82
— ——
—— —
— —
—.
—
* än. e 29*½ — —— —
Schlusse des Rechnungsjahres 1909, sodaß rein äußerlich betrachtet eine Verminderung um 191 Millionen Mark in dieser Zeit ein⸗ getreten ist. (Hört, hört! rechts und im Zentrum) Es darf dabei aber nicht außer acht gelassen werden, daß ein hoher Betrag vorschußweise aus ordentlichen Mitteln be⸗ stritten worden ist, und daß wenigstens ein Teil dieser Summe früher oder später im Wege der Anleihe wird begeben werden müssen. Dabei brauchen Sie aber nicht zu befürchten, wie es die Presse zum Teil getan hat, daß nun im nächsten Jahre die Anleihe den Betrag von 5 Milliarden Mark erreichen oder überschreiten werde. Das wäre nur dann möglich, wenn die zur Verfügung stehenden Kredite voll ausgenützt würden, was nicht beabsichtigt wird.
In diesem Zusammenhange sei auch des Kursstandes der Reichs⸗ anleihen gedacht, der, wie Ihnen bekannt, eine recht ungünstige Ent⸗ wicklung genommen hat. Die 3 ½⸗ und 3 prozentigen Anleihen haben im Kurse in den letzten Jahren wieder eine ganze Reihe von Pro⸗ zenten verloren. Daran war aber nicht etwa ein Sinken des inneren Werts dieser Anleihewerte schuld, nicht etwa eine Verminderung des Kredits des Reichs, wozu nach der Finanzlage ja gar kein Anlaß ge⸗ boten wäre, im Gegenteil haben unsere Reichspapiere sich anläßlich äußerer Krisen noch letzthin ebensogut und besser behauptet als die Papiere anderer großer Staaten. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Der Grund für das Sinken des Kurses ist ein all⸗ gemeiner, wesentlich wirkt dabei mit die Inanspruchnahme des Kapitals für andere wirtschaftliche Zwecke und die daraus resultierende Steigerung der Ansprüche auf Verzinsung. Jeden⸗ falls bildet dieser Umstand einen Faktor, der bei der Kurs⸗ bewegung der Staatsanleihen nicht ausgeschaltet werden kann, ebensowenig wie etwa sonst bei der Preisbildung einer Ware das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wenn daher von den zahl⸗ reichen Vorschlägen, die uns unterbreitet worden sind und die auf eine Hebung oder wenigstens Stabilisierung des Kurses hinwirken wollen, keiner voll befriedigt, so darf das nicht Wunder nehmen. Jedenfalls aber kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß die Bewegung der Kurse von uns aufmerksam verfolgt wird und daß alle Vorschläge, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht ganz einwandfrei sein sollten, einer sorgfältigen Prüfung unserseits sicher sind. Die einzelnen Vor⸗ schläge selbst möchte ich hier, weil das zu weit führen würde, nicht erwähnen. Ich glaube, daß sich im Laufe der Elatsverhandlungen wohl Gelegenheit bieten wird, über den einen oder anderen dieser Vorschläge zu verhandeln.
Ehe ich mich nun zu dem Dreimilliardenetat des Jahres 1913 wende, wollen Sie mir gütigst gestatten, mit einigen Worten die Vorgänge aus dem Frühjahr dieses Jahres zu streifen. Das Vor⸗ gehen der verbündeten Regierungen anläßlich der Finanzierung der Wehrvorlagen hat nicht nur hier im Hause manche herbe Kritik er⸗ fahren, sondern es ist auch hinterher noch Monate hindurch bis in die letzte Zeit hinein teilweise lebhaft umstritten worden. Ich will den Streit hier nicht neu anfachen, insbesondere will ich die meines Erachtens in der Presse etwas zu leichthin mit Ja beantwortete Frage ganz aus dem Spiel lassen, ob denn wirklich eine im Frühjahr dieses Jahres eingeführte Erbschaftssteuer — be⸗ kanntlich eine Steuer, die später als irgend eine andere in den Beharrungszustand hineinwächst — die Jahre 1912 und 1913 finanziell schon wesentlich hätte beeinflussen können. Eine Er⸗ örterung hierüber wird jetzt umsomehr unterbleiben können, als ja die Frage durch die Annahme der lex Bassermann⸗Erzberger eines großen Teils ihrer Bedeutung entkleidet ist und als sowohl hier im Hause wie bei den Regierungen Einmütigkeit darüber besteht, daß die Finanz⸗ gesetzgebung der letzten Jahre in einer Reichsbesitzsteuer ihren Abschluß finden soll. Ich möchte mich auch heute noch nicht darüber auslassen, welche Form diese Steuer annehmen wird. (Heiterkeit.) Es wird sich das, glaube ich, deshalb schon erübrigen, weil durch die Debatten hier im Hause und durch gelegentliche Auslassungen der Regierungen so viel dargelegt ist, daß es sich nicht um eine Sondersteuer irgend⸗ welcher Art, sondern nur um eine allgemeine entweder auf dem Ge⸗ biete der Vermögensbesteuerung oder der Erbschaftsbesteuerung liegende Abgabe handeln kann. (Sehr richtig! links.)
Aber eine tatsächliche Mitteilung möchte ich Ihnen machen dahin, daß eine über die Lösungsmöglichkeiten im Reichsschatzamt aus⸗ gearbeitete Denkschrift seit einiger Zeit den Bundesregierungen vorliegt, und daß maßgebende Verhandlungen über den Gegenstand stattfinden werden, voraussichtlich noch ehe die Herren von der Weihnachtspause an ihre Arbeit zurückgekehrt sind.
Aber weshalb ich auf die Vorgänge vom Frühjahr zurückkommen wollte: gegenüber den vielen eine Mißdeutung zulassenden Auslassungen in der Presse über die Haltung der Regierung muß ich deren Stand⸗ punkt noch einmal festlegen.
Tatsache ist, daß damals die Regierungen und mit ihnen schließ⸗ lich der Reichstag sich dafür entschieden haben, daß ein Teil der ein⸗ maligen Auslagen für die Wehrvorlagen aus den Ueberschüssen des Jahres 1911 bestritten werden soll. Auch wer das grundsätzlich für falsch hält, wird sich doch mit den Beschlüssen der gesetzgebenden Körperschaften abfinden müssen. Im übrigen aber sind alle erhobenen Einwürfe unbegründet. (Sehr richtig! im Zentrum.)
Es ist unrichtig, daß wir damals den Einnahmeetat künstlich zurechtgemacht, daß wir die Einnahmen dem Bedarf angepaßt hätten. Nein, nicht dem Bedarf haben wir sie anzupassen gesucht, sondern den realen Verhältnissen (sehr richtig! im Zentrum), und eine Er⸗ höhung der Einnahmen war damals möglich, weil die Feststellung des Etats sehr viel später erfolgte als sonst und weil man darum - schon weiter blicken konnte, als das in anderen Jahren der
all ist.
Umichtig ist es ferner, daß um Ostern 1912 herum ein Um⸗ schwung in der Finanzpolitik der Regierung eingetreten sein soll. Wenn ich damals von dieser Stelle erklärt habe, daß es bei einem außerordentlich hohen Ueberschuß von einer Viertelmilliarde Mark nicht bloß nach staatswirtschaftlichen, sondern auch nach privatwirt⸗ schaftlichen, auch nach kaufmännischen Grundsätzen zulässig sein müsse, etwa eine Achtelmilliarde — das Finanzerposé zu den Wehrvorlagen gibt den Betrag genauer auf 138 oder rund 140 Millionen Mark an — für plötzlich hervorgetretene einmalige außerordentliche Ausgaben zu verwenden, so lag eben in dieser Verwendung eines Teils der Ueber⸗ schüsse zu einmaligen Ausgaben die einzige wesentliche Abweichung von dem damals bestehenden Zustand. Scheiden wir diese rund 140 Millionen, die nun einmal von den gefetzgebenden Faktoren für die Wehrzwecke reserviert worden sind, hier aus, so sind die Richt⸗
selben geblieben wie bisher.
es trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten dem jetzigen und den künftigen Schatzsekretären mit Unterstützung des gesamten Reichstags
dauernd festzuhalten. Ist das der Fall, dann werden allerdings die Etats der nächsten Jahre wegen der völligen Ausschaltung der An⸗ leihen zu nichtwerbenden Zwecken noch solider sein als der gegen⸗ wärtige.
Wie die bisherigen Grundsätze in Verbindung mit dem Finanz⸗ plan der Regierung sich in die Praxis umgesetzt haben, ersehen Sie aus dem Ihnen vorliegenden Etat. Zunächst die Ueberschüsse. Als Verwendungszweck für die Ueberschüsse von 1911 gibt § 4 des Etatsgesetzes an: die Deckung der einmaligen Ausgaben der Heeres⸗ und Flottennovelle, die Abbürdung der Vorschüsse der Militär⸗ und Marineverwaltung, die Deckung der nach den Anleihegrundsätzen künftig auf den ordentlichen Etat zu übernehmenden gemeinschaftlichen Ausgaben der Etats von 1911 und 12, die Tilgung derjenigen Anleihen, auf welche die gestundeten Matrikularbeiträge aus den Jahren 1906 bis 1908 sowie die Fehlbeträge aus den Jahren 1907 und 08 über⸗ nommen sind.
Von den einmaligen, auf der letzten Wehrvorlage beruhenden Aus⸗ gaben für Militär und Marine sind nun 81 Millionen Mark auf die Ueberschüsse übernommen worden. Um jede Spur von Schönfärberei zu vermeiden, will ich selbst darauf hinweisen, daß hier die einzige Stelle ist, an welcher eine Kritik gegen den Etat scheinbar mit einem gewissen Recht einsetzen könnte. Die Summe erscheint allerdings für das erste Jahr der in Betracht kommenden Periode hoch. Aber es scheint dies nur so. Zunächst nehmen überhaupt in den nächsten Jahren die einmaligen Ausgaben für die Heereszwecke ab. Sie be⸗ tragen im zweiten Jahre nur noch zwei Drittel und im dritten Jahre nur noch ein Drittel der für das erste Jahr berechneten Summe. Sodann sind einzelne Ausgaben, die für eine spätere Zeit vorgesehen waren, vorweg genommen, und es wird insoweit der Etat der künftigen Jahre entlastet. Endlich aber kommt in Betracht, daß das Jahr 1913 deshalb nicht so viel aus ordentlichen Mitteln bei⸗ steuern kann, weil wir in diesem Jahre für den Bau des Nord⸗ ostseekanals die hohe Rate von 56 Millionen eingestellt haben, während der Bau darüber hinaus im ganzen nur noch 30 Millionen erfordert, die überdies vielleicht auf mehrere Jahre sich ver⸗ teilen lassen. Auf die Ueberschüsse braucht also in späterer Zeit nicht mehr in dem Maße zurückgegriffen zu werden, wie heute, und die Gesamtsumme der von den Ueberschüssen von 1911 für die Heereszwecke zur Verfügung stehenden Beträge, also die Summe von 140 Millionen, wird überhaupt hierdurch nicht berührt. Ziehen wir diesen Betrag von rund 140 Millionen von den Gesamt⸗ überschüssen von rund 250 Millionen Mark ab, so ergeben sich rund 110 Millionen, welche für den nächsten vom Gesetzgeber vorgesehenen Verwendungszweck, d. i. für die Abbürdung der Vorschüsse der Heeres⸗ verwaltung zu Vorausbeschaffungen und die Bereltstellung von Be⸗ triebsmitteln für die Marinebekleidungsämter verfügbar werden, wovon indes nach Seite 11 des Etats der allgemeinen Finanz⸗ verwaltung nur 106 Millionen in Anspruch genommen werden.
Daß das Gesetz bei der Aufzählung der Verwaltungszwecke die Abbürdung dieser Vorschüsse der sonstigen Schuldentilgung voranstellt, ist kein Zufall. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Schuld allerdrückendster Art. In der Tat bestand bisher der vom etats⸗ rechtlichen Standpunkt nahezu ungeheuerliche Zustand, daß in den Erläuterungen zum Etat mit einer festen Ausgabe von über 100 Millionen Mark gerechnet wurde, während im dispositiven Teil hierfür gar keine oder ganz minimale Deckungsraten vorgesehen waren. Das Bedenkliche dieses Verfahrens ist schon in der Denk⸗ schrift zum Hauptetat für 1912 geschildert worden. Der Vorschlag, der Ihnen jetzt unter Kapital 14 der Ausgaben des ordentlichen Etats unterbreitet wird, befreit das Reich von einer den Schatzanweisungs⸗ dienst schwer belastenden schwebenden Schuld.
Der von den Ueberschüssen alsdann noch verbleibende kleine Rest wird zweckmäßig gleichzeitig mit den etwaigen Ueberschüssen von 1912 seiner Bestimmung entgegengeführt.
Auf dem außerordentlichen Etat finden Sie neben den Auf⸗ wendungen für werbende Anlagen, wie bisher nur — in diesem Jahre zum letzten Mal — gewisse Kosten der Landesbefestigung und ferner die aus den älteren Flottengesetzen resultierenden Flottenzuschüsse, welche, allerdings mit stark abfallenden Beträgen, auch noch in den Jahren 1914, 1915 und 1916 auf dem Etat erscheinen können
Die für 1913 erforderliche Anleihe setzt sich demnach, wie folgt, zusammen. Die Ausgaben des außerordentlichen Etats betragen für Festungen 12,7 Millionen Mark, Flottenzuschuß 51 Millionen, Post 35 Millionen, Eisenbahnen 17 Millionen, Wohnungsfürsorge 4 Millionen, zusammen 120 Millionen Mark. Dem stehen gegenüber außerordentliche Einnahmen 4,8 Millionen, dann die gesetzliche Schuldentilgung einschließlich der Tilgungsbeträge, die von der Post⸗ und Eisenbahnverwaltung und den Schutzgebieten Togo und Südwest⸗ afrika zu leisten sind, 63,8 Millionen Mark, die außerordentliche Schuldentilgung mit 7 Millionen und der ebenfalls zur Tilgung zu verwendende Münzgewinn mit 10,7 Millionen, sodaß für die Anleihe 33 Millionen Mark verbleiben oder, wenn man den Betrag der außerordentlichen Schuldentilgung, der ja auch als ein Reservefonds für etwaige nachträgliche Forderungen gilt, in Abzug bringt, 40 Millionen Mark. Das sind, je nachdem man die eine oder die andere Zahl zugrunde legt, 10 oder 17 Millionen Mark weniger als im Vorjahr.
Ich möchte bei diesem Anlaß noch dem weit verbreiteten Irrtum entgegentreten, als ob keine wirkliche Schuldentilgung vorläge, wenn gleichzeitig neue Kredite bewilligt und die Tilgungs⸗ beträge zur Abschreibung von diesen Krediten benutzt werden. Das Verfahren ist nur dann anfechtbar, wenn eine Anleihe zu nicht⸗ werbenden Zwecken, eine sogenannte Defizitanleihe vorliegt, und auch dann liegt die Anfechtbarkeit nicht sowohl in der Verwendung der Tilgungsbeträge als in der Zulassung der unproduktiven Anleihe selbst. Handelt es sich aber um werbende, nach kaufmännischen
linien für die Verwendung der Ueberschüsse, für die Ver⸗
Grundsätzen gerechtfertigte Anlagen, die ja allein in Zukunft noch auf die Anleihe übernommen werden sollen, dann liegt eine echte und 1““ 1 8
teilung der Ausgaben auf den ordentlichen und den außerordentlichen Etat, für das Anleihewesen und für die Schuldentilgung genau die⸗
Ich darf für den vorliegenden Etat die Zensur in Anspruch nehmen, daß er sich an Solidität mit jedem seiner Vorgänger messen kann. (Sehr richtig! im Zentrum, Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich hege den inständigen Wunsch, aber auch die feste Hoffnung, daß
gelingen wird, an den Grundsätzen einer gewissenhaften Finanzpolitik
rechte Schuldentilgung vor, gleichviel, ob man die Summe von neuen oder von älteren Krediten abschreibt oder ob man sie zum Ankauf einer bereits begebenen Anleihe verwendet. (Sehr richtig!)
Daß die Schuldentilgung endlich ebenso behandelt wird wie früͤher, ersehen Sie unter anderem aus dem § 4 des Etatsgesetzen, der über die gesetzliche und die bereits vorgesehene außerordentliche Tilgung hinaus für diesen Zweck auch noch die etwaigen Ueberschüsse des Jahres zur Verfügung stellt. Diese Bereitstellung rechtfertigt sich nicht bloß aus dem allgemeinen Bestreben, die Schuld des Reichs möglichst herabzumindern, sondern in diesem Falle besonders auch daraus, daß es der Natur der Sache entspricht, wenn die 63 Millionen Mark für Festungsbau und Flottenzuschuß tunlichst aus den ordent⸗ lichen Einnahmen des Rechnungsjahrs bestritten werden. Wie die Beanspruchung außerordentlicher Deckungsmittel in den letzten Jahren abgenommen hat, möchte ich Ihnen an einigen Zahlen dartun. Auf den außerordentlichen Etat entfielen im Jahre 1910 214 Millionen Mark, im Jahre 1911 216 Millionen Mark, im Jahre 1912 134 Millionen Mark, im Jahre 1913 nach dem Entwurf 120 Mil⸗ lionen Mark. Ebenso haben sich auch die Beträge fortgesetzt ver⸗ mindert, die unter Abrechnung der außerordentlichen Einnahmen, ins⸗ besondere der Tilgungsfonds, im Wege der Anleihe flüssig zu machen sind. Diese Beträge stellen sich nach dem Etat für 1910 noch auf 171 Millionen Mark, 1911 auf 97 Millionen Mark, 1912 einschließlich des Nachtragsetats auf 50 Millionen Mark, ohne den Nachtragsetat 46 Millionen Mark, und 1913, wie bereits bemerkt, auf 33 Millionen Mark. Ist so das in den letzten Jahren aufgestellte Anleiheprogramm ein⸗ gehalten worden, so ist auch das Ziel, neben der Wohnungsfürsorge nur die Ausgaben für unsere produktiven Verwaltungszweige noch auf Anleihe zu übernehmen und auch diese Beträge tunlichst in dem Rahmen der Tilgungssumme zu halten, um ein bedeutendes näher gerückt.
geführt wird, ist mit 10 ¾ Millionen gegen 20,2 Millionen Mark im Jahre 1912 beträchtlich herabgemindert. Der Unterschied beruht hauptsächlich auf der Einschränkung der Silberprägungen. Die starken Prägungssummen der letzten Jahre — 1909 50 Mil⸗ lionen, 1910 40 Milltonen, 1911 42,5 Millionen — haben mit den für das laufende Jahr eingeleiteten Prägungen von 32,5 Millionen den Silbervorrat der Reichsbank auf durchschnittlich mehr als 300 Millionen Mark gesteigert. Nimmt man für das Maß der Prägungen lediglich das Verkehrsbedürfnis als Richtschnur, so ergibt sich hieraus mit Notwendigkeit eine Einschränkung für die nächsten Jahre. Im Etatsansatz ist eine Prägemenge von 20 Millionen Silbermünzen zugrunde gelegt, von der mit Zustimmung des Bundesrats 15 Millionen in Dreimarkstücken, 3 Millionen in Zweimarkstücken und 2 Millionen in Einmarkstücken ausgebracht werden sollen. Daneben ist aber, um einerseits das Silbergeld der ibm im Zahlungsverkehr zukommenden Zweckbestimmung voll zu er⸗ halten, anderseits aber auch tunlichst genau das Bedürfnis nach Silbermünzen festzustellen, von der Schatzverwaltung Vorsorge ge⸗ troffen, daß die öffentlichen Kassen bei Lohn⸗ und Gehaltszahlungen sich neben Kassenscheinen und Banknoten in Zukunft in höherem Maße als bisher sich auch des Silbergeldes bedienen. (Sehr richtig
rechts.)
Aus den Etats der verschiedenen Ressorts möchte ich Ihnen nur einige Einzelheiten vortragen. Der Etat des Auswärtigen Amts läßt bei einer Verminderung der einmaligen Ausgaben um rund 211 000 ℳ bei den fortdauernden Ausgaben eine Steigerung von 253 000 ℳ in die Erscheinung treten. Tatsächlich in die Mehr⸗ forderung um 158 000 ℳ höher, weil — nach ähnlichen Vorgängen bei der Armee⸗ und Marineverwaltung — in diesem Jahre auch beim Auswärtigen Amt die Ersparnisse in Abzug gebracht worden sind, die bei den Auslandsgehältern infolge von Beurlaubung und Offen⸗ haltung von Stellen regelmäßig gemacht werden. Es geschah auch das in dem Bestreben, in dem Etat ein tunlichst zutreffendes Bild von den wirklich zu erwartenden Ausgaben zu geben.
Von neuen Forderungen sei hier wegen des in Betracht kommenden nationalen Interesses erwähnt, daß auch für Förderung deutscher Schul⸗ und Unterrichtszwecke im Ausland ein Mehrbetrag ausgeworfen worden ist. (Bravo!)
Im Ressort des Reichsamts des Innern, hat den Wünscher des Reichstags entsprechend, der Betrag zugunsten der Hochsee fischerei namentlich mit Rücksicht auf die Lage der Heringsfischer eine Verstärkung um 125 000 ℳ erfahren. (Bravo!) Für die von Reich geleisteten Zuschüsse zur Invalidenversicherung ist ein Mehr von 748 000 ℳ eingestellt. Der Betrag von annähernd 2 Millionen Mark, der als Zuschuß zur Hinterbliebenen⸗ versicherung gezahlt wird, braucht nach bisherigen Erfahrungen in diesem Jahre nicht erhöht zu werden; dagegen ist ein stärkeres An⸗ wachsen für die nächsten Jahre zu erwarten. Für die Unter⸗ stützung der Familien der zu Friedeusübungen ein berufenen Reservemannschaften wird wieder ein Mehr, und zwar in Höhe von 297 000 ℳ eingestellt werden.
Unter den einmaligen Ausgaben beim Reichsamt de Innern sind auch diesmal für wissenschaftliche, sanitäre Sund volkswirtschaftliche Zwecke neue Mittel aus⸗ gebracht. Ich erwähne, um nur eines hervorzuheben, was Verschieden von Ihnen interessieren wird, den Fonds für Ausbildung der Schiffsjungen, der von 60 000 auf 100 000 ℳ erhöht worden ist. Es geschah dies, um den gestiegenen Bedarf an ordnungsmäßig aus⸗ gebildeten Seeleuten und weiterhin auch den Anforderungen unserer Marine gerecht zu werden.
Von Interesse ist ferner der Bau des Kaiser Wilhelm⸗ Kanals, für den eine Fortsetzungsrate von nicht weniger als 56 Millionen Mark eingestellt ist. Man ist bestrebt, die Arbeiten so zu fördern, daß der Kanal schon im Frühjahr 1914 auch für große Kriegsschiffe betriebsfähig fertig gestellt ist. Die seinerzeit als Ge⸗ samtbedarf veranschlagte Summe von 223 Millionen Mark ist damit bis auf einen Rest von 30 Millionen Mark aufgebraucht.
Die Einnahmen aus den Kanal⸗ und Schleppgebühren haben si gegen das Vorjahr erhöhen lassen, und zwar um 300 000 ℳ, sodaß im ganzen ein Einnahmebetrag von 3,8 Millionen Mark sich ergibt. Mit Genugtuung werden Sie es begrüßen, daß für die Errich tung eines Denkmals für die in außereuropäischen Kämpfen gefallenen Deutschen weitere Mittel flüssig gemacht worden sind. Es ist das bekanntlich ein Plan, der Ihrer Initiativ
seinen Ursprung verdankt.
Der Münzgewinn, der ebenfalls der Schuldentilgung zu-—
Beim Heere entfallen die Mehrausgaben gegen 1912 im wesent⸗ lichen auf die Durchführung der Heeresverstärkung nebst Aufbesserung der Mannschaftslöhnung, auf das Artillerie⸗ und Waffenwesen, Be⸗ schaffungen auf verkehrstechnischem Gebiete, Verbesserung der Unter⸗ kunft der Unteroffiziere, Erhöhung des Tagelohnes der Arbeiter und Verstärkung der Rauhfutterration bei der Kavallerie.
Unter den Beschaffungen auf verkehrstechnischem Gebiet finden Sie Ausgaben für das Luftfahrwesen, die in der Not⸗ wendigkeit der regelmäßigen Fortbildung dieses Dienstzweiges ohne weiteres ihre Erklärung finden. Daneben wird im Hinblick auf die gesteigerte technische Weiterentwicklung und das Vorangehen auf diesem Gebiet in anderen Staaten eine weitere einmilage Mehrbereitstellung von Mitteln sich nicht vermeiden lassen. Soweit in dieser Beziehung besondere Forderungen, die bei der Einbriagung des Etats nach Art und Höhe noch nicht feststanden, für das Jahr 1913 zu erheben sind, werden sie Ihnen im Wege eines Ergänzungsetats unterbreitet werden.
Für die Rations⸗ und Pferdegeldgebühren sowie Ent⸗ schädiaung für die Pferdehaltung ist erneut eine anderweite Regelung vorgeschlagen. Sie läßt für die ersten Jahre allerdings noch eine Erhöhung, für den Bebarrungszustand aber eine Minderung der Ausgaben erwarten. Die Maßnahme ist durch eine Denkschrift er⸗ läutert. Eine weitere Denkschrift, über das Zulagewesen im Reichs⸗ heer, ist auf Wunsch des Reichstags beigefügt.
Die Einnahmen der Militärverwaltung besteben zu einem wesentlichen Teil in Verkaufserlösen aus Grundstücken. Neu ist unter anderem der Verkauf der ehemaligen Kaiser Wilhelm⸗Akademie sowie die Veräußerung eines Teils des Grundstücks an der Ecke der Königgrätzer⸗ und Prinz Albrecht⸗Straße und des Grundstücks Behren⸗ straße 66. Findet dieses Projekt Ihre Zustimmung, so wird dadurch im Tauschwege einerseits ein Grundstück für militärische Zwecke in der Viktoriastraße, dann aber auch ein weiteres Grundstück in der Wil⸗ helmstraße gesichert, das eintretendenfalls für weitere allgemeine Be⸗ dürfnisse des Reichs Verwendung finden kann.
Der Marineetat bringt ein starkes Zurückgehen der Anleihe⸗ beanspruchung — gegen 1912 weniger 31 Millionen Mark — und dementsprechend gleichzeitig ein stärkeres Anwachsen der Ausgaben im ordentlichen Etat. Im ganzen ergibt sich gegen das Vorjahr ein Mehr von 5 ½ Millionen. Die sächlichen und die persönlichen Ausgaben sind in ihrem Ausmaß im wesentlichen auf die weitere Durchführung der Flottengesetze zurückzuführen. Einige Abweichungen von früheren Berechnungen stellen nicht etwa eine Erhöhung der bisherigen For⸗ derungen, sondern nur eine zeitliche Vorwegnahme dar.
Eine von der Flottengesetzgebung unabhängige Rate von 5 Millionen — gleich der Hälfte des Gesamtbedarfs — für den Bau der Bacht „Ersatz Hohenzollern“ beruht darauf, daß das vor 20 Jahren gebaute Schiff, schon im Hinblick auf die Art seiner Ver⸗ wendung im Mansövergelände der Flotte, den Sicherheitsanforderungen nicht mehr entspricht, die vom Standpunkt der modernen Technik ge⸗ stellt werden müssen.
Im Etat für das Schutzgebiet Kiautschou und das ost⸗ asiatische Marinedetachement finden Sie ein Mehr an Reichs⸗ zuschuß von 740 000 ℳ. Es handelt sich dabei um die durch den erhöhten Stand des Detachements bedingten Ausgaben, die im Nachtragselat für 1912 nicht im ganzen Umfange zur
Geltung kamen, weil damals eine — in dieser Höhe nur einmalige — Mehreinnahme von 330 000 ℳ für Landverkäufe gegenübergestellt werden konnte. Sieht man von den Kosten des Detachements einerseits und den Landverkäufen andererseits ab, so ergibt sich eine, wenn auch nur leichte, Verbesserung gegenüber dem Vorjahr.
Bei den Verkehrsarstalten des Reiches wird gegen den erhöhten Etat von 1912 für 1913 mit einer weiteren Steigerung um 13 Millionen bei der Post, um 4,9 Millionen bei der Eisenbahn⸗ verwaltung gerechnet. Dabei ist es möglich gewesen, neben dem Ausbau der vorbandenen Einrichtungen und Anlagen sowie der Bereit⸗
stellung von 7,8 Millionen Mark für Vermehrung des Wagenxparks der Reichseisenbahnen, bei beiden Verwaltungen eine erhebliche Ver⸗ mehrung der etatsmäßigen Stellen vorzunehmen. So sind im Postetat insgesamt 7571 neue Stellen ausgebracht, davon 4722 für Unterbeamte. Die angestrebte Uebertragung von Geschäften der oberen Beamten auf die mittleren und von Geschäften der mittleren Beamten auf die unteren kommt in dem Etat allerdings noch nicht zur Erscheinung. Die Einwirkung auf die Zahl der Etatsstellen für höhere und mittlere Beamte wird im Hinblick auf die bestehenden Anwärterverhältnisse erst in späterer Zeit möglich sein.
Die mißlichen Verhältnisse, die sich für die mit der Ost⸗ markenzulage bedachten Beamten in Posen und Westpreußen bei Wegfall dieser Zulage zu Ende dieses Jahres ergeben werden, haben die verbündeten Regierungen veranlaßt, die Frage der Zulage⸗ gewährung von neuem Ihrer Entscheidung zu unterbreiten. (Bravo! rechts.)
Die Anleihe hat sich bei der Post⸗ und Telegraphenverwaltung der fortgesetzt starken Ausdehnung des Fernsprechwesens anpassen müssen. Gleichzeitig sind, der Uebung entsprechend, im ordentlichen Etat, für die Fortführung der Fernkabellinie nach dem Westen 6 Millionen Mark ausgebracht, gegenüber einem Betrage von 5 Millionen Mark im Vorjahre.
Beim Reichsschatzamt finden Sie eine Vermehrung des Fonds für die Veteranenbeihilfe um 2 Millionen Mark, also im ganzen auf 31 Millionen Mark. Die Vermehrung verfolgt den Zweck, ohne Etatsüberschreitung alle bedürftigen Kriegsteilnehmer in den Bezug der gesetzlichen Rente gelangen zu lassen. (Bravo! auf mehreren Seiten.)
In den Schutzgebieten sind die finanziellen Verhältnisse nicht gleich⸗ mäßig fortgeschritten. In Südwestafrika hat die rückläufige Bewegung, welche die Diamanteneinnahmen unter dem Einfluß des bisherigen Steuersystems und der Marktlage gewonnen haben, dazu genötigt, die Einnahmen, die ohnehin durch die Abschlüsse früherer Jahre ungünstig beeinflußt wurden, um über 2 Millionen Mark herabzusetzen. Wenn trotzdem die Gesamteinnahme der Schutzgebiete eine Steigerung auf⸗ weist, so liegt das an der anhaltend befriedigenden Entwicklung anderer Kolonien, inskesondere Ostafrikas. Der Reichszuschuß hat für 1913 mäßig erhöht werden müssen. Diese Erhöhung, die bei Fortdauer der jetzt beobachteten Entwicklung nur eine vorübergehende sein wird, beruht, abgesehen von den militärischen Mehraufwendungen, auch auf der geplanten Erschließung des Landes in Neu Guinea. Ihrem Wunsche entsprechend ist für diese Erschließung ein Programm auf⸗ gestellt, das einige finanzielle Opfer fordern wird, zunächst für 1913,
in höherem Grade für 1914. (Sehr gut! rechts.) Man darf aber annehmen, daß als Folge davon ein allmähliches Akrivwerden der Kolonie, ein Eintreten in die Reihe derjenigen Schutzgebiete sich er⸗ geben wird, die sich aus eigenen Mitteln erhalten
Im übrigen hat der Grundsatz, daß die Schutzgebiete die Kosten ihrer Zivilverwaltung selbst bestreiten sollen, sich in den bisherigen Grenzen aufrecht erhalten lassen. Dabei muß bemerkt werden, daß die Ausgaben infolge der Inangriffnahme zahlreicher Landeskultur⸗ aufgaben und anderer wirtschaftlicher Maßnahmen sich beträchtlich erhöhen. Kamerun hat, wie Sie aus dem Nachtragsetat ersehen, anläßlich der Neuerwerbung für die erste Einrichtung der Verwaltung einen einmaligen Zuschuß des Reichs erhalten. Im übrigen hat aber Kamerun den ihm zugefallenen erweiterten Aufgabenkreis von vorn⸗ herein auf eigene Schultern übernommen, und wir dürfen erwarten, daß auch in Zukunft dem Reiche nur solche Ausgaben belassen werden, die entweder auf militärischen Aufwendungen beruhen oder auf Fest⸗ legung des neuen Ländergebiets. In letzter Beziehung hat sich nach der Ratifizierung des deutsch⸗französischen Abkommens und nach der Beendigung der Berner Vorbesprechung bereits eine Expedition, die auch in wissenschaftlicher Hinsicht angemessen ausgerüstet ist, in das neue Gebiet begeben.
Der außerordentliche Etat der Schutzgebiete weist eine starke Steigerung der Einnahmen auf. Für 1913 wird Ihnen vor⸗ geschlagen, statt 34 Millionen Mark im Vorjahre, 52 Millionen Mark auf die Anleihe zu verweisen. Es resultiert dies im wesent⸗ lichen aus dem erfreulich raschen Fortschreiten der Mittellandbahn⸗ bauten in Ostafrika sowie der inzwischen erfolgten Beendigung der Bahnbauten in Südwest und der dadurch bedingten beschleunigten Abwicklung der Untérnehmerverpflichtungen. Wenn auch die Gesamt⸗ anleihe der Schutzgebiete damit einen Betrag von nahezu 250 Millionen Mark im nächsten Jahre erreichen kann, so braucht das an sich noch keinen Gegenstand der Besorgnis zu bilden. Die Anleihen sind für werbende Zwecke aufgenommen, insbesondere für Eisenbahnen, deren belebender Einfluß sich wie allgemein, so insonderheit auch in finanzieller Beziehung schon jetzt wirksam zu machen beginnt.
Ich komme zum Schluß. Aus meinen allgemeinen und zum Teil auch aus den sie ergänzenden speziellen Darlegungen werden Sie ersehen haben, daß es möglich gewesen ist, die feste Grundlage unseres Finanzwesens, wie sie in den letzten Jahren geschaffen worden ist, auch für die nächste Zukunft aufrecht zu erhalten, daß dies gescheben ist trotz der notwendigen hohen Ausgaben für unsere Wehrmachtstellung, daß wir also über unserer militärischen die finanzielle Rüstung nicht aus dem Auge verloren haben.
Die geldliche Lage des Reiches zeigt zurzeit alle Symptome der Gesundung. Sie bedarf aber strenger diätät ischer Behandlung, wenn ein Rückfall vermieden werden soll. Sorgliche Pflege der Einnahmen, Einschränkung des Bedarfs, Zurückstellung aller Ausgaben, für die keine Deckung vorhanden ist, auch wenn es sich um an sich erwünschte und dringliche Aufwendungen handelt, das muß für alle Zeit unser Streben sein. (Sehr gut! rechts und links.)
Meine Herren, wohin eine Umkehr führen kann, lehrt noch die nahe Vergangenheit. Das Jahr 1913 bringt Ihnen und uns aus der neueren Finanzgeschichte des Reichs eine recht trübe Erinnerung. Es ist dann gerade ein Jahrzehnt verflossen, seit für das Reich eine Periode der Zuschußanleihen begann, womit also vor aller Welt ein⸗ gestanden wurde, daß ein Ausgleich zwischen dem Aktiv⸗ und dem Passipkonto des ordentlichen Etats auf regelrechtem Wege nicht mehr gewonnen werden könne. Meine Herren auf allen Seiten des Hauses: helfen Sie dazu, daß derartige Zustände in Zukunft nur noch der Geschichte angehören! (Lebhafter Beifall.)
Abg. Dr. Frank⸗Mannheim (Soz.): Wenn man die Zahlen ansieht, dann hätten wir allen Grund, auf den 3 Milliardenetat stolz zu sein. Aber wenn wir fragen, aus welchen Quellen diese Riesen⸗ summen fließen und wozu sie verwendet werden, dann wird das Bild viel weniger freundlich. Dann lautet die Zensur für den Staats⸗ sekretär: Fleiß recht gut, Leistungen ganz ungenügend. Der Staats⸗ sekretär meint, der Etat sei so gut wie in den Vorjahren. Vielleicht ist dieser gerade so schlecht. Wenn wir an der Hand der Ziffern zunächst die Einnahme betrachten, dann sehen wir 1642 Millionen Einnahmen aus Zöllen, Steuern und Gebühren, das sind 28 Millionen mehr als im Vorjahre. Die Steigerung findet sich also gerade bei denjenigen Posten, die die breite Masse des Volkes belasten. Der Staatssekretär hat selbst darauf hingewiesen. Dagegen sehen wir Rückgang oder Stillstand bei solchen Einnahmen, die hauptsächlich die wohlhabenden Schichten treffen. Der verhältnismäßige Anteil der besitzlosen Massen an der Tragung der Staatslasten hat sich ver⸗ schlechtert. Durch die in Aussicht gestellten Besitzsteuern soll dieses Mißverhältnis gebessert werden. Aber der Staatssekretär drückte sich so geheimnisvoll aus, daß die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen ist, es solle wiederum versucht werden, unter der Flagge von Besitzsteuern Belastungen der breiten Masse einzu⸗ schmuggeln. Der Staatssekretar schloß mit einer Art Jubiläums⸗ rede. Er hat gute Vorsätze, aber er befolgt sie nicht. Die Tat⸗ sache bleibt bestehen, daß wir zur Feier des Jubiläums in die sechste Milliarde Schulden hineinmarschieren. Es wird gesagt, es werden nur 33,4 Millionen verlangt, die gegenüber dem 3 Milliardenetat gar keine Rolle spielen. Mir fällt da eine Sage aus meiner Heimat ein. Dort spricht man von einem Dorfgespenst, das zuerst unschein⸗ bar aussieht und dann immer größer wird. (Der Reichskanzler von Bethmann Hollweg erscheint im Saal.) So geht es auch mit diesem Defizit. Zu dem Fehlbetrage muß man doch die 81,7 Millionen für angebliche Schuldentilgung hinzurechnen, für die man im Etat ver⸗ geblich Mittel zur Deckung sucht. Dann muß man aber auch die Summe zurechnen, die man aus dem Ueberschuß des Jahres 1911 genommen hat. All das muß den Jubel über die Herrlichkeit der Reichsfinanzreform erheblich dämpfen. Denn jetzt nach 3 Jahren stecken wir noch tief in der größten Schuldenwirtschaft. Dazu kommt, daß neue Lasten in nächster Zukunft gefordert werden. So soll in einem Nachtragsetat eine Luftflotte gefordert werden. Der Staats⸗ sekretär hat ja versucht, einige freundliche Lichter aufzusetzen. Von dem vorliegenden Etat kann man sagen, daß er nicht balanciert, man jongliert mit ihm vielmehr. Die Nettoeinnahmen des Reiches be⸗ tragen 1820 Millionen; wir können daraus nicht einmal die Aus⸗ gaben für Heer und Flotte decken. In welchem Verhältnis stehen dazu die bescheidenen Ziffern für die Versicherung der Arbeiter, namentlich für die Hinterbliebenenversicherung! Heißt es nicht die Not direkt verspotten, wenn man mit 1,9 Millionen die Hinter⸗ bliebenen versichert? Diese Versicherung muß erst richtig ausgebaut werden. Es ist uns eine Denkschrift über Ersparnisse auf dem Gehiet der Heeresverwaltung überreicht worden. Danach sind ein paar Mil⸗ lionen an Zulagen erspart worden. Das ist aber im Vergleich zu dem Millionenetat für Heer und Flotte nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Millionen sind im Laufe der Zeit am falschen Ort gespart worden, z. B. in bezug auf Mutterschutz, bessere Versorgung der Veteranen usg. Die Massen des Volkes haben die Riesen⸗ summen aufzuwenden, aber zu ihrem Besten wird nur ein verschwin⸗ dend kleiner Teil der Milliarden verwendet. Man hört das nicht gern und sagt, nicht die Arbeiter bringen jene Summen auf, sondern die Industrie. Diese Erfolge wären aber nicht erzielt worden, wenn
nicht Millionen organisierter Arbeiter, sondern ein Heer Gerberknechte
in ihr beschäftigt würden. Was wäre aus dem deutschen Volke ge⸗ worden, wenn sich die Arbeiterschaft nicht gegen die Auswüchse des Industrialismus kraftig zur Wehr gesetzt häatte. Die Organisation der deutschen Arbeiter ist vorbildlich geworden für die der ganzen Welt. Die Organisationen der deutschen Gewerkschaften wiegen alle Wahl⸗ und Kriegervereine auf. Der Reichskanzler sieht aber ruhig zu, wie die Arbeitgeber schamlos durch schwarze Listen jährlich Hundert⸗ tausende von Arbeitern und sonstigen Angestellten brotlos machen. Ich erinnere nur an das Vorgehen der Versicherungsgesellschaft Victoria“. Wo bleibt da der Schutz des Reichskanzlers? Aber natürlich wird die Reichsregierung zum Schutz der Koalitionsfreiheit gesetzgeberisch auch nicht einen Finger rühren. Nicht einmal das neue Vereinsrecht wird strikte durchgeführt. Die Bestimmungen des Reichsseuchengesetzes sogar werden gegen die Arbeiter mißbraucht, um Versammlungen zu “ Das Oberverwaltungsgericht hat eine diesbezügliche polizeiliche Bestimmung allerdings für ungültig erklärt. Aber erfahrungsgemäß kehrt sich die Polizei daran nicht. Obwohl wir Milliarden für das Militär ausgeben, erleben wir immer noch die Militärboykotts. Es ist eine ungeheure Gewalttätigkeit, daß die Militärverwaltung Lokale, die von Sozialdemokraten besucht werden, gleichsam für verpestet erklärt. Das wird sich das Volk auf die Dauer nicht gefallen lassen. Durch die sogenannten Volksversicherungen wer⸗ den die Arbeiter unglaublich geschädigt, wenn sie ihre Police nicht bezahlen können. Bei den Versicherungen „Victoria“ und „Friedrich Wilhelm“ sind in 3 Jahren 666 000 Policen verfallen. Dabei bezieht der Direktor der „Victoria“ 780 000 ℳ Gehalt. Die Reichs⸗ regierung hat lange genug geschlafen, aber nicht um für, sondern gegen die Selbsthilfe der Arbeiter etwas zu tun. Daß sie aber aus ihrem Schlafe überhaupt erwacht ist, ist ein Verdienst der Sozialdemokratie. Diese hat überhaupt auch auf andern Gebieten das Beispiel gegeben, z. B. in der Jugendfürsorge. Früher empfahl man den Arbeitern die Selbsthilfe, greifen sie aber dazu, dann fällt man ihnen in den Arm. Die deutschen Arbeiter haben den Ehrgeiz, teilzunehmen an dem Geistesleben der Nation. Die Leistungen der Berliner Arbeiter
auf dem Gebiete des Theaters, die beiden freien Volksbühnen, könnte
man den Fremden mit mehr Fug zeigen als die übrige Berliner Kunst
mitsamt der Siegesallee. Anfangs hatte die Zensur einige Scheu
vor den freien Volksbühnen, man redete nur von Feuersgefahr, später
verbot sie das Stück von Rosenow: „Die im Schatten leben“. Der
Oberpräsident von Potsdam schrieb, der Verfasser des Stückes hätte
die Bestimmungen des Berggesetzes von 1906 nicht beachtet. Nur
schade, daß Rosenow schon 1904 gestorben ist. Hier bietet sich für
strebsame Oberpräsidenten ein weites Gebiet. Man zielt auf nichts
anderes ab, als durch einen großen vernichtenden Schlag das
Koalitionsrecht zu beseitigen, und man kaschiert dies unter dem Titel:
Schutz der Arbeitswilligen. Der Reichstag hat zwar früher eine ent⸗
sprechende konservative Resolution abgelehnt, aber die Agitation geht
weiter, und wir ließen uns nicht in Sicherheit wiegen. Es ist eine frivole Entstellung der Wahrheit, daß die Arbeitswilligen in Deutsch⸗
land nicht genügend geschützt sind. Wenn ein mächtiger Mann wie der Reichskanzler oder der Abg. Erzberger beleidigt werden, so kom⸗
men die Beleidiger mit 3 ℳ weg. Nennt aber jemand einen Streik⸗
brecher Streikbrecher, so muß ihn der Richter ins Gefängnis werfen. Im Berggebiet hat man sogar den Kampf gegen Frauen und Kinder geführt, man hat Frauen eingesperrt. Eine Frau mußte im Ge⸗ fangnis ihr Kind stillen in schlechter Luft. Man kann diese Schil⸗
derung nicht ohne Bewegung lesen. Sogar einzelne konservative Blätter, so der „Reichsbote“, verurteilten die Streikurteile als zu weitgehend. Und wie hat die „Agrarkorrespondenz“ die Brenner stigmatisiert, die sich weigern würden, in den Spiritusring einzu⸗ treten! Wer ist der anständigere Kerl, derjenige Arbeiter, dem in der Hitze des Lohnkampfes, des Kampfes um die Existenz ein Wort gegen die Streikbrecher entfährt, oder der Redakteur, der eine solche Verrufserklärung gegen Angehörige des Mittelstandes schleudert? Die Arbeiter denken gar nicht daran, sich gegenüber den Anschlägen auf ihre wichtigsten Rechte lediglich auf die Defensive zu beschränken; sie werden den strafrechtlichen Schutz für das Koalitionsrecht in das Strafgesetzbuch aufzunehmen verlangen. Wucher bleibt Wucher, auch wenn er in der Gestalt der Ausbeutung der Notlage des Arbeiter
auftritt. Die Macht des Kapitals wächst in gewaltig schnellem Tempo, die Fusionierung der Großbanken, der großen Unternehmungen, wie der A. E.⸗G., greift immer mehr um sich. Auf dem Gebiete der Kohlenproduktion scheint ja auch der Regierung die Erkenntnis gedämmert zu sein, daß hier eine Gefahr vorliegt, aber bei dem ersten schüchternen Abwehrversuch sind die Herren Sydow und Breitenbach so schlecht behandelt worden, daß sich die Gründung eines Schutzverbandes von Ministern gegen solche Behandlung durch die
Berg⸗ und Zechenherren empfehlen würde. Daraus könnte aber selbst der Kanzler erkennen, wie dies Herren erst die Arbeiter b
handeln, wenn sie so gegen leibhaftige Minister auftreten. Vielleich macht der Kanzler einen weiteren Versuch bei der Eisenindustrie. Wie steht es auf dem Gebiete des Wohnungswesens? Im Frühjahr ver⸗ langte der Reichstag ein Reichswohnungsgesetz; jetzt scheint man sich aber wieder hinter Kompetenzbedenken zurückziehen zu wollen. Inzwischen hat nämlich der Abg. von Zedlitz im preußischen Landtage eine Rede gegen ein Reichsgesetz gehalten und ein Landesgesetz ver⸗ langt, welches sich auf die Großstädte beschränken sollte. Von de
Landarbeitern soll eben jeder soziale Hauch ferngehalten werden. Dabei hat schon 1904 und 1901 gerade die preußische Regierung die Not⸗ wendigkeit gesetzgeberischen Vorgehens auf dem Gebiete der Wo
nungsreform mit Entschiedenheit betont. In dieselbe Kategorie ge⸗ hört die Nichteinlösung des Versprechens der preußischen Thronrede von 1908 wegen Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Und ganz neuerdings will es das kleine Reuß jüngerer Linie seinen großen deutschen Brüdern gleichmachen und ein Fünfklassenwahlrecht ein⸗ führen. Sämtliche bürgerlichen Parteien dort sollen für das neue Wahlrecht eintreten wollen; seltsamerweise auch zwei oder drei Mit⸗ glieder der fortschrittlichen Volkspartei. So berichten die Zeitungen; es soll mich freuen, wenn sie unrecht haben. Die Zentrumspartei hat in den letzten Zeiten mit zahlreichen Volksversammlungen gegen das Jesuitengesetz demonstriert; gestern und vorgestern aber hat dieselbe Partei die Demonstrationen des Volkes für den Frieden mit den übrigen bürgerlichen Parteien verurteilt! Die Entscheidung des Bundesrats, wie sie jetzt erfolgt ist, über die Auslegung des Jesuiten⸗ gesetzes, halte ich für eine erfreuliche, denn es geht nicht an, daß ein Reichsgesetz durch eine Landesbehörde dem Geist und Sinn des Ge⸗ setzes entgegen ausgelegt wird. Wir halten diese Entscheidung für eine schwere Niederlage des Ministeriums Hertling. Freiher von Hertling sah man immer als den Ritter Georg an, der gegen den Umsturz Sturm läuft. Seine erste Tat in Bayern war Umsturz gegen die Gesetze. Wir sind mit dem Verhalten des Bundesrats in dieser Angelegenheit zufrieden, ja wir freuen uns darüber. Wir haben selbstverständlich nach wie vor keine Angst vor den Jesuiten. Wir sind bereit, für die Aufhebung des Restes des Gesetzes einzutreten, trotzdem die Jesuiten als bestes Mittel zur Bekämpfung der Sozial⸗ demokratie empfohlen werden. Wir erwarten mit Ungeduld einen dementsprechenden Antrag und die Interpellation des Zentrums. Das Zentrum wird aber wohl erst die Aufhebung des Jesuitengesetzes aus sozialdemokratischen Händen entgegennehmen müssen. Man erwartet eine Zeit der Opposition für das Zentrum. Die „Augsburger Post zeitung“ schreibt, Deutschland regiere nicht der Bundesrat, sondern der Evangelische Bund, der von einer hohen Dame protegiert werde, die ihre Ansicht über den Katholizismus sich in Mecklenburg gebildet hat. Ein solch scharfer Angriff ist wohl niemals gegen politisierende Damen des Hohenzollernhauses gerichtet worden, selbst zu Bismarcks Zeiten nicht. Bismarck sprach von den Politikern im langen Kleide und meinte die Politiker beiderlei Geschlechts. Das Zentrumehat in den letzten Jahren aber zu lange als Regierungstruppe ererziert. sodaß es nicht mehr fähig ist, Opposition zu treiben. Das schließe ich aus den Vorgängen am Anfang dieses Jahres. Damals hat der Kmegs⸗ minister, vielleicht durch ein Versehen, das Zentrum schwer veriedt. Der Abg. Spahn gab eine kurze Kriegserklärung ad, sodaß den Nen⸗
ling im Hause und vielleicht am Bundesratstisch eine Gaͤnsedaut üder lief. Aus dieser Kriegserklärung ist aber nichts weiter derassgs
kommen, als eine Militärvorlage für das Zentrum. Dieses sde de⸗
leidigte Zentrum hat schließlich dem Minister das Gehdalt und d