8
85 Wie „W. T. B.“ meldet, erklärte er, die dringendste Aufgabe
wäre vielleicht der Bau von Schulen und Hospitälern. Er werde sein Werk der Durchdringung des Landes ohne Expedition oder Krieg durchführen. Sein militärisches Vorgehen werde beherrscht von der Sorge, die Effektivstreitkräfte nicht zu vermehren, um nicht das Mutterland zu entblößen. Er betrachte Eisenbahnen, Straßen und alle im Lande vor⸗ genommenen Vervollkommnungen als Ersatz für Streitkräfte. Lyautey erklärte, die Lagc in Marokko sei gegenwärtig sehr günstig, doch dürfe man sich nicht wundern, wenn es noch einige Erhebungen gäbe. Das auf 16 Millionen Francs ge⸗ schätzte Budget für Marokko balanciere fast mit den normalen Einkünften, nur die Vorlage für öffentliche Arbeiten werde eine Anleihe notwendig machen. ö
Italien.
In der Deputiertenkammer führte gestern bei der Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Ratifikation des Lausanner Friedensvertrags, der Ministerpräsident Giolitti in Erwiderung auf die Reden mehrerer Abgeordneten laut Bericht des „W. T. B.“ aus:
Es freue ihn, daß keiner der Redner den Vertrag bekämpft habe, ausgenommen der Abg. Treves, der das in sehr milder Form getan habe, und der Abg. Mirabelli, der die Verfassungsfrage aufgeworfen habe. Der Ministerpräsident erklärte, die Regierung habe sich streng an die Verfassung gehalten und habe im übrigen dem Parlament nicht ein Unternehmen zur Beratung unterbreiten können, das sie für notwendig gehalten und von dem sie gewußt hätte, daß das Land es wünsche. Hinsichtlich der Führung des Krieges beschränkte sich der Minister auf den Hinweis, daß die Italiener während des ganzen Krieges auch nicht den geringsten Mißerfolg gehabt hätten, weder zu Wasser noch zu Lande. Mit Recht sei deshalb das italienische Volk von seinem Heer und seiner Marine begeistert. Giolitti hob sodann hervor, daß der Frieden bereits geschlossen ge⸗ wesen, als der Balkankrieg ausgebrochen sei. Dies sei ein Glück für Italien gewesen, das so unbeschränkt über eine Lage habe entscheiden können, die andernfalls dem Willen anderer Mächte unterworfen worden wäre. Der Ministerpräsident erkannte darauf an, daß die Türkei ihre Herrschaft in Tripolitanien mit aller Energie verteidigt habe, und rechtfertigte ferner die verschiedenen Bestimmungen des Friedensvertrages. Die Besetzung der Inseln des ägäischen Meeres habe rein militärische
Zwecke verfolgt. Das habe Griechenland wohl gewußt, als der Krieg zwischen
Griechenland und der Türkei ausgebrochen sei. Uebrigens habe Italien nicht beanspruchen können, Gebiete mit griechischer Be⸗ völkerung zu bekommen, es habe deshalb nur in die Rückgabe dieser Gebiete einwilligen können, nachdem die Türkei alle Friedens⸗ bedingungen erfüllt habe. Die Frage, ob Italien, wenn es die Inseln vor der Beendigung des Balkankrieges räume, verhindern müsse, daß sie von den Griechen besetzt würden, müsse er unumwunden verneinen. Wenn man dann Frieden schließe, würden entweder Verträge zwischen Griechenland und der Türkei das Schicksal der Inseln bestimmen, oder Europa werde in einem Kongreß darüber entscheiden, auf dem Italien frei seine Stimme erheben könne. Giolitti schloß mit der Bemerkung, der Friede gebe Italien eine große Kolonie im Mittel⸗ meer und stelle ihm eine große zivilisatorische Aufgabe. Der Friede gebe außerdem Italten als Großmacht die volle sodaß es in schwierigen Augenblicken seine Interessen wirksam ver⸗ teidigen und gleichzeitig seine Autorität geltend machen könne, um die berechtigten Interessen anderer Völker wahrzunehmen.
Der Entwurf wurde darauf in geheimer Abstimmung mit 335 gegen 24 Stimmen angenommen. v
Schweiz.
85 In der gestrigen Sitzung des Ständerats gab der
Bundespräsident Forrer, wie „W. T. B.“ meldet, namens des Bundesrats eine bedeutsame Erklärung ab über die schwei⸗ zerisch⸗italienischen Beziehungen, die stets gut und freundschaftlich seien, trotz verschiedener Zwischenfälle, die durch die Kompliziertheit der Grenzen verursacht würden. Dem Treiben der irredentistischen Partei sei keine größere Bedeutung zuzumessen. Die Irredenta finde bei der italienischen Regierung keine Unterstützung und beim Tessiner Volk keinen Anklang. Der Sprecher des Bundesrats benutzte den Anlaß, der schweizerischen Presse die Pflege guter Be⸗ ziehungen zu Italien ans Herz zu legen. Die Vertreter Tessins dankten dem Präsidenten für seine Ausführungen und gaben in begeisterten Worten der Liebe des Tessiner Volkes zur Schweiz Ausdruck.
— Im Nationalrat wurden gestern die Nachtrags⸗ behandelt, darunter ein Posten, betreffend den Kaiser⸗ besuch.
ie Sozialdemokraten beantragten, obiger Quelle zufolge, die Nichtgenehmigung und erklärten, sie erkennten zwar an, daß der Deutsche Kaiser aufrichtig bestrebt sei, den Frieden zu wahren, und hätten sich während des Kaiserbesuchs große Zurückhaltung auferlegt. Der Kredit für die Empfangskosten hätte aber im voraus verlangt werden sollen, und die Aufwendungen hätten das Maß republikanischer Einfachheit überschritten. Die Truppenaufgebote zum Ehrendienst seien überflüssig gewesen. — Der Bundespräsident Forrer führte demgegen⸗ über aus, die frühere Nachsuchung des Kredits sei untunlich gewesen, da eine Erörterung in den Räten über den Kaiserbesuch, bevor er statt⸗ gefunden, nicht angängig gewesen wäre. Der Kaiserbesuch sei ein sehr erfreuliches Ereignis gewesen und habe den Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland großen Nutzen gebracht. Die Schweiz könne mit Genugtuung und Dankbarkeit daran zurückdenken Der republikanisch⸗demokratische Charakter des Empfangs sei gewahrt worden. Beim Besuche des Oberhaupts der Französischen Republik und des italienischen Königs seien die gleichen Maßnahmen und Truppenaufgebote vorgesehen worden.
Der Kredit wurde darauf mit allen gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen.
Die Pforte hat gestern amtlich bekannt gegeben, daß der Waffenstillstand mit Bulgarien, Serbien und Montenegro unter der Bedingung abgeschlossen worden ist, daß die Kriegführenden in den gegenwärtig von ihnen innegehaltenen Stellungen verbleiben. Die Friedensver⸗ handlungen beginnen ohne Aufschub. Der Kriegszustand wird allein gegen Griechenland aufrechterhalten. Eine gleich⸗ lautende Bekanntmachung ist den Vertretern der Türkei im Auslande und den türkischen Provinzbehörden zugegangen. Wie „W. T. B.“ meldet, dauern die Verhandlungen mit Griechenland wegen des Waffenstillstandes fort, und man hofft, daß die griechischen Bevollmächtigten morgen nach “ kommen, um die Annahme des Protokolls mit⸗ zuteilen.
In dem unterzeichneten Waffenstillstandsprotokol heißt es obiger Quelle zufolge:
Um die Feststellung der Friedenspräliminarien zu ermöglichen, haben die Regierungen der Türkei, Bulgariens, Serbiens und Monte⸗ negros einen Waffenstillstand auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Wenn die beiden Parteien sich über die Friedensbedingungen nicht einigen und die Fortsetzung des Krieges notwendig werden sollte, so
müssen sich die Kriegführenden gegenseitig 48 Stunden vorher von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten in Kenntnis setzen. Die den Kontakt verhindernden neutralen Zonen werden von den Generalstäben der beiden Parteien festgesetzt. Zur Festsetzung der Zonen werden die Montenegriner Sondergesendte nach Skutari, die Bulgaren solche nach Adrsanopel und die Serben solche zur Westarmee entsenden. Diese Delegierten werden sich mit den türkischen Delegierten ausein⸗ andersetzen. G
Die türkische Regierung hat bereits Verfügungen getroffen, um Lebensmittel nach Adrianopel und Skutari zu senden. Die Bevölkerung der belagerten Plätze wird die Frei⸗ heit haben, zu gehen, wohin sie will.
— Das Amtsblatt veröffentlicht ein Irade, betreffend die Emission von Schatzscheinen in Höhe von 3 800 000 Pfund.
— Nach einer Meldung des Blattes „Mir“ sammelten die bulgarischen Truppen, die die Kolonne Javer Paschas ge⸗ fangen genommen hatten, nach der Einnahme von Keschan das Gros ihrer Streitkräfte um die Dörfer Mahmudköj, Pischmanköj und Elmali und besetzten die Höhen des Kurudag Hombra und G wichtige strategische Stellungen nördlich der Halbinsel
allipoli.
Sogleich nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsprotokolls hat der Generalstab den bulgarischen Armeen den Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten erteilt.
Ueber die letzten Kämpfe der Montenegriner und Türken um Skutari liegen folgende, vom „W. T. B.“ ver⸗ breitete Meldungen vor:
Nach Berichten des Generals Martinowitsch haben die Türken vorgestern auf der langgestreckten Linie vom Flusse Kiri bis Vraka einen scharfen Ausfall gegen die montenegrinischen Stellungen unter⸗ nommen mit der Absicht, die feindlichen Linien zu durchbrechen. Auf beiden Seiten entwickelte sich ein heftiges Gewehrfeuer, in das auch eine Maschinengewebrabteilung eingriff. Nach mehrstündigem Kampfe gelang es den Montenegrinern, die Türken unter starken Verlusten zurückzuwerfen, eine den Tarabosch beherrschende Höhe unterhalb des Schiroka Gora zu besetzen und dort Batterien aufzustellen. Dadurch erscheint die Stellung der Montenegriner erheblich vorteilhafter für das weitere Vorgehen gegen Skutari. Die Montenegriner verloren gestern sechs Mann und einen Offizier sowie mehrere Verwundete. Die Verluste der Türken sollen bedeutend sein.
Ueber den Kampf bei Skutari am Montag wird nachträglich gemeldet, daß das Gefecht sich sehr erbittert gestaltete. Nur durch das Eingreifen der Zetabrigade gelang es den Montenegrinern, ihren Rückzug zu decken. Auch König Nikolaus befand sich in der Gefechts⸗ linie und kehrte Abends über Rieka nach Cetinje zurück. Die Ver⸗ luste der Montenegriner sollen viel größer sein, als diese angeben.
— Ismail Kemal Bey hat an die Pforte ein Tele⸗ graam gerichtet, in dem es, obiger Quelle zufolge, heißt:
Die Albanesen, die bis zu diesem Augenblick dem ottomanischen Reiche treu geblteben sind, jede dieser Treue widersprechende Handlung vermieden und nicht verfehlt haben, stets Hilfe zu leisten, haben, da ihr Land gegenwärtig vom Feinde überschwemmt ist, einstimmig be⸗ schlossen, ausschließlich zur Verteidigung ihrer nationalen Rechte, ohne der Türkei irgend einen Nachteil zu bereiten, in den Wllajets Skutari und Janina unabhängig zu verfahren. Sie bitten die türkische Re⸗ gierung, ihnen die Unterstützung nicht zu versagen.
Eine aus zwei muselmanischen und einem katholischen Albanesen zusammengesetzte Mission ist nach Bukarest abgereist; sie wird ganz Europa bereisen, um im Interesse der albanesischen Sache zu wirken, und begibt sich dann nach Elbassan.
Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ aus Valona haben vorgestern zwei griechische Kanonenboote die unbefestigte Stadt beschossen. Eine Granate schlug zwischen dem italienischen und dem österreichisch⸗ungarischen Konsulat ein. Ismail Kemal Bey schickte, durch die Panik unter der Bevölkerung bestimmt, zu den Schiffen Parlamentäre, denen der Kommandant erklärte, er habe den Befehl erhalten, die albanesische Küste zu blockieren, da sie türkisches Gebiet sei, und glaube daher, rechtmäßig gehandelt zu haben. Die Stadt müsse sich Griechenland ergeben, das die Albanesen stets wie Brüder behandelt habe. Hierauf entfernten sich die Kanonen⸗ boote. Ismail Kemal Bey hat sofort telegraphisch bei den Großmächten und bei der griechischen Regierung Einspruch erhoben
ͤ“
Der König wird am 9. Dezember die neue Session
Parlamentsgebäude durch eine Thronrede eröffnen.
Montenegro.
Nach einer Meldung des „Wiener K. K. Telegraphen⸗ Korrespondenzbureaus“ erschien der russische Gesandte von Giers kürzlich beim König mit der amtlichen Mitteilung, daß sich die Großmächte dahin geeinigt hätten, den Frieden der Türkei mit den Balkanstaaten nach dessen Abschluß einer Revision zu unterziehen. Dieselbe Mitteilung machte der Gesandte auch der mon hegrinischen Regierung
merika. 8
Der Jahresbericht des amerikanischen Schatz⸗ sekretärs fordert laut Meldung des „W. T. B.“ dringend eine radikale Reform des unverständigen und unwissenschaft⸗ lichen Bank⸗ und Währungssystems in den Vereinigten Staaten und weist den Kongreß darauf hin, daß die Bundesregierung, solange das jetzige System bestehe, für auf Finanzpaniken folgende kommerzielle, industrielle und soziale Katastrophen allein verantwortlich sein werde. Der Schatzsekretär veranschlagt die ordentlichen Einnahmen für das Jahr 1913 auf 711 Mil⸗ lionen Dollar, die Ausgaben auf 670 800 000 Doll., wozu die Ausgaben für den Panamakanal in Höhe von 42 Millionen Doll. kommen, sodaß die Ausgaben die Einnahmen um 1 800 000 Doll. überschreiten. Für das Jahr 1914 werden die Ausgaben einschließlich der Panamakanalkosten auf 52 530 000 Doll. höher als die Einnahmen geschätzt, was durch den Ver⸗ kauf von Kanalbonds im Betrage von 30 174 000 Doll. auf 22 556 000 Doll. reduziert wird. Die Voranschläge für 1914 weisen eine Zunahme von 80 947 000 Doll. gegen das Jahr 1913 auf.
Das japanische
abinett hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern seine Entlassung gegeben. 6
8
Parlamentarische Nachrichten.
Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗ tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
8 —
— Der heutigen (78.) Sitzung des Reichstags wohnten der Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg, der Staat sekretär des Innern Dr. Delbrück, der Staatssekretär des Reichsmarineamts, Großadmiral von Tirpitz, der Kultus minister Dr. von Trott zu Solz, der Kriegsminister, General der Infanterie von Heeringen, der Staatssekretär des Reichs⸗ postamts Kraetke, der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco, der Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr.
Solf und der Staatssekretär des Reicesgehg. Kühn bei. 1
Auf der Tagesordnung stand die Generaldiskussion des Reichs⸗
haushaltsetats für 1913.
Abg. Dr. Paasche (nl.): Meine politischen Freunde bedauern es außerordentlich, daß vom Abg. Spahn gestern eine derartige Er⸗ klärung verlesen worden ist, aus der man entnehmen mußte, daß eine “ des Kulturkampfes beabsichtigt ist. Das will niemand, auch wir nicht, und ganz besonders nicht in der jetzigen Zeit. Das Zentrum will keine konfessionelle Partei sein, sondern eine nationale. Wir bedauern deshalb um so lebhafter, daß gerade von dieser Seite aus jetzt zum Sturm geblasen und eine Form gewählt wurde, die wir seit langem nicht mehr ge⸗ wohnt sind. Der Redner und Führer des Zentrums hat hier gestern eine Rede gehalten, worin kein Wort zum Etat esagt wurde und die alle anderen Interessen hinter e rein konfessionellen Frage zurücktreten ließ. Ich will nicht hoffen, daß das Zentrum seine Worte wahr macht und daß es zum Konflikte kommt. Der Reichs⸗ kanzler hat betont, daß nicht die verbündeten Regierungen den Konflikt herbeigeführt haben und daß sie gar nicht daran gedacht haben, die Jesuitenfrage jetzt wieder ins Rollen zu bringen. Das har die bayerische Regierung mit ihrer Auslegung des Jesuitengesetzes getan, gegen die ja am 28. April d. J. schon im Reichstag Einspruch erhoben wurde. Der Reichskanzler hat Recht, wenn er sagt, das Jesuitengesetz ist in letzter Zeit in einer Form ausgeübt worden, daß sie nicht als eine Verletzung der Gefühle des katholischen Volkes angesehen werden kann. Er sagte fogar, daß, entgegen den Bestimmungen des Gesetzes, die Jesusten ihre Tätigkeit in Deutschland ausgeübt haben. Er deutete an, daß die Regierung des lieben Friedens halber darüber ein Auge zugedrückt hat. Auch keine Partei hat darüber ihr Mißfallen ausgedrückt. Alle waren zufrieden, daß der religiöse “ durch das Eingreifen der Polizei nicht gestört worden ist.
as der Bundesrat entschieden hat, ist keine Verschärfung des Ge⸗ setzes. Der Kanzier hat auch mit Recht darauf hingewiesen, daß auch auf die religiösen Gefüble der 40 Millionen Protestanten in Deutschland Rücksicht genommen werden muß, die sich durch die Tätigkeit des Jesuitenordens in Deutschland bedroht sehen. Dazu kommen noch andere Dinge, die nicht geeignet sind, die Befürchtungen der ECvangelischen zu zerstreuen. Das sind die verschiedenen Enzykliken der letzten Zeit, die Borromäus⸗Enzyklika und die über die Gewerkschaften. Das Zentrum hat der Regierung den Fehde⸗ handschuh hingeworfen, weil seinen Wünschen, das Jesuitengesetz aufzuheben, bisher nicht Rechnung getragen wurde. Aber daber handelt es sich doch um eine lex lata, und der Bundesrat hat das Recht und die Pflicht, sie so auszulegen, wie es beabsichtigt war. Wenn dagegen Bedenken auftauchten, daß Jesuiten über wissenschaft⸗ liche Fragen in den Kirchen Vorträge hielten, so liegt doch der Ver⸗ dacht nahe, daß leicht auch religiosse Fragen so behandelt werden. Wir hoffen, daß der gesunde politische Sinn des Zentrums es ver⸗ hindert, die angedrohten Konsequenzen zu zieben, und daß der nationale Gedanke die Oberhand behält. v 1
(Schluß des Blattes.)
In der heutigen (100.) Sitzung des Hauses der
bgeordneten, welcher der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer beiwohnte, wurde die dritte Beratung des E ntwurfs eines Wassergesetzes begonnen. Es liegen zahlreiche An⸗ träge auf Abänderung der bei der zweiten Lesung gefaßten Beschlüsse vor, darunter der bei der zweiten Lesung abgelehnte Antrag der Konservativen über die Behördenorganisation, nach dem statt des Bezirksausschusses und des Landeswasseramts drei Instanzen: Bezirksausschuß, Stromausschuß und Ober⸗ verwaltungsgericht vorgesehen werden sollen. Eine Reihe von Anträgen will das Verzeichnis der Wasserläufe erster Ordnung abändern.
Abg. von Brandenstein (kons.) schlägt zur Geschäftsordnung vor, diese letzteren Anträge sofort der Kommission bezw. der dafür eingesetzten Subkommission von 5 Mitgliedern zu überweisen, da sich dieses Verfahren bei der zweiten Lesung bemährt habe; die Kom⸗ mission könne zu diesem Zwecke morgen vor der Plenarsitzung zu⸗ sammentreten.
Nachdem Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) sich mit diesem Vorschlag einverstanden erklärt hat, werden die genannten Anträge der Subkommission überwiesen.
In der Generaldiskussion bemerkt
Abg. Dr. von Kries (kons.): Meine politischen Freunde haben die des Wassergesetzes mit Freuden begrüßt. Ich fann auch heute nach dem Abschluß der muühevollen Arbeit der Kommission und der zweiten Lesung den Ausdruck unserer Befriedigung üher das Erreichte nicht zurückhalten. Die Kommission hat an den Grund⸗ lagen des Regierungsentwurfs nicht gerüttelt. Wenn auch in Einzel⸗ heiten und namentlich in der formellen Ausgestaltung mancherlei geändert worden ist, so beeinträchtigt dies doch in keiner Weise den Wert der Vorsage, der ein schönes Zeugnis ablegt von dem Können und praktischen Blick ihrer Verfasser. Die Kommissions⸗ arbeit selbst war getragen von dem freundnachbarlichen, leidenschafts⸗ losen Zusammenwirken sämtlicher Mitglieder. Parteipolitische Rück⸗ sichten und Leidenschaften, die bei anderen Verhandlungen den prak⸗ tischen Blick für das Zweckmäßige und Erreichbare zu trüben pflegen, haben keine Rolle gespielt. Wenn auch in der einen und anderen Frage eine pöllige Einigung nicht erzielt werden konnte und diese durch Mehrheitsbeschluß zur Entscheidung gebracht werden mußten, so ist doch über die Verhandlung zu sagen, daß alle Be teiligten höchst freundschaftlich und einträchtig zusammenge wirkt haben. So ist denn etwas geschaffen worden, das den Eindru der Befriedigung auch bei denjenigen auslösen muß, die, wie mein politischen Freunde, den einen oder anderen Wunsch unerfüllt seben Wenn man den Gesetzentwurf als Ganzes betrachtet, so ziehen sich durch ihn zwei wichtige altpreußische Grundsätze, zunächst nämlich der daß das öffentliche Wohl den Interessen einzelner vorgehen muß, ein Gesichtspunkt, der den modernen Verhältnissen und Anforderungen insofein entspricht, als das öffentliche Interesse eine größere Bedeutung für die Allgemeinheit hat und geringeren wirtschastlichen Interessen vorgehen muß. Der zweite Gesichtspunkt ist der, daß die justitia distributiva, der Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit, es erfordert, daß, wenn der einzelne mit seinen Interessen zurückstehen wuß wenn er dem Wohl und der Förderung allgemeiner Interessen Opfer “
eden⸗
er dann auch eine ausreichende Entschädigung empfängt.
falls wird durch den Gesetzentwurf ein weitgehender Raum ge
schaffen für eine bessere Ausnutzung unserer heimischen Wasser⸗
kräfte und eine gedeihliche Fortentwicklung unserer Wasserwirt⸗ schaft. Zu diesem Zwecke dient die Verleihung, durch die be⸗ wirkt wird, daß die Unterhaltung unserer heimischen Wasserläufe, die stellenweise außerordentlich viel zu wünschen übrig ließ, auf einen festen und sicheren Boden gestellt wird. Von besonderer Bedeutung ist für meine Freunde die Reinhaltung der Gewässer. So sehr man es sich auch angelegen sein lassen muß, die Wünsche unserer heimischen Industrie in dieser Beziehung zu befriedigen, so kann doch auf der anderen Seite nicht verkannt werden, daß unsere heimischen Wasserläufe nicht bloß die Aufgabe haben, als Vorfluter für Schmutzabwässer zu dienen, sondern daß sie natur⸗
gelungen ist, den
Fenss noch ganz andere Aufgaben zu erfüllen haben, daß das ganze olk ein großes Interesse an der Reinhaltung dieser Flüsse hat. Die Bestimmungen über die Reinhaltung der Gewösser, die auf den ersten Blick in mancher Beziehung bedenklich erscheinen, werden dazu beitragen, unsere heimische Wasserwirtschaft ganz besonders zu fördern. Meine politischen Freunde begrüßen jedenfalls die betreffenden Bestimmungen mit besonderer Genugtuung. Weitere wichtige Bestimmungen trifft der Abschnitt über das Genossenschaftswesen. Auch die Zwangsbestimmungen sind geeignet, unsere Wasserwirtschaft in mancher Beziehung zu fördern. Diese weitergehenden Zwangsbestimmungen über die Genossenschaften bedingen natürlich auch einen größeren Rechtsschutz derjenigen, die in die Genossenschaften hineingezwungen werden sollen. Auch damit sind wir einverstanden. Der Schutz des Privateigentums erscheint uns hinreichend gesichert. Sehr erhebliche Bedenken haben jedoch meine politischen Freunde gegen die Behördenorganisation, welche die Mehr⸗ heit dieses Hauses in zweiter Lesuug beschlossen hat. Ich will diese Bedenken nicht nech einmal bei der dritten Beratung in voller Breite hier wiederholen, ich möchte diese Auseinandersetzung der Spezialdiskussion vorbehalten und nur bemerken, daß wir diese Bedenken in vollem Umfange aufrecht erhalten. Aber diese Bedenken sind nicht so stark, daß sie auf seiten meiner politischen Freunde zu einer völligen Ablehnung des Gesetzentwurfs führen können. Wir be⸗ trachten das Gesetz, auch wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden, auf deren Erfüllung wir zum Teil hier, zum Teil im anderen Hause zuversichtlich hoffen, als eine glückliche Fortbildung unserer heimischen Wasserwirtschaft, als ein wertvolles Rüstzeug unseres Volkes in dem immer mehr verstärkten Kampf der Völker ums Dasein.
Abg. Dr. von Woyna (freikons.): Dem Danke für die getreue, ausdauernde und aufopfernde Mitwirkung an dem hier ge⸗ lieferten Werke schließen wir uns voll an. Wir sind wohl mit allen grundsätzlichen Bestimmungen des Gesetzes einverstanden und zufrieden. An erster Stelle möchte ich an die Regierung die Bitte richten, bei der Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen leicht zu handhabende Vorschriften zu erlassen, den⸗Behörden jede billige Rück⸗ sichtnahme auf bestehende Verhältnisse ars Herz zu legen. ie Be⸗ hörden sollen sich ihrer Aufgabe als ausgleichende Stellen bewußt sein, damit nicht mit rauher Hand durchgehauen wird. Millionen von Parzellen in Preußen werden durch dieses Gesetz betroffen und mit schweren Ausgaben belastet; unzählige Anträge werden an die Behörden auf Grund dieses Gesetzes ergehen. Die genossenschaftliche Unterhaltung der Wasserläufe wird immer teurer sein als die durch den Einzelnen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir mit diesem Gesetz freiwillig eine Be⸗ lastung der Landwirtschaft übernommen haben, wie sie noch nicht dagewesen ist. Das muß besonders betont werden gegenüber der Behauptung, daß die Landwirtschaft immer nur für ihre eigenen Interessen arbeitet. Ich möchte also nochmals der Regierung
eempfehlen, daß sie mit schonender Hand an die Ausführung geht und nur da, wo es unbedingt notwendig ist, energisch eingreift. Zum ersten
Male wird mit diesem Gesetz der Versuch gemacht, das Verhältnis des Staats zu den Wasserläufen auf gesetzlicher Grundlage zu regeln. In den Bestimmungen über den Ausbau der Wasserläufe ist eine Fassung gefunden worden, welche die Mitwirkung des Staates auf dasjenige Maß beschränkt, das innerhalb der Grenze des öffentlichen
b Interesses liegt; immerhin kann man diese Fassung als eine wenigstens
einigermaßen befriedigende ansehen, wenn wir auch hoffen, daß durch die eingebrachten oder noch einzubringenden Anträge eine noch mehr befriedigende Gestaltung erreicht werden wird. Eine der wichtigsten Aufgaben, die die Verwaltung eines Landes zu lösen hat, ist jetzt auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Da darf man auch an die Be völkerung die Bitte richten, sich bereitwillig in den Dienst der Aus⸗ fübrung des Gesetzes zu stellen, jedes Sonderinteresse zurückzudrängen und an dem Ausbau der Wasserwirtschaft zum dauernden Segen des Vaterlandes mitzuwirken.
Abg. Dr. Röchling (nl.): Der Satz „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort“ verliert diesem Gesetz gegen⸗ über einigermaßen seine Geltung. Wir haben die Kodifizierung und Vereinheitlichung des Wasserrechts als Ziel erstrebt und sprechen
auch unsere Anerkennung für die Arbeit aus, die Regterung
und Kommission dabei geleistet haben. Wir haben dabei so manchen alten Zopf abgeschnitten, sind aber auch bemüht gewesen, berechtigte Eigentümlichkeiten zu erhalten. Wir begrüßen insbesondere die neue Rechtsordnung für die unterirdischen Gewässer, die Rück⸗ sicht auf die Nachbarn, die geübt werden soll in dem Umfange, wie er dem deutschen Rechte im Gegensatz zum römischen entspricht. Die Staatsregierung hat diesen Entwurf in mühevoller und jabre⸗
langer Arbeit fertiggestellt. Worum es sich bier bei unseren Be⸗ ratungen und in der Kommission bezüglich der Abänderungen gehandelt bat, waren nur Aeußerlichkeiten, durch die der Grundgedanke des
Entwurfs in keiner Weise geändert worden ist. Wir müssen uns
darüber freuen, daß ein Werk zustande gekommen ist, das allen be⸗
teiligten Kreisen gerecht wird. Besonders erfreulich ist es, daß es Wasserzins zu beseitigen. Wasser ist kein Stenerobjekt. Daran werden wir unter allen Umständen festhalten,
ebenso wie an dem Grundsatz der zwei Instanzen. Wir halten es
—
nicht für ratsam, das Oberverwaltungsgericht hier mitsprechen zu lassen. Dieser Gesetzentwurf fügt zu dem alten neues Recht. Deshald sind Uebergangsbestimmungen notwendig. Wenn auch das Wasser⸗ gesetz so vollkommen erscheint, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß
es Menschenwerk ist. Auf jeden Fall haben wir uns bemüht, etwas
Vollkommenes zu schaffen. Wie für das Reich die Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches, so ist für Preußen die Schaffung dieses Wassergesetzes eine gesetzgeberische Großtat. Die Staatsregierung
d die Kommission waren fest davon überzeugt, etwas Dauerndes geschaffen zu haben, und das ist auch anerkannt worden.
(Schluß des. Blattes.)
Der Reichstags⸗ und Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Stolp⸗Lauenburg Will Schweslin (Kons.) ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern abend im Alter von 64 Jahren i Schweslin
verstorben.
Statistik und Volkswirtschaft.
chulkinder mit polnischer Familiensprache in der Provinz Westfalen im Jahre 1911 und früher.
In die durchweg deutsche Provinz Westfalen sind Polen nur durch Zuwanderung gelangt. Ihre Menge ist stellenweise so groß, daß der Volksschule aus der Fremd⸗ oder Zweisprachigkeit der Schul⸗ kinder mancherlei Schwierigkeiten erwachsen. Es waren nach der „Stat. Korr.“ in den öffentlichen Volksschulen der Provinz ein⸗
geschult 1 nur polnisch sprechende deutsch und polnisch Kinder sprechende Kinder im Reg. Bez. 1901 1906 1911 1901 1906 1911 Münster. 1 723 4 211 8 588 2 905 9 781 68 Minden .. .. 3 1 17 18 31 34 Arnsberg 2 845 6874 11 827 6270 8249 16 411 in der Provinz 4 571 10 586 20 432 8 593 12 (61 22 657.
Die in diesen Zahlen sich ausdrückende Zunahme der polnischen Bestandteile in den Schulen eines früher rein deutschen Gebiets ist sehr beträchtlich und von Jahrfünft zu Jahrfünft größer geworden. Selbst die deutsch und polnisch sprechenden Kinder sind ihrer über⸗ wiegenden Mehrzahl nach als Polen (einschließlich von Masuren) an⸗ zusehen, mögen sie unmittelbar durch Zuwanderung oder als Provinz⸗ geborene den Schulen zugeführt worden sein. Die Verbreitung dieser fremd⸗ oder zweisprachigen Kinder ist aber nicht annähernd gleichmäßig; fie häufen sich vielmehr in einigen Gegenden oder Gemeinden zu be sonders starten Massen. So fanden sich im Jahre 1911 in der
Stadt Recklinghausen ez. Münster) 2275 Schulkinder mit nur polnischer und 685 mit deutscher und polnischer Familiensprache, im Landkreise Recklinghausen weiter noch 6181 nur polnisch und 5325 deutsch und polnisch sprechende, in der Stadt Dortmund 989 und 1132, im Landkreise Dortmund 3437 und 2899, in Herne 1868 und 1099, in Bochum Land 1202 und 1309, in Gelsenkirchen Land 2462 und 3670. In diesen und anderen Orten und Kreisen ist die Zunahme teilweise, ja meist viel beträchtlicher gewesen als im Pro⸗ vinz⸗ oder Bezirksdurchschritt. Die Familiensprache von je 100 Schülern der öffentlichen Volksschulen war in nur polnisch deutsch und polnisch 8 1901 1906 1911 1901 1906 1911 Recklinghausen, 8 *
4,25 22,16 10,33 2 6,67 8 11 8,75 6,19 7,8
Reg.⸗Bez. Münster 1,42 2,93 4,55 Dortmund, Stdtkr. . . 0/,61 2,72
8 v111 7,38 Hörde (Stdt.⸗ u. Ldkr.) 0,46 0,83 Bochum, 11“ 1,26
d
. ““ 4,67 Herne Stotkr.. . . . 2,44 15,97 127 2,61 Gelsenkirchen, Stdtkr. . . 1,04 1,42
8 111““ 7,86 ö1161616X“X“ 0,31 1,46 0 Reg.⸗Bez. Arnsberg . . 0,89 1 2 55 3. „Allee diese Kreise und Städte sind Sitze sehr lebhafter Industrie. Sie haben auch die Eigentümlichkeit, daß sie unter ihrer Bevölkerung einen hohen Bruchteil von Kindern im schulpflichtigen Alter auf⸗ weisen; die Schüler der öffentlichen Volksschulen machten 19 bis 22 Hundertteile der betreffenden Bevölkerung aus.
Auch hier zeigt sich das Vordringen der Polen im westlichen Industriegebiete, das schon in Nr. 113 des „Reichs⸗ und Staats⸗ anzeigers“ vom 10. Mai d. J. auf Grund der Volkszähl ngsergebnisse gekennzeichnet worden ist. 1“
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6.
Zur Arbeiterbe
In einer in Berlin erfolgten Besprechung zwischen den Ver⸗ tretern des für Binnenschiffahrt und verwandte Gewerbe e. V. und des Deutschen Trans⸗ vortapseiterverbandes sowie des Zentralverbandes der Maschinisten und Heizer ist, „W. T. B.“ zufolge, seitens des Arbeitgeberverbandes folgende Erklärung abgegeben worden: „Der Arbeitgeberverband für Binnenschiffahrt und verwandte Gewerbe ist trotz der andauernd mißlichen wirtschaftlichen Lage der in ihm vereinigten Betriebe bereit, eine mäßige Lohnerhöhung mit Beginn des nächsten Jahres eintreten zu lassen. Es ist bekannt, daß die Reichsregierung beabsichtigt, dem Reichstage binnen kurzem Vorschläge zur gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit in der gesamten Binnenschiffahrt zu machen. Deshalb erscheint es untunlich, gerade jetzt durch private Vereinbarungen über Nacht⸗ und Sonntagsruhe für einzelne Teile der Schiffahrt Bestimmungen zu treffen.“ 1
Zur Tartfbewegung im Schneidergewerbe (vgl. Nr. 286 und 287 d. Bl.) teilt die „Köln. Ztg.“ mit, daß auch der mit dem Allge⸗ meinen deutschen Arbeitgeberverband für das Schneider⸗ gewerbe, Ortsgruppe II Elberfeld⸗Barmen, im vergangenen Jahre abgeschlossene Damenschneidertarif von den beteiligten Organisationen zum 1. März nächsten Jahres gekündigt worden ist. Für den neuen Tarif wird von den Damenschneidern eine Erhöhung des Stundenlohns und eine Verkürzung der Arbeitszeit gefordert.
Aus Fallriver (Massachusetts) wird dem „W. T. B.“ tele⸗ graphiert: Als Ergebnis der Beratung von Vertretern der Baum⸗ wollindustriellen und ihrer u““ über die Frage einer Lohnerhöhung haben die letzteren beschlossen, keine förmliche Forderung auf eine sofortige Lohnerhöhung zu stellen.
Wohlfahrtspflege.
Gestern sand unter dem Vorsitz des Wirklichen Geheimen Rats Tr. Thiel die vom Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts⸗ und Heimarpflege berufene erste Konferenz für freie Bildungs⸗ arbeit auf dem Lande im hiesigen Architektenhause statt. Den ersten Vortrag hielt der Geheime Regierungsrat Rahm⸗Arnsberg über das Thema „Die Versorgung der ländlichen Bevölke⸗ rung mit gutem Lesestoff“. Nach Hinweis auf die Organi⸗ sationen des öffentlichen Büchereiwesens in England und Amerika ging der Redner bei der Behandlung der deutschen Verhältnisse von dem Bosseschen Ministerialerlaß vom 18. Juli 1899 aus. Als gegen⸗ wärtiges Ergebnis konnte erfreulicherweise festgestellt werden, daß z. B. im Regierungsbezirk Arnsberg mit seinen 2 ½ Millionen Ein⸗ wohnern mehr als 25 % aller politischen Gemeinden mit öffentlichen Büchereien versehen seien. Zur weiteren Ausgestaltung und Ver⸗ tiefung müsse allerdings der Wehlfahrtspflegegedanke in allen gebildeten Schichten unseres Volkes festeren Fuß fassen. Der Redner forderte systema⸗ tische Behandlung des Wohlfahrtpflegeg ebiets an höbheren Lehranstalten, Universitäten usw., damit auch das Interesse der höheren Verraltungs⸗ beamten geweckt werde, und bei jeder Regierung eigene Wohlfahrts⸗ dezernate. Jeder Ort müsse bemüht sem, unter Mitwirkung der politischen Gemeinde und des Kreises eine Standbücherei einzurichten. Als Ergänzung könne wie in Oberschlesien und Posen die Kreisstand bücherei mit Wanderbetrieb treten, welche die örtlichen Wünsche bei der Zuschickung zu berücksichtigen babe. Nicht hoch genug sei die öffentliche Bücherri bei der Arbeit in der Jugendpflege anzuschlagen Die staatliche Beihilfe sei wünschenswert, doch dürfe sie nur ergänzend⸗ auftreten und nur ausnahmsweise Sonderbestrebungen von Vereinen zugute kommen, um Zersplitterung der Kräfte zu vermeiden. Be⸗ 8ö, Gewicht legte der Redner auf die Errichtung von Zentral⸗ beratungsstellen in allen Provinzen, wie sie bis jetzt in Oberschlesien, Posen, Westfalen und der Rheinprovinz beständen. Um den Ver⸗ waltungsbeamten, wie den Fachmann über die Entwicklung des öffent⸗ lichen Büchereiwesens auf dem Laufenden zu erhalten und ihm die Möglichkeit eines rechtzeitigen Eingreifens zu erleichtern, sei die Auf⸗ nahme einer regelmäßig wiederkehrenden Statistik unerläßlich.
Als zweiter berichtete am Nachmittag Fr. Lembke⸗Schmargen⸗ dorf über „Die Bedeutung der ländlichen Fortbildungs⸗ schule für das Landleben“. Mehr nech als die Volksschule habe die ländliche Fortbildungsschule die Aufgabe, für das Leben zu wirken. Nur das Können bliebe, das in täglicher Lebensarbeit neu erworben und neu gestärkt werde, ebenso habe nur das Wissen dauernden Be stand, das sich mit solcher Arbeit verbinde. Verknüpfung der Ge⸗ dankenwelt und der Arbeit der Schule mit den Lebensaufgaben und Interessen der Schüler und des Volkes: das müsse der Kern der Arbeit in der ländlichen Fortbildungsschule sein. Werde sie auf solchem Grunde erbaut, dann werde sie auch mit Fug und Recht als eines der vielen Mittel genannt werden können, die der Landflucht entgegen wirken. In einer Zeit, in der ein Neues das andere jage, wo sich im Neuen Gutes und Schlechtes mische, und wo das schlechte Neue oft eine Gefahr für das gute Alte bedeute, sei es wichtig, sich in der Jugend einen Stamm von Menschen heranzubilden, der das gute Neue kräftig auf⸗ fasse und das bewährte Alte sorgsam schütze. Zu dem Zwecke 8 sich aber die Fortbildungsschule auf die Heimat beschränken, sie müsse Heimatschule im besten Sinne werden. Je mehr das Volk wachse, desto notwendiger seien Leute, die das Land bebauen, an der Scholle festhalten und in der Einfachbeit ihr Glück finden. In ihrer Person stelle sich gewissermaßen eine Einheit von Bürger, Heimat und Vater⸗ land dar. Die Arbeit der ländlichen Fortbildungsschule sei zwar auf 80 bis 120 Unterrichltsstunden im Jahre beschränkt, aber trotzdem könne sie — in der erwähnten Weise geleitet — ein wichtiges Volks⸗ bildungsmittel werden. Dazu müsse sie allerdings auch vom Volk selbst durch Mitarbeit getragen und gefördert werden. An beide Vorträgen knüpfte sich ein lebhafter und anregender Meinungs⸗ austausch. — Die Konferenz wird heute fortgesetzt.
zember.
Kunst und Wissenschaft
1ö1“ 11““ Im Institut für Meereskunde, Georgenstraße 34 — 36, spricht am 9. d. M. Dr. A. Merz⸗Berlin über die Be⸗ wegungsformen der ozeanischen Wassermassen. (4. Vortrag der Reihe: Das Weltmeer und seine Erforschung.) Am 10. d. M., Dr. E. Fischer⸗Berlin über die Bedeutung der natürlichen Bedingungen für Lebensvorgänge bei Fischen und am 13 d. M. der Kapitän zur See z. D. euß⸗Berlin über Bestrebungen der Preußischen Seehandlung zur Hebung von Schiffahrt und Handel. Die Vorträge werden, soweit möglich, durch Lichtbilder erläutert; sie beginnen um 8 Uhr Abends. Eintrittskarten zu 0,25 ℳ sind an den Vortragsabenden von 6 Uhr an in d Heschäftsstell straße 34 — 36) zu haben. “
Land⸗ und Forstwirtschaft. “ 111“ 88 1“ X“X“ Der Saatenstand in Preußen zu Anfang Dezember 1912.
Auf Grund von 4361 rechtzeitig bei dem Königlichen Statistischen Landesamt eingegangenen Berichten landwirtschaftlicher Vertrauens⸗ männer über den Stand der Saaten in Preußen am Anfang des Monats Dezember wird in der „Stat. Korr.“ folgendes mitgeteilt:
Der soeben abgelaufene Berichtsmonat (November) brachte zu⸗ nächst gelinden Frost, in vielen Gegenden, hauptsächlich in den nord östlichen Landesteilen, auch eine leichte, bald wieder geschmolzene Schneedecke. Um die Mitte des Monats kamen trockene, freundliche Herbsttage, die die Temperatur im ganzen etwas milder stimmten als im Oktober. Im übrigen war die Witte rung an Nieder schlägen wieder reich genug.
Infolge der übermäßigen Nässe in den Vormonaten konnten die erst sehr spät geräumt werden. Die Abfuhr der Hackfruchternte hat sich bis in die letzten Tage verzögert; vereinzelte Reste von Kar⸗ toffeln waren, weil verdorben, des Ausnehmens nicht wert. Ebenso konnte die Winterbestellung erst spät in Angriff genommen und außerdem nicht hintereinander fortgesetzt werden. Obgleich bei der etwas milderen Novembertemperatur die zeitweise unterbrochen ge⸗ wesenen Pflugarbeiten, die in dem aufgeweichten Boden außergewöhn⸗ licher Spannkräfte bedürfen, wieder aufgenommen und mit aller Macht gefördert wurden, können die ursprünglich zur Winterfrucht be⸗ stimmten Aecker jetzt nicht mehr sämtlich bestellt werden: es wird sogar ein beträchtlicher Teil zur Sommerung liegen bleiben müssen.
Die über Schädlinge nicht zahlreich vorliegenden Nachrichten verteilen sich auf eine Anzahl Landesteile mit je einigen Berichten, nach denen sich die Mäuse wieder etwas vermehrt zu haben scheinen. In einigen Gegenden kommen auch Hamster vor, in anderen, be sonders im Regierungsbezirk Hannover, Ackerschnecken sowie hier und da noch Erdflöhe.
Was nun die jungen Saaten anlangt, so ist allerdings seit dem vormonatigen Berichte sowohl bei den Weizen⸗ wie bei den Roggen⸗ saaten eine Besserung eingetreten, indem sie inzwischen mehr eingegrünt sind. Sie sollen sich aber doch nicht derart entwickelt haben, daß ihnen nach dem jetzigen Stande eine gesunde Durchwinterung zugetraut werden könnte. Ob das bisher Versäumte bei der vorgerückten Jahreszeit über⸗ haupt noch nachgeholt werden könne, so behaupten einige Vertrauens⸗ männer, sei zu bezweifeln; mindestens hänge dies von einem langen und milden Herbste ab. Wirklich üppige Saaten, wie in normalen Jahren um diese Zeit, sollen nur ganz vereinzelt zu sehen sein; es fehlt die nötige Bestockung, die kaum und bei weitem nicht überall augeseßt hat. Das Keimen des Saatkornes verzögerte sich infolge des zu früh ausgekühlten Bodens beträchtlich; bis zum Auflaufen vergingen zumeist 4 Wochen. Ueber den in Preußen wenig gebauten Spelz liegen Bemerkungen nicht vor. Eine Besserung, wie bei den Getreidesaaten, ist bei den Oelfrüchten, Winterraps und rübsen, die bereits im August bestellt wurden, im allgemeinen nicht eingetreten. Sie haben in den Berichten zwar verhältnismäßig selten Erwähnung gefunden, sind aber in den wenigen Fällen nicht gerade günstig beurteilt worden; sie sollen danach nur teilweise etwas gewonnen, andernteils aber auch verloren haben. Der junge Klee soll vielfach recht üppig stehen und mitunter schon guten Futterertrag hergegeben haben, teils durch Weidegang, andernteils durch Schneiden. Nicht selten aber soll er auch lückig sein infolge Erstickens unter den zu lange auf ihm gestandenen Getreidestiegen. Hierbei mag er wohl einen durchschnitt⸗ lich geringen Schaden erlitten haben, den er aber bei seinem allgemein recht günstigen Stande tragen kann. Maßgebend für den Stand der Saaten usw. bleiben allein die von den landwirtschaftlichen Vertrauens⸗ männern abgegebenen Begutachtungsziffern, die — wenn Note 1 „sehr gut“, 2 „gut“, 3 „mittel (durchschzittkich)⸗ 4 „gering“ und 5 „sehr gering“ bedeutet — im Staatsdurchschnitte, wie folgt, sich be⸗ rechneten: bei dem Winterweizen und roggen auf je 2,9 (gegen je 3,0 zu Anfang November), bei dem Winterspelze auf 2,7 (2,9), bei den Oelfrüchten, Winterraps und ⸗rübsen, wie im Vormonate auf 2,9 und bei dem jungen Klee auf 2,5 (2,4)
Hiermit ist die diesjährige Berichterstattung über den Saaten⸗ stand beendet; die nächstjährige beginnt zu Anfang April—
Verdingungen.
Der Zuschlag auf die von dem Verwaltungsressort der Kaiserlichen Werft zu Wilhelmshaven am 28. Oktober d. F. verdungenen 12 000 kg Kapok ist der Niederrheinischen Kapokfabrik in Kevelger zum Preise von 1,49 ℳ für 1 kg erteilt worden.
(Die näheren Angaben über Verdingungen, die beim „Reichs⸗ und Staatsanzeiger“ ausliegen, können in den Wochentagen in deßen
Expedition während der Dienststunden von 9—3 Uhr eingeseben werden.) Belgien.
n vom Bureau des adjndications in Brüssel, Rue des Augustins 15, bezogen werden.
18. Dezember 1912, 12 Uhr. Salle de la Madeleine in Brüssel: Neuverdingungen der Lose 67, 68, 69, 88 und 94 des Speziallastenhefts Nr. 759: 32 000 qam Fensterglas zu 3 —4 mm Stärke, 40 000 durchsichtige und 44 000 undurchsichtige Ausschriften und 534 000 Lampenzvlinder. Eingeschriebene Angedote zum 14. De⸗ zember.
18. Dezember 1912, 12 Uhr. Ebenda: Lieferung von Loko⸗ motivenhebeapparaten, Hebeböcken, Kränen, Dampfpumpen, 34 Wagen zum Wiegen von Lokomotiven und Tendern, System Ehrbardt. Trag vermögen 11 500 kg. § Lose. Eingeschriedene Angebote zum 14. De
Italien. Stadt Speziag. 16. Dezember 1912, Vorm. 10 Uhr: Lieferung
der Bureauartikel für die Stadtverwaltung auf die Zeitdauer ven
1913 — 1915, und zwar: 1. Los Formulare jeder Art und Form, zäbr⸗ licher Bedarf für etwa 20 000 Lire, Sicherheitsleistung 6000 Lire; Kontraktspesen 1000 Lire. 2. Los Kanzleiartikel, jährlicher Bedarf für etwa 5000 Lire; Sicherbeirsleistung 1500 Lire, Kontraktspesen 300 Lire. Zeugnisse üusw. bis spätestens 14. Dezember 1912. Näheres in italieni⸗ scher Sprache beim „Reichsanzeiger“. 8
Ospedale Maggiore di S. Giovanni Battista und der Stadt Turin in Turin. 16. Dezember 1912, Nachmittags 3 Udr Lieserung von: 1. Los roher Gaze, Wert etwa 11 000 Lire, 2. Los dpdrephaer Gaze, Wert etwa 90 000 Lire, 3. Los Binden, Watte, Guttapercha Gaze und Musselin, Wert etwa 29 000 Lire, für die Zeit dom 1. Je nuar 1913 bis 30. Juni 1916. Näheres in italienischer Sprache d „Reichsanzeiger“.
Die Direktion des Militärkommissariats des 5. Armethends ie Verona macht bekannt, daß es in der Nr. 29 der Musschrelde „Brotheutel aus wasserdichter, grauer Leinewand“ anstatt „Pamt „Stück“ heißen muß. Vergl. „Reichsanzeigen“ Nr. 280 dom 28. No⸗
vember 1912.