fahrungen im Genossenschaftswesen könnte die Führung übernehmen. Ich verkenne durchaus nicht die Schwierigkeiten der Kreditgenossenschaften. Bei den Großbanken findet der gewerbliche Mittelstand in der Regel nicht eine Befriedigung seines Kreditbedürfnisses, und bei den kleinen Bankiers erst recht nicht. Bei diesen ist das Risiko viel größer als bei den Genossenschaften. Ich kann nur zum Schluß die Hoffnung aussprechen, daß der Bundesrat die gewünschten Maßregeln treffe und gesetzliche Schritte unternehme, sonst können wir unmöglich alauben, daß es ihm mit der Erhaltung und Förderung des selbständigen Mittelstandes wirklich ernst ist.
Präsident Dr. Kaempf: Der Abg. Irl hat gesagt: „Wenn der Abg. Dr. Müller⸗Meiningen gewußt hat, daß Wetterlé nicht dem Zentrum angehört, so war es nicht ehrlich von ihm in dieser Weise gegen uns vorzugehen“. Auch in diesem Zusammenhang muß ich den der ÜUnehrlichkeit als parlamentarisch für unzulässig er⸗
aren.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Innern Dr. Delbrück:
Meine Herren! Bei der Vielseitigkeit meines Ressorts und bei der Verschiedenartigkeit der Gegenstände, die die Herren Redner, die bis jetzt zu meinem Etat gesprochen haben, vorzugsweise behandelt haben, ist es für mich nicht ganz leicht, auf die Fülle der Fragen und Anregungen, die mir im Laufe der vergangenen beiden Tage und im Laufe der heutigen Debatte entgegengebracht worden sind, vollständig und in einer geordneten Rede zu antworten. Ich bitte, mir also zu gestatten, wie ich das auch in früheren Jahren getan habe, einzelne große Gebiete melnes Ressorts voneinander gesondert zu behandeln. Ich glaube, daß es nach dem Gange der Erörterungen, die wir bis jetzt gehört haben, vielleicht am zweckdienlichsten ist, wenn ich mich heute auf Ausführungen zur Sozialpolitik beschränke und mir — wie ich hiermit ausdrücklich erkläre — eine Erörterung der im übrigen in der Debatte bereits gestreiften und mehr oder minder eingehend be⸗ handelten Gegenstände, wie z. B. des Themas, über das soeben der Herr Vorredner sprach, für besondere Reden an einem der späteren Tage vorbehalte.
Was nun, meine Herren, die Sozialpolitik betrifft, so haben die meisten der Herren Redner, die bis jetzt gesprochen haben, eine einzelne Frage aus dem großen Kompler dieser Fragen herausgegriffen und fehr eingehend erörtert: das ist die Frage des Koalitionsrechts. Aus diesem Grunde ist es mir vielleicht gestattet, zunächst einmal mit einigen Worten das zu besprechen, was in dieser Beziehung bisher vorgebracht ist.
Meine Herren, den Anlaß zu den Crörterungen über das Koalitionsrecht hat die Rede gegeben, die ich zu diesem Gegen⸗ stande am 10. Dezember v. J. gehalten habe. Es liegt nicht in meiner Absicht, die weitschichtigen Erörterungen einer, glaube ich, dreitägigen Debatte heute hier wieder aufleben zu lassen, und ich muß auch sagen, daß ich nach den Ausführungen, namentlich des Herrn Abg. Müller (Meiningen) und des Herrn Abg. Fischer keine rechte Veranlassung sehe, wieder in die Tiefen dieser Materie hinabzusteigen. Ich möchte in bezug auf meine Rede vom 10. Dezember nur kurz folgendes feststellen.
Diese Rede hat lediglich den Zweck gehabt, an der Hand der Gesetzgebung, an der Hand der geschichtlichen Entwicklung unserer Gesetze und an der Hand der Judikatur die Grenzen des Koalitionsrechts und die Grenzen der Gültigkeit des Reichsvereiusgesetzes festzulegen. Die zuristischen Ausführungen, die ich in dieser Beziehung gemacht habe, sind nach meiner Ansicht nicht widerlegt, weder von den Rednern hier im Hause, noch von der Presse, die sich ausgiebig mit diesem Gegenstande beschäftigt hat. Und wenn der Herr Abg. Müller (Meiningen) gestern gesagt hat, unsere Einigkeit in diesem Gebiete sei nicht so groß, wie ich gemeint hätte, so kann ich darauf nur er⸗ widern, daß ich in der Zwischenzeit noch einmal den Kommentar des Herrn Müller (Meiningen) zum Vereinsgesetz eingehend angesehen und doch gefunden habe, daß ich eigentlich auf derselben Grundlage auf⸗ gebaut habe wie er, wenn auch vielleicht in einzelnen Punkten die Folgerungen etwas auseinandergehen. Richtig ist es, meine Herren, daß ich mich bei meinen Ausführungen am 10. Dezember nicht auf die Konfequenzen eingelassen habe, die sich aus meinen Ausführungen zu den Handlungen und Aeußerungen bestimmter Ressorts bezw. ihrer Chefs im Reiche und in den Bundesstaaten etwa ergeben könnten. Das war nicht meine Absicht und in gewissen Grenzen auch nicht meine Aufgabe. Ich habe, soweit die Beziehungen des Reichs zu den Bundesstaaten in Frage kommen, der Natur der Dinge nach immer nur die Grundsätze festzulegen, nach denen die Reichsgesetze anzuwenden sind. Es ist aber nicht meines Amtes und kann nicht meines Amtes sein, in die Kritik der Beurteilung einzutreten, die einzelne tatsächliche Vorkommnisse innerhalb der einzelnen Bundes⸗ staaten gefunden haben. Ich bin nur verpflichtet einzuschreiten, wenn ich feststelle, daß eine grundsätzliche Abweichung von den Auf⸗ fassungen des Reichskanzlers vorliegt. Ich habe es ferner ab⸗ sichtlich vermieden, auf das einzugehen, was die einzelnen Chefs der Reichsressorts ausgeführt haben. Ich habe mich auch hier aus wohlerwogenen Gründen auf die Feststellung der Grundsätze beschränkt, die nach der Ansicht des Herrn Reichskanzlers hinsichtlich der Koalitionsfreiheit und der Ausführung des Vereins⸗ gesetzes anzuwenden sind. Wie diese einzelnen Grundsätze in bezug auf bestimmte Verhältnisse und Vorkommnisse innerhalb der einzelnen Ressorts angewandt sind, das zu vertreten ist nicht meine Sache; das wird gedeckt durch die Verantwortlichkeit des unmittelbar be⸗ teiligten Ressortchefs. Also was ich am 10. Dezember habe geben wollen, war nichts als die juristische Umgrenzung des Koalitionsrechts und des Vereinsgesetzes.
Meine Herren, es ist aber auch unzutreffend, wenn mir der Herr Abg. Fischer vorgeworfen hat, daß meine Ausführungen zum Koalitionsrecht eine Verneinung des Koalitionsrechts bedeuten, daß, wie es in der Presse gelautet hat, das Koalitionsrecht durch mich mit einem Schlage vernichtet wäre. Nein, meine Herren, das ist nicht richtig. Im Gegenteil, ich habe gefragt: wo sind die Quellen des Koalitionsrechts? und habe sie ausdrücklich festgelegt gefunden in den Verfassungen der Bundesstaaten. Ich habe dann die Grenzen erörtert, die sich für die Handhabung des Koalitionsrechtes ergeben, und ich habe den Eindruck, daß die Festlegung der Grenzen, die ich namentlich für die staatlichen Betriebe und bezüglich der Beamten gezogen habe, keineswegs eine ungünstige ist, keineswegs das Koalitionsrecht der Arbeiter in staat⸗ lichen Betrieben und das Koalitionsrecht und Vereinsrecht der Beamten beeinträchtigt. Ich habe nur im beiderseitigen Interesse, damit nicht der ewige Streit über die rechtlichen Grenzen besteht, versucht, diese Grenzen festzulegen. Und, meine Herren, wenn wir
Staatssekretär des
versuchen, die zahlreichen Streitfragen, die auf diesem Ge⸗ biete noch an uns herantreten werden, zunächst nach diesen Grundsätzen zu beurteilen, dann werden wir viel weiter kommen, als wenn von Ihrer Selte immer der Versuch gemacht wird, über die Grenzen hinaus ein Koalitionsrecht zu konstruieren, das nicht besteht.
Diese Versuche sind nach meiner Ansicht namentlich auch um deswillen beklagenswert, weil auf diese Art und Weise die Regierung in der Behandlung der Fragen des Koalitionsrechts stets in eine Kämpferstellung gezwungen wird, und weil aus dem dauernden Ab⸗ weisen unberechtigter Angriffe eine gewisse Unfreundlichkeit in unseren Aeußerungen über diese Fragen liegt, die wir gar nicht beabsichtigt haben; die Neigungen der einzelnen Ressorts, die ihnen gegebenen Befugnisse liberal, freundlich und entgegenkommend zu handhaben, wird sicher nicht gesteigert, wenn ihnen ununterbrochen der Vorwurf gemacht wird, daß sie das Recht und daß sie die guten Sitten ver⸗ letzt haben.
Es hat dann im Anschluß an diese meine Ausführungen über das Koalitionsrecht der Herr Abgeordnete Müller (Meiningen) auch meine Ausführungen zur Gewerkschaftsenzyklika behandelt. Meine Herren, ich habe vorhin schon angedeutet, daß ich den Ausführungen vom 10. Dezember vorigen Jahres nichts hinzuzufügen und von dem damals Gesagten nichts zu ändern oder zurückzunehmen habe. Das gilt auch in allen Punkten von den Aus⸗ führungen zur Enzyklika, die ich im Zusammenhange mit meinen Ausführungen über das Koalitionsrecht gemacht habe. (Hört, hört! links.) Was ich damals gesagt habe, halte ich in allen Punkten auf⸗ recht. Es handelte sich auch, wie ich nochmals wiederholen möchte, lediglich darum, den Geltungsbereich des § 1 des Reichsvereins⸗ gesetzes nach allen Richtungen hin festzulegen. Was ich in dieser Be⸗ ziehung gesagt habe, ist nach meiner Auffassung nicht widerlegt.
Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat nun aus meinen Aus⸗ führungen gestern weitgehende Konsequenzen auf kirchenpolitischem Gebiet gezogen, aber, wenn ich ihn recht verstanden habe, hinzugefügt, daß ich wohl selbst an diese Konsequenzen nicht gedacht hätte. (Sehr richtig! links.) Das letztere ist richtig. (Heiterkeit im Zentrum.) Es fehlte für mich jede Veranlassung, diese Konsequenzen in dem Zusammenhange, in dem ich gesprochen habe, zu erörtern; ich ziehe sie auch heute nicht, und ich lehne ihre Berechtigung hiermit ausdrücklich ab.
Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat dann ferner eine Auf⸗ klärung über den Inhalt der mit der römischen Kurie gepflogenen Verhandlungen gewünscht. Meine Herren, es ist nicht üblich, über derartige diplomatische Verhandlungen ohne Zustimmung des anderen Teils in der Oeffentlichkeit Mitteilungen zu machen; es ge⸗ nügt aber meines Erachtens auch vollständig die schon damals gemachte Feststellung, daß wir in den Gevwerk⸗ schaftsstreik vermittelnd eingegriffen und in Rom zugunsten der interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften gewirkt haben, und zwar, wie ich auf eine Anfrage des Herrn Abg. Müller (Meiningen) ergänzend bemerken will, bevor die Enzyklika erging, daß die letztere den Willen der Kurie erkennen läßt, den katholischen Arbeitern den Beitritt zu den Gewerkschaften nicht zu verschränken, und daß endlich, wie mir von angesehenen Freunden der Gewerkschaften wiederholt be⸗ stätigt ist, das Fortbestehen dieser Gewerkschaften in der bisher gen Weise nunmehr gesichert erscheint. Ich glaube, ich kann damit diesen Teil meiner Erörterungen zum Koalitionsrecht verlassen.
Ein mit dem Koalitionsrecht zusammenhängender Gegenstand ist dann die von verschiedenen Rednern, ganz besonders aber von dem Herrn Grafen von Westarp gestern erörterte Frage des Schutzes der Arbeitswilligen. Ich habe mich im vergangenen Jahre über diese Frage eingehend geäußert, und ich möchte auch hier zur Ver⸗ meidung von Mißverständnissen ausdrücklich feststellen, daß das, was ich im vorigen Jahre hierzu gesagt habe, auch heute noch meine Meinung, auch heute noch die Meinung der sonst beteiligten Ressorts und insbesondere die Meinung des Herrn Reichskanzlers ist. Alle Forderungen, die zum Schutze der Arbeitswilligen gestellt werden, pflegen in dem Rufe nach einem Verbot des Streikpostenstehens zu gipfeln. Ich habe wiederholt hier auszuführen die Ehre gehabt und möchte es noch einmal wiederholen, daß ich ein solches Verbot des Streikpostenstehens für ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung der Uebel ansehen muß (sehr richtig! links), deren Vorhandensein ich mit Ihnen anerkenne. Der Terrorismus, der dem Arbeitswilligen, seiner Familie und seinen Angehörigen das Leben bedroht und verbittert, wird nur zu einem ganz kleinen Teile durch den Streikposten ausgeübt, sondern er wird durch zahllose Leute aus⸗ geübt, durch Spaziergänger, durch Frauen, die zu Markte gehen, durch Jugendliche, die die Arbeitswilligen begleiten (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten); er wird ausgeübt in den Werkstätten, auf den Korridoren, in den gemeinschaftlichen Waschküchen, in den Konsumvereinen (Lachen bei den Sozialdemokraten), in den Läden, in den Restaurationen. Diesen Terror bekämpfen Sie nicht mit einem Verbot des Streik⸗ postenstehens, ganz abgesehen davon, daß es überaus schwer sein wird, eine juristisch einwandfreie Formulierung des Tatbestandes des Streikpostenstehens zu finden. Ich weiß, daß man ander⸗ wärts anderer Meinung ist. Ich habe die Sache oft geprüft, habe sie gemeinschaftlich mit dem Herrn Staatssekretär des Reichsjustizamts geprüft, und wir sind immer zu demselben Ergebnis gekommen. Das Ergebnis war, daß, wenn man die Erscheinungen, unter deren Symptomen auch die Belästigungen der Arbeitswilligen durch die Streikposten stehen, wirksam bekämpfen will, das nur geschehen kann, wenn man eine systematische Aenderung unserer strafgesetzlichen
Bestimmungen über die Beleidigung, über die Nötigung, über Körper⸗ verletzung und was dergleichen mehr ist, eintreten läßt. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Mit der Bearbeitung dieser Bestimmungen sind wir beschäftigt. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich halte es nicht für richtig, sie etwa losgelöst, herausgerissen aus dem System des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuchs in einzelnen Paragraphen hier zur Regelung zu bringen. Allein schon daran, daß es sich um eine neue systematische Behandlung einer ganzen Reihe von Straftaten handelt, würde der Versuch scheitern, hier in diesem Hause — es mag zusammengesetzt sein, wie es will — eine Einigung über eine wirksame Ausgestaltung dieser Materie zu erzielen. (Sehr rich⸗ tig! im Zentrum.)
das geltende Recht mit den besonderen Bestimmungen des § 153 tat⸗
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und Ausschreitungen bei Gelegenheit von Streiks zu begegnen. (Sehr
richtig!)
Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigen nach meiner Meinung die Vorgänge im Ruhrrevier. Es ist aus Anlaß des letzten Streiks im Ruhrrevier zu einer Unzahl von strafrechtlichen Ver⸗ folgungen gekommen. Ich habe nach Prüfung dieser Strafsachen den Eindruck gewonnen, daß fast alle diese Ausschreitungen vorgekommen und zur gerichtlichen Verantwortung gezogen worden wären, auch wenn wir ein Verbot des Streikpostenstehens gehabt hätten. Im möchte hier einige nicht uninteressante Zahlen in dieser Richtung geben. Es sind etwa 2000 Anklagen auf Grund des Streiks im Ruhrrevier erhoben worden. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) In diesen Fällen hat es sich in ganz überwiegendem Maße um Ausschreitungen und Vergehen von streikenden Bergleuten gegenüber Arbeitswilligen ge⸗ handelt, während umgekehrt unter den Strafsachen eine verhältnis⸗ mäßig geringe Zahl von Fällen ist, in denen Ausschreitungen von Arbeitswilligen zur Kenntnis der Behörden und zur Aburteilung ge⸗ langt siud. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Dann ist es sehr charakteristisch, festzustellen, daß ein großer Teil dieser Verurteilungen sich gegen Jugendliche gerichtet hat; ich glaube: von den 2000 Fällen sinn es etwa 700, in denen Jugendliche bestraft worden sind. Meine Herren, Jugendliche stehen nicht Streikposten, sondern die Jugend⸗ lichen beteiligen sich an den allgemeinen Unternehmungen gegen die Arbeitswilligen; aber sie werden niemals als Beauftragte einer Ge⸗ werkschaft die besonderen Funktionen eines Streikpostens wahrzunehmen haben. (Zurufe.) — Jedenfalls wird das für gewöhnlich eine Aus⸗ nahme sein.
Sehr groß ist die Zahl der verurteilten Frauen. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Es sind ungefähr 400 Fälle. Auch Frauen werden in der Regel nicht zu den Streikposten gehören, sondern sie werden mehr als Franctireurs das Heer der Arbeits⸗ willigen belästigen. (Erneutes Lachen bei den Scozialdemokraten.) Nun sind speziell die Vergehen der Frauen leicht gewesen. Es handelt sich in der Regel um Beleidigungen, um Ehrenkränkungen, allerdings häufig ganz besonders gehässiger Art. Schwere Vergehen sind verhältnismäßig selten vorgekommen; im allgemeinen überschreitet das Strafmaß, glaube ich, zwei Monate nicht, abgesehen von einzelnen Fällen, wo schwerere Vergehen abzuurteilen waren. Aber diese schwereren Vergehen sind im wesentlichen Widerstand gegen die Staatsgewalt, gegen die Beamten, gegen das Militär. Alle diese Delikte sind auch wieder meist hervorgerufen worden durch den Schutz, den Polizeibeamte, Militär usw. den Arbeitswilligen an⸗ gedeihen lassen mußten. Das Charakteristische dieses Streiks, die Schwierigkeit der Bekämpfung seiner Nebenerscheinungen durch Polizei usw., ist wesentlich in dem Umstande zu suchen, daß eben in diesem Falle ein großer Teil der Arbeiterschaft entschlossen war, die Arbeit nicht niederzulegen, und ferner in der rücksichtslosen Be⸗ handlung, die diese arbeitswilligen Teile der Arbeiterschaft von allen streikenden Arbeitern zu erfahren gehabt haben.
Meine Herren, daran möchte ich noch eine Bemerkung anknüpfen. Ich habe es ausdrücklich abgelehnt, durch ein besonderes Gesetz, welches das Streikpostenstehen verbietet, hier einzugreifen, weil ich ein solches Eingreifen für erfolglos und ergebnislos halten würde. Aber, meine Herren, gerade die Vorgänge im Ruhrrevier beweisen doch, daß diejenigen recht haben, die in erhöhtem Maße über die Belästigung der Arbeits⸗ willigen klagen, und zwar sind das nicht bloß Arbeitgeber, nicht bloß Behörden und Beamte, sondern es sind in ganz außerordentlichem Maße die von diesen Belästigungen getroffenen Arbeiter selbst. Es ist im vorigen Frühjahr kaum ein Tag vergangen, wo nicht Stöße von Depeschen bei mir eingegangen sind, wo nicht Deputationen bei mir gewesen sind, die um Schutz gegenüber den Ausschreitungen der Streikenden gebeten haben. Meine Herren, wo Rauch ist, pflegt auch Feuer zu sein, und wir haben gewiß die Pflicht, dieses Feuer zu be⸗ kämpfen. (Sehr richtig! rechts.) Und Sie haben gewiß keine Be⸗ rechtigung, sich über scharfmacherische Tendenzen bei der Regierung oder bei den Arbeitgebern oder bei anderen Parteien zu beklagen, wenn wir diesen Uebelständen, die sich grade bei dem Streik im Ruhrrevier wieder gezeigt haben, unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Meine Herren, dazu möchte ich noch eine kurze Bemerkung machen. Wenn alles das passiert, wenn dieser Ruf nach einer Be⸗ schränkung der Koalitionsfreiheit immer stärker auch in diesem Hause ertönt, so tragen Sie allein die Schuld. (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten.) Meine Herren, aus einem sehr einfachen Grunde: niemand wird angefochten, niemand wird angegriffen, niemand gibt Anlaß zu Beschwerden, wer die ihm zustehenden Rechte in einer Weise ausübt, daß nicht die Rechte anderer, die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht, die Gesundheit und das Leben dritter beein⸗ trächtigt werden; wenn Sie, was Sie bei der wunderbaren Disziplin Ihrer Leute sehr wohl könnten, dahin wirken wollten, daß die Hand⸗ habung der Streiks und ihre Durchführung sich in Formen bewegten, die die Freiheit anderer unangetastet lassen, die nicht zahlreiche Konflikte mit dem Strafgesetz herbeiführten, dann würde keinem Menschen in diesem Hause auch nur der Gedanke kommen, nach Einschränkung der Koaälitionsfreiheit zu rufen. (Sehr richtig! — Lachen bei den Sozial⸗ demokraten.) Das, meine Herren, möchte ich bei dieser Gelegenheit mit allem Nachdruck feststellen. (Zuruf bei den Soztaldemokraten: Lassen Sie die Polizei zu Hause!) — Die Polizei war notwendig und mußte herbeigerufen werden und zwar in immer verstärktem Maße infolge der immer fortgesetzten Klagen und Beschwerden der Arbeitswilligen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.)
Es ist das wieder einer von den Fällen — ich habe schon öfter darauf hingewiesen —, in denen man mit Fug und Recht behaupten kann, daß ein Hindernis für eine gesunde und normale Fortführung unserer Soztalpolitik bei Ihnen (— nach links gewendet —) liegt, in der Art, wie Sie Ihre vermeintlichen Rechte verfechten, und in der Art, wie Sie Ihre vermeintlichen Rechte verquicken mit utopischen politischen Forderungen. Ich werde auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen.
Ich glaube, ich habe damit die Frage des Koalitionsrechts, soweit es im Rahmen der heutigen Debatte liegt, erschöpfend behandelt, und ich komme nunmehr auf einige Ausführungen, die der Herr Abg⸗ Fischer auf dem Gebiete der Sozialpolitik im allgemeinen gemacht hat.
Nun, meine Herren, ich war darauf gefaßt, daß der Regierung der Vorwurf der Untätigkeit, mangelhaften sozialen Verständnisses
und dergleichen mehr gemacht werden würde. Ich war aber gespannt Nun bin ich nach wie vor der Meinung, daß in der Hauptsache
auf die Begründung dieser Vorwürfe, und ich muß sagen: mich hat die⸗ Begründung dieser Vorwürfe eigentlich enttäuscht. Wenn man aus den
sächlich ausreicht (sehr richtig!), um Ausschreitungen von Streikposten 1 Ausführungen des Herrn Abg. Fischer die pikanten Momente ausschaltet,
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te sich aus dem Umstande ergaben, daß ihm ein Teil der Kor⸗ sspondenz zwischen mir und dem Herrn Minister des Innern über ie Wahlurnen auf den Tisch geflogen war, bleibt verhältnismäßig enig übrig; denn wesentlich auf diese Korrespondenz, die einen ganz nderen Gegenstand behandelt, baut der Herr Abg. Fischer die Vor⸗ sellung, daß das Reichsamt des Innern, die Reichsregierung unfähig ti irgend eine Aktion auf sozialpolitischem Gebiete zustande zu ringen, weil sie in völliger Abhängigkeit von dem preußischen vlizeiminister set, daneben will er dann unsere Unfruchtbarkeit be⸗ Leisen, indem er im wesentlichen 6 Punkte von untergeordneter Be⸗ eatung hervorhebt. Er macht darauf aufmerksam, daß die nobeitsverhältnisse in der Binnenschiffahrt, in der Haus⸗ mndustrie, in den Wasch⸗ und Plättanstalten geregelt werden güsen, und daß die Nachtarbeit der Bäcker und die Honntagsarbeit im Handelsgewerbe abgeschafft werden müsse.
Ich habe das Stenogramm der Rede nicht hier, h zitiere den „Vorwärts; in seiner Nummer vom u. Januar d. J. Er macht ferner aufmerksam auf das jehlen eines Reichsberggesetzes und hebt besonders hervor, daß die lnfruchtbarkeit der Reichsregierung auf sozialpolitischem Gebiete sich min zeige, daß die Zahl der Verordnungen, die wir auf Grund des 120 e der Gewerbeordnung von Bundesrats wegen erlassen, von Fahr zu Jahr geringer wird, respektive in letzter Zeit überhaupt der⸗ grtige Verordnungen nicht mehr ergangen seien. Auf den letzteren punkt werde ich nachher zurückkommen.
Ich möchte vorweg mit wenigen Worten auf die einzelnen Punkte ingehen, die der Herr Abg. Fischer als besonders belastend hervor⸗ iehoben hat. Er hat getadelt, daß in der Ordnung der Arbeite⸗ berhältnisse auf dem Gebiete der Binnenschiffahrt noch nichts gschehen sei. Das ist richtig. Ich habe im vergangenen Jahre und nuch schon früher darauf hingewiesen, daß die zahllosen Verhand⸗ lungen und Ermittlungen, die wir veranstaltet haben, immer lezeit haben, wie verschieden die Verhältnisse der Binnenschiffahrt in den einzelnen Provinzen und Stromgebieten liegen, sodaß eine generelle Regelung auf Grund des § 120 e der Gewerbeordnung zur einige allgemeine Vorschriften und Bestimmungen würde enthalten fönnen. Ich habe schon im vorigen Jahre darauf hingewiesen, daß unter diesen Umständen es zweckmäßig sei, stromgebietweise vorzugehen, eoß insbesondere für das Stromgebiet des Rheins, wo zweifellos Mißstände bestehen (sehr richtig!) und diese am ersten beseitigt werden ünnen, zunächst eine Regelung in Aussicht genommen wird. Hierüber saben inzwischen Verhandlungen mit Reedern und Schiffsleuten unter Mstwirkung der Vertreter der beteiligten Regierungen stattgefunden, ind ich bin jetzt dabei, mit den einzelnen Bundesregierungen das Ma⸗ terial zu bearbeiten, um auf Grund der noch zu treffenden Verein⸗ tarungen gegebenenfalls zu einer Regelung für den Rhein zu gelangen.
Es ist uns dann vorgeworfen worden, daß wir auf dem Gebiete er Heimarbeit noch nichts getan haben. Das Gesetz über die Heimarbeit ist am 1. April 1912 in Kraft getreten und erfordert zu siner Durchführung eine ganze Reihe vorbereitender Anordnungen. zunächst sind die §§ 3 und 4 noch nicht in Kraft getreten; ihre In⸗ inftsetzung ist einer Allerhöchsten Verordnung vorbehalten und kann siht erfolgen, bevor nicht über die Anträge auf Be⸗ siiung von den Bestimmungen des § 34 entschieden ist⸗ E liegen 16 derartige Anträge vor. Sie sind in der Bearbeitung. Eist wenn die Entscheidung ergangen ist, werden wir in der Lage sein, se §§ 3 und 4 in Kraft zu setzen. Meine Herren, ich habe bei der Verabschiedung des Gesetzes darauf aufmerksam gemacht, daß es uzweckmäßig wäre, dem § 34 die Gestalt zu geben, die er erhalten hat. Ich würde es für richtiger gehalten haben, wenn man umgekehrt pro⸗ Fiert hätte. Ich lehne die Verantwortung dafür ab, daß die tech⸗ jiche Ausgestaltung des Gesetzes es mir erschwert, eine frühere In⸗ kafttretung des Paragraphen herbeizuführen.
Dann, meine Herren, ist wohl das Wichtigste in dem Gesetz die Bildung von Fachausschüssen. Die Bildung von Fachausschüssen hat der Buüdesrat anzuordnen; aber es liegt in der Natur; der Dinge daß die Anregungen dazu zweckmäßig von den Bundesstaaten aus⸗ gehen, die auch die Kosten zu tragen haben. Soweit aber bei mir An⸗ näge eingegangen sind — es handelt sich meines Wissens bisher nur um einen Antrag aus der Konfektionsindustrie in Berlin —, sie sofort an den betreffenden Bundesstaat, in diesem Falle Preußen, mit der Bitte um Acußerung und eventuelle Anträge abgegeben worden. Es haben auch, in Preußen von Amts wegen, umfassende Erhebungen darüber stattgefunden, für welche Zweige und an welchen Orten Fach⸗ ausschüsse zu bilden sind, und nach meinen Informationen wird der preußische Herr Handelsminister wahrscheinlich demnächst mit einer größeren Anzahl von Anträgen auf Einrichtung von Fachausschüssen an den Bundesrat herantreten. Im preußischen Etat von 1913 ist äine nicht unbeträchtliche Summe für die Kosten der Fachausschüsse eingesetzt, und ich nehme an, daß als erster unter den Anträgen, die zur Erörterung stehen und, wie ich hoffe, im positiven Sinne ent⸗ schieden werden, der Antrag der Konfektionsindustrie aus Berlin stehen wird. Zur Ausführung der Bestimmungen über die Fachausschüsse sind selbstverständlich auch noch Ausführungsvorschriften erforderlich. Diese sind in Arbeit. Sie werden voraussichtlich fertig sein, wenn die Anträge der Bundesstaaten an den Bundesrat gelangen.
Dann meine Herren, enthält das Heimarbeitsgesetz besondere Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und der Sittlichkeit. Im Vordergrund stehen hier die Verhältnisse der Zigarren⸗Haus⸗ arbeiter. Hier ist von mir das Erforderliche veranlaßt. Wir sind dabei, Anordnungen vorzubereiten, die im wesentlichen diejenigen Be⸗ stimmungen enthalten, welche in dem Gesetzentwurf über die Heim⸗ arbeit in der Tabakindustrie seinerzeit enthalten waren. Sobald die Gutachten der Bundesregierungen vorliegen, wird mit dem Erlaß dieser Bestimmungen vorgegangen werden; ich glaube, daß ihrer Ver⸗ abschiedung erhebliche Schwierigkeiten nicht im Wege stehen werden.
Es sind dann Gegenstand besonderer Untersuchung die Verhält⸗ nisse in der Thermometer⸗Hausin dustrie in Thüringen gewesen. Ob hier ein Einschreiten aus Gründen der Gesundheit noch notwendig ist mit Rücksicht auf die veränderten Betriebsverhältnisse, ist noch eine offene Frage.
Dann, meine Herren, ist besonders moniert worden, daß die Regelung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen und jugendlichen Ar⸗ beiter in der Wäͤsche⸗ und Plättindustrie noch nicht weiter fortgeschritten ist. Es ist richtig, daß hier ein Eingreifen in Frage kommt. Die erforderlichen Vorbereitungen sind getroffen. Ich kann aber damit nicht eher hervortreten, als bis die Bestimmungen über die Besch igung von Arbeiterinnen jugendlichen Arbeitern in
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b Motorbetrieben in Kaft get
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Bestimmungen demnächst verabschiedet sein werden. Dann werden auch die Wäscherinnen und Plätterinnen zu ihrem Rechte kommen.
Es ist dann über die Nachtarbeit in den Bäckereien geklagt worden. Ich habe mich über diesen Fall wiederholt geäußert. Wir sind, soweit ich das übersehen kann, in der Beschränkung der Arbeits⸗ zeit und der Sonntagsarbeit in den Bäckereien an die Grenze des Möglichen gegangen und jedenfalls zurzeit sowohl mit Rücksicht auf die Gewohnheiten des Publikums, wie auch auf die Bedürfnisse der Betriebe nicht in der Lage, weiter zu gehen. Ob ein Gewerbeaufsichtsbeamter, wie gestern behauptet worden ist, weitergehendere Bestimmungen, insbesondere die Beseitigung der Nachtarbeit auf Grund besonderer Verhältnisse seines Bezirks für zu⸗ lässig erklärt hat, weiß ich nicht. Aber vorläufig wird es bei den bisher erlassenen Bestimmungen bleiben müssen. Es wird auch hier wie auf zahlreichen anderen Gebieten, wenn sich diese Vorschriften ein⸗ gebürgert haben, von selbst die Möglichkeit und der Drang ergeben, weiter einschränkend vorzugehen. Das wird aber im vorliegenden Falle abgewartet werden müssen. Die Verhältnisse liegen hier außer⸗ ordentlich schwierig. Es sind hier nicht bloß zu berücksichtigen die Interessen der Arbeiter, sondern auch ganz besonders die keineswegs leichten und einfachen Verhältnisse der Bäckermeister, namentlich in den ganz kleinen Betrieben.
Dann ist besonders betont worden, daß die Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe noch nicht erfolgt ist. Ich habe bereits in der Budgetkommission auseinandergesetzt, woran das liegt, daß der Gesetzentwurf noch nicht an das hohe Haus gelangt ist. Er liegt im Bundesrat, und ich hoffe, daß es mir bald gelingen wird, ihn in Ihre Hände zu bringen.
Nun ist ferner Beschwerde geführt über eine unzureichende Tätigkeit des Reichsamts des Innern mit Rücksicht auf die Arbeitsverhältnisse in der schweren Eisenindustrie. Meine Herren, ich vermag kaum anzuerkennen, daß hier mit irgendwelchem Recht ein Vorwurf erhoben werden kann. Die Verbältnisse sind erst vor kurzer Zeit durch die Bekanntmachung vom 19. November 1908 geregelt. Die fraglichen Bestimmungen sind in ihrer Wirkung erst auf zwei volle Kalenderjahre zu übersehen, und es würde nach meiner Meinung voreilig und unrichtig sein, wenn man an dieser Verordnung etwas änderte ehe man übersehen kann, wie sie gewirkt hat und wie weit diese oder jene zugunsten der Betriebe in der Verordnung enthaltene Bestimmung entbehrt oder eingeschränkt werden kann. Die Bekanntmachung von 1908 hat den Zweck, erst einmal Aufklärung zu gewinnen über Arbeitszeit und Ueberstunden⸗ wesen in der Großeisenindustrie. Zweitens sollte versucht werden, auch den Arbeitern während der Arbeit feste Erholungspausen und eine Mindestruhe zwischen zwei Schichten zu geben. Das ist geschehen. Endlich hatten wir erwartet, daß der Zwang auf die Betriebs⸗ leiter, sich mit der Ueberarbeit der einzelnen Arbeiter eingehend zu beschäftigen, indtrekt zu einer Einschränkung der Ueber⸗ arbeit führen würde aus dem Grunde, weil mir bei den persönlichen Ermittlungen, die ich über diese Dinge angestellt hatte, wiederholt die Erfahrung entgegengetreten ist, daß die Betriebsleiter, die ich um Ermittlung über diese Verhältnisse in den betreffenden Betrieben gebeten hatte, mir sagten: wir haben die Ermittlung angestellt und sind erstaunt, daß viel mehr Ueberarbeit im Werke stattfindet, als wir es für zweckmäßig und nützlich halten. Nun, meine Herren, ich will auf Einzelheiten nicht eingehen, die sich aus den vorgeschriebenen Verzeichnissen ergeben haben. Im großen und ganzen darf man als Erfolg der Verordnung von 1908 fest⸗ stellen, daß wir in weitgehender Weise Klarheit über die Arbeitszeit und die Ueberstunden in der Großindustrie gewonnen haben, daß wir ferner für die Arbeiter ein bestimmtes Mindestmaß an Ruhe und eine Mindestruhezeit zwischen zwei Schichten gegeben haben. Ich möchte dazu ausdrücklich bemerken, daß durch diese Bestimmungen tatsächlich für die Arbeiter eine regelmäßige Arbeitszeit von 10 Stunden fest⸗ gesetzt ist, das ist mehr, als meines Wissens in irgendeinem Staate des Auslands bis jetzt der Fall gewesen ist, wo die 12 stündige Arbeitszeit ohne feste Pausen bis vor kurzem jedenfalls allgemeine Norm gewesen ist. Nicht erfüllt ist allerdings meine Erwartung, daß die Vorschrift, Auf⸗ zeichnungen über die Ueberarbeit zu führen, indirekt zu einer Ver⸗ ringerung der Ueberstunden führen würde, sondern es ist wohl als zweifellos festzustellen, daß eine Verringerung nicht eingetreten ist. Stellenweise ist eine Steigerung zu vermerken, wobei es aber zweifelhasft sein mag, ob diese scheinbare Steigerung tatsächlich in einer Vermehrung der Anforderungen an die Arbeiter und nicht nur in der Art der Aufmachung der Statistik ihren Grund hat.
Nun sind ja eine Reihe von Wünschen auf Abänderung der Verordnung an mich gelangt. Diese Wünsche werden geprüft, und ich werde unter Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ins⸗ besondere über drei nach meiner Ansicht wichtige Fragen Erhebungen anstellen. Das ist erstens die Frage, ob in Zukunft ganz davon ab⸗ gesehen werden kann, kürzere Arbeitsunterbrechungen auf die Pausen anzurechnen, oder ob diese vielleicht nur zur Hälfte anzurechnen sind; das ist weiter die Frage, ob die bisher den höheren Verwaltungs⸗ behörden übertragene Befugnis, eine Verkürzung der Hauptpause bis auf eine halbe Stunde zu bewilligen, eingeschränkt oder aufgehoben werden kann; und das ist endlich die Frage, ob eine Aufhebung der Mindestruhezeit sowie die Gewährung einer längeren Ruhezeit für die zu längerer Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter durchführbar ist. Ob sich diese Forderungen erfüllen lassen, kann ich heute nicht übersehen. Ich habe durch persönliche Erkundigungen den Eindruck gewonnen, daß schon die Verordnung von 1908 für einen großen Teil der Arbeiter sehr starke wirtschaftliche Eingriffe enthielt, und daß wir niemandem, am wenigstem dem Arbeiter, genützt hätten, wenn wir 1908 weiter gegangen wären. Ob das jetzt möglich sein wird, werden ja die Ermittlungen zeigen. Jedenfalls wollen die Herren daraus freundlichst entnehmen, daß auch auf diesem Gebiete unserer⸗ seits gearbeitet ist und, wie ich hoffe, nicht ohne Erfolg.
Nun möchte ich mir aber noch einige allgemeine Betrachtungen erlauben. Es ist schon im vergangenen Jahre von der äußersten Linken beklagt und als ein Mangel angesehen worden, daß so wenig Bundesratsverordnungen auf Grund des § 120 e der Gewerbe⸗ ordnung erlassen werden. Es liegt hier aber so, wie auf dem Gebiete unserer Sozialpolitik überhaupt. Wir haben eben einen großen Teil der in Betracht kommenden Gewerbezweige und Betriebe gesetzlich und im Wege der Bundesratsverordnungen geregelt und sind nicht in
solche Regelung notwendig ist, o
können. 1 Ich möchte mit einigen Worten auf unsere Sozialpolitik im allgemeinen kommen. Der Herr Abg. Fischer hat meines Wissens nur das Fehlen eines Gesetzes über die Sonntagsruhe im Handels⸗ gewerbe beklagt. Das wundert mich gar nicht; denn wir haben auf dem Gebiete der Sozialpolitik eine so umfassende gesetzgeberische Tätigkeit im Laufe der letzten 25 Jahre entfaltet, daß eine gewisse Ruhepause eigentlich selbstverständlich ist. Wir haben die Kranken⸗ versicherung durchgeführt und haben sie neuerdings auf die landwirt⸗ wirtschaftlichen, die Heimarbeiter und die unstänrigen Arbeiter aus⸗ gedehnt. Wir haben die Unfallversicherung durchgeführt. Wir haben die Invaliden⸗ und Altersversicherung durchgeführt. Wir haben die Versorgung der Hinterbliebenen durchgeführt. Ob end⸗ gültig, das ist eine andere Frage. Jedenfalls sind die Be⸗ stimmungen noch gar nicht in Kraft getreten. Ich frage Sie, meine Herren: wo soll denn auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung noch etwas herkommen? Daß sich im Laufe der Jahre in diesen oder jenen Punkten Erweiterungen ergeben können, ist ja möglich. Aber daß wir auf dem großen Gebiete der Versicherungsgesetzgebung vor⸗ läufig einmal Schluß machen und abwarten müssen, wie sich die er⸗ heblichen Erweiterungen dieser Gesetze, die im Jahre 1911 ver⸗ abschiedet worden sind, bewähren werden, das ist doch ganz selbst⸗ verständlich. Wir sind über die unserer Versicherung ursprüglich gesteckten Ziele schon hinausgegangen mit der Versicherung der Angestellten, indem wir hier ganz andere Kreise der Bevölkerung in die Zwangsversicherung hineingezogen haben. Auch hier sind wir nach meiner Ansicht annähernd bis an die Grenze gegangen, daß man darüber streiten kann, ob die Höchstgrenze des Einkommens, die zu der einen oder anderen Versicherung berechtigt oder von dieser Versicherung ausschließt, richtig gegriffen ist, daß wir im Laufe der Jahrzehnte, bei anderen wirtschaftlichen Verhältnissen, bei veränderter Kaufkraft des Geldes und dergleichen mehr diese Grenze verschieben können, ist selbstverständlich möglich. Aber vorläufig ist doch hier ein gewisser Abschluß geschaffen.
Die gesetzlichen Bestimmungen, die dem Schutze von Leben und Gefundheit der Arbeiter dienen, sind in bestimmten Perioden immer mehr erweitert worden. Die ursprünglich im § 120 der Ge⸗ werbeordnung enthaltenen Vorschriften sind nach und nach erweitert. Es sind beispielsweise hinzugetreten die Bestimmungen über die Vor⸗ beugung gegen Gefahren für Anstand und Sittlichkeit namentlich für weibliche und jugendliche Arbeiter; es ist hinzugetreten das Gesetz über den Kinderschutz, es sind hinzugetreten besondere Bestimmungen über die Beschäftigung von Arbeiterinnen auf Bauten und in Kokereien, es sind die Schutzbestimmungen im Bergbau, in Auf⸗ bereitungsanstalten, in Steinbrüchen usw. erweitert worden. Kurzum, meine Herren, auch auf diesem Gebiet haben wir immer weitere Kreisfe gezogen. Wir haben allerdings in einem Punkt bewußt Halt gemacht, haben Grenzen gezogen, an denen wir meiner Ansicht nach auch bis auf weiteres festhalten müssen. Wir haben bei erwachsenen Arbeitern nur einen sanitären Maximalarbeitstag eingeführt, aber einen all⸗ gemeinen gesetzlichen Maximalarbeitstag abgelehnt. Dabei wird es 1 bleiben müssen. Das sind Dinge, die für die einzelnen Industrien der Entwicklung und der Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorbehalten bleiben müssen.
Nun möchte ich noch einmal auf § 120 e der Gewerbe⸗ ordnung zurückkommen. Es ist mir wiederholt begegnet, daß man die Zahl der Anordnungen, die auf Grund des § 120 eü der Gewerbe⸗ ordnung erlassen sind, als einen Maßstab für unsere Fürsorge für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter ansieht. Es gibt einzelne Länder ich glaube, England gehört dazu —, in denen sich diese Bestimmungen in allgemein gültigen Grundsätzen kon zentrieren. Wir haben dagegen das ist ein Vorteil unserer Gesetzgebung — ein viel weiter gegliedertes System. Neben dem Bundesrat können die Landeszentralbehörden Verordnungen erlassen, es können weiter von den Landesbehörden die⸗ jenigen, welche zum Erlaß von Polizeiverordnungen berufen sind, Polizeiverordnungen erlassen. Damit erschöpft sich 1 die Möglichkeit noch gar nicht. Es kommt hinzu, daß in den Bestim⸗ mungen des § 16 der Gewerbeordnung der, man kann wohl sagen, alle Betriebe, die mit besonderen Gefahren für die Gesundheit der Arbeiter verknüpft sind, genehmigungspflichtig macht, die Möglichkeit gegeben ist, bei Erteilung der Konzession umfassende Vorschriften zum Schutze der Gesundheit der Arbeiter zu erlassen, und davon ist in weitestem Umfange Gebrauch gemacht worden. Um nun die Ar ordnungen, welche die Landeszentralbehörden und die Polizeibehörde erlassen, die — ich habe das vorhin noch übergangen — jede einzelne Polizeibehörde neben den allgemeinen Anordnungen individuell für den einzelnen Betrieb erlassen kann, auf gleiche Grund⸗ sätze zu bringen, hat sich der Herr Reichskanzler unaus⸗ gesetzt angelegen sein lassen, Grundzüge festzustellen, die ein⸗ mal einen Anhaltspunkt für die Maßnahmen geben sollen, die bei der Erteilung von Konzessionen auf Grund des § 16 der Ge⸗ werbeordnung zu treffen sind, die zweitens den Polizeibehörden Anhaltspunkte für die individuelle Behandlung einzelner Betriebe und schließlich den Landeszentralbehörden Anhaltspunkte für etwaige all⸗ gemeine Anordnungen geben sollen. Dadurch, daß diese An⸗ ordnungen vorher im Wege der Vereinbarung mit den anderen Bundesstaaten erörtert sind, haben wir erreicht, daß im wesent⸗ lichen nach den gleichen Grundsätzen im Reiche verfahren wird. Wir haben auch auf der anderen Seite den Erfolg gehabt, daß indivi⸗ dualisiert wird, daß man nicht Betriebe, die bestimmte Einschrän⸗ kungen nicht brauchen und nicht vertragen können, unter allen Um⸗ ständen solchen Bestimmungen unterwirft, daß wir aber auf der anderen Seite in der Lage sind, besonders gefährliche Betriebe, Be⸗ triebe mit besonderen Schwierigkeiten auch in der vollen Schärfe zu fassen, fester zu fassen, als es möglich sein würde, wenn wir uns lediglich beschränken, Anordnungen auf Grund des § 120 e zu er⸗ lassen; diese allgemeinen Anordnungen können, so wie es sich im großen deutschen Vaterland um sehr verschiedenartig liegende Ver⸗ hältnisse handelt, oft nicht sehr viel mehr enthalten, als schon nach § 120 a der Gewerbeordnung und den folgenden Paragraphen zu gelten hat. 1
Nun, meine Herren, möchte ich hier einige Zahlen geben. Ich verwahre mich aber ausdrücklich dagegen, daß ich etwa das Maß der soztalpolitischen Tätigkeit eines Landes und einer Regierung messen will nach Quadratmetern des bedruckten Papiers. Aber immerhin ist
der Lage, jedes Jahr neue Gebiete herauszufinden, bei denen
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eine
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nicht uninteressant, was ich Ihnen jetzt mitteile. Auf Grund des