1912 / 285 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 Nov 1912 18:00:01 GMT) scan diff

liegen, sich im Laufe der letzten Jahre verschoben, kompliziert haben, und daß die Frage nicht bejaht oder verneint, aber geprüft werden müßte, ob hier nicht Wandel zu schaffen ist. Diese Frage ist nicht etwa rein theoretisch aufgestellt, nicht theoretisch aufgeworfen, sondern einzelne weitsichtige Stadtverwaltungen haben lange, ehe die Regierung mit ihren Maßnahmen kam, ihrerseits ver⸗ sucht, durch Bezug von Fleisch, durch Verkauf von billigem Fleisch unter Benutzung ihrer Markthallen, unter Mitwirkung ihrer Schlachter dem Notstande abzuhelfen und, wie die vorliegenden Berichte erkennen lassen, nicht ohne Erfolg.

Dann ist ferner zweifellos ein Novum eingetreten: das ist die Assoziation des Angebots auf seiten der Landwirte. Auch das ist eine spontan entstandene Bewegung, ein wirtschaftlicher Versuch, über Schwierigkeiten, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben, hinwegzukommen, über Schwierigkeiten wir wollen das ruhig, ausdrücklich feststellen —, die nicht bloß die städtische Bevölke⸗ rung betreffen, sondern auch die Produzenten, namentlich die kleinen Landwirte, durch das dauernde Herauf und Herunter der Preise des Fleisches, insbesondere des Schweinefleisches. (Sehr richtig! rechts.)

An diesen beiden Punkten, an diesen Anregungen, die die Praxis uns gegeben hat, haben wir angefangen und versucht, durch eine Er⸗ leichterung des Marktes in einzelnen großen Städten und großen Marktorten durch Vermittlung der Kommunen zu Hilfe zu kommen. Gewiß, eine derartige Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch gehört nicht zu den traditionellen Obliegenheiten unserer Kommunen. Aber wo wären unsere großen Kommunen und was wären unsere großen Kommunen, wenn sie sich noch heute darauf beschränkten, die Auf⸗ gaben zu erfüllen, die sie vor etwa 100 Jahren als ihre hauptsäch⸗ lichsten ansahen: die Einziehung von Gefällen, eine schlechte Feuer⸗ wehr und ein relativ guter Nachtwachdienst. Darüber sind wir heute längst hinaus. Die Aufgaben der Kommunen sind gewachsen, und keine einzige Kommune kann sich der Prüfung entziehen, ob nicht auf diesem Gebiete Aufgaben an sie herantreten, denen sie sich auf die Dauer nicht versagen kann.

Nun kommt noch eins dazu, daß die großen Kommunen ja gar⸗ nicht unbeteiligt sind an den wirtschaftlichen Vorgängen, die das Fleisch auf seinem Wege vom Stalle des Produzenten bis zur Küche des Konsumenten beeinflussen. Die Entwicklung unserer städtischen Schlachthöfe hat den Fleischhandel auf den Kopf gestellt, hat die Betriebsweise unserer Schlachter total geändert. Bei der eigentüm⸗ lichen Entwicklung hat sich ergeben, daß man auf dem Gebiete der Metzgerei dahin gekommen ist, den Großbetrieb einzuführen, aber den Großbetrieb nur mit seinen technischen Vorteilen, im übrigen den Kleinbetrieb mit allen seinen wirtschaftlichen Nachteilen bestehen zu lassen. Man hat die großen Schlachthäuser nicht etwa selbständig zwischen die verschiedenen Faktoren gesetzt, durch deren Hände das Fleisch auf dem Wege vom Produzenten zum Kon⸗ sumenten geht, sondern man hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Schlachthäuser hineingesetzt in den Betrieb des einzelnen Schlächters, und dadurch sind zweifellos eine Reihe von Erschwer⸗ nissen, von Verteuerungen und Unbequemlichkeiten entstanden, von denen man nicht unbedingt behaupten kann, daß sie, weil sie be⸗ stehen, nun auch notwendig und nützlich sind.

Meine Herren, alle diese Fragen müssen geprüft werden, und diese Schwierigkeiten müssen wir überwinden, wenn wir der Ansicht sind, daß wir auf diesem Wege zum Ziele kommen können.

Nun gebe ich aber zu, daß es für die Kommunen, wenn die Aufgabe heute an Sie herantritt, außerordentlich schwierig ist, ihr gerecht zu werden, und zwar um deswillen, weil ja naturgemäß den Kommunen heute die Einrichtungen, die Veranstaltungen und die Erfahrungen fehlen, die notwendig sind, um das Fleisch zu ver⸗ breiten.

Meine Herren, es ist für eine Kommune an sich nicht schwierig, einen großen Posten Schweine zu kaufen, aber diese Schweine in einer Form zu verwerten und in einer Form auf den Markt zu bringen, bei der die Stadt nicht ohne Not Schaden leidet und bei der und das ist die Hauptsache die Schlächter nicht Schaden leiden, das ist die Schwierigkeit. Sie dürfen sich nicht daüber täuschen, daß wir, sowie wir an diese Maßnahmen herangehen, in das große Gebiet der Mittelstandspolitik hineingreifen, das von allen Parteien dieses Hauses mit besonderer Vorliebe beackert wird (sehr richtig!), und ich kann es deswegen verstehen, wenn man in einzelnen Städten in dieser Richtung bedenklich und zögernd gewesen ist. Ich weiß es von Städten, daß ihnen diese Bedenken schwer auf der Seele gelegen haben, Städte, deren Leiter ich zufällig sehr genau als moderne und unternehmungslustige Leute kenne.

Aber, meine Herren, trotzdem hoffe ich, daß das, was die ver⸗ bündeten Regierungen eingeleitet haben, anknüpfend an spontane Be⸗ wegungen sowohl im Kreise der Landwirte, wie im Kreise der Städte, noch zum Ziele führen wird. (Abg. Dr. Südekum: Bis zum 1. April!) Ja, Herr Dr. Südekum, ein solches Problem löst man nicht in 8 Wochen. Ich erinnere mich aus der Zeit, als man das Innungswesen hoch brachte, daß ein sehr eifriger Dezernent verfügte: urschriftlich an den Landrat in X zurück zur Errichtung einer Schusterinnung innerhalb 8 Tagen oder Angabe von Hinderungs⸗ gründen. (Heiterkeit.) Dieser Anordnung konnte der Landrat natürlich schwer entsprechen; wir werden diese Probleme nicht von heute auf übermorgen lösen. Daß wir die augenblickliche Fleisch⸗ teuerung auf dem Wege, wie ich ihn eben skizziert habe, nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen, liegt in der Natur der Sache. Ich habe aber den dringenden Wunsch und Sie entschuldigen deshalb, daß ich dieses Thema so ausgiebig behandle —, daß wir endlich aus dem Kreise der theoretischen Erörterungen heraus⸗ kommen und Hand anlegen auf einem Gebiet, wo wir eventuell zum Ziel kommen können. (Sehr richtig!)

Und, meine Herren, ist denn im übrigen alles das, was hier ge⸗ macht werden soll, eine so merkwürdige Sache? Das Streben, die

reise zu stabilisieren, ein Schwanken der Preise aus der Welt zu schaffen, bewegt nun schon seit einem Menschenalter Produzenten und Konsumenten. Es ist ebenso wichtig im Interesse des Kohlenverbrauchers wie im Interesse des Arbeiters, der die Kohlen löst und aus ihren Erträgen befriedigt werden soll, wie im Interesse des Kohlenproduzenten, daß ein solcher Ausgleich der Preise geschaffen wird, und hier im Hause ist auch aus Arbeiterkreisen immer anerkannt worden, daß in diesem Punkie der berechtigte und wirtschaftlich wertvolle Kern der Syndikats⸗ bildung liegt. (Sehr richtig! rechts.) Auf dem Gebiete des Kohlen⸗ bergbaues hat sich die Sache in der Form der Syndikate vollziehen

können; hier, wo wir auf der einen Seite die produzierende Land⸗ wirtschaft haben, die sich vergenossenschaftet hat, auf der anderen Seite aber die Masse des Publikums, das wir im großen nicht zu Genossen⸗ schaften zusammenbringen können, und die Menge der Fleischer, die zurzeit jedenfalls nicht eine Organisation haben, die sie in die Lage versetzte, die jetzt neu entstehenden Aufgaben zu erfüllen: immer handelt es sich auch hier um das Problem, ein Mittel zu finden, die Preise eines wichtigen Nahrungsmittels, nämlich des Fleisches, zu stabilisieren und damit eine Regelmäßigkeit, eine gewisse Solidität in die Ver⸗ hältnisse der produzierenden Landwirtschaft einerseits und eine gewisse Gleichmäßigkeit in den Haushalt und die Lebensverhältnisse der Konsumenten andererseits zu bringen.

Meine Herren, ich habe absichtlich etwas weitläufig über diese Sache gesprochen. Ich weiß, daß ich lebhaften Widerspruch finden werde. Aber ich bin umgekehrt der Ansicht, daß das Problem, selbst wenn die Lösung noch nicht gefunden sein sollte, so gestellt werden muß; denn jedenfalls wird der Versuch dieses Weges uns nach meiner Ueberzeugung unter allen Umständen zum Ziele führen. Ich habe die Auffassung, daß die Richtung, in der die für die Städte bestehenden zweifellos großen Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen sein werden, darin liegt, daß man versucht, die Schlächter zu einer Genossenschaft zu⸗ sammen zu schließen, an der die Kommunen in bezug auf die Leitung und in gewissen Grenzen auch finanziell beteiligt sind. Ich habe diese Rede gehalten, um endlich einmal nach den endlosen Erörterungen, die niemals zu einem Ergebnis geführt haben, praktische Ziele zu zeigen. Die Enquete, die wir veranstaltet haben, kann selbstverständ⸗ lich die Preise nicht billiger machen. Durch Reden haben wir die Preise noch nie herabgedrückt. (Lebhafte Zustimmung rechts und links.) Sonst hätten die Verhandlungen des Reichstags die Fleischer und Landwirte an den Ruin bringen können. Aber wir wollen durch eine sorgsame Erörterung der Fragen in der Enquete⸗ kommission versuchen, dem Problem praktisch zu Leibe zu kommen. Hierin liegt auch die Richtung der be⸗ schränkten Aufgaben, die die Regierung dieser Enquetekommission gegeben hat. Hierin liegt die Rechtfertigung für die Zusammensetzung der Kommission, die für ganz bestimmte technische Aufgaben bestimmt gewesen ist; und hierin liegt für mich die Hoffnung, daß es uns gelingen wird, nun endlich einmal praktische Arbeit mit praktischen Erfolgen auf diesem wichtigen und uns allen am Herzen liegenden Gebiete zu erzielen. (Lebhafter Beifall rechts, im Zentrum und bei den Nationalliberalen.)

Es ist namentliche Abstimmung über den Antrag der Sozialdemokraten beantragt; auf Vorschlag des Vize⸗ präsidenten Dove wird sie morgen zu Beginn der Sitzung vorgenommen werden.

Abg. Gothein sfortschr. Volksp.): geordneten von der rechten Seite gehalten haben, als das, was man einen politischen Eiertanz nennt. Der Staats⸗ sekretär hat uns nachgewiesen, daß die Preissteigerung in allen Ländern der Welt eingetreten ist. Es tut mir bloß leid, daß Sie nicht früher gewußt haben, daß diese Steigerung eintreten wird. Als ich 1902 bei der Debatte über den Zolltarif sagte, daß wir einer all⸗ gemeinen Fleischpreissteigerung entgegengehen, bin ich ausgelacht worden. amals haben die Vertreter des Bundes erklärt, genau das Gegenteil würde eintreten. Wenn die Preissteigerung in allen Ländern eintreten mußte, so sind diejenigen, die es nicht gewußt haben, die denkbar schlechtesten Propheten gewesen. Dann brauchten sie doch keine Zölle. Der Staatssekretär sagt, man kann die Ursachen der nicht aus der Welt schaffen. An unserer bewährten

irtschaftspolitik läßt sich überhaupt nicht rütteln. Sie versuchen aber gar nicht, wissenschaftlich zu beweisen, daß unsere Wirtschafts⸗ politik sich bewährt hat. Sie sagen, weil unsere deutsche Industrie heute so gut dasteht, deshalb ist zweifellos unsere Wirtschaftspolitik richtig. Der Landwirtschaftsminister und das preußische Landes⸗ ökonomiekollegium ist ein trauriges Kapitel. Der frühere Landwirt⸗ schaftsminister von Podbielski, der auch einmal über die Fleischnot sprach, sagte damals in dem Brustton der Ueberzeugung: Es gibt keine leischnot; in wenig Wochen werden wir einen Ueberfluß an Fleisch aben, sodaß die Preise zurückgehen werden. Als nach einigen Wochen die Preise immer weiter stiegen und ich auf die Bemerkung des Ministers hinwies, sagte dieser: Wenn ich damals gesagt hätte, daß die Preise steigen würden, dann wäre die Kalamität no schlimmer geworden. Der jetzige Landwirtschaftsminister ist nicht ganz so robust veranlagt wie sein Vorgänger. Er hat auch böse Erfahrungen mit seinen Prophezeiungen gemacht. Vielleicht liegt das an seiner Diät. Die Fleischnot kehrt regelmäßig wieder. Das hat auch der Staatssekretär soeben ausgeführt. Man gewöhnt sich im Volk allmählich daran, daß alles immer teurer wird, man gewöhnt sich auch daran, weniger leisch essen. Der Kollege Sieg hat gesagt, daß die statistischen ahlen über den Fleischkonsum unrichtig seien. as ist richtig. Das liegt an der Methode des Reichsgesundheitsamts, welche ganz willkürlich ist. Ich empfehle dem Reichsgesundheitsamt, sorg⸗ fältigere Untersuchungen anzustellen. Die vorliegende Statistik hat wissenschaftlich keinen Wert. Die Fleischteuerung geht im Gegensatz zu den Ausführungen des Staatssekretärs bis weit in den be⸗ sitzenden Mittelstand hinein. Auch diejenigen, die ein Einkommen von 6500 und darüber haben, werden von der Teuerung betroffen. Ich möchte Ihnen einmal eine Aeußerung eines hyperkonservativen Mannes zitieren, mit dem ich in meinem Wahlkreise in Kämpfen gelegen habe, eine Aeußerung des Professors Oldenberg. Er führte im Jahre 1907 u. a. aus, daß es im wesentlichen darauf ankommt, die Nachfrage zu decken und eine gewisse Preis⸗ grenze festzusetzen. Ueber diese Preisgrenze könne man nicht hinaus⸗ gehen, ohne weite Volkskreise in ihren Lebensinteressen zu schädigen. Und das ist der Ausspruch eines urkonservativen Mannes. Der Staatssekretär Delbrück hat uns einige Gründe angegeben, die dafür sprechen, daß der Fleischbedarf sehr hee ist. Ich bin der Meinung, daß die Industrialisierung unserer Arbeiter, die eine ganz andere Nahrung brauchen wie die landwirt⸗ schaftlichen Arbeiter, die Veränderung in der Struktur unserer Bevölkerung mit dem Rückgang der Geburten, mit dem geringen An⸗ teil der kleinen Kinder an der Bevölkerungsmasse dabei doch auch eine Rolle spielt. Freiherr von Schorlemer sagte, der Fleischbedarf werde nicht gedeckt, und das sehe man am deutlichsten aus der Zunahme der Schlachtungen von Pferden, Ziegen und Hunden. Der Landwirtschafts⸗ minister macht sich die Sache sehr einfach, wenn er sagt: Nicht der Bedarf ist daran schuld, sondern weil der Pferdebestand gewachsen ist, werden auch mehr Pferde geschlachtet. Das ist nicht wahr. Es wächst der Bedarf an Pferdefleisch eben dann, wenn die andere Fleisch⸗ nahrung zu teuer ist. agt dann weiter,

Die Reden, die die Ab⸗ sind nichts anderes

Der Landwirtschaftsmintster das Pferdefleisch ist außerordentlich nahrhaft und besitzt einen großen Eiweißgehalt. Vielleicht haben unsere Altvordern das gewußt, die ja mit Vorliebe Pferdefleisch aßen. Aber heute werden die breiten Schichten unseres Volkes mit einem gewissen Gefuͤhl des Ekels er⸗ faßt bei dem Gedanken, daß ihnen Pferdefleisch vorgesetzt wird. Ich habe beinahe die Befürchtung, daß der Landwirtschaftsminister bei einem zukünftigen parlamentarischen Diner auch Pferdefleisch vor⸗ setzen wird. Nur gut, daß das Apfelkompott auch nicht von Pferden herrührt. Die von der Stadt Berlin und anderen Kommunalver⸗ waltungen ergriffenen Maßnahmen gegen die Fleischteuerung waren nur bureaukratische Mittel gegen ein Symptom der Krankheit, und nur gegen ein Symptom an wenigen Stellen. Es ist mir interessant, daß die konserbative Partei durch den Mund des Abg. Heydebrand

Schlachtgewicht mehr produzieren.

orschlag der Regierung bezüglich der Zollzurückerstattung einverstanden sei. Sie hat anerkannt, daß das außergewöhnliche Verhältnisse sind, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Der Staatssekretar Delbrück hat die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich der Lösung dieser Frage entgegenstellen, selber anerkannt. Ich möchte dem ehemaligen Oberbürgermeister von Dan⸗ ig aber doch zu bedenken geben, wie er seinerzeit gehandelt hat,

as der Stadt Berlin von der Landwirtschaftlichen Genossenschaft emachte Angebot, 4 % des Schweinebedarfes der Stadt zu decken, hätte einigen Schlächtern das Leben auf der Markthalle einfach unmöglich gemacht. Ich kann es deshalb der Stadt Berlin nicht verdenken, wenn sie nicht darauf eingeht, da sie sich eine Wirkung auf die Preiserniedrigung innerhalb der Stadt nicht versprechen kann. Das von den Städten gestellte Verlangen, sich an der Fleischproduktion zu beteiligen, ist eine sehr schwierige Sache. großen Städten immer liebevolle Leute finden, die sich dieser Aufgete widmen? Nun hat der Landwirtschaftsminister das schöne Wort g⸗ sprochen, die Landwirtschaft solle sich der Pflicht bewußt sein, das deutsche Volk mit Fleisch zu versorgen. Eine sehr schöne Phrase⸗ aber mehr auch nicht. Das kann doch nicht die gesamte Landwitt⸗ schaft, das können immer bloß die einzelnen Landwirte. Ich habe viel Landwirte kennen gelernt, die es nicht für ihre Pflicht hielten, das Volk mit Fleisch zu versorgen, sondern die größte Rente her⸗ auszuschlagen. Ich nehme das keinem übel, aber an der Tatsache is nichts zu ändern. Seit 1906 ist ein Rückgang unserer Schlachtunge und der Viehhaltung eingetreten. Ebenso ist eine Zunahme des Ge⸗ treidebaues und eine sehr beträchtliche Abnahme des Wiesenbaues ; verzeichnen. Sogar kleine Bauern haben sich dazu entschließen müssen ihre Wiesen für den Roggenbau usw. umzubrechen. Es blieb ihne nichts anderes übrig weil Roggen, Hafer und Gerste so teuer ge⸗ worden war. Der andwirtschaftsminister sagte, es wäre eine objek⸗ tive Unwahrheit, zu behaupten, daß die kleinen Landwirte keinen Feh von hohen Getreidepreisen hätten. Kein anderer als Fürt Hohenlohe hat aber als Reichskanzler ausgesprochen, daß 76 allen landwirtschaftlichen Betriebe von einer Erhöhung der Getreidepreise keinen Vorteil haben. Nach Freiherrn von Schorlemer wäre das eine objektive Unwahrheit gewesen. Auch der Vorsteher des Statistischen Amtes des Großherzogtums Baden hat festgestellt, daß 76 % der landwirtschaftlichen Betriebe ein gegenteiliges Interesse haben. Sind denn etwa die Feststellungen der österreichischen Enquete der land⸗ wirtschaftlichen

erklären ließ, daß sie mit dem

rtsch entrale, die etwa unserem Bund der Landwitte entspricht, auch objektive Unwahrheiten? Der Reichskanzler hat ge sagt, die neue Wirtschaftspolitik habe nicht den Zweck gehabt, der Großgrundbesitz zu erhalten, sondern die Möglichkeit zu geben, jen fürchterliche Agrarkrisis zu überwinden . Wodurch war denn jene Krisis hervorgerufen? Die Getreidepreise waren gestiegen, und mam nahm an, die Konjunktur würde eine ewige Dauer haben. Nun kam der Preissturz infolge der überseeischen Konkurrenz. Diese Krisik war keine für den Kleinbetrieb, sondern nur für den Getreide ver kaufenden Großbetrieb. Der Reichskanzler hat die Frage aufgeworfen wie wäre es geworden, wenn wir diese Zölle nicht eingeführt hätten Wie ist es denn in einem Lande gewesen, wo man dieses Allheil mittel nicht ergriffen hat? Auch dort war durch Erschließung der Prärien eine Krisis entstanden, aber es gelang, nach 1900 sie; überwinden. Bezüglich Dänemarks hat der Landwirtschaftsministen objektiv unwahre Sachen behauptet; er scheint die Berichte des land wirtschaftlichen Sachverständigen in Kopenhagen nicht zu kennen Graf Schwerin sagt, man könne das kleine Dänemark mit Deutsch land nicht vergleichen, aber dem kleinen Besitzer ist es doch gan egal, ob das Land groß oder klein ist. Das war nichts als eine Ver legenheitsphrase. Wenn in England die Viehzucht nicht so groß is so liegt das nur daran, daß dort zu wenig Kleinbesitz ist. Wi wollen auch nichts anderes, als die Landwirtschaft fördern. Die Regierung kennt immer nur das einzige Mittel, die Produkte zu ver teuern, aber der Gedankengang, daß man jemand fördern kann, in dem man seine Produktionskosten verringert, hat in diesen Koöpfen keinen Platz. Der mittlere und kleine Betrieb könnten bei uns vie⸗ mehr Vieh halten, wenn er es billig füttern könnte. Es heiß die Aufhebung der Zölle würde an den Preisen nichts ändern, abe das Gegenteil haben wir z. B. bei der Kartoffel gesehen; und dan mag allerdings eine kurzdauernde Suspension des Poles den gewollten Zweck nicht erreichen, aber bei einer dauernden Aufhebung eines Zolle bilden sich natürliche Preisverhältnisse. Weshalb in aller Welt habe Sie denn die Getreidezölle eingeführt, wenn sie nicht Einfluß au die Preise haben sollen Der Staatssekretär hat ja heute ausdrüch lich zugegeben, daß die Einführung der Zölle die Getreidepreise er höhen sollte. Sonst brauchten Sie ja auch nicht die Aufhebung de Getreidezölle zu fürchten. Graf sagte, daß nur 5 des Bedarfs an Futtermitteln durch Einfuhr gedeckt werden; ich habe da nachgeprüft und finde, daß diese Einfuhr 1100 Millionen Mark aus macht; danach ist also die Einfuhr von Futtermitteln ein Lebens bedürnis für unsere Landwirtschaft. Der Maiszoll macht im Jahn 65 Millioncn Mark aus. Wir sind eben nicht in der Lage, unsenn Viehstand aus eigenen Futtermitteln zu ernähren. Es werden jet 537 000 Tonnen Roggen mehr ausgeführt als eingeführt. Das ij nur möglich durch das System der Einfuhrscheine. Das so aus geführte Getreide entspricht einer Anbaufläche von 300 000 Hektan Wenn wir diese Fläche mit Gerste oder Kartoffeln bebauen würden so könnten wir jährlich 145 bis 160 000 Tonnen Schweinefleisch in mehr 1 Das würde ungefähr 9 ½ unserer ganzen jährlichen Fleischproduktion bedeuten. Eine solc Diskussion soll ja keinen Wert haben, aber hier wird doch einn ein praktischer Fingergeig gegeben, wie man der Fleischnot zu Leit gehen könnte. daraus ersieht man aber, wie sich das System d Einfuhrscheine ausgewachsen hat. Mein Freund Rickert hat sit ja für ihre Einführung ins Zeug gelegt. Aber er hat nicht entfent daran gedacht, daß sie einmal zu dem werden könnten, was sie jet sind. Wir wollen die Einfuhrscheine als solche ja gar nicht abgeschaff wissen. Wir verlangen nur die Rückkehr zu dem Zustande, wie? vor 1906 war. Der Reichskanzler von Bethmann führte, als u. vor einem Jahre den Antrag auf Aufhebung der Futtermittelzul gestellt hatten, an, ihre Aufhebung hätte keinen Zweck, weil nicht genug Mais in der Welt gäbe. Trotzdem ist aber viel mit Mais als vorher eingeführt worden. In Württemberg hat à dortige Landwirtschaftsminister ausdrücklich erklärt, daß vom Stanz punkt der viehzüchtenden Landwirtschaft aus sehr erhebliche Bedenke⸗ gegen die Beibehaltung der Futtermittelzölle beständen. Er ve auf die Erneuerung der Handelsverträge. Aber bei der d stehenden Fleischnot können wir doch nicht so lange warten. 2 Landwirtschaftsminister hat auch mitgeteilt, wieviel Vieh auf. de Domänen gehalten wird. Danach kämen auf 100 Hektar 25 Stu Rindvieh. Da aber der Durchschnitt selbst für den Großgrundbel 33 Stück beträgt, so bleiben die Domänen noch weit hinter diegen zurück. Von einer Fleischausfuhr aus dem Auslande versprech wir uns allerdings auch keine dauernde Abhilfe. Aber jetzt muß f für gesorgt werden, daß das Defizit gedeckt wird. Der Abg. Gia Schwerin⸗Löwitz hat die Verhältnisse über die Trustbildung in dm Vereinigten Staaten verkehrt dargestellt. Die Trusts üben da ke Druck auf die Produzenten aus; sie kontrollieren nur die Eisenbak verwaltungen, die verpflichtet sind, ihre Extrawaggons nicht anderen zur Verfügung zu stellen. Wenn gesagt wird, der §] Fleischbeschaugesetzes könne nicht aufgehoben werden, nun, dann ml man eben praktische Tierärzte nach Argentinien schicken. Es wi der Einwand gemacht, daß diese Beamten, wenn sie von Argent besoldet würden, sich nicht die nötige Unparteilichkeit bew⸗ könnten. Das muß ich zurückweisen. Gegenüber dem Ausspruch— Landwirtschaftsministers bezüglich der Vieheinfuhr aus den Kolonne möchte ich nur auf eine Aeußerung der Firma Woermann hinweinn die eine Einfuhr von lebendem Vieh für durchaus möglich bü.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Werden sich in dens

eichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsa

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

brauchten bloß mit Einrichtungen ausgestattet zu sein, „Reise nach Deutschland, ohne Aufenthalt unterwegs nen zu müssen, gestatten. Tatsächlich führt die Firma Woermann ts auf ihren Schiffen Gefrierfleisch. Schließlich müssen wir unsere deutschen Landsleute, die nach den Kolonien gegangen weiterhin als Deutsche ansehen. ien des in⸗ schen Fleischmarktes soll nach unserm Wi

Schiffe hnen die

illen durch das Inland gen; aber Notlagen wie die jetzige lehren, daß mit der Begünsti⸗ des Getreidehaues gebrochen werden muß. Im Freußischen Ab⸗ netenhause ist eine großzügige Kultivierung der Moore und ändereien angekündigt worden. Die kolossale Summe von Millionen soll dafür aufgewendet werden; das ist so weni daß ei diesem Tempo hundert Jahre dauern wird, bis unsere Noore viert sind. Der Reichskanzler von Bethmann Hollweg und der ister von Schorlemer haben aber auch eine großzügige innere nisation in Aussicht gestellt. Diese Frage ist so wichtig, daß dlich dahinter geleuchtet werden muß. Ich habe beinahe keine ion in den elf Jahren, daß ich im Reichstag sitze, vergehen lassen, diese Forderung zu erheben. Aber, Freiherr von Schorlemer, st die Liebe geblieben? Was er gestarn hier sagte, klang so ganz e, als was er im preußischen Abgeordnetenhause sagte. Uns er hier, die preußischen Domänen hätten auf diesem Gebiete ihre volle Schuldigkeit getan!

Dabei ist auf den Domänen jeser Beziehung fast noch alles zu tun, und es wird bekanntlich aller Ableugnung jede Aufteilung in höchstem Grade erschwert. platonischen Geneigtheit zur Aufteilung sollten doch Taten fol⸗ wenn man an den Ernst der Versicherung glauben soll. Die eilung von Döͤmänen bedeutet ja außerordentlich viel für die Ver⸗

ung der Viehbestände. Gerade die preußische Domänenverwal⸗

trifft der schwere Vorwurf, daß sie nicht rechtzeitig für die Ver⸗

ung der Kleinbetriebe gesorgt hat. Der Minister von Schor⸗

r wirft seinerseits den Städten vor, sie hätten nicht für innere

nisation gesorgt. Ja, Berlin kann doch seinen Besitz an Riesel⸗

in nicht in Kleinbauernhöfe aufteilen. Wenn Greifswald die

näne Wackerow nicht aufgeteilt hat, so ist unter den Auspizien

Regierungspräsidenten die Wiederverpachtung erfolgt. Dem

zgrundbesitzer Becker in Eldena, der schon 6000 Morgen besitzt, neuerdings erst wieder ein großes akademisches Gut verpachtet rden, und dabei kauft dieser Herr noch immer mehr Bauerngüter hier sollte der Landwirtschaftsminister einmal mit seinem Kollegen Unterricht ein ernstes Wort reden. Man schlägt also bewußt

Weg ein, der von der Aufteilung weit abführt und die Lati⸗ ienwirtschaft ganz exklusiv begünstigt. Die Zunahme des g auch die

dbesitzes in den letzten Jahren ist ganz außerordentlich;

ren Böden sind ja in großem Umfange dem Körnerbau unter⸗

en worden, und in den östlichen Provinzen hat die Mobilisierung

ggenommen, daß die Güter alle 9 Jahre ihren Besitzer wechseln. dazu der Krebsschaden der ungesunden Ausdehnung der Fidei⸗ nisse! Was an Rentengütern angeleat ist, verschwindet dagegen ständig. Gegenüber allen diesen Mißständen hahben die Regie⸗ en nichts bereit als weiße Salbe, die höchstens bei Minder⸗ bten die Vorstellung erwecken kann, als ob wirklich etwas geschehe. nüßte ein Verbot herbeigeführt werden, Fideikommisse zu gründen bestehende zu erweitern. Aber bei der goldenen Abhängigkeit rer Regierung von den Junkern ist vorläufig daran nicht zu en. Sie haben nicht einen brauchbaren, nutzbringenden Vorschlag icht. Sie werden erleben, daß die Fleischnot immer größer wird. re Wünsche zur Abstellung der Fleischnot sind keine theoretischen, ndern praktische. Sie sind nicht bauernfeindlich, sondern volks⸗ ndlich. Sie tragen die Verantwortung, wenn unser deutsches Volk

8 derarkige Zustände erlebt, wie es sie in diesem Jahre er⸗

hat.

Abg. Seyda (Pole): Die Redner sämtlicher Parteien sind rin einig, Mittel und Wege zu finden, um die breiten Massen, be⸗

ders die Arbeiterkreise mit guter Fleischnabrung zu versehen. Das gewiß eines der schwierigsten Probleme. Bei dieser Frage handelt sich nicht etwa darum, einer Hungersnot zu steuern. Nach den

lkten des Reichsgesundheitsamts soll ja nicht einmal eine Unter⸗ rnährung im Deutschen Reiche konstatiert worden sein. Selbst die Minister haben in langen Reden ihre Volksfreundlichkeit und ihr nteresse für die Arbeiter bekundet. Aber in demselben Augenblick sie im Begriff, ein Dekret zu unterzeichnen, durch welches Hunderte

n polnischen Arbeiterfamilien von Haus und Hof gejagt werden len. Niemand fragt, ob sie ein Stück trockenes Brot haben, und doch haben diese Leute nichts dem Staat gegenüber verschuldet. Das ist ein barbarisches Unrecht. Die Minister haben nicht einmal gefühl mit diesen polnischen Familien, ja sie brüsten sich sogar mit ihren Maßnahmen. Meine Nation ist stets für die wirtschaftlich Schwachen eingetreten. Deshalb haben wir auch mit tiefer Besorgnis die Entwicklung der letzten Fleischteuerung verfolgt. Wir können der kegierung nicht den Vorwurf ersparen, daß sie zu spät eingegriffen hat. Die Regierung mußte wissen, daß die Fleischteuerung ein⸗ treten würde. Wir werfen der Regierung weiter vor, daß sie bei der Auswahl der Städte, welchen die Fleischeinfuhr gestattet worden ist, nicht weit genug verfahren ist. Wenn die gewährten Erleichterungen auf eine größere Zahl von Städten ausgedehnt worden wären, besonders in der Industriezentren, dann wäre der Fleischnot weit mehr gesteuert worden, als es bisher der

I gewesen ist. Es ist gesagt worden, daß man möglichst viel kleinen Grundbesitz schaffen müsse. Diese Frage geht speziell uns Polen an. Die Frage zeigt, wie verkehrt die Regierung sozialpolitische Maßregeln anwendet, wenn es sich um die polnische Bevölkerung handelt. Es ist statistisch nachgewiesen, daß gerade der polnische Gutsarbeiter zu den erfolgreichsten Fleischproduzenten gehört. Wenn man die Fleischnot beseitigen will, sollte man den kleinen Bauern möglichst fördern. Auch hier zeigt sich, wie verkehrt die An⸗ siedlungspolitik der Regierung ist. Durch den Aufkauf von Gütern

ihre Verteilung an die Ansiedler wird die Produktion ver⸗ ringert. Die Ansiedlungspolitik macht es den Polen unmöglich, dazu

utragen, daß die Fleischversorgung der Bevölkerung im Deutschen keiche gehoben wird. Ich habe nicht erfahren, daß die maßgebenden Faktoren in absehbarer Zeit von ihrem Verfahren Abstand nehmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es gerade jetzt angezeigt wäre, in dieser Beziehung eine Aenderung eintreten zu lassen.

Abg. Dr. Ricklin (els. Zentr.): Wir müssen uns vor allem von dem Ausland unabhängig machen. Um dies zu ermöglichen, ver⸗ langen unsere Landsleute nicht übermäßig hohe, sondern stabile Preise. Gegen die Einfuhr von Gefrierfleisch hbaben wir nichts ein⸗ zuwenden, wenn der § 12 aufrecht erhalten bleibt. Im großen ganzen sind die Elsässer mit der Art und Weise, wie der Reichs⸗ anzler die Resolution beantwortet hat, einverstanden. Wir haben aus den Worten des Reichskanzlers die Versicherung herausgehört, daß an der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik nicht gerüttelt werden soll. Abg. Glec hart (Wirtsch. Bgg.): Die Sozialdemokratie hat wieder einmal die Fleischteuerung in einseitiger Weise zu politischen Agitationszwecken ausgebeutet. Der Abg. Scheidemann hat die Land⸗ virtschaft stark angegriffen; weiß er denn nicht, daß gerade die kleinen Landwirte 12 bis 18 Stunden arbeiten müssen, und daß sie schlechter genährt sind als die schlechtestgelohnten Arbeiter? Die Arbeiter⸗ sekretäre der Sozialdemokraten haben jedenfalls ein größeres Ein⸗ kommen als die Bauern. kann im Namen meiner Freunde er⸗

klären, daß wir sowohl im Interesse der Bauern wie der Arbeiter

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verbietet

an unserer bewährten Wirtschaftspolitik festhalten. Unter der Auf⸗ hebung der Zölle würden beide zu leiden haben. Verliert der Land⸗ wirt seine Kaufkraft, so leidet auch Handel und Industrie, und es würden Arbeiter entlassen werden müssen. Was hilft dem Arbeiter billiges Brot und Fleisch, wenn er es nicht bezahlen kann? Die Linke kann doch nicht verlangen, daß der Landwirt seinen Weizen und Roggen unter den Produktionskosten verkauft. Allerdings die Brotpreise sind mit den Getreidepreisen nicht in Einklang zu bringen. Es wäre eine dankbare Aufgabe, den Ursachen nachzugehen, die zu diesen hohen Preisen in den Städten geführt haben. Obst und Gemüse sind beim Produzenten äußerst billig, der städtische Konsument aber muß sie 100 % dteurer bezahlen, als der Landwirt dafür bekommt. Daß die Fleischpreise außergewöhnlich hoch sind, gebe ich unumwunden zu. Aber auch hier ist der Nachweis leicht, daß die Landwirte diese hohen Preise nicht verursachen. Die Landwirtschaft, besonders die in Süddeutschland, ist durch Kommunalzuschläge und vieles andere außerordentlich belastet. Da kann sie doch nicht etwa dieselben Preise fordern, wie etwa vor hundert Jahren. Was würden die Arbeiter dazu sagen, wenn man ein ähnliches Ansinnen an sie stellte! Es ist eine feststehende Tatsache, daß die Löhne in weit höherem Umfange gestiegen sind als die Lebensmittelpreise. Die Spannung zwischen dem Einkaufs⸗ und Verkaufspreise ist beim Vieh eine ungewöhnlich hohe. Der städtische Konsument muß das Schweinefleisch um 50 % höher bezahlen, als der Produzent dafür bekommt. Angesichts einer solchen Tatsache ist doch die Frage berechtigt, wo eigentlich diejenigen sitzen, die auch dem städtischen Konsumenten das Fleisch verteuern. München und Berlin verdienen zusammen hei der Fleischbeschau und an Schlachthausgebühren 2 Millionen Mark. Die Städte ver⸗ langen, daß der Bauer seine Haut zu Markte trägt, und daß sie aus dieser Haut Riemen schneiden. Auf die Wichtig⸗ keit des § 12 des Fleischhbeschaugesetzes ist schon wiederholt hingewiesen worden. Die Einfuhr ausländischen Gefrierfleisches sich schon aus sanitären Gründen. Man will mit dieser Einfuhr den kleinen Bauern um seinen Verdienst bringen. Gegen die Aufhebung der Futtermittelzölle muß ich mich erklären, zumal ja nur solche auf Mais und Gerste bestehen. Unser ganzes Bestreben muß dahin gehen, das deutsche Volk mit gutem und preis⸗ wertem Fleisch zu versorgen. Deshalb können wir allen den Maß⸗ nahmen zustimmen, die dieses Ziel im Auge haben. Mit der Kom⸗ missionsberatung sind wir einverstanden, da die Angelegenheit einer genauen Erwägung und Klarstellung bedarf. g.

Abg. Dr. Süde kum (Soz.): Es bestehen darüber Zweifel, wie die von uns gestellten Anträge zu behandeln sind. Es ist durch die Einbringung des zweiten darauf geschlossen worden, daß wir den ersten zurückgezogen hätten. Das ist nicht der Fall, wir wollen nur, daß in der Kommission die Frage geprüft wird, ob auf Grund der Geschäftsordnung unser erster Antrag zulässig ist. Diese prinzipielle Frage soll nur zuerst klargestellt werden. Der Abg. Gebhart hat meinem Freunde Scheidemann vorgeworfen, er hätte die deutschen Bauern beschimpft. Das hat er sogar wiederbolt. Der Abg. Scheidemann hat aber gar keine Neigung und Veranlassung, den Bauernstand zu beleidigen. Seine ng grunge gingen nur dahin, daß die Regierung mehr auf das Geschrei der Agrarier als auf den Notschrei des Volkes hört. Die Sozialdemokratie als solche hat gar keine Veranlassung, sich gegen diesen Vorwurf zu wehren. Das hat sie durch ihre Haltung bewiesen. Es ist notorisch, daß gerade sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die berechtigten Interessen der Bauernschaft nachdrücklich vertreten hat. Wer aus Bayern stammt, weiß, daß von unserer Seite dort und auch in anderen Parlamenten nach diesem Grundsatz gehandelt wird. Das wollte auch der Abg. Scheidemann ausdrücken. Es ist tief be⸗ dauerlich, ja sogar für den ganzen Bauernstand kompromittierend, wenn man seine Interessen immer mit denen des Großgrundbesitzes zusammenbringt. Diese haben miteinander gar nichts zu tun. Der Staatssekretär Delbrück rechnete mit Angriffen, denen er nach seiner Rede ausgesetzt sein würde. Diese Voraussicht wird ihn wohl nicht getäuscht haben. Ich bin aber überzeugt, daß die heftigeren und namentlich die tückischeren Angriffe von einer ganz anderen Seite als von uns kommen werden. Mit erfrischender Offenheit hat er sich dahin ausgesprochen, daß die Zollpolitik den Zweck hat, die Preise der Lebensmittel bei uns hochzuhalten. Früher sagte man, daß das Ausland den Zoll zahlt und eine Preiserhöhung deshalb nicht eintreten würde. Wieviel Schweiß muß es den Agitatoren des Zentrums kosten, um diesen Ausspruch des Staatssekretärs aus der Welt zu lancieren. Der Staatssekretär hat auch gesagt, man solle bei der Erörterung der Fleischteuerung nicht wirtschaftliche Fragen anschneiden; aber was soll man anders tun, als diese Fragen im Zusammenhang mit den Tat⸗ fachen zu besprechen, aus denen sie hervorgegangen sind. Wo bleiben übrigens diejenigen, die sich sonst als Arbeitervertreter immer auf⸗ spielen, die Abgg. Mumm, Behrens, Schiffer und Schirmer? Der Abg. Giesberts hat zwar gesprochen, aber wie ein echter Zentrums⸗ mann. Das hat uns gefreut. Denn die christlichen Arbeiter werden so bald inne werden, was sie von dieser Vertretung zu halten haben. Wie der Staatssekretär Delbrück, kam auch der Reichskanzler mit der alten Behauptung, daß die Blüte Deutsch⸗ lands von der Hochschutzpolitik abhängt, und daß auf dieser allein sich der Aufschwung unseres wirtschaftlichen Lebens gründet. Diese Behauptung ist ihrer Natur nach unbeweisbar. Sie ist auch nicht richtig. Es ist gewiß zuzugeben, daß die Landwirtschaft in den letzten Jahren sich einer beneidenswerten Blüte zu erfreuen gehabt hat. Wenn man das zugibt, dann darf man auf der anderen Seite nicht übersehen, auf welchem Untergrund von Not und Entbehrung diese Blüte aufgebaut ist. Den Arbeitern gebt es aber schlechter als früher. Das 1” die andere Seite dieser Wirtschaftspolitik. Graf von Schwerin⸗Löwitz sagte in seiner Rede und in Anknüpfung an ein Wort des Reichskanzlers, es sei richtig, in der Wirtschafts⸗ politik müsse man wissen, was man will. Ja, man muß auch mehr wissen, in der Wirtschaftspolitik muß man wissen, was man kann. Diese Erkenntnis fehlt bei denen, die behaupten, daß die Nahrungsmittel Deutschlands unabhängig vom Auslande gestaltet werden können. Es ist einfach nicht wahr, daß sich das deutsche Volk unabhängig vom Auslande auf dem gegebenen Boden und mit den gegebenen Produktionsmitteln ausreichend ernähren kann. Daß eine Ueberproduktion an Getreide vorhanden ist, ist mir nicht ganz unbekannt. Aber diese Tatsache beweist nicht, daß das Volk genug zu essen bekommt, sondern daß es unter unserem heutigen Zoll⸗ und Wirtschaftssystem für den einzelnen Wirtschaftsunternehmer profitabler ist, das Getreide über die Grenze zu schaffen und dort zu verkaufen. Wenn in Deutschland mehr Getreide gebaut wird, als zur Deckung seines eigenen Bedarfes nötig ist, so geschieht das lediglich auf Grund der wirtschaftspolitischen Lage, das heißt auf Grund der außerordentlichen Verteuerung unseres Getreides durch den Zoll, der infolge des gar nicht zu qualifizkerenden Einfuhrscheinsystems im Preise voll zum Ausdruck kommt. Im übrigen dürfte es nicht ganz unbekannt sein, daß die Sozial⸗ demokratie eine nicht unbedingt auf den Freihandel eingeschworene Partei ist, sondern rganzsch in die Produktion und Verteilung der Güter eingreift. Beim Weizen gaben Sie ja selhst zu, daß wir uns nicht untönei vom Auskande machen können. Also wenn der mehr oder weniger exrtenside Körnerbau bei uns begründet worden ist, so geschah das nicht aus Rücksicht auf die kleinen Bauern, sondern dann

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eschah es aus Rücksicht auf die Großgrundbesitzer des deutschen Ostens. Auf die außerordentliche Steigerung der Grund⸗ und Güter⸗ preise ist es Ihnen in allererster Linie angekommen. Der Abg. Scheidemann hat auf unserem letzten Parteitage schon das gesagt, was hier der Staatssekretär in bezug auf die internationalen Gründe der Preissteigerung vorgetragen hat. Das erkennen Sie ja auch in gewissem Sinne an. Denn wenn unter dem Druck der Not Maß⸗ nahmen ergriffen und empfohlen werden, die Fleischversorgung anders als bisher zu regeln, so tut man damit doch weiter nichts, als im wesentlichen sozialistische Maßnahmen zu ergreifen und zu empfehlen. Reden nützen nichts, meinte der Staatssekretär. Ja, hätten wir nicht geredet draußen im Lande, es wäre nichts geschehen, weder von der Regierung, noch von der Mehrheit des Reichstages. Die Not des Volkes muß zum Ausdruck gebracht werden, die politischen Hebel, die der großen Masse zur Verfügung stehen, müssen angesetzt werden, damit etwas geschieht. Dem Staatssekretär schien die Form der ge mischten wirtschaftlichen Unternehmungen vorzuschweben, als er von dem Zusammenwirken der Städte mit den ländlichen Genossenschaften sprach. Einen Teil ihrer Verantwortung scheint die Regierung da durch von sich abwälzen zu wollen, daß sie die Städte zur Beteili gung aufgerufen hat. Im vorigen Jahre haben sich die Städte dem fast durchweg verschlossen, und das liegt an der Zusammensetzung ihrer Verwaltungen; sie haben sich auf den bequemeren Weg des Peti tionierens begeben. In diesem Jahre hat nun die Regierung ein zelne Maßnahmen getroffen, um die Städte in den Stand zu setzen, etwas zur Fleisch⸗ und Fischversorgung zu tun, aber im Gegensatz zu diesen Regierungserklärungen haben sich die einzelnen Ministerien oft gänzlich ablehnend den Städten gegenüber verhalten, im vorigen Jahre haben sie zum Teil auf die Eingaben der Städte gar nicht ein⸗ mal geantwortet. So anerkennenswert die Leistungen der einzelnen Städte sind, so bedauerlich ist und bleibt, daß der Städtetag im letzten Oktober ausgesprochen hat, er sehe diese Tätigkeit nicht als eine Auf⸗ gabe der Städte an. Wir sehen diese Tätigkeit als eine ganz hervor ragende Aufgabe der Städte an und freuen uns, daß wenigstens einer, der Oberbürgermeister Schwander von Straßburg, derselben Meinung Ausdruck gegeben hat. Auf die Unzulänglichkeit der Regierungs⸗ maßnahmen hat sehr mit Recht auch der Oberbürgermeister Wermuth von Berlin hingewiesen; ähnliche Kundgebungen sind zahlreich von den Städten erfolgt. Dauernde Maßnahmen sind unbedingt not wendig. Es genügt aber nicht, was die getroffenen vorübergehenden Maßnahmen angeht, nur den Großstädten zu Hilfe zu kommen; in den Mittel⸗ und kleinen Städten der Industriebezirke liegen die Ver hältnisse ganz ebenso, und es ist geradezu empörend, daß das preu⸗ ßische Landwirtschaftsministerium, das allerunsozialste von allen unsozialen preußischen Ministerien, einer Stadt wie Hanau mit 30 000 Einwohnern den Bezug von Fleisch über Frankfurt untersagte! An der Spitze dieses Ministeriums hat nicht umsonst ein Podbielski gestanden; dieses Ministerium hat es in diesen Tagen fertig be kommen, das für Großberlin notwendige Wasser des Grunewalde einer privaten Gesellschaft bis zum Jahre 2000 auszuliefern! In diesen Fragen regiert in diesem Ministerium nicht der Minister, sondern der Direktor der Charlottenburger Wasserwerke, Wellmann; auf Bogen, die an ihrem Kopf diese Firma tragen, hat man unvor sichtigerweise in diesem Ministerium den dort vorsprechenden kom⸗ munalen Interessenten die schon vorher formulierten Antworten auf ihre Vorstellungen vorgelesen. In den kleinen und Mittelstädten geht das Gespenst der Teuerung genau so um, wie in den Großstädten; es ist nicht wahr, daß der Notstand sich auf die Großstädte beschränkt. Aber selbst wenn man nun diese erleichternden Maßnahmen, die man den Großstädten zugebilligt hat, mehr um die erregte Stimmung des Volkes zu dämpfen, als um wirkliche Abhilfe zu schaffen, ausgedehnt denkt auf andere Orte des Reiches, könnte denn dadurch wirkliche Hilfe geschaffen werden? Das glaube ich nicht. Das glauben auch die ee nicht, deren erste Sorge ja die Aufrechterhaltung dieser be⸗ währten Politik ist. Und wenn sie ins Ausland gehen, um dort Fleisch zu kaufen, stoßen sie selbstverständlich dort auf eine sofort einsetzende empfindliche Teuerung. Sie machen eher das Fleisch den anderen teurer als uns billiger. Solange der § 12 besteht und solange wir nicht Gefrierfleisch und anderes Fleisch aus anderen Ländern haben, so lange wird der Not des Volkes nicht abgeholfen werden können. Der Reichskanzler hat gesagt, ich stehe und falle mit dem § 12. Andere Regierungsvertreter waren nicht so fest in diesem Punkt. Der Staatsminister Kriesche hat in der württembergischen Kammer aus drücklich erklärt, daß er überzeugt sei, der § 12 könne und müsse auf⸗ gehoben werden. Es bestehe aber für ihn keine Möglichkeit, diese Ueberzeugung im Bundesrat geltend zu machen. Um diese Be⸗ stimmung des § 12 aufrechtzuerhalten, sucht man nach den faden⸗ scheinigsten Gründen. So erzählt man der Welt, die Arbeiter hätten nicht nötig, so viel Fleisch zu essen. Freiherr von Schorlemer sagt sogar: Warum essen sie eigentlich kein Pferdefleisch? Das ist sehr eiweißhaltig und könnte der menschlichen Nahrung in größerem Maße zugeführt werden. 7s ist schon gestern dazwischengerufen worden, warum nicht auch Hundefleisch? Es wird mir nicht leicht, in diesem Reichstag von den Hundeschlächtereien zu reden. Das nennen Sie nun Blüte der deutschen Volkswirtschaft, wenn sich Teile des Volkes ge⸗ nötigt sehen, ihren Fleischbedarf von Hunden zu decken. Es ist doch so. Es kann nicht bestritten werden. Das ist ebenso ungppetitlich wie wahr. Es wird auch behauptet, die Arbeiter brauchten eigentlich nicht so viel Fleisch zu essen. Diesen Standpunkt vertritt auch der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Das Kaiserliche Gesundheitsamt macht sich seine Aufgabe leicht. Es bringt eine Statistik heraus, die nicht stimmt, sondern den durchschnittlichen Fleisch⸗ konsum in Deutschland erheblich zu hoch schätzt. Das Kaiserliche Ge⸗ sundheitsamt hat es nicht für nötig gehalten, sich gegen die Vorwürfe des Professors Eßlen zu wehren. Uebrigens ist es mit dem durchschnitt⸗ lichen Fleischkonsum eine eigene Sache. Wenn jemand in einem Zimmer einen Fasan ißt und ein anderer trägt ihn auf, dann hat jeder nach der durchschnittlichen Berechnung einen halben Fasan gegessen. Wirklichkeit stimmt das aber, wie der Augenschein lehrt, keineswegs, und die Durchschnittsberechnung ist an sich ohne Beweiskraft. Man muß selbstverständlich bei diesen Untersuchungen auf Einzelheiten ein⸗ gehen. Aus den Haushaltsrechnungen der Arbeiterfamilien ergibt sich mit zwingender Logik, der Fleischkonsum weit hinter dem normalen Maß zurückbleibt. Selbstverständlich ff die Preiserhöhung diese Kreise des Volkes ganz anders alle anderen Schichten. Daher ist es unglaublich, daß ein M der an der Spitze des Reichsgesundheitsamtes steht, in dieser Weise die Fleischnot aus der Welt herauszumanöprieren sucht. Das Reichsgesundheitsamt leugnet allerdings eine Fleischnot. Wie verhängnisvoll die Unterernährung für die Schulkinder ist, zeigen die Berichte der Schulärzte. Es ist festgestellt worden, daß bei Beginn der Schulzeit Schulkinder Fleisch nicht vertragen, weil sie dahin Fleisch nicht gegessen haben. Alle Schulärzte sich darüber klar, daß die bekannten Leiden der auf Unterernährung zurückzuführen sind. Die Väter eben nicht in der Lage, ihren Kindern Fleisch zu Der Staatssekretär des Innern verwies auf den der sozialpolitischen Gesetzgebung. Bedenkt man die vollen Wohnungsverhältnisse und die miserablen Ernährungs⸗ verhältnisse, so muß man zugeben, daß die Versicherung diese Schäden nicht wettmachen kann. In Wirklichkeit wird durch die Inlandproduktion an Fleisch nicht einmal der künstlich verengte Bedarf gedeckt. Es muß dahin kommen, daß alle Teile des Volkes Fleisch essen können, und da das Inland das genügende Quantum 8

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