1912 / 122 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 May 1912 18:00:01 GMT) scan diff

* H8GHE1“ 58 1 u stimmen. üte handelt es sich aber nicht darum, eine besondere it der Besitzsteuer festzustellen. Wir wollen uns auch wie der deg. Bassermann nicht den Weg für andere Besitzsteuern verlegen. Na dem wir die Wertzuwachssteuer angenommen haben, die doch in 8 Linie das immobile Kapital betrifft, so ist es jetzt nötig, auch das mobile Kapital einmal heranzuziehen. Die Quotisierung der Steuern lehnen wir unter allen Umständen ab. Der Abg. Ledebour will aus der Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer so viel herausbekommen, daß alle indirekten Steuern abgeschafft werden können. Das sind phantastische Ideen. Sollte der Absatz 2 des ersten Antrages an⸗ genommen werden, so sind wir zu unserem Bedauern gezwungen, gegen den ganzen Antrag zu stimmen. 1 Eiin Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommeg. Damit 8 die erste Lesung der beiden GetePeenihs er⸗ ledigt. Der Titel Zölle wird bewilligt und folgende Resolution

angenommen:

„die verbündeten Regierungen zu ersuchen, einen Gesetzent⸗

wurf zur Revision des Vrreinszollgesetzes vorzulegen, durch den die

Voraussetzungen für den Erlaß gesetzlich vorgeschriebener Abgaben festgesetzt werden.“ 3 .

In der sich sofort anschließenden zweiten der

beiden von der Kommission vorgeschlagenen Gesetzentwürfe be⸗

merkt der

Abg. Dr. Südekum (Soz.): Die Erklärung des Staatssekre⸗ tärs darüber, was Besitzsteuer sei, widerspricht der Erklärung des Abg. Bassermann, daß es sich entweder um eine Erbschaftssteuer oder um eine Vermögenssteuer handeln solle. So steht die Alternative; tertium non datur. Daß der Schatzsekretär den Entwurf unter a vorzieht, wundert uns nicht; er behält vorerst die höhere Zuckersteuer und braucht sich nach neuen Deckungsmitteln nicht umzusehen. Die Hinausschiebung der Ermäßigung der Zuckersteuer bedeutet nichts weiter als eine neue Belastung des Konsums. Vor den Wahlen wurde von allen Seiten aufs schärfste betont, daß neue Ausgaben nicht durch Belastung des Konsums gedeckt werden dürften. Die 650 Millionen Mark, die zur Kostendeckung für die Wehrvorlagen in den nächsten 6 Jahren gebraucht werden, hätten nach jenen Erklärun⸗ gen schon jetzt restlos durch Besitzsteuern gedeckt werden müssen. Da aber die öö“ voraussichtlich noch weit ausstehen, versucht man es jetzt auf diesem Umwege trotz alledem mit neuen Konsumbelastun⸗ gen. Die Ouotisierung haben wir vorgeschlagen, weil wir solche Besitzsteuern wollen, die quotisierbar sind; der Abg. von Heyde⸗ brand aber hat schon früher mit voller Deutlichkeit erklärt, einem aus einem demokratischen Wahlsystem hervorgegangenen Reichstage dürfe man nicht das Verfügungsrecht über das Portemonnaie der Besitzenden geben. Für uns ist die Lösung der Besitzsteuerfrage auf dem Wege über die Einzelstaaten und die Matrikularbeiträge nicht diskutabel. Wenn die Ziele des Entwurfs a. erreicht werden sollen, muß unter allen Umständen auch der Entwurf b. vom Reichstage angenommen werden.

Abg. Roland⸗Lücke (nl.): Wir wollen, daß die in der Denk⸗ schrift angedeutete Möglichkeit der Verschiebung der Ermäßigung der Konsumsteuern nicht eintritt. Wenn uns jetzt der Vorwurf der Verschleierung gemacht wird, so betone ich nochmals, daß wir gerade das Gegenteil wollen; wir wollen gerade die Möglichkeit dazu ver⸗ rammeln. Lehnen die Sozialdemokraten den Entwurf a. ab, so be⸗ kämpfen sie das, was sie erreichen wollen. Wir fordern, daß der bezügliche Besitzsteuergesetzentwurf bis 30. April 1913 vorgelegt wer⸗ den muß; die Möglichkeit der Ermäßigung der Zuckersteuer zum 1. April 1914 ist damit also durchaus gegeben und vorhanden. An⸗ gesichts der Meinungsverschiedenheiten über den Begriff der Besitz⸗ steuer wiederhole ich namens der nationalliberalen Partei, daß wir darunter entweder eine Reichsvermögenssteuer oder die Erbschafts⸗ steuer verstehen Wir sind darin mit dem Abg. Bassermann vollständig einig, daß wir darunter das eine oder das andere, aber nichts anderes verstehen. Ich hoffe, daß bei der Beratung des geforderten Ent⸗ wurfes im nächsten Winter auch die Rechte unter dem Zwange der Verhältnisse entgegenkommen wird, damit in unserem Volke der Glaube an eine gerechte Steuerpolitik befestigt wird.

Abg. Gräfe (d. Reformp.): Ich werde für die Erbschafts⸗ steuer stimmen, wenn sich keine andere gerechtere Besitzsteuer finden lassen sollte. Ich gebe diese Erklärung ab, um nicht mit Vorwürfen von der Linken bedacht zu werden, wenn ich gegen den Entwurf b. stimme, bei dem mir und manchem im Volke etwas schwummrig

wird.

Abg. Ledebour (Soz.): Daß den Herren schwummrig wird, ist ja nichts Neues; aber wir können auf diese schwummrigen Be⸗ denken nichts geben. Dem Abg. Roland⸗Lücke ist zu erwidern, daß das fragliche Gesetz keineswegs zum 1. April 1914 in Kraft treten muß; viel wahrscheinlicher ist, daß tatsächlich der 1. Oktober 1916 herankommt. Der platonische Wunsch der Nationalliberalen bleibt für uns ganz außer Betracht. Die schon von dem Abg. Bassermann versuchte Verschleierung hat der Abg. Roland⸗Lücke lediglich noch schleierhafter gemacht.

In der Abstimmung wird der Entwurfainseinem ersten Teil mit großer Mehrheit angenom⸗ men, dagegen stimmen nur Sozialdemokraten, Polen und Elsaß⸗Lothringer. Der zweite Absatz, betreffend die Quotisierung, wird gegen die Stimmen der Sozialdemo⸗ kraten abgelehnt.

Ueber den Entwurf b (Erbschaftssteuer) wird nament⸗ lich abgestimmt. Der Entwurf wird mit 184 gegen 169. Stimmen angenommen. Die Verkündigung des Resul⸗ tats wird von der Linken mit lebhaftem Beifall begrüßt, dem Gelächter auf der Rechten antwortet.

Die Einnahmen aus der Tabaksteuer, Zigarettensteuer, Zuckersteuer, alzsteuer, Branntweinsteuer, Essigsäurever⸗ brauchsabgabe, Schaumweinsteuer, Leuchtmittelsteuer, Zünd⸗ warensteuer, Brausteuer, aus dem Spielkartenstempel, Wechsel⸗ stempel und den anderen Reichsstempelabgaben werden ohne Diskussion genehmigt.

Die Zuwachssteuer ist im Etat mit 13 Millionen eingestellt.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Die Hoffnungen, die man auf die Wertzuwachssteuer gesetzt hat, haben sich nicht erfüllt. Bisher sind nur etwa 10 Millionen Mark eingenommen worden. Auch die Be⸗ fürchtungen sind eingetreten, die man damals aussprach, daß der Grundstücksverkehr zurückgehen würde. Das zeigen deutlich die Mindereinnahmen aus dem Grundstücksübertragungsstempel. Es wurde seinerzeit gehofft, diesen allmählich ganz aufheben zu können. Das ist aber unmöglich, da ja dieser das Doppelte eingebracht hat als die ganze Wertzuwachssteuer. Die verbündeten Regierungen und der Reichstag haben deshalb in gleicher Weise ein Interesse daran, diese Verhältnisse im Auge zu behalten. Es ist gesagt worden, daß die Er⸗ träge größer gewesen wären, wenn man die Steuer nicht gemildert hätte. Aber ich glaube, gerade das Gegenteil ist der Fall, der Er⸗ trag wäre sonst noch geringer gewesen. 8

Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn: 8

Nur ein ganz kurzes Wort zur finanziellen Ehrenrettung der Wertzuwachssteuer.

Ganz so traurig wie der Herr Abg. Dr. Arendt die Sache dar⸗ stellt, liegt sie nicht. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß in den ersten Monaten nach Einführung des Gesetzes große Erträge nicht aufkommen konnten, weil die Vorarbeiten eine zu lange Zeit erforderten. In der letzten Hälfte des vorigen Jahres ist aber fast in jedem Monat der doch nicht unerhebliche Betrag von anderthalb Millionen Mark aufgekommen und zwar allmählich wachsend. Im Avpril dieses Jahres waren nach den Ausweisen über die Einnahmen dieses Monats nur

400 000 eingekommen. Ich habe aber in der Budgetkommission gleich bei Bekanntgabe der Zahlen erklärt, daß dies nicht den wirk⸗ lichen Einnahmeverhältnissen entsprechen könnte, sondern daß es mit dem Verfahren der Kassenverwaltungen zusammenhängen müsse. Wir haben hierüber Ermittlungen angestellt und nunmehr erfahren, daß in der Tat außerdem ein hoher Betrag es sind 2 Millionen Mark im April aufgekommen sind. (Hört! hört! rechts.) Diese 2 Millionen Mark sind aber, weil die Steuerfeststellung schon im März erfolgt war und weil die Kassenbücher wegen des Jahres⸗ schlusses über den 1. April hinaus offen gehalten werden, noch für das vorige Jahr nachträglich verbucht worden. Die wirkliche Ein⸗ nahme für April stellt sich also nicht auf 400 000 ℳ, sondern auf 2 400 000 ℳ. Das, glaube ich, ist eine Summe, mit der auch der

Herr Abg. Dr. Arendt zufrieden sein kann.

Abg. Graf West 8. (dkons.): Auch ich glaube, daß der Abg. Dr. Arendt zu schwarz sieht. Gerade eine solche Steuer bedarf einer längeren Uebergangszeit, ehe sie das einbringt, was man von ihr erwartet.

Zu den Einnahmen aus dem Bankwesen, 15 938 000 ℳ, bemerkt der

Abg. Dr. von Schulze⸗Gaevernitz (foortschr. Volksp.): In unserer Esenten Volkswirtschaft hat sich ein großer Umschwung vollzogen. ie ist aufgebaut auf einem ungeheuren Kreditsystem, und dieses ist nur tragfähig, weil ein letzter Schlußstein vorhanden ist, die Reichsbank. iese ist aber zurückgedrängt worden durch die

roßbanken und durch das Depo 8 Wir haben gesehen, daß der Reichsbank in einer Woche 700 Millionen Mark entzogen worden sind. Ein solcher Zustand kann außerordentlich gefährlich werden, gan ür unsere finanzielle Mobilmachung. Da ist es mit Feee reude zu begrüßen, Faß die Reichsbank daran gegangen ist, in unserem Kreditwesen eine Reform zu schaffen. Erfreulich ist dabei, daß die Großbanken sich diesem Bestreben der Reichsbank gegenüber entgegenkommend verhalten und nicht in eine Kampfstellung einge⸗ treten sind. Auch durch die Schaffung der Zweimonatsbilanzen ist eine bessere Uebersicht über unser Finanzwesen geschaffen worden. Aber eine wirkliche Reform läßt sich nur dann durchführen, wenn auch in der Provinz die Vnsicht durchdringt, was es bedeutet, wenn in der deutschen Volkswirtschaft eine gewisse Illiquidität herrscht. Wir können der Reichsbank zu ihrem Reformwerk nur Glück wünschen. Dieses Vorgehen ist wichtiger, als ein gesetzliches Eingreifen.

Abg. Graf Westarp (dkons.): Der Vorredner hat eine außer⸗ biten nich wichtige Frage angeschnitten. Auch wir sind durchaus ein⸗ verstanden mit den Bestrebungen des Präsidiums der Reichsbank.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Die angeschnittene Frage ist so wichtig für unsere gesamte wirtschaftliche Entwicklung, daß wir im Herbst bei Wiederzusammentritt unter allen Umständen eine ausführliche Erörterung unseres Geld⸗ und Kreditsystems werden vornehmen müssen. Man erwartet das im Lande anglfichts der zahl⸗ reichen Mißstände, die hervorgetreten sind. Was der Aübg. von Schulze⸗Gaevernitz Wichtiges vorgebracht hat, war allerdings nicht neu, und das Neue war nicht richtig.

Der Rest des Etats der Allgemeinen Finanzverwaltung und die Ergänzung dazu werden im übrigen durchweg nach den Kottmisansae. ohne Diskussion angenorrmen. Zum Etatsgesetz und zur Ergänzung dazu hat die Budgetkommission beschlossen, im Besoldungsetat fün das Direktorium der Reichs⸗ versicherungsanstalt 8 Angestellte die Gehälter für die vier Mitglieder des Direktoriums herabzusetzen. Statt von 8000 bis 12 000 sollen zwei Mitglieder künftig 8000 bis 11 000 Mark und zwei andere gleich von vornherein mit 8000 bis 11 000 Gehalt dotiert werden.

Abg. Graf Westarp (bkbons.) beantragt, die Regierungsvorlage wieder herzustellen.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Innern Dr. Delbrück:

Meine Herren! Ich kann diesen Antrag nur dringend zur An⸗ nahme empfehlen. Durch die im Beschlusse der Budgetkommission vorgesehene Herabsetzung der Gehälter für die Mitglieder des Direktoriums würde die Verwaltung der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in große Verlegenheit kommen. Um den in der Budget⸗ kommission geäußerten Wünschen entgegenzukommen, kann ich erklären, daß die beteiligten Ressorts der Reichsverwaltung in Verbindung ge⸗ treten sind, um tunlichst bald zu ermöglichen, daß zugunsten des zweiten Direktors im Reichsversicherungsamt die Direktoren in den beiden mit der Reichsversicherung der Arbeiter und der Angestellten betrauten Reichsbehörden in ihren Gehaltsbezügen gleichgestellt werden.

i Haus beschließt nach dem Antrage des Abg. Grafen estarp.

Damit ist die zweite Beratung des Etats für 1912 erledigt.

Für die Allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt für 1907 wird auf Antrag der Rechnungskommission dem Reichskanzler Entlastung er⸗ teilt, desgleichen wird für die Rechnungen der Kasse der Ober⸗ rechnungskammer für 1907, 1908 und 1909 dem Rechnungs⸗ leger Entlastung erteilt.

Es folgen Berichte der Petitionskommission.

Die Petition des Innungsverbandes „Bund deutscher Schneider⸗Innungen“ wegen Einführung des Befähigungs⸗ nachweises in der Maßschneiderei will die Kommission dem Reichskanzler als Material überweisen.

Abg. Albrecht (Soz.) befürwortet einen Gegenantrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Für ein einzelnes Gewerbe könne man kein Ausnahmegesetz durch Einführung des allgemeinen Befähigungs⸗ nachweises erlassen.

Der Kommissionsantrag wird durch Auszählung mit 156 gegen 156 Stimmen, 6 mit Stimmengleichheit, abgelehnt. Auch der Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung wird vom Bureau für abgelehnt erklärt.

Als Material überweist das Haus dem Reichskanzler die Petitionen wegen Abänderung des § 346 Str.⸗G.⸗B. und des § 305 des Vorentwurfs des Str.⸗G.⸗B.

Eine Reihe weiterer Petitionen persönlichen Inhalts wer⸗ den ohne Diskussion nach den Kommissionsanträgen erledigt.

Ueber die Petitionen, betreffend Tarifierung von Melassefutter wird zur Tagesordnung übergegangen. Die Petition des Deutschen Handelstages wegen Erweiterung des § 15a 1n8 1 der Gewerbeordnung wird dem Reichskanzler als Material überwiesen, über die Petition des Vereins gegen Unwesen in Handel und Gewerbe in Hamburg ähnlichen In⸗ halts wird zur Tagesordnung übergegangen. Als Material überwiesen wird die Petition 8. Handelskammer zu Bochum, betreffend Bekämpfung des Zugabeunwesens. Zur Erwägung überweist das Haus dem Reichskanzler die Pekitionen wegen Einberufung einer außerparlamentarischen Kommission zur Be⸗ ratung der Prostitutionsfrage.

Die Eingaben des Baurats Otto in Eisenach, des Friedrich Evers in Lübeck und des Emaillierwerks Raschau im Erz⸗ gebirge wegen Beschaffung von Wahlurnen durch das Reich beantragt der Referent der Wahlprüfungskommission, Abg

Staatssekretär des

I 8 1“

Schwarze⸗Lippstadt (Zentr.), dem Reichskanzler zu über⸗ weisen.

Abg. Dr. Quarck⸗Frankfurt (Soz.) befürwortet einen Zusetz, dahingehend: „Und ihn zu ersuchen, die Einführung einheitlicher und das Pabhlgebeimnis sichernder Wahlurnen alsbald zu le. Der Reichskanzler lege in dieser wichtigen Frage nicht den 1 ens. werten Eifer an den Tag. Es stehe ihm eine große Auswahl von Urnen bereits zur Verfügung; er möge alsbald eine Wahl treffen, damit nicht wieder bei den nächsten Wahlen die so beliebten Zigarren⸗ kisten, Suppenterrinen usw. namentlich auf dem Lande als Wahl⸗

urnen ““ finden.

Abg. Dr. eumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Wir stimmen beiden Anträgen zu. s wäre nur nötig, in das Wahl⸗ reglement eine Bestimmung über die Beschaffenheit der Urne hinein⸗ Ses wie es in Lippe bereits geschehen sei. Fast jeder Wahl⸗ protest lege Zeugnis ab von dem Bestehen höchst bedenklicher Zustände in dieser Beziehung. Bei der Wahl des Abg. Pauli⸗Hagenow habe sich ein Stimmzettel folgenden Inhalts borgsfen en:

üt ist dei Dag, dat möt so sinn,

Nu gah ick nah dat Wahlhus rinn,

O je! Watt krieg ick dor to seihn,

De Wahlurn' is bannig klein.

Datt is jo wägen den roten Mann,

Datt de uck nich entwischen kann.

Drum sett ick mi uck nich erst dahl,

Gah glik werre rut ut Wahllokal

Un quäl mi nich üm de Reichsdagswahl. .

Vom Hofdischer J. Sibvkovich

. ut Kober.

Beide Anträge werden einstimmig angenommen.

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Der Präsident schlägt vor, heute 43½ Uhr noch eine zweite Sitzung abzuhalten mit der Tagesordnung: Dritte Beratung der Wehrvorlagen, Wahlprüfungen, dritte Beratung der Vorlage wegen Beseitigung des Branntweinkontingents. Das Haus ist damit einverstanden 1

Schluß 4 Uhr 20 Minuten. 1“

68. Sitzung vom Dienstag, 21. Mai, 43½4 Uhr.

Der Sitzung wohnen der Reichskanzler Dr. von Beth⸗ mann Hollweg, der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück, der Staatssekretär des Reichsmarineamts, Großadmiral von Tirpitz, der Kriegsminister, General der Infanterie von Heeringen und der Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn bei.

Eine große Anzahl von Petitionen, die die Petitions⸗ kommission für ungeeignet zur Erörterung im Plenum erachtet

hat, wird für erledigt erklärt.

Die Wehrvorlagen werden in dritter Lesung auf Antrag des Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.) gemeinsam beraten. G

In der Generaldiskussion bemerkt der

Abg. Haase (Soz.): Wir bedauern, daß wir noch nicht stark enug sind, um diese volksfeindlichen Vorlagen zu Fall bringen zu önnen. Es wird aber unser Bestreben sein, weiter aufklärend zu wirken und allmählich die weiten Volkskreise mit Abscheu gegen dieses Wettrüsten zu erfüllen. Wir zweifeln nicht daran, daß bald die Mehrheit des deutschen Volkes auf unserer Seite stehen wird.

Die einzelnen Vorlagen werden darauf en bloc in dritter Lesung angenommen gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Polen. Jede Abstimmung wird seitens der bürgerlichen Parteien mit lebhaftem Bravo und Händeklatschen begrüßt, das sich noch verstärkt, als die Sozial⸗ demokraten ihren Unmut durch Zischen kundgeben.

Es folgen Berichte der Wahlprüfungskom⸗ mission. Die Wahlen der Abgg. Baudert (Soz,, 1 Sachsen⸗Weimar) und Dr. Lensch (Soz., 22 Sachsen) werden für gültig erklärt, die Wahlen der Abgg. Kölsch (nl., 7 Baden) und Dr. Kaempf ffortschr. Volksp., Berlin 1) werden beanstandet und Beweiserhebung beschlossen. Die Wahl des Abg. Pauli⸗Hagenow (bkons.) beantragt die Kommission für un gültig zu erklären, da die Prüfung er⸗ geben habe, daß nicht der Sozialdemokrat, sondern der fort⸗ schrittliche Kandidat mit dem Deutschkonservativen hätte in die Stichwahl kommen müssen.

Abg. Dr. Pfleger (Zentr.) beantragt, diese Wahlprüfung an die Kommission zurückzuverweisen. Der eingegangene Protest sei im Laufe der Verhandlungen der Kommission von den Protesterhebern zum Teil EE“ ganz zurückgezogen worden; die Kommission habe aber bereits eine Reihe von Punkten erörtert gehabt und Be⸗ schlüsse gefaßt, und diese habe sie trotz der Zurückziehung aufrecht er⸗ halten. Dieses Verfahren müsse beanstandet werden. Her Beschluß der Kommission, die Zurückziehung nicht zu beachten, sei mit Stimmen⸗ gleichheit gefaßt worden.

Abg. Dr. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Die Kom⸗ mission hat jeden einzelnen Punkt einzeln verhandelt; was soll da eine nochmalige Prüfung? Der Reichstag kann sich nicht die Möglichkeit nehmen lassen, auch von sich aus die Wahlen zu prüfen; die Prüfung der Wahlakten hat bereits ergeben, daß die Zahl der für den Fort⸗ schrittler Sivkovich abgegebenen Stimmen größer ist, als die 88 den sozialdemokratischen Kandidaten Kober; schon aus diesem Grunde muß die Wahl des Abg. Pauli kassiert werden.

Es geht ein Antrag Schwarze⸗Pfleger ein, die Beschlußfassung über die Wahl auszusetzen und Beweis⸗ erhebung über eine Reihe von Protestbehauptungen zu ver⸗

anlassen. Abg. Stadthagen (Soz.): Wir bitten, den Antrag Schwarze abzulehnen. Die Sache ist spruchreif, und die :hgeg unkte sind enau durchgesprochen worden. Hier liegt die vn tigkeit klar zutage. Pier sind so grobe Verstöße gegen das Wahlreglement vorgekommen, daß diese allein schon genügen würden, um die Wahl zu kassieren. Und alle diese Unregelmäßigkeiten sind mit vollem Bewußtsein zugunften von Pauli begangen worden. Bedauerlich ist nur, daß die Kommission nicht beschlossen hat, dahin zu wirken, daß gegen die betreffenden Wahlvorsteher ein 16““ eingeleitet wird. 1 188 Schwarze⸗Lippstadt (Zentr.): Ehe der Reichstag zu einem Beschluß kommt, ist es nötig, die eicge heh Fälle genau zu prüfen, und das schlägt ja unser Antrag vor. Es ist doch merkwürdig, daß es der Berichterstatter gewesen ist, der die Zurückziehung des Protestes veranlaßt hat. 4 1 Abg. Fischer⸗Berlin (Soz.): Wenn mich etwas stutzig ge⸗ macht hat, dann ist es die Tatsache, daß von einem alten erfahrenen Praktiker zuerst der Antrag gestellt wird, die Sache an die Kom⸗ mission zurückzuverweisen, und daß dann die Anregung des Bericht⸗ erstatters aufgegriffen wurde, und man den Antrag dahin abänderte, eine ö vorläufig auszusetzen, um neue Untersuchungen anzustellen. Es ist klar, daß man ire.eß Zeit gewinnen will. 1 Abg. Dr. von Veit (dkons.): an muß sich zuerst einma rotestes klar werden. Die Kommission steht auf dem Standpunkt, daß, wenn der Protest rückgezogen ist, kein Grund mehr vorliegt, die dort vorgebrachten ehauptungen nachzuprüfen. In diesem Falle ist wohl der Protest nur deshalb zurückgezogen worden, damit eine Nachprüfung unmög⸗ lich gemacht wird. an fürchtete, den eigentlichen Zweck nicht er⸗ reichen zu können, weil die Kommission bei Nachprüfung der einzelnen Punkte deren Unrichtigkeit einsehen und die Wahl dann für. ültig erklären könne. Nimmt der Reichstag den Antrag Schwarze nicht an, 5 verfährt er hier umgekehrt, wie noch vor einigen Tagen bei

Wak 1 5 Abg. Haupt.

über die Wiistung, der Zurückziehung eines e

„Hierauf wird ein Schlußantrag der Abgg. Haa Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.) und E.Haase Sas.) angenommen. *

Eäö 8

bg. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Ich muß mi mesiss Feen han Vorwurf verwahren, den der Abg. Schwarze 12.

Der Antrag Schwarze wird egen die Recht 3 Zentrum abgelehnt. Mit derselben ehrheit 19 ba deeae des Abg. Paclt. Hegenon für ungültig erklärt.

8 2”8 Fahh neg- c. uckh 1. (Zentr., 2. Cöln) w iskussion Beweiserhebung ü⸗ 2 nnke bscose 8 g über mehrere Protest⸗

uch die Be ußfassung über die Wahl des Abg. Oppers dor 9 (wild, 6. Posen) soll ausgesetzt und 8 über eine Reihe von Protestbehauptungen erhoben werden.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volks Ausdehnung der Beweiserhebung auf E“ seitens der geistlichen Zentrumsparteigänger vor dem Freisinn gewarnt worden sei. Der Teufel im Paradiese sei der Freisinn gewesen. In Bayern sei man gewöhnt, daß nach dem ruche semähis werde: Bauer, denke an Deine Seel; wählst nit schwarz ommst in die Höll'. Wählst Du einen Zentrumsmann, kann Dir der Teufel nimmer ran. Die Kirche dürfe nicht zum politischen Kampfplatz gemacht werden. Mit der alten verkehrten Praxis müsse das Haus um so mehr brechen, nachdem das Oberlandesgericht Colmar seine Entscheidung über die elsaß⸗lothringischen Wahlen ge⸗ fällt habe. Der Mißbrauch der geistlichen Gewalt müsse zur An⸗ fechtung und eventuell zur Ungültigkeit einer Wahl führen. Der Reichstag dürfe nicht ferner Muücken seihen und Kameele verschlucken indem 8 88 1 alten Praris festhalte. 8

Abg. warze⸗Lippstadt (Zentr.) tritt diesen Erwei . anträgen entgegen. Die Geistlichkeit hätte dasselbe rgdhciter n hhe e Pe nnther⸗ Geistlichen seien nach dem deutschen Lassgen ie alte Praxis des Hauses sei die einzig

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): . lothringische Geistlichkeit ist so weit gegangen, das Urtenl ”..g- Oberlandesgerichts eine Schandtat zu nennen. Solcher Urteile 8 höchstens noch 88 Sozialdemokraten.

.l.Abg. Dr. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Daß di Geistliche Privatpersonen sind und agitieren breen) besse di⸗ niemand. Es handelt sich dabei aber um Agitation außerhalb der Kirche. In den drei Fällen, die unser Antrag berührt, ist die Kanzel mißbraucht worden. Bisher sind wir mit solchen Anträgen in der geblieben; in der Kommission ergab sich diesmal Stimmen⸗ gleichheit.

Abg. Schwarze⸗Lippstadt (Zentr.): Der Geistliche ka weder mit einem Arbeitgeber noch mit einem 2 die gleiche Stufe gestellt werden. 8

Abg. Erzberger (Zentr.): Der Abg. Dr. Müller⸗Meiningen kann ja im bayerischen Landtage beantragen, daß der katholischen Kirche alles, was ihr eit hundert Jahren weggenommen worden ist, wiedergegeben wird; dann läßt sich mit ihm weiter diskutieren. Die Geistlichen haben allerdings das Recht, auch von der Kanzel herab auf die Be⸗ deutung der Wahl aufmerksam zu machen, zumal wenn die Gefahr besteht, daß die Religion geknechtet und angegriffen werden könnte. In der Provinz Brandenburg hätten die Geistlichen auf die Be⸗ deutung der Kommunalwahlen von der Kanzel herab amtlich hin⸗ zuweisen. Schon aus diesem Grunde sei der Antrag Müller⸗ Meiningen unhaltbar.

Ueber den Antrag Müller⸗Meiningen bleibt die Ab⸗ stimmung zweifelhaft; die Auszählung ergibt die Annahme mit 180 gegen 156 Stimmen. Mit dieser Erweiterung gelangt der Kommissionsantrag zur Annahme. 8

Es folgt die dritte Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend Beseitigung des Branntweinkontingents. In der Generaldebatte erklärt der

Abg. Wurm (Soz.): Bei diesem Gesetz handelt es sich ni t um Beseitigung der Liebesgabe, sondern 6 eine wes sich ich dieser. Solange der Durchschnittsbrand und der Vergällungs⸗ zwang bestehen, wird die Macht der Zentrale noch mehr ge⸗ steigert. Wie sehr die Preissteigerung vorgenommen worden ist, gebt daraus hervor, daß die Zentrale jetzt 755 nimmt, während sie vor ein paar Jahren noch 42 erhielt. Das Gesetz schafft nur ein privatmonopol ohne jede Kontrolle. Es wäre dann doch besser, ein Reichsmonopol zu schaffen. „Das Gesetz verschleiert nicht nur seine Grundsätze, sondern es ist sogar denen schleierhaft, die es ein⸗ gebracht haben. Es ist nicht leicht, herauszufinden, wieviel Steuer⸗ füufen es eigentlich gibt. Wir besitzen 300 Kategorien von Brennereien, die allein nach 7 Steuerstufen behandelt werden. Der keidtragende ist doch immer der Konsument Das ganze Gesetz st ein Raub an den Aermsten der Armen. So werden wieder 16 Millionen für Brennerinteressen ausgegeben, damit sse die Möglichkeit haben, die Sintflut von Schnaps einzudämmen. Deswegen haben wir wenigstens verlangt, daß die Veteranen des Krieges und der Arbeit etwas bekommen. Aber die Nimmersatten geben ja keinen Pfennig her. Sie wollen nur neue Lasten den elendesten Menschen aufbürden.

. Dr. Do ormann (fortschr. Volksp.): Meine Fraktion wird angesichts der Beschlüsse der zweiten Lesung mit wenig Ausnahmen gegen das Gesetz stimmen. Auch wir halten es nicht für angebracht, die Macht der Spirituszentrale weiter zu verstärken, und das geschieht ohne Zweifel durch diese Vorlage.

Damit schließt die Generaldiskussion. In der Spezialberatung beantragt der G Abg. Wurm (Soz.) die Wiederherstellung des in der zweiten kesung abgelehnten § 7a, der verlangt, daß, wenn das Kontingent seer gewerblichen Brennerei die Gesamtmenge von 3000 hl über⸗ 1”” es vom Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes ab auf diese cr herabgesetzt wird. It bg. Waldstein (fortschr. Volksp.) befürwortet denselben * rag namens der fortschrittlichen Volkspartei. Es ist un⸗ greiflich weshalb das Zentrum, das in der Kommission für diese eitimmung eingetreten ist, jetzt plötzlich seine Meinung geändert hat. Der Antrag wird abgelehnt. a Im § 7b wird auf Antrag Albrecht (Soz.) auch den anstlederfabriken dieselbe Vergünstigung bei der Rückvergütung gänährt wie anderen Fabrikaten, zu denen unvollständig ver⸗ b 6 Alkohol verwendet wird. . g. Dr. Paasche (nl.) begründet dann den Antrag, in § 9 68 Absatz 5 einzufügen, der für Brennereien, die von der Hefe⸗ sneung nach dem Würzeverfahren zur Hefeerzeugung nach dem 8* dr Verfahren oder zum Dickmaischeverfahren übergehen, ebenfalls ergünstigung vorsieht. 8 er Antrag wird einstimmig angenommen. gin Nachdem noch ein Antrag der Mehrheitsparteien auf Er⸗ 8 nung des 8 142 88 Debatte angenommen ist, wird das b . schließlich in der Gesamtabstimmung endgültig

8. esolution der Polen (Brandys und Gen.), die ver⸗

8 15. Regierungen zur Vorlegung eines Gesetzentwurfs

gerüfordern, wonach die Ueberschüsse aus der Branntwein⸗

anechsabgabe ur Unterstützung der Veteranen und zur

1 glübung der Altersgrenze sür die Altersrentner auf das

fhlun ensjahr Verwendung finden sollen, wird d Aus⸗ g mit 161 gegen 156 Stimmen abgelehn

Schluß 7 ½ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 10 Uhr (Beratung des Antrages auf Vertagung des Redhatnhr is zum 26. November; Verträge mit Luxemburg und Bul⸗ garien; Rechnungsvorlagen; dritte Lesung der Deckungs⸗ vorlagen, des Etats für 1912; Prüfung der Wahl des Abg. Bruhn.) 1 8 8

Preußischer Landtag. Herrenhaus. .

1 (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. ekeh Das Haus setzt die Beratung des Entwurfs, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats, bei 1-. Etat . 1““ der geistlichen und Unterrichtsangelegen⸗ n fort. b

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenhei D. Dr. von E“ chtsangelegenheiten

Meine Herren! Wenn ich nicht irre, habe ich schon einmal in diesem hohen Hause darauf hingewiesen, in wie hohem Maße die Unterrichtsverwaltung und unsere höheren Schulen der öffentlichen Kritik unterworfen sind. Das ist gewiß nützlich, und es wird die Aufgabe der Unterrichtsverwaltung sein, dieser Kritik mit Aufmerk⸗ samkeit zu folgen, aber sie wird doch auch die notwendige Zurückhaltung dieser Kritik gegenüber zu üben haben, ehe sie ihrerseits Folgerungen aus dieser Kritik zieht. Meine Herren, das ist um so notwendiger, weil diese Kritik in sich selbst außerordentlich widerspruchsvoll ist. Was von der einen Seite getadelt wird, wird von der andern gelobt, was die einen wünschen, das verwerfen die andern. Das macht sich auch geltend speziell bei der Beurteilung der Leistungen unserer höheren Schulen, und in⸗ sonderheit der Leistungen unserer Gymnasien. Sie werden sich viel⸗ leicht erinnern an die temperamentvolle Rede, die der Herr Graf Kospoth in diesem hohen Hause noch vor einigen Jahren gehalten hat, in der er sich bitter darüber beklagt, daß die Anforderungen an den höheren Schulen in Schlesien überspannt seien. Er berief sich dabei auf das Zeugnis zweier Mitglieder dieses hohen Hauses, den früheren Oberpräsidenten der Provinz, den Herzog von Trachen⸗ berg und den Grafen Zedlitz, und er fand reichen Beifall in diesem hohen Hause. Heute hören wir von Angehörigen derselben Provinz lebhafte Klagen darüber, daß die Anforde⸗ rungen an den höheren Schulen durch die Unterrichtsverwaltung herabgemindert würden, und daß die Abiturienten nicht mehr das Zeug hätten, um an den Universitäten den Studien in gehöriger Weise ob⸗ liegen zu können. Sie sehen, meine Herren, aus derselben Provinz von zwei beachtenswerten, den Dingen nahestehenden Stellen diametral gegenüberstehende Urteile. Sie werden es mithin für richtig halten, wenn ich gesagt habe, daß die Unterrichtsverwaltung solchen Aeuße⸗ rungen gegenüber Zurückhaltung beobachtet und nicht zu frühe Schlüsse aus der Kritik zieht. Es wird die Aufgabe der Unter⸗ richtsverwaltung nach wie vor sein, dafür zu forgen, daß einerseits die Anforderungen an unsere höheren Schulen nicht überspannt werden, auf der andern Seite aber dort ganze Arbeit gefordert und nicht Verweichlichungspädagogik getrieben wird. Das ist auch durchaus das Streben der Unterrichtsverwaltung, und ich kann nicht zugeben, daß die Besorgnisse und die Bedenken, die eben von sonst so sachkundiger Seite und in eingehender Weise vorgetragen sind, nach allen Richtungen hin berechtigt sind. Wenn man sich ein Urteil über die Leistungen unserer höheren Schulen bilden will, wird man sicherlich doch das Urteil anschließen müssen an die Ergebnisse, die die Prüfungen gezeitigt haben, und diese Ergebnisse sind keinesfalls so schlecht, wie das von mancher Seite behauptet wird. Namentlich auch die Anführung, daß in den Oberlehrerprüfungen neuerdings ein so großer Prozentsatz durchfalle, ist kein Grund, um jene Behauptung zu bestätigen. Es wird dabei übersehen, daß in dem Zeitraum, aus welchem die Ergebnisse entnommen sind, eine Aenderung der Prü⸗ fungen stattgefunden hat. Während früher die Oberlehrer das Examen be⸗ standen hatten, auch wenn sie in einzelnen Fächern nicht genügende Kennt⸗ nisse aufgewiesen hatten, ist das jetzt weggefallen; die Prüfungen sind sehr viel schwieriger geworden, und das liegt gerade in der Linie, daß die Anforderungen nicht herabgemindert werden sollen. Denn sicher⸗ lich kommt es bei den höheren Schulen darauf an, wenn wir bei ihnen gute Leistungen erhalten wollen, daß wir eine tüchtige, ent⸗ sprechend ausgebildete Lehrerschaft haben, und darauf legt die Unter⸗ richtsverwaltung den allergrößten Wert, ein geeignetes Lehrerkollegium an den Schulen zu erwerben. Nach der andern Richtung hin sind die Verhältnisse, das läßt sich nicht bestreiten, in den letzten Jahren sehr viel besser geworden wie früher. Wir hatten früher wohl einige hervorragende Gelehrte an den Gymnasien, der Durchschnitt stand aber keineswegs auf der Höhe, auf der unsere heutige Lehrerschaft an den Gymnasien steht. Als Pädagogen waren sie früher im wesentlichen Autodidakten, jetzt erhalten sie eine entsprechende Vorbildung auch in der Pädagogik. Es sind praktische Lehrbetriebe für die Lehrer eingerichtet. Alles das ist von Vorteil gewesen. Man kann mit Recht sagen, das durchschnittliche Niveau der Lehrerschaft an unseren höheren Schulen ist sehr viel besser geworden, als es früher der Fall war. Somit glaube ich doch sagen zu können, daß die Unterrichts⸗ verwaltung bestrebt ist, die Leistungen an unseren höheren Schulen zu fördern, namentlich auch in bezug auf die Ausbildung der Lehrer. Aber auch im übrigen ist das der Fall. Wenn der Herr Vorredner darüber geklagt hat, daß den alten Sprachen auf den Gymnasien nicht mehr die Fürsorge gewidmet würde wie früher, so möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß in der Prima lediglich eine Stunde Latein weniger gegeben wird, wie das früher der Fall war; daraus allein wird man jedenfalls nicht den Schluß ziehen können, daß der Unterricht in den alten Sprachen herabgegangen sei. Im Griechischen ist überhaupt ein Unterschied nicht herbeigeführt worden, auch in den übrigen Fächern wird dieselbe Stundenzahl wie bisher gegeben.

Und nun, meine Herren, die Klage über den Niedergang unserer höheren Schulen ist auch nicht neu. Wenn Sie in den Blättern der Geschichte der Pädagogik nachsehen, werden Sie zu allen Zeiten solche Klagen von einzelnen Seiten finden, und wenn diese Klagen berechtigt gewesen wären und die auch heute vorgebrachten Klagen zutreffend wären, müßten wir jetzt 8 einem Tiefstand der

22b 24 2 Sdamit ist auch die Tagesordnung erledigt.

Leistungen angelangt sein überhau t

wäre. (Sehr richtig!) Davon, meine Herren, kann jedenfalls nicht die Rede sein. Ich möchte zur Illustration hler die Aeußerung eines be⸗ kannten Pädagogen aus dem Jahre 1852 mitteilen, es ist Moritz Seyffert, zu einer Zeit, wo das humanistische Gymnasium in seiner Reinheit voll be⸗ trieben wurde. Er sagte: „Für den gewissenhaften Lehrer ist es ein Greuel, unter Primanern, die ex officio Sophokles und Demosthenes lesen, eine Menge von jungen Leuten zu sehen, bei denen fast jede Erinnerung an die grammatischen Formen erloschen ist, ohne daß er ein Mittel besäße, diesem unwürdigen und geradezu unsittlichen Treiben mit Nachdruck zu steuern. (Heiterkeit.) Also, meine Herren, in jener Zeit ein so vernichtendes Urteil! Das läßt doch wirklich davor warnen, solche einzelnen Urteile von be⸗ geisterten Altphilologen als allgemein aufzufassen. Nach meiner Kenntnis der Dinge und nach den Erfahrungen, die die Unterrichts⸗ verwaltung gemacht hat, liegen die Dinge im ganzen doch wesentlich anders. Wenn ich behaupte, daß der Stand unserer höheren Schulen zu derartigen Klagen, wie wir sie heute durch den Mund des Herrn Vorredners von einzelnen Seiten gehört haben, keinen Anlaß gibt so stütze ich mich dabei auf das Urteil erfahrener Schulmänner, die seit Jahrzehnten unsere höheren Schulen kennen und mit ihnen eng verbunden sind. Ich glaube, man wird anerkennen müssen, daß in den letzten 20 Jahren auf dem Gebiete unseres höheren Schulwesens große Fortschritte gemacht worden sind. Dank dem kräftigen Einwirken meiner Herren Vorgänger sind diese Erfolge erzielt worden, und wenn die Schulreform im Jahre 1900 die drei Schularten gleichwertig nebeneinander gestellt hat, so glaube ich, daß damit ein richtiger Schritt getan und mit diesem Schritte keineswegs gegen das humanistische Gymnasium gehandelt worden ist, sondern gerade in seinem Interesse. Gerade durch diese drei Schularten sind wir in der Lage, das humanistische Gymnasium in seiner Eigenart zu erhalten, und darauf geht auch durchaus mein Bestreben. Ich denke nicht daran, von dem humanistischen Gymnasium allmählich immer mehr abzubröckeln und aus ihm allmählich eine andere Anstalt zu machen, als das humanistische Gymnasinm war, andere Zwecke mit ihr zu verfolgen, als sie das humanistische Gymnasium verfolgte. Das humanistische Gymnasium soll in seiner Eigenart erhalten werden, das heißt nun aber doch nicht ein starres Kleben an allen den Einrichtungen auch nebensächlicher Art, die dort einmal getroffen worden sind. Wenn man sich davon überzeugt, daß im Betrieb des humanistischen Gymnasiums Mißstände entstanden sind, so, meine ich, ist die Unter⸗ richtsverwaltung verpflichtet, diese Mißstände zu beseitigen, und wenn sie das tut, dann handelt sie nicht gegen das humanistische Gymnasium, sondern sie handelt für das humanistische Gymnasium (sehr richtig!), um es lebenskräftig zu erhalten und ihm den berechtigten Platz, den es in unserer Schulverwaltung hat, auch weiter zu bewahren. Darauf ist mein Bestreben gerichtet.

Daneben halte ich mich verpflichtet, in dem gleichen Maße auch die anderen Schularten zu fördern, das Realgymnasium und die Oberrealschule. Sie sind durchaus für unsere Zeit angebracht. Die Dinge haben sich eben verändert, und die Schule ist gezwungen, den Verhältnissen, wie sie einmal im Leben sich gestaltet haben, Rechnung zu tragen. Wir kommen eben nicht mehr nur mit der humanistischen Bildung aus. (Sehr richtig!) Wir brauchen für breite Volksschichten auch andere Einrichtungen (sehr richtig!) und deshalb glaube ich, daß mein Herr Vorgänger das Rechte getroffen hat, als er für die Reform von 1901 eintrat. (Sehr richtig!) Es ist ja auch garnicht daran zu denken, daß man diese Entwicklung zurückschrauben könnte. Ich glaube vielmehr, wir müssen daran festhalten, dabei aber nicht versäumen, die verschiedenen Arten der höheren Schulen zu pflegen und zu fördern. Wenn wir darin fortfahren, so liegt das auch gerade im Interesse des humanistischen Gymnasiums. (Sehr richtig!) Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn der Herr Vorredner in Verbindung mit seinen Ausführungen aus meinem sogenannten Extemporalerlasse entnehmen zu müssen glaubte, daß damit den Zielen und Zwecken, die unsere Gymnasien und sonstigen höheren Schulen verfolgen, irgend welcher Nachteil zugefügt worden sei. Ich glaube, daß gerade das Gegenteil der Fall ist, und daß die Mißverständnisse, die über diese Erlaß entstanden sind, auch inzwischen bis zu einem gewisse Grade beseitigt worden sind, und daß jetzt eine andere Beurteilun dieses Erlasses in weiten Kreisen eingetreten ist.

Was ist denn durch diesen Erlaß an dem bisherigen Betrieb der höheren Schulen geändert worden? In den höheren Klassen is überhaupt nichts Wesentliches geändert worden, dort ist eine Ver mehrung oder Verminderung der Extemporalien durch diesen Erlaß nicht herbeigeführt worden. Anders liegt es allerdings in den unteren Klassen. Dort waren bisher vielfach die Extemporalien in einer Weise gehäuft, die sich in der Tat nicht rechtfertigen ließ. Mußten doch diese jungen Schüler bis zu 100 Extemporalien im Jahre schreiben (Hört, hört!), waren sie doch in der Woche vier⸗ bis fünfmal vor ein Extemporale gestellt. Daß das nicht pädagogisch ist, daß das nicht den Interessen der Schule entspricht, wird jeder anerkennen müssen. Ich bestreite auch keineswegs, daß vielfach in den höheren Schulen bisher schon diese Dinge in vernünftiger Weise betrieben worden sind. Aber in weiten Kreisen war das nicht der Fall, und das Extemporale war vielfach geradezu der Mittelpunkt des ganzen Unterrichtsbetriebes geworden, von dem das Wohl und Wehe der Schüler, der Eltern und der Lehrer ab⸗ hing. Das war eine Uebertreibung, die meiner Ansicht nach beseitigt werden mußte, wenn ein gedeihlicher und erfolgreicher Betrieb des Unterrichts von der Schule erwartet werden sollte. Was der Junge im Extemporale leistete, wobei man auch vielfach den Durchschnitt der Zensuren zog, das war bestimmend für die Be⸗ urteilung des Knaben. Das war vielleicht bequem auch für den Vater, wenn er zum Lehrer kam. Der griff in die Tasche, sah in seinem Buch nach und konnte dann nach Maßgabe der Zahlen Aus⸗ kunft geben über die Leistung des Schülers. Wenn als ein Mangel meines Erlasses angeführt wird, daß das nicht mehr möglich sei, so liegt darin die größte Rechtfertigung für meinen Erlaß. Denn dieses zahlenmäßige Zensieren und Einschätzen der Knaben nach den einzelnen Leistungen war meines Erachtens falsch und ein pädagogischer Fehler. (Sehr richtig!) Es soll die ganze Persönlichkeit des Schülers ins Auge gefaßt werden, der Lehrer soll in persönlichen Kontakt mit dem Schüler kommen, nach seiner ganzen Persönlichkeit seine Leistungen beurteilen und sich danach ein Urteil bilden, ob er für das Aufsteigen in eine höhere Klasse reif ist. (Sehr richtig!) Damit komme ich zu den Bedenken, die in der Richtung

hervorgetreten sind, daß die Versetzung aus den unteren Klassen