1912 / 289 p. 13 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 Dec 1912 18:00:01 GMT) scan diff

schrittsmannes Schultze⸗Delitzsch und der Rede des Prinzen Heinrich in Frankfurt. Prinz Heinrich ist doch in Frankfurt nicht als Sprecher des fortschrittlichen Bürgertums aufgetreten. Das Wort, daß Gehorsam Trumpf ist, lassen wir nicht gelten. Wir predigen nicht den Rebellentrotz, wir gehorchen dem Gesetz, aber wir wollen die Gesetze in freiheitlichem Geiste ausgestalten, wir wollen, daß die bürgerliche Freiheit Trumpf sein soll. Dazu gehört auch der Ausbau des Wahlrechts in den Einzelstaaten. Sollte in Reuß eine Ver⸗ schlechterung des Wahlrechts beabsichtigt sein, so werden selbftverständ⸗ lich meine dortigen Parteigenossen sie ablehnen müssen. Die Frage des preußischen Wahlrechts ist auch für die Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben. Wenn der Abg. Spahn erkennen ließ, daß für die Haltung des Zentrums die Jesuitenfrage entscheidend sei, so ist für uns die Wahlrechtsfrage in Preußen von ungleich größerer Bedeutung. Für unsere Haltung wird es von wesentlicher Bedeutung sein, ob nun wirklich in Preußen Ernst gemacht wird mit der Wahlrechtsreform, ob der Reichskanzler als preußischer Ministerpräsident das Wort der zur Wahrheit macht: daß die Entwicklung nicht stillstehen ann.

1 b2 Dr. Arendt (Rp.): In bezug auf die Frage des Jesuiten⸗ gesetzes beschränke ich mich auf eine kurze Erklärung. Wir wollen und wünschen den konfessionellen Frieden. Wir halten keinen Augen⸗ blick für ungeeigneter als den gegenwärtigen, die konfessionellen Gegensätze zu verschärfen. Zu einer solchen Verschärfung kann der vom Zentrum angefochtene Bundesratsbeschluß, der durch den baye⸗ rischen Erlaß notwendig geworden ist, keinen Anlaß geben, da er nichts weiter enthält als die Feststellung einer seit 40 Jahren bestehenden Praxis. Zwar hat das Zentrum das Jesuitengesetz immer bekämpft, aber gegen seine praktische Auslegung berechtigte Bedenken bisher nicht erheben können. Der Bundes ratsbeschluß bewegt sich völlig auf dem Boden des bestehenden Gesetzes und enthält keine Verschärfung desselben, wie es nach der Rede des Reichskanzlers, die als authentische Interpretation angesehen werden kann, außer Zweifel steht. Wir billigen die Erklärung des Reichskanzlers und stimmen seinen Ausführungen durchaus zu. Was den Etat anbetrifft, so ist ex mit großer Solidität aufgestellt; ich glaube voraussagen zu können, daß er aus der dritten Beratung ebenso hervorgehen wird, wie er vorgelegt ist. Ich freue mich, daß der Schatzsekretär den Etatsgrundsätzen treu geblieben ist, die der Reichstag nach den traurigen Erfahrungen der Schuldendefizitsperiode zu den seinigen gemacht hat. Die Konsequenzen, die der Abg. Paasche an die Ueberschüsse geknüpft hat, möchte ich mir jedoch nicht aneignen. Der Staatssekretär Thielmann tat seinerzeit den Ausspruch: Wir schwimmen im Golde. Das war die Einleitung zu der verhängnisvollen Schuldenpolitik des Reiches. Wir sollten uns aus der vorsichtigen Finanzpolitik nicht herausbringen lassen. Ueberrascht hat mich, daß der Abg. Wiemer gesagt hat, es sei nicht bezweifelt worden, daß die neuen Steuern auch etwas einbringen würden. Das st allerdings von den Gegnern der Finanzreform bezweifelt worden. Diese erheblichen Mehreinnahmen sind auf den wirt⸗ schaftlichen Aufschwung allein nicht zurückzuführen. Der steigende Aufschwung dokumentiert sich in steigenden Preisen und in steigenden Löhnen und damit in einer wesentlichen Erhöhung der Gesamtkosten, die das Reich mit seinen ausgedehnten Verwaltungen zu tragen hat, und diese Erhöhung der Ausgaben wird ausgeglichen durch eine Erhöhung der Reichseinnahmen infolge des wirtschaftlichen Auf⸗ schwungs. Eine weitere Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs ist eine Steigerung des Zinsfußes. Haben wir eine Aufwärtsbewegung der Preise, so steigt die Unternehmungslust, und das führt zu einer Steigerung des Zinsfußes. Diese Erhöhung des Zinsfußes hat ein Sinken des Kurses unserer Staatspapiere berbeigeführt. Der Abg. Wiemer meint, daß die Reichsfinanzreform mit 500 Mil⸗ lionen zuviel bewilligt hätte. Aber gerade er war ja der Meinung damals, daß diese Summe nicht zu hoch eingesetzt war. Die Herren, die damals im Block diese Reform machen wollten, hätten sie genau so ausgeführt. Die Ablehnung der Reichserbschaftssteuer bedauern auch wir. Aber es wäre doch ein noch größerer Fehler gewesen, das Reich in der Not im Stich zu lassen. In was für wirtschaftliche Konsequenzen wären wir ohne die Finanzreform geraten! Dann hätten wir sicher den wirtschaftlichen Aufschwung nicht bekommen, wenn die Reichspumpwirtschaft angedauert haätte. Wir müßten dann jährlich 60 bis 80 Millionen mehr für Schuldenzinsen aus⸗ geben. Gegenüber dem schlechten Stande unserer Staats⸗ papiere möchte ich zu erwägen geben, ob man diesem nicht durch die Ausgabe von kurzfristigen verzinslichen Schatzanweisungen steuern kann. Auch ist es zu erwägen, ob man die Bestimmung nicht auf⸗ heben soll, die die Staats⸗ und Reichspapiere von der Börsensteuer freiläßt. Dadurch würde man Summen frei bekommen, die es vielleicht ermöglichen, die Schecksteuer aufzuheben, deren Träger zum großen Teil der Mittelstand ist. Im nächsten Jahre werden viele Denkmünzen geprägt werden. Es ist vielleicht gut, wenn man im nächsten Jahre überhaupt nur Denkmünzen ausgibt. Dadurch würde es auch ermöglicht werden, daß sie ins Volk dringen und nicht erst mit Aufgeld erworben werden müssen. Der Staatssekretäar will die Silberpräägung weiter einschränken. Aber gerade im kleinen Verkehr berrscht Mangel an Silbergeld. Bei der Beratung des Münzgesetzes wurde ein Bestand von 300 Millionen Mark an Silbergeld für notwendig angesehen. Die Bevölkerung hat sich seitdem vermehrt, auch die Kolonien sind hin⸗ zugekommen, so daß es unzweckmäßig ist, den Bedarf herabzusetzen. Eine Mehrprägung von Silbergeld würde auch der Schulden⸗ tilgung zugute kommen. Was wir über den Zucker erfahren haben, hat mich sehr gefreut. Für die Zuckersteuer sind diesmal 157 Millionen Mark eingesetzt worden. Es wurde uns seinerzeit die Versicherung gegeben, daß, wenn mehr als 100 Millionen herauskommen sollten, eine Ermaͤßigung der Zuckersteuer ein⸗ treten würde. Das ist aber nicht gescheben. Man fürchtet wohl einen Ausfall. Aber dieser wird reichlich gedeckt durch die sicher eintretende Steigerung des Zuckerverbrauchs. Der Mehranbau von Zuckerrüben würde aber auch der Viehhaltung zunutze kommen. Mit Genugtuung ist es zu begrüßen, daß die Vorschüsse für Heer und Marine erledigt sind. Bei der jetzigen Krise ist es vielleicht erwägens⸗ wert, die letzte Heeresvorlage schneller auszuführen. Sollte die Re⸗ gierung dieses wollen, dann würden meine Freunde bereit sein, die er⸗ forderlichen Opfer zu bringen. Für die Krieasteilnehmer ist in den Etat mehr eingestellt. In dieser Frage hat der Staatssekretär mehr Entgegenkommen, als seine Vorgänger bewiesen. Hoffentlich wird es auch bald gelingen, das Ziel zu erreichen, daß für die Mindestbemittelten unter den Kriegsteilnehmern die Zulage von 120 erhöht wird. Je älter diese Kriegsteilnehmer werden, desto mehr werden diese 120 lediglich zu einer Armenunterstützung. Ich rüttele damit nicht an den Etatsgrundsätzen. Ich bin bereit, die Deckung für die er⸗ forderlichen 8 oder mehr Millionen zu bewilligen. an foll auch diese Frage nicht mit der Petroleumfrage, sondern mit der minder strittigen Frage der Besitzsteuer in Verbindung bringen, wo wir bereits moralisch engagiert sind. Daß die Ostmarkenzulage wieder im Etat erscheint, freut uns, und ich hoffe, daß sie in diesem Jahre bessere Aussichten hat als das letzte Mal. Die Zulage für die Post⸗ agenten begrüßen wir auch, so gering sie ist. Die Entwicklung in den Kolonien wäre wohl erheblich schneller gegangen, wenn die Hemmungen nicht gewesen wären, die gerade der Abg. Wiemer und seine Partei auf diesem Gebiete verursacht haben speziell beim Eisenbahnbau. Vor 30 Jahren haben wir tatsächlich nicht entfernt gehofft, eine Entwicklung, wie sie jetzt vorliegt, zu erleben. Schon erreicht der Handelsrerkehr unserer Kolonien eine Viertelmilliarde: damit ist die Entwicklung auch für die Zukunft sichergestellt. Ohne Eisenbahn wäre aber eine solche ersprießliche Kolonialpolitik nicht möglich gewesen. Bei diesen Eisenbahnen handelt es sich auch um werbendes Kapital, also nicht um eine Verletzung der Grundsätze unserer Reichsfinanzpolitik. Umsomehr muß ich bei dem neuen Kolontaletat den Mangel neuer Bahnlinien tadeln. Ich hoffe aber, daß der Nachtragsetat diese Unterlassungsfünde wieder gutmachen wird. Der „Ersatz Hobenzollern“ wird selbstverständlich Gegenstand ernster Prüfung sein; jedenfalls muß ein solches Schiff so beschaffen sein, daß es auf allen Meeren fahren kann. Die „Hohenzollern ist aber für weite Reisen nicht see⸗

tüchtig. Richtig ist, daß an Umsatzstempel für Grundstücke 1 ½ Millionen weniger in den Etat eingesetzt find; wir haben hier mit wachsenden Mindereinnahmen zu rechnen, und das ist die Folge der Zuwachs⸗ steuer, die ohne die Freisinnigen hier nicht zustande gekommen wäre. Die Reichspartei hat sich gebunden gehalten, auch für diese Steuer zu stimmen, erkennt aber die schweren Bedenken, die sich bei der Handhabung dieses Gesetzes ergeben, vollkommen an. Die Klagen aus dem Lande darüber sind außerordentlich; jeder Paragraph dieses Gesetzes ist ein Geheimnis, in das nur wenige ein⸗ zudringen vermögen: fast jede Erhebung wird als zu hoch an⸗ gefochten, und das Oberverwaltungsgericht kann sich vor der Ueber⸗ flutung mit Prozessen kaum retten. So können die Dinge auf die Dauer nicht bleiben; diese Steuer wird sich nicht ein⸗, sondern ausleben. Das gesetzlich gewährleistete Koalitions⸗ und Streik⸗ recht darf nicht zu einem Koalitionszwang ausarten, wie ihn der sozialdemokratische Terror will. Ich hoffe, daß sich ein immer größerer Teil der Arbeiter gegen diesen Terror emporen wird. In den Kreisen dieser Arbeiter hält man die Sozialdemokratie bereits für eine veraltete Einrichtung und sieht in den nationalen Arbeitervereinen die richtige Vertretung. Gegen den hereinbrechenden Radikalismus muß Stellung genommen werden; er bedroht unsere Freibheit, unsere Kultur, die Aufrechterhaltung unserer Machtstellung und des Wohlstandes des deutschen Volkes. Es ist ein gefährliches Spiel, das dieser Radikalismus treibt, und das sich bitter rächen kann. Wir müssen uns gegen diesen Radi⸗ kalismus, wollen wir nicht Rückschläge schwerster Art erleben, zu energischer Abwehr aufraffen.

Abg. Seyda (Pole): Die Enteignungsaktion der preußischen Kegierung hat die Verhältnisse in den polnischen Landesteilen so zugespitzt, daß wir durch eine Interpellation dem Reichstag Gelegenheit geben müssen, sich über diese gegen alle Moral aröblich verstoßende preußische Politik zu äußern. (Vizeprasident Dove rügt diesen gegen die Ordnung des Hauses verstoßenden Ausdruck und ersucht den Redner, sich zu mäßigen.) Auch der gegenwärtige Etat liefert den Nachweis, daß die Reichs⸗ regierung der preußischen Regierung in dieser Politik Gefolgschaft leistet. Trotzdem der Reichstag erst vor wenigen Monaten die so⸗ genannte Ostmarkenzulage abgelehnt hat, hat die Reichsregierung kein Bedenken getragen, diesen Fonds wieder in den Etat einzustellen. Wir teilen den Standpunkt, den das Zentrum gestern in der Frage des Jesuitengesetzes vertreten hat. Auch wir verurteilen auf das ent⸗ schiedenste den jüngsten Erlaß des Bundesrats, der die noch be⸗ stehenden Bestimmungen des Jesuitengesetzes in einer nicht zu recht⸗ fertigenden Weise verscharft und so den konfessionellen Frieden schwer schädigt. Wir verlangen nach wie vor, daß dieses Gesetz, das einen Eingriff in die Freiheit der katholischen Kirche bedeutet, als einer der letzten Reste der Kulturkampfgesetzgebung so bald wie möglich aufgehoben wird.

Abg. Alpers (Welke) spricht sich in ausführlichen Darlegungen für die Bildung einer mitteleuropäischen Zollunion aus. Eine Zoll⸗ vereinigung des Deutschen Reiches mit dem Donaureich sei durch die Bedürfnisse der letzten Zeit ein zwingendes Bedürfnis geworden. Daneben empfiehlt der Redner eine besondere Pflege der gewerblichen Schulen, namentlich im Interesse der Spinnereien und Webereien. Zu den Fragen der inneren Politik ubergehend, vertritt er den föderalistischen Gedanken, der weder Bedrückung noch Ent⸗ eignung kenne, und verwahrt sich dagegen, da sich der Reichstag mit der mecklenburgischen Verfassungsfrage beschäftigen solle, wie es die soztaldemokratische Anfrage wünsche. Er protestiert gegen die neudeutschen unitarischen Gelüste, die sich in der neuesten Zeit sogar zu dem Verlangen der Annexion von Oldenburg und Braunschweig verdichtet hätten. Den Vorwurf mangelnden nationalen Bewußtseins könnten die Deutsch⸗Hannoveraner ruhig hinnehmen. Sie hätten ihre Opferwilligkeit hinreichend bewiesen. Ausnahmegesetze irgend welcher Art, seien sie gegen die Sozialdemokraten, Polen oder Jesuiten gerichtet, könnten sie allerdings als gegen die Vernunft und ihr Gewissen vper⸗ stoßend nicht unterstützen. Seine Partei sei eben eine Rechtspartei, deshalb protestiere sie auch gegen die Treibereien gegen das benach⸗ barte England. Wie es scheine, werden diese Treibereien der All⸗ deutschen auch von maßgebenden Kreisen geteilt (Vizepräsident Dove macht den Redner wiederbolt darauf aufmerksam, daß das Haus sich nicht mehr in der allgemeinen Besprechung der auswärtigen Politik befindet). Seine Partei wünsche, daß die deutsche Politik sich auf das ewige Recht gründe, keine doppelte Moral vertrete, denn der Los⸗ sagung des Rechts von oben folge die Lossagung des Rechts von unten. Wir Deutsch⸗Hannoveraner sprechen die Forderung aus: Wieder⸗ herstellung des Königreichs Hannover im Rahmen des Deutschen Reiches. Im Hannoverschen ist es vorgekommen, daß ein Na⸗ tionalliberaler die Beseitigung aller deutschen Bundesfürsten verlangt. Wird nicht von solcher Seite der föderative Charakter des Deutschen Reiches bedroht? Im Landkreis Harburg dürfen die offiziell anerkannten gelbweißen Fahnen des Vaterlandes nicht über die Straße getragen werden: selbst die Bekundung der Treue und der vaterländischen Gesinnung wird uns un⸗ möglich gemacht, so in einem Kriegerverein, dem ein diesem Zwecke dienender Festzug durch die Behöoörden verboten wurde. Namens der deutsch⸗hannoverschen Partei muß ich Verwahrung einlegen gegen die fortgesetzte systematische Verdächtigung unserer patriotischen Gesinnung seitens der Leitung der Kriegervereine. Der deutsche Liberalismus hans die monarchische Gesinnung durchaus falsch auf. Wir sehen in unserm Fürstenhause nicht überirdische Gestalten, sondern die Ersten unseres Volkes, denen wir zu unbedingter Treue ver⸗ pflichtet sind: das ist doch nichts, was dem Freiheitsgefühl eines Mannes widerstrebt. In dem Kampf, der uns nun einmal auferlegt ist, wird die Stunde, wo es mit unserer Treue am Ende ist, niemals kommen. Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Ungerechtigkeit ist der Leute Verderben.”

Abg. Dr. Lensch (Soz.): Ich protestiere gegen den Versuch des Dr. Arendt, sich hier als Schutzhberr des Kvalitionsrechtes auf⸗ zuspielen. Das macht einen komischen Eindruck. Er sagt, die Koalitionsfreiheit werde durch die Sozialdemokratie in Organisations⸗ zwang verwandelt. Ich mache ihn auf ein Buch aufmerksam, das sich mit den Kämpfen zwischen den Kartellen im Auslande beschäftigt. Darin steht viel Material über den Terrorismus dieser Kreise, die ja dem Abg. Arendt viel naher stehen als uns. Er möoöge sich also an seine eigene Nase fassen. (Zuruf: Das ist antisemitisch!) Mir vird jetzt Antisemitismus vorgeworfen. Mir ist aber doch bekannt, daß der Abg. Arendt Christ ist. Gerade er selbst legt ja immer darauf bedeutenden Wert. Dadurch, daß man aus der Etatsdehatte die Frage der auswärtigen Politik und andere Fragen auesgeschaltet hat, hat sie diesmal einen eigenartigen Charakter angenommen. Aber was gestern sich ereignete, das hat man wohl nicht erwartet, daß der Abg. Spahn eine Etatsrede hielt, in der vom Etat keine Rede war. Es war eine Jesuitenrede. Die schwarzblauen Bundesbrüder fühlen sich dabei sehr wohl. Graf Westary wie Dr. Arendt sind gegen die Zulassung der Jesuiten, um den konfessionellen Frieden zu schutzen. Die Konservativen können in ihren Wahlkreisen namentlich in Hinterpommern ihre Qualifikation frisch aufmöbeln, indem sie ihren Wählern den Anschein erwecken, daß das Bestehen eines schwarzblauen Kartells eine ganz inhaltsleere, nichtige Behauptung sei. Für das Zentrum hat es noch eine ganz andere Bedeutung. Es ist seit einigen Jahren das Kernstück der Regierungsparteien geworden. Es hat damit auch die Verantwortung für alle Maßnahmen der Regierungspolitik übernommen, und es fühlt, wie sich allmahlich immer mehr die Opposition Bahn bricht in seinen eigenen Reihen. Da kommt ihm das noch glücklich erhaltene Restchen der Kulturkampfgesetze zustatten. In den Arbeitermassen des Zentrums macht sich auch immer mehr die Teuerung bemerkbar, sodaß die Opposition aufwacht. Diese auf⸗ flammende Opposition will man gewissermaßen verschleiern durch Entfesselung konfessioneller Triehe. Man will den katholischen Arbeitermassen klarmachen, daß nicht der Kampf um das Koalitionsrecht oder gegen die Teuerung das wichtigste sei, sondern der für die Beseitigung des Jesuitengesetzes. Das Zentrum hat

jetzt durch den Gewerkschaftsstreit im eigenen Lager das Gift im Leibe. Das kommt aber daher, weil es die Organisterung der arbeitenden Klassen niemals aufrichtig gemeint hat. Fs hatte nur ein Konkurrenzmanöver gegen die freien Gewerlschaften vor⸗

Die katholischen Arbeiter sollten nicht die Praxis des Klassenkampfes

kennen lernen. Ein Hirtenschreiben des deutschen Episkopats im Jahre 1890 betont ja geradezu, daß man den Arbeitern Arbeitsamkeit, Geduld, Genügsamkeit, Sparsamkeit und Bescheidenbeit einflößen müße. Das ist ein soziales Programm, mit dem sicherlich die Abg. Dr. Arendt, Dr. Oertel und von Heydebrand völlig einverstanden sein werden. Die Zersetzungserscheinungen im Zentrum machen sich eben immer mebhr fühlbar. Es hat jetzt die Rückkehr der Jesuiten mehr zu fürchten, als es glaubt, daß die Sozialdemokratie sich vor ihm zu fürchten hat. Wie stellt sich der Reichskanzler zu der Enzyklika? Sie wendet sich zweisellos gegen das Koalitionsrecht. Die christlichen Ge⸗

werkschaften haben an den Reichskanzler eine bezügliche Frage

gerichtet. Er soll darauf geantwortet haben, daß er die Frage im Auge behalte. Er soll im Sinne der christlichen Gewerlschaften beim Vatikan gewirkt haben. Wie stellt sich nun der Schützer der christlichen Gewerkschaften zu dieser Zer⸗ trümmerung des Koalitionsrechts durch die pävstliche Enzyklika⸗ Wie stellt er sich ferner zu dem Schutz des Vereins⸗ und Ver sammlungsrechts? Der Polizeipräsident von Berlin, von Jagow, hat bekanntlich neulich das Halten von Reden auf der Friedens⸗ demonstration in Berlin in einer ausländischen Sprache verboten. Es ist sehr schwer, über diesen Präsidenten keine Satire zu schreiben, er hat mit seinem Verbot die Ehre des Deutschen Reiches dem Auslande gegenüber in schwerster Weise herabgesetzt. Der Reichs⸗ kanzler meinte neulich, auch er und die Herren drüben gehörten zum Volke, nicht bloß die Sozialdemokraten. Früher nannte man uns allerdings vaterlandslose Gesellen. Der Reichs⸗ kanzler mit seiner Gefolaschaft bildet nicht die deutsche Nation, sondern die dünne Schicht der herrschenden und besitzenden Klasse. Graf Westarp meinte offenbar diese selbe dünne Schicht, als er von der Besteuerung des „Volks“ sprach. Uns betrachlet man als Hintersassen der Nation, als Objekt der Gefetz⸗ gebung. Eine wirkliche Kulturgemeinschaft besteht im Deutschen Reiche noch ganz und gar nicht. Diesen Zustand wollen Sie (rechts) dauernd erhalten. Die Sozialdemokratie rüttelt die dumpfe schlafende Masse auf zum Klassenkampf, der den Hintersassen der Nation zu einer Teilnahme an der Kulturgemeinschaft verhilft. Diesen Klassenkampf verwünschen Sie. Das Ziel wird erst erreicht sein, wenn der Klassenkampf sieg⸗ reich durchgeführt ist. Ein wirrer Völkerbrei ist nicht unser Ziel. Die besonderen Eigentümlichkeiten und Begabungen der einzelnen Nationen wollen wir sich frei entfalten lassen. Unsere Gegner wünschen die Zerreißung der Nation, sie wollen nicht den freien Menschen auf freiem Boden. So che Pavtteien sind nicht national, sondern antinational. Der Etat gibt Gelegen⸗ heit, der wirtschaftlichen Entwicklung den Puls zu fühlen. Die Zoll⸗ politik hat eine ungeheure Bereicherung der Besitzenden berbei⸗ geführt. Die Gesamtbevölkerung Deutschlands ist kolossal gestiegen, aber die Landbevölkerung ist gefallen. Was heißt die Zunahme des Proletariats in einem Kapitalistenstaat? Es beißt die Be⸗ reicherung der Wohlhabenden, die aus den Muskeln der Arbeiter immer mehr herauspumpen. In Essen leht ein Mann mit Namen Krupp. Eigentlich ist es eine Aktiengesellschaft. Diese besteht in der Hauptsache aus dem Krupp, aus ihr und dem Kinde. Was glauben Sie, wie außerordentlich diese Aktiengesellschaft gearbeitet haben muß, wenn sie in drei Jahren eine Dividende von nicht weniger als 124 Millionen Mark verteilt hat? Was geschieht mit diesem Reichtum der herrschenden Klassen? Zum Teil wird er von ihnen verpraßt. Zu einem Jagdvergnügen des Fürsten Pleß, zu dem auch der Kaiser eingeladen war, wurden für Hunderttausende von Mark Fasanen zu Jagdzwecken angekauft. Die wunderschöne Gemahlin des Fürsten Pleß (Vtzepräsident Dr. Paasche ersucht den Redner, Personen nicht in die Debatte zu ziehen.) Gegen⸗ über den raffinierten Prassereien der Reichen nimmt sich eine Frage an eine Zeitung vom Kulturstandpunkse merkwürdig aus, ob Hundekuchen für die Gesundheit zuträglich sei oder nicht. Vielleicht spricht sich der preußische Landwirtschaftsminister darüber aus, vielleicht empfiehlt er diesen Genuß. Der Kleinbetrieb wird von dem Großkapital in steigendem Maße aufgesaugt. Die Hauswirte sind heute nur noch nominell die Hauseigen tümer. Die Großbanken sind die eigentlichen Eigen⸗ tümer. Begünstigt wird diese Entwicklung durch den Schutzzoll, richtiger Raubzoll zum Schutze der großen wirtschaftlichen Räuber, der Kartelle. Legten wir die Hand auf die sechs riesigen Berliner Großbanken, so hätten wir auch den größten Teil der Industrie in der Hand. Wie es mit den Aufsichtsratsstellen steht, ist bekannt. Ich will nicht Namen nennen. Der Abg. von Heyl bezeichnete einmal die nationalliberale Partei als die Partei der Aufsichtsräte. Sehr charakteristisch ist, daß, als der nationalliberalbe Abg. Junck die Frage an den Kriegsminister richtete, wie es mit den Maschinengewehr⸗ kompagnien stehe, sich sofort der Kriegsminister erhob der Herr wird seinen Diener loben und sagte: Ich kann Sie beruhigen, es ist alles geschehen. Wie das deutsche Kapital im Auslande wirkt, hat uns der Abg. Paasche geschildert. Seit acht Jahren erleben wir einen Zustand, den der kühnste Phantast nicht fur msglich gehalten hat. Wir haben die Revolution in der Türkei und in Cbina erlebt usw. Das Deutsche Reich läßt jetzt 32 Milliarden Mark im Auslande arbeiten. Zum Schutze dieses Kapitals soll sich der deutsche Arbeiter die Knochen zerschießen lassen. Solange dieser Kapitalsexvort ins Ausland andaunert, wird die Kriegsgefahr nicht verschwinden. Der Fürst Löwenstein vom Zentrum fragte uns, wie sich die Sozialdemokratie im Falle eines Krieges verhalten würde. Aus dieser Frage schlug die ganze Angst und das schlechte Gewissen der herrschenden Klassen. Diese denken mit Grauen, daß sie die Arbeiter, den inneren Feind“, wie man die sozialdemokratischen Arbeiter neunt, die man gelnebelt. entrechtet und geschädigt hat, bewaffnen müssen, in den Kampf schicken müssen. Man denkt mit Grauen an das Ende. So wie früher steht es beute allerdinas nicht mehr, wo die großen Massen der Bevölkerung ihren Führern blindlings folgten. Die Arbeiter wissen, wie sie ausgebeuter werden, daß sie Heloten sind. In einem Weltkriege würden alle Klassengegensätze ausbrechen, und niemand konnte dann sagen: Bis hierher und nicht weiter. Die Weltgeschichte hat ihren tiefen Sinn, sie hat ihre tiefe Logik, die Weltgzeschichte ist das Weltgericht. Discite moniti. Sie sind gewarnt.

Gegen 6 Uhr wird Vertagung beschlossen. 8

Persönlich bemerkt der

Abg. Dr. Junck (nl.): Der Vorredner hat sich mit meiner Anfrage an den Reichskanzler wegen der Maschinengewehre beschäftigt. Er hat durchblicken lassen, es sei bestellte Arbeit gewesen. Er meinte: Der Herr wird seinen Diener loben. Ich gebe die Erklärung ab, daß diese Anfrage ohne jedes Einvernehmen mit irgendeiner Stelle der Reichsregierung erfolgt ist.

Schluß 6 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr pünktlich. (Kleine Anfragen: Fortsetzung der Etat beratung: Petroleummonopolsvorlage: Interpellationen.)

Preußischer Landtag. HSHSaus der Abgeordneten. 100. Sitzung vom 5. Dezember 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in ber gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus sett die dritte Beratung des Entwurfs eines Wassergesetzes, und zwar zunächst die Generalbiskussion fort.

Abg. Lipp ¹ (fortschr. Volksp.): Das Wassergesetz ist das umfangreichste Gesetz seit der Publikation des allgemeinen Land⸗ rechts in Preußen, eines der wichtigsten Gesetze und die Er⸗ füllung eines jahrzehntelangen Wansches aller deteiligten Kreise. Daß dieses Gesetz in so kurzer Zeit beraten werden konnte, das ist in erster Reihe ein Verdienst der Staatsregierung. Tatsächlich muß man dem Entwurf der Staatsregierung und den darin nieder⸗ gelegten Anschauungen einen feinen Blick zusprechen. Die Mitglieder der Kommission und sämtliche Parteien dieses Hauses verdienen von dieser Stelle aus einen Dank dafür, daß sie an den großen Gedanken des Gesetzes nicht gerüttelt haben. Ich rechne dazu in erster Linie das moderne Institut der Verleihung und der Aus⸗ gleichung, die alles nach den wirtschaftlichen Interessen regelt. Das ist wirklich ein modernes Vorgehen voll wirtschaftlicher An⸗ schauungen. Auch die Bildung von Zwangsgenossenschaften ist zu begrüßen, die die Wasserläufe zu unterbalten und für ihre Rein⸗ haltung zu sorgen haben. Eine der großen Ideen war auch der 8 310, der genau so wie das Wegerecht hier einen Notzu ang zu den Wasserläufen erster Ordnung vorsah. Es ist bedauerlich, daß dieser Gedanke, wie ihn der Paragraph mit seiner Entschädigungs⸗ pflicht vorsah, fortgefallen ist. Auch die Einrichtung des Wasser⸗ amtes begrüßen wir mit Freuden. Einen Vorzug, der in das Gesetz hineingebracht ist, sehen wir ferner in der Unterbaltungspflicht der Uferanlieger an den betreffenden Strömen. Die Regetung der Unterhaltungspflicht des Staates und der Ufer⸗ anlieger, die Vorschriften über die Beteiligung des Staates und der Provinzen an dem Ausbau der Wasserläufe zweiter Ordnung sind weitere Vorzügt BGese Natürlich bat das Gesetz auch Fehler. weitere Vorzüge des Gesetzes. Natürlich bat das Gesetz auch Fehler. Ein Hauptfebter ist, daß es nicht umfassend genug ist. Allerdings würde auch der Reichstag kaum wesentlich anders beschlossen haben. Das ganze Gesetz wird aber keinen Erfolg haben, wenn nicht auch die anderen Bundesstaaten ähnliche oder gleiche Bestimmungen einführen wie wir. Geschieht dies nicht, so ist die unausbleibliche Folge daß unsere Industrie nach anderen Bundesstaaten abwandert, wo leichtere Bedingungen vorbanden sind. Die Verschmutzung der Ströme in den anderen Bundesstaaten wird immer größer werden, und die unserer Ströme desgleichen. Das Gesetz soll durch Königliche Verordnung in Kraft treten. Wir hoffen und erwarten, daß diese Königliche Verordnung nicht früber erlassen wird, bis die Verhältnisse in den anderen Bundesstaaten so geregelt werden, daß sie unseren Bestimmungen entsprechen. Meine politischen Freunde bedauern, daß es ihnen nicht gelungen ist, das Gemeineigentum in diesem Gesetze zur Geltung zu bringen, daß die Wasserläufe Privateigentum des Staates werden. Hier wird der Fiskalismus Gelegenheit bahben, sich so recht auszuleben. Meine vpolitischen Freunde können ihr Mitzkrauen in dieser Beziehung nicht unterdrücken. Wir haben auch Bedenken gegen die neuen gesetzlichen Vorschriften, welche Eingriffe in bestebende Rechte ermöglichen. Hier müßte ein Ausgleich wischen diesen Rechten und zwischen den Interessen der Allgemeinheit gefunden werden. 8 Abg. Bitta (Zentr.): Das Gesetz weist erbebliche Vorteile auf. Einer der größten Vorteile ist die Rechtssicherheit auf wasserwirtschaft⸗ lichem Gehiet Diese Rechtssicherheit liegt zunächst in der Einbeit⸗ lichkeit. In der Pr sse ist vielfach von einem Gegensatz zwischen den Interessen der Landwirtschaft und der Industrie gesprochen worden. Diese Ausführungen sind aber nicht ganz zutreffend. Die Industrie ist allerdings diejenige, welche am meisten die Wasserläufe bverschmutzt, aber sie hraucht doch auch reines Wasser. Andererseits braucht die Landwirtschaft am meisten reines Wasser zum Tränken des Viehs usw., aber auch die Land⸗ wirtschaft verunreinigt die Wasserläufe, 8 B. durch Brennereien. Die Gesetzgebung hat sowohl auf die Interessen der Industrie wie auf die Interessen der Landwirtschaft Rücksicht genommen, und ich kann sagen, daß durch das Gesetz ein befriedigender Ausgleich ge⸗ schaffen worden ist. Der Zweck unserer ganzen Rechtsordnung liegt ia darin, daß die Interessen des einen nur so meit berücksichtigt werden, daß die Interessen des anderen auch daneben bestehen können Nach diesem Gesichtspunkt hat die Kommission gebandelt. Ich will wit dem Wunsch schließen, daß dieser grundlegende Gesichts⸗ vunkt bei der Durchführung des Gesetzes auch in der Praxis zur Geltung kommt.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Die freundliche Beurteilung, welche dem gegen⸗ wärtig vorliegenden Gesetzentwurf auch nach dem Ergebnisse der zweiten Lesung von allen Seiten dieses hohen Hauses zuteil ge⸗ worden ist, kann auch die Königliche Staatsregierung und die in erster Linie beteiligte landwirtschaftliche Verwaltung und vor allem auch diejenigen Herren, welche sich in jabrelanger, rastloser Arbeit um das Zustandekommen dieses großen Gesetzeswerks bemüht haben, nur mit Genugtuung erfüllen. Ich habe auch vom Standpunkt meines Ressorts gewiß keinen Anlaß, das Lob und die Anerkennung einzu⸗ schränken, welche Ihrer Kommission am heutigen Tage ausgesprochen worden ist. Ich glaube, gerade bei den Mitgliedern der Kommission hat sich in monatelanger Beratung die Ueberzeugung gefestigt, daß das Entgegenkommen der Königlichen Staatsregierung Hand in Hand ge⸗ gangen ist mit dem Bestreben der Kommission, an dem Grundgedanken des großen Gesetzeswerks festzuhalten, und so ist für die zweite Lesung ein Entwurf zustande gekommen, der trotz mancher Aende⸗ rungen und, ich kann ohne weiteres sagen, auch Verbesserungen doch die leitenden Grundsätze unverändert gelassen bat.

Meine Herren, nach dem Ergebnis der bisherigen Beratung dürfte es für mich keinem Zweifel unterliegen, daß dieser Entwurf auch die letzte Klippe in diesem hohen Hause ohne Havarie passieren wird. (Abg. von Brandenstein: In diesem Hause!) Ich glaube, es ist nicht erforderlich, daß ich im gegenspärtigen Aunenblicke noch auf die von den Herren Vorrednern berührten Bestimmungen des Gesetzentwurfs selbst, soweit dieselben grundsätzlicher oder allgemeiner Natur sind, eingehe; nur eine Frage, die mneines Erachtens auch in die Generaldebatte gehört, möchte ich auch meinerseits nicht unbeant⸗

wortet lassen.

Der Herr Abg. Lippmann hat mit Recht darauf aufmerksam ge⸗ macht, daß ein Teil der Wasserläufe, um die es sich handelt, nicht ausschließlich dem preußischen Gebiet angehören und demnach auch nicht ausschließlich demnächst diesem Gesetze unterliegen werden, daß teilweise die Oberlieger andere Bundesstaaten sind, die nicht die gleichen und vielleicht auch nicht die strengen Bestimmungen haben, die der gegenwärtige Wassergesetzentwurf für Preußen enthält, Ich kann das ohne weiteres zugeben. Die Gründe, welche den Erlaß eines Reichswassergesetzes unmöglich machen, sind bereits bei früherer Gelegenheit hier erörtert worden; aber eines steht fest: die landwirt⸗ schaftliche Verwaltung wird in Uebereinstimmung mit den übrigen beteiligten preußischen Ressorts unter allen Umständen dafür Sorge tragen, daß entweder im Wege gesetzlicher Bestimmungen oder durch Vereinbarungen mit den übrigen Bundesstaaten eine weitere Ver⸗ unreinigung unserer Wasserläufe in Zukunft verhindert werden wird.

(Bravo!)

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Nicht nur die Wasserläufe, sondern auch die stehenden Gewässer und das Grundwasser sind ein so gewaltiges Stück unseres nationalen Eigentums, daß ein Gesetz, das sich mil dieser Frage befaßt, naturgemäß von außerordentlich

9

daß, wenn das Gemeineigentn wasser und stehenden Gewässern im Gesetz zum Ausdruck gebracht worden wäre, dies dann ein korrekterer und für das Gemeinwohl nüs licherer Ausgangspunkt gewesen wäre. Es ist von dem Vorredner in einer sehr einleuchtenden und klaren Weise zum Ausdruck ge⸗ bracht worden, daß man in gewissem Sinne die Kämpfe, die sich um einzelne Stellen dieses Gesetzes abgespielt haben, als Klassen⸗ kämpfe bezeichnen muß. Die Industrie ist ebenso wie die Land⸗ wirlschaft in außerordentlichem Maße an den Wasserläufen inter⸗ essiert, und daraus ergeben sich ja so eminente Gegensätze. Aber andererseits muß man auch in Betracht ziehen, daß in weitem Um⸗ fange eine Personalunton zwischen dem landwirtschaftlichen und dem industriellen Kavital sich vollzogen hat, da viele Junker an industriellen Unternehmungen finanziell beteiligt sind. Es wird nicht bestritten werden können, daß durch die rücksichtsloseste Aus⸗

nützung der Wasserläufe für die Interessen der Industrie die ganze Bevölkerung leidet. Auch mit dem Gemeinwobl ist es eine mißliche Sache, da di ser Begriff nixgends klar definiert ist. Gerade in den Bestimmungen über die Zusamme setzung der Genossenschaften ist das Gemeinwohl nicht beachtet worden. Es ist für diese Frage von entscheidender Bedeutung, ob die Genossenschaften nur Aufgaben im Interesse des Gemeinwohls lösen sollen oder ob Geund⸗ sätze Geitung haben, die das Gemeinwobhl in den Hintergrund stellen. Wir werden nicht viel Gutes von den Wassergenossenschaften zu er⸗ warten 5 da das öͤffentliche Interesse“ bei der Zusammensetzung der Genossenschaften nicht berücksichtigt ist. Der Gemeingebrauch ist allerdings in diesem Gesetz in liberaler Weise umgrenzt worden, aber fämtliche Bestimmungen über den Gemeingebrauch sind eine lov impersecta, denn die Durchführung des Gemeingebrauchs ist an keiner Stelle würlich gesichert. Der Gemeingehrauch mußte mit Stachel⸗ draht umgeben werden, um ihn zu schützen, aber unbesehen sind unsere Ankräge abgelehnt; nicht einmal die Kontrolle des Parlaments ist zugelassen worden. Mit der Beschränkung des Eigentums im Interesse des öffentlichen Wohls sind wir einverstanden und des⸗ halb auch mit dem Institut der Verleihung, aber wir wosten Rechts⸗ garantien dagegen, daß etwa die Privatrechte der Eigentümer, die z. B. viele kleine Unterlieger sein können, beschränkt werden, um dann Privatrechte für Großindustrielle zu schaffen und diesen eine Monopolstellung zu geben. Wir fürchten, daß aus der Ver⸗ keihung Nachteile entstehen können, die zurzeit noch nicht zu über⸗ sehen sind. Die jetzigen Mißstände haben sich nicht auf Grund des hestehenden Rechts herausgebildet, sondern contra legom, weil die Behörden nicht ihre Pflicht und Schuldigkeit im öffentlichen Interesse getan haben.

Damit schließt die Generaldiskussion. W16e“

Zum § 1 beantragen die Abgg. Bitta (Zentr.) und r. von Kries (kons.) die Abänderung:

„Grundstücke, die zur Fischzucht oder Fischhaltung mit Wasser bespannt werden und mit einem Wasserlauf nur dadurch in Ver⸗ bindung stehen, daß sie mittels künstlicher Vorrichtungen aus dem Wasserlauf gefüllt oder in diesen abgelassen werden, gelten nicht als Wasserlauf. (Der Beschluß zweiter Lesung lautet: „Grund⸗ stücke, die zeitweilig mit Wasser bespannt werden und keinen be⸗ ständigen Abfluß haben, gelten nicht als Wasserläufe.“*)

Abg. Lieber (nl.) beantragt, in dem Antrag Bitta hinter „Fischhaltung“ einzuschalten: „oder zu sonstigen Zwecken“. Abg. Dr. von Kries (kons.) begründet seinen Antrag unter Hinweis auf die gebräuchlichste Art der Anlegung von Fischteichen, die man nicht als Wasserlaufe ansehen dürfe. Er hat aber Bedenken gegen die Ausdehnung seines Antrages nach dem Antrage Lieber.

Abg. Lieber (nl.) befürwortet seinen Antrag; der Antrag Bitta sei zu eng gefaßt.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Ich kann in Zustimmung zu den Ausführungen des Herrn Vorredners bestätigen, daß die Auffassung der Staats⸗ regierung dahin ging, daß bereits durch die Bestimmungen im § 1 in der Fassung des Regierungsentwurfs die Interessen der Fischteich⸗ besitzer insofern genügend gewahrt seien, als die nicht von einem Wasserlaufe durchflossenen eigentlichen Fischteiche nicht zu den Wasser⸗ läufen im Sinne des Gesetzes gehören würden. Mit Rücksicht auf die große Beunruhigung, die nunmehr in den Kreisen der Fischteich besitzer Platz gegriffen und zu den gegenwärtigen Anträgen geführt hat, habe ich kein Bedenken, auch meinerseits die Annahme des An⸗ trages Nr. 834 zu empfehlen. Von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß auch der Antrag 834 eigentlich nur eine Deklaration der bereits im Gesetze festgelegten Bestimmung enthält, würde ich auch grund⸗ sätzliche Bedenken nicht dagegen zu erheben haben, daß die im Antrag Nr. 886 vorliegende Erweiterung durch die Worte oder zu sonstigen Zwecken“ ebenfalls die Zustimmung dieses hohen Hauses findet.

Im übrigen möchte ich, da gerade von Fischteichen die Rede ist, doch darauf hinweisen, daß durch die im hohen Haufe bereits ange⸗ nommene Zusatzbestimmung des Abs. 2 des § 25 der Gemeingebrauch bei den Fischteichen eingeschränkt worden ist, die nach dem § 1 zu den Wasserläufen zu rechnen sind, und daß ferner der noch vorliegende Antrag Nr. 833 ebenfalls die Möglichkeit gibt, die Einbringung von Fischfutter in die Wasserläufe zum Zwecke der Ernährung der Fische, sicher zu stellen. Ich glaube also, daß die Interessen der Fischteich besitzer nach jeder Richtung gewahrt erscheinen.

Auf einige Bemerkungen des Abg. Stull (Zentr.) er⸗ widert der 8*

Minister für Landwirtschaft, Dr. Freiherr von Schorlemer:

Ich kann die Auffassung des Herrn Vorredners als zutreffend bezeichnen.

8 1 wird mit den Anträgen Bitta und Lieber ange⸗ nommen. .“ 16“

Zu § 18 befürwortet

Abg. Lippmann (fortschr. 1 1 Partei beantragten Zusatz, wonach auf Verlangen der Anlieger an Seen ihnen in einer gewissen Begrenzung das Eigentam an den An⸗ landungen, Erdzungen und trocken gelegten Randflächen gegen Ent⸗ schädigung zu überlassen ist. 8 18

Ein Regierungskommissar erklärt, daß die Regierung einen Anlaß zu diesem Antrage nicht anerkenne und ihm nicht zu⸗ stimmen könne.

Abg. Graf von Wartensleben⸗Rogäsfen (kons.) außert ebenfalls Bedenken gegen den Antrag. Keöat

Abg. Hoff (fortschr. Volksp.) heht hervor, daß es der Billig keit entspräche, den Anliegern ein solches Eigentumsrecht zu geben, damit ihnen der Zugang zu den Seen erhalten bleibe. Die Rechte des Eigentümers eines Sees würden dadurch nicht beeinträchtigt.

Die Abstimmung wird vorläufig ausgesetzt, bis eine andere Fassung für den Antrag der Volkspartei vorgelegt ist.

§ 20 führt die schädlichen Stoffe an, die nicht in einen Wasserlauf eingeführt werden dürfen, um ihn nicht zu ver unreinigen.

Abg. Dr von Kries (kons.) befürwortet einen Antrag, wo⸗ nach dieses Verbeot nicht für das Einbringen von Fischnahrung gelten soll.

Minister für Landwirtschast,

Domänen und Forsten

an den Wasserläufen und dem Grund⸗ Antrages kein Bedenken habe, und möchte das hiermit wiederholen.

weittragender Bedeutung ist und das Sütkress der gesamten Be⸗ völkerung in Anspruch nimmt. Es unter

iegt keinem Zweifel,

Dr. Freiherr von Schorlemer:

Ich habe schon vorher bemerkt, daß ich gegen die Annahme des

§ 20 wird mit dem Antrage des Abg. Dr. von Kries

angenommen.

§ 25, der die Benutzung der natürlichen Wasserläufe zum

Gemeingebrauch regelt, wird nach kurzer Debatte zwischen den Abgg. von Böhlendorff Kölpin (kons.) und Lieber inl.) und dem Unterstaatssekretär im Ministerium der öffentlichen Arbeiten Dr. Freiherrn von Coels von der Brügghen angenommen.

Nach § 36 hat der Eigentümer des Wasserlaufs den Ge

2 . 2 gU 8 88* 4 1. Fi meingebrauch nicht unnütz zu erschweren. Wird im Wasser

lauf erster Ordnung von dem Eigentümer im Auschluß an die Ufergrundstücke Neuland künstlich geschaffen, so hat der Eigen tümer den früheren Anliegern den Zutritt zum Wasser zu ge statten, soweit dies zur Ausübung des Gemeingebrauchs in dem bisher geübten Umfange erforderlich ist.

Abg. Ecker Winsen (nl.) und Gen. beantragen, die

Worte „in dem bisher geübten Umfange“ zu streichen.

Abg. Dr. von Kries (kons.) empfiehlt einen von ihm gestellten ntrag, dete denselben Zweck dadurch erreichen will, daß die ganze

Bestimmung gestrichen werde, mit der Begründung, daß die volks⸗ wirtschaftlich nutzliche Schaffung von Neuland gefordert werden könne, ohne die früreren Anlieger zu schädigen.

Ein Regrerungskommissar empfiehlt den Antrag von

Kries.

Abg. Lieber zieht den Antrag Ecker zugunsten des Antrages

von Kries zurück.

§ 36 wird nach dem Antrage von Kries angenommen. § 47 schreibt u. a. vor, daß bei einer Verleihung auf

Zeit der Unternehmer die Verlängerung der Geltungsdauer der Verleihung mit den inzwischen erforderlich gewordenen Verände rungen beanspruchen kann, soweit nicht überwiegende Rücksichten des öffentlichen Wohls entgegenstehen.

Abg. Dr. Röchling (nl.) empfiehlt einen Antrag seiner

Freunde, wonach die Worte mit den inzwischen erforderlich ge⸗ wordenen Veränderungen“ gestrichen werden sollen, da es genüge, wenn die Berücksichtigung des öffentlich n Wohls vorgeschrieben werde.

§ 47 wird unter Ablehnung des Antrags unverändert an⸗

genommen.

§ 49 regelt die Versagung der Verleihung aus Gründen

des öffentlichen Wohls und bestimmt unter anderem, daß bei künstlichen Wasserläufen die Verleihung versagt werden kann, wenn der Eigentümer des Wasserlaufs ihr widerspricht.

Abg. Dr. Röchling (nl.) empfiehlt den von seinen Freunden

beantragten Zusatz: „Dies gilt nicht für künstliche Wasserläufe erster Ordnung, die im Eigentum des Staates stehen.

Abg. Dr. von Woyna (freikons.) hält es nicht für möglich,

noch in letzter Stunde eine solche Aenderung von Bedeutung an dem Gesetz vorzunehmen, da sich die Konsequenzen gar nicht übersehen ließen.

Ein Regierungskommissar erklärt, daß der Antrag mit

den staatlichen Interessen nicht pereinbar sei; diese Wasserläufe dürften nicht zu industriellen Abwässerkanälen werden.

Abg. Dr. Röchling (nl.) bemerkt, daß der Antrag nur un⸗

möglich machen solle, daß der Staat aus fiskalischen Rücksichten an den Kanalen Anlagen im Schiffahrtsinteresse verhindere.

§ 49 wird unter Ablehnung des Antrages unverändert

angenommen.

Nach § 71 ist gegen den Beschluß des Bezirksausschusses

als Verleihungsbehörde über einen Verleihungsantrag die Beschwerde bei dem Landeswasseramt zulässig.

Die Abgg. von Brandenstein (kons.) und Gen. haben ihren bei der zweiten Lesung abgelehnten Antrag.

wieder eingebracht, wonach die Beschwerde bei dem Strom

ausschuß und gegen dessen Beschluß die Klage bei dem Ober

verwaltungsgericht vorgesehen werden soll.

Abg. Dr. von Kries (konf.): Der Minister des Innern hat die Auffassung vertreten, daß sich das Verwaltungsstreitverfahren durch Ein⸗ führen einer dritten Instanz verlangsamen würde, und daß die

praktische Anwendung des Gesetzes hierdurch mehr oder weniger in

Frage gestellt würde. Dieser Ansicht muß ich widersprechen. Ich glaube, daß die Situation des Unternehmers wesentlich besser sein wird, wenn unserem Antrag stattgegeben wird. Auch der Arsicht des Ministers, daß durch die Mehrarbeit, welche dem Oberverwaltungs⸗ gericht durch Annahme unseres Antrages aufgebürdet wüurde, eine Rechtsunsicherheit zu befürchten wäre, muß ich widersprechen. Ich glaube, daß das Gegenteil der Fall ist. Dann hat der Minister weiter gesagt, es seien keine Rechlsfragen, sondern Ver⸗ hältnisse des praktischen Lebens zu regeln, welche das Landeswasseramt daher besser entscheiden könne, als das Oberverwaltungsgericht. Ich glaube, daß die Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts durch jahre lange Praxis auch in der Lage sind, solche Fragen des praktischen Lebens zu regeln. In allen eigentlichen Rechtsfragen bilden praktische Verbältnisse die Grundlage, und das Oberverwaltungsgericht hat seit vielen Jahren zur Zufriedenheit des ganzen Volkes entschieden. Das Laienelement kann nur dann eine richtige Wirksamkeit entfalten, wenn es den übrigen Mitgliedern der Instanz die richtigen prak⸗ tischen Erfahrungen vermitteln kann. Das ist aber bei dem Wasser⸗ amt nicht möglich wegen der großen Fülle der zur Entscheidung kommenden Fragen.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Die Bedenken, die schon bei der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs gegen den Antrag 826 eingehender von dem Herrm Minister des Innern geltend gemacht worden sind, bestehen trotz der Ausführung des Herrn Vorredners für die Staatsregierung unverändert fort. Ich kann deswegen nur bitten, dem Antrage unter Nummer 826 die Zustimmung zu versagen.

Abg. Dr. von Woyna ffreikons.: Meine politischen Freunde haben einen Antrag eingebracht, der gereignete Maßnahmen vorschlägt, um die Unabbängigkeit des Wasseramtes zu sichern. Wenn wir eine solche unabbängige Wasserbehörde baben, dann haben wir alles getan, um das Volk vor einer unrichtigen Anwendung des Gesetzes zu schützen. Deshalb bitte ich, den konservatrwen Antrag abzulehnen und dagegen unseren Antrag anzunehmen.

Nachdem sich die Abgg. Lippntann und Styczynski (Pole) gegen den konservativen Antrag ausgesprochen haben, schließt die Debatte. Der Antrag der Konservativen wird ab⸗ gelehnt und der § 71 unverändert angenommen.

Darauf wixd die vorhin ausgesetzte Abstimmung über den § 18 vorgenommen. Der Paragraph wird unter Ablehnung des in neuer Fassung vorliegenden Antrages der Volkspartei unverändert angenommen.

Nach § 79 kann wegen überwiegender Nachteile oder Ge⸗ fahren für das öffentliche Wohl die Verleihung zurückgenommen oder beschränkt werden, wofür gegebenenfalls eine Entschädigung nach Billigkeit von den Unternehmungen zu zahlen ist, die da durch Vorteile haben..

Die Abgg. Dr. Bell (Zentr.) und Gen, beantragen einen Busatz, wonach der Entschädigungspflichtige uin Rechts⸗ wege Erstattung der Entschädigung und der Kosten von dem⸗

*2.

214

—,—

——— 8 8 EE 88 2