1912 / 214 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 07 Sep 1912 18:00:01 GMT) scan diff

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Luzerne und der Wiesen im Deutschen Reich am

im Kaiserlichen Statistischen Amt, veröffentlicht.

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Oberlyzeums in Schwerin sowie die Zeugnisse der an dieser Anstalt bestandenen Reifeprüfung und Lehr⸗ amtsprüfung die gleichen Berechtigungen wie die ent⸗ sprechenden Zeugnisse der Oberlyzeen in Preußen. Berlin, den 27. August 1912. Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten⸗ In Vertretung: von Chappuis.

An die Königlichen Provinzialschulkollegien und Regierungen.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen

und Forsten.

Dem Kreistierarztassistenten Dr. Foth in Endtkuhnen ist die kommissarische Verwaltung der Kreistierarztstelle zu Heinrichs⸗ walde und dem Repetitor an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin, Tierarzt Dr. Neumann die Kreistierarztassistenten⸗ stelle in Eydtkuhnen übertragen worden.

Bekanntmachung. 2

Gemäß § 46 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (G.⸗S. S. 166) wird zur öffentlichen Kenntnis gebracht, daß der im laufenden Steuerjahre zu den Kommunalabgaben einschätzbare Reinertrag aus dem Betriebsjahre 1911 bei der Zschipkau⸗Finsterwalder Eisenbahn und der Zweig⸗ bahn Sallgast —Lauchhammer auf

260 000

festgesetzt worden ist. 8

Halle (Saale), den 3. September 1912.

Der Königliche Eisenbahnkommissar.

J. V.: Féaux de Lacroix.

84 Nichtamtliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 7. September 1912.

In der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ werden „Nachrichten über den Stand des Hafers, der Kartoffeln, des Klees, der

Anfang des Monats September 1912“, zusammengestellt

In der Zweiten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruchtmärkten für den Monat August 1912 veröffentlicht. .

Bayern. 8

Die Kammer der Abgeordneten nahm mit großer Mehrheit einen Gesetzentwurf, betreffend Abänderung der bayerischen Heimat⸗ und Armengesetzgebung, an. Danach wird in Bayern nach Annahme des noch zur Beratung stehenden Ausführungsgesetzes an Stelle des bisherigen Heimatsprinzips durch Anschluß an das Reichsgesetz der Unterstützungs⸗ wohnsitz eingeführt.

Hamburg.

Aus Anlaß des Ablebens des Bürgermeisters

Burchard ist dem Senat folgendes Telegramm

iner Majestät des Kaisers zugegangen:

Bern, 6. September. Die Nachricht von dem plötzlichen Tode es Bürgermeisters Burchard hat Mich auf das schmerzlichste er⸗ schüttert. Ich spreche dem Hamburger Senat und der Hamburger Bürgerschaft Meine tiefempfundene Teilnahme aus zu dem Verlust ihres Staatsoberhauptes, dieses von Mir hochgeschätzten Mannes, dessen große Verdienste von seiner Vaterstadt ebenso unvergessen bleiben werden, wie Ich ihm wegen seiner hervorragenden Geistes⸗ und Herzenseigenschaften und seiner oft erprobten Betätigung im Reichsinteresse ein d d dankbares Andenken bewahren werde. v“ 5 Wilhelm I. R.

Der Deutsche Kaiser ist gestern um 2 ½ Uhr Nach⸗ mittags, im Kaiserlichen Sonderzuge aus Zürich kommend, in Bern eingetroffen, wo er auf dem Bahnhof von dem Bundes⸗ präsidenten Dr. Forrer und den übrigen Bundesräten sowie den Präsidenten des Nationalrates und Ständerates, dem Kanzler der Eidgenossenschaft und dem Gesandten von Bülow empfangen wurde. Die Gemahlin des Gesandten überreichte einen Rosen⸗ strauß Der Kaiser schritt die Ehrenkompagnie ab und fuhr hierauf mit dem Bundespräsidenten und dem Gefolge nach dem Bundespalais, wo ein kurzer offizieller Empfang durch den

Bundesrat stattfand. Auf der Fahrt waren der Kaiser sowie der Bundespräsident Gegenstand begeisterter Kundgebungen. Nach kurzer Unterhaltung im Audienzsaal, wo die große vom Kaiser dem Bundesrat geschenkte Standuhr aufgestellt war, be⸗ sichtigte der Kaiser den National⸗ und Ständeratssaal und be⸗ wunderte vom Balkon aus die herrliche Aussicht, die leider bei wolkigem Himmel etwas verdeckt war. Dann folgte die Fahrt durch die Stadt, auf welcher der Kaiser von einer un⸗ geheuren Volksmenge stürmisch begrüßt wurde. Unter Glocken⸗ geläute fand die Auffahrt am Münster statt. Am Portal . Begrüßung durch die Kirchenbehörden. Während el spielte, begab sich der Kaiser ins Innere des

wo ihm die Herren des Komitees für das Refor⸗ mationsdenkmal in Genf vorgestellt wurden. In der Kapelle waren drei große Nachbildungen des geplanten Reformations⸗ denkmals in Genf und auf einem Tische nebenan Photographien Wilhelms von Oranien und des Admirals Coligny aufgestellt. Nach einem Aufenthalt von einer halben Stunde verließen der Kaiser und der Bundesrat das Münster unter Orgelklängen. Vom Münster ging die Fahrt zum Bärengraben über die Kornhausbrücke durch die Stadt nach dem „Berner Hof“. Um 41½ Uhr begab sich der Kaiser in die deutsche Gesandt⸗ schaft, wo er sich die Vertreter der deutschen Kolonie vor⸗ stellen ließ und eine Huldigung der deutschen Kriegervereine entgegennahm. Um 6 Uhr empfing dann der Kaiser im

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Abends fand im „Berner Hof“ offizielle Tafel zu 85 Gedecken statt. Gegen Schluß des Mahles erhob sich der Bundespräsident Dr. Forrer zu einer Rede, die nach „W. T. B.“ folgenden Wortlaut hatte: „Eure Kaiserliche Majestät heiße ich im Namen des Bundesrats in der Bundeestadt ehrerbietig und herzlich willkommen. Als uns der Herr deutsche Gesandte zu Anfang dieses Jahres Ihren Besuch an⸗ kündigte, nahmen wir diese Eröffnung mit größter Freude über die uns zuteil werdende sehr hohe Ehre entgegen und verbanden damit den Ausdruck unserer Gewißheit, daß das gesamte Schweizervolk in diesem Gefühle mit ung einig gehe. Eure Majestät werden Sich, seitdem Sie letzten Dienstag in unserer Grenzstadt Basel den Schweizer Boden betraten, davon überzeugt haben, daß Ihr hoher Besuch für unser Land eine kigentliche Feier be⸗ deutet. Wir erfreuen uns ungetrübt freundschaftlicher Be⸗ ziehungen zu allen unseren Nachbarstaaten. Diecjenigen mit dem Deutschen Reiche sind die umfangreichsten. Der gegenseitige Austausch von ideellen und materiellen Gütern zwischen Deutschland und der Schweiz ist in dem Maße bedeutend, daß wir das allergrößte Gewicht auf dessen Fortdauer und Entwicklung auf der Grundlage der Gleich⸗ berechtigung legen. Das erste Mal seit der Durchreise im Jahre 189 weilt das Kaiserliche Oberhaupt des Deutschen Reiches wiederum unter uns, und wir erblicken in diesem glücklichen Ereignis einen zuverlässigen Beweis dafür, daß auch deutscherseits der entschiedene Wille besteht, die Bande der Freundschaft mit uns immer enger zu knüpfen. Hierfür und ins⸗ besondere für die überaus freundliche Gesinnung. die Eure Majestät bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die Schweiz an den Tag legen, sprechen wir hiermit bei dem heutigen feierlichen Anlaß unsern tiefgefühlten Dank aus. Insbesondere erfüllt es uns mit Genug⸗ tuung, daß Eure Maäjestät unserem Wehrwesen ein so sympathisches Interesse entgegenbringen. Wir besitzen den bestimmten Vorsatz, unsere Unabhängigkeit gegenüber jedem Angriffe auf dieses unser höchstes Gut zu schützen und unsere Neutralität gegenüber jedem, der sie nicht respektiert, zu wahren. Ein notwendiges und zweckdienliches Mittel hierzu bildet eine tüchtige und schlag⸗ fertige Armee. Uns eine solche zu sichern, ist eine unserer vornehmsten Staatsaufgaben, für deren Erfüllung wir alle unsere Kräfte einsetzen. Unsere Geschichte, unsere Staatsform und unsere gesellschaftliche Organisation weisen uns darauf hin, daß wir uns hierfür des Miliz⸗ svstems bedienen. Wir sind uns der Licht⸗ und Schattenseiten des⸗ selben bewußt. Wir anerkennen dankbar jede, auch die herbe Kritik, die von kompetenter Seite an unserem Wehrwesen geübt wird, und sind bestrebt, bestehende Mängel zu heben. Das Schweizervolk weiß die Tatsache in ihrer ganzen Bedeutung zu würdigen, daß der Oberste Kriegsherr des Deutschen Reiches unsere Manöver mit seiner Anwesen⸗ heit beehrt und mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt hat. Wir dürfen uns wohl der Hoffnung hingeben, daß der mehrtägige Auf⸗ enthalt Eurer Majestät in unserem Lande, wie uns zur Freude und Ehre, so auch Ihnen zur Erholung von der gewohnten strengen Erfüllung Ihrer Herrscherpflichten gereiche. Damit verbinden wir die Bitte, unserer Republik Ihre Freundschaft und Ihrem gegenwärtigen Verweilen in der Schweiz eine angenehme Erinnerung zu bewahren. Mit dem innigen Wunsche, es möge das befreundete Nachbarreich unter dem Szepter seines Kaisers, unseres erhabenen Gastes, auch fürderhin blühen und gedeihen, trinke ich auf das Wohl Eurer Majestät, der Kaiserlichen Familie, der deutschen Regierung und des deutschen Volkes.“

Der Kaiser Wilhelm beantwortete, „W. T. B.“ zufolge, diese Ansprache mit den nachstehenden Worten: „Herr Bundespräsident! Ich danke Ihnen bestens für die freund⸗

lichen Worte, die Sie namens des schweizerischen Bundesrats an Mich gerichtet haben. Schon seit einiger Zeit hatte Ich den Wunsch, schweizerische Truppen manövrieren zu sehen, über deren Leistungen Ich seit langem viel Gutes hörte. Ich bin daher gern, Ihrer Ein⸗ ladung entsprechend, bei den diesjährigen Manövern des schweizerischen Heeres erschienen. Seit uralter Zeit sind die Bewohner der Schweizer Gebirge tüchtige und kernige Kämpfer gewesen. Als am Ausgang des Mittelalters der Glanz des Riicertums erblaßte, da sind es die tapferen Eidgenossen gewesen, welche vorbildlich wurden für die Schöpfung, die Ausrüstung und Ausbildung der Landsknechte, der ersten deutschen Fußsoldaten. Denn allbekannt ist es, daß das eid⸗ genössische Fußvolk auf zahlreichen Schlachtfeldern hohen Ruhm ge⸗ erntet hat. Daß die jetzigen Eidgenossen, dieser ruhmreichen Ge⸗ schichte eingedenk, als tüchtige Soldaten in den Fußtapfen ihrer Vor⸗ jahren wandeln, das zu sehen, hat Meinem Soldatenherzen wohlgetan. Die beiden Manövertage haben Mich erkennen lassen, daß im schweizerischen Heereswesen von allen Seiten mit außerordent⸗ lichem Eifer gearbeitet wird, daß der schweizerische Soldat große Anstrengungen aus Liebe zum Vaterlande mit Freudigkeit er⸗ trägt, und daß das Schweizer Heer getragen wird von der Liebe des ganzen Schweizer Volkes. Nach dem Eindrucke dieser Manövertage, nach dem herzlichen Empfange, der Mir in der Ostschweiz und auch in Bern zuteil wurde, ist es Mir ein Bedürfnis, hier in der Bundes⸗ stadt Meinen aufrichtigen Dank der schweizerischen Regierung aus⸗ zusprechen. Wie es eine Freude für Mich war, in der schönen Stadt Zürich Mich aufzuhalten, so gereicht es Mir zu lebhafter Befriedigung, wenigstens einige Stunden in der ehrwürdigen Stadt Bern zu weilen, die im Angesicht der Bergriesen Jungfrau, Mönch und Eiger ihr stolzes Haupt erhebt. Auf das tiefste bedauere Ich, daß Ich es Mir auf ärztlichen Rat versagen muß, den Firnen des Berner Oberlandes und den lieblichen Gestaden des Vierwald⸗ städter Sees den geplanten Besuch abzustatten. Ich hatte Mich be⸗ sonders darauf gefreut, diese Perle der Schweizer Landschaft wieder⸗ zusehen, die Ich vor nahezu 20 Jahren in strahlender Frühjahrs⸗ sonne erblickte. Herr Präsident! Meine Herren Bundesräte! Nach dem Willen der Vorsehung hat sich inmitten der vier be⸗ nachbarten Großmächte die schweizerische Eidgenossenschaft als wohlgeordneter, allen friedlichen Bestrebungen zugewandter, auf seine Unabhängigkeit stolzer, neutraler Bundesstaat ent⸗ wickelt. Mit einzigartiger Naturschönheit ausgestattet, auf militärischen, wissenschaftlichen, künstlerischen, industriellen, technischen und wirtschaftlichen Gebieten fleißig vorwärts strebend, hat der in⸗ mitten Europas gelegene schweizerische Staat allgemeine Achtung und Anerkennung sich erworben. Ein großer Teil der Schweiz hält am deutschen Geistes⸗ und Gemütsleben fest, und der Austausch ideeller wie materieller Güter zwischen der Schweiz und Deutschland ist in der Tat ebenso umfangreich wie natürlich. Sie verehren wie wir um nur an eines zu erinnern in Schiller einen Ihrer Nationaldichter, der Ihrem Volk wie kaum ein anderer aus der Seele gesprochen hat; anderseits sind die Werke Ihrer Geistes⸗ heroen, wie Gottfried Keller und Konrad Ferdinand Mever, Gemeingut auch unseres Volkes geworden. Es ist daher be⸗

reiflich, daß die Schweiz und das Deutsche Reich bei aller Eigenart ihrer staatlichen Einrichtungen und ungeachtet der Ver⸗ schiedenheit ihrer geschichtlichen Entwicklung nicht nur durch Aus⸗ tausch ihrer Produkte, sondern auch durch ihr geistiges Leben und Schaffen miteinander eng verknüpft in herzlicher, vertrauens⸗ voller Freundschaft nebeneinander leben wollen. Seit bald 25 Jahren bin Ich stets ein guter Freund der Schweiz gewesen, und so soll es, was an Mir liegt, auch bleiben. Ihnen allen danke ich für den herzlichen Empfang, den Sie Mir bereiteten, für die freundliche Ge⸗ sinnung und das Vertrauen, das Sie Mir seit Jahren entgegen⸗ bringen. Ich trinke auf Ihr Wohl, Herr Präsident, auf das Wohl des schweizerischen Bundesrates, auf das Wohl des schönen Schweizer Landes und des trefflichen Schweizer Volkes.“

Als der Kaiser nach dem Festmahl in den Empfangssalon zurückkehrte, wurde er am Eingang von zwölf Ehrendamen aus der Berner Gesellschaft begrüßt. Die Tochter des Bundesrats Hoffmann überreichte dem Kaiser Blumen. Um 9 Uhr 20 Minuten verließ der Kaiser den „Berner Hof“ unter den Hoch⸗ rufen einer großen Volksmenge. Die Straßen zum Bahnhof

„Berner Hof“ die Chefs der in Bern akkreditierten Gesandt⸗ schaften.

waren glänzend erleuchtet. Auf dem Bahnsteig stand eine Ehren⸗ kompagnie, die der Kaiser unter den Klängen des Hohenzollern⸗

marsches abschritt. Dann verabschiedete sich der Kaiser durch Händedruck vom Bundespräsidenten Dr. Forrer, den Bundes⸗ räten, dem deutschen Gesandten, den Herren der Gesandtschaft, den übrigen Delegationen und den ihm beigegebenen Offizieren. Um 9 Uhr 35 Minuten fuhr der Hofzug unter den Klängen der Nationalhymne und Salutschüssen über Zürich nach Schaff⸗ hausen ab. Oesterreich⸗Ungarn.

Der Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg traf heute früh um 8 Uhr 10 Minuten auf dem Westbahnhof in Wien ein, wo der deutsche Geschäftsträger Prinz zu Stol⸗ berg⸗Wernigerode und die Herren der Botschaft zum Empfang anwesend waren. In dem gleichen Zuge mit dem Reichs⸗ kanzler befand sich, wie „W. T. B.“ meldet, von Salz⸗ burg kommend, der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand mit Familie. Auf dem Bahnsteig des West⸗ ahnhofes begrüßten der Thronfolger und die Herzogin von Hohenberg den Reichskanzler herzlichst und unterhielten sich einige Zeit mit ihm. Der Reichskanzler setzt am Mittag in Begleitung des Prinzen zu Stolberg⸗Wernigerode seine Reise nach Buchlau fort.

Frankreich.

Im Ministerrat in Ramboulllet besprach, wie a meldet, der Ministerpräsident Poincaré die Lage in Marokko und im Orient. Der Finanz⸗ und der Kriegsminister unter⸗ breiteten dem Präsidenten das Dekret über die neuen Bestim⸗ mungen, betreffend Sold und Verpflegung der Operations⸗ truppen in Marokko, zur Unterschrift. Der Unterrichtsminister machte von der erfolgten Auflösung des Lehrersyndikats in Morbihan Mitteilung.

Rußland.

Die Kaiserliche Familie ist zu den Jubiläumsfeier⸗ lichkeiten von Peterhof nach Moskau abgereist.

Türkei.

Wie „W. T. B.“ aus Konstantinopel meldet, beginnt die Regierung im Beamtenstande große Veränderungen vorzunehmen. Die Absetzungen von Walis dauern fort; nun⸗ mehr werden aber auch Gouverneure und Vizegouverneure ab⸗ gesetzt. Das Ministerium des Innern ordnete die rasche Aus⸗ arbeitung von neuen Wahllisten und die Aufhebung der durch die jungtürkische Regierung vorgenommenen willkürlichen Wahl⸗ kreiseinteilung an.

Asien.

Ein Erlaß des Präsidenten Muanschikai setzt die Vorwahlen für das Repräsentantenhaus auf den 10. Dezember, die endgültigen Wahlen auf den 10. Januar nächsten Jahres fest. Die Lage in Südwest⸗Yünnan ist, wie „W. T. B.“ aus Simla meldet, kritisch. Die chinesischen Truppen sollen gemeutert haben. Der Militär⸗ gouverneur ist spurlos verschwunden.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Bei den Linke⸗Hofmannwerken in Breslau „Frkf. Ztg.“ erfährt, die Eisen⸗, Metall⸗ und Reyv dreher in eine Lohnbewegung eingetreten. Beteiligt sind gewerkschaftlich Organisierten und die Gewerkvereinler.

Die Wiener Kraftdroschkenführer haben, wie dem „Berl. Tagebl.“ telegraphiert wird, für die kommende Woche einen allge⸗ meinen Ausstand in Aussicht gestellt. Die Droschkenfuhrherren teilten vor einiger Zeit den Wagenführern mit, daß diese einen Teil des Benzins aus eigenen Mitteln bezahlen sollten. Die WagenführerLer⸗ klärten darauf, dies sei gegen die Bestimmungen des im Frühjabr ab⸗ geschlossenen Vertrags, und drohten mit dem Ausstand, falls die Unternehmer nicht nachgeben. 8

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten Beilage.)

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Kunst und Wissenschaft. XXXI. Deutscher Juristentag in Wien vom 4. bis 6. September 1912.*)

Nach der feierlichen Eröffnung der Wiener Tagung des Deutschen

Juristentags, über die an anderer Stelle (in Nr. 212 d. Bl.) berichtet worden ist, nahmen am 4. September die Verhandlungen der einzelnen Abteilungen ihren Anfang. In der Abteilung für Strafrecht, die den Oberlandesgerichts⸗ präsidenten in Innsbruck, Wirklichen Geheimen Rat Dr. Freiherrn von Call zum Vorsitzenden wählte, der den Oberlandesgerichtspräsi⸗ denten Dr. von Staff (Marienwerder) und den Landgerichtsdirektor a. D. Aschrott (Berlin) zu seinen Stellvertretern berief, bildete den ersten Gegenstand der Beratung die Freiheitsstrafe im Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs nach den Beschlüssen der Strafrechts⸗ kommission und in der Regierungsvorlage eines österreichischen Straf⸗ gesetzbuchs. Als Gutachten gelten die von Oberlandesgert ztspräsidenten Dr. von Staff und Professor Dr. James Goldschmidt dem XXX. deutschen Juristentage erstatteten Berichte. Für den dies⸗ jährigen Juristentag war außer den beiden Genannten noch Universitäts⸗ professor Dr. Graf Gleispach Berichterstatter. 1

Referent Oberlandesgerichtspräsident Dr. von Staff (Marien⸗ werder) billigte, daß die Strafrechtskommission die „Haft“ des Vor⸗ entwurfs in eine custodia honesta „Einschließung“ mit beschränktem Anwendungsgebiet und in eine Polizei⸗ und Ersatz⸗ freiheitsstrafe „Haft“ aufgelöst hat. Er trat aber der durch die Strafrechtskommission vorgesehenen Beschränkung der Einschließung auf solche Fälle, in denen die Tat „weder auf ehrloser noch sonst auf verwerflicher Gesinnung beruht“, entgegen, indem er ausführte, daß vom Standpunkt der Strafgaesetzgebung aus jede Tat auf verwerf⸗ licher Gesinnung beruhe, die den im Interesse der Sicherheit und Ordnung von Staat und Gesellschaft gegebenen Gesetzesnormen wider⸗ spricht. Die lebenslängliche Einschließung wollte der Referent be⸗ seitigt wissen, weil für so schwere Verletzungen des Strafgesetzes eine ftrengere Strafart angebracht sei. In längerer Ausführung begründete der Referent dann seine Ansicht, daß zwischen Zuchthaus⸗ und Ge⸗ fängnisstrafe zugleich teilweise als Ersatz für die im Vor⸗ entwurf vorgesehene besondere Zuchthausstrafe gegen Liederliche, Ar⸗ beitsscheue und Gewohnheitsverbrecher, gegen wiederholt Rückfällige das Arbeitshaus als eine besondere, selbständige Strafart, nicht nur als sichernde Maßnahme nach einer Freiheitsstrafe, zu bestimmen und derzeit der Vollzug dieser Strafe in staatlichen Anstalten zu be⸗ wirken sei. Der Referent meinte, daß man zwischen gewerbsmäßigen Verbrechern, Berufsverbrechern und charakterschwachen Gewohnheits⸗ verbrechern streng unterscheiden müsse. Von den letzteren wollte er das Zuchthaus fernhalten und es nur für die verhältnismäßig klein Zahl wirklich schwerer, insbesondere gewerbsmäßiger Verbrecher al

strengste Strafart verwenden. Er wollte aber auch das Gefängnis

nicht mit ihnen belasten, da sie in dessen Betrieb ai

paßten, vielmebr mit Rücksicht auf ihre Charaktereigenschaften

*) S. Nr. 208 des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ vom 31. Augus⸗ 912, erste Beilage. 8 8 v“

einer besonderen Behandlung der Entwurf sie in § 68 vorsieht. Das Arbeitshaus würde nach diesen Vorschlägen im Strafensystem einen breiten Raum einnehmen. Es erscheint daher dem Referenten nicht angängig, daß es von der Landespolizeibehörde verwaltet und dieser auch die Entscheidung über die vorläufige und endgiltige Entlassung der Insassen übertragen wird. Vielmehr müsse das Arbeitshaus in staatliche Verwaltung übernommen werden. Der Referent wünschte eine scharfe Untersche idung im Vollzug der verschiedenen Freiheitsstrafen. Deshalb sollen grund⸗ sätzlich nicht Zuchthaus und Gefängnis wahlweise nebeneinander angedroht und es sollen die verschiedenen Freiheitsstrafen grundsätzlich in getrennten Anstalten vollstreckt werden. Mit Zuchthausstrafe muß, mit Arbeitshausstrafe kann Ehrverlust verbunden werden, neben der Gefängnisstrafe soll nur der Verlust bestimmter einzelner Ehrenrechte zulässig sein, z. B. etwa der des Wahlrechts für die Wahlfälscher. Auf diese scharfen Unterschiede, insbesondere auf Strafvollzug in ge⸗ trennten Anstalten, legte der Berichterstatter nach seinen Erfahrungen auch deshalb hohen Wert, damit die Oeffentlichkeit sich allmählich mehr daran gewöhne, den entlassenen Straftäter verschieden zu be⸗ urteilen, je nach der Anstalt, aus der er kommt. Der Berichterstatter trat abermals nachdrücklichst für die Schaffung eines Reichsstraf⸗ vollzugsgesetzes ein und wandte sich dann gegen die allzu kurzen Gefängnis⸗ strafen. Er forderte eine Mindestdauer der Gefängnisstrafe von einer Woche, für kürzere Freiheitsstrafen genüge überall die Haft. In ein⸗ gehender Ausführung legte der Referent sodann seinen, von dem des Professors Goldschmidt abweichenden Standpunkt zu den sogenannten Strafschärfungen dar. Es sei eine alte Klage, daß gegen die schlechtesten Elemente und gegen einen erbeblichen Teil der sogenannten Kurzzeitigen die Wirkung der Freiheitsstrafe oft versage; das sei eine unerwünschte Nebenfolge der an sich erfreulichen Huma⸗ nität des modernen Strafvollzuges. Da bleibe aber, wenn man nicht auf Kosten der Steuerzahler die Freiheits⸗ strafen übermäßig verlängern wolle, um sie wirksam zu machen,

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nichts übrig, als sie intensiver zu gestalten. Ganz besonders gelte dies

gegenüber den Kurzzeitigen. Auch gegen Jugendliche sei ein intensiver

Strafvollzug wünschenswert, weil gerade von ihnen überhaupt nur die übelsten Elemente in die Gefängnisse gelangten. Da sei eine Straf⸗ verschärfung durch Kostminderung und bartes Lager zuweilen unent⸗ behrlich. Der Referent forderte diese Schärfungen, aber in wesentlich geringerem Umfange als im Vorentwurfe, indem er sie bei längeren Strafen nu: für deren erste Hälfte zulassen, auch ihre Auf⸗ hebung jederzeit gestatten wollte, wenn die Strafvollzugsbehörde sie beantragt. Schließlich bekannte sich der Referent als Anhänger des Progressiosystems bei dem Vollzuge langer Freiheitsstrafen im Sinne einer Milderung des Strafzwanges, da damit in praktischer Weise dem Gefangenen Gelegenheit gegeben werde, selbst an der Besserung seiner Lage zu arbeiten. Wer in die oberste mildeste Strafvollzugsstufe aufgerückt sei, dem solle regelmäßig die Ver⸗ günstigung der vorläufigen Entlassung winken und diese auch selbst bei Lebenslänglichen nicht völlig ausgeschlossen sein Der Referent ist grundsätzlich Gegner der Devportation. Aber er hat als Gefängnisvorsteher in den Gefängnissen doch eine, wenn auch nur kleine Gruppe von Gefangenen gefunden, für die er ihren Grundgedanken dadurch nutzbar machen möchte, daß er die vor⸗ läufige Entlassung in geeigneten Fällen auch vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit dann zulassen will, wenn sie sich zur Ansiedlung in den deutschen Schutzgebieten verpflichten. Zu dieser Gruppe rechnete der Referent solche Gefangenen, welche an sich tüchtig, arbeit⸗ sam, den Begriffen von Pflicht und Ehre nicht entfremdet, vielleicht auch nicht unbemittelt sind und denen „der Rausch einer Stunde das Leben zerstörte“. Solche Leute würden besser „als nützliche Kolonisten im gefährdeten Grenzland den Acker bauen, als daß sie in der gerade für sie oft verbitternden und abstumpfenden Einzelhaft verkommen“. Der Referent schloß seinen Vortrag mit dem Wunsche, daß die Debatte zur weiteren Klärung zweifelhafter Fragen und dazu führen möge, daß nur möglichst wenige Punkte grundsätzlich verschiedener Anschauung übrig bleiben. Der zweite Berichterstatter, Professor Dr. James Goldschmidt (Berlin), wandte sich zunächst gegen den Beschluß der deutschen Strafrechtekommission, daß auf die zugelassene Einschließung die frühere Festungshaft nur erkannt werden dürfe, wenn die Tat weder auf ehrloser, noch auf „sonst verwerflicher“ Gesinnung beruhe. Jede Gesinnung, aus der eine Straftat hervorgehe, sei „sonst ver⸗ werflich'. Werde der Kommissionsbeschluß Gesetz, so sei die Ein⸗ schließung aus einem „Mädchen für alles“, das die ihr entsprechende Haft im ursprünglichen Vorentwurf nach Kahls Ausspruch gewesen sei, zu einer „französischen Kammerjungfer“ geworden, zu einem Luxus⸗ artikel, der nach dem Ausdruck der erläuternden Bemerkungen zur österreichischen Regierungsvorlage dem Argwohn „einer Begünstigung von Straffälligen aus den höheren Gesellschaftsschichten“ ausgesetzt sei. Der Beschluß der deutschen Strafrechtskommission zeitige aber weitere schlimme Folgen. Da naturgemäß zahlreiche Fälle vor⸗ kommen können, bei denen zwar ehrlose Gesinnung nicht vorliegt, auf Zuchthaus also nicht erkannt werden darf, wohl aber auf einer sonst verwerflichen Gesinnung die Tat beruht, die Einschließung daher ebenfalls nicht angewendet werden darf, so würde es in solchen Fällen überall, wo der deutsche Vorentwurf Zuchthaus und Einschließung zur Wahl stellt, an einer Strafe fehlen. Dies habe die Kommission veranlaßt, da, wo Zuchthaus und Einschließung wahlweise angedroht sind, auch noch Gefängnis als dritte Freiheitsstrafe zur Wahl zu stellen. Dadurch sei wiederum die Erhöhung des zeitigen Gefängnismaximums auf 15 Jahre und die Einführung lebenslangen Gefängnisses geboten gewesen. Letzteres führe nun zu einer völligen Verwischung des Unterschiedes von Zucht⸗ haus und Gefängnis. Die unzenügende Differenzierung von Zuchthaus und Gefängnis sei aber ohnehin einer der schwersten Fehler des deutschen Vorentwurfs. Das führte der Redner des näheren aus, und er forderte eine scharfe Differenzierung von Zuchthaus und Ge⸗ fängnis nach Anwendungsgebiet, Höchst⸗ und Mindestmaßen, Ehren⸗ folgen und Vollzug. Der Redner wandte sich sodann gegen die Thes des Oberlandesgerichtspräsidenten von Staff, daß das Arbeitshaus zu einer selbständigen Strafart erhoben und vorzugsweise gegen willens⸗ schwache Gewohnheitsverbrecher angewendet werden soll. Es sei viel⸗ mehr zu billigen, daß die deutsche Strafrechtskommission, dem Gegen⸗ entwurf folgend, das Arbeitshaus zu einer Besserungsanstalt für Liederliche und Arbeitsscheue gestalten und die vielfach rückfälligen und gefährlichen Gewerbs⸗ und Gewohnheitsverbrecher in eine Sicherungshaft von unbestimmter Dauer verweisen wolle Die unbestimmte Sicherungshaft gegen Unverbesserliche sei eine große, aus Australien, Amerika und England über⸗ nommene Kulturerrungenschaft. Mit besonderer Lebhaftigkeit wandte sich der Redner gegen die von der deutschen Strafrechtskommission bei Gewalttätigkeitsdelikten vorgesehenen „Schärfungen“ der Freiheits⸗ strafe, Kostminderung und barte Lagerstätte, welche die Kommission, im Gegensatz zum ursprünglichen Vorentwurf, auch bei Jugendlichen zulassen will. Leider kenne ja auch das österreichische Recht die „Schärfungen“, und die österreichische Regierungsvorlage lasse sie wenigstens bei Gefängnis bis zu sechs Monaten zu. Immerhin sollten danach in Oesterreich die Schärfungen eingeschränkt und nur noch dazu benutzt werden, kurzzeitige Freiheitsstrafen wirksam zu machen. In Deutschland sei ihre Einführung gegen Rohheitdelikte nichts als eine Konzession an den Ruf nach der Prügelstrafe. Der Juristentag, der über die To esstrafe zu Ge⸗ richt zu sitzen berufen sei, werde doch wohl nicht eine Abschlagszahlung auf die Forderung der Prügelstrafe bewilligen. Außer prinzipiellen ständen den „Schärfungen“ auch praktische Bedenken entgegen. Wie in der österreichischen Regierungsvorlage nur bei kurzen Freiheitsstrafen angewandt, seien sie ungerecht. Wie im deutschen Vor⸗ entwurf auch zu Beginn langzeitiger Freiheitsstrafen zugelassen, seien sie gesundheitsgefährlich und doch wohl am Ende der Strafzeit dem Sträfling kaum mehr in abschreckender Erinnerung. Ihre Einführung beraube schließlich den Strafvollzug der wirksamsten Disziplinarstrafen. Besonders bedenklich sei ihre Zulassung bei Jugendlichen. Wolle man wirklich im Zeitalter der Jugendfürsorge und Jugendgerichte die Verwahrlosung der Jugend durch Hunger

bedürften, derart, wie

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und Schlaflosigkeit bekämpfen? Der Redner forderte für Deutsch⸗ and wie für Oesterreich die Beseitigung der „Schärfungen“ der Zuchthaus⸗ und Gefängnisstrafe, beziehungsweise der „Verschärfungen der Freiheitsstrafe“ in der österreichischen Regierungsvorlage. Wenn auch nicht durch Schärfungen, müsse allerdings die Wirksamkeit der kurzzeitigen Freiheitsstrafen erhöht werden. Der Redner sah als einziges dafür in Betracht kommendes Mittel, außer der Einzelhaft, die Heraufsetzung des Gefängnismindestmaßes auf eine Woche an⸗ Endlich befüuͤrwortete der Redner für Deutschland die Einführung

des Progressivsystems nach österreichischem Muster. Er forderte ins⸗

besondere, daß die vorläufige Entlassung jedem sich gut führenden Ge⸗ fangenen regelmäßig zuteil werde und daß auch die zu lebenslanger Freiheitsftrafe Verurteilten davon nicht ausgeschlossen sein sollten⸗ andererseits müsse auch in Oesterreich der vorläufig Entlassene grund⸗ sätzlich unter Schutzaufsicht gestellt werden, die auch auf Erwachsene auszudehnen wäre. Der Redner schloß mit der Versicherung, er würde sich glücklich schätzen, wenn die von ihm und seinen Mitreferenten aufgestellten Thesen als Grundsätze für die dentsche und österreichische Strafgesetzgebung dienen würden.

Der dritte Referent, Professor Dr. Graf Gleispach, stellte für die österreichische Strafgesetzgebung eine Reihe von Leitsätzen auf und unterzog sie und die auf die Freiheitsstrafen bezüglichen Bestimmungen der Regierungsvorlage für ein österreichisches Strafgesetzbuch einer vergleichenden Betrachtung.

Die Abteilung für Strafrecht nahm die gemeinsamen Grundsätze der Berichterstatter Dr. von Staff und Dr. Goldschmidt an; nuͤr die These, daß Zuchthaus und Gefängnis im deutschen Strafgesetzbuch grundsätzlich nicht nebeneinander anzudroben seien, wurde abgelehnt. Weiter wurde die Forderung Dr. Goldschmidts, Schärfungen der Zuchthaus⸗ und der Gefängnisstrafe nicht zuzulassen, abgelehnt und die These Dr. von Staffs angenommen, daß sorche Schärfungen, und zwar auch für kurze Strafen und gegenüber Jugendlichen, zulässig sein sollen. Endlich wurde auch der Leitsatz des Referenten Dr. Gold⸗ schmidt bezüglich des Entwurfs eines österreichischen Strafgesetzbuchs, daß die Stellung bedingt Entlassener unter Schutzaufsicht auf Er⸗ wachsene auszudehnen sei, angenommen.

Am 5. September wurde von der Abteilung für Strafrecht u. a. die Frage der Beibehaltung der Todesstrafe in Beratung gezogen. Gutachter sind: Geheimer Justizrat, Professor Dr. A. Finger (Halle) und Professor Dr. M. Liepmann (Kiel). Als Berichterstatter fungierten Geheimer Justizrat, Professor D. Dr. Kahl (Berlin⸗ Wilmersdorf) und Oberlandesgerichtsrat Dr. Warhanek (Wien).

Referent Geheimer Justizrat, Professor Dr. Kahl (Berlin) legte folgende These vor: „Die Beibehaltung der Todesstrafe im künftigen deutschen und österreichischen Strafgesetzbuch entspricht einer volkstümlichen Rechtsüberzeugung, die der Gesetzgeber achten muß. Sie ist aber auf die schwersten Fälle von Mord und Hochverrat zu beschränken und nicht als absolute Strafe anzudrohen. Ihre gesetzliche Abschaffung ist für den Zeitpunkt vorzubehalten, in welchem sich die zweifelsfreie und allgemeine Rechtsüberzeugung von ihrer Entbehrlich⸗ keit gebildet haben wird.“ Es sei ihm, führte der Referent aus, Ver⸗ standes⸗ und Gewissenspflicht, dem Juristentag dringend zu empfehlen, jedenfalls bei dieser Gelegenheit und im gegenwärtigen Zeitpunkt einen Beschluß auf Abschaffung der Todesstrafe nicht zu fassen. Er sei kein Freund und begeisterter Apostel der Todesstrafe. Mit den Gegnern lehne er jede Motivierung aus religiössen In⸗ dikationen, aus dem Gesetze der Talion, also auch aus dem Ver⸗ geltungsbedürfnis des Verletzten, endlich aus abstrakt logischen Folge⸗ rungen einer absoluten Gerechtigkeit, deren Maßstab von Menschen nicht zu handhaben ist, ab. Auf dem Boden empirischer Erwägungen werde aber sein Votum gegen die jetzige Beseitigung der Todesstrafe im wesentlichen durch zwei Gründe bestimmt. Er könne den Glauben an ihre Entbehrlichkeit noch nicht fassen und teilen. Er halte ferner die Belastung der gegenwärtigen Reform mit diesem Problem aus inneren und äußeren Gründen für einen verhängnis⸗ vollen gesetzespolitischen Fehler. Entbehrlich sei die Todesstrafe auch dann noch nicht, wenn der Staat zwar ohne sie bestehen kann, wenn aber der gesetzliche Mangel dieses de u Strafmittels für gewisse äußerste Fälle eine Lage schafft, die Widerspruch zu einer mit un⸗ zweifelhafter Stärke sich kundgebenden Rechtsüberzeugung tritt. Noch seiner Beobachtung, Umfrage und Erfahrung sei die überwiegende Volks⸗ überzeugung heute noch auf seiten der Beibehaltung der Todesstrafe. Für Oesterreich bescheide er sich eines sicheren Urteils. Für Deutschland glaube er seiner Behauptung sicher zu sein, nicht bloß für den Juristen⸗ stand, sondern im Umkreis des gebildeten Bürgertums überhaupt. Auf dessen Urteil sei gerade in dieser Frage entscheidendes Gewicht zu legen. Eine Erschütterung des Rechtsgefühls in jedenfalls beachtenswerten Volkskreisen würde die Folge eines gewaltsamen Ab⸗ bruches des historischen Besitzstandes sein, und dieses Rechtsgefühl bewerte man nicht geringschätzig. Es hat, bemerkte der Redner weiter nichts zu tun mit Rache, Talion, rohem Vergeltungstrieb, kulturwidriger Stimmung. Es ist der Ausdruck einer tiefsten innersten Ueberzeu ung, daß für gewisse schwerste und scheußlichste Verbrechen, deren2 esen das Menschentum verleugnet, der Tod des Verbrechers die einzige adäquate Sühne ist. Sühne ist nicht subjektives Rachebedürfnis, es ist ein objektives Maß des Gerechtigkeitsempfindens. Der Aus⸗ spruch Bindings, daß der Schurke, der die Kaiserin Elisabeth in Genf ermordet hat, am Leben erhalten wurde, um noch Gelegenheit zu schweren Attentaten auf seine Wärter zu finden, war für den Referenten immer ein geradezu empörender Gedanke, und er wird von Millionen geteilt. Aber die Todesstrafe soll entbehrlich sein, weil sie keinen rationellen Strafzweck erfülle, insbesondere nicht den der Abschreckung; das sollen Psvpchologie und Statistik be⸗ weisen. So liegt die Sache denn doch nicht, daß man die abschreckende Kraft der Todesstrafe schlank und rundweg als „laienhaften Irrtum“, als „Fabel“ stigmatisieren kann. Mit Zahlenreihen kann man einiger⸗ maßen anschaulich machen, in welchem Umfang die gesetzliche An⸗ drohung nicht abgeschreckt hat, nicht aber, in welchen Fällen sie abgeschreckt hat. Hier wird man doch einen im ersten Gut⸗ achten nicht berührten Unterschied wohl beachten müssen. Den Augenblicks, und pathologischen Mörder schreckt nichts ab. Bei planmäßigen Tötungsverbrechen, der Mehrzahl der Hochverrats⸗ fälle, bei Komplott und Anstiftung würde die Annahme, daß die schwerste Strafdrohung nicht als Hemmungsvorstellung wirke, der alltäglichen psychologischen Erfahrung direkt widersprechen. Die Gegner sind nur darum im Vorteil, weil die positive Funktion der Abschreckung sich als innerer Vorgang vollzieht und nicht durch Zahlen sich ad oculos demonstrieren läßt. Selbst wenn man Be⸗ stehen oder Nichtbestehen der Todesstrafe nur als äußere Frage des Staatsbedürfnisses auffaßt, kann der Nachweis, daß ihre Abschaffung in 12 Staaten oder Staatengruppen die Zahl der todeswürdigen Verbrechen nicht vermehrt habe, nichts fuüͤr ein Dutzend anderer Staaten beweisen, in denen die Bedingungen für Entstehung und Bewegung der Kriminalität wiederum gänzlich verschieden sind. Was soll der Beweis, daß in einem bestimmt abgeschlossenen Zeitraum nach Abschaffung der Todesstrafe die Zahl der Mordtaten sich nicht ge⸗ steigert hat? Morgen kann sich eine ereignen, die so beschaffen ist, daß die Rechtsüberzeugung den Tod als Sühne fordert. Da soll der Staat das Schwert in der Hand behalten. Nicht die Massenbeobachtung entscheidet, sondern die Wür⸗ digung des Einzelfalles. Die Statistik über Massenbeob⸗ achtungen kann diesem Standpunkte gegenüber keine Beweise schaffen. Aber die Schäden und Mängel der Todesstrafe! Soweit damit gemeint wird, daß ihr Bestand die Aufmerksamkeit des Volks und der Gesetzgebung von den wichtigsten Maßregeln zur Bekämpfung der allgemeinen Verbrechensursachen abziehe, trifft das jedenfalls nicht für unsere Staaten und in gar keinem Falle für Deutschland zu. Die großartigen Organisationen des Staates und der freien Liebestätigkeit für Sozialpolitik, Armen⸗ wesen, Arbeiterkolonien, Gefängniswesen, Entlassenenfürsorge usw. sind monumentale Zeugen dafür, daß die gesetzliche Androhung der Todesstrafe wahrlich nicht Auge und Herz der Gesellschaft jener all⸗ gemeinen Aufgabe entfremdet hat. Aber die Irreparabilität! Zwar teile ich nicht die Ansicht, daß sie der entscheidende Einwand gegen die Todesstrafe sei; für den juristisch entscheidenden Einwand halte

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ich ihre Unabstufbarkeit, die Unmöglichkeit der Berücksichtigung von Schuld⸗ unterschieden. Aber immerhin, die Irreparabilitat istein schwerer Einwand. Ich bin mir auch hier der Verantwortlichkeit ganz und gar bewußt. Nicht das ist aber entscheidend, daß irgendwo und irgendwann seit 1797 in 153 mehr oder minder beglaubigten Fällen schwere Justiz⸗ irrtümer vorgekommen sind, wie sie Sello nachweist; es werden wohl noch mehr gewesen sein. Um das spezifische Gewicht des Einwands der Irreparabilität der Todesstraͤfe für Oesterreich und Deutschland zu prüfen, wäre das thema probandum, daß unter der Herrschaft der geltenden Strafprozeßordnungen und der bestehenden Begnadi⸗ gungspraxis unschuldig Verurteilte hirgerichtet worden sind. Das ist für keinen einzigen Fall nachgewiesen. Man bleibt also aller Zurecht⸗ weisungen ungeachtet berechtigt, die Frage zu wiederholen! „Wo sind die Justizmorde, die uns zwingen, die Frage der Irrepara⸗ biliiät in den Vordergrund zu stellen?“ Daß ein Justizirrtum mit der Folge ungerechter Vollstreckung auch bei uns möglich wäre, ist natürlich einzuräumen. Käme er vor, so wäre es ein Tag tiefer Trauer und Beschämung für den Staat, der sich nicht genug tun könnte, an dem Ruf und den Hinterbliebenen des unschuldig Ver⸗ urteilten sein Unrecht wieder gut zu machen. Aber der Einzelfall müßte um der Gesamtheit willen ertragen werden. Die Abhilfe liegt nicht in Beseitigung der Todesstrafe, sondern in der unermuͤdlichen Arbeit, die Fehlerquellen solcher Justizirrtümer zu schließen. Solcher Justizirrtümer! Denn nicht mit allen Fehlerquellen der Justiz überhaupt darf man hier schrecken. Es lassen sich ganz bestimmte Veranstaltungen ersinnen und vervollkommnen, um Erlaß und Vollzug von Todesurteilen unter Garantien zu stellen, die selbst menschlichen Irrtum ausschließen, worauf auch Lammasch in seinem ausgezeichneten Artikel über die Todesstrafe in der „Juristen⸗ zeitung“ ausdrücklich hinweist. Vorbeholt der Todesstrafe für äußerste Fälle! Darunter verstehe ich Typen scheußlichster Tötungsverbrechen, aber auch nur die Fälle einer zweifelsfreien Bejahung der Schuld und Beweisfrage. Darunter verstehe ich endlich äußerste Ein⸗ schränkung in der Androhung und Zurückhaltung in der Anwendung. Aber der Staat soll das Schwert nicht aus der Hand gehben, solange eine starke volkstümliche Rechtsüberzeugung seinen Ge⸗ brauch für äußerste Fälle fordert. Wenn heute die Todesgefahr für den Mörder geringer ist als die Blitzgefahr, so ist damit anerkannt, daß schon jetzt unsere Justiz erfolgreich die Irrtumsgefahr zu ver⸗ meiden weiß. Es muß die heiligste Sorge aller sein, sie aus⸗ zuschließen. Ein Schlußwort über die gesetzespolitische Frage: Es gibt Gegner der Todesstrafe, die gleichwoht der Meinung sind, daß ihre Beseitigung nicht eben gerade in der Folgerichtigkeit, im Geiste der gegenwärtigen Strafrechtsreform gelegen oder daß es wenigstens nicht wohlgetan sei, sie in einen für das Gesamt⸗ schicksal der Revision verhängnisvollen Vordergrund zu stellen. Ich wiederhole, daß auch nach meiner Auffassung ihre Beseitigung als gesetzgeberisches Ziel im Auge zu behalten ist. Dieses Ziel wird zu verwirklichen sein, sobald eine volkstümliche Rechtsüberzeugung von ihrer Entbehrlichkeit in so zweifelfreier Weise sich gebildet hat, wie dies aus den Abolitionsstaaten schon jetzt berichtet wird. Der erfolg⸗ reichste Weg zu dieser Umbildung und die zuverlässigste Probe ihrer wird der Erfolg der jetzigen Strafrechtsreform sein. Wir versprechen uns viel davon für die Verminderung der Kriminalität, für die Sicherung der Gesellschaft und der Verbrecher gegen sich selbst. Schon das unmittelbar uns ablösende Geschlecht wird den Erfolg zu würdigen wissen. Man lasse dieser organischen und darum wahren Entwicklung Raum. Es liegt im Geiste der geschichtlichen Entwicklung des österreichischen und des deutschen Strafrechts, daß hier schrittweise vorgegangen wird. Ein gewaltiger Schritt zu dem letzten Ziel ist schon dies, wenn diejenigen, die die schwersten Bedenken tragen, schon jetzt die Beseitigung der Todesstrafe mitzuverantworten, gern bereit sind, zu ihrer äußersten Einschränkung und dazu mitzuwirken, daß der Richter in jedem Falle in der Lage ist, statt ihrer auf Freiheitsstrafe zu erkennen. So ist wahrhaft erfüllt, was der öster⸗ reichische Entwurf von sich selbst sagt, er stehe einen Schritt vor der Aufhebung der Todesstrafe. Dieser letzte Schritt wird zweifellos dereinst in beiden Reichen durch Spezialgesetze getan werden, nicht im Zusammenhange mit einer allgemeinen Strafrechtsreform, jedenfalls nicht mit dieser. Darüber wird sich niemand einer Täuschung hin⸗ geben. Aber man darf die Dinge nicht dahin treiben, daß das Schicksal der ganzen Reform von dieser Einzelfrage abhängig wird. Natürlich muß und darf der Juristentag nur nach seiner wahren und freien Ueberzeugung beschließen. Aber für die Bildung und Aeußerung dieser Ueberzeugung muß und darf er auch die realpolitischen Faktoren berücksichtigen. Keiner ist hier, der in einer Sache, die das Gewissen mitangeht, nach dem fragen wird, was andere sagen, seien es Minister oder die Mächtigen der Presse oder noch etwas Höheres. Wohl aber liegt jede durch die Sache gebotene Maßhaltung, die verständige Rücksichtnahme auf das Erreichbare recht eigentlich in der Geschichte, im Wesen und in der Würde des deutsch⸗österreichischen Juristentags. Nicht einem wohlfeilen Mut vor Königsthronen verdankt er seine gesetzgeberischen Erfolge, sondern seinem offenen Blick fürs praktische Leben, seiner gerechten Rücksichtnahme auf die im Volke lebendigen Rechtsanschauungen, seiner klugen Politik, nicht das Bessere den Feind des Guten sein zu lassen. Die gegen⸗ wärtigen Reformen sind von ganz anderen Voraussetzungen und höheren Zielen ausgegangen. Und was hat die ungeheure wissenschaftliche Arbeit und auch die treue Mitarbeit des Juristentages und auch der Inter⸗ 8 nationalen kriminalistischen Vereinigung in den Entwürfen erreicht: in Strafensystem, Schuldlehre, Aufnahme der Sicherung Jugendstrafrecht, Strafzumessung und milderung, Rückfall, Rehabilitation und vielem anderen! Und dies alles sollte geopfert oder nur aufs Spiel gesetzt werden, nur um nicht für schwerste Fälle von Hochverrat und Mord einstweilen die Todesstrafe beizubehalten?! Wer dies verantworten kann, der tue es. Ich kann es nicht. Darum bitte ich um Annahme meiner These, die dem prinzipiellen Standpunkt des Gegners nichts nimmt und an die Anhänger der Todesstrafe, die noch weitergehende Forderungen haben, die Bitte richtet, sich zu bescheiden Wund zur Verständigung die Hand zu bieten. Diejenigen, welche gegen die Todesstrafe angehen, kämpfen zwar unter den Sonnenstrahlen von Kultur und Humanität von beiden weiß jedoch auch 5 mich, wie einer, erwärmt und durchglüht —, aber in eben diesem Dienste stehe auch ich, wenn ich fordere, daß nichts ge⸗ schehe, was rechtlichen und sittlichen Grundanschauungen einer noch starken Volksüberzeugung heute widerspricht. Ich bin innerlich davon überzeugt, daß jeder Deutsche und Oesterreicher, der meinen maßvollen Vorschlag sich anzueignen vermag, der Strafrechtsentwicklung seines Vaterlandes einen guten Dienst erweist. Und darum ist es meine Pflicht, so und nicht anders zu raten, als geschehen.

Der zweite Berichterstatter, Oberlandesgerichtsrat Dr. War hanek (Wien), bespreach zunächst das von Professor Finger erstattete Gut⸗ achten, wies darauf hin, daß in der Beweisführung Fingers ein Widerspruch insofern zu finden sei, als er anerkennt, die Todesstrafe sei niemals absolut anzudrohen, andererseits aber behauptet, die Drohung mit der Todesstrafe als Strafinstitution wirke nur dann, wenn sie wirklich vollzogen werde. Wenn sich hierauf Professor Finger die Mühe gebe, der Todesstrafe alle Attribute nachzuweisen, die man von einem richtigen Strafmittel verlangt, ins besondere auch das der Humanität, der Ab⸗ stufbarkeit und der Widerruflichkeit, so bringe er im weiteren Ver⸗ laufe insofern eine Enttäuschung, als er zum Beweise dafür keine andere Behauptung aufstellen könne als die, daß auch die Freiheits⸗ strafe diesen Bedingungen nicht entspricht. Der Berichterstatter be⸗ sprach sodann einzelne der in dem Gutachten des Professors Finger angeführten Beispiele und kam zu dem Schlusse, daß eine entsprechende . dieselbe abschreckende Wirkung ausüben könne wie die odesstrafe. Er erwähnte hierbei die Fälle der Pariser Apachen, des Mörders Luccheni und den Prozeß gegen die Kamorra. Der Berichterstatter fand auch die Ausführungen des Professors Finger, daß für die Todesstrafe schwer eine entsprechende Ersatzstrafe zu finden sei und für denjenigen, der, zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, einen Mord begeht, eine Freiheitsstrafe nicht ausreiche, wenig überzeugend, indem er darauf