gegebenen Freiheit und Selbständigkeit oder ihre Einschränkung fordern werden. Das 1 Land wird sich sein Schicksal selber schaffen. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen. — Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Das Land wird, wenn es den Prinzipien folgt, die der Herr Abg. van Calker hier eben angedeutet hat, das erreichen und das behalten, was es jetzt hat, und wird es sichern. Wenn es einen anderen Weg geht, — ja, meine Herren, niemand kann die Augen davor schließen, daß deutschfeindliche Bestrebungen im Lande vorhanden sind (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Wo denn!), welche aus dem Lande ein der Verbindung mit dem Reich widerstrebendes Grenzland machen möchten. Gegen diese Bestrebungen muß alles, was deutsch ist, zusammenstehen; dann werden sie überwunden werden. (Sehr richtig! bei den National⸗ liberalen.) Das, meine Herren, und die Sorge für die Zukunft des Reichslandes ist Kern und Inhalt der ernsten Mahnungen des Kaisers gewesen. (Bravo! rechts. Abg. Ledebour: Eine faule Ausrede!) War es ein Unrecht, daß er diese Mahnung ausgesprochen hat? Nein, meine Herren, denn darüber ist sich die ganze Nation einig, Elsaß⸗Lothringen ist ein Land, das zu uns gehört wie jeder andere Teil des deutschen Vaterlandes. (Lebhaftes Bravo! rechts und in der Mitte) Sollten — ich glaube es nicht — Treibereien die Ueberhand gewinnen, welche diese Tatsache auch nur entfernt in Zweifel ziehen könnten, dann allerdings würde es Pflicht des Bundesrats und des Reichstags sein, nach Mitteln auszuschauen, um diese Treibereien zu schanden zu machen, und des bin ich gewiß, diese Pflicht würde dann erfüllt werden. Denn es wäre eine Pflicht deutscher Ehre. (Leb⸗ hafter Beifall, Zischen bei den Sozialdemokraten. Anhaltendes leb⸗ haftes Bravol rechts, im Zentrum und links.)
Vizepräsident Dove: Ich muß den von dem Abg. Ledebour ge⸗ machten Zwischenruf „Faule Ausrede“ ganz entschieden zurückweisene
Abg. Dr. Haas⸗Baden (fortschr. Volksp.): Ich hätte gedacht daß der Reichskanzler, der doch mitgeholfen hat, die elsaß⸗lothr nbücht, Verfassung zu schaffen, sich über jenes Wort des Kaisers andere und schwerere Gedanken gemacht hätte. Er hätte sich die Frage vorlegen müssen, ob denn durch diese Aeußerung nicht schwerer chaden im Elsaß und in ganz Deutschland entstanden sei. Seine zweite Frage hätte sein müssen: Haben sich denn in Elsaß⸗Lothringen irgendwelche Dinge ereignet, die im Ernst eine Aufhebung der Verfassung oder gar eine Einverleibung von Elsaß⸗Lothringen in Preußen rechtfertigen könnten? Die allerschwerste Frage endlich wäre gewesen, ob es gut war, wenn der Kaiser autokratisch einen Gedanken ausgesprochen hat, zu dessen Durchführung auch noch andere gesetzgebende Faktoren not⸗ wendig waren. Diese Gedanken müssen erwogen werden, auch dann, wenn man weiß, daß jenes Kaiserwort durch eine be⸗ trübende Indiskretion an die Oeffentlichkeit gelangt ist. Es war eine Schamlosigkeit, daß dies Gespräch sifenutge trage worden ist, und eine doppelte Schamlosigkeit, daß dieses Gespräch zunächst weite gegeben wurde an die französische Presse. Aber das Wort ist gefalle und es war ein gefährliches Wort. Ganz Deutschland hat Ver wahrung einzulegen gegen dieses Kaiserliche Wort. Am 9. Mai 190 hat der Kaiser die loyale Gesinnung des elsässischen Volkes gan anders beurteilt. Als die Depesche des Kaisers an den Statthalter von Elsaß⸗Lothringen kam, die diesen ermächtigte, wegen Aufhebung des Diktaturparagraphen mit dem Rei skanzler i bindung zu treten, waren wir froh, daß man den Elsaß Lothringern endlich gerecht geworden war, es wär schöner gewesen, wenn der Wunsch des deutschen Volkes auch in dieser sigelegenheit früher berücksichtigt worden wäre Die Verhältnisse haben sich in Siseb Kothringen seit jener Zeit noch ganz erhebli S Gewiß sind französische Traditionen im Elsaß vorhan den. Wenn die Regierung mit dem einen oder anderen nicht zufrieden sein sollte, liegt dann nicht auch ein Teil der Schuld bei ihr selber? Auch Bismarck 88 gefürchtet, preußische Beamte nach Elsaß⸗Lothringen zu bringen, da sie auf diesem schwierigen Neuland unter Umständen so arbeiten würden, daß Mißstimmungen entstehen müßten. Insbesondere die norddeutschen Beamten verstehen in vielen Fällen nicht die Art des 2c,
lothringischen Volkes. Bezüglich der Grafenstadener Angelegenheit gu
stehe ich auf dem Standpunkte, daß es selbstverständlich das gut