Abberufung des Gesandten sprächen. Ich weiß nicht, ob das wahr ist. (Zuruf des Abg. Dr. Oertel.) Der Abg. Dr. Oertel, der in alles
eingeweiht ist, was beim Reichskanzler vorgeht, der sogt Nee! Der
fühlt sich schon ganz als Vert’eter des Z nirum, er ist dech das Prototyp der bellen Sachsen. Für einige Wochen ist ja der R’ichs⸗ käanzler beim Zentrum in Ungnade gefallen, aber es ist doch eine
Torheit ohnegleichen, wenn auch bi dirser Geleg nheit wieder das
Kulturkampfgeschrei heginnt. In der „Schlesischen Vo kszeitung“ ist der Reichskanzler gewarnt worden, sich mit dieser Gewertschafts⸗ nzyklika zu befassen. Soll es uns gleichgültig sein, wenn die Auseinanderorganisation im Deutschen Reiche nach konfessionellen Prinzipien so weiter geht? Die Enzyklika schleudert den pro⸗ estantischen Arbeitern in den christ ichen Gewerkschaften den ngeheuerlichen Vorwurf ins Gesicht, daß katbolische Arbeiter durch en Umgang mit ihnen sittlich verdorben werden könnten. Wir weisen diesen Vorwurf, der nur beweist, daß man in Rom noch in den Anschauungen des 15. und 16. Jahrhunderts lebt, aufs schärfste urück, wir protestieren gegen diese Versuche der konfessionellen Ver⸗ etzung. (Präsibent Dr. Kaempf: Wir sind hier bei der Inter⸗ ellation betreffend das Vereinsrecht der Staatsarbeiter!) Herr Hräsident, diese Dinge gehören durchaus hierher. Die Arbeiter er⸗ ennen jetzt allgemein, wie wichtig die Behandlung der wirtschaftlichen fragen in ten Gewerkschaften ist. Die sittlichen Normen des wirt⸗ chaftlichen Lebens müssen auf einer allgemeinen Grundlage stehen, dürfen aber nicht durch solche kirchlichen Machtgebote zerrissen werden. Es wäre eine Unterlassungssünde, wenn der Staat fortnesetzt diese Eingriffe zuließe. Die Ki che wittert Gefahr aus
dem Solidaritätsgefühl der deutschen Arbeiterschaft und warnt daher
vor dem Umgang mit anderen, stellt die Arbeiter unter die Aufsicht der Bischöfe und Geistlichen, und es ist eine Ironie des Schicksals, daß ihr Groll zunächst gegen die christlichen G we kschaften sich kehrt, die der Staat protegert, derselbe Staal, der in der Organisation der Arbeiter in den freien Gewerkschaften wiederum für sich eine Gefahr wittert. Wir von unserem Standpunkt aus müssen beiden Arten der Unterdrückung entgegentreten, das Seib verwaltungsrecht achten, heißt der Unzufredenheit den Boden abgraben. Also Ausbau des Koalit onsrechts! In der Koalitionsfreiheit sehen wir das beste Mittel, das Arbeits⸗ verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einem wirk⸗ lichen Vertrauensverhältnis zu machen. Durch seine vernünftige Aus⸗ gestaltung gefährden wir diese Beziehungen nicht, sondern gestalten sie nar noch günstiger. Dasselbe gilt auch vom Staate und den staatlichen Arbeitern. Wir werden daher fur die Zukunft mit aller Energte das Recht auf ein vernünftiges Maß von Freibeit fordern und ebenfalls das Recht auf Schutz gegen freiheitsfeindliche Schadi⸗ gungen, von nelcher Seite sie auch immer kommen mögen. Wir tun das nicht nur im Interesse der Arbeiter, sondern in erster Linte im wohlverstandenen Interesse des deutschen Staates und des gesamten deutschen Vater andes.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück:
Meine Herren! Die Interpellation fragt:
Was gedenkt der Herr Reichskanzler angesichts der Beein⸗ trächtigung der Koalitionsfreih it der in staatlichen Betrieben be⸗ schäftigten Arbeiter, insbesonder der im deutschen Militärarbeiter⸗ verbande Organisierten, zu tun, um das durch die Reichsgesetzgebung gewährleistete Koalitions⸗ und Vereinerecht der Angestellten und
Arbeiter gegen solche Angriffe zu sich rn2
Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat in der Begründung der Interpellation den Rahmen der Anfrage erheblich weiter gesteckt. (Sehr richtig! rechts.) Er ist auf die Stellung der Beamten zum Vereinsgesetz, auf die angeblichen rechtswidrigen Eingriffe der Kurie in das de tsche Vereinsrecht eingegangen und hat dann eine Reihe von Fällen angeführt, die nach seiner Meinung den Beweis dafür erbringen, daß die Betriebe des Reiches und zahlreiche Betriebe der Bundesstaaten den Bestimmungen des Reichsrechts in bezug auf die Koalitions⸗ und Vereinsfreiheit nicht nachleben. Ich muß es den Chefs der beteiligten Ressorts und den Vertretern der beteiligten Bundesstaaten überlassen, auf die Einzelheiten ein⸗ zugehen, die der Herr Abg. Müller vorgebracht hat. Ich kann es mir aber nicht versagen, auf den allgemeinen Teil der Aus⸗ führungen des Herrn Abg. Müller (Meiningen) über die Quellen der goalitions⸗ und Vereinsfreiheit der Arbeiter und über ihre Grenzen mit einigen Worien ein⸗ zugehen.
Ich habe ja alljährlich die Ehre, mich über diese Fragen mit dem Herrn Abg. Müller (Meiningen) von dieser Stelle aus auseinanderzusetzen. (Hesterkeit rechts und im Zentrum.) Er hat mir einmal in Aussicht gestellt, diese Interpellationen würden nicht eher aufhö en als bis bei der Reichsregierung eine völlige Klärung der Begriffe des Vereins⸗ und Versammlungsreckts eingetreten wäre. (Heiterkeit.) Ich will nicht in Abrede stellen, daß diese alljährlichen Auseinandersetzungen nicht ganz erfolglos gewesen sind. Ich habe den Eindruck, daß sich der Herr Abg. Müller (Meiningen) in einzelnen Punkten meiner Auffassung von der Bedeutung des Vereins esetzes erheblich genähert hat (Groß Heiterkett.) Aber vohsän ig ist diese Einigkeit noch nicht und ich muß deshalb bitten, mir noch einmal auf den etwas verschlungenen Pfaden unseres Vereins⸗ und Versamm⸗ lungsrechts Gesellschaft zu leisten.
Bei jeder Gelegenheit, bei der hier über das Vereins⸗ und Koalitionsrecht gesprochen wird, hören wir Reden von einem gesetzlich gewährleisteten unbeschränkten Koalitions⸗, Vereins⸗ und Versamm⸗ lungsrecht, und wenn wir fragen, wo denn de Quellen dieses Rechts liegen, bekommen wir die Antwort: in den §§ 152, 153 und 154 a der Gewerbeordnung einerseits und in § 1 des Vereinsgesetzes vom Jahre 1908 andererseits. Ich habe wiederholt die Ehre gehabt, von dieser Stelle aus nachzuweisen, daß diese Annahme irrig ist, und daß man die Bedeutung dieser Gesetzesbestimmungen, die ich eben zitiert habe für den Umfang und als Quelle des Vereins⸗ und Versammlungs⸗ rechts überschätzt. In dieser Ueberschätzung liegt zu einem erheblichen Teile die Schwierigkeit, zu einem Verständnis über den Umfang dieser Rechte zu gelangen Wo in den Reichsgesetzen ist denn, abgesehen etwa von den eben von mir zitierten gesetzlichen Bestimmungen, eine Erörterung der Vereins⸗ und Kocalitionsfreiheit enthalten? Nirgends. Auch die Reichsverfassung enthält darüber keine Vorschrift. Also müssen die Quellen dieses Rechts und dieser Freiheit, soweit sie überhaupt bestehen, an einer and ren Stelle liegen, als an den eben von mir zitierten. Nun, meine Herren, die Freiheit, sich zu Gesellschaften zusammen zu schließen, sich zur gemeinschaftlichen Verfolgung materieller und idealer Ziele zu organisieren, ist nach der staatsrechtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts ein Ausfluß der persönlichen Freiheit, wie sie der Rechtsstaat erfordert, also ein Aftribut des Rechtsstaats, wie er bei une besteht. Aber, meine Herren, in dieser Allgemeinbeit ist der Gedanke in keine Verfassung praktisch überg gangen. (Zuruf aus der Mitte.) — Ich weiß nicht, ob mich Her Waldstein daran erinnern wollte, daß er allerdings ganz uneingeschnänkt in der Verfassung
sfassung hat aber eine praktische Bedeutung nicht erlangt. In den
Verfassungen der Bundesstaaten ist er mit den sich aus der Natur der Dinge ergebenden Beschrär kungen allerdings wohl durchwegs ent⸗ halten. Die preußische Verfassung bestimmt beispielsweise:
„Alle Preußen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken,
die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu
vereinigen.
Das Gesetz regelt, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Ausübung des in diesem Artikel gewähr⸗ leisteten Rech s
Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden.“
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Meine Herren, die preußische Verfassung — und es ist ähnlich in den meisten anderen Verfassungen der deutschen Bundesstaaten — stellt als Grundsatz die Freiheit des Vereinsrechts und des Versammlungsrechts
auf. Aber sie sieyt ausdrücklich eine Beschränkung dieses Rechts durch das
Gesetz vor, und, meine Herren, das liegt in der Natur der Dinge. Die V Vereinsfreiheit bedarf der reglementierenden Hand des Gesetzgebers,
einmal im Interesse derer, die sich ihres Vereinsrechts bedienen wollen; denn nur mit Hilfe der reglementierenden Hand des Staates können die Vereine die ihnen obliegenden Zwecke vollkommen erfüllen. Auf der andern Seite müssen die Bestrebungen der einzelnen Vereine vom Standpunkt der öffentlichen Interessen von seiten des taats regle⸗ mentiert und beschränkt werden.
Meine Herren, bet der sehr weit reichenden Bedeutung, die das
Vereinsrecht und die Tätigkeit unserer Vereine für alle Zweige des
öffentlichen Lebens, unseres politischen, unseres geistigen und religlösen
Lebens haben, finden Sie tatsächlich beinahe in allen Rechte⸗ des Vereinsrechts
gebieten Bestimmungen, die die Ausübung fördern oder beschränken. Sie finden solche Bestimmungen im Privatrecht, Sie finden sie im öffentlichen Recht, insbesondere im Strafrecht. Sie finden Beschränkungen der Vereins⸗ freiheit, verschieden abgestuft je nach der Zusammensetzung, der Be⸗ stimmung, der Organtsation der einzelnen Vereine. Sie finden solche Beschränkungen, abgestuft je nach dem Personenstand der beteiligten Staatsbürger, mit Rücksicht auf das Geschlecht, auf das Alter, auf sonstige persönliche Eigenschaften.
So, meine Herren, lagen die Dinge bei Erlaß der Ver⸗ fassung für den Norddeutschen Bund. Die Verfassung für den Norddeutschen Bund enthält, dessen staatsrechtlicher Konstruktion entsprechend, nichts von den Grundrechten, die in den Verfassungen der Bundesstaaten meistens enthalten sind, sondern sie bestimmt lediglich, daß zur gesetzgeberischen Kompetenz des Bundes die Regelung des Gewerbeberriebe und der staatsbürgerlichen Rechte gehören. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes erklärte aber noch nicht die Ausdehnung der Kompetenz auf das Vereinsmesen. Diese Kompetenz⸗ erweiterung findet sich erst in der Verfassung des Deutschen Reiches.
Auf Grund des Rechts, die Bestimmungen über den Gewerbe⸗ betrieb zu regeln, ist dann noch unter dem Norddeutschen Bund die Gewerbeordnung von 1869 ergangen. Diese hat das ergibt sich aus der Entwicklungsgeschichte, die ich eben gegeben habe — nur im Rahmen des Gewerberechts, das allerdings aufgebaut ist auf der Grundlage der Gewerbefreih it, gewisse Be⸗ schränkungen des Ver ins⸗ und Koalitionsrechts aufgehoben, Öund zwar bestimmt der § 152 der Gewerteordnung:
„Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verab⸗ redungen und Vereinigungen zum Behufe der Erxlangung günstiger Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen, inesbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter werden aufgehoben.“
Das bedeutet also, meine Herren, lediglich, daß die in dem Ge⸗ werberecht der Bundesstaaten enthaltenen gesetzlichen, mit Strafsanktion versehenen Verbote derartiger Koa itionen beseitigt sind und in Zu⸗ kunft nicht wieder erlassen werden dürfen. Em schrankenloses Koalitionsrecht kann auf diesen Bestimmungen niemals aufgebaut werden. (Zuruf bei den Sozialdemokraten Ist doch nicht mehr verboten!)
Meine Herren, es ist nicht mehr verboten, aber es sind aufgehoben nur die Einschränkungen des Koalitionsrechts, die sich aus dem Ge⸗ werberecht der einzelnen Bundesstaaten ergeben. Es sind aber nicht auf ehoben die zahlreschen Beschränkungen des Vereins⸗ und Koalitions⸗ rechts, die in fast allen anderen Zweigen des Privat⸗ und öffentlichen Rechts liegen. Es ist nicht aufgehoben die Möglichkeit der Be⸗ schränkung des Koalitionsrechts, die sich aus der elterlichen Gewalt, aus den Rechten der Vormünder, der Lehrherrn, der Meister ergibt, und es ist vor alten Dinen rurch d ese Bestin mung nicht die Möglich⸗ ken besritigt, im Wege des Prisatvertrass die Koalitionsfreiheit ein⸗ zusch änken.
Nun hat die Reichsverfassung dem Reiche die Möglichkeit ge⸗ geben in die Regelung des Vereinsrechts einzugreifen, und das Reich hat dies auch allmählich und schrittweise getan. Das Reich hat in die Vereinsfre heit mit der Bestimmung des Reichsmilitär⸗ gesetzes eingegriffen, wonach die zum aktiven Heere gehörigen Militär⸗ personen nicht Mitglieder politischer Vereine sein dürfen. Das Reich hat in das Vereinsrecht durch die Bessimmungen des Gesetzes vom 11. Dezember 1899 eingegriffen, wonach den Vereinen gestattet wird, mit anderen inländischen Vereinen in Verbindung zu treten. Es hat eingegriffen in das Koalittonsrecht der Arbeiter auch mit einzelnen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Es hat eingegriffen durch die Bestimmungen der §§ 21 ff., die den Vereinen die wirtschaftliche Zwecke verfolgen, die Erlangung der Rechtsfähbigkeit erschweren. Es hat aber vor allem auch mittelbar eingegriffen durch den § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt, daß Geschäfte nichtig sind, die den guten Sitten zuwiderlausen und man ‚hat bei der Beratung dieses Paragrapben wohl nicht mit Unrecht gesagt, daß dieser Paragraph die Pforte sein sollte, durch die die großen Prinzipien des modernen Rechts, der Gewerbefreiheit, der Gewissens⸗ freiheit, der persönlichen Freiheit, der Wahlfreiheit, unmittelbaren Einfluß gewinnen sollen auf die Anwendung unseres bürgerlichen Rechts. Aber damit ist doch nicht gesagt, wie man vielfach ange⸗ nommen hat, daß aus dem § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu folgern sei, daß alle privatrechtlichen Abkommen, die das Vereins⸗ und Koalitionsrecht beeinträchtigen, als den guten Sitten zuwider⸗ laufend nichtig seien. (Abg, Stadthagen: Doch, das steht im Kom⸗ missionabericht!) — Die Sache ist etwas anders, ich werde gleich darauf kommen. — Wenn män das Koalitionsrecht ausdrücklich und uneingeschränkt freigeben wollte, dann mußte man das im Gesetz
des Deutschen Reichs vom Jahre 1849 enthalten ist. Diese Ver⸗] sagen. Man kann so wichtige Bestimmungen nicht beseitigen durch
eine allgemeine Regel, die in sich selbst ihre natür lichen Beschränkungen trägt; denn der persönlichen Freihei der Gewerbefreiheit des einzelnen Arkeiters, der sich koa⸗
lieren will und dessen Koalitionsrecht beschränkt wird, steht gegenübe
die persönliche Freihest, die Gewerbefreiheit, deren Vorteile auch der
Arbeitgeber genießt. Jede individnelle Freiheit hat ihre natürlichen Grenzen in den öffentlichen Interessen, die der Staat zu vertrete hat, und in den gleichen Rechten anderer. Daraus ergibt sich, daß Be⸗ schränkungen des Koalnionsrechts im Wege des privatrechtlichen Vertrags nur insoweit die Nichtigkeit des Vertrags zur Folge haben, als sie über das hinausgehen, was der Arbeitgeber unter Wahrung berechtigter wirt⸗ schaftlicher Interessen fordern kann. (Sehr richtig! rechts. — Se unrichtig! links.) Das ist die Auffassung, die bereits in dem erste von Planck herausgegebenen Kommentar des Bürgerlichen Gesetzbuch steht, und ist vor allen Dingen die Auffassung, die inzwischen die Judikatur bis zum Reichsgericht hinauf festgelegt hat. Es ist i Deutschland nun einmal üblich, daß wir uns alle, vor allen Dinge aber die Behörden, in der Anwendung und Handhabung der Gesetz an die Judikatur der Gerichte halten. (Zurufe: Nicht immer, nu wenns paßt!) — Weisen Sie mir nach, meine Herren, daß ich einma mit Vorsatz von der Judikatur ber Gerichte abgewichen bin.
Ein weiterer Eingriff der Reichsgesetzgebung in das Vereins
und Koalitionsrecht liegt dann in dem Reichsvereinsgesetz vom
19. April 1908. In der Beurteilung des § 1 dieses Gesetzes weich ich allerdings von dem ab, was der Herr Abg. Müller vorhin gesag hat Der Paragraph sagt in seinem ersten Absatz: t„Alle Reichsangehörigen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nich zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu
versammeln. Dieses Recht unterliegt polizeilich nur den in
diesem Gesetz und anderen Reichegefetzen enthaltenen Beschränkungen.“ Der Schwerpunkt ist hier zu legen auf das Wort polizeilich'. Es wird damit nämlich ausgesprochen, daß das Recht aller Reichs⸗ angehörigen, sich zu vereinigen und sich zu versammeln, vom poltzeilichen Standpunkte nur beinträchtigt werden darf, soweit es in diesem Gesetze ausdrücklich vorgesehen ist. Der § 1 des Gesetzes gibt also dem einzelnen Deutschen weiter nichts, als das subjektive Recht gegenüber dem Staate, polizeilich in seiner Be⸗ wegungsfreiheit auf dem Gebiete der Betätigung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts nicht weiter beeinträchtigt zu werden, als dies in dem Gesetze vom 19. April 1908 ist. Es ist bei den Beratungen des Gesetzes darauf hingewiesen worden, daß auf dieses Gesetz nicht die Kon⸗ struktion eines schrankenlosen Koalitionsrechts aufgebaut werden kann. Es ist bei den Beratungen dieses Gesetzes ferner darauf hing⸗wiesen worden, daß Beschränkungen des Koalitiensechts im Wege des Ver⸗ trages auch nach dem Erlaß dieses Gesetzes möglich sind. Es ist wiederholt darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz nicht geeignet ist, das Recht der Eltern, Vormünder, Erzieher und Lehrherren zu beein⸗ trächtigen (sehr richtig! rechts) die Vereinsfreiheit der ihrer Obhut, ihrer Gewalt anvertrauten Zöglinge zu beschränken, und es ist aus drücklich darauf hingewiesen, daß der § 1 des Gesetzes nicht geeignet sei, die
zugelassen aue drücklich
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Rechte der Vorgesetzten gegenüber den ihnen unter⸗
stellten Beamten in irgend etwas zu beeinträchtigen. (Sehr richtig! rechts)
Gewiß hat mein Herr Amtsvorgänger bei der Beratung des Gesetzes gesagt, daß auch den Beamten die Rechte aus dem Vereins⸗ gesetz voll und uneingeschränkt zustehen müßten. Gewiß, meine Herren, wenn ein Beamter in einen Verein eintreten will, wenn ein Beamter an einer Versammlung teilnehmen will, dann darf ihm die Vereins⸗ polizei keine anderen Schranken auferlegen als jedem anderen. Nicht getroffen werden aber die Rechte der Vorgesetzten, die Rechte des Staates (Unruhe und Lachen bei den Sozialdemokraten. — Sehr richtig! rechts. — Sehr unrichtig! bei den Sozialdemokraten), die sich für den Beamten aus den besonderen Beziehungen ergeben, in denen er zum Staat und zu seinen Vorgesetzten steht. Die Be⸗ ziehungen regeln sich nach dem öffentlich⸗rechtlichen Anstellungs verhältnis. Der Beamte tritt, wenn er Beamter wird, freiwillig in den Dienst des Staates, und indem er freiwillig in den Dienst des Staates tritt, unterwirft er sich (Zuruf links: der Bevormundung!) den gesetzlichen und in der Tradition der Verwaltung seines Staates beruhenden Beschränkungen. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, darüber kann gar kein Zweifel sein. (Sehr wahr! rechts.)
Aber auch bezüglich der Beamten wird man in gewissen Grenzen mit den Grundsätzen des § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vperieren können. Allerdings findet dieser Paragraph rechtlich keine Anwendung auf das Beamtenverbältnis. Aber wenn nach Maßgabe dieses Para⸗ graphen verlangt wird, daß die Vereins⸗ und Koalitionsfreiheit des einzelnen durch Vertrag nicht beschränkt werden soll außer zur Wahrung der berechtigten Interessen des anderen Kontrahenten, so wird man auch sagen können, daß der Staat in der Beschränkung der staats⸗ bürgerlichen Freiheit seiner Beamten an die Grenzen der staatlichen Interessen gebunden sein soll, die er zu vertreten hat. Das heißt also, meine Herren: selbstverständlich genießt der Beamte Vereins⸗ und Versammlungsfreiheit wie alle übrigen staatsbürgerlichen Rechte, ebenso wie jeder andere Staatsbürger (Zurufe links), aber infolge der Beziehungen des Beamten zum Staate ist der Staat und sind die Organe des Staates berechtigt und verpflichtet, ihn so weit zu beschränken, als es im Interesse des Staates, zur Er⸗ füllung der Zwecke des Staates notwendig ist, als es notwendig ist, um die Einrichtungen und Institutionen des Staates leistungsfähig zu erhalten. (Sehr richtig! rechts.)
Meeiine Herren, was ist denn nun das Ergebnis dieser Erörterungen
zunächst einmal für die gewerblichen Arbeiter und Angestellten im
allgemeinen? Das Koalitionsrecht sowie das Vereins⸗ und das
Versammlungsrecht des gewerblichen Arbeiters ist durch keine der von
mir eben angegebenen gesetzlichen Bestimmungen absolut freigegeben und insbesondere kann es eingeschränkt werden auch durch privat⸗ rechtlichen Vertrag, sofern nur die Art der Einschränkung nicht den guten Sitten zuwider läuft und sofern die Art der Einschränkung nicht über das hinausgeht, was zur Wahrung berechtigter wirtschaft⸗ licher Interessen von seiten des Arbeitgebers billigerweise gefordert werden kann. (Zuruf und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Nun fragt es sich, was ergeben sich denn daraus für Konsequenzen für die Arbeiter und die Angestellten staatlicher Be⸗ triebe? Zunächst muß vorausgeschickt werden, daß die Bestim⸗ mungen der Gewerbeordnung keineswegs auf alle staatlichen Betriebe und deren Arbeiter und Angeftellte Anwendung sinden. Sie sinden
keine Anwendung auf die Arbeiter und Angestellten derjenigen Be⸗
triebe, bezüglich deren in §6 der Gewerbeordnung ausdrücklich bestimmt ist, daß sie den Vorschriften der Gewerbeordnung nicht unterworfen sein sollen. Dahin gehören z. B. die Eisenbahnbetriebe. Sie finden ferner keine Auwendung auf diejenigen staatlichen Betriebe, welche keine gewerblichen Betriebe sind und daher begrifflich nicht unter die Be⸗ stimmungen der Gewerbeordnung fallen können, wie beispielsweise die Post. Aber, meine Herren, diese Unterscheidungen sind für den vor⸗ liegenden Fall gleichgültig; denn an sich wird auch für das Verhältnis des Staates als Arbeitgebers zu seinen Arbeitnehmern die Regel gelten müssen, daß er im Wege des Vertrages — darauf kommt es ja im wesentlichen an — nicht Einschränkungen eintreten läßt, die den guten Sitten zuwider laufen. Da nun aber der Staat in allen diesen Fällen nicht wirtschaftliche Interessen, sondern bei allen seinen Betrieben mehr oder minder staatliche Interessen, öffentliche Interessen zu ver⸗ treten hat, so ergibt sich daraus, daß der Staat in der Lage ist, auch im Weg des Arbeitsvertrages das Koalitions⸗ und Vereinsrecht seiner Arbeiter und Angestellten so weit zu beschränken, als es notwendig ist, um die öffentlichen Zwecke der einzelnen Betriebe, die Aufgaben des Staates zu erfüllen. (Sehr richtig! rechts) Daraus ergibt sich ferner, daß z. B. jede Vereinstätigkeit oder Betätigung in Vereinen unterbunden werden kann und muß, die die Betriebsfähigkeit, die Leistungsfähigkeit solcher staatlichen Einrichtungen gefährden oder in Frage stellen kann, die öffentlichen Zwecken dienen, wie beispielsweise die öffentlichen Verkehrsanstalten, die öffentlichen Ein⸗ richtungen zur Versorgung mit Wasser, Beleuchtung und was der⸗ gleichen mehr ist. Ferner kann eine Einschränkung der Koalitions⸗ freiheit eintreten bei allen Betrieben der Heeres⸗ und der Marine⸗ verwaltung, die der Sicherheit und der Schlagfertigkeit des Reiches dienen Auch hier müssen die Leiter der betreffenden Betriebe in der Lage sein, die in ihnen beschäftigten Arbeiter und Angestellten von einer Vereinsbetätigung auszuschließen, die geeignet sein könnte, die Leistungsfähigkeit, die Schlagfertigkeit, die Brauchbarkeit der Betriebe im gegebenen Augenblick zu beschränken. Und end⸗ lich, meine Herren, liegt es im Wesen des Staates begründet daß die Leiter staatlicher Betriebe in der Lage sein müssen, die Vereinsfreiheit und die Koalitione freiheit insoweit zu beschränken, als die Betätigung dieser Vereins⸗ und Koalitionsfreiheit im gegebenen Falle im Widerspruch stehen würde mit den Zwecken und mit der Sicherheit des Staates. (Sehr richtig! rechts.)
Daraus ergibt sich nun weiterhin, daß nach der Natur der Dinge das Maß der Beschränkungen, das billiger⸗ und verständiger⸗ weise auferlegt werden kann, in den verschiedenen Betrieben ver⸗ schieden sein muß mit Rücksicht auf die besonderen Aufgaben, auf die Organisation, auf die Größe, zum Teil sogar auf die örtliche Lage der Betriebe. Denn — daran halte ich fest — die Beschränkung soll nie hinausgehen über das, was im gegebenen Falle notwendig ist, um die Erhaltung öffentlicher und staatlicher Aufgaben zu sichern. (Lebhafte Rufe von den Nationalliberalen und der Fortschrittlichen Volkepartei: Sehr richtig! Darum handelt es sich!)
Meine Herren, ich glaube hiermit den Standpunkt des Herrn
Reichskanzlers und der Reichsleitung klar gekennzeichnet zu haben und
möchte noch einmal kurz rekapitulieren. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Leitung staatlicher Betriebe berechtigt und verpflichtet ist, die Koalitionsfreiheit ihrer Angestellten und ihrer Arbeiter zu beschränken, soweit das nach den allgemeinen Grundsätzen mit den guten Sirten vereinbar ist, d h. soweit es notwendig ist, um die be⸗ treffenden Einrichtungen schlagfertig, leistungsfähig, konform mit den Zielen und Aufgaben des Staats zu halten Ferner: die Vor⸗ gesetzten der Beamten sind berechtigt, die Koalitions⸗ und Ver⸗ einsfreiheit derselben insoweit zu beschränken, als es notwendig ist, um die Beamtenschaft leistungsfähig und intakt zu erhalten, wie es die Interessen, die Sicherheit und die Zwecke des Staats gebieten. Daraus ergibt sich, daß unter Umständen in der Behandlung der einzelnen Gruppen von Beamten sich Verschiedenheiten ergeben können. Es wird eine andere Handhabung der Vereinsfreiheit nötig sein bei Beamtenkategorien, die militärisch diszipliniert sind — also beispielsweise bei Feuerwehrleuten —, als bei Vortragenden Räten oder bet Regierungspräsidenten.
Meine Herren, ich glaube, ich habe damit das festgestellt, was ich in grundsätzlicher Beziehung geglaubt habe hier feststellen zu müssen. Auf die Einzelheiten will ich, wie gesagt, nicht eingehen; ich überlasse das den Vertretern der einzelnen Ressorts und der einzelnen Bundesstaaten. Nur möchte ich bezüglich zweier Punkte, die der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) vorhin kurz erwähnt hat, folgendes be⸗ merken:
Erstens: der Herr Abgeo dnete hat den Vertrag des Königlichen Salzbergwerks Bleicherode mit einem Teil seiner Arbeiter getadelt, wonach ihnen untersagt war, Vereinen anzugehören. Der Herr Abg. Müller hat vollständig Recht: ein solcher Ver⸗ trag würde nicht mit dem geltenden Recht vereinbar sein und würde auch nicht vereinbar sein mit den Ausführungen, die ich soeben gemacht habe. Ich kann aber hinzufügen, daß der preußische Herr Handelsminister, sobald er von diesem Vertrage Kenntnis er⸗ halten hat, Abhilfe hat eintreten lassen und dafür Sorge getragen hat, daß solche Verträge nicht wieder geschlossen werden. Dabei möchte ich zur Ehre der preußischen Bergverwaltung noch ausdrücklich bemerken, daß diese Vertragsbestimmung nicht etwa in der Arbeits⸗ ordnung gestanden hat und nicht in einem Vertrag, den das Werk direkt abgeschlossen hat, sondern in einem Vertrag, den ein Agent in Ham⸗ burg mit den betreffenden Arbeitern abgeschlossen hatte. Herr Dr. Müller wird hieraus ersehen, daß wir keinen Augenblick zögern, ein⸗ zugreifen, wenn die Grundsätze, die ich hier eben aufgeführt habe, irgendwie verletzt werden Wie weitherzig wir im allgemeinen in der Handhabung dieser Grundsätze sind, das können Sie, wie ich beiläufig bemerken möchte, aus einem Schreiben des Herrn Admirals von Tirpitz entnehmen, der als Chef der Marine⸗ verwaltung mir gestern schrieb, er glaube nicht, daß sein Ressort ge⸗ nötigt sein würde, sich an den heutigen Verhandlungen zu beteiligen, weil er noch niemals in die Lage gekommen sei, einen Verein zu verbieten.
Meine Herren, dann noch ein kurzes Wort zu den Ausführungen des Herrn Abg. Müller (Meiningen) über den Erlaß des preußischen Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten. Dieser Erlaß ist gleichlautend auch für die Reichseisenbahnen ernangen ist als solcher im vorigen Frühjahr hier Gegenstand eingehender Er⸗ rterungen gewesen und, soviel ich weiß, in seinen Grundzügen von einer sehr großen Mehrheit dieses hohen Hauses gebilligt worden.
Ich glaube, unter diesen Umständen auf ihn nicht weiter eingehen zu sollen.
Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Müller zu meinem Troste außer dem Reich und den Bundesstaaten und ihren Organen auch eine ganze Reihe anderer Leute wegen ihrer Verstöße gegen das Vereinsgesetz getadelt. Ich brauche hierauf nicht weiter einzugehen, sondern muß es den Betetligten überlassen, sich zu wehren. Aber der Herr Abg. Müller ist dann eingegangen auf die Enzyklika „Singulari quadam“ und hat gemeint, daß stnaatlicher⸗ seits etwas versäumt sei, daß wir uns einer schweren Unterlassung insofern schuldig gemacht hätten, als wir nicht gegenüber diesem Erlaß eingegriffen hätzen, der zweifellos eine rechtswidrige Beeinflussung der Koalitions und Vereinsfreiheit des deutschen Arbeiters bedeute. Ich habe über die Frage, inwieweit die Rechte der kirchlichen Oberen gegenüber den Angehörigen anerkannter Kirchen⸗ gemeinschaften durch das Vereinsgesetz berührt werden, bereits bei einer ähnlichen Gelegenheit hier gesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, daß entsprechend den anderen von mir vorhin erörterten Möglichkeiten der Beschränkung des Vereinsrechts, wie sie aus der väterlichen Gewalt usw. hervorgehen, der § 1 des Vereins⸗ gesetzes sich⸗ auch nicht beziehen kann auf diejenigen Beschränkungen, welche sich aus den Beziehungen der kirchlichen Oberen zu den Angehörigen einer Kirchengemeinschaft ergeben. (Rufe links: Nanu!) Das trifft auch in dem vorliegenden Falle zu. Ich will auf Einzelheiten der Enzyklika hier nicht eingehen. Aber wenn die Enzyklika den Satz aufstellt, daß soziale Fragen nicht rein wirt⸗ schaftliche und rein politische Fragen sind, sondern daß sie auch religtöse und damit kirchliche Angelegenheiten berühren und be⸗ treffen, so wird dagegen kaum mit Ernst ein Einwand er⸗ hoben werden könuen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Polen.) Bei den engen Beziehungen, in denen Kirche und Religion zu unserem ganzen Leben stehen, liegt es doch in der Natur der Dinge, daß eigentlich alle Verhältnisse, die die Beziehungen von Mensch zu Mensch angehen, auch eine religiöse, eine kirchliche Seite haben. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Polen.) Wenn von diesem Gesichtspunlte aus das Haupt einer anerkannten Kirchengemeinschaft den Angehörigen dieser Kirchengemeinschaft Ratschläge gibt, wie sie sich zu verhalten haben zu solchen Fragen wie dem Koalitions⸗ recht und der Koalitionsfreiheit, betrachtet unter dem Gesichtspunkte ihrer Zugehörigkeit zur Kirche, betrachtet unter religiösen Gesichts punkten, so wird auch dagegen mindestens der Vorwurf einer rechts⸗ widrigen Ingerenz nicht hergeleitet werden können (sehr richtig! im Zentrum: — Zuruf links: Es kommt auf die Form an!), zumal nicht dann, wenn derartige Forderungen sich in der Hauptsache in der Form von Ratschlägen oder Warnungen bewegen, und solange sie nicht durchgesetzt werden sollen durch Kiichenstrafen, die den Gesetzen des Staates zuwiderlaufen. Derartige Strafen sind nicht angedroht oder gar angewandt. Man wird also wohl im Ernst nicht davon reden können, daß die Enzpklika „Singulari quadam“ einen rechtswidrigen Eingriff in das gesetzlich gewährleistete Koalitionsrecht des deutschen Arbeiters bedeutet.
Auf der anderen Seite ist aber nicht zu verkennen, daß, wie auf vielen anderen Gebieten, so auch auf diesem Gebiet die Be⸗ schäftigung der Kirche und ihrer Organe mit allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Fragen von einer eminenten politischen Bedeutung für den Staat werden kann, und aus dieser Tatsache kann sich sehr wohl das Bedürfnis des Staates ergeben, sich mit den kirchlichen Oberen über diese Fragen aus⸗ einanderzusetzen. (Sehr richtig! links.) Aber, meine Herren, das kann man doch nur, indem man Vorstellungen erhebt, indem man Auf⸗ klärungen gibt. Das kann man doch nur im Wege diplomatischer Einwirkung tun; man kann aber nicht gegen eine an sich im Rahmen des Rechtes sich haltende Aktion mit Gewaltmaßregeln vorgehen.
Nun, meine Herren, möchte ich im Anschluß daran aus⸗ drücklich feststellen, daß eine derartige Einwirkung aus Anlaß des Gewerkschaftsstreits in Rom erfolgt ist, daß der Herr Reichs⸗ kanzler aber den Inhalt der Enzyklika vor ihrem Erlaß nicht gekannt hat, und daß der Herr Reichskanzler nach Lage der Verhältnisse gar nicht hat sagen können, daß, wenn sich derartige Dinge weiter wiederholten, die Abberufung des Gesandten am Hetligen Stuhl unmittelbar bevorstehe. Wir halten die Entwicklung der inter⸗ konfessionellen christlichen Gewerkschaften in den Bahnen, in denen sie sich jetzt bewegt hat, als dem Staatswohle nützlich und wünschenswert. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Auffassung haben wir Ausdruck gegeben, und wir haben, nachdem die Gewerkschaften selbst einen Modus gefunden haben, der nach ihrer Auffassung zurzeit befriedigt, keine Veranlassung, uns mit der Sache weiter zu befassen (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten), aber auch keine Veranlassung, uns Vorwürfe machen zu lassen über mangelnde Wachsamkeit in dieser, wie ich ohne weiteres anerkenne, ernsten und wichtigen Angelegenheit.
Ich glaube, ich kann die Angelegenheit damit verlassen, zumal, da ich wohl, ohne Widerspruch zu finden, annehmen kann, daß die christlichen Gewerkschaften den Herrn Abg. Müller (Mei⸗ ningen) nicht zu ihrem Sachwalter bestellt haben. (Sehr richtig! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten. Wiederholte Zwischenrufe rechts und bei den Sozialdemokraten.) — Meine Herren, ich bin gleich fertig. Lassen Sie mir noch einen Augenblick Ruhe; dann können Sie sich unterhalten, so viel Sie wollen! —
Also, meine Herren, ich bin am Schluß. Ich möchte nur noch einmal kurz rekapitulieren, was ich auszuführen die Ehre
gehabt habe, und ich möchte da anknüpfen an das, was ich zuletzt
gesagt habe. Die Annahme, daß die Enzyklika „Singulari quadam“ einen rechtswidrigen Eingriff in die Kcocalitionsfreiheit des deutschen Arbeiters bedeute, ist unzutreffend, und damit auch der Vorwurf hinfällig, daß die Reichsleitung es an einer gebührenden Abwehr dieses Angriffs habe fehlen lassen. Unbegründet ist aber nach dem, was ich ausgeführt habe, auch der Vorwurf, daß wir das gesetzlich gewährleistete Koalitions⸗ und Vereinsrecht der Arbeiter und Angestellten in den Staatsbetrieben verkümmern ließen oder gar gesetzwidrig beschränkten. Im Gegenteil, meine Herren, der Staat hat ein Interesse an dem Wohlergehen, an dem wirtschaftlichen und
sozialen Aufsteigen aller seiner Mitglieder, und er muß dieses Interesse
ganz besonders betätigen in bezug auf die in seinem unmitteldaren Dienst stehenden Arbeiter, Angestellten und Beamten. Wir darten uns aber für so befugt wie verpflichtet, die Koalniens⸗ und Vereink⸗ und Mamten in den geserlich
freiheit unserer Arbeiter, Angestelkte
gesteckten Grenzen insoweit zu beschränken, als es die Sicherheit und die Zwecke des Staates und die Leistungsfähigkeit der diesen Zwecken dienenden staatlichen Einrichtungen erfordern. (Lebhaftes Bravo! rechts.) Preußischer Kriegsminister, General der Infanterie von Heeringen:
Meine Herren! In unmittelbarem Anschluß an die allgemeinen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs dez Innern brauche ich eigentlich nur ganz kurz auf das Verhältnis der Militärverwaltung zu dem Militärarbeiterverband einzugehen.
Ich bestätige dem Herrn Abg. Dr. Müller (Meiningen) zunächst durchaus, daß der Verein sich als einen durchaus nationalen nach seinen Statuten bezeichnet hat Aber sein Verhalten war erheblich anders. (Sehr richtig! rechts. Lachen links.) Der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) hat ja anerkannt, daß das Verbandsorgan „Der Militär⸗ arbeiter“ die gebotenen Grenzen ganz wesentlich überschritten hat. (Sehr richtig! rechts.) Es steht fest, daß der Verein seit längerer Zeit durch seinen Vorsitzenden und durch sein Organ eine maßlose Agitation unter unseren Arbeitern betrieben hat. (Zustimmung rechts. Lachen links.) Es sieht weiter fest, daß durch den Verein und namentlich durch seinen Vorsitzenden die Mitglieder anderer Ver⸗ einigungen unter unseren Arbeitern in der gehässigsten Weise angegriffken wurden (hort! hört! rechts: Widerspruch links), daß einzelne Vorkommnisse im Betriebe entstellt und aufgebauscht durch die Presse verbreitet und vor allen Dingen als typisch für die Betriebe der Heeresverwaltung hingestellt wurden: überall herrsch Willkür, Unterdrückung der Arbeiter (sehr richtig! links); ihre Kraf würde bis zur völligen Unbrauchbarkeit von uns ausgenutzt, und dam würden die Leute ohne Rücksicht auf die Folgen beiseite geworfen (sehr richtig! links); um ihren Hunger zu stillen, müßten die Arbeite außer ihrer eigentlichen Arbeitszeit noch einem besonderen Erwerbe nachgehen — und was dergleichen Behauptungen mehr sind.
Meine Herren, Kritik zu üben ist selbstverständlich jedem Verein unverwehrt (Lachen links); aber die Kritik muß sich auf wahren Tat sachen aufbauen (sehr richtig! rechts, und nicht auf verdrehten, ent stellten und unwahren Behauptungen. Der Militärarbeiterverband ha diese Freiheit der Kritik auf das gröbste mißbraucht. Er hat alles getan um in unseren Betrieben die Ordnung zu gefährden und das Vertrauen
jährigen Zurückhaltung der Militärverwaltung gegenüber dem Arbeiter verband konnten wir hoffen, daß aus den Vorständen der Orts⸗ verwaltung selbst in bestimmter Form Front gegen ihn gemacht würde. Nachdem das nun nicht geschehen war, wurde es zur zwingenden Notwendigkeit, unseren Arbeitern Klarheit darüber zu geben, wohin sie selber steuerten, wenn sie eine derartige Hetzerei
ich ausdrücklich gegenüber dem Herrn Abg. Müller (Meiningen) be⸗ tonen — ist das Kriegsministerium von keiner andern Seite veran⸗ laßt worden, sondern lediglich durch das Interesse seiner Betriebe selbst. (Zwischenrufe von den Sozialdemokraten, Unruhe, Glocke des Präsidenten.)
Der Eingriff geschah in der mildesten Form. Die Arbeiter wurden vor der Betätigung an dieser Art der Agitation, wie sie der Militär arbeiterverband bisher entfaltet hatte, gewarnt und auf die Folgen hingewiesen, die durch eine Begünstigung einer derartigen Hetze für sie selbst entstehen müßten. (Abg. Ledebour: Beweislose Be⸗ hauptungen! Große Unruhe. Glocke des Präsidenten.) — Wenn weiteres Beweismaterial über gewisse Einzelheiten noch verlangt wird, so wird sich ja im Laufe der Debatte dazu noch Gelegenheit bieten. —
Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat nun im wesentlichen an dem Erlasse ausgesetzt, daß er eigentlich ein Verbot wäre. Ich muß das auf das bestimmteste bestreiten, er ist weder dem Sinne noch dem Wortlaute nach so aufzufassen gewesen. Wenn der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) sagt, er wäre draußen in seiner Allgemein⸗ heit so aufgefaßt worden, so widerlegt er sich selbst, indem er sagt, daß er an vier Orten — (Abg. Dr. Müller (Meiningen): Sie sagen in Ihrem Briefe: „An vier Orten“) — Ich sage: an vier Orten und der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) hat, glaube ich, neun genannt (Abg. Dr. Müller (Meiningen): Zwölf!) Der Erlaß ist, kann man sagen, allgemein richtig aufgefaßt worden, wenn man bedenkt, daß es sich hier um über 500 Stellen handelt, denen er zugegangen
mein als Verbot aufgefaßt, ja ohne weiteres widerlegt.
Die Angaben des Herrn Abg. Dr. Müller (Meimingen) stützen sich im wesentlichen auf Angaben der Vertrauensleute, meine Angaben stützen sich auf amtliche Berichte, die ich in diesem Falle eingezogen habe, und zwar sind nicht nur die Orte, die der Herr Abgeordnete die Güte hatte mir zu bezeichnen, ge fragt worden, sondern sämtliche Stellen, die meinen Erlaß be⸗ kommen haben, sodaß nach meiner Auffassung hier ganz einwandfreies Material vorliegt. In allen Fällen, in denen der Erlaß falsch auf⸗ gefaßt worden ist, ist alsbald von mir Remedur eingetreten.
Herr Dr. Müller (Meiningen) bezweifelt, daß das ausreichend geschehen ist. Ich bedaure, daß ich ihm diese Zweifel nicht nehmen kann; denn die Art und Weise, wie ich als Chef der Verwaltung diese Remedur eintreten lasse, das, werden Sie mir zugeben, ist meine Sache. (Sehr gut! rechts. — Lachen bei den Sozialdemokraten.) Gegen den Verband als solchen ist nicht eingeschritten worden, sondern gegen sein Verhalten; dieses sollte getroffen werden. Der Verein
diejenigen Ziele zu halten, die ihm nach seinen Statuten vor⸗ geschrieben sind.
Herr Dr. Müller (Meiningen) hat dann darauf hingewiesen, daß ihm von irgend einer Seite der Militärverwaltung gesagt word wäre, wir hätten den Militärarbeiterverband hauptsächlich deshalb mit einem Erlaß bedacht, weil sein Vorstand in Bayern seinen Sitz hat. Das ist uns gleichgültig, wo der Vorstand sitzt, und ich glaube nicht, daß es ein Organ der Militärverwaltung gewesen ist, das dem Herrn Abg. Dr. Müller (Meiningen) gegenüber sich so aus⸗ gesprochen hat. Wohl aber ist es ganz richtig, daß wir dringend
bünschen, daß an die Spitze des Verbandes ein und
ein Arbeiter, der die Bedürfnisse der Arbeiter selber zu vertreten. (Erneute Zustimmung rechts.)
Zu einem Vertrauensyerhältnts zu dem Arbeiter⸗ verbande haben wir bisher keine Veranlassung gebabt; mür hatten auch keine Notwendigkeit dazun; denn wir füblten nüäche des Bedürfnis, noch eine weitere Mitteleperson peischen den Ardemhern
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der Arbeiter zu den Behörden zu untergraben. Nach der lang⸗
weiter begünstigten. (Sehr richtig! rechts.) Hierzu — und das will
ist. (Sehr richtig! rechts.) Damit ist die Behauptung, er sei allge⸗
hatte es ja selbst in der Hand, seine Hetzereien zu lassen und sich an
—