1912 / 301 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 19 Dec 1912 18:00:01 GMT) scan diff

20. bis 30. Dezember in die Weihnachtsferien gehen und dann mit der Beratung der Homerule⸗Bill, der Vorlage, betreffend die Trennung von Kirche und Staat in Wales, sowie der Wahlrechtsvorlage fortfahren werde. Die Regierung hoffe, diese drei Gesetzentwürfe bereits Anfang Februar durch das Unterhaus zu bringen und dann auch die Beratung der Ge⸗ sowie einiger kleinerer Vorlagen zu Ende zu ühren.

Rußland.

In der Reichsduma wurde gestern vor dichtbesetztem Hause und überfüllten Tribünen vom Ministerpräsidenten Kokowtzow die Regierungserklärung über die aus⸗ wärtige Politik verlesen. Der Ministerpräsident legte in eingehender Rede die gesetzgeberischen Aufgaben dar, die der vierten Legislaturperiode der Reichsduma harrten, gab eine Aufzählung der verschiedenen Gesetzentwürfe und Regierungs⸗ vorschläge, die sich den Reformen der letzten Jahre in organischer Weise anfügten, und fuhr laut Bericht des „W. T. B.“ fort:

Die Regierung hofft und ist gewiß, daß die vierte Reichsduma die Frage der nationalen Verteidigung mit demselben Geiste der Liberalität und des Patriotismus behandeln wird, wie es die vorher⸗ gehende getan hat. Gemäß der Verfügung des Kaisers wird Ihnen die Regierung alles unterbreiten, was von Wichtigkeit ist und was durch die Notwendigkeit, die Kräfte der Armee zu organisieren, ge⸗ hoten ist. Ich bin sicher, daß sie in Ihnen fleißige Mitarbeiter zur Durchführung dieser gebieterischen Aufgabe finden wird. Diese Erwägungen, die sich auf die nationale Verteidigung und die

zu ihrer Sicherung der Regierung zu gewährenden Mittel be⸗ ziehen, bringen mich auf eine andere Frage, die Ihre wie gonz Ruß⸗ lands Unruhe und Sorge hervorruft. Die kriegerischen Tugenden und die seltene Einmütigkeit, die die Balkanvölker bewiesen haben, konnten nicht verfehlen, die wärmste Sympathie aller russischen Herzen zu erregen. Als slawische und orthodoxe Großmacht, die un⸗ zählige Opfer gebracht hat, um ihre Ra sen⸗ und Glaubensbrüder zu schützen, kann Rußland nicht dem Umstande gegenüber gleichgültig bleiben, daß diese Völker Existenzbedingungen erlangen, die im Verhältnis stehen zu den vollbrachten Taten und den vergossenen Strömen Blutes und die ihnen ihre Lebens⸗ interessen und eine friedliche Entwicklung unbedingt sicherstellen und in Zukunft die Wahrscheinlichkeit neuer, für den europäischen Frieden immer gefährlicher Verwicklungen ausschließen würden. Eingedenk der besten Ueberlieferung der Geschichte und in Ueber⸗ einstimmung mit der klar ausgedrückten öffentlichen Meinung Ruß⸗ lands, verkennt die Kaiserliche Regierung sicherlich nicht die ganz hervorragende Bedeutung der Interessen Rußlands. Die Regierung stellt mit Genugtuung fest, ihre von An ang an eingenommene ruhige Haltung inmitten der Unruhe und Erregung nicht geändert zu haben. Sie hat keine Veranlassung gegeben, bei uns selbst⸗ süchtige Pläne zu argwöhnen oder den Wunsch, die Konflikte zu verschärfen, und stets war der Gedanke, den historischen Pflichten und der Würde des Reiches getreu zu bleiben, ihr einziger Leitsatz. Es wäre gegenwärtig verfrüht, darüber zu sprechen, welches Mittel gegen⸗ über irgend einer besonderen Frage, die durch die Ereignisse auf dem Balkan aufgeworfen wurde, beschlossen werden wird. Die Grundsätze, von denen sich die Regierung leiten lassen muß, wenn die Stunde der endgültigen Entscheidung geschlagen hat, sind ebenso durch unsere Vergangenheit wie durch die Notwendigkeit bestimmt, sie mit den Bedingungen unserer gegenwärtigen Politik in Einklang zu hringen. Getreu unserem Bündnis und unseren Ententen mit anderen Großmächten, der Unterstützung unserer Freunde und Verbündeten cher, sehen wir für unser Teil keinen Nutzen darin, die Gruppierungen der Mächte in Gegensatz zu einander zu bringen. Alle Regierungen, die das Gebiet der gemeinsamen Besprechung der Grundfragen der gegenwärligen politischen Lage vexlassen würden, würden eine schwere moralische Verantwortung übernehmen für die etwaige Möglichkeit späterer internationaler Verwicklungen. Die Großmächte haben zu triftige Gründe, um nicht zu versuchen, der zukünfligen Entstehung von Verwicklungen vorzubeugen, die bis zu einer Bedrohung des europäischen Friedens sich auswachsen könnten. Die russische Regie⸗ rung hofft, daß die solidarischen Bemühungen, von denen die Großmächte beseelt sind, ihnen helfen werden, ein Einverständnis über die Lösungen zu finden, die ihre Interessen mit den ge⸗ rechten Ansprüchen der Balkanstaaten versöhnen. Deswegen be⸗ grüße ich aufrichtigst die Initiative der britischen Regierung, die eine vorläufige und gemeinsame Besprechung der Fragen über die Liquidation des Krieges, bei denen die Interessen der Mächte mit⸗ spielten, vorschlägt. Die sympathische Aufnahme, der dieser Vorschlag in den Haupstädten Europas be⸗ egnet, ebenso die Zusammen⸗ kunft der Botschafter in London, die soe en begonnen hat, müssen, so hofft die Regierung, die friedliche Lösung der gegenwärtigen Krisis erleichtern. Durchdrungen von dem aufrichtigen Wunsche, alle Mittel zur Erhaltung des europäischen Friedens anzuwenden, drückt die russische Regierung die Hoffnung aus, daß mit Gottes Hilfe unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt, und daß die zukünstigen Ereignisse die Lebensinteressen Rußlands nicht berühren werden, die zu verteidigen wir berufen sind im Namen der Ehre und Würde unseres Landes.

Die Rede des Ministerpräsidenten wurde an den Stellen, die sich auf die Fragen der Verteidigung des Staates und auf die Balkanereignisse bezogen, fortgesetzt durch Beifallsstürme auf fast allen Seiten des Hauses und durch Zustimmungskund⸗ gebungen unterbrochen. Als Kokowtzow seine Erklärung be⸗ endet hatte, wurde die Sitzung geschlos und die Diskussion auf morgen vertagt.

Italien.

In der Deputiertenkammer stand gestern die von dem Abgeordneten Barzilai an den Ministerpräsidenten und den Minister des Aeußern gerichtete Interpellation über die vorzeitige unveränderte Erneuerung des Dreibundes auf der Tagesordnung. Nach dem Bericht des „W. T. B.“ führte Barzilai nach einem historischen Ueberblick über den Dreibund in Begründung seiner Interpellation aus:

In der Vergangenheit schützte uns eine negative Klausel des Vertrages vor neuen Aenderungen im Mittelmeer, aber bald erschien die Klausel ungenügend. Daher wurden besondere Abkommen mit England und Frankreich getroffen, die die Eroberung von Tripolis möglich mackten. In jedem Falle verminderten die Lösung unseres Mittel⸗ meerpreblems und die Ereignisse im Orient die Bürgschaften, die wir von unseren Verbündeten fordern müssen, auf ein Minimum, und hoben die Bürgschaflen, die wir geben müssen, auf ein Maximum. Oesterreich war der Sekundant Deutschlands in Algeciras, Deutschland der Sekundant Oesterreichs in der bosnischen Frage. Italten hatte keinen Sekundanten in Libyen, und wir können stolz darauf sein, daß wir keinen Dank schulden. Wir können die Unabhängigkeit Albaniens annehmen, aber wir haben ein Inter⸗ esse daran, sie mit den Siegen auf dem Balkan in Einklang zu bringen. Die öffentliche Meinung Italiens kann sich nicht damit einverstanden erklären, daß das Ergebnis langer Bündnisse gleichbe⸗ deutend sei mit einer Politik der Isoliertheit, und denen, die für selche Ergebnisse Opfer verlangten, würde sie mit den Worten Bis⸗ marcks antworten: „Kein Volk kann die Forderungen seiner eigenen Existenz auf dem Altar der Treue gegen einen Vertrag opfern“.

Der Minister des Aeußern Marquis di San Giuliano erwiderte auf die Interpellation:

Meine Antwort wird kurz, klar und bestimmt sein. Seit mehr als 30 Jahren ist der Drei

““ 1““ 8*

bund für ganz Europa eine Bürgschaft!

des Friedens und für die drei Dreibundmächte selbst eine Bürgschaft der Sicherheit. In den Beziehungen zwischen den Verbündeten er⸗ leichtert und festigt er die gegenseitige Neigung, ihre Interessen in Einklang zu bringen, in den Beziehungen mit den anderen Mächten erleichtern seine friedlichen und defensiven Ziele das Zustandekommen von Freundschaften und Verständigungen. Zu den inter⸗ nationalen Fragen hat er stets einen einträchtigen und fried⸗ lichen Wtllen, der in den gleichen Neigungen der anderen Groß⸗ mächte sein Gegenstück fand, und dessen wohltätige Wirkungen jeder⸗ mann anerkennen muß, mitgebracht und beigesteuert. Die Sicherheit eines dauernden Friedens für die drei Verbündeten und für Europa, die sich zum großen Teil aus diesem Stande der Dinge herleitet, war eine der Hauptursachen der großen und allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritte, die, da sie die Interessen der ganzen zivilisierten Welt immer mehr verknüpfen und verbinden, dadurch ein neues Hindernis für solche großen Kriege bilden, die nicht durch die höchsten Notwendig⸗ keiten des Lebens oder durch die nationale Würde bestimmt werden. Die lange Dauer des europäischen Friedens machte das großartige Werk leichter, das Italien trotz großer äußerer und innerer Schwierigkeiten in den letzten 30 Jahren vollenden konnte, ein Werk, das vielleicht unserer patriotischen Ungeduld langsam erschien, das aber der unbe⸗ fangenen Würdigung der Nachwelt schnell, fruchtbar und ruhmreich wird. Während der letzten dreißig Jahre hat Italien die

auptquellen seines Nationalreichtums entwickelt, dem Staatsbudget

estigkeit und Elastizität gegeben, durch liberale Reformen die soziale Eintracht gefestigt, die Armee und Marine verstärkt und den natio⸗ nalen Geist so gestählt und ihn so einheitlich gestaltet, daß er unter Ueberwindung der schwersten Hindernisse der schwierigen Probe ent⸗ gegentreten und sie besiegen konnte, die uns eine Kolonie gab, die dreimal so groß ist wie unser Mutterland, und die Italien eine Stellung erster Ordnung im Mittelmeer und die höchste Achtung in der Welt sicherte. Die feste inter⸗ nationale Stellung Italiens, deren fundamentale Grundlage der Dreibund ist, war die notwendige Bedingung des Unternehmens, das durch seine Beziehungen und den Einfluß auf die größten Inter⸗ essen Europas und unsere eigenen sowie auf die schwersten Probleme der gegenwärtigen historischen Periode die ernstesten Schwierigkeiten bot. Eine folche internationale Stellung ist eine nicht weniger not⸗ wendige Bedingung für eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Balkankrise, in der Italien um so leichter seine Inter⸗ essen wird wahren können, als es die libysche Frage lösen und sie von dem internationalen Terrain entfernen konnte, bevor die Frage der neuen territorialen Gestaltung auf dem Balkan und des Gleichgewichts in der Adria und im Mittelmeer auftrat. Der Dreibund kann indessen für jede der drei ihn bildenden Mächte seine Früchte zeitigen vorausgesetzt, daß vollkommenes gegen⸗ seitiges Vertrauen für die Gegenwart und Zukunft herrscht, sowie daß jeder der Verbündeten die Ueberzeugung hegt, daß er morgen die Unterstützung des anderen als Ausgleich für das erhalten kann, was er heute für ihn tut, und daß alle drei wissen, daß es sich nicht um eine vorübergehende Verbindung handelt, sondern um ein festes und dauerhaftes Band. Die Sicherheit der Zukunft ist ein wesentlicher Faktor des gegen⸗ seitigen Vertrauens, einer wirksamen Eintracht und einer herzlichen und fruchtbaren Intimität. Aus diesen durch die Erfahrung von dreißig Jahren erprobten Tatsachen ergibt sich das gleiche Interesse der drei Mächte, den Dreibund einige Zeit vor seinem Ablauf zu erneuern. Auf dieser festen Grundlage sowie auf der Basis der italienisch⸗öster⸗ reichisch⸗ungarischen Abkommen von 1897 und 1900, die stets voll⸗ kommen der aktuellen Lage Italiens und Oesterreich⸗Ungarns ent⸗ sprachen die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen an dem Gleichgewicht und der in der Adria am meisten interessierten Mächten sind heute sehr intim und hberslich —, konnten die fundamentalen Linien einer Lösung des albanesischen Problems gefunden werden, entsprechend dem Grundsatz der Nationalität, der Gleichheit ihrer Lage gegenüber Albanien Vund ihrem gleichen Interesse daran, 8sf ein mit der Garantie der Groß⸗ mächte neutralisiertes Albanten sein Leben leben, auf dem Wege der Zivilisalion und des W. ohlergehens fortschreiten, ein dem freien Handel der ganzen Welt offenes Gebiet bilden und gleichzeitig einen Faktor des polltischen Gleichgewichts auf der Balkanhalbinsel und in der Adria bilden kann. So wie der Dreibundbvertrag redigiert ist, gewährleistet er alle unsere Inter⸗ essen und sorgt in vollkommener Weise für unsere Sicherheit. Es lag also kein Grund vor, ihn abzuändern; und keiner der drei Ver⸗ bündeten bat den andern um eine Abänderung. Es ist überflüssig, zu wiederholen, daß der Vertrag defensive und friedliche Zwecke hat, und die Erfahrung beweist, daß jede der drei verbündeten Mächte, um sich an den Geist des Vertrages zu halten und den Verbündeten gegen⸗ über alles mögliche zu tun, damit sie nicht in unnötige Verwicklungen hineingezogen werden, immer versucht hat, und immer versuchen wird, mit den anderen Großmächten bherzliche Beziehungen zu unterhalten und mögliche Ursachen einer Reibung zu entfernen. Dem⸗ gemäß ist in der Lage, die sich aus den Ereignissen auf dem Balkan entwickelt hat, unsere herzliche Freundschaft mit Rußland ein wohl⸗ tuender Faktor. Im übrigen schafft der Besitz von Libyen, das jetzt italienisches Gebiet ist, während er den Wert des Bündnisses für die Mitglieder des Dreibundes steigert, Gefühls⸗ und Interessen⸗ beziehungen zwischen den dreit. großen Nationen, die berufen sind, in Nordafrika das hohe und edle Werk der Zivilisation zu voll⸗ bringen, als Folge ihrer erhabenen Mission gegenüber den ein⸗ geborenen Völkern, die ihrerseits ebenfalls verbunden sind durch Ver⸗ wandtschaften und vielseitige Berührungen und häufig erfüllt sind von gemeinsamen Gefühlen der Abneigung gegen die europäische Herrschaft. Italien, England und Frankreich werden demgemäß alle Fragen, die ihre Nachbarschaft und ihre gegenseitige Stellung in diesen Ge⸗ bieten betreffen, in demselben Geiste behandeln, in dem seinerzeit die noch jetzt in Kraft befindlichen Abkommen getroffen wurden, mit denen die Namen meiner hervorragenden Vorgänger Vicconti Venosti und Prinetti unauslöschlich verbunden sind. Aber das großartige Werk der Zivilisation und der Italienisierung, das unser Land in Libyen zu vollbringen hat, darf nicht den Blick ablenken von anderen großen Interessen, die Italien in allen Teilen der Welt hat, oder von der Fortsetzung des Werkes des ökonomischen und bürgerlichen Fortschritts im Innern, das es jetzt mit bewunderungswerter Ausdauer und so em Erfolg durchführt. Auf diesem Wege wird Italien gehen, ruhig, heiter, stark und voller Vertrauen auf die Zukunft mit der Ueberzeugung, daß sein wachsender wirtschaftlicher Wohlstand und seine moralische Größe in einem dauerhaften und sicheren europäischen Frieden eine starke Bürg⸗ chaft finden werden. Um diese Ziele zu erreichen, muß das Bündnis zwischen Italien, Deutschland und Oesterreich⸗Ungarn, das belebt und fruchtbar gemacht wird durch intime und vertrauensvolle Be⸗ ziehungen zwischen den Verbündeten, der Angelpunkt unserer aus⸗ wärtigen Politik bleiben, die durch ihre Stetigkeit, ihren Zasammen⸗ hang und ihre Festigkeit weiterhin Europa volles Vertrauen und Achtung einflößen soll, auf die seine Loyalität Anspruch hat und die zu verdienen und zu besitzen Italien das Bewußtsein und den Stolz hat. Bei Gelegenheit der Ernennung des Generals Freiherrn Comad von Hötzendorf zum Chef des österreichisch⸗ungarischen General⸗ stabes hat Graf Berchtold mir aus freien Stücken in freundschaft⸗ licher Weise Mitteilungen zugehen lassen, aus denen hervorgeht, daß diese Ernennung in keiner Beziehung zu der auswärtigen Politik der Monarchie steht.

Der Abg. Barzilai erklärte sich von der Antwort San Giulianos nicht befriedigt. Der Republikaner Colajanni empfahl dem Minister, ein wachsames Auge auf das ö Oesterreich⸗ Ungarns in Albanien zu haben. as die serbische Frage anbelange, so halte er es für vorteilhaft für Italien, wenn zwei slawische Nationen an der Adria säßen, deren Interessen unter Umständen sich im Widerstreit befinden könnten. Der Sozialist Graziadei erklärte sich ebenfalls für nicht befriedigt von der Antwort des Ministers und wies darauf hin, daß die Sozialisten Italiens, Deutschlands und Oesterreich⸗Ungarrns gemeinsam für die Erhaltung des Friedens zu wirken gewillt seien.

Türkei.

Zu den Meldungen über eine zweite Seeschlacht zwischen Türken und Griechen veröffentlicht der griechische Marineminister folgendes Funkentelegramm des Oberkomman⸗ danten des ägäischen Geschwaders:

Es hat keine weitere Seeschlacht stattgefunden, weil der Feind nicht mehr auf das offene Meer herausgekommen ist. Wie von Tenedos gemeldet wird, ist die feindliche Flotte beschädigt worden. Wir sind noch immer Herren des Meeres.

Der König Ferdinand von Bulgarien ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern nachmittag in Saloniki einge⸗ troffen und auf dem Bahnhofe von dem Kronprinzen Boris, dem Prinzen Kyrill und dem Kronprinzen von Griechenland empfangen worden. Bald nach seiner Ankunft besuchte der König Ferdinand den König von Griechenland. Ende der Woche, nach Schluß der Kammer, wird auch der Minister⸗ präsident Geschow nach Saloniki reisen, wo das Eintreffen der Könige von Serbien und Montenegro er⸗ wartet wird.

Nach Meldungen von der griechischen Armee in Epirus hat gestern morgen ein heftiger Kampf zwischen griechischer Artillerie und den Türken, die das Fort Bisani besetzt hielten, stattgefunden.

Bulgarien.

Die Regierung hat, wie „W. T. B.“ meldet, in der gestrigen Kammersitzung den Antrag gestellt, angesichts der außerordentlichen Lage die Munizipalwahlen aufzuschieben. Ferner wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Stadt⸗ gemeinde von Widdin zur Aufnahme einer Anleihe von 150 000 Fr. von der Bank von Bulgarien zur Unterstützung der Familien von armen Kombattanten ermächtigt, sowie eine Vorlage, betreffend die Verlängerung des Moratoriums bis zum 30. Tage nach der Demobilisierung einschließlich.

Die Kammer genehmigte sodann in erster Lesung den Gesetzentwurf, mit dem ein außerordentlicher Kredit von 50 Millionen für die Armee bewilligt wird. Gegenüber den im Auslande verbreiteten Behauptungen über eine angeblich schwierige Finanzlage Bulgariens stellte der Finanzminister Theodorow fest, daß diese Behauptungen falsch seien Bulgarien könne, wenn es nötig sei, den Krieg noch drei bis sechs Monate fortsetzen. Indessen hoffe er, daß die Friedens verhandlungen die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten ver⸗ hindern und Bulgarien die Früchte seines Sieges wahren würden. 8

Amerika.

1

Das amerikanische Repräsentantenhaus hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 178 gegen 52 Stimmen eine

Bill über die Einwanderung angenommen, die eine von Senat angenommene Bill ersetzen soll. Nach der neuen Bill sollen über 16 Jahre alte Personen, die nicht lesen können, von der Einwanderung ausgeschlossen sein. Ausgenommen sind Personen, die nachweisen können, daß sie wegen religiöser Ver folgung ausgewandert sind. 8

bbb“ 8 Die Urwahlen in China haben nach Meldungen des „W. T. B.“ bisher eine starke progressistische Mehrheit ergeben.

1“ 1

Puarlamentarische Nachrichten.

Bei der Ersatzwahl eines Mitglieds des Hauses der Abgeordneten, die am 18. d. M. in den Kreisen Züllichau⸗Schwiebus und Krossen, Regierungsbezirk Frankfurt, stattfand, wurde nach amtlicher Feststellung, wie „W. T. B.“ berichtet, an Stelle des verstorbenen freikonser vativen Abgeordneten Student der Rittergutsbesitzer, Re⸗ gierungsrat Gamp⸗Oblath (freikons.) mit 263 Stimmen ge⸗ wählt. Zersplittert waren 13 Stimmen.

Koloniales.

8 Sicherung der 11I11 der südwestafrikanischen üste.

Unter den Hilfsmitteln, die für die Sicherung der Seeschiffahrt bei unsichtigem Wetter verwendet werden, haben in neuerer Zeit die Unterwasserschallsignale große Verbreitung erlangt; sie köͤnnen, von einer unter Wasser angebrach en Glocke ausgehend, von Schiffen, die mit entsprechenden Empfangsappataten ausgerüstet sind, auf be⸗ trächtliche Entfernungen (15 und mehr Kilometer) wahr⸗ genommen werden. In den deutschen Schutzgebieten foll, wie das „Deutsche Kolonialblatt“ berichtet, der erste Ver⸗ such mit einer derartigen Einrichtung an der Küste Südwestafrikas unternommen werden, wo häufig dichter Nebel eintritt und die Ansteuerung wegen der der Käste vorgelagerten Klippen besonders gefährlich ist. Voraussichtlich wird dort und zwar vor Swakopmund schon in diesem Monat eine als An⸗ steuerungszeichen dienende Tonne mit einer Unterwasser⸗ glocke ausgelegt werden. Die Glocke liegt etwa 5,5 m unter dem Meeresspiegel und wird durch einen Klöppel angeschlagen, der mit Hilfe eines durch den See⸗ gang betätigten Mechanismus in Bewegung gesetzt wird. Die Tonne soll etwa 6 Seemeilen (rund 11 km) von der Küste entfernt liegen, so daß die Schiffe die ersten Zeichen schon in verhältnismäßig großer Entfernung erhalten. Zwischen dieser Unterwasserglockentonne und dem Lande wird noch eine Heultonne ausgelegt werden, die den bei unsichtigem Wetter anlaufenden Schiffen als weiterer Weg⸗ weiser dient.

Im Dezemberheft der „Kolonialen Rundschau“, Monats⸗ schrift für die Interessen unserer Schutzgebiete und ihrer Bewohner (Herausgeber: Ernst Vohsen, Schriftleitung: Professor D. Wester⸗ mann, Verlag von Dietrich Reimer, Berlin, Jahresbezugspreis 10 ℳ), macht der Bezirksamtmann Dr. Mansfeld in einem Aufsatz über „das Lepraheim in Ossidinge“ auf die erschreckend starke Ver⸗ breitung des Aussatzes in Kamerun aufmerksam. Um das Uebel wenig⸗ stens in seinem Bezirk zu lokalisieren und, soweit möglich, zu unter⸗ drücken, hat Mansfeld mit geringen Mitteln ein allen hygieni⸗ schen Anforderungen entsprechendes Lepraheim gegründet. Weil von seiten des Gouvernements genügende Mittel nicht zur Verfügung standen, hat Mansfeld diese durch Erhebung einer Erxtra⸗ steuer von den Eingeborenen flüssig gemacht. Da es sich zum größten Teil um noch arbeitsfähige Kranke handelt, ist mit der Anlage ausgedehntes Farmland verbunden, das vollständig bepflanzt wurde, sodaß die Patienten bei ihrem Eintreffen genügende Nahrungs⸗ mittel vorfanden. Das mit vieler persönlicher Mühe durchgeführte Unternehmen verdient die größte Anerkennung, und man kann ihm

nur wünschen, daß es an vielen Orten der Kolonie Nachahmung find 1

In dem gleichen Heft erörtert G. Hildebrand die im Hinblick au

die Neuerwerbungen besonders aktuelle Frage der wirtschaftlichen Ent⸗

wicklung Südkameruns. In einem anderen, von dem Wirklichen Ge⸗ heimen Legationsrat B. von König verfaßten Aufsatz werden die

Schulprobleme in den deutschen Kolonien der Südsee behandelt.

Zzweistu 8 11I1]

Statistik und Volkswirtschaft.

Die deutsche überseeische Auswanderung im Monat November 1912 und in dem gleichen Zeitraume des Vorijahrs.

Es wurden befördert deutsche Auswanderer im Monat November: üb 11I1n1 11 8 736 8 . . . . . 521 ““ deutsche Häfen zusammen 1257 fremde Häfen (soweit ermittelt) 269 überhaupt 1 526

Aus deutschen Häfen wurden im November 1912 neben den 1257 deutschen Auswanderern noch 35 841 Angehörige fremder Staaten

befördert; davon gingen über Bremen 18 741, Hamburg 17

Die Verteilung der Volksschüler in reußen auf die ein⸗ und die mehrstufigen Schulen im Jahre 1911 und in früheren Jahren.

Bei der letzten schulstatistischen Erhebung ist wie bei ihren Vor⸗ gängern die lehrplanmäßige Einrichtung der Volksschulen ermittelt den. Dadurch wird u. a. veranschaulicht, wie sich die Masse der Volksschüler auf die verschiedenstufigen Schulen verteilt, wobei die Annahme gelten darf, daß die reichlicher ausgestalteten Schulen für die Volksbildung mehr leisten als die einfachen. Die Menge der auf jede einzelne Stufe entfallenden Kinderzahl hat in diesem Sinne eine besondere Bedeutung, und die Veränderungen in den Anteilen können im allgemeinen als Kennzeichen der veränderten oder verbesserten Für⸗ orge für den Volksschulunterricht angesehen werden. Die Statistik zeigt einen dauernden Fortschritt in dem Aufbau der preußischen öffentlichen Volksschulen, wie die nachstehenden, der „Stat. Korr.“ entnommenen Zahlenreihen veranschaulichen. Wenn man die „aufsteigenden“ Klassen mit Stufen bezeichnet, so wurden in den öffentlichen Volksschulen Preußens unterrichtet 1911 von allen Volksschülern Hundertteile Schulkinder 1896 1901 1906 1911 einstufigen Schulen 664 478 16,94 12,42 11,09 10,13 zweistufigen 1 030 047 20,27 20,40 18,04 15,70 dreinufigen 98. 16,99 16,06 15,05 13,89 vierstufigen 1 9,35 8,88 7,61 6,99 fünfstufigen 7 6,11 6,08 5,86 5,66 sechesafgen 96 424 21,06 16,05 13,10 10,62 jebenstufigen 1 929 101 9,28 16,07 22,30 29,41 achtstufigen 498 534 8 4,04 6,95 7,60

zusammen 6 559 502 *) 100 100 100 100.

Die ein⸗ und zweistufigen Schulen, d. h. die einfachsten Ge⸗ staltungen, nahmen 1896 37,21 % aller Volksschulen für sich in An⸗ spruch; bis 1911 ist dieser Anteil über 32,82 (1901) und 29,13 (1906) auf 25,83 zurückgegangen. Umgekehrt wurden in Schulen mit 6 und mehr Stufen, d. h. in den bestausgestalteten Volksschulen im Jahre 1896 nur 30,34 %, 1901 36,16, 1906 42,35 und 1911 47,63 % aller Volksschüler unterrichtet. Wenn auch, wie in Nr. 52 des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ vom 27. Februar 1912 nach⸗ gewiesen wurde, in diesen vollkommen ausgestalteten Volksschulen bei weitem nicht alle Kinder das volle Lehrziel, ja nicht einmal die oberste Klasse erreichen, so bleibt es doch ein vergleichsweise sehr ansehnlicher Fortschritt, der sich in den vorgeführten Zahlen zeigt, mag auch der aufrichtige Freund der Volksbildung noch ein Mehr und einen noch schnelleren Fortgang wünschen.

Der größere Teil dieses Vorwärtskommens entfällt allerdings auf die städtischen Volksschulen. Wie bekannt, sind die großen Gemeinden in der Fürsorge für die Volksschule sehr opferwillig. Aber an dem Besserwerden der Verhältnisse nehmen doch auch die ländlichen Gemeinden teil, die Ortschaften mit mehr oder ganz städtischem Wesen am meisten. Im ganzen fanden sich von 100 Volks⸗ schülern der ländlichen Ortschaften

ö“ 189958 1901 1906 1911

einstufi . . 24,95 18,77 17,31 16,17 168ö1ö6ö9. 24,94 . 22,77 22,70 22,32 21,39

9,60 10,13 9,56 9,53

5,09 5,82 6,50 12. 6,22 F11“ 7,31

siebenstufigen 8 11 70]% 4,20 8,41 12,58

achtstufigen ö11 0,15 9,72 0,86.

In den ländlichen Gemeinden umfaßten die ein⸗ und zweistufigen Schulen, zu denen auch die Halbtagsschulen gerechnet sind, 1896 54,62 0% aller Landschulkinder, 1901 49,48, 1906 45,34 und 1911 nur noch 41,11 %; dagegen war der Anteil der in sechs⸗ und mehrstufigen Schulen unterrichteten Kinder in den gleichen Jahren 7,92, 11,86, 16,28 und 20,75 %. Auch hier ist also ein ansehnlicher Fortschritt fest⸗ zustellen. Für die Vergangenheit kann leider nicht nachgewiesen werden, wie diese Verteilung der Schülermasse auf die stufengegliederten Schulen in den größeren oder kleineren Gemeinden war. Das ist nach der Statistik für 1911 insoweit ermöglicht, als mit Rücksicht auf die 8 estimmungen des Lehrerbesoldungsgesetzes die Schulverbände unter⸗ chieden sind a. in solche mit 7 und weniger Schulstellen, b. in solche mit 8 bis 25 Stellen und c. in solche mit mehr als 25 Stellen. Damit sind ungefähr auch drei Stufen der Gemeindegrößen bezeichnet, die in den besprochenen Be 11“ ganz außerordentliche Unterschiede aufweisen. iI diesen drei Größenklassen der Schul⸗ verbände wurden nämlich von je 100 Volksschülern unterrichtet

161“*“ ländlichen der Ortschaften der Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe

2 b 8 a

2,9 1,04 0,28 20,54

542 1,62 0,62 31,71 .13,75 2,33 1,08 26,42 17,66 3,96 1,70 10,22 JI11 6,14 . 31,96 42,31 9,06 3,73 . 9,88 39,92 62,83 1,21 30,26 . 0,30 3,97 22,64 0,03 8 ser Zur besseren Beurteilung des Wertes dieser Verhältnisziffern eien bier noch die absoluten Zahlen hinzugefügt; es waren Volks⸗ schüler: in den Städten der Gruppe a. 138 599, b. 423 573, 8 1 973 293, auf dem Lande in der Gruppe a. 3 007 360, 512 228, c. 504 449. 1 8

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Zur Arbeiterbewegung.

e9 Aus Saarbrücken meldet „W. T. B.“: Im Laufe des rigen Tages wurden auf den einzelnen Berginspektionen des sir drree durch die Vertreter der Belegschaften Kündig ungen s ie gesamten Belegschaftsmitglieder eingereicht, die nicht an⸗ bie Emeghen wurden, weil nicht daraus hervorgehe, für welche Leute dündtgung ausgesprochen werden solle und auch keine Vellmachten 8g egt werden könnten. Einer Kommission wurde spaäter von der Nr. 8800 gdtrektion die gleiche abschlägige Antwort erteilt. (Vgl.

Der Ausstand im Stuck be R 5,1 gewerbe in Hamm ist, der „Rh.⸗ Westf. Ztg. zufolge, nach einer Dauer von 10 Wochen beigelegt öZZbZ1““ ) ungerechnet die 12 638 Schüler der sogenannten „einge⸗ di

dützekten gebobenen Klassen“ Mittelschulklassen an⸗

worden. Vom 1. April ab ist eine Lohnerhöhung von 73 auf 75 für die Stunde vorgesehen.

Auf dem Eisenwerk in St. Ingbert legten gestern, wie die

„Köln. Ztg.“ mitteilt, die Arbeiter des Drahtzuges die Arbeit nieder, da sie mit den neugeregelten Akkordlöhnen unzu⸗ frieden sind. Die Arbeiter hatten schon vor 14 Tagen mit einem Ausstand gedroht, der aber beigelegt wurde, nachdem ihnen versprochen worden war, daß bei gleichem Fleiß der sich ergebende Lohnunterschied nachg zahlt werde. Bei der Löhnung ergaben sich nun doch Lohnausfälle, auf die die Arbeiter mit dem Ausstand antworteten. Die Münchener Brauereiarbeiter lehnten, wie die „Frkf. Ztg“ erfährt, nach langwierigen Verhandlungen einstimmig den Tarifvertrag der Brauereibesitzer ab und beauftragten die Tarif kommission, für den auf vier Jahre abzuschließenden Tarifvertrag ihre Mindestvorschläge erneut vorzulegen.

Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten Beilsge)

Kunst und Wissenschaft.

Die Gemäldesammlung des Germanischen National⸗ museums in Nürnberg hat im Münchener Kunsthandel einen Altar⸗ flügel mit einer Dornenkrönung erworben, der sich als ein mehr handwerkliches Dokument eines in Erfurt ansässigen oder in Erfurt ausgebildeten, nicht unselbständigen Meisters der Zeit um etwa 1430 erwiesen hat. Wenn der Kunstwert des Bildes auch nicht erheblich ist, so war seine Erwerbung doch wesentlich, weil jene Zeit und Gegend in der Sammlung bisher nicht vertreten war. Der aus einer mit Leinwand überzogenen Fichtenplatte gefertigte Altarflügel ist 2,145 m hoch und 0,77 m breit. Auf dem Gemälde, das in der Mitte Christus und symmetrisch zu jeder Seite einen Geißler zeigt, spielt die Architektur eine große Rolle. Die drei Figuren sind in zwei hohe Baldachine eingezwungen, die von schlanken Cäulen getragen werden und mit Spitzdögen, Wimpergen und fensterartig mit Maßwerk ge⸗ schmückten Oeffnungen reich versehen sind. Im? ariser Loupre befindet sich ein gleich großes und auch in gleicher Art wiederhergestelltes Gegenstück zu diesem Flügel, das dort als Französisch, 14. Jahr⸗ hundert“ geführt wird. Die Sammlung Originalplastischer Denkmäler wurde Zum ein kleines Sandstein⸗Grabvdenkmal bereichert, das, aus dem kleinen Hofe eines Nürnberger Hauses stammend, sich als ein Werk von Loy Hering erwies, der zu den Hauptbahnbrechern des südlichen Stils gerechnet werden kann und zu den edelsten, feinsten deutschen Bildhauern des 16. Jahrhunderts gehört. Aus zweiter privater Hand wurde ein Silberfund aus der Renaissancezeit erworben, der im September in der Fränkischen Schweiz bei einem Wohnhausneubau in der Nähe von Pretzfeld gemacht worden ist. Man fand dort bei den Schachtarbeiten einen irdenen Topf, der als Hauptstück einen reizvollen silbernen, zum Teil vergoldeten Becher enthielt. Der nach oben fein ausgeschweifte Körper ist mit einem Schuppenmuster in getriebener Arbeit verziert; der reich gravierte vergoldete Lippenrand und der gleichfalls vergoldete gegossene Fuß weisen Laub⸗ ornamente nach Art der Kleinmeister auf. Der ganze Becher steht auf drei hübsch stilisierten Eicheln mit spiralig gewundenen Stengeln und zeigt unter dem Fuß das Nürnberger Beschauzeichen und eine Meistermarke, die sich aus einem W und drei in den leeren Räumen stehenden Rosetten zusammensetzt. Der Becher mag um 1560 ent⸗ standen sein. Zu dem Funde gehören ferner sieben silberne Löffel aus spätgotischer Zeit mit dem Zeilhoferschen Allianzwappen und dem Wappen eines andern altbayerischen Adelsgeschlechts, wahrscheinlich des v. Lobensteinschen. In dem Topfe befanden sich weiter noch eine langgestreckte Gürtelschließe mit dem Frankenthaler Beschauzeichen, silberne Knöpfe und Pilgerzeichen, Münzen und Jetons, unter denen das späteste datierte Stück aus dem Jahre 1613 stammt. Um diese

eit wird also der kleine Silberschatz vergraben sein. Das Kupfer⸗ tichkabinett erhielt als Geschenk eine umfangreiche Sammlung von Karikaturen auf Bismarck.

Houston Stewart Chamberlain hat seinen Büchern über Kant und Wagner ein solches über Goethe folgen lassen (Verlag von F. Bruckmann in München), das voraussichtlich in dem nicht kleinen Kreise der berufenen und unberufenen Goetheforscher manchen Widerspruch erfahren wird, dessen Durch⸗ arbeiten von dem Leser ein tüchtiges Stück Nacharbeit fordert, an dem aber niemand wird vorübergehen dürfen, der sich mit dem noch immer in feinen Tiefen nicht voll erschöpften Goetheproblem ernsthaft beschäftigen will. Chamberlains Werk ist durchaus eigenartig und im Aufbau wie in der Verarbeitung des Stoffes mit keinem anderen Buche über Goethe zu vergleichen. Was in diesen Hauptsache zu sein pflegt, das äußere Lebensbild, die Darstellung des Werdeganges der einzelnen Dichtwerke und die Zergliederung ihres Inhalts, tritt hier zurück, das Leben wird viel⸗ mehr nur in knappen Umrissen gezeichnet und das Verhältnis zu den anderen Menschen in Liebe und Freundschaft aus der ge⸗ samten Charakteranlage tiefer zu erfassen versucht. Auch in dem Kapitel über Goethe, den Dichter, wird im wesentlichen auf die sein Künstlertum von dem der andern unterscheidenden Grundlagen zurück⸗ gegangen und auf diesen das eigenartige Wesen der Goethischen Dichtung nach Gehalt und Form gekennzeichnet und nur an wenigen Beispielen bis in alle Einzelheiten verfolgt. Vornehmlich aber ist Chamberlains Buch ausgezeichnet durch die eingehende Untersuchung, die Goethe als Naturerforscher und als Weiser in ihm gefunden hat; man kann diese Kapitel durchaus die Hauptabschnitte nennen, wie sie auch räumlich einen beträchtlichen Teil des nahezu 800 Seiten umfassenden Bandes aus⸗ füllen. Aut den ersten Kapiteln seien einige Einzelheiten hervor⸗ gehoben; die grundlegenden Gedanken der letzten, und die Art, wie Chamberlain sie aufbaut, seien dann zu skizzieren versucht. Das Ereignis, das Goethes Leben gleichsam in zwei Hälften zerlegt, er⸗ kennt auch Chamberlain in der Italienischen Reise. Keiner aber hat vor ihm die Rückkehr nach Weimar so klar als sittliche Tat Goethes erkannt und in Ursache und Wirkung dargelegt. Im Verhältnis zu Frau von Stein und Christiane wird gegenüber neuen leidenschaft⸗ lichen Umwertungsversuchen wieder ein maßvollerer Standpunkt ein⸗ genommen, der jener zwar kein Piedestal, wohl aber eine überlegene Stellung einräumt, ohne diese in ihrem guten Recht zu schmälern. Im Freundeskreise wird der zurückhaltende Schweizer Meyer an den hervorragenden Platz gestellt, der diesem treuen Mann und stets be⸗ währten Berater Goethes gebührt. Daß die geordnete, praktische Tätigkeit in Weimar als Gegengewicht für das zur Zersplitterung und Zerstreuung neigende Wesen des jungen Goethe segensreich gewirkt hat, haben schon andere anerkannt. Chamberlain geht aber noch weiter; er will von einer Hemmung des Dichters Goethe durch Amtsgeschäfte und höfische Verpflichtungen überhaupt nichts wissen; er macht auf das weitgehende Entgegenkommen des Herzogs aufmerksam und wendet sich grundsätzlich gegen die Auffassung, in Goethe einen Berufss riftsteller zu sehen. In den großen Abschnitten des Buches, in denen es galt, Goethes Stellung zur Dichtung und zur Naturerforschung klar zu legen, legt Chamberlain ein sehr tiefes und breites Fundament. Er 88 stets auf Aeußerungen Goethes selbst zurück, und da diese, aus verschiedenen Entwicklungsstufen stammend und aus ihrem Zu⸗ sammenhang gelöst, oftmals vieldeutig bleiben, galt es, für Goethes Stellung zu Kunst und Natur erst einen festen Stand⸗ punkt zu gewinnen. Chamberlain heht dabei bald vom allgemeinen auts einzelne zurück, ald schreitet er vom einzelnen zum allgemeinen vor, nähert sich also seinem Ziel, indem er es Ä im Kreise angeht. Manchem Leser wird diese Methode umständlich erscheinen; jedenfalls hat sie den Vorzug, den oft recht verwickelten und schwierigen Gedankenstoff gründli nach allen Seiten zu wenden und von den verschiedensten Standpunkten

aus zu beleuchten. Diese genaue Festle ung der für die Gesamt⸗ persönlichkeit Goethes geltenden Grundlagen kommt der Erkenntnis später doppelt zu gute, da bei oethe der Dichter vom Naturerforscher nicht zu trennen ist, und außer⸗ dem jener mehr exakt, dieser mehr als poietes schaffte. Unter den Dichtern steht Goethe für Chamberlain einsam da. Die Geschichte wisse von keinem ähnlichen zu berichten; er scheint ihm so wenig Vorgänger wie Nachfolger zu haben. Goethes besondere Stellung liege darin, daß sein schöpferischer Geist genau inmitten zweier Welten seine besondere Stellung nehme: zwischen der Kunst des Poerischen (der Wahnkunst) und der Kunst der Sinne. Zwar habe auch er sich bescheiden müssen und nur auf dem einen Kunstgebiet, dem der Wahnkunst, Großes zu schaffen vermocht, aber sein „Sinn“ sei unabwenoöͤbar auf die „Sinne“ gerichtet seine gestaltende Phantasie auf die künstlerisch ge⸗ ormte Wirklichkeit. Goethe selbst hat das so ausgedrückt. Die

anderen Dichter suchten das Poetische zu verwirklichen“, wohingegen

es seine „unablenkbare Richtung“ sei, „dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben“. Das Wirkliche in poetischer Gestalt ist also der Gehalt seiner Dichtung. Das Poetische aber, das Goethe Form ist, ist bei den andern Dichtern Gehalt, und was ihm Gehalt ist, das Wirliche, gilt jenen als die zu findende Form. Den Gehalt für seine Dichtung fand Goethe nun in der ganzen weiten und tiefen Natur. Der Unterschied zwischen seinem Dichten und Naturerforschen liegt wesentlich nur in der Form, nämlich in dem, was die Phantasie im Bunde mit der lenkenden Vernunft aus dem gleichen gegebenen Wirklichkeitsgehalte macht. Die Form gestaltete sich ihm unter dem Einfluß eines Instinkts zu schlichter Naturtreue und anderseits zu ungezügelter Freiheit der Phantasie. Der Abschnitt über Goethe als Naturerforscher erhielt seine Eigenart und seinen besonderen Wert dadurch, daß Chamberlain zwar durchaus die naturwissenschaftliche Bildung kesitzt, um diese Frage gründlich behandeln zu können, daß er aber nicht ein „Nur⸗Fachmann“ ist. So tritt er aus einer anderen Stellung an die Frage und kommt zu einer grundverschiedenen Bewertung. Wenn Fachmänner sich mit Goethe als Naturerforscher beschäftigt haben, legten sie an ihn den Maßstab des zünftigen Gelehrten, des exakten Forschers und zogen ihm dieselben Grenzen, die ihre Kreise stets beachten sollten. Sie kamen dann zu dem Ergebnis, Goethe sei eigentlich nur ein genialer Dilettant ge⸗ wesen. Sein Hauptversuch, die Aufstellung einer Farbenlehre, sei gescheitert, seine Annahme des Neptunismus irrtümlich man es Inter⸗ essante aber habe er entdeckt, so den Zwischenkieferknochen, manches intuitiv vorausgeahnt, wie er denn ein Vorlä

genannt werden könne. Chamberlain lehnt diesen Standpunkt w die Folgerungen grundsätzlich ab. Goethe einen Vorläufer Darwins zu nennen, sei unzutreffend, denn die Annahme einer Entwicklung, wenn auch nicht einer im Darwinschen Sinne, sei damals in weiten Kreisen der Gebildeten verbreitet gewesen; die Annahme, Goethe sei ein Ver⸗ fechter des Neptunismus gewesen, sei grundfalsch; viel bedeutender als das zufällige Finden des Zwischenkieferknochens sei manches andere,

Goethes Stellung zur Naturerforschung überhaupt. Den Wert der erakten Einzelforschung hat Goethe nie unterschätzt, wennschon sie seiner Natur nicht zusagte und seinen Fähigkeiten wenig ent⸗ sprach; er hat sie vielmehr als den gebotenen Weg für den Naturforscher anerkannt und auf Einzelgebieten selbst ausgeübt. Chamberlain geht bei seiner Festsetzung der Grundbegriffe auf die durch Anaxagoras gefundene geniale Unterscheidung von Nus und Physis zurück, die dann durch den Konfusionsbegriff „natura“ bei Lukretius eingeengt und verkrüppelt wurde, bis Kirchen⸗ väter, Neuplatoniker, Mpstiker u. a. ein völliges Begriffschaos schufen. Goethe habe nun der Vorstellung „Natur“ gegenüber je nach Tag und Stunde eine verschiedene Stellung eingenommen: als Naiver Dogmatiker und Methodiker; als Dogmatiker sei er aber nie Ma⸗ terialist, sondern Spiritualist, als Methodiker Architekt, nicht Mathe matiker gewesen. Grundsätzlich habe er auch an der Trennung vom Organischen und Unorganischen festgehalten (Leben nur kann Leben eben). Im Organischen sah er eine langsame Entwicklung zu höheren

ormen; seine Forderung, auch in der anorganischen Natur Gestalt und nicht Gewalt zu erblicken, war eine ideelle. In dieser Ideen bildenden Richtung, in der Art, die Natur an⸗ schaulich und gedanklich zu erfassen, liegt für Chamberlain Goethes Bedeutung als Naturerschauer. Er weist ihm in dieser Hinsicht die Stellung eines Plato der neuen Zeit an. Goethe begann, dem eigenen dunkeln Drange folgend, für die Be. trachtung der Natur auszuführen, was Kant auf Grund seiner Analyse des Menschengeistes forderte: wir müßten unser empirisches Vermögen für die Anschauung der Natur erweitern, worauf dann ein Bestreben des Gemüts eintrete, darauf gerichtet, „die Vorstellung der Sinne diesen Ideen angemessen zu machen“. Es ist unmöglich, die von Chamberlain verfolgten Gedankengänge hier auch nur kurz zu skizzieren. Vielleicht aber fühlt der e bereits heraus, inwie⸗ weit das Kapitel über Goethe als Naturerforscher gerade in unsern Tagen besonderes Interesse verdient. Die moderne Natur⸗ wissenschaft hat die gewaltigen Erfolge der exakten Forschung zum Anlaß genommen, die Gesamtnatur, Nus und Physis, in den Kreis ihrer exakten Forschung zu ziehen, und auch die geistigen Phänomene mechanisch zu erklären versucht. Das geschieht auf mancherlei Weise bis zu der kraßmaterialistischen, die einen namhaften Physiologen z. B. zu dem von seinem Standpunkt aus durchaus logischen Er⸗ gebnis führt, daß, „wenn ein Mann sein Leben für ein Ideal auf⸗ opfert für Vaterland, Glauben, Ehre hier lediglich eine „chemische Reaktion“ zugrunde liege; diese Reaktion betrachtet der Ge⸗ lehrte als Krankheitserscheinung, hervorgebracht durch vermehrte Reiz⸗ barkeit gewisser Gewebe; infolge der schädlichen Reaktion wird der don dieser Krankheit befallene Mensch zum Sklaven eines Wahns und gebt in den Tod.“ Einer solchen flachen, materialistischen Auffassung der Natur ist die Goethes wie in Todfeindschaft entgegengesetzt; beute herrscht jene aber in weiten Kreisen. Nach Ansicht Goethes führt sie zur Barbarei. Das Kapitel „Goethe als Naturerforscher“ und das letzte, Der Weise, sollten mit doppelter Aufmerksamkeit gelesen werden, weil trotz der scheinbar so lebhaften Beschäftigung weiter Kreise mit Goethe gerade

herrschen; sonst wäre es z. B. gar nicht möglich, daß die modernen Monisten ihn für sich in Anspruch nähmen Noch sei darauf hingewiesen, daß Chamberlatn, wie Erd mann und E., Gans, den Einfluß Spinozas auf Goeth bedeutend einschränkt und demjenigen Kants seit dem Verkehr mit Schiller die herrschende Ste ung einräumt, sowohl für sein Erforschung der Natur, wie für seine Befassung mit dem Wesen aller Kunst. Sehr lehrreich ist auch der Nachweis der innigen Berührungs punkte mit Leibniz, der bisher nirgends so eingehend und anschaulich eführt wurde. Das Gleiche gilt von den Abschnitten des letzten apitels, die von dem Gottesbegriff Goethes und seiner Religion wie von seiner Stellung zu den christlichen Bekenntnissen dandeln. Das Buch klingt mit einem Spruch Goethes aus, der dem Ver fasser als der Inbegrif der Weisheit des unsterblichen Mannes er⸗ scheint, er lautet: „Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes; heiterer Ueberblick des beweglichen, immer kreis⸗ und spiralartig wiederkehrenden Erdetreibens: Liebe, Neigung zwischen zwei

Der Spruch hätte auch als Motto an der Spitze des Bandes steben können. Dies Buch ist die Frucht von sieben Arbeitsjahren. Der Leser wird für diese Arbeit dankbar sein, denn sie hat ihm einen

er wird hinfort nicht nur einzelnes in dessen Werken besser versteben. gleichsam in neuem Lichte schauen, sondern zu der Gesamterscheinung eine deren Erfassen erleichternde Stellun einzunehmen d .

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über seine Stellung zu Natur und Gott die unklarsten Begriffe

Welten schwebend; alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend.“ 3

so seine Lehre, daß es eine Eiszeit gegeben habe. Doch das sind Nebensachen gegenüber Chamberlains grundlegender Feststellung von

neuen, nahe zuführenden Weg zu der Persönlichkeit Goethes gebfnet;

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